Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

I – Einleitung

1. Das vorliegende Verfahren gibt dem Gerichtshof erneut Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit innerhalb von Unternehmensgruppen in einem bedeutenden Punkt zu präzisieren. Anders als in dem kürzlich entschiedenen Fall ETI(2) geht es hier allerdings nicht um ein Problem der Unternehmensnachfolge, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften haftet.

2. Hintergrund dieses Falls ist ein Kartellverfahren, in dem die Kommission feststellte, dass vier 100%ige Tochtergesellschaften von Akzo Nobel NV durch die Teilnahme an kartellrechtswidrigen Absprachen in der Cholinchloridbranche gegen Art. 81 Abs. 1 EG sowie gegen Art. 53 Abs. 1 des EWR-Abkommens(3) verstoßen hatten. Obwohl die Muttergesellschaft Akzo Nobel NV selbst an dem Kartell nicht teilgenommen hatte, wurde sie neben ihren Tochtergesellschaften gesamtschuldnerisch mit einer Geldbuße belegt. Die diesbezügliche Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 2004(4) (im Folgenden: die streitige Entscheidung) wurde vom Gericht erster Instanz mit Urteil vom 12. Dezember 2007(5) (im Folgenden: das angefochtene Urteil) in vollem Umfang bestätigt.

3. Der Gerichtshof ist nunmehr mit einem Rechtsmittel von Akzo Nobel NV und vier weiteren Gesellschaften der Gruppe Akzo Nobel befasst. Im Kern sind sich die Parteien einig, dass eine Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer Töchter zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn sie auf diese einen bestimmenden Einfluss ausübt. Heftig umstritten ist jedoch, ob eine solche Einflussnahme im Fall einer 100%igen Anteilseignerschaft der Mutter an ihren Töchtern vermutet werden darf oder ob zudem konkrete Anhaltspunkte für eine Einflussnahme der Mutter auf das Geschäftsverhalten ihrer Töchter bestehen müssen; hierzu ist die Rechtsprechung des Gerichts erster Instanz uneinheitlich(6) . Zu klären ist außerdem, worauf genau sich der bestimmende Einfluss der Muttergesellschaft beziehen muss (Bezugsobjekt des bestimmenden Einflusses).

II – Rechtlicher Rahmen

4. Den rechtlichen Rahmen dieses Falls stellen Art. 81 Abs. 1 EG, Art. 53 Abs. 1 des EWR-Abkommens sowie Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(7) dar.

5. Art. 81 Abs. 1 EG lautet auszugsweise wie folgt:

„Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere

a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;

b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;

c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;

…“

6. Art. 53 Abs. 1 des EWR-Abkommens enthält eine dem Art. 81 Abs. 1 EG im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift, die sich allerdings auf den Handel zwischen den Vertragsparteien des EWR-Abkommens und auf dessen räumlichen Anwendungsbereich bezieht.

7. In Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ist Folgendes bestimmt:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a) gegen Artikel 81 oder Artikel 82 des Vertrags verstoßen …

Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen.

…“

III – Hintergrund des Rechtsstreits

A – Sachverhalt und Verwaltungsverfahren

8. Gemäß den Feststellungen der Kommission, auf die sich das Gericht im angefochtenen Urteil bezieht(8), liegt dem vorliegenden Fall folgender Sachverhalt zugrunde:

9. Nachdem im April 1999 ein Antrag eines amerikanischen Unternehmens auf Anwendung der so genannten „Kronzeugen-Mitteilung“ bei der Kommission eingegangen war, leitete diese Ermittlungen in der weltweiten Cholinchloridbranche ein.

10. Bei Cholinchlorid handelt es sich um einen Bestandteil der B-Komplex-Gruppe der wasserlöslichen Vitamine (Vitamin B 4), der überwiegend in der Futtermittelindustrie als Zusatz verwendet wird. Auf dem Cholinchloridmarkt sind neben den Herstellern zum einen die Verarbeiter, die flüssiges Cholinchlorid von den Herstellern beziehen und es entweder für den Hersteller oder auf eigene Rechnung zu Cholinchlorid in Trägerverbindungen verarbeiten, und zum anderen die Vertriebsunternehmen tätig.

11. Auch die Rechtsmittelführerinnen, fünf Gesellschaften der Gruppe Akzo Nobel, sind auf dem Cholinchloridmarkt tätig. Akzo Nobel NV mit Sitz in den Niederlanden ist die Muttergesellschaft der Gruppe Akzo Nobel und hält (als reine Holdinggesellschaft) 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften Akzo Nobel Chemicals International BV und Akzo Nobel Nederland BV. Letztere hält 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft Akzo Nobel Chemicals BV, die wiederum alle Anteile ihrer Tochtergesellschaft Akzo Nobel Functional Chemical BV innehat.

12. Nach Abschluss ihrer Ermittlungen stellte die Kommission in Art. 1 der streitigen Entscheidung fest, dass die Rechtsmittelführerinnen sowohl auf weltweiter als auch auf europäischer Ebene an Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zur Festsetzung von Preisen, zur Aufteilung von Märkten und zur Vorgehensweise gegen Wettbewerber im Cholinchloridsektor im EWR teilgenommen und somit gegen Art. 81 Abs. 1 EG und gegen Art. 53 Abs. 1 des EWR-Abkommens(9) verstoßen hatten.

13. Wegen der festgestellten Zuwiderhandlungen verhängte die Kommission in Art. 2 der streitigen Entscheidung gegenüber Akzo Nobel NV, Akzo Nobel Nederland BV, Akzo Nobel Chemicals International BV, Akzo Nobel Chemicals BV und Akzo Nobel Functional Chemicals BV als Gesamtschuldnerinnen eine Geldbuße in Höhe von 20,99 Millionen Euro.

14. In Art. 3 der streitigen Entscheidung gab die Kommission den Rechtsmittelführerinnen auf, die in Art. 1 genannten Zuwiderhandlungen unverzüglich einzustellen und sich künftig der festgestellten rechtswidrigen Verhaltensweisen sowie aller Maßnahmen mit gleichem Zweck oder gleicher Wirkung zu enthalten.

15. Zur Begründung führte die Kommission aus, ihre Entscheidung müsse aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Tochtergesellschaften auch an die Muttergesellschaft Akzo Nobel NV gerichtet werden, obwohl diese – im Gegensatz zu den genannten Tochtergesellschaften – nicht selbst an dem Kartell teilgenommen habe(10) . Aus demselben Grund legte die Kommission in der gesamten Entscheidung, nicht zuletzt bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße, den Marktanteil bzw. den Umsatz von Akzo Nobel als Gruppe zugrunde(11) .

B – Das gerichtliche Verfahren

16. Gegen die streitige Entscheidung der Kommission erhoben Akzo Nobel NV, Akzo Nobel Nederland BV, Akzo Nobel Chemicals International BV, Akzo Nobel Chemicals BV und Akzo Nobel Functional Chemicals BV gemeinsam Klage zum Gericht erster Instanz und beantragten, jene Entscheidung für nichtig zu erklären sowie der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Demgegenüber beantragte die Kommission, die Klage in Bezug auf Akzo Nobel Nederland, Akzo Nobel Chemicals International und Akzo Nobel Chemicals als unzulässig oder offensichtlich unbegründet abzuweisen, die Klage im Übrigen abzuweisen und die Klägerinnen zur Kostentragung zu verurteilen.

17. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht am 12. Dezember 2007 die angefochtene Entscheidung in vollem Umfang bestätigt. Es hat die Klage abgewiesen und den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens auferlegt.

18. Mit ihrem gemeinsamen Rechtsmittel, bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 3. März 2008, beantragen Akzo Nobel NV, Akzo Nobel Nederland BV, Akzo Nobel Chemicals International BV, Akzo Nobel Chemicals BV und Akzo Nobel Functional Chemicals BV nunmehr,

– das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin der Klagegrund, es sei zu Unrecht eine gesamtschuldnerische Haftung der Akzo Nobel NV festgestellt worden, zurückgewiesen wurde,

– die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin eine Haftung der Akzo Nobel NV festgestellt wird, und

– der Kommission die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz aufzuerlegen, soweit sie den Rechtsmittelgrund betreffen.

19. Die Kommission beantragt ihrerseits,

– das Rechtsmittel zurückzuweisen und

– die Rechtsmittelführer zur Kostentragung zu verurteilen.

20. Vor dem Gerichtshof wurde über das Rechtsmittel schriftlich verhandelt. Keine Partei hat die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

IV – Würdigung

A – Zulässigkeit des Rechtsmittels

21. Die Kommission wendet sich zunächst in zweierlei Hinsicht gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels.

22. Mit ihrem ersten Einwand bestreitet sie die Rechtsmittelberechtigung bzw. das Rechtsschutzinteresse eines Großteils der Rechtsmittelführerinnen. Sie macht geltend, dass mit dem Rechtsmittel lediglich die gesamtschuldnerische Haftung von Akzo Nobel NV angegriffen werde, so dass es Akzo Nobel Nederland BV, Akzo Nobel Chemicals International BV, Akzo Nobel Chemicals BV und Akzo Nobel Functional Chemicals BV am locus standi fehle.

23. Dieser Einwand der Kommission geht fehl. Die Rechtsmittelberechtigung aller Rechtsmittelführer ergibt sich gemäß Art. 56 Abs. 2 Satz 1 der Satzung des Gerichtshofs bereits aus dem Umstand, dass sie vor dem Gericht mit ihren Klageanträgen unterlegen sind(12) .

24. Was sodann das Rechtsschutzinteresse anbelangt, so ist nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass das Rechtsmittel der Partei, die es eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann(13) . Auch dies ist im Hinblick auf Akzo Nobel Nederland BV, Akzo Nobel Chemicals International BV, Akzo Nobel Chemicals BV und Akzo Nobel Functional Chemicals BV zu bejahen: Selbst wenn das Rechtsmittel hier lediglich gegen die gesamtschuldnerische Haftung von Akzo Nobel NV gerichtet ist, kann es doch allen anderen Rechtsmittelführerinnen ebenfalls einen konkreten Vorteil verschaffen.

25. Durch das Urteil des Gerichts wurde nämlich die von der Kommission den Rechtsmittelführerinnen gesamtschuldnerisch auferlegte Geldbuße von 20,99 Millionen Euro bestätigt. Bliebe es dabei, so stünde es der Kommission frei, nach den Grundsätzen der Gesamtschuld von jeder Rechtsmittelführerin die Zahlung des Gesamtbetrags der Geldbuße zu verlangen. Würde im Rechtsmittelverfahren jedoch das Urteil des Gerichts im Hinblick auf die Haftung von Akzo Nobel NV aufgehoben, dürften bei der Festsetzung der Geldbuße nicht mehr der Marktanteil bzw. der Umsatz der gesamten Unternehmensgruppe Akzo Nobel berücksichtigt werden, was zur Folge hätte, dass die gesamtschuldnerische Geldbuße der Tochtergesellschaften weit geringer ausfallen müsste. Dies hätte somit für die anderen Rechtsmittelführerinnen den erheblichen Vorteil, dass die Gesamtsumme, die die Kommission nach den Grundsätzen der Gesamtschuld von jeder einzelnen von ihnen fordern kann, deutlich herabgesetzt werden müsste. Dadurch würde sich zudem das etwaige Risiko eines fehlschlagenden Ausgleichs der Gesamtschuld im Innenverhältnis der Unternehmensgruppe verringern.

26. Mit ihrem zweiten Einwand gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels trägt die Kommission vor, dass Teile des Rechtsmittelgrundes unzulässige neue Angriffsmittel darstellten. So hätten die Rechtsmittelführer vor dem Gericht erster Instanz die Geltung der Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf eine 100%ige Tochtergesellschaft ausübt, als solche nicht bestritten. Zudem hätten die Rechtsmittelführer in erster Instanz nicht vorgetragen, dass ein weites Verständnis vom Bezugsobjekt des bestimmenden Einflusses – wie nunmehr von ihnen behauptet – gegen den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit verstoße.

27. Auch dieser Einwand der Kommission ist zurückzuweisen.

28. Zwar ist es im Rechtsmittelverfahren nach Art. 42 § 2 in Verbindung mit Art. 118 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs unzulässig, neue Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel geltend zu machen. Dem Rechtsmittelführer ist es jedoch gestattet, bezüglich seiner bereits in erster Instanz vorgebrachten Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel neue Argumente vorzubringen, insbesondere als Reaktion auf die im angefochtenen Urteil zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des Gerichts(14) . Maßgeblich ist – entgegen der Ansicht der Kommission – nicht, ob die Rechtsmittelführerinnen überhaupt ein neues Argument vorbringen, sondern, ob das neu eingeführte Argument ein eigenständiges Angriffsmittel oder nur die zulässige Erweiterung eines bereits in den Prozess eingeführten Angriffsmittels darstellt(15) .

29. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Rechtsmittelführerinnen hier tatsächlich erst im Rechtsmittelverfahren die Geltung der Vermutungsregel als solche angegriffen haben, hätten sie damit lediglich ein bereits in erster Instanz vorgebrachtes Angriffsmittel erweitert. Denn schon im ersten Rechtszug haben die Rechtsmittelführerinnen u. a. geltend gemacht, Akzo Nobel NV sei zu Unrecht als Gesamtschuldnerin in Haftung genommen worden, da sie mangels Ausübung eines „bestimmenden Einflusses“ auf das Marktverhalten ihrer Tochtergesellschaften mit diesen keine wirtschaftliche Einheit und somit kein Unternehmen im Sinne des Art. 81 EG bilde. Es stellt lediglich ein weiteres Argument für das von ihnen behauptete Fehlen eines „bestimmenden Einflusses“ von Akzo Nobel NV dar, wenn sie nunmehr im Rechtsmittelverfahren auch die Anwendbarkeit der Vermutungsregel als solche ausdrücklich bestreiten. Denn diese Vermutungsregel dient in Wahrheit allein der praktischen Anwendung und Ausgestaltung des Kriteriums des „bestimmenden Einflusses“, sie ist also mit ihm eng verbunden.

30. All dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich ein Rechtsmittel gemäß Art. 225 EG, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 112 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht darauf beschränken darf, die bereits vor dem Gericht erster Instanz dargelegten Klagegründe und Argumente zu wiederholen, sondern Ausführungen speziell zum behaupteten Rechtsfehler des Gerichts enthalten muss(16) . Da das Gericht sich in seinem angefochtenen Urteil intensiv mit der Vermutungsregel befasst hat(17), waren die Rechtsmittelführerinnen gehalten, sich in ihrem Rechtsmittelschriftsatz ebenfalls mit dieser Vermutungsregel auseinanderzusetzen. In der Vorinstanz war dies hingegen noch nicht zwingend erforderlich gewesen, da sich die Kommission in der streitigen Entscheidung – anders als später das Gericht im angefochtenen Urteil – nicht im Einzelnen mit der Vermutungsregel befasst hatte.

31. Auch der Sinn und Zweck von Art. 118 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs verlangt im vorliegenden Fall keine andere rechtliche Bewertung. Nach ständiger Rechtsprechung soll diese Vorschrift verhindern, dass sich der Gerichtshof mit einem weiter reichenden Rechtsstreit befasst, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte; im Rahmen eines Rechtsmittels sind die Befugnisse des Gerichtshofs daher auf die Beurteilung der rechtlichen Entscheidung über das im ersten Rechtszug erörterte Vorbringen beschränkt(18) . Hier hat sich aber das Gericht bereits umfänglich mit den Voraussetzungen und der Anwendbarkeit der Vermutungsregel in Bezug auf Akzo Nobel NV beschäftigt(19) .

32. Gleichermaßen stellt auch das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, ein weites Verständnis vom Bezugsobjekt des bestimmenden Einflusses verstoße gegen den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit, kein unzulässiges neues Angriffsmittel dar. Denn die Rechtsmittelführer haben bereits vor dem Gericht erster Instanz geltend gemacht, dass der bestimmende Einfluss der Muttergesellschaft nur dann zu berücksichtigen sei, wenn er sich auf bestimmte Aspekte der Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft beziehe(20) . Das Gericht – welches insoweit von einem weiteren Verständnis des Bezugsobjektes ausgeht – hat dieses Vorbringen im angefochtenen Urteil zurückgewiesen. Wenn die Rechtsmittelführer nunmehr die Konsequenzen dieser – ihrer Ansicht nach zu weiten – Auslegung anprangern, gehen sie lediglich auf die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts ein.

33. Ihr Vorbringen stellt somit ein zulässiges neues Argument in Bezug auf ein Angriffsmittel dar, das bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war. Auch insoweit besteht keine Gefahr, dass der Gerichtshof seine Befugnisse im Rechtsmittelverfahren überschreiten könnte, hat sich doch das Gericht bereits umfänglich mit der Frage nach dem Bezugsobjekt des bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auseinandergesetzt(21) .

34. Das Rechtsmittel ist folglich in seiner Gesamtheit zulässig.

B – Begründetheit des Rechtsmittels

35. Die Rechtsmittelführerinnen meinen, die streitige Entscheidung sei zu Unrecht auch an Akzo Nobel NV gerichtet worden, wodurch Letztere als Muttergesellschaft der Gruppe Akzo Nobel zu Unrecht für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften haftbar gemacht werde. Gestützt auf diese Auffassung greifen sie das erstinstanzliche Urteil mit einem einzigen Rechtsmittelgrund an. Sie bringen vor, das Gericht habe den Unternehmensbegriff des Art. 81 EG bzw. des Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 falsch ausgelegt und angewandt, indem es Akzo Nobel NV und deren Tochtergesellschaften als ein Unternehmen angesehen habe.

1. Vorbemerkung

36. Das grundlegende Problem der Zurechnung von Kartellvergehen liegt darin begründet, dass die Adressaten der Wettbewerbsregeln und die Adressaten von Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden nicht notwendigerweise identisch sind(22) .

37. Während sich nämlich die Wettbewerbsregeln an Unternehmen richten und unabhängig von deren Organisation und Rechtsform unmittelbar auf sie Anwendung finden(23), können die Entscheidungen von Wettbewerbsbehörden zur Ahndung von Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln nur an Personen gerichtet sein, nicht zuletzt, weil solche Entscheidungen gegebenenfalls vollstreckt werden müssen(24) . Deshalb stellt sich in jedem Fall, in dem eine Wettbewerbsbehörde ein Kartellvergehen ahndet, die Frage nach der Zurechnung dieses Vergehens an eine konkrete Person(25) .

38. Bei der Wahl der Kriterien für die Zurechnung muss sowohl auf den Sanktionscharakter der verhängten Maßnahmen Bedacht genommen als auch ihrem Sinn und Zweck Rechnung getragen werden.

39. Aus dem Sanktionscharakter der von Wettbewerbsbehörden zur Ahndung von Kartellvergehen verhängten Maßnahmen – insbesondere Geldbußen – folgt, dass es sich um einen dem Strafrecht zumindest verwandten Bereich handelt. Maßgeblich für die Zurechnung von Kartellvergehen ist deshalb der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit (26), der seinerseits im Rechtsstaatsprinzip und im Schuldprinzip verankert ist(27) . Persönliche Verantwortlichkeit bedeutet, dass ein Kartellvergehen grundsätzlich derjenigen natürlichen oder juristischen Person zuzurechnen ist, die das an dem Kartell beteiligte Unternehmen betreibt(28) ; mit anderen Worten haftet der Rechtsträger dieses Unternehmens.

40. Was den Sinn und Zweck der verhängten Maßnahmen anbelangt, so ist zu bedenken, dass diese der effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zum Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG) dienen; deshalb sollen sie die Wirtschaftsteilnehmer von der Begehung von Kartellvergehen abschrecken(29) .

41. Durch die Orientierung an der persönlichen Verantwortlichkeit wird in der Regel zugleich ein Beitrag zur effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln geleistet, hat doch der Betreiber eines Unternehmens auch den maßgeblichen Einfluss auf dessen Marktverhalten; dieses Verhalten soll er unter dem Eindruck der verhängten Sanktionen neu ausrichten, damit das Unternehmen sich künftig wettbewerbskonform verhält. Gleichzeitig hat die Sanktion eine generalpräventive Wirkung, indem sie auch andere Wirtschaftsteilnehmer von der Begehung von Kartellvergehen abschreckt.

42. Angesichts der immer komplexer werdenden Organisationsstruktur von Wirtschaftsakteuren kann es freilich vorkommen, dass ein Unternehmen sich aus mehr als einer Gesellschaft zusammensetzt und dass die für ein Kartellvergehen eigentlich verantwortliche natürliche oder juristische Person nicht – oder nicht allein – diejenige ist, die nach außen als Kartellbeteiligte in Erscheinung tritt. Bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln kommt es indes nicht auf die sich aus der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeit ergebende formale Trennung zwischen Gesellschaften an, sondern vielmehr darauf, ob sich diese Gesellschaften auf dem Markt einheitlich verhalten(30) .

43. Übt etwa in einer Konzernstruktur eine Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften aus, von denen sich einige ihrerseits – zusammen mit Dritten – an einem Kartell beteiligt haben, so entspricht es dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit wie auch dem Ziel der effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln, alle am Kartell beteiligten Gesellschaften des Konzerns zusammen mit der Muttergesellschaft zum Zweck der Ahndung des Kartellvergehens gesamtschuldnerisch in Haftung zu nehmen. Nur so kann auch sichergestellt werden, dass bei der Bemessung der Höhe einer zu verhängenden Geldbuße die reale Wirtschaftskraft des gesamten Unternehmens zutreffend berücksichtigt wird und dass die Vollstreckung der Geldbuße nicht aufgrund etwaiger Vermögensverschiebungen zwischen der Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften in ihrem Erfolg gefährdet wird.

44. In diesem Sinne urteilt auch der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass einer Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft zugerechnet werden kann, und zwar namentlich dann, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt(31) .

45. Im vorliegenden Fall steht eben diese Problematik im Mittelpunkt des Interesses. Es gilt zu klären, ob Akzo Nobel NV als Muttergesellschaft zu Recht für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften in Haftung genommen wurde(32) . Zum einen machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, dass das Gericht von falschen Beweisanforderungen im Hinblick auf den bestimmenden Einfluss von Akzo Nobel NV auf ihre Tochtergesellschaften ausgegangen sei (erster Teil des Rechtsmittelgrundes). Zum anderen habe sich das Gericht im Bezugsobjekt dieses Einflusses insofern geirrt, als es angenommen habe, dass hierfür alle organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen den Unternehmen zu berücksichtigen seien, während richtigerweise nur auf die Geschäftspolitik im engeren Sinne abzustellen sei (zweiter Teil des Rechtsmittelgrundes).

2. Zu den Anforderungen an den Nachweis der bestimmenden Einflussnahme der Muttergesellschaft auf ihre Töchter (erster Teil des Rechtsmittelgrundes)

46. Der erste Teil des Rechtsmittelgrundes ist den Anforderungen an den Nachweis der bestimmenden Einflussnahme der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaften gewidmet. Die Rechtsmittelführerinnen werfen dem Gericht vor, in den Randnrn. 60 bis 62 des angefochtenen Urteils die aus der bisherigen Rechtsprechung folgenden Beweisanforderungen verkannt zu haben.

47. Zunächst besteht zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits Einigkeit, dass die Zurechnung des Kartellvergehens einer Tochterges ellschaft an ihre Muttergesellschaft unter zwei kumulativen Voraussetzungen in Betracht kommt: Zum einen muss die Muttergesellschaft in der Lage sein, bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft zu nehmen, und zum anderen muss sie diesen Einfluss auch tatsächlich ausüben(33) .

48. Damit eine Muttergesellschaft in der Lage ist , bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft zu nehmen, muss mehr als nur eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Tochter von der Mutter bestehen(34) . Im vorliegenden Fall bedarf es jedoch keiner vertieften Erörterung, welche Art der Verbindung zwischen den beiden Gesellschaften zu diesem Zweck erforderlich ist(35) . Denn zweifelohne ist eine Muttergesellschaft jedenfalls dann in der Lage, bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft zu nehmen, wenn sie diese – wie hier Akzo Nobel NV – zu 100 % kontrolliert(36), sei es mittels einer direkten Beteiligung oder vermittelt durch ihre Beteiligungen an anderen Gesellschaften.

49. Heftig umstritten ist hingegen, welche Anforderungen an den Nachweis der tatsächlichen Ausübung des bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft zu stellen sind. Im Gegensatz zur Kommission sind die Rechtsmittelführerinnen der Meinung, eine Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit komme – zumindest im Streitfall – nur dann in Betracht, wenn über die 100%ige Beteiligung hinaus konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tochtergesellschaft tatsächlich von ihrer Muttergesellschaft beeinflusst wurde. Vereinfacht könnte man sagen, dass aus Sicht der Rechtsmittelführerinnen die Anforderungen an den Nachweis der bestimmenden Einflussnahme bei „100 % plus x“ liegen.

50. Diese Auffassung der Rechtsmittelführerinnen überzeugt mich nicht. Wie ich im Folgenden darlegen werde, findet sie keinen Rückhalt in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Vielmehr besteht nach dieser Rechtsprechung die widerlegliche Vermutung , dass eine Muttergesellschaft, die ihre Tochter zu 100 % beherrscht, ihren bestimmenden Einfluss auf sie tatsächlich ausübt (vgl. unten, Abschnitt a). Meines Erachtens besteht im Übrigen auch kein Anlass, von dieser Vermutungsregel abzurücken und die Beweisanforderungen im Sinne der Rechtsmittelführerinnen auf „100 % plus x“ zu verschärfen (vgl. unten, Abschnitt b).

a) Die widerlegliche Vermutung der bestimmenden Einflussnahme bei 100%iger Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft

51. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht eine Vermutung , dass eine Muttergesellschaft ihren bestimmenden Einfluss auf eine 100%ige Tochtergesellschaft auch tatsächlich ausübt.

52. So folgt bereits aus dem Urteil AEG, dass es im Rahmen der Zurechnung wettbewerbswidrigen Verhaltens innerhalb eines Konzerns nicht erforderlich ist, zu prüfen, ob eine Muttergesellschaft von der ihr zustehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Vertriebs- und Preispolitik ihrer 100%igen Töchter entscheidend zu beeinflussen; denn eine 100%ige Tochtergesellschaft verfolgt, so der Gerichtshof, „zwangsläufig eine Politik, die von denselben satzungsmäßigen Organen festgelegt wird“ wie die Politik der Muttergesellschaft(37) .

53. Im Urteil Stora wird diese Rechtsprechung bekräftigt. Danach berechtigt bereits eine 100%ige Kapitalbeteiligung der Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft zu der Annahme, dass die Muttergesellschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausübt(38) .

54. Dass es sich bei dieser Annahme um eine widerlegliche Vermutung handelt, lässt sich ebenfalls dem Urteil Stora entnehmen: Es oblag dort nach Auffassung des Gerichtshofs der Muttergesellschaft (als Rechtsmittelführerin), die Annahme einer bestimmenden Einflussnahme durch hinreichende Gegenbeweise zu entkräften(39) .

55. Die Rechtsmittelführerinnen versuchen dennoch, unter Verweis auf die Randnrn. 28 und 29 des Urteils Stora darzulegen, dass der Gerichtshof dort die Geltung der Vermutungsregel eingeschränkt und die Voraussetzungen einer Verhaltenszurechnung zwischen Tochtergesellschaft und Muttergesellschaft verschärft habe. Die fragliche Passage jenes Urteils lautet wie folgt:

„28 Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin ist das Gericht somit nicht davon ausgegangen, dass sich die Verantwortung der Muttergesellschaft allein aus der 100%igen Kapitalbeteiligung ergebe. Es hat sich auch darauf gestützt, dass die Rechtsmittelführerin nicht bestritten habe, zu einer entscheidenden Beeinflussung der Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft in der Lage gewesen zu sein, ohne Beweise für ihr Vorbringen in Bezug auf deren Eigenständigkeit vorzulegen.

29 Auch die Behauptung, das Gericht habe damit der Rechtsmittelführerin die Beweislast für die Unabhängigkeit des Verhaltens ihrer Tochtergesellschaft auferlegt, trifft nicht zu. Wie die Kommission ausgeführt hat, war das Gericht aufgrund des Vorliegens einer 100%igen Kapitalbeteiligung zu der Annahme berechtigt, dass die Muttergesellschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübte, vor allem nachdem es … festgestellt hatte, dass sich die Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren ‚hinsichtlich der Unternehmen der Stora-Gruppe als alleinige Gesprächspartnerin der Kommission für die betreffende Zuwiderhandlung präsentierte‘. Unter diesen Umständen oblag es der Rechtsmittelführerin, diese Annahme durch hinreichende Beweise zu entkräften.“

56. Entgegen der Ansicht der Rechtsmittelführerinnen lässt sich jener Passage des Urteils Stora keineswegs entnehmen, dass der Gerichtshof von seiner bisherigen Rechtsprechung abgerückt sei und die Anforderungen an eine Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschärft habe.

57. Zwar hat der Gerichtshof dort in der Tat im Rahmen seiner Überprüfung der Feststellungen des Gerichts erster Instanz ausgeführt, das Gericht sei „nicht davon ausgegangen, dass sich die Verantwortung der Muttergesellschaft allein aus der 100%igen Kapitalbeteiligung ergebe“(40) . Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass es der Wettbewerbsbehörde obliege, von sich aus Anhaltspunkte für eine konkrete Einflussnahme der Muttergesellschaft auf ihre 100%ige Tochter zu liefern, um der Muttergesellschaft ein Kartellvergehen der Tochtergesellschaft zurechnen zu können. Vielmehr wird mit jener Formulierung im Urteil Stora lediglich klargestellt, dass es der Muttergesellschaft im Streitfall offen steht, das Vorliegen einer bestimmenden Einflussnahme unter Vorlage von Gegenbeweisen zu bestreiten und so die bei 100%iger Kapitalbeteiligung bestehende Vermutung der Einflussnahme zu erschüttern.

58. Besonders deutlich wird dies bei Lektüre der weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Stora. Darin wird klargestellt, dass das Gericht „aufgrund des Vorliegens einer 100%igen Kapitalbeteiligung zu der Annahme berechtigt [war], dass die Muttergesellschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübte“ und dass es der Rechtsmittelführerin – d. h. der Muttergesellschaft – oblag, „diese Annahme durch hinreichende Beweise zu entkräften“(41) .

59. Der Umstand, dass sich in der Rechtssache Stora die Muttergesellschaft der Stora-Gruppe als alleinige Ansprechpartnerin der Kommission präsentiert hatte, darf nicht als Einschränkung der Vermutungsregel missverstanden werden. Zwar hebt der Gerichtshof, wie schon zuvor das Gericht, diesen Umstand in seinem Urteil hervor(42) . Durch die Verwendung der einleitenden Worte „vor allem“ wird jedoch klargestellt, dass die ausschließliche Repräsentation der Stora-Gruppe im Verwaltungsverfahren durch ihre Muttergesellschaft lediglich als ein zusätzlicher Gesichtspunkt angesehen wurde, der die ohnehin bestehende Vermutung der Ausübung bestimmenden Einflusses nicht etwa einschränkt, sondern sie allenfalls verstärken kann(43) .

60. Keineswegs stellt also der Gerichtshof im Urteil Stora neben der 100%igen Kapitalbeteiligung noch weitere Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Vermutungsregel auf. Dies zeigt auch ein Vergleich mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Mischo in jener Rechtssache, der für die Verhaltenszurechnung an die Muttergesellschaft die 100%ige Beteiligung nicht für ausreichend gehalten und noch „ein zusätzliches Element“ gefordert hatte(44) . Seine Argumentation wurde vom Gerichtshof im Urteil Stora gerade nicht aufgegriffen.

61. Somit hielt sich das Gericht im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, als es seinem angefochtenen Urteil eine widerlegliche Vermutung zugrunde legte, wonach eine Muttergesellschaft, die 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, bestimmenden Einfluss auf deren Verhalten ausübt(45) . Das gegenteilige Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen ist folglich unbegründet.

b) Kein Anlass zur Verschärfung der Anforderungen an die Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft

62. Zu prüfen bleibt, ob der Gerichtshof den vorliegenden Fall zum Anlass nehmen sollte, die Beweisanforderungen im Sinne der Rechtsmittelführerinnen auf „100 % plus x“ zu verschärfen. Diese Diskussion erscheint auch und gerade im Licht der jüngeren Rechtsprechung des Gerichts erster Instanz erforderlich; zu erwähnen sind dabei insbesondere die Urteile DaimlerChrysler(46) und Bolloré(47), auf die sich die Rechtsmittelführerinnen zur Stützung ihrer These berufen haben.

63. Ich nehme vorweg, dass die Urteile DaimlerChrysler und Bolloré des Gerichts erster Instanz – anders als von den Rechtsmittelführerinnen dargestellt – keineswegs in dieselbe Richtung weisen.

64. Was zunächst das Urteil DaimlerChrysler anbelangt, so scheint zwar das Gericht – jedenfalls bei vordergründiger Betrachtung – die 100%ige Beteiligung der Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft nicht ausreichen zu lassen und noch weitere Anhaltspunkte für den Nachweis einer bestimmenden Einflussnahme zu fordern. Es führt nämlich aus, dass „das Halten von 100 % des Kapitals für sich genommen … nicht ausreicht, um eine Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft festzustellen …“(48) Im unmittelbaren Anschluss an diese Aussage stellt das Gericht jedoch klar: „Wird das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft gehalten, so darf die Kommission … durchaus vermuten, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt …“(49) Außerdem betont das Gericht, dass es im Streitfall bei der Muttergesellschaft liege, die Vermutung durch hinreichende Beweise zu widerlegen(50) .

65. Der Umstand, dass die Muttergesellschaft sich im Verwaltungsverfahren als der einzige Ansprechpartner für die Gesellschaften des Konzerns präsentiert hat, wird – wie das einleitende Wort „insbesondere“ kenntlich macht – lediglich als zusätzlicher Gesichtspunkt angesehen, der die ohnehin bestehende Vermutung der Ausübung bestimmenden Einflusses nicht etwa einschränkt, sondern sie allenfalls verstärkt(51) .

66. Damit setzt sich das Gericht im Fall DaimlerChrysler entgegen dem ersten Anschein nicht in Widerspruch zu der vom Gerichtshof in den Rechtssachen AEG und Stora begründeten Rechtsprechung. Vielmehr orientiert sich das Gericht im Urteil DaimlerChrysler – wie übrigens auch in einigen anderen seiner Urteile(52) – eng an den Urteilen AEG und Stora und wendet ausschließlich die vom Gerichtshof anerkannte widerlegliche Vermutung der bestimmenden Einflussnahme an. Dabei nimmt es keinerlei Verschärfung der Beweisanforderungen im Sinne einer Formel „100 % plus x“ vor.

67. Anders verhält es sich hingegen mit dem Urteil Bolloré. Dort führt das Gericht erster Instanz aus: „… [D]ie Tatsache, dass die Muttergesellschaft 100 % des Kapitals der Tochtergesellschaft hält, [ist] zwar ein starkes Indiz dafür, dass sie entscheidenden Einfluss auf das Marktverhalten der Tochtergesellschaft ausüben kann, reicht jedoch für sich genommen nicht aus, um die Muttergesellschaft für das Verhalten der Tochtergesellschaft verantwortlich machen zu können … Ein zusätzliches Element neben dem Beteiligungsgrad bleibt erforderlich, kann aber in Indizien bestehen.“(53)

68. Mit diesen Aussagen im Fall Bolloré verlässt das Gericht erster Instanz den vom Gerichtshof in den Urteilen AEG und Stora abgesteckten Rahmen(54) . Das Gericht orientiert sich vielmehr an den – vom Gerichtshof in diesem Punkt nicht befolgten – Schlussanträgen des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Stora, die es auch ausdrücklich zitiert. Ihnen entstammt letztlich die Forderung nach einem „zusätzlichen Element neben dem Beteiligungsgrad“, das aus Indizien bestehen könne(55) . In seinen weiteren Ausführungen prüft das Gericht im Urteil Bolloré verschiedene Sachverhaltselemente daraufhin, ob sie Indizien für oder gegen einen entscheidenden Einfluss von Bolloré auf ihre Tochtergesellschaft enthalten, und zwar ausgehend sowohl von den Feststellungen der Kommission im Verwaltungsverfahren als auch vom Vorbringen der Parteien im gerichtlichen Verfahren(56) . Damit hat das Gericht im Urteil Bolloré die Anforderungen für den Nachweis bestimmender Einflussnahme der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft im Sinne einer Regel „100 % plus x“ erhöht.

69. Ich meine nicht, dass der Gerichtshof sich die Rechtsauffassung des Gerichts erster Instanz, wie sie im Urteil Bolloré zum Ausdruck kommt, zu eigen machen sollte. Falls das Gericht in jenem Urteil die bisherige Rechtsprechung lediglich fortsetzen wollte, hat es den vom Gerichtshof in den Urteilen AEG und Stora vorgegebenen Rahmen verkannt(57) sowie den Unterschied zwischen dem Bestehen von Kontrolle und ihrer tatsächlichen Ausübung verwischt(58) . Sofern das Gericht hingegen bewusst über den Rahmen der bisherigen Rechtsprechung hinausgehen wollte, ist es dafür jede Begründung schuldig geblieben.

70. Einen überzeugenden Grund, die Beweis anforderungen auf „100 % plus x“ zu verschärfen, sehe ich im Übrigen nicht.

71. Zur wirksamen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts bedarf es klarer Regeln. Eine Vermutungsregel wie die vom Gerichtshof in den Urteilen AEG und Stora anerkannte, die es der Kommission als Wettbewerbsbehörde gestattet, einer Muttergesellschaft die Verantwortlichkeit für die Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften zuzurechnen, schafft Rechtssicherheit und ist in der Praxis einfach zu handhaben.

72. Ganz allgemein sind Vermutungsregeln dem Wettbewerbsrecht keineswegs fremd(59) . Vielmehr geht es mit den Eigenarten der Beweisführung bei Verstößen gegen Wettbewerbsregeln einher, dass es der jeweils beweisbelasteten Behörde oder Privatpartei möglich sein muss, aufgrund von Erfahrungssätzen aus typischen Geschehensabläufen bestimmte Schlussfolgerungen zu ziehen(60) .

73. Hält in einer Unternehmensgruppe die Muttergesellschaft 100 % der Anteile an ihrer Tochtergesellschaft, so ist die Muttergesellschaft – wie bereits erwähnt(61) – in der Lage, bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft auszuüben. Sie verfügt dann nämlich über das alleinige Recht, die Mitglieder der Führungsgremien der Tochtergesellschaft zu bestimmen, und nicht selten kommt es auch zu einer personellen Verflechtung zwischen beiden Gesellschaften. Überdies folgt aus der 100%igen Beteiligung, dass weder bei strategischen Entscheidungen noch im Tagesgeschäft der Tochtergesellschaft die Interessen anderer Anteilseigner eine Rolle spielen können. Es kommt also zu einem völligen Gleichlauf der Interessen zwischen der Muttergesellschaft und ihrer 100%igen Tochtergesellschaft. Unter diesen Umständen liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern in Übereinstimmung mit den Wünschen ihrer Muttergesellschaft handelt(62) .

74. Der Rückgriff auf eine Vermutungsregel wie die hier diskutierte führt nicht zu einer – mit der Unschuldsvermutung(63) unvereinbaren – Umkehr der Beweislast. Vielmehr wird lediglich das Beweismaß (64) festgelegt, dem bei der Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zu genügen ist. Da die 100%ige Beteiligung der Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft prima facie die Schlussfolgerung zulässt, dass bestimmender Einfluss tatsächlich ausgeübt wird, obliegt es der Muttergesellschaft, eben dieser Schlussfolgerung unter Vorlage stichhaltiger Gegenbeweise zu widersprechen; andernfalls genügt diese Schlussfolgerung den Anforderungen an die Beweislast(65) . Es kommt, mit anderen Worten, zu einem Wechselspiel der Darlegungslasten, das der Frage der objektiven Beweislast vorgelagert ist(66) .

75. Die Interessen der Muttergesellschaft werden durch eine Vermutungsregel wie die hier diskutierte nicht beeinträchtigt. Der Muttergesellschaft steht es frei, die auf Erfahrungssätzen beruhende Vermutung der bestimmenden Einflussnahme im konkreten Einzelfall zu widerlegen, indem sie aufzeigt, dass sie Zurückhaltung geübt und auf das Marktverhalten ihrer Tochter nicht eingewirkt hat(67) . Die Tatsachen und Informationen, die hierzu erforderlich sind, stammen ohnehin aus der unternehmensinternen Sphäre von Mutter- und Tochtergesellschaft. Deshalb ist es durchaus gerechtfertigt, Letzteren dafür die Darlegungslast aufzuerlegen.

76. Vor diesem Hintergrund sollte der Gerichtshof daran festhalten, dass bei 100%iger Beteiligung der Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft eine bestimmende Einflussnahme der Muttergesellschaft auf ihre Tochter widerleglich vermutet werden darf.

c) Sonstiges

77. Abschließend wende ich mich zwei Rügen der Rechtsmittelführerinnen zu, die sich mit dem Beweis des Bestehens oder Fehlens von Autonomie einer 100%igen Tochtergesellschaft gegenüber ihrer Muttergesellschaft befassen.

78. Erstens bringen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe die Anforderungen verkannt, die sich aus den Verteidigungsrechten für das Verwaltungsverfahren vor der Kommission ergeben. Danach obliege es der Kommission, für die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft bereits in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte Beweise vorzulegen. Hier habe sich die Kommission jedoch erst in der streitigen Entscheidung mit dieser Frage befasst.

79. Geht man, wie von mir vorgeschlagen, von der Vermutung aus, dass eine Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft ausübt, so ist diese Rüge unbegründet. Die besagte Vermutung entbindet nämlich die Kommission davon, etwaige Beweise für eine fehlende Autonomie der 100%igen Tochtergesellschaft selbst zu erheben sowie die Verfahrensbeteiligten dazu anzuhören.

80. Die Kommission ist in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte lediglich gehalten, eindeutig anzugeben, gegen welche juristische Person Geldbußen festgesetzt werden könnten, und die Mitteilung der Beschwerdepunkte muss auch an eben diese Person gerichtet werden(68) . Soll die Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaft begründet werden, so genügt es grundsätzlich, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Beteiligungsverhältnisse darstellt.

81. Der Muttergesellschaft obliegt es dann, die Vermutung der bestimmenden Einflussnahme durch stichhaltige Gegenbeweise zu widerlegen. Soweit sie solche Gegenbeweise nicht schon im Ermittlungsverfahren vorgetragen hat, hat sie dazu in ihrer schriftlichen Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte sowie in einer etwaigen mündlichen Anhörung Gelegenheit. Sache der Kommission ist es wiederum, diese Gegenbeweise zu würdigen und vor diesem Hintergrund ihre in der Mitteilung der Beschwerdepunkte gezogenen vorläufigen Schlussfolgerungen zu überprüfen(69) .

82. Dass diesen Anforderungen im vorliegenden Fall genügt wurde, steht außer Streit.

83. Zweitens kritisieren die Rechtsmittelführerinnen die Aussage des Gerichts erster Instanz, die Muttergesellschaft könne als Gesamtschuldnerin haftbar gemacht werden, soweit sie nicht nachweise, dass ihre Tochtergesellschaft „im Wesentlichen nicht die von [ihr] ausgegebenen Leitlinien anwendet und demnach auf dem Markt eigenständig auftritt“(70) . Damit verenge das Gericht die Möglichkeit des Gegenbeweises in rechtswidriger Weise allein auf Fälle, in denen die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft Weisungen erteilt habe und diese nicht befolgt worden seien.

84. Auch dieses Vorbringen ist nicht stichhaltig. Es beruht auf einer offensichtlich verfehlten Lesart des angefochtenen Urteils, die einen einzelnen – zugegebenermaßen missverständlichen – Halbsatz der Urteilsbegründung aus seinem Zusammenhang reißt. Bezieht man den Rest der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ein, so ergibt sich mit hinreichender Klarheit, dass das Gericht alle von einer Muttergesellschaft vorgebrachten Gegenbeweise zulassen wollte, „die geeignet sind, die Selbständigkeit ihrer Tochtergesellschaft zu belegen“(71) . Dies umfasst auch Fälle, in denen die Muttergesellschaft ihrer Tochter gar keine Weisungen erteilt hatte.

d) Zwischenergebnis

85. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist der erste Teil des Rechtsmittelgrundes unbegründet.

3. Das Bezugsobjekt des bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft (zweiter Teil des Rechtsmittelgrundes)

86. Mit dem zweiten Teil ihres Rechtsmittelgrundes wenden sich die Rechtsmittelführerinnen gegen die Randnrn. 64 und 65 des angefochtenen Urteils. Dort habe das Gericht verkannt, worauf sich der bestimmende Einfluss der Muttergesellschaft gegenüber ihrer Tochtergesellschaft beziehen müsse, um eine Zurechnung der Verantwortung für die Kartellvergehen der Tochtergesellschaft zu rechtfertigen. Zu Unrecht nehme das Gericht in diesem Zusammenhang auf „alle organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen“ zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft Bezug. Richtigerweise sei nur die Einflussnahme auf die Geschäftspolitik im engeren Sinne , d. h. auf die Bestimmung des Marktverhaltens der Tochtergesellschaft, maßgeblich.

87. Dazu ist anzumerken, dass die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft im Hinblick auf ihr Marktverhalten nur ein möglicher Anknüpfungspunkt ist, auf den die Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit an die Muttergesellschaft gestützt werden kann. Nicht etwa handelt es sich um den einzigen Anknüpfungspunkt, denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Verhaltenszurechnung an die Muttergesellschaft „namentlich“ dann möglich, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Verhalten nicht autonom bestimmt(72) . Bereits dieser Umstand spricht gegen die Ansicht der Rechtsmittelführerinnen, dass es bei der kartellrechtlichen Verhaltenszurechnung allein darauf ankomme, welchen Einfluss die Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft in Bezug auf deren Geschäftspolitik im engeren Sinne hat.

88. Ganz allgemein ist eine Verhaltenszurechnung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft immer dann möglich, wenn beide eine wirtschaftliche Einheit bilden, wenn sie also als ein einziges Unternehmen anzusehen sind; die Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit an die Muttergesellschaft erfolgt, mit anderen Worten, „wegen der Einheit des so gebildeten Konzerns“(73) .

89. Selbst wenn man aber die Autonomie der Tochtergesellschaft im Hinblick auf ihre Geschäftspolitik im engeren Sinne untersucht, muss sich der bestimmende Einfluss der Muttergesellschaft nicht notwendigerweise aus konkreten Weisungen, Leitlinien oder Mitspracherechten im Hinblick auf die Preisgestaltung, die Herstellungs- und Vertriebsaktivitäten oder ähnliche für das Marktverhalten wesentliche Gesichtspunkte ergeben. Derartige Weisungen sind lediglich ein besonders offenkundiges Indiz für das Bestehen von bestimmendem Einfluss der Mutter auf die Geschäftspolitik ihrer Tochter(74) . Ihr Fehlen lässt indes keinen zwingenden Rückschluss auf eine etwaige Autonomie der Tochtergesellschaft zu.

90. Erst recht kann es nicht darauf ankommen, ob die Muttergesellschaft sich in das Tagesgeschäft ihrer Tochtergesellschaft eingemischt hat, ebenso wenig, ob wettbewerbswidrige Aktivitäten der Tochtergesellschaft auf eine Anweisung der Muttergesellschaft zurückgingen oder dieser bekannt waren(75) .

91. Eine Muttergesellschaft kann auch dann bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausüben, wenn sie sich keiner konkreten Mitspracherechte bedient und sich konkreter Weisungen oder Leitlinien zu einzelnen Elementen der Geschäftspolitik enthält. So kann eine einheitliche Geschäftspolitik in einem Konzern auch indirekt aus der Gesamtheit der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen der Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften geschlossen werden(76) . Umgekehrt lässt sich das Fehlen einer solchen einheitlichen Geschäftspolitik zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft auch nur anhand einer Beurteilung der Gesamtheit aller zwischen ihnen bestehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen feststellen(77) .

92. Beispielsweise kann der Einfluss der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaften in Bezug auf Unternehmensstrategie, Betriebspolitik, Betriebspläne, Investitionen, Kapazitäten, Finanzausstattung, Humanressourcen und Rechtsangelegenheiten mittelbar Auswirkungen auf das Marktverhalten der Tochtergesellschaften und der gesamten Unternehmensgruppe haben. Zutreffend weist überdies die Kommission darauf hin, dass selbst die bloße Zugehörigkeit einer Gesellschaft zu einem Konzern Einfluss auf deren Marktverhalten haben kann, etwa auf die Frage, mit wem sich diese Gesellschaft einen aktiven Wettbewerb liefern soll.

93. Entscheidend ist letztlich, ob die Muttergesellschaft aufgrund der Intensität ihres Einflusses das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft in einem Maße steuern kann, dass beide als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen sind.

94. Da es folglich auf die generelle Beziehung von Mutter- und Tochtergesellschaft ankommt, hat das Gericht in Randnr. 65 des angefochtenen Urteils zu Recht die Bedeutung der „organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen“ zwischen ihnen betont, statt sich allein auf die Geschäftspolitik im engeren Sinne zu beschränken.

95. Die Rechtsmittelführerinnen wenden ein, auf diese Weise werde eine verschuldensunabhängige Haftung („strict liability“) der Muttergesellschaft eines Konzerns für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften begründet, was dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit widerspreche.

96. Dieses Argument überzeugt nicht.

97. Dass die Muttergesellschaft eines Konzerns, die bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausübt, für deren Kartellvergehen gesamtschuldnerisch in Haftung genommen werden kann, stellt keineswegs eine Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit(78) dar, sondern ist Ausdruck eben dieses Grundsatzes. Denn die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaften, die unter ihrem bestimmenden Einfluss stehen, sind gemeinsam Rechtsträger eines einheitlichen Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts und für dieses verantwortlich(79) . Verstößt nun dieses Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Wettbewerbsregeln, namentlich gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens, so löst dies die gemeinsame persönliche Verantwortlichkeit aller seiner Rechtsträger in der Konzernstruktur aus, gleichviel, ob es sich um die Muttergesellschaft oder um eine Tochtergesellschaft handelt(80) .

98. Diese Form kartellrechtlicher Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft hat auch nichts mit einer verschuldensunabhängigen Haftung („strict liability“) zu tun. Vielmehr ist die Muttergesellschaft, wie erwähnt, eine der Rechtsträgerinnen des Unternehmens, das schuldhaft den Wettbewerbsverstoß begangen hat. Vereinfacht könnte man sagen: Sie ist (zusammen mit allen unter ihrem bestimmenden Einfluss stehenden Tochtergesellschaften) die juristische Verkörperung des Unternehmens, das schuldhaft gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat.

99. Zwar mag die Muttergesellschaft bei der Begehung der Zuwiderhandlung nicht unmittelbar – etwa durch die Teilnahme ihres eigenen Personals an Treffen der Kartellbeteiligten – nach außen in Erscheinung getreten sein. Ihrer persönlichen (Mit‑)Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung tut dies jedoch keinen Abbruch. Als Muttergesellschaft, die bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausübt, zieht sie die Fäden in der Unternehmensgruppe. Ihre Verantwortung für in dieser Unternehmensgruppe begangene Kartellvergehen kann sie nicht kurzerhand nur auf einzelne Tochtergesellschaften abwälzen.

100. Abschließend sei noch erwähnt, dass die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht auch einen Begründungsmangel vorwerfen. Sie halten es für „vage“ und „unverständlich“, welche Angaben eine Muttergesellschaft dem Gericht vorlegen müsse, um nachweisen zu können, dass keine wirtschaftliche Einheit zwischen ihr und ihren Tochtergesellschaften bestehe(81) .

101. Auch dieser Vorwurf ist unbegründet. Beim Begriff der wirtschaftlichen Einheit handelt es sich um einen geläufigen Rechtsbegriff, der im Zusammenhang mit Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens regelmäßig Verwendung findet. Was die vorzulegenden Beweise anbelangt, so konnte das Gericht naturgemäß keine abschließende Aufzählung vornehmen, weil es nach seinen eigenen Angaben auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt(82) . Aus den sich anschließenden Ausführungen im angefochtenen Urteil wird jedoch unmissverständlich klar, welche Art von Angaben das Gericht im vorliegenden Fall erwartete(83) .

102. In Wahrheit zielt diese letzte Rüge der Rechtsmittelführer denn auch weniger auf einen Begründungsmangel ab, als vielmehr darauf, die Stichhaltigkeit der Ausführungen des Gerichts zu hinterfragen. Dass sie damit keine Aussicht auf Erfolg haben, habe ich bereits ausgeführt.

103. Damit ist auch der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes unbegründet.

C – Zusammenfassung

104. Insgesamt ist somit das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zulässig, aber unbegründet. Folglich ist ihr Rechtsmittel zurückzuweisen.

V – Kosten

105. Nach Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel zurückgewiesen wird. Aus Art. 69 § 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 118 der Verfahrensordnung folgt, dass die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. Gemäß Art. 69 § 2 Satz 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Verteilung der Kosten, wenn der unterliegende Teil aus mehreren Personen besteht.

106. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat und die Rechtsmittelführerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen. Diese haben sie als Gesamtschuldnerinnen zu tragen, da sie das Rechtsmittel gemeinsam eingelegt haben.

VI – Ergebnis

107. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Akzo Nobel NV, Akzo Nobel Nederland BV, Akzo Nobel Chemicals International BV, Akzo Nobel Chemicals BV und Akzo Nobel Functional Chemicals BV tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.

(1) .

(2)  – Urteil vom 11. Dezember 2007, ETI u. a. (C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893).

(3)  – Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 3).

(4)  – Entscheidung 2005/566/EG der Kommission vom 9. Dezember 2004 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP IV/E-2/37.533 – Cholinchlorid), bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2004) 4717, zusammengefasst im ABl. 2005, L 190, S. 22.

(5)  – Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2007, Akzo Nobel u. a./Kommission (T‑112/05, Slg. 2007, II‑5049).

(6)  – Vgl. dazu im Einzelnen Nrn. 63 bis 68 dieser Schlussanträge.

(7)  – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1).

(8)  – Vgl. insbesondere die Randnrn. 1 bis 20 des angefochtenen Urteils.

(9)  – Auf Art. 53 EWR ist die Entscheidung – neben Art. 81 EG – für die Zeit ab dem 1. Januar 1994 gestützt, dem Tag des Inkrafttretens des EWR-Abkommens.

(10)  – Vgl. Erwägungsgründe 168 bis 175 der angefochtenen Entscheidung.

(11)  – Vgl. Erwägungsgründe 12, 42, 44 und 201 bis 203 der angefochtenen Entscheidung.

(12)  – Vgl. auch Urteile vom 20. September 2001, Procter & Gamble/HABM („Baby-dry“, C‑383/99 P, Slg. 2001, I‑6251, Randnr. 18), vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission (C‑362/05 P, Slg. 2007, I‑4333, Randnr. 36), und vom 17. Juli 2008, Campoli/Kommission (C‑71/07 P, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 39).

(13)  – Urteile vom 19. Oktober 1995, Rendo u. a./Kommission (C‑19/93 P, Slg. 1995, I‑3319, Randnr. 13), vom 13. Juli 2000, Parlament/Richard (C‑174/99 P, Slg. 2000, I‑6189, Randnr. 33), und vom 3. April 2003, Parlament/Samper (C‑277/01 P, Slg. 2003, I‑3019, Randnr. 30); vgl. ferner meine Schlussanträge vom 13. Deze mber 2007 in der Rechtssache Bertelsmann und Sony/Impala (C-413/06 P, Slg. 2008, I-0000, Nr. 75).

(14)  – Urteile vom 24. September 2002, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission (C‑74/00 P und C‑75/00 P, Slg. 2002, I‑7869, Randnr. 178), vom 18. Januar 2007, PKK und KNK/Rat (C‑229/05 P, Slg. 2007, I‑439, Randnrn. 64 bis 66), und vom 11. Dezember 2008, Kommission/Département du Loiret (C‑295/07 P, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 99); vgl. auch meine Schlussanträge vom 26. Oktober 2006 in der Rechtssache Alcon/HABM (C‑412/05 P, Slg. 2007, I‑3569, Nrn. 17 und 18).

(15)  – Vgl. dazu die in Fn. 14 angeführte Rechtsprechung; im selben Sinne die zu Art. 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ergangenen Urteile vom 19. Mai 1983, Verros/Parlament (306/81, Slg. 1983, 1755, Randnr. 9), vom 22. November 2001, Niederlande/Rat (C‑301/97, Slg. 2001, I‑8853, Randnrn. 166 und 169), und vom 15. Dezember 2005, Italien/Kommission (C‑66/02, Slg. 2005, I‑10901, Randnrn. 85 und 86).

(16)  – Urteile vom 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission (C‑352/98 P, Slg. 2000, I‑5291, Randnrn. 34 und 35), vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission (C‑487/06 P, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 121), und vom 2. April 2009, Bouygues u. a./Kommission (C‑431/07 P, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 86); vgl. auch Urteil vom 2. April 2009, France Télécom/Kommission (C-202/07 P, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 69).

(17)  – Vgl. die Randnrn. 60 bis 62 des angefochtenen Urteils.

(18)  – Urteile vom 1. Juni 1994, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a. (C‑136/92 P, Slg. 1994, I‑1981, Randnrn. 57 bis 59), vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission (C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 165), vom 21. September 2006, JCB Service/Kommission (C‑167/04 P, Slg. 2006, I‑8935, Randnr. 114), PKK und KNK/Rat (zitiert in Fn. 14, Randnrn. 61 und 66), sowie France Télécom/Kommission (zitiert in Fn. 16, Randnr. 60).

(19)  – Vgl. nochmals die Randnrn. 60 bis 62 des angefochtenen Urteils.

(20)  – Vgl. Randnr. 63 des angefochtenen Urteils, wo dieses Vorbringen gar als „zentrales Argument“ der Klägerinnen bezeichnet wird.

(21)  – Vgl. die Randnrn. 63 bis 65 des angefochtenen Urteils.

(22)  – Vgl. dazu und zum Folgenden auch meine Schlussanträge vom 3. Juli 2007 in der Rechtssache ETI u. a. (C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Nrn. 68 bis 72).

(23)  – Urteil ETI u. a. (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 38 und 43).

(24)  – Gemäß Art. 256 Abs. 1 EG sind die Entscheidungen der Kommission, die eine Zahlung auferlegen, vollstreckbare Titel. Während in der deutschen Sprachfassung des Vertrags ein klarstellender Hinweis fehlt, lässt sich aus einer Reihe anderer Sprachfassungen folgern, dass es sich um die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen handeln muss, welche gegenüber natürlichen oder juristischen Personen ergangen sind; vgl. etwa die französische („personnes“), italienische („persone“), englische („persons“), portugiesische („pessoas“) und spanische („personas“) sowie – besonders deutlich – die niederländische Version („natuurlijke of rechtspersonen“).

(25)  – Besonders deutlich sind diesbezüglich die Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Enichem Anic/Kommission (T-6/89, Slg. 1991, II-1623, Randnr. 236), und vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission („PVC II“, T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999, II‑931, Randnr. 978); im selben Sinne Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 60).

(26)  – Urteile vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni (C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnrn. 78 und 145), und ETI u. a. (zitiert in Fn. 2, Randnr. 39). Auch in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten stellt der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit in der Regel den Ausgangspunkt für die Zurechnung von Kartellvergehen dar.

(27)  – Vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 11. Februar 2003 in der Rechtssache Aalborg Portland/Kommission (zitiert in Fn. 25, insbesondere Nrn. 63 bis 65). Das Schuldprinzip kommt auch beispielsweise in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zum Ausdruck, wonach mit einer Geldbuße vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln geahndet wird.

(28)  – In diesem Sinne die Urteile vom 16. November 2000, KNP BT/Kommission (C-248/98 P, Slg. 2000, I-9641, Randnr. 71), Cascades/Kommission (C-279/98 P, Slg. 2000, I-9693, Randnr. 78), Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission („Stora“, C-286/98 P, Slg. 2000, I-9925, Randnr. 37) und SCA Holding/Kommission (C-297/98 P, Slg. 2000, I-10101, Randnr. 27); vgl. außerdem das Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, SCA Holding/Kommission (T-327/94, Slg. 1998, II‑1373, Randnr. 63).

(29)  – Vgl. dazu bereits das Urteil vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission (41/69, Slg. 1970, 661, Randnr. 173), wonach der Zweck der Sanktionen für Kartellvergehen „ebenso sehr darin [besteht], unerlaubte Handlungsweisen zu ahnden, wie darin, ihrer Wiederholung vorzubeugen“; vgl. auch Urteile vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission (C-76/06 P, Slg. 2007, I-4405, Randnr. 22), und ETI u. a. (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 40 und 41). Hinsichtlich des Ziels der Vorbeugung künftiger Zuwiderhandlungen durch Abschreckung vgl. außerdem die Urteile vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission (C-289/04 P, Slg. 2006, I-5859, Randnr. 61) und SGL Carbon/Kommission (C-308/04 P, Slg. 2006, I-5977, Randnr. 37).

(30)  – In diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio (C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 41).

(31)  – Vgl. dazu grundlegend die Urteile vom 14. Juli 1972, Imperial Chemical Industries/Kommission („ICI“, 48/69, Slg. 1972, 619, Randnrn. 132 bis 135) und Geigy/Kommission („Geigy“, 52/69, Slg. 1972, 787, Randnr. 44), sowie das Urteil vom 21. Februar 1973, Europemballage und Continental Can/Kommission („Continental Can“, 6/72, Slg. 1973, 215, Randnr. 15); ähnlich die Urteile vom 16. November 2000, Metsä-Serla u. a./Kommission (C‑294/98 P, Slg. 2000, I‑10065, Randnr. 27), vom 2. Oktober 2003, Aristrain/Kommission (C‑196/99 P, Slg. 2003, I‑11005, Randnr. 96), vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 18, Randnr. 117), und ETI u. a. (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 39 in Verbindung mit 49).

(32)  – Das verwandte Problem der Zurechnung eines Kartellvergehens an den Marktnachfolger des Kartellbeteiligten (vgl. dazu z. B. Urteil ETI u. a., zitiert in Fn. 2) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Falls und wird dementsprechend im Folgenden nicht abgehandelt. Ebenso wenig betrifft dieser Fall die Frage, ob und unter welchen Umständen der Marktnachfolger für Schulden einzustehen hat, die sich aus Geldbußen ergeben, die noch gegenüber seinem Vorgänger verhängt wurden.

(33)  – Vgl. in diesem Sinne die Urteile ICI (zitiert in Fn. 31, Randnr. 137) und vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission („AEG“, 107/82, Slg. 1983, 3151, Randnr. 50 erster Satz).

(34)  – In diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 1979, BMW Belgium u. a./Kommission (32/78 und 36/78 bis 82/78, Slg. 1979, 2435, Randnr. 24 zweiter Satz).

(35)  – Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass bestimmender Einfluss bzw. Kontrolle im Sinne des Wettbewerbsrechts schon bei einer geringeren Beteiligung als 100 % angenommen werden kann (vgl. etwa Urteil ICI, zitiert in Fn. 31, Randnrn. 136 und 137).

(36)  – Allein im Recht der öffentlichen Aufträge werden bisweilen noch höhere Anforderungen gestellt (Urteil vom 13. Oktober 2005, Parking Brixen, C‑458/03, Slg. 2005, I‑8585, Randnrn. 64 ff.), und zwar, wenn es zu entscheiden gilt, ob ein sog. In-House-Geschäft vorliegt. Wie ich in meinen Schlussanträgen vom 1. März 2005 in der Rechtssache Parking Brixen erläutert habe (vgl. insbesondere Nrn. 75 und 76), halte ich diese Sichtweise für verfehlt. Dessen ungeachtet lässt sich die In-House-Rechtsprechung, wie sie im Urteil Parking Brixen zum Ausdruck kommt, ohnehin nicht auf einen Fall wie den vorliegenden übertragen. Sie ist nämlich einer besonderen Spielart von Kontrolle gewidmet, welche gerade über die „normale“ Kontrolle im gesellschaftsrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Sinn hinausgehen soll: Der öffentliche Auftraggeber muss die auftragnehmende Stelle „wie eine eigene Dienststelle“ kontrollieren.

(37)  – Urteil AEG (zitiert in Fn. 33, Randnr. 50).

(38)  – Urteil Stora (zitiert in Fn. 28, Randnr. 29 zweiter Satz).

(39)  – Urteil Stora (zitiert in Fn. 28, Randnrn. 28 und 29, jeweils letzter Satz).

(40)  – Urteil Stora (zitiert in Fn. 28, Randnr. 28).

(41)  – Urteil Stora (zitiert in Fn. 28, Randnr. 29).

(42)  – Urteil Stora (zitiert in Fn. 28, Randnr. 29).

(43)  – Im diesem Sinne auch das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 28. Februar 2002, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (T‑354/94, Slg. 2002, II‑843, Randnr. 68 letzter Satz).

(44)  – Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 18. Mai 2000 in der Rechtssache Stora (zitiert in Fn. 28, Nrn. 40 letzter Satz und 48).

(45)  – Randnrn. 60 bis 62 des angefochtenen Urteils.

(46)  – Urteil des Gerichts erster Instanz vom 15. September 2005, DaimlerChrysler/Kommission („DaimlerChrysler“, T‑325/01, Slg. 2005, II‑3319, Randnr. 219); dieses Urteil ist rechtskräftig.

(47)  – Urteil des Gerichts erster Instanz vom 26. April 2007, Bolloré/Kommission („Bolloré“, T‑109/02, T‑118/02, T‑122/02, T‑125/02 und T‑126/02, T‑128/02 und T‑129/02, T‑132/02 und T‑136/02, Slg. 2007, II‑947, Randnr. 132). Gegen dieses Urteil sind derzeit vor dem Gerichtshof drei Rechtsmittel anhängig, die jedoch nicht die Kriterien für die Zurechnung von Kartellvergehen zwischen Tochter- und Muttergesellschaft zum Gegenstand haben; in seinen Schlussanträgen vom 2. April 2009 in den verbundenen Rechtssachen Papierfabrik August Koehler u. a./Kommission (C‑322/07 P, C-327/07 P und C-338/07 P, Slg. 2009, I-0000) schlägt Generalanwalt Bot dem Gerichtshof vor, das Urteil Bolloré teilweise aufzuheben.

(48)  – Urteil DaimlerChrysler (zitiert in Fn. 46, Randnr. 219).

(49)  – Urteil DaimlerChrysler (zitiert in Fn. 46, Randnr. 219).

(50)  – Urteil DaimlerChrysler (zitiert in Fn. 46, Randnr. 220).

(51)  – Urteil DaimlerChrysler (zitiert in Fn. 46, Randnr. 219 letzter Halbsatz).

(52)  – Urteile vom 1. April 1993, BPB Industries und British Gypsum/Kommission (T‑65/89, Slg. 1993, II‑389, Randnr. 149), vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999, II‑931, Randnrn. 961, 984 und 985), vom 30. September 2003, Michelin/Kommission (T‑203/01, Slg. 2003, II‑4071, Randnr. 290), vom 27. September 2006, Akzo Nobel/Kommission (T‑330/01, Slg. 2006, II‑3389, Randnrn. 81 bis 83), vom 27. September 2006, Avebe/Kommission (T‑314/01, Slg. 2006, II‑3085, Randnr. 136), und vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission (T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnr. 125).

(53)  – Urteil Bolloré (zitiert in Fn. 47, Randnr. 132).

(54)  – Vgl. dazu oben, Nrn. 51 bis 60 dieser Schlussanträge.

(55)  – Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Stora (zitiert in Fn. 28, Nr. 48).

(56)  – Urteil Bolloré (zitiert in Fn. 47, Randnrn. 133 bis 150).

(57)  – Vgl. dazu oben, Nrn. 51 bis 60 dieser Schlussanträge.

(58)  – Vgl. dazu oben, Nr. 47 dieser Schlussanträge.

(59)  – Vgl. etwa die Urteile Kommission/Anic Partecipazioni (zitiert in Fn. 26, Randnrn. 121 und 126), vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission (C‑199/92 P, Slg. 1999, I‑4287, Randnrn. 162 und 167), und Aalborg Portland u. a./Kommission (zitiert in Fn. 25, Randnr. 81).

(60)  – Siehe dazu meine Schlussanträge vom 19. Februar 2009 in der Rechtssache T-Mobile Netherlands u. a. (C-8/08, Slg. 2009, I-0000, Nr. 89).

(61)  – Vgl. oben, Nr. 48 dieser Schlussanträge.

(62)  – In diesem Sinne bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Warner vom 22. Januar 1974 in der Rechtssache Commercial Solvents/Kommission (6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, 266).

(63)  – Zur Unschuldsvermutung vgl. Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (unterzeichnet in Rom am 4. November 1950) und Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (erstmalig proklamiert in Nizza am 7. Dezember 2000, ABl. 2000, C 364, S. 1; ein weiteres Mal proklamiert in Straßburg am 12. Dezember 2007, ABl. 2007, C 303, S. 1), die, auch wenn sie derzeit für die Gemeinschaft keine dem Primärrecht vergleichbaren Bindungswirkungen entfalten, als Rechtserkenntnisquelle herangezogen werden können.

(64)  – Dem Beweismaß ist zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache als bewiesen anzusehen ist. Es ist von der Beweislast zu unterscheiden. Nach der Beweislast richtet sich zum einen, wer Tatsachen vorbringen und gegebenenfalls die zugehörigen Beweismittel beibringen muss ( subjektive oder formelle Beweislast , auch Beweisführungslast genannt); zum anderen folgt aus der Beweislastverteilung, wer das Risiko der Unaufklärbarkeit eines Sachverhalts bzw. der Nichterweislichkeit einer Behauptung trägt ( objektive oder materielle Beweislast ). Vgl. ergänzend meine Ausführungen in Kokott, J., Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten , Berlin/Heidelberg 1993, S. 12 ff.

(65)  – Im selben Sinne – wenn auch in etwas anderem Zusammenhang – die Urteile Aalborg Portland u. a./Kommission (zitiert in Fn. 25, Randnr. 79) und vom 13. Juli 1989, Lucazeau u. a. (110/88, 241/88 und 242/88, Slg. 1989, 2811, Randnr. 25).

(66)  – Vgl. dazu auch meine Schlussanträge vom 8. Dezember 2005 in der Rechtssache Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission (C‑105/04 P, Slg. 2006, I‑8725, Nr. 73) und meine Schlussanträge in der Rechtssache T-Mobile Netherlands (zitiert in Fn. 60, Nr. 89).

(67)  – Zu Recht nennt die Kommission dazu folgende Beispiele: a) die Muttergesellschaft ist eine Investmentgesellschaft und geriert sich wie ein reiner Finanzinvestor, b) die Muttergesellschaft hält nur vorübergehend und für kurze Zeit eine 100%ige Beteiligung an der Tochtergesellschaft, c) die Muttergesellschaft ist aus rechtlichen Gründen daran gehindert, ihre 100%ige Kontrolle über die Tochtergesellschaft voll auszuüben; vgl. außerdem die von Generalanwalt Warner in der Rechtssache Commercial Solvents angeführten Beispiele (Schlussanträge zitiert in Fn. 62).

(68)  – Urteile vom 16. März 2000, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission (C‑395/96 P und C‑396/96 P, Slg. 2000, I‑1365, Randnrn. 143 und 146), vom 2. Oktober 2003, ARBED/Kommission (C‑176/99 P, Slg. 2003, I‑10687, Randnr. 21), und Aalborg Portland u. a./Kommission (zitiert in Fn. 25, Randnr. 60).

(69)  – Urteile vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission (100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 14), Aalborg Portland u. a./Kommission (zitiert in Fn. 25, Randnr. 67), vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission (C‑328/05 P, Slg. 2007, I‑3921, Randnr. 62), und vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala (C‑413/06 P, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 63).

(70)  – Randnr. 62 des angefochtenen Urteils.

(71)  – Randnr. 60 letzter Satz des angefochtenen Urteils.

(72)  – Urteile ICI (Randnr. 133), Geigy (Randnr. 44) und Continental Can (Randnr. 15), jeweils zitiert in Fn. 31.

(73)  – Vgl. die Urteile ICI (zitiert in Fn. 31, Randnrn. 132 und 133) und Geigy (zitiert in Fn. 31, Randnr. 44).

(74)  – Vgl. dazu beispielhaft die in Fn. 31 angeführten Urteile ICI (Randnrn. 137 und 138) und Geigy (Randnr. 45).

(75)  – Insoweit mag die englische Übersetzung des Urteils ICI (zitiert in Fn. 31, Randnr. 133) Anlass zu Missverständnissen geben. Der dort verwendete Ausdruck „in all material respects“ könnte nämlich dahin gehend verstanden werden, dass die Tochtergesellschaft in allen Einzelheiten die Weisungen ihrer Muttergesellschaft befolgen muss. Dass Letzteres aber gerade nicht gemeint ist, zeigt ein Blick auf die allein verbindliche niederländische Sprachfassung des Urteils („in hoofdzaak“) wie auch ein Vergleich mit der französischen Fassung, in der das Urteil beraten wurde („pour l’essentiel“).

(76)  – Vor allem in seiner jüngeren Rechtsprechung betont der Gerichtshof diese wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen; vgl. Urteile Metsä-Serla u. a./Kommission (zitiert in Fn. 31, Randnr. 27), Aristrain/Kommission (zitiert in Fn. 31, Randnr. 96) und Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 18, Randnr. 117); vgl. auch das Urteil vom 11. Dezember 2007, ETI u. a. (zitiert in Fn. 2, Randnr. 49).

(77)  – Es versteht sich von selbst, dass in diesem Zusammenhang die eigene Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft ebenso wenig ausschlaggebend ist wie der bloße Umstand, dass sie mit eigenen Organen ausgestattet ist (vgl. dazu die in Fn. 31 angeführten Urteile ICI, Randnr. 132, Geigy, Randnr. 44, und Continental Can, Randnr. 15).

(78)  – Zum Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit vgl. oben, Nr. 39 dieser Schlussanträ ge und die in Fn. 26 angeführte Rechtsprechung.

(79)  – Vgl. dazu oben Nrn. 42 und 43 dieser Schlussanträge.

(80)  – In diesem Sinne auch Urteil ICI (zitiert in Fn. 31, Randnr. 141).

(81)  – Dabei beziehen sich die Rechtsmittelführerinnen auf Randnr. 65 des angefochtenen Urteils.

(82)  – Angefochtenes Urteil, Randnr. 65 am Ende.

(83)  – Randnr. 66 in Verbindung mit Randnrn. 67 bis 85 des angefochtenen Urteils.