URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
6. November 2008(*)
„Mehrwertsteuer – Ort des steuerbaren Umsatzes – Steuerlicher Anknüpfungspunkt – Dienstleistender, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Dienstleistungsempfänger – Einstufung als Steuerpflichtiger – Dienstleistungen, die einer nationalen Stiftung erbracht werden, welche eine wirtschaftliche Tätigkeit und eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit ausübt“
In der Rechtssache C‑291/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Regeringsrätt (Schweden) mit Entscheidung vom 30. Mai 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2007, in dem Verfahren
Kollektivavtalsstiftelsen TRR Trygghetsrådet
gegen
Skatteverket
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Tizzano, A. Borg Barthet (Berichterstatter) und E. Levits,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Skatteverk, vertreten durch M. Loeb als Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch S. Spyropoulos, I. Bakopoulos und I. Pouli als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,
– der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und P. Dejmek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juni 2008
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 1999/59/EG des Rates vom 17. Juni 1999 (ABl. L 162, S. 63) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) und von Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kollektivavtalsstiftelse TRR Trygghetsrådet (Stiftung für Kollektivvereinbarungen zur Unterstützung gekündigter Arbeitnehmer, im Folgenden: Trygghetsråd oder Stiftung), einer Stiftung schwedischen Rechts, die sowohl wirtschaftliche als auch andere Tätigkeiten ausübt, und dem Skatteverk (schwedische Steuerverwaltung) wegen der steuerlichen Folgen bestimmter Beratungsdienste, die die Stiftung in Anspruch nehmen möchte, und wegen der Frage, ob die Stiftung als „Unternehmer“ im Sinne von Kapitel 5 § 7 des Mervärdesskattelag (1994:200) (schwedisches Gesetz über die Mehrwertsteuer, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) anzusehen ist. Der Rechtsstreit betrifft einen Zeitraum, in dem erst die Sechste Richtlinie und dann die Richtlinie 2006/112 galten.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie (der Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 entspricht) unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.
4 Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie (der Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 entspricht) gilt als Steuerpflichtiger, „wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis“.
5 Nach Art. 4 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie (der Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 entspricht) sind die „in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten … alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.“
6 Gemäß Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie (der Art. 43 der Richtlinie 2006/112 entspricht) gilt „[a]ls Ort einer Dienstleistung … der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort“.
7 Art. 9 Abs. 2 Buchst. e (der Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 entspricht) bestimmt allerdings, dass „als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort [gilt], an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:
…
– Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen,
…“.
8 Gemäß Art. 21 Nr. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie schuldet die Mehrwertsteuer „der steuerpflichtige Empfänger einer in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) genannten Dienstleistung oder der Empfänger einer in Artikel 28b Teile C, D, E und F genannten Dienstleistung, der im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst ist, wenn die Dienstleistung von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird; die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass der Dienstleistungserbringer die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat“.
9 Nach Art. 196 der Richtlinie 2006/112 schuldet die Mehrwertsteuer „der steuerpflichtige Dienstleistungsempfänger im Sinne des Artikels 56“.
Nationales Recht
10 Nach Kapitel 1 § 1 des Mehrwertsteuergesetzes ist Mehrwertsteuer auf diejenigen Umsätze im Inland mit Gegenständen und Dienstleistungen zu entrichten, die im Rahmen einer gewerbsmäßigen Tätigkeit bewirkt werden. Diese Bestimmung soll Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie umsetzen.
11 Gemäß Kapitel 5 § 7 des Mehrwertsteuergesetzes sind bestimmte dort bezeichnete Dienstleistungen, darunter Beratungsdienstleistungen, die von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden erbracht werden, als Umsätze im schwedischen Inland anzusehen, wenn der Dienstleistungsempfänger ein Unternehmer ist, der in Schweden den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für die die Dienstleistung erbracht wird, oder, in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung, seinen Wohnsitz oder üblichen Aufenthaltsort. Ist ein Dienstleistender, der der Mehrwertsteuer unterliegende Beratungsdienstleistungen erbringt, Ausländer, wird gemäß Kapitel 1 § 2 des Mehrwertsteuergesetzes die Mehrwertsteuer vom Dienstleistungsempfänger geschuldet. Mit diesen Vorschriften werden die entsprechenden Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e und Art. 21 Nr. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie in das nationale Recht umgesetzt.
12 Das Mehrwertsteuergesetz definiert den Begriff des „Unternehmers“ nicht. In Kapitel 4 § 1 des Gesetzes wird jedoch klargestellt, dass als „gewerbsmäßige Tätigkeit“ eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Kapitel 13 des Inkomstskattelag (1999:1229) (schwedisches Einkommensteuergesetz) oder eine in vergleichbaren Formen ausgeübte Tätigkeit anzusehen ist, aus der im jeweiligen Steuerjahr Einnahmen in Höhe von mehr als 30 000 SEK erzielt werden. Nach Kapitel 13 § 1 des letztgenannten Gesetzes fällt unter den Begriff der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ jede gewerbsmäßige Tätigkeit, die selbständig ausgeübt wird.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
13 Der Ausgangsrechtsstreit betrifft den Trygghetsråd, eine Stiftung für Kollektivvereinbarungen, die 1994 von dem Arbeitgeberverband Svenska Arbetsgivareförening (heute Svenskt Näringsliv) und der Gewerkschaft Privattjänstemannakartell (Gewerkschaft für Angestellte der Privatwirtschaft) gegründet wurde.
14 Die satzungsmäßigen Ziele des Trygghetsråd bestehen zum einen in der Zahlung von Abfindungen im Kündigungsfall und in der Förderung von Maßnahmen, die aus näher bezeichneten Gründen gekündigten oder von Kündigung bedrohten Arbeitnehmern die Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz erleichtern sollen, und zum anderen in der Beratung und Unterstützung von Unternehmen bei bestehendem oder drohendem Personalüberhang sowie in der Förderung der Unternehmensentwicklung in Bezug auf Personalangelegenheiten. Die Voraussetzungen, unter denen der Trygghetsråd seine Tätigkeiten ausübt, sind in einer zwischen dem Svenskt Näringsliv und dem Privattjänstemannakartell geschlossenen Vereinbarung, der sogenannten Anpassungsvereinbarung („Omställningsavtalet“), im Einzelnen geregelt
15 Die Tätigkeiten des Trygghetsråd werden durch Arbeitgeberbeiträge finanziert, die die durch die Vereinbarung gebundenen Arbeitgeber aufbringen und die einem bestimmten Prozentanteil von der Summe der Arbeitsentgelte der unter die Vereinbarung fallenden Arbeitnehmer entsprechen. Arbeitgeber, die an die Anpassungsvereinbarung durch eine sogenannte Anschlussvereinbarung gebunden sind, bezahlen einen festen Jahresbeitrag. Neben seinen Tätigkeiten aufgrund der Anpassungsvereinbarung erbringt der Trygghetsråd an Unternehmen im Zusammenhang mit Betriebsverlagerungen verschiedene Dienstleistungen, für die er als Mehrwertsteuerpflichtiger erfasst ist. Auf diese letztgenannte Tätigkeit des Trygghetsråd entfallen etwa 5 % seiner Einnahmen.
16 Der Trygghetsråd möchte Beratungsdienste in Anspruch nehmen, die insbesondere von einem in Dänemark ansässigen Dienstleistenden erbracht und ausschließlich für die Tätigkeiten der Stiftung im Rahmen der Anpassungsvereinbarung genutzt werden sollen. Zur Klärung der steuerrechtlichen Folgen der Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen beantragte der Trygghetsråd beim Skatterättsnämnd (Ausschuss für Steuerrecht) einen Vorbescheid über die Frage, ob die Tätigkeiten, die die Stiftung im Rahmen der Anpassungsvereinbarung ausübt, gewerbsmäßige Tätigkeiten sind und ob die Stiftung ein „Unternehmer“ im Sinne von Kapitel 5 § 7 des Mehrwertsteuergesetzes ist.
17 Mit Bescheid vom 3. März 2006 stellte der Skatterättsnämnd fest, dass es sich bei den im Rahmen der Anpassungsvereinbarung ausgeübten Tätigkeiten nicht um von der Stiftung im Rahmen einer gewerbsmäßigen Tätigkeit erbrachte Dienstleistungen handele, aber dass der Trygghetsråd als „Unternehmer“ im Sinne von Kapitel 5 § 7 des Mehrwertsteuergesetzes anzusehen sei.
18 Der Trygghetsråd, der gegen diesen Bescheid des Skatterättsnämnd Klage erhob, beantragt beim Regeringsrätt, festzustellen, dass er nicht „Unternehmer“ im Sinne von Kapitel 5 § 7 des Mehrwertsteuergesetzes ist. Das Skatteverk beantragt beim Regeringsrätt, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.
19 Zur Begründung seiner Klage trägt der Trygghetsråd insbesondere vor, dass sich eine Erfassung als Mehrwertsteuerpflichtiger als solche nicht dahin auswirke, dass der Betroffene zwangsläufig als ein Unternehmer im Sinne von Kapitel 5 § 7 des Mehrwertsteuergesetzes anzusehen sei. Bei einem Erwerb, der Tätigkeiten außerhalb des Anwendungsbereichs der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie diene, sei der Trygghetsråd kein Unternehmer im Sinne der genannten Bestimmung. Die entsprechende Bestimmung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, Art. 9 Abs. 2 Buchst. e, verweise nicht auf den Begriff des Unternehmers, sondern auf den des Steuerpflichtigen.
20 Nach Auffassung des Regeringsrätt erfordert der Ausgangsrechtsstreit für die Anwendung verschiedener Vorschriften der Sechsten Richtlinie und der Richtlinie 2006/112 eine Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs des „Steuerpflichtigen“. Der Gerichtshof habe den Begriff des „Steuerpflichtigen“ im Sinne der Sechsten Richtlinie bereits in verschiedenen Urteilen erläutert, jedoch noch nicht über seine Auslegung im Hinblick auf die Anwendung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie in einem Fall wie dem dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden befunden.
21 Da der Regeringsrätt der Auffassung ist, dass die einschlägigen Vorschriften der Sechsten Richtlinie und der Richtlinie 2006/112 unklar seien und dass der Gerichtshof über die Fragestellung noch nicht entschieden habe, hat er das Verfahren ausgesetzt und folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art. 9 Abs. 2 Buchst. e und Art. 21 Nr. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie sowie Art. 56 Abs. 1 Buchst. c und Art. 196 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass derjenige, der Beratungsdienste bei einem Steuerpflichtigen aus einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nimmt und selbst sowohl eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit als auch eine nicht unter die Richtlinie fallende Tätigkeit ausübt, für die Anwendung dieser Bestimmungen auch dann als Steuerpflichtiger anzusehen ist, wenn die Dienstleistung nur für die letztgenannte Tätigkeit in Anspruch genommen wird?
Würdigung durch den Gerichtshof
22 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie und Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass derjenige, der bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen Beratungsdienstleistungen in Anspruch nimmt und selbst gleichzeitig wirtschaftliche Tätigkeiten und außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinien liegende Tätigkeiten ausübt, als Steuerpflichtiger anzusehen ist, selbst wenn die Dienstleistungen nur für Zwecke der letztgenannten Tätigkeiten genutzt werden.
23 Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie im Wesentlichen die gleiche Fassung hat wie Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112. Folglich sind beide Artikel in gleicher Weise auszulegen.
24 Es ist weiter daran zu erinnern, dass Art. 9 der Sechsten Richtlinie Regeln zur Bestimmung des steuerlichen Anknüpfungspunkts bei Dienstleistungen enthält. Während in Abs. 1 insoweit eine allgemeine Regel niedergelegt ist, listet Abs. 2 eine Reihe besonderer Anknüpfungspunkte auf. Durch diese Bestimmungen sollen Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, sowie die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden (Urteile vom 4. Juli 1985, Berkholz, 168/84, Slg. 1985, 2251, Randnr. 14, vom 26. September 1996, Dudda, C‑327/94, Slg. 1996, I‑4595, Randnr. 20, vom 6. März 1997, Linthorst, Pouwels en Scheres, C‑167/95, Slg. 1997, I‑1195, Randnr. 10, vom 12. Mai 2005, RAL [Channel Islands] u. a., C‑452/03, Slg. 2005, I‑3947, Randnr. 23, und vom 9. März 2006, Gillan Beach, C-114/05, Slg. 2006, I‑2427, Randnr. 14).
25 Zum Verhältnis zwischen den Abs. 1 und 2 des Art. 9 der Sechsten Richtlinie hat der Gerichtshof entschieden, dass Abs. 1 keinen Vorrang gegenüber Abs. 2 hat. In jedem Einzelfall stellt sich vielmehr die Frage, ob eine der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 einschlägig ist. Andernfalls gilt Abs. 1 (Urteile Dudda, Randnr. 21, Linthorst, Pouwels en Scheres, Randnr. 11, RAL [Channel Islands] u. a., Randnr. 24, und Gillan Beach, Randnr. 15).
26 Nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie gilt als Ort der Leistungen von Beratern und sonstiger ähnlicher Leistungen, die Steuerpflichtigen erbracht werden, welche innerhalb der Gemeinschaft, aber außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässig sind, der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.
27 Auch wenn im Ausgangsverfahren der Empfänger der Beratungsdienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft, aber außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässig ist, stellt sich das vorlegende Gericht gleichwohl die Frage, ob dieser Dienstleistungsempfänger auch dann als Steuerpflichtiger im Sinne des Art. 9 der Sechsten Richtlinie anzusehen ist, wenn die fraglichen Dienstleistungen nur für Zwecke von Tätigkeiten genutzt werden, die außerhalb des Anwendungsbereichs der Sechsten Richtlinie und der Richtlinie 2006/112 liegen.
28 Es ist zunächst festzustellen, dass in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie nicht klargestellt wird, ob die Anwendung der Bestimmung voraussetzt, dass der steuerpflichtige Empfänger einer Dienstleistung diese für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nutzt. In diesem Artikel ist somit, im Gegensatz zu anderen Vorschriften der Sechsten Richtlinie wie Art. 2 Nr. 1 und Art. 17 Abs. 2, nicht angegeben, dass für seine Anwendung eine solche Voraussetzung vorliegen müsste.
29 Mit anderen Worten ist in Anbetracht des Fehlens einer ausdrücklichen Klarstellung in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie zu der Frage, ob die erbrachten Dienstleistungen für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeit des Dienstleistungsempfängers genutzt werden müssen, davon auszugehen, dass eine Nutzung der Dienstleistungen durch ihren Empfänger für außerhalb des Anwendungsbereichs der Sechsten Richtlinie liegende Tätigkeiten der Anwendung der Bestimmung nicht entgegensteht.
30 Diese Auslegung steht mit dem durch Art. 9 der Richtlinie verfolgten Zweck in Einklang, der, wie oben in Randnr. 24 in Erinnerung gebracht worden ist, der einer Konfliktregel ist, mit der die Gefahren der Doppelbesteuerung und der Nichtbesteuerung vermieden werden sollen.
31 Ebenso erleichtert eine solche Auslegung, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge betont hat, die Anwendung dieser Konfliktregel, indem sie eine einfache Verwaltung der Regelungen über die Steuererhebung und der Bekämpfung der Steuerflucht im Hinblick auf den Ort der Erbringung der Dienstleistung ermöglicht. Denn um zu klären, ob der Ort der Erbringung der Dienstleistung in dem Mitgliedstaat liegt, in dem er selbst ansässig ist, oder in dem Mitgliedstaat, in dem der Leistungsempfänger den Sitz seiner Tätigkeit hat, braucht der Dienstleistende nur zu ermitteln, ob der Empfänger Steuerpflichtiger ist.
32 Überdies entspricht diese Auslegung den Zwecken und Funktionsregeln der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerregelung, da sie bei einem Sachverhalt wie dem, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, gewährleistet, dass der Endverbraucher der Dienstleistung den Endbetrag der geschuldeten Mehrwertsteuer trägt.
33 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 43 und 44 seiner Schlussanträge dargelegt hat, entspricht eine solche Auslegung ebenso dem Grundsatz der Rechtssicherheit und erlaubt es überdies, die Belastung derjenigen Wirtschaftsteilnehmer, die im gesamten Binnenmarkt tätig sind, zu verringern und den freien Dienstleistungsverkehr zu vereinfachen.
34 Schließlich ist zu beachten, dass nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie (der Art. 196 der Richtlinie 2006/112 entspricht) die Mehrwertsteuer von dem steuerpflichtigen Empfänger der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie (entsprechend Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112) genannten Dienstleistungen geschuldet wird. Liegen die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie vor, wird daher die Mehrwertsteuer vom Empfänger wegen der von ihm in Anspruch genommenen Dienstleistungen unabhängig davon geschuldet, ob diese Dienstleistungen für Zwecke von außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinien liegenden Tätigkeiten erbracht wurden.
35 Nach alledem ist auf die Frage des Regeringsrätt zu antworten, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie und Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass derjenige, der bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen Beratungsdienstleistungen in Anspruch nimmt und selbst gleichzeitig wirtschaftliche Tätigkeiten und außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinien liegende Tätigkeiten ausübt, als Steuerpflichtiger anzusehen ist, selbst wenn die Dienstleistungen nur für Zwecke der letztgenannten Tätigkeiten genutzt werden.
Kosten
36 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 1999/59/EG des Rates vom 17. Juni 1999 geänderten Fassung und Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass derjenige, der bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen Beratungsdienstleistungen in Anspruch nimmt und selbst gleichzeitig wirtschaftliche Tätigkeiten und außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinien liegende Tätigkeiten ausübt, als Steuerpflichtiger anzusehen ist, selbst wenn die Dienstleistungen nur für Zwecke der letztgenannten Tätigkeiten genutzt werden.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Schwedisch.