SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PAOLO MENGOZZI
vom 28. Januar 20101(1)
Rechtssache C‑511/08
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V.
gegen
Heinrich Heine GmbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])
„Richtlinie 97/7/EG – Verbraucherschutz – Vertragsabschlüsse im Fernabsatz – Widerrufsrecht – Belastung des Verbrauchers mit den Lieferkosten der Ware“
I – Einleitung
1. Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen, das der Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Beschluss vom 1. Oktober 2008 gestellt hat, begehrt er die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz(2).
2. Dem Ersuchen liegt ein Rechtsstreit zwischen dem Verband Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) und der Handelsgesellschaft Heinrich Heine GmbH (im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens) zugrunde, in dem der Kläger des Ausgangsverfahrens beantragt hat, die Beklagte des Ausgangsverfahrens zu verurteilen, es in Zukunft zu unterlassen, den Verbrauchern im Fall des Widerrufs die Kosten der Zusendung der Ware aufzuerlegen.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsrecht
3. Der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 lautet:
„Der Verbraucher hat in der Praxis keine Möglichkeit, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Daher sollte ein Widerrufsrecht bestehen, sofern in dieser Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt ist. Damit es sich um mehr als ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden. Das Widerrufsrecht berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Rechte des Verbrauchers, insbesondere bei Erhalt von beschädigten Erzeugnissen oder unzulänglichen Dienstleistungen oder Erzeugnissen und Dienstleistungen, die mit der entsprechenden Beschreibung in der Aufforderung nicht übereinstimmen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen.“
4. Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/7 bestimmt unter der Überschrift „Widerrufsrecht“:
„(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
…
(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen.“
5. Art. 14 dieser Richtlinie sieht unter der Unterschrift „Mindestklauseln“ vor:
„Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Durch solche Bestimmungen können sie im Interesse der Allgemeinheit den Vertrieb im Fernabsatz für bestimmte Waren und Dienstleistungen, insbesondere Arzneimittel, in ihrem Hoheitsgebiet unter Beachtung des EG-Vertrags verbieten.“
B – Nationales Recht
6. § 312d des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) sieht unter der Überschrift „Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen“ vor:
„(1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden.
(2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Abs. 2 Satz 1 nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312c Abs. 2, bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tage ihres Eingangs beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor dem Tage des Eingangs der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor dem Tage des Vertragsschlusses.“
7. § 346 mit der Überschrift „Wirkungen des Rücktritts“ lautet:
„(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Fall des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit
1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist,
2. er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet hat,
3. der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist; jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung außer Betracht.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.
(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,
1. wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,
2. soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,
3. wenn im Fall eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben.
…“
8. § 347 Abs. 2 BGB mit der Überschrift „Nutzungen und Verwendungen nach Rücktritt“ sieht vor:
„(2) Gibt der Schuldner den Gegenstand zurück, leistet er Wertersatz oder ist seine Wertersatzpflicht gemäß § 346 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 ausgeschlossen, so sind ihm notwendige Verwendungen zu ersetzen. Andere Aufwendungen sind zu ersetzen, soweit der Gläubiger durch diese bereichert wird.“
9. § 355 BGB („Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen“) bestimmt:
„(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.
(2) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist, die auch Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und einen Hinweis auf den Fristbeginn und die Regelung des Absatzes 1 Satz 2 enthält. Wird die Belehrung nach Vertragsschluss mitgeteilt, beträgt die Frist abweichend von Absatz 1 Satz 2 einen Monat. Ist der Vertrag schriftlich abzuschließen, so beginnt die Frist nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt werden. Ist der Fristbeginn streitig, so trifft die Beweislast den Unternehmer.
(3) Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss. Bei der Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Abweichend von Satz 1 erlischt das Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen ferner nicht, wenn der Unternehmer seine Mitteilungspflichten gemäß 312c Abs. 2 Nr. 1 nicht ordnungsgemäß erfüllt hat.“
10. § 356 BGB mit der Überschrift „Rückgaberecht bei Verbraucherverträgen “ lautet:
„(1) Das Widerrufsrecht nach § 355 kann, soweit dies ausdrücklich durch Gesetz zugelassen ist, beim Vertragsschluss auf Grund eines Verkaufsprospekts im Vertrag durch ein uneingeschränktes Rückgaberecht ersetzt werden. Voraussetzung ist, dass
1. im Verkaufsprospekt eine deutlich gestaltete Belehrung über das Rückgaberecht enthalten ist,
2. der Verbraucher den Verkaufsprospekt in Abwesenheit des Unternehmers eingehend zur Kenntnis nehmen konnte und
3. dem Verbraucher das Rückgaberecht in Textform eingeräumt wird.
…“
11. § 357 BGB mit der Überschrift „Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe“ legt fest:
„(1) Auf das Widerrufs- und das Rückgaberecht finden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. § 286 Abs. 3 gilt für die Verpflichtung zur Erstattung von Zahlungen nach dieser Vorschrift entsprechend; die dort bestimmte Frist beginnt mit der Widerrufs- oder Rückgabeerklärung des Verbrauchers. Dabei beginnt die Frist im Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung des Verbrauchers mit Abgabe dieser Erklärung, im Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung des Unternehmers mit deren Zugang.
…
(3) Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Wertersatz für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung zu leisten, wenn er spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden. Dies gilt nicht, wenn die Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 findet keine Anwendung, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt hat.
(4) Weiter gehende Ansprüche bestehen nicht.“
12. § 448 Abs. 1 BGB mit der Überschrift „Kosten der Übergabe und vergleichbare Kosten“ lautet:
„(1) Der Verkäufer trägt die Kosten der Übergabe der Sache, der Käufer die Kosten der Abnahme und der Versendung der Sache nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort.“
III – Ausgangsverfahren, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof
13. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens ist eine im Versandhandel tätige Gesellschaft. Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehen vor, dass der Verbraucher einen pauschalen Versandkostenanteil von 4,95 Euro trägt, den das Versandunternehmen im Fall eines Widerrufs nicht zu erstatten hat.
14. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist ein nach deutschem Recht ordnungsgemäß gegründeter Verbraucherverband. Er erhob gegen die Beklagte des Ausgangsverfahrens Unterlassungsklage, um ihr untersagen zu lassen, Verbrauchern, die ihr Widerrufsrecht ausüben, die Kosten für die Zusendung der Waren aufzuerlegen.
15. Das Erstgericht gab dem Antrag des Klägers des Ausgangsverfahrens statt.
16. Die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde vom Oberlandsgericht Karlsruhe zurückgewiesen.
17. Auf die hiergegen eingelegte Revision stellte der Bundesgerichtshof fest, dass das deutsche Recht dem Verbraucher nicht ausdrücklich einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Zusendung der bestellten Ware im Fall des Widerrufs gewähre.
18. Lege man jedoch die Richtlinie 97/7 dahin aus, dass die Kosten der Zusendung der Waren Verbrauchern, die ihr Widerrufsrecht ausüben, nicht auferlegt werden könnten, müssten die §§ 312d Abs. 1, 357 Abs. 1 Satz 1 und 346 Abs. 1 BGB richtlinienkonform ausgelegt werden, so dass der Lieferer dem Verbraucher die Kosten für den Versand der Ware zurückerstatten müsse.
19. Zwar vertrete ein Teil der deutschen Lehre eine verbraucherfreundliche Auslegung der Richtlinie 97/7, doch lasse sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit feststellen, ob diese Richtlinie in dieser Weise auszulegen sei.
20. Das vorlegende Gericht führt hierzu mehrere Argumente verschiedener Autoren an, die den gegenteiligen Standpunkt vertreten.
21. Erstens könnte die Formulierung „en raison de l’exercice de son droit de rétractation“ („infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts“) in der französischen Fassung von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7 und in deren Art. 6 Abs. 2 Satz 2, wonach „[d]ie einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, … die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren [sind]“, nahe legen, dass diese Bestimmungen ausschließlich die durch den Widerruf verursachten Kosten beträfen und nicht die Kosten der Zusendung der Ware, die im Zeitpunkt des Widerrufs bereits angefallen seien. Die anderen Sprachfassungen der Richtlinie 97/7 stützten eine solche Auslegung.
22. Zweitens könnte Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 dahin ausgelegt werden, dass er den Lieferer nicht daran hindere, im Fall des Widerrufs Gegenansprüche auf Wertersatz für Leistungen geltend zu machen, die der Verbraucher in Anspruch genommen habe, ihrer Natur nach aber nicht zurückgewähren könne. Die Annahme, dass es sich bei der Lieferung der Ware um eine Leistung des Lieferers handele, für die der Verbraucher diesem den Wertersatz in Höhe der Hinsendekosten schulde, und sich die Rückzahlungsverpflichtung des Lieferers demzufolge um diese Kosten verringere, sei also mit diesem Artikel vereinbar.
23. Drittens sei nicht sicher, dass der im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 zum Ausdruck gebrachte Verbraucherschutzzweck die Erstattung der Kosten der Zusendung gebiete. Bei einem gewöhnlichen Kauf trage nämlich ebenfalls der Verbraucher die Kosten für das Aufsuchen der Geschäftsräume und müsse zudem die dafür erforderliche Zeit aufwenden.
24. Der Bundesgerichtshof hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Kosten der Zusendung der Waren auch dann dem Verbraucher auferlegt werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat?
25. Nach Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs haben der Kläger des Ausgangsverfahrens, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die deutsche, die spanische, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Mit Ausnahme der spanischen, der österreichischen und der portugiesischen Regierung, die in der Sitzung vom 29. Oktober 2009 nicht vertreten waren, haben die Beteiligten dort mündliche Ausführungen gemacht.
IV – Würdigung
26. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei einem Fernabsatzvertrag der Verbraucher die Kosten für die Zusendung der Ware zu tragen hat, wenn er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat.
27. Vorauszuschicken ist, dass sich Fernabsatzverträge durch zwei Merkmale auszeichnen: Das erste entscheidende Merkmal besteht darin, dass die beiden Vertragsparteien – der Lieferer und der Verbraucher – bei der Anbahnung und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Fernabsatzvertrags nicht gleichzeitig körperlich anwesend sind. Das zweite kennzeichnende Merkmal ist, dass Vertragsanbahnung und ‑abschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems des Lieferers erfolgen, der dabei ausschließlich Fernkommunikationstechniken verwendet(3).
28. Hierzu ist anzumerken, dass diese beiden entscheidenden Merkmale bei Vertragsabschluss unbedingt erfüllt sein müssen, damit der Vertrag in den Geltungsbereich der Richtlinie 97/7 fällt(4). Allerdings müssen zur Erfüllung eines solchen Vertrags vor allem im Fall des Versandhandels wie im Ausgangsverfahren zwangsläufig die Waren den Verbrauchern zugesandt werden. Dies ist bei der Beurteilung, wer die Lieferkosten im Fall des Widerrufs zu tragen hat, gegebenenfalls zu berücksichtigen.
29. Um dies beurteilen zu können, ist zu ermitteln, ob die Lieferkosten unter den Begriff der „Kosten“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 fallen. Es ist also herauszufinden, ob dieser Kostenbegriff weit auszulegen ist, wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, die spanische, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission meinen, oder im Gegenteil eng, wie die deutsche Regierung geltend macht. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nur anhand der grammatikalischen und systematischen Auslegung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu suchen, sondern auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks.
30. Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts verlangt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union autonom auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zwecks zu ermitteln ist(5).
31. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat beim Begriff der Kosten in Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/7 nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen. Die Richtlinie enthält aber auch keine ausdrückliche Definition des Begriffs der Kosten oder des Begriffs der Lieferkosten(6).
32. Was den Kontext der in Rede stehenden Bestimmungen angeht, so räumt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie dem Verbraucher ein weitgehendes und unbedingtes Widerrufsrecht ein, indem er vorsieht, dass der Verbraucher den Vertrag „ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung“ widerrufen kann. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 bestätigt, dass die Ausübung des Widerrufsrechts grundsätzlich keine negativen Folgen für den Verbraucher haben darf, da nach dieser Bestimmung die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren sind. Der Ausdruck „die einzigen Kosten“ verlangt eine enge Auslegung und macht diese Ausnahme zur einzigen.
33. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 sieht seinerseits die Pflicht des Lieferers vor, die vom Verbraucher „geleisteten Zahlungen“ „kostenlos“ zu erstatten, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt. Indem er somit den Grundsatz aufstellt, dass alle vom Verbraucher an den Lieferer gezahlten Beträge „vollständig zu erstatten“ sind, ohne dass Letzterer irgendwelche Kosten einbehalten oder dem Verbraucher auferlegen kann, bestätigt er das bereits in Art. 6 Abs. 1 verankerte Prinzip, wonach die Ausübung des Widerrufsrechts grundsätzlich zu keiner Strafzahlung oder finanziellen Belastung für den Verbraucher führen darf.
34. Somit umfasst der in diesem Absatz verwendete Ausdruck „geleistete Zahlungen“ nicht nur den Kaufpreis der Ware oder die Vergütung der erbrachten Dienstleistung, sondern auch die vom Verbraucher an den Lieferer im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Erfüllung des Fernabsatzvertrags gezahlten Beträge einschließlich der Lieferkosten.
35. Zu den Erklärungen der deutschen Regierung, wonach nur der Preis der Ware oder das Entgelt für die Dienstleistung als Gegenleistung des Verbrauchers für die Hauptleistung des Lieferers unter die Formulierung „geleistete Zahlungen“ falle, ist festzustellen, dass dieser Ausdruck in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 sichtlich im Plural verwendet wird(7). Das Argument, der Plural sei deswegen verwendet worden, weil der Preis einer Ware nicht nur auf einmal, sondern auch in mehreren Teilbeträgen gezahlt werden könne, überzeugt nicht, da dabei außer Acht bleibt, dass auch bei mehreren Zahlungen diese dieselbe Rechtsnatur haben und jede von ihnen unter den Begriff des Preises fällt.
36. Auch eine systematische Auslegung der Richtlinie untermauert die weite Bedeutung des Ausdrucks „geleistete Zahlungen“. Die Richtlinie verwendet in mehreren Bestimmungen ausdrücklich den Begriff Preis, u. a. im Zusammenhang mit der Informationspflicht (Art. 4 Abs. 1 Buchst. c), im Rahmen der Ausnahmen vom Widerrufsrecht (Art. 6 Abs. 3 zweiter Gedankenstrich) und hinsichtlich der Auswirkungen, die ein Widerruf des Vertragsabschlusses im Fernabsatz auf den Kreditvertrag hat (Art. 6 Abs. 4 erster und zweiter Gedankenstrich). In Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 greift der Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch nicht auf diesen Begriff zurück, sondern verwendet die mit Sicherheit umfassendere Formulierung „geleistete Zahlungen“.
37. Die Auffassung, dass sich der Ausdruck „geleistete Zahlungen“ einzig und allein auf den Preis der Ware oder der Dienstleistung beziehe und dadurch die anderen durch einen Fernabsatzvertrag bedingten Zahlungen des Verbrauchers an den Lieferer von der Rückerstattungspflicht zwangsläufig ausschließe, lässt sich also durch nichts rechtfertigen.
38. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7 muss im Licht dieser Überlegung und des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 verankerten Grundsatzes der „vollständigen und kostenlosen Erstattung“ betrachtet werden. Dieser zweite Satz sieht die einzige Ausnahme von der Anwendung dieses Grundsatzes vor, da nach dieser Bestimmung die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren die „einzigen Kosten“ sind, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können.
39. Im Übrigen spricht auch die Verwendung der Ausdrücke „kostenlos“ im ersten Satz und „einzige Kosten“ im zweiten Satz für eine weite Auslegung des Kostenbegriffs und folglich für die Auffassung, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen eines Widerrufs hinsichtlich aller mit dem Abschluss und der Erfüllung eines Fernabsatzvertrags verbundenen Kosten regeln wollte.
40. Das Wort „infolge“, das sowohl in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 als auch in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie steht, denen zufolge „[d]ie einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, … die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren“ sind, bringt nach Ansicht der deutschen Regierung zum Ausdruck, dass der erwähnte Art. 6 nur einen Teil der möglichen Kosten regele, namentlich die Kosten, die durch die Ausübung des Widerrufsrechts verursacht worden seien. Somit habe der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht gehabt, alle Vertragskosten zu regeln, sondern nur die Folgekosten des Widerrufs.
41. Dazu ist festzustellen, dass die einzelnen Sprachfassungen dieser beiden Sätze stark voneinander abweichen. Während die deutsche, die englische und die französische Fassung Formulierungen verwenden, die die dem Wort „infolge“(8) innewohnende Vorstellung eines Kausalzusammenhangs zum Ausdruck bringen, ist dies in der spanischen und der italienischen Fassung nicht der Fall, die sich einfach auf den Verbraucher, der sein Widerrufsrechts ausübt(9), beziehen(10).
42. Aufgrund dessen ist der ständigen Rechtsprechung zu folgen, wonach eine Gemeinschaftsbestimmung, falls ihre verschiedenen Sprachfassungen voneinander abweichen, unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung, zu der sie gehört, auszulegen ist(11).
43. Dabei ist vom 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 auszugehen, wonach „die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden [müssen]“(12). Die Tatsache, dass die Formulierung „im Fall der Ausübung“ in denselben Sprachfassungen der Richtlinie 97/7 verwendet wird, die in Art. 6 der Richtlinie das Wort „infolge“ verwenden, ist nicht ohne Bedeutung. Gerade unter Hinweis auf diesen 14. Erwägungsgrund stellte der Gerichtshof im Urteil Messner fest, dass das in Art. 6 der Richtlinie 97/7 niedergelegte Verbot, dem Verbraucher andere Kosten als die der unmittelbaren Rücksendung der Waren aufzuerlegen, gewährleisten soll, dass das Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“(13) ist, da der Verbraucher davon abgehalten werden könnte, von diesem Recht Gebrauch zu machen, wenn es dieses Verbot nicht gäbe(14).
44. Wenn das Ziel von Art. 6 der Richtlinie 97/7 darin besteht, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten, lässt sich die Richtlinie nicht dahin auslegen, dass sie den Mitgliedstaaten erlaubt, eine Regelung vorzusehen, die dem Verbraucher im Fall des Widerrufs die Lieferkosten auferlegt. Die Auferlegung dieser Kosten würde zweifelsohne eine negative finanzielle Folge darstellen, die geeignet wäre, den Verbraucher von der Ausübung des fraglichen Rechts abzuhalten – und das nicht nur beim Kauf von geringwertigen Waren, bei denen die Lieferkosten einen wesentlichen Teil der vom Verbraucher geleisteten Zahlung ausmachen.
45. Überdies soll das Widerrufsrecht, wie der Gerichtshof im oben angeführten Urteil Messner ausgeführt hat, den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren(15).
46. Beim „klassischen“ Kaufvertrag hat der Verbraucher a) die Möglichkeit, den Kaufgegenstand zu prüfen, b) entscheidet sich sofort für oder gegen einen Vertragsabschluss und c) kann im Fall des Vertragsabschlusses frei zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten wählen: Er kann entweder selbst die gekaufte Ware mitnehmen und auf diese Weise die Lieferkosten vermeiden oder ein Unternehmen seiner Wahl mit der Lieferung beauftragen und hierbei die Kosten optimieren. Bei einem Vertragsabschluss im Fernabsatz hingegen entscheidet a) der Lieferer über die Lieferbedingungen und -modalitäten, b) steht der Vertrag unter einem Widerrufsvorbehalt und c) entscheidet der Verbraucher über die Art der Rücksendung der Ware.
47. Was den Vertragsabschluss im Fernabsatz betrifft, so räumt die Richtlinie 97/7 im Interesse einer möglichst ausgeglichenen Kostenverteilung den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, dem Verbraucher die direkten Kosten der Rücksendung aufzuerlegen, d. h. ihn die finanziellen Folgen seiner Wahl tragen zu lassen, denn wenn sich der Verbraucher für eine äußerst kostspielige Rücksendeart entscheidet, die in keinem Verhältnis zum Wert der Ware steht, wäre es unbillig, die Kosten für diese Rücksendung dem Lieferer aufzubürden, da dieser die Entscheidung des Verbrauchers über die Art der Lieferung nicht beeinflussen kann.
48. Dem Lieferer im Fall des Widerrufs die Kosten der Zusendung aufzuerlegen, folgt derselben Linie der fairen Kostenverteilung, da der Lieferer beim Versand der Ware an den Verbraucher frei die Lieferart wählen kann, indem er die Ware entweder selbst befördert oder einen Unterlieferanten oder ein Zustellunternehmen beauftragt.
49. Dass die Lieferkosten vom Lieferer zu tragen sind, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, erklärt sich außerdem aus wirtschaftlichen Gründen. Für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz braucht der Lieferer nämlich im Normalfall kein Ladengeschäft oder keinen Geschäftsraum und spart folglich die damit verbundenen Ausgaben. Auf diese Weise wird die finanzielle Belastung des Lieferers durch die Auferlegung der Lieferkosten im Fall des Widerrufs – der im Übrigen nicht alle Vertragsabschlüsse betrifft – durch die Einsparungen wettgemacht, die er erzielt, weil er keine Ausgaben für die Führung eines Ladengeschäfts hat.
50. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen würde die Ausgewogenheit der Risiko- und Lastenverteilung im Fall eines Fernabsatzvertrags, der vom Verbraucher widerrufen worden ist – was die Richtlinie 97/7 ihm erlaubt –, beeinträchtigt, wenn der Verbraucher über die direkten Kosten der Rücksendung hinaus, die ihm die Mitgliedstaaten auferlegen können, die Kosten für die Zusendung der Ware tragen müsste.
51. Dagegen kann dem Standpunkt der deutschen Regierung nicht gefolgt werden, wonach die Belastung des Lieferers mit den Lieferkosten im Fall des Widerrufs eine vollständige Umgestaltung des Vertragsverhältnisses darstelle, die zu einem inakzeptablen Eingriff in die Beziehung zwischen den Vertragsparteien führe.
52. Dieser Standpunkt ist nicht überzeugend, da er nicht berücksichtigt, dass die Richtlinie 97/7 die Auferlegung der Kosten nur im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher regelt. Dass der Lieferer sich im Fall des Widerrufs gezwungen sieht, die vom Verbraucher gezahlten Kosten der Lieferung zu erstatten, hat nichts mit der Frage zu tun, wer diese Kosten bei Erfüllung des Vertrags zu tragen hat, deren Regelung den Mitgliedstaaten und den Wirtschaftsteilnehmern überlassen bleibt.
53. Ebenso wenig überzeugend ist es, wenn die deutsche Regierung zur Stützung ihrer Auffassung außerdem vorträgt, dass erstens die Richtlinie 97/7 mit der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, dem Verbraucher die Lieferkosten aufzuerlegen, bezwecke, diesen in eine Lage zu versetzen, die derjenigen eines Verbrauchers entspreche, der bei einem Kauf in einem Geschäftslokal oder einem Laden die Kosten für das Aufsuchen des Geschäftslokals tragen müsse, und zweitens die Belastung des Lieferers mit den Lieferkosten im Fall des Widerrufs unbillig sei, wie es auch inakzeptabel wäre, dem Verkäufer die Kosten des Käufers für das Aufsuchen des Ladens aufzuerlegen, wenn er die im Geschäftslokal ausgestellte Ware aufgrund enttäuschter Erwartung letztendlich nicht erwirbt.
54. Diese Auffassung, dass die Lieferkosten den Kosten für das Aufsuchen des Ladengeschäfts entsprächen, ist sowohl aufgrund rechtlicher Erwägungen als auch aufgrund von Überlegungen zu den verschiedenen Funktionen der Kosten zu verwerfen.
55. Während die Kosten für das Aufsuchen des Ladens rechtlich gesehen Ausgaben im Zusammenhang mit der Anbahnung und dem Abschluss des Vertrags sind, fallen die Lieferkosten immer im Stadium der Vertragserfüllung an.
56. Zum anderen will der Verbraucher, der ein Ladengeschäft aufsucht, mit dem Lieferer in Kontakt treten und die Kosten, die für das Aufsuchen des Ladens anfallen, hat der Verbraucher zu tragen. Wegen dieser Eigenheiten entsprechen die Kosten für das Aufsuchen eines Ladengeschäfts von ihrer Funktion her eher den Kosten für den Zugang zu einem Fernkommunikationssystem, z. B. den Kosten für den Zugang zum Internet. Dieser Zugang soll nämlich auch den Kontakt zwischen dem Lieferer und dem Verbraucher herstellen. Die damit verbundenen Kosten sind eindeutig von Letzterem zu tragen.
57. In Bezug auf die rechtlichen Folgen des Widerrufs und insbesondere die Pflicht der gegenseitigen Rückerstattung, die sowohl vom vorlegenden Gericht als auch von der deutschen Regierung angesprochen wurde, ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die mit dem Urteil Schulte(16) begründete Rechtsprechung anzuwenden ist. In diesem Urteil über die Pflicht zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen(17) einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach der Verbraucher im Fall des Widerrufs eines Realkreditvertrags nicht nur die aufgrund dieses Vertrags erhaltenen Beträge zurückzahlen, sondern dem Darlehensgeber auch noch die marktüblichen Zinsen zahlen muss(18).
58. Diese Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall aus drei Gründen nicht auf den Fall der Rückerstattung der Lieferkosten infolge des Widerrufs eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz übertragen werden.
59. Erstens unterscheidet sich der materielle Anwendungsbereich der Richtlinie 85/577 von jenem der Richtlinie 97/7, die in unserem vorliegenden Fall einschlägig ist, da die beiden Richtlinien zwei Vertragstypen betreffen, die sowohl ihrer Natur als auch ihrem Vertragsgegenstand nach, nämlich einerseits Darlehensvertrag und andererseits Vertrag im Fernabsatz, unterschiedlich sind.
60. Zweitens ist der Sachverhalt des vorliegenden Ausgangsverfahrens anders als in der Rechtssache, in der das oben angeführte Urteil Schulte ergangen ist. In jener Rechtssache ging es um die Herausgabe von finanziellen Vorteilen, d. h. der Zinsen, die der Verbraucher aus der Nutzung eines bestimmten Kapitals gezogen hatte, während es in unserer Rechtssache nicht um die Herausgabe eines derartigen vom Verbraucher erlangten Vorteils geht, sondern ganz im Gegenteil um die Rückerstattung seiner Zahlungen an den Lieferer.
61. Drittens verfolgt Art. 6 der Richtlinie 97/7 im Vergleich zum Konzept der bloßen Rückgabeverpflichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 85/577(19) einen anderen Ansatz. Art. 6 bietet dem Verbraucher aufgrund der ungünstigen Lage, in der er sich wegen der Eigenheiten eines Fernabsatzvertrags befindet, einen höheren Schutz, indem er ihm im Fall des Widerrufs das Recht auf vollständige und kostenlose Rückerstattung der an den Lieferer geleisteten Zahlungen einräumt, d. h. ein Recht, das über eine bloße Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands hinausgeht.
62. Die deutsche Regierung bringt schließlich vor, dass durch die Richtlinie 97/7 eine Mindestharmonisierung vorgenommen worden sei, und die Mitgliedstaaten deswegen in bestimmten Bereichen, wie etwa in Bezug auf die Folgen des Widerrufs, die Befugnis zu deren Regelung behalten hätten.
63. Dazu ist festzustellen, dass die Richtlinie 97/7 zwar derzeit nur eine Mindestharmonisierung im Bereich der Vertragsabschlüsse im Fernabsatz vorsieht, in ihrem Art. 14 den Mitgliedstaaten aber nur zur Sicherstellung eines höheren Schutzniveaus für die Verbraucher, die Möglichkeit eröffnet, strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten. Eine nationale Regelung, die dem Käufer im Fall des Widerrufs die Lieferkosten aufbürdet und ihn auf diese Weise um die vollständige Rückzahlung der an den Lieferer geleisteten Zahlungen bringt, kann nicht als eine Bestimmung angesehen werden, die darauf abzielt, ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher als das in dieser Richtlinie vorgesehene sicherzustellen.
64. Überdies mag auch das letzte von der deutschen Regierung vorgebrachte Argument nicht zu überzeugen, dem zufolge der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7, wonach es „Sache der Mitgliedstaaten [sei], weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen“, den Mitgliedstaaten die Regelung der Frage überlasse, wer die Lieferkosten trage. Dagegen spricht, dass Art. 6 der Richtlinie Bestimmungen über die Rückerstattung der mit dem Vertragsabschluss im Fernabsatz verbundenen Kosten enthält und folglich die Regelung, wer die Kosten einschließlich der Lieferkosten trägt, nicht als eine „weitere“ Bedingung oder Einzelheit für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts, die in der Richtlinie nicht geregelt worden ist, angesehen werden kann.
65. Im Licht der vorstehenden Ausführungen sind Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 97/7 meines Erachtens dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei einem Fernabsatzvertrag der Verbraucher die Kosten für die Zusendung der Ware zu tragen hat, wenn er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat.
V – Ergebnis
66. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs wie folgt zu antworten:
Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei einem Fernabsatzvertrag der Verbraucher die Kosten für die Zusendung der Ware zu tragen hat, wenn er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat.
1 – Originalsprache: Französisch.
2 – ABl. L 144, S. 19.
3 – Siehe neunter Erwägungsgrund sowie Art. 2 Nrn. 1 und 4 der Richtlinie 97/7.
4 – Siehe dazu Bernardeau, L., „La directive communautaire 97/7 en matière de contrats à distance“, Cahiers de droit européen, Nrn. 1-2., Brüssel 2000, S. 122 ff.
5 – Vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofs vom 18. Januar 1984, Ekro (327/82, Slg. 1984, S. 107, Randnr. 11), und vom 19. September 2000, Linster (C‑287/98, Slg. 2000, I‑6917, Randnr. 43).
6 – Der Ausdruck „Lieferkosten“ taucht nur in Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 97/7 auf, wonach der Verbraucher das Recht hat, vor Abschluss eines Vertrags im Fernabsatz über diese Kosten informiert zu werden.
7 – Die deutsche Fassung der Richtlinie 97/7 („geleisteten Zahlungen“), die englische („sums paid“), die spanische („sumas abonadas“) und die italienische („somme versate“) verwenden für diesen Ausdruck ebenfalls den Plural.
8 – Die französische Fassung („en raison de“), die englische („because of“) und die deutsche („infolge“) verwenden den gleichen Begriff.
9 – Hervorhebung nur hier.
10 – In der spanischen Fassung verweisen weder Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7 („El único gasto que podría imputarse al consumidor es el coste directo de la devolución de las mercancías al proveedor“) noch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie, dessen Wortlaut leicht von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie abweicht („Únicamente podrá imputarse al consumidor que ejerza el derecho de rescisión el coste directo de la devolución de las mercancías“) auf diesen Kausalzusammenhang, sondern sprechen einfach vom Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübt. Die italienische Fassung enthält in beiden Absätzen denselben Satz („Le uniche spese eventualmente a carico del consumatore dovute all’esercizio del suo diritto di recesso sono le spese dirette di spedizione dei beni al mittente“) ohne einen kausalen Bezug.
11 – Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 27. Oktober 1977, Bouchereau (30/77, Slg. 1977, S. 1999, Randnr. 14).
12 – Insoweit lässt der Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen keine Unterschiede erkennen. Die deutsche Fassung des 14. Erwägungsgrunds („müssen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden“), die englische Fassung („the costs, if any, borne by the consumer when exercising the right of withdrawal must be limited to the direct costs for returning the goods“), die spanische Fassung („los costes en que, en su caso, incurra el consumidor cuando lo ejercite deben limitarse a los costes directos de la devolución de la mercancía“) und die italienische Fassung („che è necessario limitare ai costi diretti di spedizione dei beni al mittente gli oneri - qualora ve ne siano - derivanti al consumatore dall’esercizio del diritto di recesso“) verwenden nicht den Ausdruck „infolge“, sondern alle Fassungen verweisen einfach auf die Ausübung des Widerrufsrechts.
13 – Urteil vom 3. September 2009, Messner (C‑489/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19).
14 – Ebd.
15 – Urteil Messner (in Fn. 13 angeführt, Randnr. 20).
16 – Urteil des Gerichtshofs vom 25. Oktober 2005, Schulte (C‑350/03, Slg. 2005, I‑9215).
17 – ABl. L 372, S. 31.
18 – Urteil Schulte (in Fn. 16 angeführt, Randnr. 93).
19 – Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 85/577 lautet: „Die Anzeige bewirkt, dass der Verbraucher aus allen aus dem widerrufenen Vertrag erwachsenden Verpflichtungen entlassen ist.“