9.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 37/8


Klage, eingereicht am 22. November 2007 — Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland

(Rechtssache C-518/07)

(2008/C 37/10)

Verfahrenssprache: Deutsch

Parteien

Klägerin: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Prozessbevollmächtigte: C. Docksey und C. Ladenburger, Bevollmächtigte)

Beklagte: Bundesrepublik Deutschland

Anträge

Die Klägerin beantragt

Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie 95/46/EG (1) verstoßen, indem sie die für die Überwachung der Datenverarbeitung im nicht-öffentlichen Bereich zuständigen Kontrollstellen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen einer staatlichen Aufsicht unterwirft und damit die Vorgabe der „völligen Unabhängigkeit“ der Datenschutz-Aufsichtsbehörden fehlerhaft umsetzt.

Der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

Klagegründe und wesentliche Argumente

Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates verpflichte die Mitgliedstaaten zur Beauftragung „einer oder mehrerer öffentlichen Stellen“, die „die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften“, also datenschutzrechtlicher Vorschriften, überwachen. Artikel 28 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie fordere die „völlige Unabhängigkeit“ der beauftragten Kontrollstellen. Dem Wortlaut nach werde bestimmt, dass die Kontrollstellen der Einflussnahme, sei es durch sonstige Behörden, sei es von außerhalb der Staatsverwaltung, entzogen sein sollen, es müssten also die mitgliedstaatlichen Regelungen eine Einflussnahme von außen auf die Entscheidungen der Kontrollstellen und deren Durchführungen ausschließen. Der Wortlaut „völlige“ Unabhängigkeit impliziere, dass nicht nur von keiner Seite, sondern auch in keinerlei Hinsicht, Abhängigkeit bestehen sollte.

Es sei also mit Artikel 28 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie unvereinbar, die für die Überwachung der Datenverarbeitung im nicht-öffentlichen Bereich zuständigen Kontrollstellen einer staatlichen Fach-, Rechts- oder Dienstaufsicht zu unterstellen, wie dies in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland geschehen sei. Indem das Gesetz eines jeden Landes die Kontrollstelle in unterschiedlichen Kombinationen dieser drei Arten der Aufsicht unterstelle, begründe das Gesetz eines jeden Landes einen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die Verpflichtung aus Artikel 28 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie, die „völlige Unabhängigkeit“ der Kontrollstellen zu gewährleisten. Ungeachtet der Unterschiede zwischen Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht, stellten alle diese Aufsichtsarten einen Verstoß gegen die in der Richtlinie geforderte Unabhängigkeit dar.

Teleologisch betrachtet, habe der Gemeinschaftsgesetzgeber die völlige Unabhängigkeit für notwendig erachtet, damit die nach Artikel 28 der Richtlinie der Kontrollstelle zugedachten Funktionen effektiv erfüllt werden könnten. Das Konzept „völliger Unabhängigkeit“ erhelle sich ferner auch vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Norm. Auch systematisch füge sich die Erfordernis „völliger Unabhängigkeit“ der mitgliedstaatlichen Kontrollstellen in den bestehenden Besitzstand der Gemeinschaft im Bereich des Datenschutzrechts stimmig ein. Zudem verlange Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auch, dass die Einhaltung der Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten „von einer unabhängigen Stelle überwacht“ werde.

Das von der Bundesrepublik Deutschland vertretene Konzept einer relativen Unabhängigkeit, also einer Unabhängigkeit der Kontrollstelle nur vom Kontrollierten selbst, sei bereits mit dem eindeutigen, umfassenden Wortlaut der Richtlinie, der „völlige“ Unabhängigkeit fordere, nicht in Einklang zu bringen. Zudem würde in dieser Auslegung der zweite Satz des Artikels 28 Absatz 1 vollständig leer laufen. Auch die Argumentation sei abzulehnen, wonach Artikel 95 EG als maßgebliche Rechtsgrundlage der Richtlinie sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip eine einschränkende Auslegung des Erfordernisses „völliger Unabhängigkeit“ nahe legen. Dass die Richtlinie kompetenzkonform erlassen worden sei und dass sich eine einschränkende Auslegung ihrer Bestimmungen bei nicht-wirtschaftlichen Sachverhalten verbiete, habe der Gerichtshof bereits entschieden. Im Übrigen gehe die in Frage stehende Vorschrift nicht über das Maß dessen hinaus, was notwendig sei zur Erreichung der Ziele, die die Richtlinie im Einklang mit Artikel 95 EG und dem Subsidiaritätsprinzip verfolge.


(1)  ABl. L 281, S. 31.