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Leitsätze

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1. Grundrechte – Recht auf Kollektivverhandlungen – Vereinbarkeit mit den vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Richtlinien im Bereich der öffentlichen Aufträge

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 28; Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates; Richtlinie 92/50 des Rates)

2. Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge –Richtlinien 92/50 und 2004/18 – Geltungsbereich

(Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates; Richtlinie 92/50 des Rates)

3. Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge –Richtlinien 92/50 und 2004/18 – Geltungsbereich – Auftragswert

(Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 8; Richtlinie 92/50 des Rates, Art. 7 Abs. 4 und 5)

Leitsätze

1. Der Grundrechtscharakter des Rechts auf Kollektivverhandlungen und die sozialpolitischen Zielsetzungen eines Tarifvertrags zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst als Ganzes gesehen können als solche die kommunalen Arbeitgeber nicht ohne Weiteres der Verpflichtung entheben, die Erfordernisse aus den Richtlinien 92/50 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge und 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge zu beachten, die dem Schutz der Niederlassungsfreiheit und des freien Verkehrs von Dienstleistungen im öffentlichen Auftragswesen dienen.

Klauseln von Tarifverträgen sind nämlich nicht dem Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Freizügigkeit entzogen.

Außerdem kann die Ausübung eines Grundrechts wie des Rechts auf Kollektivverhandlungen bestimmten Beschränkungen unterworfen werden. Insbesondere ist, auch wenn das Recht auf Kollektivverhandlungen in einem Mitgliedstaat verfassungsrechtlichen Schutz genießt, dieses Recht nach Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gleichwohl im Einklang mit dem Unionsrecht auszuüben.

Ferner lässt sich nicht sagen, dass mit der Wahrnehmung der Freiheit der Sozialpartner selbst und des Rechts auf Kollektivverhandlungen zwangsläufig eine Beeinträchtigung der Richtlinien verbunden wäre, die dem Schutz der Niederlassungsfreiheit und des freien Verkehrs von Dienstleistungen im öffentlichen Auftragswesen dienen.

Schließlich berührt im Unterschied zu dem zwischen den Sozialpartnern vereinbarten Ziel, das Rentenniveau der Beschäftigten im kommunalen öffentlichen Dienst zu verbessern, die Bestimmung von Einrichtungen und Unternehmen, an die Dienstleistungsverträge über die betriebliche Altersversorgung vergeben werden sollen, in einem Tarifvertrag das Recht auf Kollektivverhandlungen nicht in seinem Kern.

(vgl. Randnrn. 41-43, 47, 49)

2. Ein Mitgliedstaat hat gegen die Verpflichtungen verstoßen, die sich für ihn bis zum 31. Januar 2006 aus Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge und seit dem 1. Februar 2006 aus Art. 20 in Verbindung mit den Art. 23 bis 55 der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ergaben, soweit Verträge über Dienstleistungen der betrieblichen Altersversorgung von kommunalen Verwaltungen oder Unternehmen, die hinsichtlich der Beschäftigtenzahl die kritische Größe erreicht hatten, jenseits deren der Auftragswert dieser Verträge den für die Anwendung dieser Richtlinien maßgebenden Schwellenwert erreicht oder überschreitet, ohne Ausschreibung auf der Ebene der Europäischen Union direkt an in einem Kollektivvertrag genannte Einrichtungen oder Unternehmen vergeben wurden.

Die Ausübung des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen muss nämlich mit den Erfordernissen aus den durch den AEU-Vertrag geschützten Freiheiten in Einklang gebracht werden und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Im Zuge der Berücksichtigung der jeweiligen Interessen, die in der Verbesserung des Rentenniveaus der betreffenden Arbeitnehmer auf der einen und der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs sowie der Öffnung für den Wettbewerb auf Unionsebene auf der anderen Seite bestehen, ist das rechte Gleichgewicht durch eine tarifvertragliche Bestimmung nicht gewahrt, die darauf hinausläuft, die Anwendung der sich aus den Richtlinien 92/50 und 2004/18 ergebenden Regeln im Bereich der Altersvorsorge der kommunalen Beschäftigten vollständig und für unbestimmte Zeit auszuschließen, obwohl sich die Beachtung der Richtlinien auf dem Gebiet der öffentlichen Dienstleistungsaufträge nicht als unvereinbar mit der Verwirklichung des sozialpolitischen Ziels erweist, das die Vertragsparteien des Tarifvertrags verfolgt haben.

Im Übrigen sind die Voraussetzungen, von denen diese Richtlinien die Einstufung als „öffentliche Aufträge“ abhängig machen, erfüllt, da zum einen die kommunalen Arbeitgeber, auch wenn sie auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung eine tarifvertraglich vorgegebene Auswahlentscheidung umsetzen, gleichwohl öffentliche Auftraggeber sind, und zum anderen für die öffentlichen Auftraggeber an diesen von ihnen geschlossenen Verträgen ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse besteht, so dass es sich um entgeltliche Verträge handelt. Insoweit ist der Umstand, dass die Letztbegünstigten der Versorgungsleistungen die Arbeitnehmer sind, die an dieser Maßnahme teilnehmen, nicht geeignet, den entgeltlichen Charakter eines solchen Vertrags in Frage zu stellen.

(vgl. Randnrn. 44, 52-53, 66, 75, 80, 89, 105 und Tenor)

3. Bei Aufträgen über Dienstleistungen der betrieblichen Altersversorgung für Arbeitnehmer des kommunalen öffentlichen Dienstes durch die Umwandlung von Teilen des Entgelts entspricht der „geschätzte Auftragswert“ im Sinne von Art. 7 Abs. 4 erster Gedankenstrich der Richtlinie 92/50 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge und von Art. 9 Abs. 8 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge dem geschätzten Wert der Versicherungsprämien, also der Beiträge, die aufgrund der Entgeltumwandlung vom Entgelt der teilnehmenden Arbeitnehmer der betreffenden kommunalen Behörde oder des betreffenden kommunalen Betriebs einbehalten werden und die zur Finanzierung der endgültigen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bestimmt sind. Diese Versicherungsprämien stellen nämlich die hauptsächliche Gegenleistung für die Dienstleistungen dar, die der leistende Träger oder das leistende Unternehmen dem kommunalen Arbeitnehmer im Rahmen der Erfüllung dieser Leistungen erbringt. In einem Kontext, in dem eine genaue Angabe des Gesamtwerts dieser Versicherungsprämien zum Zeitpunkt der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags dadurch unmöglich gemacht wird, dass dem einzelnen Beschäftigten die Entscheidung überlassen bleibt, ob er sich an der Entgeltumwandlung beteiligt oder nicht, und in Anbetracht der Laufzeit eines solchen Auftrags, die lang oder sogar von unbestimmter Dauer ist, schreiben sowohl Art. 7 Abs. 5 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 92/50 als auch Art. 9 Abs. 8 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2004/18 vor, den „Vertragswert aus der monatlichen Zahlung multipliziert mit 48“ bzw. „Monatswert … multipliziert mit 48“ zur Grundlage für die Berechnung des geschätzten Werts dieses Auftrags zu machen. Daher ist zunächst die Berechnung auf eine Schätzung des monatlichen Durchschnittsbetrags der Entgeltumwandlung je Beschäftigten multipliziert mit 48 zu stützen, sodann unter Berücksichtigung des sich aus dieser Multiplikation ergebenden Produkts zu ermitteln, wie viele Beschäftigte sich individuell an der Entgeltumwandlung beteiligen mussten, um den für die Anwendung der Vergabevorschriften der Union maßgebenden Schwellenwert zu erreichen, und schließlich auf der Grundlage einer Schätzung der Quote der Beteiligung der Beschäftigten des kommunalen öffentlichen Dienstes an der Entgeltumwandlung die hinsichtlich der Beschäftigtenzahl kritische Größe festzulegen, jenseits deren die kommunalen Arbeitgeber Aufträge vergeben haben, die diesen Schwellenwert erreichten oder überschritten.

(vgl. Randnrn. 86-89)