Rechtssache C-172/08
Pontina Ambiente Srl
gegen
Regione Lazio
(Vorabentscheidungsersuchen der Commissione tributaria provinciale di Roma)
„Umwelt – Richtlinie 1999/31/EG – Art. 10 – Sonderabgabe für die Deponierung fester Abfälle – Abgabenpflicht des Betreibers einer Deponie – Betriebskosten einer Deponie – Richtlinie 2000/35/EG – Verzugszinsen“
Leitsätze des Urteils
1. Umwelt – Abfälle – Abfalldeponien – Richtlinie 1999/31 – Verursacherprinzip
(Richtlinie 1999/31 des Rates, Art. 10)
2. Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr – Rechtsangleichung – Richtlinie 2000/35 – Geltungsbereich
(Richtlinie 2000/35 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 1, 2 Punkt 1 und 3)
1. Art. 10 der Richtlinie 1999/31 über Abfalldeponien in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die zum einen den Betreiber einer Deponie zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet, die ihm von der Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft zu erstatten ist, und die zum anderen im Fall der verspäteten Entrichtung dieser Abgabe finanzielle Sanktionen gegen den Betreiber vorsieht, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung mit Maßnahmen verbunden ist, die gewährleisten, dass die Erstattung der Abgabe tatsächlich und unverzüglich erfolgt und sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Einziehung, insbesondere die Kosten aufgrund der verspäteten Zahlung der von der Gebietskörperschaft dem Betreiber insoweit geschuldeten Beträge einschließlich der finanziellen Sanktionen, die gegebenenfalls gegen den Betreiber festgesetzt werden und auf dieser verspäteten Zahlung beruhen, auf das von der Gebietskörperschaft an den Betreiber zu zahlende Entgelt aufgeschlagen werden. Das nationale Gericht hat zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Würde nämlich der Betreiber mit solchen Kosten belastet, würden ihm Kosten im Zusammenhang mit der Ablagerung von Abfällen auferlegt, die er nicht erzeugt hat, sondern deren Ablagerung er im Rahmen seiner Dienstleistungstätigkeiten nur sicherstellt.
(vgl. Randnrn. 38, 41, Tenor 1)
2. Die Art. 1, 2 Nr. 1 und 3 der Richtlinie 2000/35 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr sind dahin auszulegen, dass die dem Betreiber einer Deponie von einer Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft geschuldeten Beträge, wie z. B. die als Erstattung einer Abgabe geschuldeten Beträge, unter die Richtlinie fallen und die Mitgliedstaaten daher gemäß Art. 3 der Richtlinie sicherstellen müssen, dass dieser Betreiber im Fall einer dieser Gebietskörperschaft anzulastenden verspäteten Zahlung dieser Beträge Verzugszinsen geltend machen kann.
(vgl. Randnr. 48, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
25. Februar 2010(*)
„Umwelt – Richtlinie 1999/31/EG – Art. 10 – Sonderabgabe für die Deponierung fester Abfälle – Abgabenpflicht des Betreibers einer Deponie – Betriebskosten einer Deponie – Richtlinie 2000/35/EG – Verzugszinsen“
In der Rechtssache C‑172/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Commissione tributaria provinciale di Roma (Italien) mit Entscheidung vom 1. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2008, in dem Verfahren
Pontina Ambiente Srl
gegen
Regione Lazio
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin der Achten Kammer C. Toader in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter C .W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Pontina Ambiente Srl, vertreten durch F. Zadotti, ragioniere, und A. Presutti, avvocato,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu und J.‑B. Laignelot als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. September 2009
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 EG, 14 EG, 43 EG und 46 EG, von Art. 10 der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien (ABl. L 182, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 1999/31) sowie der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 200, S. 35).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Pontina Ambiente Srl (im Folgenden: Pontina Ambiente) gegen die Regione Lazio (Region Latium) wegen zweier Abgabenbescheide, mit denen festgestellt wurde, dass Pontina Ambiente die Sonderabgabe für die Deponierung fester Abfälle für das dritte und das vierte Quartal 2004 verspätet entrichtet hatte, und mit denen Sanktionen und Verzugszinsen gegen das Unternehmen festgesetzt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Der 29. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/31 lautet:
„Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass das Entgelt für die Abfallbeseitigung in einer Deponie so festgelegt wird, dass alle Kosten für die Errichtung und den Betrieb der Deponie, soweit wie möglich einschließlich der – vom Betreiber zu stellenden – finanziellen Sicherheitsleistung oder etwas Gleichwertigem, und die geschätzten Kosten für die Stilllegung, einschließlich der Nachsorge, abgedeckt sind.“
4 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 1999/31 sieht vor:
„Im Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie 75/442/EWG [des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in der durch die Entscheidung 96/350/EG der Kommission vom 24. Mai 1996 (ABl. L 135, S. 32) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 75/442)], insbesondere ihrer Artikel 3 und 4, ist es Ziel der vorliegenden Richtlinie, durch die Festlegung strenger betriebsbezogener und technischer Anforderungen in Bezug auf Abfalldeponien und Abfälle Maßnahmen, Verfahren und Leitlinien vorzusehen, mit denen während des gesamten Bestehens der Deponie negative Auswirkungen der Ablagerung von Abfällen auf die Umwelt, insbesondere die Verschmutzung von Oberflächenwasser, Grundwasser, Boden und Luft, und auf die globale Umwelt, einschließlich des Treibhauseffekts, sowie alle damit verbundenen Risiken für die menschliche Gesundheit weitestmöglich vermieden oder vermindert werden.“
5 Art. 2 der Richtlinie 1999/31 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff
…
l) ‚Betreiber‘ die natürliche oder juristische Person, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Deponie gelegen ist, für die Deponie verantwortlich ist; dabei kann es sich von der Vorbereitung bis zur Nachsorgephase um verschiedene Personen handeln;
…
n) ‚Besitzer‘ der Erzeuger von Abfall oder die natürliche oder juristische Person, in deren Besitz sich der Abfall befindet
…“
6 Art. 10 der Richtlinie 1999/31 lautet:
„Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, die gewährleisten, dass alle Kosten für die Errichtung und den Betrieb einer Deponie, soweit wie möglich einschließlich der Kosten der finanziellen Sicherheitsleistung oder etwas Gleichwertigem, gemäß Artikel 8 Buchstabe a) Ziffer iv), sowie die geschätzten Kosten für die Stilllegung und die Nachsorge für einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren durch das vom Betreiber in Rechnung zu stellende Entgelt für die Ablagerung aller Abfallarten in der Deponie abgedeckt werden. Vorbehaltlich der Anforderungen der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt [ABl. L 158, S. 56] sorgen die Mitgliedstaaten für Transparenz bei der Erfassung und der Verwendung aller erforderlichen Informationen zu den Kosten.“
7 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 75/442 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um Folgendes zu fördern:
a) in erster Linie die Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen …“
8 Art. 1 der Richtlinie 2000/35 sieht vor, dass diese auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden ist.
9 Nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2000/35 bezeichnet der Ausdruck „Geschäftsverkehr“ „Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen“.
10 Art. 3 der Richtlinie 2000/35 (Zinsen bei Zahlungsverzug) sieht insbesondere vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass bei Zahlungsverzug Zinsen zu zahlen sind und dass der Gläubiger berechtigt ist, bei Zahlungsverzug Zinsen insoweit geltend zu machen, als er seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt hat und den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist.
Nationales Recht
11 Um die Verringerung der Abfallerzeugung und die Gewinnung von Rohstoffen und Energie aus Abfällen zu fördern, wurde mit Art. 3 Abs. 24 des Gesetzes Nr. 549 vom 28. Dezember 1995 mit Maßnahmen zur Rationalisierung der öffentlichen Finanzen (GURI, Supplemento ordinario Nr. 302 vom 29. Dezember 1995, im Folgenden: Gesetz Nr. 549/95) eine Sonderabgabe für die Deponierung fester Abfälle eingeführt.
12 Nach Art. 3 Abs. 25 des Gesetzes Nr. 549/95 entsteht die Abgabenschuld mit der Deponierung fester Abfälle.
13 Gemäß Art. 3 Abs. 26 des Gesetzes Nr. 549/95 ist Abgabenpflichtiger der Betreiber des die Endlagerung durchführenden Unternehmens, der verpflichtet ist, die Abgabe auf die Körperschaft, die Abfälle anliefert, abzuwälzen.
14 Art. 3 Abs. 27 des Gesetzes Nr. 549/95 sieht vor, dass die Sonderabgabe für die Deponierung fester Abfälle an die Regionen zu entrichten ist.
15 Nach Art. 3 Abs. 28 und 29 des Gesetzes Nr. 549/95 ergibt sich der zu zahlende Betrag aus der Multiplikation des Betrags dieser Abgabe mit der Menge der deponierten Abfälle, ausgedrückt in Kilogramm, und einem Berichtigungskoeffizienten, der das spezifische Gewicht, die Qualität und die Bedingungen der Deponierung der Abfälle berücksichtigt.
16 Art. 3 Abs. 31 des Gesetzes Nr. 549/95 sieht für den Fall der Nichtzahlung, der unzureichenden oder der verspäteten Zahlung dieser Abgabe eine finanzielle Sanktion bis zu 400 % der für den betreffenden Vorgang zu entrichtenden Abgabe vor.
17 Die Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. a des Decreto Legislativo Nr. 231 vom 9. Oktober 2002 zur Umsetzung der Richtlinie 2000/35 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (GURI Nr. 249 vom 23. Oktober 2002, S. 16) übernehmen im Wesentlichen den Wortlaut von Art. 1 und Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
18 Die in Rom ansässige Pontina Ambiente entsorgt Abfälle. Ihre Tätigkeit besteht insbesondere darin, auf einer hierfür vorgesehenen Deponie feste Abfälle aus verschiedenen Gemeinden der Region Latium entgegenzunehmen, zu lagern, zur Herstellung von Recyclingprodukten und zur Komposterzeugung zu behandeln und das Volumen der Abfälle zu verringern.
19 Nach dem Gesetz Nr. 549/95 und dem regionalen Durchführungsgesetz ist Pontina Ambiente verpflichtet, die Sonderabgabe für die Deponierung fester Abfälle vierteljährlich an die Region Latium zu entrichten. Die Abgabe muss spätestens in dem Monat entrichtet werden, der auf das Kalendervierteljahr folgt, in dem die Deponierungsvorgänge stattgefunden haben. Pontina Ambiente muss diese Abgabe auf die Gemeinden, die die Abfälle angeliefert haben, abwälzen.
20 Das Unternehmen entrichtete die Abgabe für das dritte und das vierte Quartal 2004 verspätet. Die zuständigen Behörden der Region Latium erließen deshalb im Oktober 2006 zwei Abgabenbescheide gegen dieses Unternehmen, mit denen sie die in Art. 3 Abs. 31 des Gesetzes Nr. 549/95 vorgesehenen finanziellen Sanktionen verhängten.
21 Am 4. Januar 2007 erhob Pontina Ambiente bei der Commissione tributaria provinciale di Roma Klage auf Aufhebung der von der Region Latium erlassenen Maßnahmen.
22 Pontina Ambiente wandte sich gegen die Vorschriften des Gesetzes Nr. 549/95, soweit sie den Betreiber einer Deponie zum Abgabenpflichtigen bestimmen. Gegen die Sanktionen, die wegen der verspäteten Entrichtung dieser Abgabe an die Region Latium verhängt worden waren, wandte sie ein, dass die betroffenen Gemeinden diese Verzögerung verursacht hätten. Sie rügte, dass die Abgabe vom Betreiber der Deponie nicht erst nach der Bezahlung der erbrachten Dienstleistung durch die betreffenden Gemeinden zu entrichten sei und dass gegen die Gemeinden keine Sanktion vorgesehen sei.
23 Insbesondere machte Pontina Ambiente geltend, dass einige Durchführungsmodalitäten der in Rede stehenden Abgabe, die die Bestimmung des Abgabenpflichtigen und die Regelung von Sanktionen im Fall der verspäteten Entrichtung der Abgabe betreffen, mit dem Unionsrecht, im Einzelnen mit den Art. 12 EG, 14 EG, 43 EG und 46 EG, mit Art. 10 der Richtlinie 1999/31 und mit den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2000/35, unvereinbar seien.
24 Die Commissione tributaria provinciale di Roma ist der Ansicht, dass die Rügen der Pontina Ambiente begründet sein könnten, und hat daher Folgendes beschlossen:
Da Art. 3 Abs. 26 und 31 des Gesetzes Nr. 549/95 in der dargelegten Auslegung durch die Finanzverwaltung und nach seinem unbestreitbaren Wortlaut möglicherweise den Art. 12 EG, 14 EG, 43 EG und 46 EG, Art. 10 der Richtlinie 1999/31 und den Erwägungsgründen 7, 10, 16 und 19 der Richtlinie 2000/35 zuwiderläuft und somit seine Vereinbarkeit mit der Gemeinschaftsrechtsordnung fraglich ist, werden das laufende Verfahren und die Vollstreckung der Abgabenbescheide ausgesetzt und das Problem wird dem Gerichtshof im Rahmen seiner speziellen Zuständigkeiten zur Entscheidung vorgelegt.
Zum Vorabentscheidungsersuchen
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens und zur Formulierung der Fragen
25 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften wirft die Frage der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens auf, da zum einen das vorlegende Gericht keine ausdrückliche Frage formuliert habe und das Ersuchen zum anderen darauf abziele, dass der Gerichtshof sich zur Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht äußere.
26 Im Übrigen machen die italienische Regierung und die Kommission geltend, dass dem Vorlagebeschluss nicht zu entnehmen sei, warum das Vorabentscheidungsersuchen die Art. 12 EG, 14 EG, 43 EG und 46 EG anführe.
27 Der Gerichtshof ist im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zwar nicht befugt, über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Unionsrecht zu entscheiden; er kann jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen (Urteil vom 16. Juli 2009, Futura Immobiliare u. a., C‑254/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Das vorlegende Gericht hat zwar keine ausdrückliche Frage formuliert, doch hält der Gerichtshof dessen Angaben sowohl zu den tatsächlichen als auch zu den rechtlichen Umständen, die den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens kennzeichnen, für ausreichend, um den Gegenstand des Ersuchens zu erfassen und dem Gericht eine Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts an die Hand zu geben, die für die Entscheidung dieses Rechtsstreits zweckdienlich sein kann.
29 Dies gilt für Art. 10 der Richtlinie 1999/31 und für die Richtlinie 2000/35. Dagegen wird in der Vorlageentscheidung nicht erläutert, inwiefern das Vorabentscheidungsersuchen von Bedeutung ist, soweit es um die Art. 12 EG, 14 EG, 43 EG und 46 EG geht. Insbesondere wird nicht angegeben, inwiefern diese Artikel auf den im Ersuchen beschriebenen Sachverhalt anwendbar sein könnten, bei dem es sich, wie die Generalanwältin in den Nrn. 35 bis 38 ihrer Schlussanträge ausführt, um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt in einem einzigen Mitgliedstaat ohne einen grenzüberschreitenden Bezug handelt.
30 Daher ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen, soweit nicht auf die Art. 12 EG, 14 EG, 43 EG und 46 EG Bezug genommen wird, zulässig ist.
31 Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts lässt sich erschließen, dass es bei dem Vorabentscheidungsersuchen um folgende Fragen geht:
1. Ist Art. 10 der Richtlinie 1999/31 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die zum einen den Betreiber einer Deponie zur Entrichtung einer Abgabe für die Deponierung fester Abfälle verpflichtet, die ihm von der Gebietskörperschaft, die die Abfälle anliefert, zu erstatten ist, und die zum anderen finanzielle Sanktionen gegen den Betreiber für den Fall der verspäteten Entrichtung dieser Abgabe vorsieht, ohne jedoch vorzuschreiben, dass die erwähnte Gebietskörperschaft dem Betreiber den Betrag dieser Abgabe binnen einer bestimmten Frist erstattet und im Fall verspäteter Erstattung sämtliche dadurch entstandenen Kosten einschließlich des Betrags der gegen den Betreiber festgesetzten finanziellen Sanktionen trägt?
2. Ist die Richtlinie 2000/35 dahin auszulegen, dass die Beträge, die dem Betreiber einer Deponie von einer Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft geschuldet werden, wie z. B. die als Erstattung einer Abgabe geschuldeten Beträge, unter die Richtlinie fallen und die Mitgliedstaaten daher gemäß Art. 3 der Richtlinie sicherstellen müssen, dass bei Zahlungsverzug Zinsen zu zahlen sind?
Beantwortung der Fragen
Zur ersten Frage
32 Nach Art. 10 der Richtlinie 1999/31 treffen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, die gewährleisten, dass alle Kosten für die Errichtung und den Betrieb einer Deponie durch das vom Betreiber in Rechnung zu stellende Entgelt für die Ablagerung aller Abfallarten in der Deponie abgedeckt werden.
33 Wie die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge ausführt, schreibt Art. 10 der Richtlinie 1999/31 den Mitgliedstaaten keine bestimmte Methode zur Finanzierung der Kosten der Deponien vor. Da es keine auf der Grundlage von Art. 175 EG erlassene Regelung gibt, nach der den Mitgliedstaaten eine konkrete Methode zur Finanzierung dieser Kosten vorgeschrieben wäre, kann die Finanzierung beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts somit nach Wahl des betreffenden Mitgliedstaats sowohl durch eine Abgabe als auch durch eine Gebühr oder in anderer Weise sichergestellt werden (vgl. entsprechend Urteil Futura Immobiliare u. a., Randnr. 48).
34 Infolgedessen hindert Art. 10 der Richtlinie 1999/31 einen Mitgliedstaat nicht daran, eine Abgabe auf deponierte Abfälle einzuführen, die vom Betreiber einer Deponie zu entrichten und auf den Besitzer der Abfälle, der diese angeliefert hat, abzuwälzen ist. Die Vorschrift steht auch Sanktionen nicht entgegen, die gegen einen Betreiber festgesetzt werden, wenn er diese Abgabe verspätet entrichtet hat, da für die Einführung solcher Sanktionen wie auch für die Bestimmung des Abgabenpflichtigen allein die Mitgliedstaaten zuständig sind.
35 Art. 10 der Richtlinie 1999/31 verlangt jedoch, wie dies auch aus dem 29. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das Entgelt für die Abfallbeseitigung in einer Deponie so festgelegt wird, dass alle Kosten für die Errichtung und den Betrieb der Deponie abgedeckt sind.
36 Dieses Erfordernis ist Ausdruck des Verursacherprinzips. Es bedeutet, wie der Gerichtshof bereits im Rahmen der Richtlinie 75/442 und der Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. L 114, S. 9) entschieden hat, dass die Kosten für die Beseitigung der Abfälle von den Abfallbesitzern zu tragen sind (vgl. Urteile vom 7. September 2004, Van de Walle u. a., C‑1/03, Slg. 2004, I‑7613, Randnr. 57, vom 24. Juni 2008, Commune de Mesquer, C‑188/07, Slg. 2008, I‑4501, Randnr. 71, sowie Futura Immobiliare u. a., Randnrn. 44 und 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es entspricht dem Ziel der Richtlinie 1999/31, die nach ihrem Art. 1 Abs. 1 der Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie 75/442, insbesondere ihres Art. 3, dient, der u. a. die Mitgliedstaaten verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Förderung der Vermeidung oder Einschränkung der Abfallbildung zu ergreifen.
37 Somit müssen die wie auch immer gearteten nationalen Vorschriften zur Regelung der Deponien gewährleisten, dass alle Kosten für den Betrieb einer solchen Deponie tatsächlich von den Besitzern getragen werden, die Abfälle zur Ablagerung anliefern.
38 Daher kann ein Mitgliedstaat eine Abgabe auf Abfälle, die vom Betreiber einer Deponie zu entrichten und ihm von den Gebietskörperschaften, die Abfälle angeliefert haben, zu erstatten ist, nur unter der Voraussetzung einführen, dass diese fiskalische Regelung mit Maßnahmen verbunden ist, die gewährleisten, dass die Erstattung der Abgabe tatsächlich und unverzüglich erfolgt, um zu verhindern, dass der Betreiber mit übermäßigen Betriebskosten, bedingt durch die verspäteten Zahlungen dieser Gebietskörperschaften, belastet und damit das Verursacherprinzip verletzt wird. Würde nämlich der Betreiber mit solchen Kosten belastet, würden ihm Kosten im Zusammenhang mit der Ablagerung von Abfällen auferlegt, die er nicht erzeugt hat, sondern deren Ablagerung er im Rahmen seiner Dienstleistungstätigkeiten nur sicherstellt.
39 Ebenso wie eine Abgabe der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art, die nach der angelieferten Abfallmenge berechnet wird, als Betriebskosten im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 1999/31 in das Entgelt einzubeziehen ist, das dem Deponiebetreiber vom Besitzer der angelieferten Abfälle zu zahlen ist, müssen jedenfalls sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Einziehung der vom Besitzer dem Betreiber insoweit geschuldeten Beträge, insbesondere die Kosten aufgrund der verspäteten Zahlung dieser Beträge, zu denen gegebenenfalls auch die zur Vermeidung einer finanziellen Sanktion angefallenen Kosten gehören, auf dieses Entgelt aufgeschlagen werden, um den Anforderungen von Art. 10 der Richtlinie 1999/31 gerecht zu werden.
40 Das Gleiche gilt für die finanziellen Sanktionen, die gegen den Betreiber einer Deponie wegen verspäteter Entrichtung einer solchen Abgabe festgesetzt werden, wenn die Verspätung darauf zurückzuführen ist, dass der Besitzer der Abfälle die wegen dieser Abgabe geschuldeten Beträge verspätet erstattet hat, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
41 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 10 der Richtlinie 1999/31 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen, die zum einen den Betreiber einer Deponie zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet, die ihm von der die Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft zu erstatten ist, und die zum anderen im Fall der verspäteten Entrichtung dieser Abgabe finanzielle Sanktionen gegen den Betreiber vorsieht, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung mit Maßnahmen verbunden ist, die gewährleisten, dass die Erstattung der Abgabe tatsächlich und unverzüglich erfolgt und sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Einziehung, insbesondere die Kosten aufgrund der verspäteten Zahlung der von der Gebietskörperschaft dem Betreiber insoweit geschuldeten Beträge einschließlich der finanziellen Sanktionen, die gegebenenfalls gegen den Betreiber festgesetzt werden und auf dieser verspäteten Zahlung beruhen, auf das von der Gebietskörperschaft an den Betreiber zu zahlende Entgelt aufgeschlagen werden. Das nationale Gericht hat zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Zur zweiten Frage
42 Nach Art. 1 der Richtlinie 2000/35 ist diese auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie umschreibt den „Geschäftsverkehr“ als „Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen“.
43 Diese Bestimmungen wurden durch das Decreto legislativo Nr. 231 vom 9. Oktober 2002 mit ähnlichen Worten in das italienische Recht übernommen.
44 Bezüglich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beziehung zwischen dem Deponiebetreiber und der Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft ergibt sich aus den Angaben in der Vorlageentscheidung, dass der Betreiber der Gebietskörperschaft eine Dienstleistung erbringt, nämlich die Ablagerung der angelieferten Abfälle, für die die Gebietskörperschaft ihm gemäß Art. 3 Abs. 26 des Gesetzes Nr. 549/95 ein Entgelt in Höhe der von ihm entrichteten Sonderabgabe zahlt.
45 Somit besteht entgegen dem Vorbringen der italienischen Regierung die Beziehung zwischen dem Deponiebetreiber und der Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft in Geschäftsvorgängen zwischen einem Unternehmen und einer öffentlich‑rechtlichen Körperschaft, die zu einer Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen, und somit unter den Geschäftsverkehr im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2000/35 fallen.
46 Daher unterliegen Zahlungen, die als Entgelt solcher Geschäftsvorgänge getätigt werden, der Richtlinie 2000/35.
47 Infolgedessen müssen die Mitgliedstaaten in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens sicherstellen, dass gemäß Art. 3 der Richtlinie 2000/35 bei verspäteter Zahlung Verzugszinsen auf die Beträge zu zahlen sind, die die Abfälle anliefernde Gebietskörperschaft dem Deponiebetreiber insoweit schuldet und die gegebenenfalls, wie in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, die vom Betreiber entrichtete und von der Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft zu erstattende Abgabe umfassen.
48 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 1, 2 Nr. 1 und 3 der Richtlinie 2000/35 dahin auszulegen sind, dass die dem Betreiber einer Deponie von einer Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft geschuldeten Beträge, wie z. B. die als Erstattung einer Abgabe geschuldeten Beträge, unter die Richtlinie fallen und die Mitgliedstaaten daher gemäß Art. 3 der Richtlinie sicherstellen müssen, dass dieser Betreiber im Fall einer dieser Gebietskörperschaft anzulastenden verspäteten Zahlung dieser Beträge Verzugszinsen geltend machen kann.
Kosten
49 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 10 der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen, die zum einen den Betreiber einer Deponie zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet, die ihm von der Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft zu erstatten ist, und die zum anderen im Fall der verspäteten Entrichtung dieser Abgabe finanzielle Sanktionen gegen den Betreiber vorsieht, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung mit Maßnahmen verbunden ist, die gewährleisten, dass die Erstattung der Abgabe tatsächlich und unverzüglich erfolgt und sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Einziehung, insbesondere die Kosten aufgrund der verspäteten Zahlung der von der Gebietskörperschaft dem Betreiber insoweit geschuldeten Beträge einschließlich der finanziellen Sanktionen, die gegebenenfalls gegen den Betreiber festgesetzt werden und auf dieser verspäteten Zahlung beruhen, auf das von der Gebietskörperschaft an den Betreiber zu zahlende Entgelt aufgeschlagen werden. Das nationale Gericht hat zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Die Art. 1, 2 Nr. 1 und 3 der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr sind dahin auszulegen, dass die dem Betreiber einer Deponie von einer Abfälle anliefernden Gebietskörperschaft geschuldeten Beträge, wie z. B. die als Erstattung einer Abgabe geschuldeten Beträge, unter die Richtlinie fallen und die Mitgliedstaaten daher gemäß Art. 3 der Richtlinie sicherstellen müssen, dass dieser Betreiber im Fall einer dieser Gebietskörperschaft anzulastenden verspäteten Zahlung dieser Beträge Verzugszinsen geltend machen kann.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Italienisch.