Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Völkerrechtliche Verträge – Abkommen über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums – Niederlassungsfreiheit – Vorschriften des Vertrags – Anwendungsbereich

(Art. 43 EG; EWR-Abkommen, Art. 31)

2. Völkerrechtliche Verträge – Abkommen über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums – Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht – Körperschaftsteuer

(EWR-Abkommen, Art. 31)

Leitsätze

1. Die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit verbieten es, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert, wobei alle Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen, als Beschränkungen anzusehen sind. Diese Grundsätze gelten, wenn eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft über eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist.

(vgl. Randnrn. 29-31)

2. Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) steht einer nationalen Steuerregelung nicht entgegen, nach der die Verluste einer Betriebsstätte, die in einem anderen Staat als dem Ansässigkeitsstaat ihres Stammhauses belegen ist, bei der Festsetzung der Einkommensteuer des Stammhauses berücksichtigt werden können, später aber, sobald die Betriebsstätte Gewinne erwirtschaftet, steuerlich wieder hinzugerechnet werden müssen, wenn der Betriebsstättenstaat keinen Vortrag von Verlusten einer Betriebsstätte einer in einem anderen Staat ansässigen Gesellschaft zulässt und wenn nach einem zwischen den beiden betreffenden Staaten abgeschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Einkünfte einer solchen Einheit im Ansässigkeitsstaat ihres Stammhauses von der Steuer befreit sind.

Eine solche Steuerregelung führt zwar zu einer Beschränkung des Rechts aus Art. 31 des EWR-Abkommens, da die steuerliche Situation einer Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz in einem Mitgliedstaat hat und eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat besitzt, weniger günstig ist als die, in der sie sich befände, wenn die Betriebsstätte im erstgenannten Mitgliedstaat belegen wäre. Auch wenn nämlich in einem ersten Schritt bei der Veranlagung des Stammhauses im erstgenannten Mitgliedstaat die gesamten Verluste aus der in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte von den Gewinnen des Stammhauses abgezogen werden und der erstgenannte Mitgliedstaat damit einen Steuervorteil in der gleichen Weise gewährt, wie wenn die Betriebsstätte im Inland belegen wäre, entzieht die nationale Steuerregelung, indem in einem zweiten Schritt die Verluste der Betriebsstätte zum zu versteuernden Einkommen ihres Stammhauses wieder hinzugerechnet werden, sobald die Betriebsstätte Gewinne erwirtschaftet, diesen Steuervorteil doch wieder und behandelt damit gebietsansässige Gesellschaften mit Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich ungünstiger als gebietsansässige Gesellschaften mit Betriebsstätten im Inland. Aufgrund dieses Unterschieds in der steuerlichen Behandlung könnte eine gebietsansässige Gesellschaft davon abgehalten werden, ihre Tätigkeiten weiterhin über eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte auszuüben.

Eine solche Beschränkung ist jedoch durch das Erfordernis, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten, gerechtfertigt. Die von der fraglichen Steuerregelung vorgesehene Hinzurechnung der Verluste darf nicht von der vorangegangenen Berücksichtigung dieser Verluste getrennt werden. Die Hinzurechnung folgt nämlich im Fall einer Gesellschaft mit einer in einem anderen Staat belegenen Betriebsstätte, für die dem Ansässigkeitsstaat dieser Gesellschaft kein Besteuerungsrecht zusteht, einer spiegelbildlichen Logik. Somit besteht ein direkter, persönlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den beiden Komponenten der fraglichen Steuerregelung, da die Hinzurechnung das logische Pendant zum vorher gewährten Abzug darstellt. Diese Beschränkung ist auch für die Erreichung eines solchen Ziels geeignet, da sie vollkommen symmetrisch vorgeht, indem nur die in Abzug gebrachten Verluste wieder hinzugerechnet werden. Zudem ist die Beschränkung in Bezug auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig, denn die Verluste werden nur bis zur Höhe der erwirtschafteten Gewinne wieder hinzugerechnet.

Diese Beurteilung kann nicht durch das Zusammenwirken der vorgenannten Steuerregelung mit den Steuervorschriften des Betriebsstättenstaats in Frage gestellt werden. In Ermangelung gemeinschaftlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen bleiben die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Kriterien für die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens festzulegen, um die Doppelbesteuerung gegebenenfalls im Vertragswege zu beseitigen. Diese Zuständigkeit beinhaltet auch, dass ein Staat für die Zwecke seines eigenen Steuerrechts nicht verpflichtet sein kann, die eventuell ungünstigen Auswirkungen der Besonderheiten einer Regelung eines anderen Staates zu berücksichtigen, die auf eine Betriebsstätte anwendbar ist, die in diesem Staat belegen ist und zu einer im erstgenannten Staat ansässigen Gesellschaft gehört. Selbst wenn man unterstellt, dass das Zusammenwirken der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat des Stammhauses der betreffenden Betriebsstätte mit der Besteuerung im Betriebsstättenstaat zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führen kann, ist eine solche Beschränkung ausschließlich dem letztgenannten Staat zuzurechnen, da sich die Beschränkung nicht aus der fraglichen Steuerregelung ergäbe, sondern aus der Aufteilung der Steuerhoheit durch das zwischen den beiden betreffenden Staaten abgeschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung.

Die Wertung, dass die sich aus der fraglichen Steuerregelung ergebende Beschränkung durch das Erfordernis, die Kohärenz dieser Regelung zu gewährleisten, gerechtfertigt ist, kann auch nicht durch den Umstand in Frage gestellt werden, dass die betreffende Betriebsstätte von ihrem Stammhaus aufgegeben wurde und die Gewinne und Verluste, die die Betriebsstätte, solange sie bestand, erzielt hatte, insgesamt zu einem Negativsaldo führten. Die Hinzurechnung der Betriebsstättenverluste zu den Einkünften des Stammhauses ist nämlich das untrennbare und logische Pendant der vorangegangenen Berücksichtigung dieser Verluste.

(vgl. Randnrn. 34-39, 42-46, 48-49, 51-55 und Tenor)