Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

I – Einführung

1. Mit Beschluss vom 24. Juli 2007(2) hat der High Court of Justice (Queen’s Bench Division, Administrative Court, Vereinigtes Königreich) dem Gerichtshof mehrere Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf(3) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der High Court möchte im Wesentlichen wissen, ob die genannte Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie über die Diskriminierung aus Gründen des Alters umgesetzt werden sollen und die Arbeitgebern unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, zwangsweise in den Ruhestand zu versetzen.

2. Dieses Problem stellt sich im Rahmen einer Klage, die die Incorporated Trustees of the National Council on Ageing (Age Concern England) gegen den Secretary of State for Business, Enterprise and Regulatory Reform erhoben haben und mit der sie die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Rechtsvorschriften in Frage stellen.

3. In der vorliegenden Rechtssache, mit der die sich herausbildende Rechtsprechung zur Diskriminierung aus Gründen des Alters nach den Urteilen Mangold(4), Lindorfer(5), Palacios de la Villa(6) und Bartsch(7) um eine weitere Entscheidung ergänzt werden wird, ist der Gerichtshof aufgerufen, sich erneut zu den sich aus Art. 2 der Richtlinie 2000/78 ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters zu äußern, insbesondere zu der Frage, wie konkret das Verbot in nationales Recht umgesetzt werden muss.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

4. Die Richtlinie 2000/78 wurde auf Art. 13 EG gestützt. Die Erwägungsgründe 1, 14 und 25 der Richtlinie lauten wie folgt:

„(1) Nach Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.

(14) Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand.

(25) Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist.

…“

5. Nach ihrem Art. 1 ist Zweck der Richtlinie 2000/78

„… die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“.

6. Art. 2, in dem der Begriff „Diskriminierung“ definiert ist, bestimmt:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2) Im Sinne des Absatzes 1

a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i) diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, oder

ii) der Arbeitgeber oder jede Person oder Organisation, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, ist im Falle von Personen mit einer bestimmten Behinderung aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen Grundsätzen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift, dieses Kriterium oder dieses Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen.

…“

7. Art. 6 regelt die gerechtfertigte Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters:

„(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c) die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

(2) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten und die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt.“

B – Einschlägiges nationales Recht

8. Der Vorlageentscheidung zufolge gab es vor dem 1. Oktober 2006 keine gesetzlichen Bestimmungen im Vereinigten Königreich zum Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters bei Einstellung und Beschäftigung. Die Arbeitgeber konnten Arbeitnehmer, die das bei dem Arbeitgeber übliche Ruhestandsalter oder – wenn es ein solches nicht gab – das Alter von 65 Jahren erreicht hatten, entlassen. Nach den Sections 109 und 156 des Employment Rights Act 1996 (Gesetz von 1996 über Beschäftigungsrechte, im Folgenden: Gesetz von 1996) hatten die Arbeitnehmer in diesen Fällen keinen Anspruch auf Entschädigung bei betriebsbedingter Kündigung.

9. Am 3. April 2006 setzte das Vereinigte Königreich die Richtlinie 2000/78 durch Erlass der Employment Equality (Age) Regulations 2006 (SI 1031/2006) (im Folgenden: Verordnung) um.

10. Regulation 3 der Verordnung definiert die Begriffe unmittelbare und mittelbare Diskriminierung im Sinne des nationalen Rechts. Sie hat folgenden Wortlaut:

„(1) Im Sinne dieser Verordnung diskriminiert eine Person (‚A‘) eine andere Person (‚B‘), wenn

(a) A B wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung zuteil werden lässt, als sie anderen Personen zuteil werden lässt oder lassen würde, oder

(b) A auf B Vorschriften, Kriterien oder Verfahren anwendet, die sie in gleicher Weise auf andere Personen, die nicht in der gleichen Altersgruppe wie B sind, anwendet oder anwenden würde

(i) die jedoch Personen in der gleichen Altersgruppe wie B gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen oder benachteiligen können und

(ii) die B in dieser Weise benachteiligen

und A nicht nachweisen kann, dass die Behandlung bzw. die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels sind.“

11. Regulation 30 der Verordnung sieht eine Ausnahme vor:

„(1) Diese Verordnung findet Anwendung auf Arbeitnehmer im Sinne von Section 230(1) des Gesetzes von 1996, Bedienstete der Krone, relevante Mitarbeiter von Mitgliedern des House of Commons sowie relevante Mitarbeiter von Mitgliedern des House of Lords.

(2) Entlassungen von Personen, auf die diese Verordnung Anwendung findet und die das 65. Lebensjahr vollendet haben, sind nicht nach Maßgabe der Bestimmungen in den Teilen 2 oder 3 dieser Verordnung rechtswidrig, wenn die Entlassung wegen Versetzung in den Ruhestand erfolgt.

(3) Die Frage, ob die Entlassung wegen Versetzung in den Ruhestand im Sinne dieser Verordnung erfolgt, ist nach Maßgabe der Sections 98ZA bis 98ZF des Gesetzes von 1996 zu beurteilen.“

12. Laut dem vorlegenden Gericht hat Regulation 30 zur Folge, dass ein Arbeitnehmer, der das 65. Lebensjahr vollendet hat, nach nationalem Recht nicht geltend machen kann, seine Entlassung sei ein Akt rechtswidriger Diskriminierung aus Gründen des Alters, wenn „die Entlassung wegen Versetzung in den Ruhestand erfolgt“.

13. Ob dies der Fall ist, ist anhand der Kriterien in Anhang 8 der Verordnung zu beurteilen. Die Kriterien variieren je nachdem, ob der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet hat, ob es beim Arbeitgeber ein übliches Ruhestandsalter gibt und ob der Arbeitgeber das Verfahren nach Anhang 6 der Verordnung eingehalten hat.

14. Will daher ein Arbeitgeber, um sich auf Regulation 30 berufen zu können, geltend machen, dass „die Entlassung wegen Versetzung in den Ruhestand erfolgt“, muss er nach Anhang 6 der Verordnung dem Arbeitnehmer mit einer Frist, die zwischen sechs Monaten und einem Jahr beträgt, den vorgesehenen Entlassungstermin anzeigen und den Arbeitnehmer über sein Recht aufklären, zu beantragen, nicht wegen Versetzung in den Ruhestand entlassen zu werden. Der Arbeitnehmer hat dann das Recht, einen förmlichen Antrag zu stellen, nicht wegen Versetzung in den Ruhestand entlassen zu werden, den der Arbeitgeber gemäß dem in Anhang 6 niedergelegten Verfahren prüfen muss. Es besteht jedoch keine Pflicht des Arbeitgebers, einem solchen Antrag stattzugeben.

15. Regulation 7(4) ergänzt Regulation 30, indem sie den Arbeitgebern gestattet, Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei der Einstellung aus Gründen des Alters zu diskriminieren, wenn auf sie im Falle ihrer Einstellung Regulation 30 anwendbar wäre. Regulation 7 lautet:

„(1) Ein Arbeitgeber handelt rechtswidrig, wenn er bezüglich der von ihm angebotenen Beschäftigungsverhältnisse in einer Betriebsstätte in Großbritannien eine Person diskriminiert

(a) durch die von ihm getroffenen Regelungen im Hinblick auf die Entscheidung, wem er ein Beschäftigungsverhältnis anbieten soll;

(b) ...

(c) durch die Weigerung, der Person ein Beschäftigungsverhältnis anzubieten, oder indem er der Person absichtlich kein Beschäftigungsverhältnis anbietet.

...

(4) Vorbehaltlich Regulation 7(5) ist Regulation 7(1)(a) und (c) nicht anwendbar auf Personen,

(a) deren Alter über dem bei dem Arbeitgeber üblichen Ruhestandsalter oder – wenn es ein solches nicht gibt – über 65 Jahre liegt oder

(b) die innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt ihrer Bewerbung das bei dem Arbeitgeber übliche Ruhestandsalter oder – wenn es ein solches nicht gibt – das Alter von 65 Jahren erreichen würden.

(5) Regulation 7(4) gilt nur für Personen, auf die im Falle der Einstellung bei dem Arbeitgeber Regulation 30 (Ausnahme betreffend Versetzung in den Ruhestand) anwendbar wäre.

...

(8) In Regulation 7(4) ist ‚übliches Ruhestandsalter‘ ein Alter von mindestens 65 Jahren, wenn die Voraussetzungen von Section 98ZH des Gesetzes von 1996 erfüllt sind.“

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

16. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, die Incorporated Trustees of the National Council on Ageing (Age Concern England) (im Folgenden: Age Concern England) ist eine gemeinnützige Einrichtung zur Förderung des Wohls älterer Menschen. Mit der Klage begehrt Age Concern England die Feststellung, dass Teile der Regulations 3, 30 und 7 der Verordnung wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie 2000/78 ungültig sind.

17. Age Concern England macht geltend, dass für Regulation 30 sowie Regulation 7(4) und (5) die Richtlinie 2000/78 und das darin niedergelegte Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters maßgeblich sei und dass nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie den Mitgliedstaaten die Einführung einer allgemeinen Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierung aus Gründen des Alters, wie sie in Regulation 3 der Verordnung vorgesehen sei, verwehrt sei. Den Mitgliedstaaten seien lediglich konkrete Bestimmungen mit Aufzählung derjenigen Fälle einer weniger günstigen Behandlung aus Gründen des Alters gestattet, die der Diskriminierende rechtfertigen könne, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Ziels in einem angemessenen Verhältnis stünden. Die in Art. 6 der Richtlinie 2000/78 geregelten Voraussetzungen für die objektive Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen des Alters unterschieden sich erheblich von den in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie geregelten Voraussetzungen für die objektive Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung, und im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen für eine objektive Rechtfertigung nicht gegeben.

18. Die Behörden des Vereinigten Königreichs widersprechen dieser Auffassung und tragen vor, die angefochtenen Bestimmungen der Verordnung würden von der Richtlinie 2000/78 nicht erfasst, stünden aber jedenfalls im Einklang mit Art. 6 der Richtlinie.

19. Vor diesem Hintergrund hat der High Court das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Bezüglich der Richtlinie 2000/78:

1. Soweit es um nationale Ruhestandsaltersgrenzen und den Geltungsbereich der Richtlinie geht:

(i) Erstreckt sich der Geltungsbereich der Richtlinie auf nationale Regelungen, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen?

(ii) Erstreckt sich der Geltungsbereich der Richtlinie auf nationale Regelungen, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, wenn diese Regelungen nach Erlass der Richtlinie eingeführt worden sind?

(iii) Waren in Anbetracht der Antworten auf die vorstehenden Fragen

(1) Section 109 und/oder Section 156 des Gesetzes von 1996 und/oder

(2) die Regulations 30 und 7 der Verordnung in Verbindung mit den Anhängen 8 und 6 der Verordnung

einzelstaatliche Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand im Sinne des 14. Erwägungsgrundes?

2. Soweit es um die Definition der unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen des Alters, insbesondere den Einwand der gerechtfertigten Ungleichbehandlung geht:

(iv) Erlaubt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 den Mitgliedstaaten den Erlass von Rechtsvorschriften, wonach eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstellt, wenn nachgewiesen ist, dass sie ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels darstellt, oder sind die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet, die derart gerechtfertigten Arten der Ungleichbehandlung durch eine Aufzählung oder sonstige Maßnahme zu definieren, die nach Form und Inhalt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie entspricht?

3. Soweit es um die Voraussetzungen für die Rechtfertigung unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung geht:

(v) Besteht ein erheblicher praktischer Unterschied zwischen den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 und den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierung aus Gründen des Alters nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, und worin besteht gegebenenfalls dieser Unterschied?

IV – Rechtliche Würdigung

A – Vorbemerkungen

20. Das Urteil im Ausgangsverfahren mag zwar – wie Age Concern England vorgetragen hat – für die Ruhestandsregelung im Vereinigten Königreich von großer Bedeutung und für eine Vielzahl von derzeit bei den nationalen Gerichten im Vereinigten Königreich anhängigen Rechtssachen über die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand entscheidungserheblich sein, jedoch ist der Problemkreis, um den es im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren eigentlich geht, relativ eng begrenzt.

21. Insbesondere hat es der High Court of Justice mit Bedacht vermieden, in seinem Vorlagebeschluss den Gerichtshof um eine Entscheidung darüber zu ersuchen, ob die Richtlinie 2000/78 nationalen Rechtsvorschriften der im Ausgangsverfahren streitigen Art entgegensteht, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen. Dementsprechend hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof keine näheren Informationen zur Verfügung gestellt, anhand deren sich beurteilen ließe, ob die Regelungen gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sein könnten; auch die mit den streitigen nationalen Regelungen möglicherweise verfolgten Ziele und die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen sind von den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens nicht im Einzelnen erörtert worden.

22. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission zutreffend bemerken, hat der High Court dem Gerichtshof vielmehr ganz konkrete Fragen vorgelegt, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung bestimmter, insbesondere von Age Concern England angesprochener Streitpunkte und eine eigene Beurteilung der Frage ermöglichen sollen, ob die Verordnung mit der Richtlinie 2000/78 vereinbar ist.

23. Deshalb zielt das vorlegende Gericht mit den Fragen (i), (ii) und (iii), die meines Erachtens zweckmäßigerweise zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen darauf ab, ob die in Rede stehenden Rechtsvorschriften vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst sind. Diese Frage lässt sich rasch anhand des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Palacios de la Villa(8) beantworten.

24. Die beiden verbleibenden Fragen sind eng miteinander verknüpft, da sie beide die Auslegung von Art. 6 der Richtlinie und die Vereinbarkeit von Rechtsvorschriften wie den im vorliegenden Fall streitigen mit diesem Artikel betreffen. Im Einzelnen möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 den Mitgliedstaaten vorschreibt, festzulegen, welche Arten von Ungleichbehandlung nach Art. 6 gerechtfertigt sein können. Zweitens stellt es die Frage nach den Voraussetzungen für die Rechtfertigung unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung aus Gründen des Alters.

25. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass der Gerichtshof, der aufgerufen ist, die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten, diesem Gericht Hinweise geben kann, die ihm die Entscheidung ermöglichen, soweit der Gerichtshof dazu auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen in der Lage ist.(9)

B – Nationale Ruhestandsaltersgrenzen und Geltungsbereich der Richtlinie (Fragen [i], [ii] und [iii])

26. Mit den Fragen (i), (ii) und (iii) möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob nationale Ruhestandsaltersregelungen wie die Verordnung, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallen.

1. Wesentliches Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

27. Im vorliegenden Verfahren haben Age Concern England, die Regierungen des Vereinigten Königreichs und Italiens sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der italienischen Regierung waren diese Verfahrensbeteiligten auch in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2008 vertreten.

28. Alle Verfahrensbeteiligten sind sich im Wesentlichen einig, dass sich dem Urteil Palacios de la Villa(10) zufolge der Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 auf nationale Ruhestandsaltersregelungen wie die Verordnung erstrecke. Die italienische Regierung fügt allerdings hinzu, dass Frage (iii), sollte sie als eine Frage nach der Auslegung einer Bestimmung des nationalen Rechts zu verstehen sein, für unzulässig erklärt werden müsse.

2. Würdigung

29. Die Richtlinie 2000/78 soll einen allgemeinen Rahmen schaffen, der gewährleistet, dass alle Personen „in Beschäftigung und Beruf“ gleichbehandelt werden, indem sie ihnen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem Art. 1 genannten Gründe – darunter auch das Alter – bietet.(11)

30. Der sachliche Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 ist in Art. 3 näher bestimmt. Insbesondere gilt die Richtlinie gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c im Rahmen der den Gemeinschaften übertragenen Zuständigkeiten „für alle Personen … in Bezug auf … die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“.

31. Hierzu ist zu beachten, dass nach dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78, der bei der Auslegung der Richtlinie zu beachten ist, diese nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand berührt.

32. Allerdings hat der Gerichtshof diesen Erwägungsgrund im Urteil Palacios de la Villa eng ausgelegt und ausgeführt, dass er „sich … auf die Klarstellung [beschränkt], dass die Richtlinie nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tangiert, das Alter für den Eintritt in den Ruhestand zu bestimmen“, und dass er „in keiner Weise der Anwendung der Richtlinie auf nationale Maßnahmen entgegen[steht], mit denen die Bedingungen geregelt werden, unter denen ein Arbeitsvertrag endet, wenn das auf diese Weise festgesetzte Ruhestandsalter erreicht wird“(12) .

33. Von dieser Prämisse ausgehend hat der Gerichtshof im Urteil Palacios de la Villa festgestellt, dass die in jenem Fall in Rede stehende Regelung, die die automatische Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, wenn dieser das 65. Lebensjahr vollendet hat, für gültig erklärte, die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien und – allgemeiner – die Berufsausübung des betroffenen Arbeitnehmers berührt, indem sie diesen daran hindert, zukünftig am Erwerbsleben teilzunehmen, und dass eine derartige Regelung daher so zu bewerten ist, dass mit ihr Vorschriften über die „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassung … und des Arbeitsentgelts“, im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 geschaffen werden.(13)

34. Die gleiche Argumentation gilt sicherlich auch für Rechtsvorschriften wie die im vorliegenden Fall streitigen, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, zu entlassen, wenn Entlassungsgrund der Eintritt in den Ruhestand ist.

35. Demzufolge sind die Fragen (i) bis (iii) dahin zu beantworten, dass die Richtlinie 2000/78 für nationale Regelungen wie die im Ausgangsverfahren streitigen gilt, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen.

C – Erfordernis einer besonderen Rechtfertigung (Frage[iv])

36. Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage (iv), bei der es eindeutig die in Regulation 3 der Verordnung enthaltene Definition der Diskriminierung aus Gründen des Alters im Sinne des nationalen Rechts vor Augen hat, im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 eine allgemeine Rechtfertigungsregelung für eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters zulässt, wie sie in Regulation 3 vorgesehen ist, oder ob die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 1 verpflichtet sind, die Arten der gerechtfertigten Ungleichbehandlung durch eine Aufzählung oder sonstige Maßnahme zu definieren, die nach Form und Inhalt Art. 6 Abs. 1 entspricht.

1. Wesentliches Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

37. Age Concern England hält Regulation 3 in dreifacher Hinsicht für bedenklich. Die Vorschrift unterscheide nicht zwischen der Rechtfertigung nach Art. 6 und der Rechtfertigung nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78, ihr lasse sich nicht entnehmen, welche Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters möglicherweise gerechtfertigt sein könnten, und schließlich sei in der Vorschrift nicht festgelegt, welche Ziele zur Rechtfertigung derartiger Ungleichbehandlungen geeignet seien.

38. Konkret zu Frage (iv) macht Age Concern England geltend, dass es sich bei dem in der Richtlinie 2000/78 geregelten Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters um eine besondere Ausgestaltung des Grundrechts auf Gleichbehandlung handele und dass alle Ausnahmen von diesem Grundsatz einer klaren Rechtfertigung bedürften. Im Übrigen könne eine unmittelbare Diskriminierung, die andernfalls ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sein könnte, nur in ganz außergewöhnlichen Fällen gerechtfertigt sein.

39. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sei dahin auszulegen, dass eine Rechtfertigung nur unter eng begrenzten Umständen zugelassen werden könne. Durch Aufnahme einer beispielhaften Aufzählung objektiver und angemessener Rechtfertigungsgründe in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie habe der Gemeinschaftsgesetzgeber die Mitgliedstaaten verpflichten wollen, in ihren Umsetzungsakten konkret die Ungleichbehandlungen aufzuzählen, die durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein könnten. Dies ergebe sich auch aus dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78. Die Richtlinie erlaube nämlich einem Mitgliedstaat gerade nicht den Erlass von Rechtsvorschriften, wonach jede beliebige (nicht konkret bezeichnete) Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstelle, sofern sie als angemessenes Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels betrachtet werde.

40. Allgemein weist das Vereinigte Königreich darauf hin, dass Age Concern England eine unzulässige Ausdehnung des Umfangs des Vorabentscheidungsersuchens anstrebe, das indessen durch die dem Gerichtshof vom High Court vorgelegten konkreten Fragen beschränkt sei. Die im Vereinigten Königreich geltende detaillierte Ruhestandsregelung und die vielschichtige und komplizierte Problematik ihrer Verhältnismäßigkeit und Rechtfertigung seien als solche nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Das Vereinigte Königreich bestreitet auch, dass der Rechtsweg ausgeschlossen sei, wie Age Concern England dies zu beanstanden scheine. Bei diesem Vorwurf werde die Verpflichtung aus Art. 9 der Richtlinie 2000/78, den Rechtsweg zur Durchsetzung der Rechte aus der Richtlinie zu gewährleisten, mit der Befugnis der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie verwechselt, bestimmte Differenzierungen nach Alter nicht als rechtswidrige Diskriminierung anzusehen.

41. In Bezug auf Frage (iv) wendet sich die Regierung des Vereinigten Königreichs gegen die von Age Concern England befürwortete Auslegung und trägt vor, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 nicht verpflichtet seien, die Arten von Ungleichbehandlung, die als angemessenes Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels im Sinne der genannten Vorschrift gerechtfertigt sein könnten, durch eine Aufzählung oder sonstige Maßnahme zu definieren, die nach Form und Inhalt Art. 6 Abs. 1 entspreche. Zur Begründung dieser Auffassung verweist die Regierung des Vereinigten Königreichs auf den Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 und des 25. Erwägungsgrundes der Richtlinie, das Urteil Palacios de la Villa des Gerichtshofs(14), die Entstehungsgeschichte der Richtlinie sowie auf den den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien gemäß Art. 249 EG zustehenden Ermessensspielraum. Bei der Formulierung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie sei sich der Gemeinschaftsgesetzgeber durchaus darüber im Klaren gewesen, dass es unrealistisch sei, im Voraus die Fallgestaltungen zu benennen, bei denen eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters gerechtfertigt sein könnte. Umso weniger könne eine solche Aufzählung von den Mitgliedstaaten verlangt werden.

42. Die italienische Regierung ist ebenfalls der Meinung, dass es aufgrund des den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien eingeräumten Spielraums unnötig sei, die Arten der gerechtfertigten Ungleichbehandlungen anhand einer konkreten Aufzählung festzulegen.

43. Die Kommission trägt vor, dass jeder Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters, das zu den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehöre, durch ein im allgemeinen bzw. sozialpolitischen Interesse liegendes Ziel gerechtfertigt werden müsse. Angesichts des 25. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2000/78 sei Art. 6 Abs. 1 als Vorschrift zu verstehen, die im Hinblick auf bestimmte sozialpolitische Erwägungen des jeweiligen Mitgliedstaats in begrenztem Maße eine Ausnahme von dem genannten Grundsatz zulasse. Art. 6 Abs. 1 erfordere daher den Erlass konkreter nationaler Maßnahmen, die die jeweiligen Verhältnisse und Zielsetzungen widerspiegeln. Regulation 30, wonach die Entlassung von Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten, rechtmäßig sei, „wenn die Entlassung wegen Versetzung in den Ruhestand erfolgt“, sei ein Beispiel für eine solche Maßnahme. Der Arbeitgeber verschaffe somit einer innerstaatlichen Politik im Einzelfall Geltung, die Politik selbst aber werde vom Mitgliedstaat und nicht vom Arbeitgeber bestimmt.

2. Würdigung

44. Da diese Frage die „gesetzgeberische Technik“ bei der Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 und nicht dessen sachlichen Geltungsbereich betrifft, scheint es zunächst angebracht, einige Grundsätze zum Umfang der den Mitgliedstaaten obliegenden Pflicht zur Umsetzung einer Richtlinie in Erinnerung zu rufen.

45. Einerseits ergibt sich allein schon aus dem Wortlaut von Art. 249 EG, wonach Richtlinien hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der Mittel und Wege zur Umsetzung einer Richtlinie grundsätzlich freie Hand haben. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus der den Mitgliedstaaten damit eingeräumten Flexibilität, dass die Umsetzung in das innerstaatliche Recht nicht unbedingt in jedem Mitgliedstaat ein Handeln des Gesetzgebers verlangt. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass eine förmliche Übernahme der Bestimmungen einer Richtlinie in eine ausdrückliche spezifische Rechtsvorschrift nicht immer erforderlich ist, da der Umsetzung einer Richtlinie je nach ihrem Inhalt durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan sein kann.(15)

46. Andererseits sind die Mitgliedstaaten, auch wenn sie hinsichtlich der Wahl der Mittel über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen, jedenfalls verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten.(16)

47. Aufgrund des Gebots, die vollständige Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, haben die Mitgliedstaaten zunächst einmal ihre eigenen Rechtsvorschriften gemeinschaftsrechtskonform zu gestalten und selbstverständlich den Erlass neuer Rechtsvorschriften zu unterlassen, die die vollständige Wirksamkeit einer Richtlinie beeinträchtigen könnten. Darüber hinaus kann vor allem für den Fall, dass die fragliche Vorschrift der Richtlinie dem Einzelnen Rechte verleihen soll, der Erlass von Regelungen erforderlich sein, um eine Rechtslage zu schaffen, die hinreichend bestimmt und klar ist, um die Begünstigten in die Lage zu versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.(17)

48. Insoweit ist Zweck der Richtlinie 2000/78, wie sich aus ihrem Art. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. c ergibt, für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen der in Art. 1 genannten Gründe, zu denen auch Diskriminierung aus Gründen des Alters gehört, zu gewähren.(18)

49. Die Richtlinie strebt somit einen wirksamen Schutz des Einzelnen, insbesondere in (horizontalen) Rechtsbeziehungen zu anderen Einzelnen etwa im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, vor Diskriminierung u. a. aus Gründen des Alters an. Aus den Art. 9 und 10 und den Erwägungsgründen 29 und 31 der Richtlinie ergibt sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, entsprechenden angemessenen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen und für den Fall, dass ein glaubhafter Anschein einer Diskriminierung besteht, eine Verlagerung der Beweislast vom Klage führenden Opfer auf den Beklagten vorzusehen.

50. In Anbetracht des erheblichen Schutzes, der also dem Einzelnen mit der Richtlinie 2000/78 gegen die nach der Richtlinie verbotenen Formen der Diskriminierung geboten werden soll, lässt sich eine vollständige Durchführung der Richtlinie wohl nicht allein dadurch erreichen, dass dafür gesorgt wird, dass die von ihrem Geltungsbereich erfassten nationalen Rechtsvorschriften auch tatsächlich dem aus der Richtlinie fließenden Gebot der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf entsprechen.

51. Um den Einzelnen in die Lage zu versetzen, im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 sein Recht auf Gleichbehandlung und insbesondere sein Recht, nicht aus Gründen des Alters diskriminiert zu werden, wirksam geltend zu machen, sind die Mitgliedstaaten meines Erachtens vielmehr darüber hinaus auch noch verpflichtet, in ihrem innerstaatlichen Recht für den Bereich Beschäftigung und Beruf Regelungen zu treffen, in denen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters, wie es insbesondere in Art. 1 in Verbindung mit den Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 niedergelegt ist, ausdrücklich und mit hinreichender Klarheit normiert ist. Meiner Meinung nach erfüllt Regulation 3 der Verordnung grundsätzlich diese Voraussetzungen, da sie eine Definition der Diskriminierung aus Gründen des Alters im Sinne des nationalen Rechts enthält.

52. Anders als offenbar Age Concern England bin ich jedoch nicht der Auffassung, dass die Umsetzung der Richtlinie 2000/78 und insbesondere ihres Art. 6 Abs. 1 in das nationale Recht schon deshalb nicht bestimmt oder speziell genug ist, weil in den betreffenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Arten von Ungleichbehandlung, die nach Art. 6 Abs. 1 gerechtfertigt sein könnten, nicht eigens aufgeführt sind.

53. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs hervorhebt, führt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 lediglich mehrere Beispiele für Ungleichbehandlungen zur Verdeutlichung der in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Arten von Ungleichbehandlung auf, d. h. derjenigen Ungleichbehandlungen, die objektiv, angemessen sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und demzufolge mit den Erfordernissen der Richtlinie vereinbar sind(19) .

54. Daraus kann nicht gefolgert werden, dass die Mitgliedstaaten in ihren Umsetzungsakten einen konkreten Katalog der durch ein legitimes Ziel möglicherweise gerechtfertigten Ungleichbehandlungen aufzustellen haben. Angesichts der Vielfalt der Situationen, in denen es zu einer solchen Ungleichbehandlung kommen könnte, wäre es wohl auch unmöglich, einen solchen Katalog im Voraus aufzustellen, ohne dabei den Umfang der in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Rechtfertigungsmöglichkeiten ungebührlich einzuschränken.

55. Schließlich ist auch noch zu beachten, dass Regulation 3 den Umfang des innerstaatlichen Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters in Beschäftigung und Beruf nicht isoliert von anderen, konkreteren Vorschriften festlegt, die bestimmte Situationen und Aspekte regeln, wie etwa Regulation 30 die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand.

56. Ich komme zu dem Ergebnis, dass Regulation 3 nicht schon deshalb gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 verstößt, weil sie keine konkrete Aufzählung der zulässigen Formen der Behandlung enthält.

57. Ich schlage daher vor, die Frage (iv) in dem Sinne zu beantworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 den Mitgliedstaaten den Erlass von Rechtsvorschriften erlaubt, wonach eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstellt, wenn sie als verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels im Sinne von Art. 6 Abs. 1 bestimmt ist. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, die nach Art. 6 Abs. 1 gerechtfertigten Arten der Ungleichbehandlung durch eine Aufzählung oder sonstige Maßnahme zu definieren, die nach Form und Inhalt Art. 6 Abs. 1 entspricht.

D – Voraussetzungen für die Rechtfertigung unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung

58. Mit der Frage (v) ersucht das vorlegende Gericht um Aufschluss darüber, wie zu beurteilen ist, ob die Regulations 7(4), 7(5) und 30 der Verordnung, soweit sie den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sind. Zu diesem Zweck möchte das vorlegende Gericht wissen, ob zwischen den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach Art. 2 Abs. 2 und den Voraussetzungen für eine solche nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie ein praktischer Unterschied besteht.

1. Wesentliches Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

59. Age Concern England weist auf den Ausnahmecharakter von Art. 6 der Richtlinie 2000/78 und das daraus folgende Gebot einer engen Auslegung dieser Vorschrift hin. Age Concern England stützt sich insoweit auf das Ziel und auf den Wortlaut von Art. 6 und des 25. Erwägungsgrundes sowie auf die Materialien der Richtlinie 2000/78.

60. Art. 6 Abs. 1 beschränke Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot auf Maßnahmen, die sowohl „objektiv“ als auch „angemessen“ seien. Diese zweifache Voraussetzung sei im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht einmalig und knüpfe unmittelbar an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts bzw. der Rasse an. Da entsprechend dem Urteil Mangold(20) das Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen sei, müsse jede Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen des Alters einer äußerst strengen Prüfung unterzogen werden.

61. Daher besteht nach Auffassung von Age Concern England zwischen den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie und den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierung nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie eindeutig ein Unterschied.

62. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sei daher so zu verstehen, dass ein Beklagter eine weniger günstige Behandlung aus Gründen des Alters nur rechtfertigen könne, wenn er nachweise, dass die Ungleichbehandlung sowohl objektiv als auch angemessen sei. Die Verwendung dieser Begriffe zeige, dass derartige Rechtfertigungen nur aus gewichtigen Gründen und unter ganz außergewöhnlichen und begrenzten Umständen der in Art. 6 der Richtlinie 2000/78 genannten Art oder unter bestimmten entsprechenden Umständen zugelassen werden könnten.

63. Demgegenüber vertritt die Regierung des Vereinigten Königreichs unter Berufung auf Sinn und Zweck der Richtlinie 2000/78, auf ihre Entstehungsgeschichte und auf das Urteil Palacios de la Villa(21) die Auffassung, dass zwischen den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie und den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierung aus Gründen des Alters nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie kein praktischer Unterschied bestehe. Age Concern England messe dem Begriff „angemessen“ in Verbindung mit dem Begriff „objektiv“ übergroße Bedeutung zu. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie regele auch Fälle mittelbarer Diskriminierung, z. B. Mindestanforderungen an das Dienstalter oder an die Berufserfahrung für den Zugang zur Beschäftigung (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie). Sowohl nach dem Gemeinschaftsrecht als auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention könnten einer Diskriminierungsklage stets objektive und verhältnismäßige Rechtfertigungsgründe entgegengehalten werden.

64. Nach Auffassung der italienischen Regierung unterscheiden sich die Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 insofern, als Art. 6 Abs. 1 Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters in einem weiteren Umfang zulasse als Art. 2 der Richtlinie.

65. Die Kommission pflichtet der Regierung des Vereinigten Königreichs bei, dass die unterschiedlichen Formulierungen in Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ohne Belang seien. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Artikeln betreffe vielmehr die Frage, wer die Beweislast für die Rechtfertigung trage, welcher Art die Rechtfertigung sein müsse und wie der Nachweis zu erbringen sei. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ausgeführt, sie betrachte Art. 6 Abs. 1 als eine Art lex specialis zu Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie, in der die einzig zulässigen Rechtfertigungsgründe für eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen des Alters aufgeführt seien.

66. Wie es in Art. 6 Abs. 1 ausdrücklich heiße, habe der Mitgliedstaat seine Politik „im Rahmen des nationalen Rechts“ zu rechtfertigen. Aus dem Urteil Palacios de la Villa(22) ergebe sich ferner, dass das angestrebte Ziel einer bestimmten gesetzgeberischen Maßnahme entweder unmittelbar aus ihrem Wortlaut oder aus ihrem allgemeinen Kontext, beispielsweise aus amtlichen Unterlagen, erkennbar sein müsse. Im Mittelpunkt von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie stehe hingegen die Frage, ob der einzelne Arbeitgeber seine Beschäftigungspraktiken rechtfertigen könne.

67. Unter Bezugnahme auf die vom Department of Trade and Industry (Ministerium für Handel und Industrie) herausgegebenen Erläuterungen stellt die Kommission fest, dass die mit der Verordnung angestrebten sozialpolitischen Ziele in der „Arbeitskräfteplanung“ und in der Vermeidung negativer Auswirkungen auf Renten und andere arbeitsbezogene Leistungen bestünden, Zielen also, die zu der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Kategorie legitimer Ziele gehörten. Darüber hinaus verweist die Kommission auf eine Reihe von Gesichtspunkten und Kriterien, die das vorlegende Gericht bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der streitigen Regelung berücksichtigen könne (also der Frage, ob sie angemessen und erforderlich sei).

2. Würdigung

68. In einer perfekten Welt würde jedermann individuell unter Berücksichtigung seiner konkreten Verhältnisse beurteilt, würde jedermann gleichbehandelt, soweit er gleich ist, und anders behandelt, soweit er anders ist. In einer perfekten Welt würde jedermann so behandelt, wie es ihm zukommt, und der Gerechtigkeit wäre Genüge getan.

69. Leider ist eine solche perfekte Gerechtigkeit durch die Gesetze dieser Welt nicht zu erreichen. Als „Regel“ muss das Recht zwangsläufig allgemein sein; es kann sich deshalb der Realität nur abstrakt nähern, und seine Anwendung auf den Einzelfall muss den Gerichten, Verwaltungen und Einzelnen überlassen bleiben, die dann im Idealfall die allgemeinen Vorschriften in individuelle Gerechtigkeit „übersetzen“.

70. Das Recht generalisiert und kategorisiert also; es ordnet einzelne Personen und einzelne Situationen nach Arten, Kategorien, Merkmalen und Klassen; es differenziert nach bestimmten Kriterien.(23) Im Laufe der Zeit hat die Rechtsordnung jedoch einige Klassifizierungen als inakzeptabel und als ihren Wertvorstellungen zuwiderlaufend erkannt. Wie Art. 13 EG benennt Art. 1 der Richtlinie 2000/78 Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung als Kriterien, auf die im Bereich des Rechts grundsätzlich keine Ungleichbehandlung gestützt werden darf, es sei denn, sie ist objektiv gerechtfertigt.

71. Klassifizierungen oder Ungleichbehandlungen, die unmittelbar oder mittelbar auf diesen Kriterien beruhen, sind daher grundsätzlich „suspekt“ und können eine rechtswidrige Diskriminierung darstellen, obwohl dies angesichts der in Art. 2 der Richtlinie vorgesehenen Rechtfertigungsmöglichkeiten nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Es kommt immer darauf an – insbesondere bei Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters.

72. Gerade im Hinblick auf das Kriterium des Alters hat der Gemeinschaftsgesetzgeber im 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 hervorgehoben, dass „unbedingt zu unterscheiden [ist] zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist“.

73. Auch unter den in Art. 1 der Richtlinie aufgezählten Gründen nimmt das Kriterium des Alters insofern eine Sonderstellung ein, als Art. 6 Abs. 1 einen speziellen Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters vorsieht – vorausgesetzt, sie stellen keine nach Art. 2 verbotene Diskriminierung dar –, „sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“.

74. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, kommt in dieser besonders nuancierten Regelung der Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters ein sachlicher Unterschied zwischen dem Kriterium des Alters und den anderen in Art. 2 der Richtlinie genannten Gründen zum Ausdruck.(24) Alter ist nicht von Natur aus ein „suspekter Grund“, zumindest nicht so suspekt wie z. B. das Kriterium Rasse oder Geschlecht. Ganz im Gegenteil sind altersabhängige Differenzierungen, Altersgrenzen und altersbezogene Maßnahmen als grundsätzlich einfach zu handhabende, klare und transparente Regelungen im Recht – insbesondere im Sozial- und Arbeitsrecht – weit verbreitet. Andererseits ist Alter ein sehr fließendes Kriterium. Für die Beurteilung, ob eine Ungleichbehandlung eine Diskriminierung aus Gründen des Alters darstellt, mag es nicht nur darauf ankommen, ob sie unmittelbar oder mittelbar auf dem Kriterium des Alters beruht, sondern auch darauf, an welches Alter sie anknüpft. Im Vergleich etwa mit einer Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts kann es daher sehr viel schwerer zu entscheiden sein, ob noch eine zu rechtfertigende Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters vorliegt oder bereits eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung. Soweit schließlich Altersgrenzen wie die in der Verordnung vorgesehenen Ruhestandsaltersgrenzen eine unmittelbar auf dem Kriterium des Alters beruhende Differenzierung beinhalten, sind diese automatisch unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Diskriminierung im Sinne der Definition in Art. 2 der Richtlinie 2000/78 zu prüfen.

75. Art. 6 Abs. 1 will den besonderen Merkmalen und Schwierigkeiten der Diskriminierung aus Gründen des Alters durch eine spezielle und zusätzliche Rechtfertigungsmöglichkeit Rechnung tragen. Ganz offensichtlich sollen die Mitgliedstaaten altersbezogene Beschäftigungspraktiken bzw. Altersgrenzen beibehalten oder festlegen können, sofern sie durch ein legitimes beschäftigungs- oder sozialpolitisches Ziel gerechtfertigt sind. Deshalb sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 auch eine Rechtfertigung unmittelbar aus Gründen des Alters erfolgender Ungleichbehandlungen vor, was bei allen anderen Formen der gemäß der Richtlinie verbotenen Diskriminierung nicht der Fall ist.(25)

76. Entgegen der offenbar von Age Concern England vertretenen Auffassung sind daher die Mö glichkeiten, die die Richtlinie zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters zulässt, umfassender als diejenigen bei den anderen in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründen. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Diskriminierung aus Gründen des Alters einen niedrigeren Rang in einer hypothetischen „Hierarchie“ der in der Richtlinie aufgezählten Diskriminierungsgründe einnähme. Vielmehr lassen sich daran die sachlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Gründen und ihrer Funktion als rechtliche Kriterien ablesen. Es geht nicht um Stellenwert oder Bedeutung, sondern darum, wie der Umfang des Diskriminierungsverbots sachgerecht abgegrenzt werden kann.

77. Speziell bei nationalen Rechtsvorschriften wie den streitigen, die es den Arbeitgebern erlauben, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, ist davon auszugehen, dass mit einer solchen Regelung eine Ungleichbehandlung geschaffen wird, die unmittelbar auf dem Alter beruht und daher potenziell eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellt.

78. Eine etwaige Rechtfertigung ist daher ausschließlich anhand von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zu prüfen. Hierzu enthält das Urteil Palacios de la Villa, in dem es ebenfalls um eine Regelung über die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand ging (allerdings mit gewissen Abweichungen), zu mehreren Punkten Hinweise, die auch für den vorliegenden Fall relevant sind.

79. In Bezug auf die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 stimme ich der Kommission und der Regierung des Vereinigten Königreichs zu, dass für den Prüfungsmaßstab, der auf unter Art. 6 Abs. 1 fallende nationale Maßnahmen anzuwenden ist, der Umstand, dass zusätzlich zu dem Begriff „objektiv“ auch noch der Begriff „angemessen“ verwendet wird, keine Rolle spielt. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass der Gerichtshof bei der Beurteilung einer Rechtfertigung nationaler Maßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie „Angemessenheit“ als solche nicht zu einem besonderen Maßstab erhebt. Der Gerichtshof verwendet das Begriffspaar „objektiv und angemessen“ offenbar eher zur Bezeichnung der Legitimität des mit der fraglichen nationalen Maßnahme verfolgten Ziels.(26) Im Übrigen hat Age Concern England den Begriff „angemessen“ nicht in einer Weise zu definieren vermocht, die ihn unter dem Gesichtspunkt des anzuwendenden Prüfungsmaßstabs vom Begriff „objektiv“ unterscheidet.

80. Außerdem hat der Gerichtshof im Urteil Palacios de la Villa entschieden, dass in einer streitigen nationalen Maßnahme ein legitimes Ziel der in Art. 6 Abs. 1 genannten Art nicht unbedingt ausdrücklich angegeben sein muss, um nach dieser Vorschrift gerechtfertigt sein zu können; es reicht aus, dass „andere – aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete – Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können“.(27)

81. In der Tat sollte eingedenk des alten juristischen Lehrsatzes lex imperat, non docet die Möglichkeit einer Rechtfertigung einer Bestimmung nicht davon abhängig gemacht werden, ob ihre Zielsetzung ausdrücklich angegeben wird.

82. Meines Erachtens setzt eine solche Möglichkeit auch voraus, dass überhaupt irgendwelche Rechtsvorschriften existieren, und ich stimme der Kommission ebenfalls darin zu, dass sich dies wohl aus dem 25. Erwägungsgrund („besondere Bestimmungen“) und dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie selbst ergibt. Letzterer zielt vor allem auf nationale Maßnahmen ab, die auf sozial- und beschäftigungspolitischen Entschlüssen beruhen, nicht jedoch auf die individuellen Entscheidungen der Arbeitgeber.(28) Die Rechtfertigung von Maßnahmen, die Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters vorsehen, muss daher auf Ebene des Mitgliedstaats „im Rahmen des nationalen Rechts“ geprüft werden.

83. Damit ist meiner Meinung nach jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch eine nationale Regelung gerechtfertigt sein kann, die Behörden oder sogar einzelnen Personen eine Ermessensbefugnis oder einen gewissen Spielraum gewährt. Zu beachten ist lediglich, dass die Frage, die in einem Fall wie dem vorliegenden hinsichtlich einer Bestimmung wie Regulation 30 im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zu stellen ist, nicht lautet, ob die individuelle Entscheidung eines Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer zwangsweise in den Ruhestand zu versetzen, gerechtfertigt ist, sondern, ob die Bestimmung, die einem Arbeitgeber erlaubt, dies zu tun, wenn der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet hat, durch ein legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 gerechtfertigt ist.(29)

84. Wird ein solches legitimes Ziel festgestellt, verlangt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sodann, dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels „angemessen und erforderlich“ sind.

85. In diesem Zusammenhang verweist der Gerichtshof im Urteil Palacios de la Villa auf die ständige Rechtsprechung, der zufolge „die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die Sozialpartner auf nationaler Ebene … nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Ermessensspielraum verfügen“(30) .

86. Darüber hinaus spricht der Gerichtshof die verschiedenen, komplexen Faktoren an, die die betreffenden nationalen Behörden in ihre Überlegungen zu Ruhestandsregelungen einbeziehen könnten, und kommt zu dem Ergebnis, dass es somit Sache der zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten sei, einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen widerstreitenden Interessen zu finden, vorausgesetzt, die Verhältnismäßigkeit werde gewahrt.(31)

87. Daraus ergibt sich wohl, dass die Mitgliedstaaten über ein relativ weites Ermessen bei der Festlegung der Mittel zur Erreichung des verfolgten legitimen sozial- und beschäftigungspolitischen Ziels verfügen, was sich möglicherweise auch in der Formulierung der Antwort niederschlägt, die der Gerichtshof im damaligen Fall gegeben hat, nämlich dass eine solche Regelung zulässig ist, sofern „die Mittel, die zur Erreichung dieses im Allgemeininteresse liegenden Ziels eingesetzt werden, nicht als dafür unangemessen und nicht erforderlich erscheinen“(32) .

88. Nach alldem schlage ich daher vor, Frage (v) in dem Sinne zu beantworten, dass eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die es den Arbeitgebern erlaubt, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, grundsätzlich nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, das in Beziehung zur Beschäftigungspolitik und zum Arbeitsmarkt steht, gerechtfertigt ist und die Mittel, die zur Erreichung dieses im Allgemeininteresse liegenden Ziels eingesetzt werden, nicht als dafür unangemessen und nicht erforderlich erscheinen.

V – Ergebnis

89. Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

– Die Richtlinie 2000/78 ist auf eine nationale Regelung wie die Verordnung anwendbar, die es den Arbeitgebern erlaubt, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen.

– Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 erlaubt den Mitgliedstaaten den Erlass von Rechtsvorschriften, wonach eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstellt, wenn sie als verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels im Sinne von Art. 6 Abs. 1 bestimmt ist. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, die nach Art. 6 Abs. 1 gerechtfertigten Arten von Ungleichbehandlung durch eine Aufzählung oder sonstige Maßnahme zu definieren, die nach Form und Inhalt Art. 6 Abs. 1 entspricht.

– Eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die es den Arbeitgebern erlaubt, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wegen Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, kann grundsätzlich nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, das in Beziehung zur Beschäftigungspolitik und zum Arbeitsmarkt steht, gerechtfertigt ist und die Mittel, die zur Erreichung dieses im Allgemeininteresse liegenden Ziels eingesetzt werden, nicht als dafür unangemessen und nicht erforderlich erscheinen.

(1) .

(2)  – Eingegangen in der Kanzlei des Gerichtshofs am 20. August 2007 (Eingang der Faxkopie in der Kanzlei des Gerichtshofs am 9. August 2007).

(3)  – ABl. L 303, S. 16.

(4)  – Urteil vom 22. November 2005 (C-144/04, Slg. 2005, I-9981).

(5)  – Urteil vom 11. September 2007 (C‑227/04 P, Slg. 2007, I‑6767), wenngleich der Gerichtshof seine Entscheidung letztlich allein auf der Grundlage einer Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts traf. Vgl. jedoch die von Generalanwalt Jacobs erstellten ersten Schlussanträge vom 27. Oktober 2005 sowie die zweiten Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston vom 30. November 2006 nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

(6)  – Urteil vom 16. Oktober 2007 (C‑411/05, Slg. 2007, I‑8531).

(7)  – Rechtssache C‑427/06, beim Gerichtshof anhängig.

(8)  – In Fn. 6 angeführt.

(9) – Vgl. z  B. in diesem Sinne Urteile vom 9. Februar 1999, Seymour-Smith und Perez (C-167/97, Slg. 1999, I-623, Randnr. 68), und vom 7. März 1996, Freers und Speckmann (C-278/93, Slg. 1996, I-1165, Randnr. 24).

(10)  – In Fn. 6 angeführt.

(11)  – Vgl. Urteil Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnr. 42.

(12)  – In Fn. 6 angeführt, Randnr. 44.

(13)  – Vgl. Urteil Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnrn. 45 bis 47.

(14)  – In Fn. 6 angeführt, Randnrn. 51 bis 55.

(15) – Vgl. z. B. Urteile vom 26. Juni 2003, Kommission/Frankreich (C-233/00, Slg. 2003, I-6625, Randnr. 76), und vom 15. November 2001, Kommission/Italien (C-49/00, Slg. 2001, I-8575, Randnr. 21).

(16) – Vgl. z. B. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 2006, Kommission/Irland (C-216/05, Slg. 2006, I-10787, Randnr. 26), und vom 25. Juli 1991, Emmott (C-208/90, Slg. 1991, I-4269, Randnr. 18).

(17) – Vgl. z. B. in diesem Sinne Urteile Kommission/Frankreich, in Fn. 15 angeführt, Randnr. 76, und vom 18. Januar 2001, Kommission/Italien (C-162/99, Slg. 2001, I-541, Randnr. 22).

(18) – Vgl. oben, Nrn. 28 f.

(19) – Vgl. in diesem Sinne Urteil Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnr. 52.

(20)  – In Fn. 4 angeführt.

(21)  – In Fn. 6 angeführt, Randnrn. 60 bis 65.

(22)  – In Fn. 6 angeführt, Randnr. 57.

(23) – Wenn das Recht zu großen Spielraum für Einzelentscheidungen lässt, wird seine ureigene Funktion ausgehöhlt, nämlich Rechtssicherheit und ganz allgemein das „Rechtsstaatsprinzip“ zu gewährleisten; wird bei der Rechtsanwendung andererseits zu wenig Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse genommen, kann dies zu inakzeptabler Ungerechtigkeit führen: summum ius, summa iniuria …

(24) – Vgl. in diesem Sinne z. B. meine Schlussanträge in der Rechtssache Palacios de la Villa (Urteil in Fn. 6 angeführt, Nrn. 61 bis 63), sowie die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Lindorfer (Urteil in Fn. 5 angeführt, Nrn. 83 f.).

(25) – In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich – wie Age Concern England in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat – unter den in Art. 6 Abs. 1 angeführten Beispielen potenziell gerechtfertigter Ungleichbehandlungen auch Fälle befinden, bei denen von einer mittelbaren anstatt einer unmittelbaren Diskriminierung auszugehen ist, z. B. in den Fällen des Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie. Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 unterscheiden sich daher nicht dadurch, dass es in der einen Vorschrift um mittelbare und in der anderen Vorschrift um unmittelbare Diskriminierung ginge.

(26) – Vgl. Urteile Mangold, in Fn. 4 angeführt, Randnrn. 59 f., und Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnrn. 64 bis 66.

(27) – In Fn. 6 angeführt, Randnrn. 54 bis 57.

(28) – Vgl. in diesem Sinne auch die Bezugnahme des Gerichtshofs auf „die Entscheidung, … zu der sich die betreffenden nationalen Stellen … veranlasst sehen können“, im Urteil Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnr. 69.

(29) – Meiner Meinung nach ist eine gewisse Konfusion und ein Mangel an Präzision im vorliegenden Fall genau darauf zurückzuführen, dass diese Unterscheidung nicht getroffen wurde.

(30) – In Fn. 6 angeführt, Randnr. 68 mit Verweis auf das Urteil Mangold, in Fn. 4 angeführt, Randnr. 63.

(31) – Urteil Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnrn. 68 bis 71.

(32) – Vgl. Urteil Palacios de la Villa, in Fn. 6 angeführt, Randnr. 77; vgl. auch in diesem Sinne expliziter meine Schlussanträge in dieser Rechtssache, Nr. 74.