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Gemeinschaftsrecht – Unmittelbare Wirkung – Vorrang – Vorschrift des nationalen Rechts, in der der Grundsatz der Rechtskraft verankert ist

Leitsätze

Das Gemeinschaftsrecht gebietet einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Gemeinschaftsrecht abgestellt werden könnte. Die Modalitäten der Umsetzung des Grundsatzes der Rechtskraft, deren Festlegung nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist, dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).

In diesem Zusammenhang ist eine Auslegung des Grundsatzes der Rechtskraft, wonach in Steuerstreitigkeiten die Entscheidung in einer bestimmten Rechtssache, wenn sie einen auch für andere Rechtssachen grundlegenden Punkt betrifft, hinsichtlich dieses Punktes Bindungswirkung entfaltet, selbst wenn die aus diesem Anlass getroffenen Feststellungen einen anderen Veranlagungszeitraum betreffen, mit dem Grundsatz der Effektivität nicht vereinbar. Eine solche Auslegung verhindert es nicht nur, eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, selbst wenn sie zu einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts führt, nochmals in Frage zu stellen, sondern verhindert es ebenso, anlässlich der gerichtlichen Überprüfung einer anderen Entscheidung der zuständigen Finanzbehörde, die denselben Steuerschuldner oder Steuerpflichtigen, aber ein anderes Steuerjahr betrifft, in einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung enthaltene Feststellungen zu einem gemeinsamen grundlegenden Punkt in Frage zu stellen. Eine solche Auslegung des Grundsatzes der Rechtskraft hätte daher zur Folge, dass in dem Fall, dass eine in Rechtskraft erwachsene gerichtliche Entscheidung auf einer gemeinschaftsrechtswidrigen Auslegung der gemeinschaftlichen Regeln zu missbräuchlichen Praktiken auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer beruht, sich die unrichtige Anwendung dieser Regeln für jeden neuen Veranlagungszeitraum wiederholte, ohne dass diese fehlerhafte Auslegung korrigiert werden könnte. Eine Behinderung der effektiven Anwendung der gemeinschaftlichen Regeln auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer von solcher Reichweite kann nicht durch den Grundsatz der Rechtssicherheit gerechtfertigt werden und muss daher als dem Effektivitätsgrundsatz widersprechend angesehen werden.

Daher steht das Gemeinschaftsrecht bei einer solchen Sachlage der Anwendung einer den Grundsatz der Rechtskraft verankernden Vorschrift des nationalen Rechts in einem die Mehrwertsteuer betreffenden Rechtsstreit, der ein Veranlagungsjahr betrifft, für das noch keine endgültige gerichtliche Entscheidung ergangen ist, entgegen, soweit diese Vorschrift das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht an der Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zu missbräuchlichen Praktiken auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hindert.

(vgl. Randnrn. 23-24, 26, 29-32 und Tenor)