Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor
In der Rechtssache C‑378/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale della Sicilia (Italien) mit Entscheidung vom 5. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 21. August 2008, in dem Verfahren
Raffinerie Mediterranee (ERG) SpA ,
Polimeri Europa SpA ,
Syndial SpA
gegen
Ministero dello Sviluppo economico,
Ministero della Salute,
Ministero Ambiente e Tutela del Territorio e del Mare,
Ministero delle Infrastrutture,
Ministero dei Trasporti,
Presidenza del Consiglio dei Ministri,
Ministero dell’Interno,
Regione siciliana,
Assessorato regionale Territorio ed Ambiente (Sicilia),
Assessorato regionale Industria (Sicilia),
Prefettura di Siracusa,
Istituto superiore di Sanità,
Commissario Delegato per Emergenza Rifiuti e Tutela Acque (Sicilia),
Vice Commissario Delegato per Emergenza Rifiuti e Tutela Acque (Sicilia),
Agenzia Protezione Ambiente e Servizi tecnici (APAT),
Agenzia regionale Protezione Ambiente (ARPA Sicilia),
Istituto centrale Ricerca scientifica e tecnologica applicata al Mare,
Subcommissario per la Bonifica dei Siti contaminati,
Provincia regionale di Siracusa,
Consorzio ASI Sicilia orientale Zona Sud,
Comune di Siracusa,
Comune di Augusta,
Comune di Melilli,
Comune di Priolo Gargallo,
Azienda Unità sanitaria locale N. 8,
Sviluppo Italia Aree Produttive SpA,
Invitalia (Agenzia nazionale per l’attrazione degli investimenti e lo sviluppo d’impresa) SpA, vormals Sviluppo Italia SpA,
Beteiligte:
ENI Divisione Exploration and Production SpA,
ENI SpA,
Edison SpA,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentinnen R. Silva de Lapuerta, P. Lindh und C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris, E. Juhász, A. Arabadjiev und J.‑J. Kasel,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Raffinerie Mediterranee (ERG) SpA, vertreten durch D. De Luca, M. Caldarera, L. Acquarone und G. Acquarone, avvocati,
– der Polimeri Europa SpA und der Syndial SpA, vertreten durch P. Amara, S. Grassi, G. M. Roberti und I. Perego, avvocati,
– der Sviluppo Italia Aree Produttive SpA und der Invitalia (Agenzia nazionale per l’attrazione degli investimenti e lo sviluppo d’impresa) SpA, vormals Sviluppo Italia SpA, vertreten durch F. Sciaudone, avvocato,
– der ENI SpA, vertreten durch G. M. Roberti, I. Perego, S. Grassi und C. Giuliano, avvocati,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato,
– der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou und G. Karipsiadis als Bevollmächtigte,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, B. Koopman und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Zadra und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Oktober 2009
folgendes
Urteil
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Verursacherprinzips, der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. L 143, S. 56) und insbesondere der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Unternehmen Raffinerie Mediterranee (ERG) SpA, Polimeri Europa SpA und Syndial SpA einerseits und verschiedenen nationalen, regionalen und kommunalen italienischen Behörden andererseits wegen von diesen Behörden erlassenen Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden im Bereich der Rada di Augusta (Italien), um die herum sich Anlagen und/oder Grundstücke der genannten Unternehmen befinden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3. In den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/35, die für die vorliegende Rechtssache von Bedeutung sind, heißt es:
„(1) Es gibt in der Gemeinschaft heute zahlreiche kontaminierte Standorte, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen, und der Verlust an biologischer Vielfalt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch beschleunigt. Werden keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen, könnte in Zukunft die Anzahl kontaminierter Standorte weiter ansteigen und der Verlust an biologischer Vielfalt noch stärker zunehmen. …
(2) … Grundlegendes Prinzip dieser Richtlinie sollte es deshalb sein, dass ein Betreiber, der durch seine Tätigkeit einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat, dafür finanziell verantwortlich ist …
…
(8) Diese Richtlinie sollte in Bezug auf Umweltschäden für berufliche Tätigkeiten gelten, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. Bei der Bestimmung dieser Tätigkeiten sollte generell auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht Bezug genommen werden, in dem ordnungsrechtliche Vorschriften für bestimmte Tätigkeiten oder Praktiken festgelegt sind, bei denen von einer potenziellen oder tatsächlichen Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ausgegangen wird.
(9) Diese Richtlinie sollte im Hinblick auf Schäden an geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen auch für sämtliche berufliche Tätigkeiten gelten, die nicht bereits durch Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht direkt oder indirekt als Tätigkeiten ausgewiesen sind, die eine potenzielle oder tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. In diesen Fällen sollte der Betreiber gemäß dieser Richtlinie nur dann haften, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.
…
(13) Nicht alle Formen von Umweltschäden können durch Haftungsmechanismen behoben werden. Damit diese zu Ergebnissen führen, muss es einen oder mehrere identifizierbare Verursacher geben, sollte es sich um einen konkreten und messbaren Schaden handeln und sollte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem bzw. den ermittelten Verursachern hergestellt werden können. Daher ist die Haftung kein geeignetes Instrument, um einer breit gestreuten, nicht klar abgegrenzten Umweltverschmutzung zu begegnen, bei der es unmöglich ist, die nachteiligen Umweltauswirkungen mit Handlungen oder Unterlassungen bestimmter einzelner Akteure in Zusammenhang zu bringen.
…
(24) Es ist erforderlich, sicherzustellen, dass für die Um- und Durchsetzung wirksame Mittel zur Verfügung stehen, wobei dafür zu sorgen ist, dass die berechtigten Interessen der betreffenden Betreiber und sonstigen Beteiligten angemessen gewahrt sind. Die zuständigen Behörden sollten besondere Aufgaben wahrnehmen, die eine behördliche Ermessensausübung erfordern, insbesondere die Verpflichtung zur Ermittlung der Erheblichkeit des Schadens und zur Entscheidung darüber, welche Sanierungsmaßnahmen zu treffen sind.
…
(30) Schäden, die vor dem Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie verursacht wurden, sollten nicht von ihren Bestimmungen erfasst werden.
…“
4. Nach ihrem Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 gilt die Richtlinie 2004/35 für
„a) Umweltschäden, die durch die Ausübung einer der in Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden, und jede unmittelbare Gefahr solcher Schäden, die aufgrund dieser Tätigkeiten eintritt;
b) Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, die durch die Ausübung einer anderen als der in Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden, und jede unmittelbare Gefahr solcher Schäden, die aufgrund dieser Tätigkeiten eintritt, sofern der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat“.
5. Gemäß Art. 4 Abs. 5 gilt die Richtlinie „nur dann für Umweltschäden sowie die unmittelbare Gefahr solcher Schäden, die durch eine nicht klar abgegrenzte Verschmutzung verursacht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und den Tätigkeiten einzelner Betreiber festgestellt werden kann“.
6. Art. 6 („Sanierungstätigkeit“) der Richtlinie bestimmt:
„(1) Ist ein Umweltschaden eingetreten, so informiert der Betreiber unverzüglich die zuständige Behörde über alle bedeutsamen Aspekte des Sachverhalts und
…
b) ergreift die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen gemäß Artikel 7.
(2) Die zuständige Behörde kann jederzeit
…
c) von dem Betreiber verlangen, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen,
d) dem Betreiber von ihm zu befolgende Anweisungen über die zu ergreifenden erforderlichen Sanierungsmaßnahmen erteilen oder
e) selbst die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen ergreifen.
(3) Die zuständige Behörde verlangt, dass die Sanierungsmaßnahmen vom Betreiber ergriffen werden. Kommt der Betreiber den Verpflichtungen gemäß Absatz 1 oder Absatz 2 Buchstaben … c) oder d) nicht nach oder kann der Betreiber nicht ermittelt werden oder muss er gemäß dieser Richtlinie nicht für die Kosten aufkommen, so kann die zuständige Behörde selbst diese Maßnahmen ergreifen, falls ihr keine weiteren Mittel bleiben.“
7. Zu den Kosten der Vermeidungs- und Sanierungstätigkeiten heißt es in Art. 8 der Richtlinie 2004/35:
„(1) Der Betreiber trägt die Kosten der gemäß dieser Richtlinie durchgeführten Vermeidungs- und Sanierungstätigkeiten.
(2) Vorbehaltlich der Absätze 3 und 4 verlangt die zuständige Behörde unter anderem in Form einer dinglichen Sicherheit oder in Form anderer geeigneter Garantien von dem Betreiber, der den Schaden oder die unmittelbare Gefahr eines Schadens verursacht hat, die Erstattung der Kosten, die ihr durch die gemäß dieser Richtlinie durchgeführten Vermeidungs- oder Sanierungstätigkeiten entstanden sind.
Die zuständige Behörde kann jedoch entscheiden, keine Erstattung der vollen Kosten zu verlangen, wenn die dazu erforderlichen Ausgaben über der zu erstattenden Summe liegen würden oder wenn der Betreiber nicht ermittelt werden kann.
(3) Ein Betreiber muss die Kosten für gemäß dieser Richtlinie durchgeführte Vermeidungs- oder Sanierungstätigkeiten nicht tragen, wenn er nachweisen kann, dass die Umweltschäden oder die unmittelbare Gefahr solcher Schäden
a) durch einen Dritten verursacht wurden und eingetreten sind, obwohl geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, …
…
In diesen Fällen treffen die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen, damit der Betreiber Erstattung der ihm entstandenen Kosten erlangen kann.
…“
8. Art. 9 („Kostenverteilung im Falle mehrerer Verursacher“) der Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie lässt die nationalen Regelungen für die Kostenverteilung im Falle mehrerer Verursacher, insbesondere bezüglich der Haftungsverteilung zwischen dem Hersteller und dem Nutzer eines Produkts, unberührt.“
9. Art. 11 („Zuständige Behörde“) der Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten benennen die zuständige(n) Behörde(n), die mit der Erfüllung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben betraut ist (sind).
(2) Es obliegt der zuständigen Behörde, festzustellen, welcher Betreiber den Schaden oder die unmittelbare Gefahr eines Schadens verursacht hat, die Erheblichkeit des Schadens zu ermitteln und zu bestimmen, welche Sanierungsmaßnahmen gemäß Anhang II zu treffen sind. Zu diesem Zweck ist die zuständige Behörde befugt, von dem betreffenden Betreiber die Durchführung einer eigenen Bewertung und die Bereitstellung aller erforderlichen Informationen und Daten zu verlangen.
…
(4) In jeder gemäß dieser Richtlinie getroffenen Entscheidung, in der Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen verlangt werden, sind die genauen Gründe dafür anzugeben. Eine solche Entscheidung wird dem betreffenden Betreiber unverzüglich mitgeteilt, der gleichzeitig über die Rechtsbehelfe belehrt wird, die ihm nach den in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften zur Verfügung stehen, sowie über die für diese Rechtsbehelfe geltenden Fristen.“
10. Nach Art. 16 („Beziehung zum nationalen Recht“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 hindert diese Richtlinie „die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Vorschriften für die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden beizubehalten oder zu erlassen, einschließlich der Festlegung zusätzlicher Tätigkeiten, die den Bestimmungen dieser Richtlinie über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden unterliegen, und der Bestimmung zusätzlicher verantwortlicher Parteien“.
11. Gemäß Art. 17 („Zeitliche Begrenzung der Anwendung“) der Richtlinie gilt diese Richtlinie nicht für
„– Schäden, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die vor dem in Artikel 19 Absatz 1 angegebenen Datum stattgefunden haben;
– Schäden, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die nach dem in Artikel 19 Absatz 1 angegebenen Datum stattgefunden haben, sofern sie auf eine spezielle Tätigkeit zurückzuführen sind, die vor dem genannten Datum stattgefunden und geendet hat;
– Schäden, wenn seit den schadensverursachenden Emissionen, Ereignissen oder Vorfällen mehr als 30 Jahre vergangen sind“.
12. Nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie mussten die Mitgliedstaaten spätestens bis zum 30. April 2007 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen.
13. Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2004/35 betrifft insbesondere den Betrieb von Anlagen, für den eine Genehmigung gemäß der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. L 257, S. 26) erforderlich ist.
14. Nach Art. 1 der Richtlinie 96/61 bezweckt diese die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung infolge der in ihrem Anhang I genannten Tätigkeiten. Die Nrn. 2.1 und 2.4 des Anhangs I nennen die „Energiewirtschaft“ bzw. die „chemische Industrie“.
Nationales Recht
15. Das vorlegende Gericht nimmt Bezug auf das Decreto legislativo Nr. 22 vom 5. Februar 1997 zur Umsetzung der Richtlinie 91/156/EWG [des Rates vom 18. März 1991 zur Änderung der Richtlinie 75/442/EWG] über Abfälle [ABl. L 178, S. 32], der Richtlinie 91/689/EWG [des Rates vom 12. Dezember 1991] über gefährliche Abfälle [ABl. L 377, S. 20] und der Richtlinie 94/62/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994] über Verpackungen und Verpackungsabfälle [ABl. L 365, S. 10] (Supplemento ordinario alla GURI Nr. 38 vom 15. Februar 1997, im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 22/1997). Dieses Dekret wurde aufgehoben und ersetzt durch das Decreto legislativo Nr. 152 vom 3. April 2006 über Umweltnormen (Supplemento ordinario alla GURI Nr. 88 vom 14. April 2006), das in seinen Art. 299 bis 318 die Richtlinie 2004/35 in die italienische Rechtsordnung umsetzt.
16. Art. 17 des Gesetzesdekrets Nr. 22/1997 sah vor: „Wer – auch unbeabsichtigt – eine Überschreitung der in Abs. 1 Buchst. a vorgesehenen Grenzwerte oder die konkrete und gegenwärtige Gefahr einer Überschreitung dieser Grenzwerte verursacht, hat auf eigene Kosten die Maßnahmen zur Sicherung, Sanierung und Rückführung der verschmutzten Gebiete und der Anlagen, von denen die Verschmutzungsgefahr ausgeht, in einen umweltgerechten Zustand vorzunehmen.“
17. In Art. 9 des ministeriellen Dekrets Nr. 471 vom 25. Oktober 1999 über Kriterien, Verfahren und Modalitäten der Sicherung, Sanierung und Rückführung verschmutzter Gebiete in einen umweltgerechten Zustand gemäß Art. 17 des Gesetzesdekrets Nr. 22 vom 5. Februar 1997 mit Änderungen und Ergänzungen (Supplemento ordinario alla GURI Nr. 293 vom 15. Dezember 1999) heißt es:
„Der Eigentümer eines Grundstücks oder eine andere Person, der bzw. die … aus eigener Initiative die Verfahren im Hinblick auf Maßnahmen zur Notsicherung, zur Sanierung und zur Rückführung in einen umweltgerechten Zustand gemäß Art. 17 Abs. 13bis des Gesetzesdekrets [Nr. 22/1997] einleiten möchte, hat der Region, der Provinz und der Gemeinde einen Lagebericht über die Verschmutzung zu erstatten und mitzuteilen, welche zum Schutze der Gesundheit und der Umwelt erforderlichen Notsicherungsmaßnahmen er gegebenenfalls ergriffen hat und gegenwärtig durchführt. Der Mitteilung muss eine geeignete technische Dokumentation beigefügt werden, aus der hervorgeht, wie diese Maßnahmen beschaffen sind. … [D]ie Gemeinde oder, wenn die Verschmutzung das Gebiet mehrerer Gemeinden betrifft, die Region überprüft … die Wirksamkeit der getroffenen Notsicherungsmaßnahmen und kann ergänzende Anordnungen und Maßnahmen festlegen, insbesondere in Bezug auf Überwachungsmaßnahmen zur Feststellung des Verschmutzungszustands und Kontrollen zur Überprüfung der Wirksamkeit der zum Schutze der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt in der Umgebung getroffenen Maßnahmen. …“
18. Art. 311 Abs. 2 des Decreto legislativo Nr. 152 vom 3. April 2006 bestimmt:
„Wer mit der Vornahme einer verbotenen Handlung oder dem Unterlassen der erforderlichen Handlungen oder Verhaltensweisen unter Verstoß gegen das Gesetz, Verordnungen oder Verwaltungsmaßnahmen aus Nachlässigkeit, Unerfahrenheit, Unvorsichtigkeit oder infolge der Verletzung technischer Normen die Umwelt durch ihre völlige oder teilweise Veränderung, Verschlechterung oder Zerstörung schädigt, hat den vorherigen Zustand wiederherzustellen oder andernfalls dem Staat in entsprechender Höhe finanzielle Entschädigung zu leisten.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
19. Das Ausgangsverfahren betrifft die zum „Gebiet von nationalem Interesse zum Zweck der Sanierung“ erklärte Gegend von Priolo Gargallo (Sizilien) und insbesondere die Rada di Augusta. Diese leidet unter wiederkehrenden Phänomenen der Umweltverschmutzung, deren Ursprung schon in den 60er‑Jahren liegen soll, als das petrochemische Zentrum Augusta-Priolo-Melilli geschaffen wurde. Seitdem hat sich in dieser Region eine Vielzahl von Unternehmen niedergelassen oder abgelöst, die in der Ölindustrie oder im petrochemischen Sektor tätig sind.
20. Das Gebiet war Gegenstand einer „Prüfung“ zur Bewertung des Zustands der Böden, des Grundwassers, der Küstengewässer und des Meeresbodens. Im Einklang mit Art. 9 des ministeriellen Dekrets Nr. 471 vom 25. Oktober 1999 legten die im petrochemischen Zentrum ansässigen Unternehmen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer der in dem Gebiet von nationalem Interesse liegenden Industriegrundstücke Entwürfe für die Notsicherung und die Sanierung des Grundwassers vor, die mit interministeriellem Dekret gebilligt wurden.
21. In mehreren aufeinanderfolgenden Entscheidungen verpflichtete die zuständige Behörde diese Unternehmen wegen ihnen vorgeworfener Verzögerungen bei der Ausführung der Vorhaben, den Meeresboden der Rada di Augusta zu sanieren und seinen früheren Zustand wiederherzustellen und insbesondere die dort befindlichen kontaminierten Sedimente bis zu einer Tiefe von zwei Metern abzutragen; für den Fall, dass die Unternehmen dem nicht nachkämen, würden die betreffenden Arbeiten von Amts wegen auf ihre Kosten durchgeführt. Bei der vorbereitenden Sitzung der Dienststellen vom 21. Juli 2006 wurde außerdem beschlossen, die zuvor gebilligten Maßnahmen um den Bau einer Vorrichtung zur Einschließung des Grundwassers zu ergänzen.
22. Die betroffenen Unternehmen machten geltend, dass die fragliche Baumaßnahme nicht realisierbar sei und sie unverhältnismäßigen Kosten aussetze, und erhoben daher beim vorlegenden Gericht Klage gegen die genannten behördlichen Entscheidungen. Mit Urteil Nr. 1254/2007 vom 21. Juli 2007 gab das Gericht den Klagen mit der Begründung statt, dass die Sanierungspflichten rechtswidrig seien, weil bei ihrer Auferlegung weder das Verursacherprinzip noch die Verfahrensvorschriften für die Sanierung, noch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs beachtet worden seien. Außerdem seien die Voraussetzungen für eine solche Sanierung nicht mit den beteiligten Unternehmen erörtert worden.
23. Dieses Urteil wurde von den Behörden vor dem Consiglio di Giustizia amministrativa della Regione Sicilia angefochten, der mit einstweiliger Anordnung vom 2. April 2008 feststellte, dass die Notwendigkeit der Anordnung im Berufungsverfahren glaubhaft gemacht sei, und im Hinblick auf die nachteiligen Folgen der Verzögerungen bei der Ausführung der von diesen Behörden angeordneten Maßnahmen beschloss, die Vollstreckung des Urteils Nr. 1254/2007 auszusetzen.
24. In der Folgezeit gelangten die Behörden zu der Auffassung, dass die zuvor gebilligten Maßnahmen nicht geeignet seien, die Verschmutzung in der Rada di Augusta zu beseitigen. Da sich die klagenden Unternehmen außerdem weigerten, den Anordnungen nachzukommen, schrieb die Beschlussfassende Konferenz der Dienststellen am 20. Dezember 2007 diesen Unternehmen weitere Maßnahmen vor, darunter die Errichtung eines Damms, dessen Entwurf und Bau der Sviluppo Italia Aree produttive SpA (im Folgenden: Sviluppo) übertragen worden sein soll. Diese Maßnahmen sollen in der Sitzung zur Beschlussfassung der Dienststellen vom 6. März und 16. April 2008 bestätigt worden sein. Schließlich wurde das Dekret Nr. 4378 vom 21. Februar 2008 betreffend eine „endgültige Entscheidung … der Sitzung zur Beschlussfassung der Dienststellen vom 20. Dezember 2007 über das Gebiet von nationalem Interesse Priolo“ (im Folgenden: Dekret vom 21. Februar 2008) erlassen.
25. Gegen dieses Dekret und andere hiermit zusammenhängende Handlungen der Verwaltung erhoben die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erneut Klage beim vorlegenden Gericht. In der Klageschrift tragen sie u. a. vor, dass das ausgewählte Projekt, das Sviluppo ausgearbeitet habe und mit dessen Durchführung dieses Unternehmen ohne Vergabeverfahren beauftragt worden sei, nicht dem Umweltschutz, sondern dem Bau einer öffentlichen Infrastruktur diene, nämlich der Anlage einer künstlichen Insel in der Rada di Augusta mit Hilfe der kontaminierten Sedimente.
26. Das vorlegende Gericht stellt fest, in früheren Entscheidungen betreffend denselben Rechtsstreit habe der Consiglio di Giustizia amministrativa della Regione Sicilia als Berufungsinstanz u. a. Folgendes ausgeführt: „[O]b die derzeitigen Eigentümer oder Konzessionsinhaber der Industriegebiete in die Sache verwickelt sind [oder] ob etwa eine Haftung von Organen der öffentlichen Verwaltung gegeben ist, die in der Vergangenheit die Ausübung umweltschädlicher Tätigkeiten genehmigt haben, [ist] unerheblich.“ Denn, so fährt das Gericht fort, „[d]er Ausgleich zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlich relevanten Interessen am Schutz der Gesundheit, der Umwelt und der privatwirtschaftlichen Initiative ist … in einem Kriterium der objektiven Haftung des Unternehmers [zu suchen], nach dem Wirtschaftsteilnehmer – die mittels der Ausübung von Tätigkeiten, die insoweit gefährlich sind, als sie als solche umweltverschmutzend sind, oder als Nutzer von umweltverschmutzenden Produktionsstrukturen und Quellen anhaltender Umweltverschmutzung produzieren und Gewinne erzielen – aus diesem Grund gehalten sind, in voller Höhe die zur Gewährleistung des Umweltschutzes und der Gesundheit der Bevölkerung erforderlichen Aufwendungen zu tragen in einem ursächlichen Zusammenhang“ mit allen Phänomenen der Verschmutzung, die mit der industriellen Tätigkeit verbunden sind.
27. Das vorlegende Gericht trägt vor, die durch das Berufungsgericht bestätigte Praxis der zuständigen Behörde bestehe also derzeit darin, die an der Rada di Augusta tätigen Unternehmen für die bestehende Umweltverschmutzung haftbar zu machen, ohne zwischen vorausgegangener und gegenwärtiger Verschmutzung zu unterscheiden und ohne zu prüfen, inwieweit jedes einzelne Unternehmen unmittelbar für die Schädigung verantwortlich sei.
28. Das vorlegende Gericht erwägt, seine Rechtsprechung zu ändern und sich in Zukunft an der Berufungsinstanz auszurichten, und verweist hierzu auf die besonderen Umstände der Verschmutzung an der Rada di Augusta. Insbesondere sei in dem Gebiet eine Vielzahl von Unternehmen aufeinander gefolgt, so dass die Feststellung, welches von ihnen im Einzelnen die Verantwortung trage, nicht nur unmöglich, sondern auch unnötig sei, zumal die Tatsache, dass die Unternehmen an dem kontaminierten Standort Tätigkeiten ausübten, die schon als solche gefährlich seien, ausreiche, um ihre Haftung zu bejahen.
29. Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale della Sicilia beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Stehen das Verursacherprinzip (Art. 174 EG) und die Richtlinie 2004/35 einer nationalen Regelung entgegen, die der öffentlichen Verwaltung erlaubt, privaten Unternehmen – allein aufgrund der Tatsache, dass diese ihre Tätigkeit derzeit in einem seit Langem verschmutzten Gebiet oder in einem an ein solches angrenzenden Gebiet ausüben – die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen aufzuerlegen, ohne eine Untersuchung durchzuführen, um festzustellen, wer für die Verschmutzung verantwortlich ist?
2. Stehen das Verursacherprinzip (Art. 174 EG) und die Richtlinie 2004/35 einer nationalen Regelung entgegen, die es der öffentlichen Verwaltung erlaubt, die Verantwortung für die Beseitigung von Umweltschäden in spezifischer Form demjenigen, der Inhaber dinglicher Rechte ist, und/oder demjenigen aufzuerlegen, der in dem verschmutzten Gebiet eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, und zwar ohne vorher das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten der Person und der Verschmutzung nachweisen zu müssen, sondern allein aufgrund der bloßen „Stellung“, in der sich diese Person befindet (d. h., weil es sich um einen innerhalb des Gebiets tätigen Wirtschaftsteilnehmer handelt)?
3. Stehen Art. 174 EG und die Richtlinie 2004/35 einer nationalen Regelung entgegen, die der öffentlichen Verwaltung erlaubt, die Verantwortung für die Beseitigung von Umweltschäden entgegen dem Verursacherprinzip in spezifischer Form demjenigen, der Inhaber dinglicher Rechte und/oder eines Unternehmens in dem verschmutzten Gebiet ist, aufzuerlegen, und zwar ohne vorher nachweisen zu müssen, ob über den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Person und der Verschmutzung hinaus auch das subjektive Erfordernis des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit gegeben ist?
4. Stehen die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgelegten gemeinschaftlichen Grundsätze und die Richtlinien 2004/18, 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) und 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) einer nationalen Regelung entgegen, die der öffentlichen Verwaltung erlaubt, mit Tätigkeiten, die die Prüfung, Planung und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen – richtig: die Durchführung von öffentlichen Arbeiten – in dem Staat gehörenden Gebieten umfassen, unmittelbar Personen des Privatrechts (Società Sviluppo SpA und Sviluppo) zu beauftragen, ohne zuvor die erforderlichen öffentlichen Vergabeverfahren einzuleiten?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
30. Die italienische Regierung macht geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen insbesondere deshalb unzulässig sei, weil zum einen die vorgelegten Fragen implizierten, dass der Gerichtshof die nationale Regelung überprüfe, und es zum anderen dem vorlegenden Gericht nicht darum gehe, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden, sondern die Rechtsprechung des ihm übergeordneten Gerichts in Frage zu stellen.
31. Insoweit genügt der Hinweis, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zwar nicht befugt ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Unionsrecht zu entscheiden, jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben kann, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen (Urteil vom 22. Mai 2008, citiworks, C‑439/06, Slg. 2008, I‑3913, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
32. Im Übrigen muss es einem Gericht, das nicht in letzter Instanz entscheidet, freistehen, dem Gerichtshof die Fragen vorzulegen, bei denen es Zweifel hat, insbesondere dann, wenn es der Ansicht ist, dass es aufgrund der rechtlichen Beurteilung des übergeordneten Gerichts zu einem unionsrechtswidrigen Urteil gelangen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 1974, Rheinmühlen-Düsseldorf, 166/73, Slg. 1974, 33, Randnr. 4).
33. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig, so dass die vom Tribunale amministrativo regionale della Sicilia gestellten Fragen zu prüfen sind.
Zu den ersten drei Vorlagefragen
34. Mit seinen ersten drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Verursacherprinzip, wie es in Art. 174 Abs. 2 Unterabs. 1 EG verankert ist, und die Richtlinie 2004/35, die darauf abzielt, diesen Grundsatz im Bereich der Umwelthaftung zu konkretisieren, einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es der zuständigen Behörde erlaubt, Betreibern aufgrund der Nähe ihrer Anlagen zu einem verschmutzten Gebiet Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden aufzuerlegen, ohne zuvor untersucht zu haben, auf welches Ereignis die Verschmutzung zurückzuführen ist, und ohne nachgewiesen zu haben, dass ein Kausalzusammenhang zwischen diesen Schäden und dem Verhalten der betreffenden Betreiber besteht und dass sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben.
35. Im Licht der Umstände des Ausgangsverfahrens, wie sie vom vorlegenden Gericht dargestellt worden sind und wie die italienische, die griechische und die niederländische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf sie eingegangen sind, ist zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Richtlinie 2004/35 unter solchen Umständen in zeitlicher Hinsicht angewandt werden kann, bevor auf die Vorlagefragen geantwortet wird.
Zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/35
– Beim Gerichtshof abgegebene Erklärungen
36. Die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission bezweifeln, dass die Richtlinie 2004/35 in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits Anwendung finden kann, da der Umweltschaden vor dem 30. April 2007 eingetreten und/oder jedenfalls auf frühere Tätigkeiten zurückzuführen sei, die vor diesem Datum geendet hätten. Die Kommission gibt allerdings zu verstehen, dass die betreffende Richtlinie für Schäden nach dem 30. April 2007 gelten könne, die sich aus der gegenwärtigen Tätigkeit der betroffenen Betreiber ergäben. Sie gelte jedoch nicht für Verschmutzungen vor diesem Datum, die von anderen Betreibern als denen verursacht worden seien, die derzeit an der Rada di Augusta tätig seien und denen man diese Verschmutzungen zuzurechnen suche.
37. Nach Ansicht der griechischen Regierung dagegen ist die Richtlinie 2004/35 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar. So ergebe sich im Gegenschluss aus Art. 17 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie, dass diese selbst dann gelte, wenn die den Schaden verursachende Tätigkeit vor dem 30. April 2007 begonnen habe, sofern sie vor diesem Datum nicht geendet habe und sich danach fortsetze.
– Antwort des Gerichtshofs
38. Wie sich aus dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/35 ergibt, war der Unionsgesetzgeber der Auffassung, dass die Bestimmungen über das mit der Richtlinie errichtete System der Umwelthaftung „Schäden, die vor dem Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie verursacht wurden“, also vor dem 30. April 2007, nicht erfassen sollten.
39. Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 17 der Richtlinie 2004/35 ausdrücklich die Fallgruppen angegeben, auf die sie nicht anwendbar ist. Da die Fälle, die nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, somit negativ definiert worden sind, ist daraus zu schließen, dass alle anderen Fälle grundsätzlich in zeitlicher Hinsicht von dem mit der Richtlinie geschaffenen System der Umwelthaftung erfasst werden.
40. Aus Art. 17 erster und zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 geht hervor, dass sie weder für Schäden gilt, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die vor dem 30. April 2007 stattgefunden haben, noch für Schäden, die nach diesem Datum verursacht wurden, sofern sie auf eine spezielle Tätigkeit zurückzuführen sind, die vor dem genannten Datum stattgefunden und geendet hat.
41. Daraus ist zu folgern, dass diese Richtlinie für Schäden gilt, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die nach dem 30. April 2007 stattgefunden haben, sofern die Schäden auf Tätigkeiten zurückzuführen sind, die nach dem betreffenden Datum stattgefunden haben, oder auf Tätigkeiten, die vor dem genannten Datum stattgefunden, aber nicht vor ihm geendet haben.
42. Gemäß Art. 267 AEUV, der auf einer klaren Trennung der Aufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist der Gerichtshof nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts zu äußern. Folglich ist es im Rahmen des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des nationalen Gerichts, die vom Gerichtshof ausgelegten Vorschriften des Unionsrechts auf nationale Maßnahmen oder Gegebenheiten anzuwenden (vgl. Urteil vom 11. September 2008, CEPSA, C‑279/06, Slg. 2008, I‑6681, Randnr. 28).
43. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der Tatsachen, die allein dieses Gericht zu beurteilen in der Lage ist, zu prüfen, ob im Ausgangsverfahren die Schäden, die Gegenstand der von den zuständigen nationalen Behörden beschlossenen Maßnahmen zur Sanierung der Umwelt sind, zu einer der in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils genannten Fallgruppen gehören.
44. Sollte das vorlegende Gericht zu dem Schluss gelangen, dass die Richtlinie 2004/35 in der bei ihm anhängigen Rechtssache nicht anwendbar ist, ist ein solcher Fall – unter Beachtung der Regeln des Vertrags und vorbehaltlich anderer Rechtsakte des abgeleiteten Rechts – nach nationalem Recht zu beurteilen.
45. Hierzu ist Art. 174 EG zu entnehmen, dass die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau abzielt und u. a. auf dem Verursacherprinzip beruht. Diese Bestimmung beschränkt sich also darauf, die allgemeinen Ziele der Gemeinschaft im Umweltbereich festzulegen, während Art. 175 EG den Rat der Europäischen Union damit betraut, über das Tätigwerden zu beschließen, gegebenenfalls im Verfahren der Mitentscheidung mit dem Europäischen Parlament (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1994, Peralta, C‑379/92, Slg. 1994, I‑3453, Randnrn. 57 und 58).
46. Da sich, wie die niederländische Regierung zu Recht festgestellt hat, Art. 174 EG, der das Verursacherprinzip enthält, auf das Tätigwerden der Gemeinschaft bezieht, kann er als solcher nicht von Einzelnen herangezogen werden, um die Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die in einem zur Umweltpolitik gehörenden Bereich ergangen ist, zu verhindern, sofern keine auf der Grundlage von Art. 175 EG erlassene Gemeinschaftsregelung anwendbar ist, die speziell den betreffenden Fall abdeckt.
47. Für den Fall, dass das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Richtlinie 2004/35 in zeitlicher Hinsicht im Ausgangsverfahren anwendbar ist, ist zu den Vorlagefragen wie folgt Stellung zu nehmen.
Zu dem in der Richtlinie 2004/35 vorgesehenen System der Umwelthaftung
– Beim Gerichtshof abgegebene Erklärungen
48. Die italienische und die griechische Regierung sind der Auffassung, nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/35 werde, wenn es sich um Tätigkeiten handele, die unter ihren Anhang III fielen, vermutet, dass die Betreiber für die festgestellte Verschmutzung verantwortlich seien, ohne dass ihnen eine unerlaubte Handlung nachgewiesen zu werden brauche oder ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihren jeweiligen Tätigkeiten und den der Umwelt zugefügten Schäden bewiesen werden müsse.
49. Die griechische Regierung meint, nur wenn die Tätigkeiten der Betreiber nicht unter Anhang III der Richtlinie 2004/35 fielen, müsse die zuständige Behörde, um ihnen Maßnahmen auferlegen zu können, mit denen sie im Sinne dieser Richtlinie die Haftung für die Umweltschäden übernähmen, gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie den Betreibern nachweisen, dass sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hätten. Die Behörde trage auch keine Beweislast für den Grad der Verwicklung der Betreiber, da nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie der Beweis, dass die Verschmutzung tatsächlich von einem anderen verursacht worden sei, vielmehr dem Betreiber obliege, der nicht wegen der Kosten von Schäden in Anspruch genommen werden wolle, deren Verursachung durch einen Dritten er nachweisen könne. So könne die den betroffenen Unternehmen offenstehende Möglichkeit, gegebenenfalls untereinander auf die nationalen Haftungsvorschriften gestützte Regressansprüche geltend zu machen, pragmatische Lösungen bereitstellen.
50. Die italienische Regierung führt aus, dass sich im Ausgangsverfahren der ursächliche Zusammenhang jedenfalls von selbst ergebe, ohne dass es zu seiner Feststellung einer Untersuchung bedürfe, da sich die betroffenen Unternehmen selbst bezichtigt hätten und es eine offensichtliche Übereinstimmung zwischen den von ihnen erzeugten Stoffen und den gefundenen Schadstoffen gebe. Zudem dürften die Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 strengere Vorschriften erlassen, als sie in dieser Richtlinie vorgesehen seien.
51. Die Kommission trägt vor, dass die Richtlinie 2004/35 keine Anwendung finde, wenn der Betreiber, dessen Tätigkeit die Umweltschäden verursacht habe, nicht zweifelsfrei ermittelt werden könne. Gestützt auf Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie vertritt sie jedoch die Ansicht, dass die Richtlinie nicht der Anwendung einer strengeren Regelung, wie z. B. der im Ausgangsverfahren streitigen, entgegenstehe, soweit es um die Befugnis der Mitgliedstaaten gehe, sowohl zusätzliche Tätigkeiten festzulegen, die den Bestimmungen der Richtlinie unterlägen, als auch weitere zusätzliche verantwortliche Parteien zu bestimmen, da eine solche Regelung jedenfalls darauf abziele, die in der Richtlinie definierten Verpflichtungen zu stärken.
– Antwort des Gerichtshofs
52. Wie es im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/35 heißt, können nicht alle Formen von Umweltschäden durch Haftungsmechanismen behoben werden und muss, damit diese Mechanismen zu Ergebnissen führen, insbesondere ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem oder mehreren identifizierbaren Verursachern und konkreten und messbaren Umweltschäden hergestellt werden können.
53. Wie sich aus Art. 4 Abs. 5 und Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 ergibt, ist die Herstellung eines solchen ursächlichen Zusammenhangs durch die zuständige Behörde zwar unabhängig von der Art der jeweiligen Verschmutzung erforderlich, um Betreibern Sanierungsmaßnahmen auferlegen zu können, doch handelt es sich bei diesem Erfordernis auch um eine Voraussetzung für die Anwendung dieser Richtlinie auf breit gestreute, nicht klar abgegrenzte Verschmutzungen.
54. Ein derartiger ursächlicher Zusammenhang kann leicht hergestellt werden, wenn die zuständige Behörde es mit einer Verschmutzung zu tun hat, die räumlich und zeitlich begrenzt ist und auf eine begrenzte Zahl von Betreibern zurückgeht. Das ist hingegen nicht der Fall, wenn es sich um Phänomene nicht klar abgegrenzter Verschmutzung handelt, weshalb der Unionsgesetzgeber zu der Auffassung gelangt ist, dass Haftungsmechanismen kein geeignetes Instrument sind, um einer solchen Verschmutzung zu begegnen, wenn der betreffende ursächliche Zusammenhang nicht hergestellt werden kann. Folglich gilt die Richtlinie 2004/35 nach ihrem Art. 4 Abs. 5 für diese Art von Verschmutzung nur dann, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und den Tätigkeiten einzelner Betreiber hergestellt werden kann.
55. Insoweit ist festzustellen, dass die Richtlinie 2004/35 nicht festlegt, wie ein solcher ursächlicher Zusammenhang hergestellt werden muss. Ist ein Element, das für die Umsetzung einer auf der Grundlage von Art. 175 EG erlassenen Richtlinie erforderlich ist, nicht im Zusammenhang mit der Richtlinie definiert worden, sind im Rahmen der zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeit im Bereich der Umwelt für eine derartige Definition die Mitgliedstaaten zuständig, die insoweit über einen weiten Ermessensspielraum verfügen, um unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrags nationale Regelungen vorzusehen, die das Verursacherprinzip ausgestalten oder konkretisieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Futura Immobiliare u. a., C‑254/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnrn. 48, 52 und 55).
56. Unter diesem Blickwinkel darf eine Regelung eines Mitgliedstaats die Befugnis für die zuständige Behörde vorsehen, Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden anzuordnen, wenn sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der festgestellten Verschmutzung und den Tätigkeiten des Betreibers oder der Betreiber vermutet, weil die betreffende Verschmutzung in der Nähe der Anlagen dieser Betreiber aufgetreten ist.
57. Da nach dem Verursacherprinzip die Sanierungsverpflichtung den Betreibern nur deshalb obliegt, weil sie zur Entstehung der Verschmutzung oder zur Verschmutzungsgefahr beigetragen haben (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Juni 2008, Commune de Mesquer, C‑188/07, Slg. 2008, I‑4501, Randnr. 77), muss die zuständige Behörde jedoch, um einen solchen ursächlichen Zusammenhang vermuten zu können, über plausible Anhaltspunkte für ihre Vermutung verfügen, wie z. B. die Nähe der Anlage des Betreibers zu der festgestellten Verschmutzung oder die Übereinstimmung zwischen den gefundenen Schadstoffen und den Komponenten, die dieser Betreiber im Rahmen seiner Tätigkeiten verwendet.
58. Verfügt die zuständige Behörde über derartige Anhaltspunkte, kann sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten der Betreiber und der festgestellten, nicht klar abgegrenzten Verschmutzung herstellen. Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/35 fällt ein solcher Fall in den Anwendungsbereich der Richtlinie, es sei denn, die fraglichen Betreiber können diese Vermutung widerlegen.
59. Ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verschmutzung nicht klar abgegrenzt ist und kein ursächlicher Zusammenhang hergestellt werden kann, fällt der betreffende Sachverhalt folglich nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/35, sondern unter den in Randnr. 44 des vorliegenden Urteils definierten Voraussetzungen in den des nationalen Rechts.
60. Soweit das vorlegende Gericht dagegen zu dem Ergebnis gelangt, dass die betreffende Richtlinie auf den bei ihm anhängigen Fall anwendbar ist, gelten die folgenden Erwägungen.
61. Aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/35 ergibt sich, dass die Richtlinie für Schädigungen geschützter Arten und Lebensräume gilt, die durch die Ausübung einer anderen als der in Anhang III der Richtlinie aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht worden sind, sofern nachgewiesen wird, dass der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Diese Bedingung besteht dagegen nicht, wenn durch eine der in dem betreffenden Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten Umweltschäden verursacht worden sind, d. h. im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie Schädigungen geschützter Arten und Lebensräume sowie der Gewässer und des Bodens.
62. Sind, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht zu treffenden Tatsachenfeststellungen, Umweltschäden von Betreibern verursacht worden, die – als solche unter Anhang III der Richtlinie 2004/35 fallende – Tätigkeiten in den Sektoren der Energiewirtschaft oder der chemischen Industrie im Sinne der Nrn. 2.1 und 2.4 des Anhangs I der Richtlinie 96/61 ausüben, so können diesen Betreibern demnach Vermeidungs‑ oder Sanierungsmaßnahmen auferlegt werden, ohne dass ihnen die zuständige Behörde vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln nachweisen müsste.
63. Im Fall beruflicher Tätigkeiten, die von Anhang III der Richtlinie 2004/35 erfasst werden, wird die Umwelthaftung den in diesen Tätigkeitsbereichen tätigen Betreibern nämlich als objektive Haftung zugewiesen.
64. Wie jedoch die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zu Recht ausgeführt haben, ergibt sich aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 in Verbindung mit ihrem 13. Erwägungsgrund, dass die zuständige Behörde, um Sanierungsmaßnahmen anordnen zu können, nach den nationalen Beweislastregeln nachweisen muss, welcher Betreiber die Umweltschäden verursacht hat. Folglich muss die Behörde zu diesem Zweck zuvor nach der Ursache der festgestellten Verschmutzung suchen und kann, wie in Randnr. 53 des vorliegenden Urteils festgestellt, keine Sanierungsmaßnahmen anordnen, ohne zuvor einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den festgestellten Schäden und der Tätigkeit des Betreibers, der ihres Erachtens für die Schäden verantwortlich ist, hergestellt zu haben.
65. Daher sind Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 5 und Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde, wenn sie beschließt, Betreibern, deren Tätigkeiten unter Anhang III der Richtlinie fallen, Sanierungsmaßnahmen aufzuerlegen, den Betreibern, deren Tätigkeiten für die Umweltschäden verantwortlich gemacht werden, weder vorsätzliches noch fahrlässiges Handeln, noch eine Schädigungsabsicht nachzuweisen braucht. Sie muss dagegen zum einen zuvor nach der Ursache der festgestellten Verschmutzung suchen, wobei sie über einen weiten Ermessensspielraum in Bezug auf die Verfahren, die einzusetzenden Mittel und die Dauer einer solchen Untersuchung verfügt. Zum anderen ist sie verpflichtet, nach den nationalen Beweislastregeln einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten der Betreiber, die die Sanierungsmaßnahmen durchführen sollen, und der betreffenden Verschmutzung nachzuweisen.
66. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass die Verschmutzung der Rada di Augusta von der Montedison SpA sowie der Handelsmarine und den Seestreitkräften verursacht worden sei. Folglich dürfe die zuständige Behörde ihnen keine Sanierungsmaßnahmen auferlegen, wie sie im Dekret vom 21. Februar 2008 vorgesehen seien.
67. Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2004/35 die Betreiber über Rechtsbehelfe verfügen, um die auf der Grundlage der Richtlinie beschlossenen Sanierungsmaßnahmen anzufechten und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ihren Tätigkeiten und der festgestellten Verschmutzung zu bestreiten. Zum anderen müssen die fraglichen Betreiber gemäß Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie die Kosten für Sanierungstätigkeiten nicht tragen, wenn sie nachweisen können, dass die Umweltschäden durch einen Dritten verursacht wurden und eingetreten sind, obwohl geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, da das Verursacherprinzip nicht bedeutet, dass die Betreiber verpflichtet sind, Belastungen zu tragen, die mit der Beseitigung einer Verschmutzung verbunden sind, zu der sie nicht beigetragen haben (vgl. entsprechend Urteil vom 29. April 1999, Standley u. a., C‑293/97, Slg. 1999, I‑2603, Randnr. 51).
68. Außerdem sieht Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 wie Art. 176 EG ausdrücklich vor, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, strengere Maßnahmen zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden beizubehalten oder zu erlassen. Ferner heißt es dort, dass diese Maßnahmen u. a. in der Festlegung zusätzlicher Tätigkeiten, die den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen, und der Bestimmung zusätzlicher verantwortlicher Parteien bestehen können.
69. Folglich kann ein Mitgliedstaat insbesondere beschließen, dass die Betreiber anderer Tätigkeiten als der in Anhang III der Richtlinie 2004/35 vorgesehenen einer objektiven Haftung für Umweltschäden unterliegen, d. h. im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie nicht nur für eine Schädigung geschützter Arten und Lebensräume, sondern auch für eine Schädigung der Gewässer und des Bodens.
70. Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen wie folgt zu antworten:
– Sind in einem Fall von Umweltverschmutzung die Voraussetzungen für die Anwendung der Richtlinie 2004/35 in zeitlicher und/oder sachlicher Hinsicht nicht erfüllt, ist ein solcher Fall – unter Beachtung der Regeln des Vertrags und vorbehaltlich anderer Rechtsakte des abgeleiteten Rechts – nach nationalem Recht zu beurteilen.
– Die Richtlinie 2004/35 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es der im Rahmen dieser Richtlinie handelnden zuständigen Behörde erlaubt, auch im Fall nicht klar abgegrenzter Verschmutzungen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten von Betreibern und einer festgestellten Verschmutzung zu vermuten, weil sich deren Anlagen in der Nähe des verschmutzten Gebiets befinden. Nach dem Verursacherprinzip muss die zuständige Behörde jedoch, um einen solchen ursächlichen Zusammenhang vermuten zu können, über plausible Anhaltspunkte für ihre Vermutung verfügen, wie z. B. die Nähe der Anlage des Betreibers zu der festgestellten Verschmutzung oder die Übereinstimmung zwischen den gefundenen Schadstoffen und den Komponenten, die dieser Betreiber im Rahmen seiner Tätigkeiten verwendet.
– Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 5 und Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 sind dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde, wenn sie beschließt, Betreibern, deren Tätigkeiten unter Anhang III der Richtlinie fallen, Maßnahmen zur Beseitigung von Umweltschäden aufzuerlegen, den Betreibern, deren Tätigkeiten für die Umweltschäden verantwortlich gemacht werden, weder vorsätzliches noch fahrlässiges Handeln, noch eine Schädigungsabsicht nachzuweisen braucht. Sie muss dagegen zum einen zuvor nach der Ursache der festgestellten Verschmutzung suchen, wobei sie über einen weiten Ermessensspielraum in Bezug auf die Verfahren, die einzusetzenden Mittel und die Dauer einer solchen Untersuchung verfügt. Zum anderen ist sie verpflichtet, nach den nationalen Beweislastregeln einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten der Betreiber, die die Sanierungsmaßnahmen durchführen sollen, und der betreffenden Verschmutzung nachzuweisen.
Zur vierten Vorlagefrage
71. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Vergaberichtlinien, insbesondere die Richtlinie 2004/18, einer nationalen Regelung entgegenstehen, die der zuständigen Behörde erlaubt, mit der Planung und Durchführung öffentlicher Arbeiten sowie von Maßnahmen zur Sanierung eines verschmutzen Standorts und dessen Rückführung in einen umweltgerechten Zustand unmittelbar ein Unternehmen des Privatrechts zu beauftragen.
72. Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 1992, Meilicke, C‑83/91, Slg. 1992, I‑4871, Randnr. 22, und vom 16. Oktober 2008, Kirtruna und Vigano, C‑313/07, Slg. 2008, I‑7907, Randnr. 25).
73. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das allein eine unmittelbare Kenntnis des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts besitzt und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Sofern die vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof somit grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 19. April 2007, Asemfo, C‑295/05, Slg. 2007, I‑2999, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
74. Verfügt der Gerichtshof dagegen nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind, lehnt er die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts ab (vgl. in diesem Sinne Urteil Commune de Mesquer, Randnr. 30).
75. Was die vorliegende Frage betrifft, ist insoweit festzustellen, dass das vorlegende Gericht weder die öffentlich‑rechtliche Körperschaft, die die Durchführung der in dieser Frage genannten Arbeiten vergeben hat, noch den Wert der betreffenden Arbeiten, noch die Handlung angegeben hat, durch die die Arbeiten an die beiden Unternehmen vergeben worden sind, auf die sich die Frage bezieht.
76. Das Tribunale amministrativo regionale della Sicilia nimmt nämlich ausschließlich auf Arbeiten „mit erheblicher Auswirkung auf die Umwelt und von sehr hohem wirtschaftlichem Wert“ Bezug, mit denen die betreffenden Unternehmen von der zuständigen Behörde betraut worden seien, ohne dass sie dem Wettbewerb mit anderen Unternehmen des Privatrechts ausgesetzt worden wären.
77. Zudem konnte trotz einer schriftlichen Frage des Gerichtshofs an die italienische Regierung und der Abhaltung der mündlichen Verhandlung nicht geklärt werden, unter welchen Bedingungen die fraglichen Arbeiten an die betreffenden Unternehmen vergeben worden sein sollen. Die Invitalia (Agenzia nazionale per l’attrazione degli investimenti e lo sviluppo d’impresa) SpA hat sogar vorgetragen, dass sie nur mit Planungstätigkeiten beauftragt worden sei und dass die zuständige Behörde auf die in der vierten Frage erwähnten Infrastrukturarbeiten verzichtet habe.
78. Unter diesen Umständen hält sich der Gerichtshof nicht für ausreichend unterrichtet über den tatsächlichen Hintergrund der vierten Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts, so dass diese Frage für unzulässig zu erklären ist.
Kosten
79. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Sind in einem Fall von Umweltverschmutzung die Voraussetzungen für die Anwendung der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden in zeitlicher und/oder sachlicher Hinsicht nicht erfüllt, ist ein solcher Fall – unter Beachtung der Regeln des Vertrags und vorbehaltlich anderer Rechtsakte des abgeleiteten Rechts – nach nationalem Recht zu beurteilen.
Die Richtlinie 2004/35 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es der im Rahmen dieser Richtlinie handelnden zuständigen Behörde erlaubt, auch im Fall nicht klar abgegrenzter Verschmutzungen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten von Betreibern und einer festgestellten Verschmutzung zu vermuten, weil sich deren Anlagen in der Nähe des verschmutzten Gebiets befinden. Nach dem Verursacherprinzip muss die zuständige Behörde jedoch, um einen solchen ursächlichen Zusammenhang vermuten zu können, über plausible Anhaltspunkte für ihre Vermutung verfügen, wie z. B. die Nähe der Anlage des Betreibers zu der festgestellten Verschmutzung oder die Übereinstimmung zwischen den gefundenen Schadstoffen und den Komponenten, die dieser Betreiber im Rahmen seiner Tätigkeiten verwendet.
Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 5 und Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 sind dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde, wenn sie beschließt, Betreibern, deren Tätigkeiten unter Anhang III der Richtlinie fallen, Maßnahmen zur Beseitigung von Umweltschäden aufzuerlegen, den Betreibern, deren Tätigkeiten für die Umweltschäden verantwortlich gemacht werden, weder vorsätzliches noch fahrlässiges Handeln, noch eine Schädigungsabsicht nachzuweisen braucht. Sie muss dagegen zum einen zuvor nach der Ursache der festgestellten Verschmutzung suchen, wobei sie über einen weiten Ermessensspielraum in Bezug auf die Verfahren, die einzusetzenden Mittel und die Dauer einer solchen Untersuchung verfügt. Zum anderen ist sie verpflichtet, nach den nationalen Beweislastregeln einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten der Betreiber, die die Sanierungsmaßnahmen durchführen sollen, und der betreffenden Verschmutzung nachzuweisen.