Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

I – Einleitung

1. Manchmal entwickelt der Mensch mit großem Aufwand Kategorien, die nur in der Welt der Ideen Bestand haben. Wenn sich aber die Begriffssysteme festsetzen und ein Eigenleben für sich in Anspruch nehmen, entsteht die Gefahr, dass Diskussionen ausgelöst werden, die zu nichts führen. Dieses Ergebnis ist besonders dramatisch, wenn sich derartige Kategorien überaus stark praktisch auswirken, wie es im Recht der Fall ist.

2. In der vorliegenden Rechtssache stellt sich der österreichische Verwaltungsgerichtshof eine Frage, die sich als solche nicht zutreffend beantworten lässt. Deshalb ist der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aufgerufen, die zutreffendste Lösung zu finden, mag sie auch nicht die einzig denkbare sein; es geht um eine Sozialleistung, für deren Einordnung nach der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971(2) zwei alternative Möglichkeiten in Betracht kommen, die beide überzeugend erscheinen; das Dilemma besteht jedoch nicht in der speziellen Typisierung, sondern in dem Ziel, das das Gemeinschaftsrecht verfolgt und das eng mit der Schaffung einer Unionsbürgerschaft verbunden ist, deren Inhalt in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt wurde.

3. Wie Prinz Hamlet, der erste Existenzialist der Moderne, erkennt, ist der Unterschied zwischen Sein und Nichtsein bloße Einbildung.(3) Infolgedessen ist ein äußerst akribisches Vorgehen erforderlich, um einen Vorschlag zu erarbeiten, der richtig und rechtmäßig ist.

II – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

4. Jörn Petersen, ein europäischer Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit, verbrachte sein Erwerbsleben als Arbeitnehmer in Österreich, wo er wohnte. Im April 2000 stellte er bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension, der abgewiesen wurde, wogegen er die Gerichte anrief. Während das gerichtliche Verfahren lief, wurde ihm vom Arbeitsmarktservice nach § 23 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (im Folgenden: AlVG) vorschussweise Arbeitslosengeld gewährt. Mit dieser Leistung will das österreichische Recht denjenigen, die eine Berufsunfähigkeitspension beantragt haben, ein Mindesteinkommen für die Dauer des Verfahrens gewährleisten.

5. Nachdem ihm die Vorschussleistung bewilligt worden war, teilte Herr Petersen den österreichischen Behörden seine Absicht mit, in die Bundesrepublik Deutschland umzuziehen, wobei er hoffte, dass dies nicht zu einem Ruhen oder einer Änderung der Leistung führen werde. Doch am 28. Oktober 2003 entzog ihm die Verwaltung die Leistung unter Hinweis auf den Wohnortwechsel. Gegen diese Entscheidung rief Herr Petersen erneut die Gerichte an und leitete damit ein Verfahren ein, das zur Stellung der hier in Rede stehenden Vorlagefragen führte.

III – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

6. In der vom österreichischen Gericht vorgelegten Rechtssache wird einem Arbeitnehmer, der seinen Wohnort in einen anderen Mitgliedstaat – nämlich nach Deutschland – verlegt hat, eine Sozialleistung entzogen, die er in Österreich, wo er sein Arbeitsleben verbrachte, erhalten hat. Aus diesem Grund betrifft das Vorabentscheidungsersuchen den freien Personenverkehr und, noch spezieller, die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Deshalb ist es angebracht, zunächst die einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags wiederzugeben:

„Artikel 17

(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht.

(2) Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten.“

„Artikel 18

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

…“

„Artikel 39

(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht,

a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;

b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;

d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.

…“

„Artikel 42

Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führt er insbesondere ein System ein, welches aus- und einwandernden Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert:

a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen.

…“

7. Die Bestimmungen des Sekundärrechts, auf die Art. 42 EG verweist, finden sich in erster Linie in der Verordnung Nr. 1408/71(4), deren Art. 4, 10 und 69 in der vorliegenden Rechtssache von besonderer Bedeutung sind:

„Artikel 4

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

b) Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind,

e) Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten,

g) Leistungen bei Arbeitslosigkeit

…“

„Artikel 10

(1) Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

…“

„Artikel 69

(1) Ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erfüllt und sich in einen oder mehrere anderen Mitgliedstaaten begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen, behält den Anspruch auf diese Leistungen unter folgenden Voraussetzungen und innerhalb der folgenden Grenzen:

a) Der Arbeitslose muss vor seiner Abreise während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben. Die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger kann jedoch seine Abreise vor Ablauf dieser Frist genehmigen;

b) der Arbeitslose muss sich bei der Arbeitsverwaltung jedes Mitgliedstaats, in den er sich begibt, als Arbeitsuchender melden und sich der dortigen Kontrolle unterwerfen. Für den Zeitraum vor der Anmeldung gilt diese Bedingung als erfüllt, wenn die Anmeldung innerhalb von sieben Tagen nach dem Zeitpunkt erfolgt, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand. In außergewöhnlichen Fällen kann diese Frist von der zuständigen Arbeitsverwaltung oder dem zuständigen Träger verlängert werden;

c) der Leistungsanspruch wird während höchstens drei Monaten von dem Zeitpunkt an aufrechterhalten, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand; dabei darf die Gesamtdauer der Leistungsgewährung den Zeitraum nicht überschreiten, für den nach den Rechtsvorschriften dieses Staates Anspruch auf Leistungen besteht. Bei einem Saisonarbeiter ist die Dauer der Leistungsgewährung außerdem durch den Ablauf der Saison begrenzt, für die er eingestellt worden ist.

…“

B – Nationales Recht

8. Die im vorliegenden Verfahren streitige Leistung ist im AlVG, speziell in dessen §§ 7, 16 und 23, geregelt.

„§ 7

(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer

1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,

2. die Anwartschaft erfüllt und

3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

(4) Von der Voraussetzung der Arbeitsfähigkeit ist bei Arbeitslosen abzusehen, denen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gewährt wurden, die das Ziel dieser Maßnahmen (§ 300 Abs. 1 und 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes) erreicht und die erforderliche Anwartschaft nach dieser Maßnahme zurückgelegt haben.

…“

„§ 16

(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht während

g) des Aufenthaltes im Ausland, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind,

(3) Auf Antrag des Arbeitslosen ist das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen [von] berücksichtigungswürdigen Umständen nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches … nachzusehen. Berücksicht[ig]ungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.

…“

„§ 23

(1) Arbeitslosen, die die Zuerkennung

1. einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit oder eines Übergangsgeldes aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung oder

2. einer Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz oder eines Sonderruhegeldes nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz

beantragt haben, kann bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf diese Leistungen vorschussweise Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gewährt werden.

(2) Für die vorschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ist erforderlich, dass

1. abgesehen von der Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1, die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Leistungen vorliegen,

2. im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung zu rechnen ist und

3. im Falle des Abs. 1 Z 2 überdies eine Bestätigung des Pensionsversicherungsträgers vorliegt, dass voraussichtlich eine Leistungspflicht dem Grunde nach binnen zwei Monaten nach dem Stichtag für die Pension nicht festgestellt werden kann.

(4) Der Vorschuss ist in der Höhe des gebührenden Arbeitslosengeldes (der gebührenden Notstandshilfe) bis zur Obergrenze eines Dreißigstels der durchschnittlichen Höhe der Leistungen einschließlich der Kinderzuschüsse nach Abs. 1 Z 1 bzw. nach Abs. 1 Z 2 zu gewähren. Sofern der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Grund einer schriftlichen Mitteilung des Sozialversicherungsträgers bekannt ist, dass die zu erwartende Leistung niedriger sein wird, ist die Vorschussleistung entsprechend zu vermindern. Der Vorschuss ist im Falle des Abs. 1 Z 2 rückwirkend ab dem Stichtag für die Pension zu gewähren, sofern der Pensionswerber den Antrag binnen 14 Tagen nach Ausstellung der Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 3 gestellt hat.

(5) Hat eine regionale Geschäftsstelle einen Vorschuss nach Abs. 1 oder Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gewährt, so geht ein Anspruch des Arbeitslosen auf eine Leistung gemäß Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1 Z 2 für denselben Zeitraum auf den Bund zugunsten der Gebarung Arbeitsmarktpolitik in der Höhe der von der regionalen Geschäftsstelle gewährten Leistung, mit Ausnahme der Krankenversicherungsbeiträge, über, sobald die regionale Geschäftsstelle beim Träger der Sozialversicherung den Übergang des Anspruches geltend macht (Legalzession). Der Übergang des Anspruches wird nur bis zur Höhe der nachzuzahlenden Beträge wirksam und i st vorrangig zu befriedigen.

(6) Die Krankenversicherungsbeiträge, die aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung (§ 42 Abs. 3) für den im Abs. 5 bezeichneten Zeitraum geleistet wurden, sind von den Trägem der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger zu erstatten, und zwar mit dem nach § 73 Abs. 2 [des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes] festgelegten Prozentsatz von jenen Beträgen, die von den Pensionsversicherungsträgern gemäß Abs. 5 rückerstattet wurden.

(7) Wird eine Pension gemäß Abs. 1 nicht zuerkannt, so gilt der Vorschuss in der geleisteten Dauer und Höhe als Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe, d. h. dass insbesondere keine allfällige Differenznachzahlung erfolgt und die Bezugsdauer gemäß § 18 verkürzt wird.“

IV – Die Vorlagefragen und das Verfahren vor dem Gerichtshof

9. Vor diesem Hintergrund hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof am 25. April 2007 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei einer Geldleistung der Arbeitslosenversicherung, welche Arbeitslosen, die die Zuerkennung einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung beantragt haben, bis zur Entscheidung über ihren Antrag als Vorschuss auf diese Leistungen gegen spätere Verrechnung mit diesen gewährt wird, wobei dafür zwar die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit und der Erfüllung der Anwartschaft vorliegen müssen, nicht aber die sonst für den Bezug von Arbeitslosengeld weiters vorausgesetzte Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft, und die weiters nur dann gewährt wird, wenn mit der Zuerkennung der Leistungen aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung im Hinblick auf die vorliegenden Umstände zu rechnen ist, um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, oder um eine Leistung bei Invalidität im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung?

2. Für den Fall, dass die erste Frage dahin gehend beantwortet wird, dass es sich bei der darin genannten Leistung um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung Nr. 1408/71 handelt:

Steht Art. 39 EG einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, wonach der Anspruch auf diese Leistung – abgesehen vom Fall einer nur auf Antrag des Arbeitslosen bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Umständen bis zu drei Monaten zu erteilenden Nachsicht – ruht, wenn sich der Arbeitslose im Ausland (in einem anderen Mitgliedstaat) aufhält?

10. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 9. Mai 2007 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden.

11. Schriftliche Erklärungen sind von Herrn Petersen, der deutschen, der österreichischen, der spanischen und der italienischen Regierung sowie der Europäischen Kommission eingereicht worden.

12. In der Verhandlung am 3. April 2008 haben der gesetzliche Vertreter von Herrn Petersen sowie die Bevollmächtigten der österreichischen Regierung und der Kommission mündlich Stellung genommen.

V – Analyse der Vorlagefragen

A – Einleitende Klarstellungen: Die Unionsbürgerschaft und die Kohärenzkriterien in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

1. Die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft und ihre Anwendung durch die Rechtsprechung

13. Gegenstand der Vorlagefragen ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Doch dreht sich die Auseinandersetzung letztlich, wie in dieser Art von Fällen üblich, um europäische Bürger, die von der Freizügigkeit Gebrauch machen. Seit der Einführung des Begriffs der Unionsbürgerschaft bewegt sich der Rechtsstreit somit nicht mehr ausschließlich innerhalb der Koordinaten des Art. 39 EG, denn andere Bestimmungen des Vertrags treten hinzu, konkret die Art. 17 EG und 18 EG, deren Inhalt von der Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht in vollem Umfang festgelegt worden ist.

14. Die an diesem Vorabentscheidungsverfahren Beteiligten haben die Bedeutung der im EG-Vertrag vorgesehenen Unionsbürgerschaft bestätigt. Sowohl Herr Petersen als auch die Kommission sowie die deutsche und die spanische Regierung haben sich zur Stützung ihrer Standpunkte auf Art. 18 EG berufen; doch bei den Art. 17 EG und 18 EG handelt es sich um allgemeine Vorschriften, die immer nur dann anwendbar sind, wenn es keine Spezialvorschriften gibt. Dieser Umstand ist im vorliegenden Verfahren gegeben, in dem ein Arbeitnehmer von der Freizügigkeit Gebrauch macht und sich auf Art. 39 EG beruft, um seine Rechte gegenüber einem Mitgliedstaat geltend zu machen.

15. Die Rechtsprechung hat sich auf diesem Gebiet in letzter Zeit erheblich weiterentwickelt. Seit Erlass des Urteils Martínez Sala(5) hat die Unionsbürgerschaft außerordentlichen Auftrieb erhalten und sich an die Spitze der vorrangigen Materien in der Rechtsprechung des Gerichtshofs gestellt, der es nach der Aufnahme des Zweiten Teils in den EG-Vertrag im Jahr 1992 verstanden hat, den Willen des Verfassungsgesetzgebers dahin gehend auszulegen, dass er dem zu- oder abwandernden Bürger einen Status verliehen hat, der über den des Wirtschaftsteilnehmers hinausgeht.(6) Langsam, aber stetig hat sich der gemeinschaftsrechtliche Schutz auf Personen ausgedehnt, die sich traditionell außerhalb des Anwendungsbereichs der Verträge befanden, wie Studenten(7), Personen, die eine Unterstützungsleistung begehren(8), oder Drittstaatsangehörige, die in einer Verbindung zu einem Unionsbürger stehen(9) . Anschaulicher ausgedrückt hat der Gerichtshof das Paradigma des homo oeconomicus in das des homo civitatis umgewandelt.(10)

16. Ich hatte Gelegenheit, mich zu den Gründen zu äußern, die dieser mit Entschlossenheit, aber auch mit Geschick in Angriff genommenen Entwicklung zur Stärkung der Position des einzelnen Bürgers zugrunde liegen, die die Diskussion über Zugangshindernisse und Diskriminierung hat in den Hintergrund treten lassen.(11) Zusammengefasst hat – wie es Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Konstantinidis ausgeführt hat – „ein Gemeinschaftsangehöriger, der sich als Arbeitnehmer oder Selbständiger … in einen anderen Mitgliedstaat begibt, Anspruch nicht nur darauf …, seinem Gewerbe oder Beruf nachzugehen und dieselben Lebens‑ und Arbeitsbedingungen vorzufinden wie Angehörige des Gastlandes; er darf außerdem davon ausgehen, dass er, wohin er sich in der Europäischen Gemeinschaft zu Erwerbszwecken auch begibt, stets im Einklang mit einer gemeinsamen Ordnung von Grundwerten behandelt wird … Mit anderen Worten, er ist berechtigt, zu sagen „ civis europeus sum“, und sich auf diesen Status zu berufen, um sich jeder Verletzung seiner Grundrechte zu widersetzen.“(12)

17. Auch wenn die zitierten Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs die Berufung auf die Grundrechte der Europäischen Union in den Mittelpunkt stellen, ist ihre Dialektik meines Erachtens vom Gerichtshof übernommen worden.(13) Rechtssachen wie Carpenter(14), Baumbast(15), Bidar(16), Tas-Hagen(17) oder Morgan(18) sind geprägt vom Schutz des Individuums und einer Sorge für die persönliche Rechtsstellung desjenigen, der sich auf ein Recht aus den Verträgen beruft, eine Sorge, die in früheren Zeiten nur mit Zurückhaltung zum Ausdruck gebracht wurde. Auf diese Weise erhält der freie Personenverkehr eine eher durch einen verfassungsrechtlichen als durch einen einfachgesetzlichen Grundstoff gebildete eigene Identität, wodurch er sich in eine Freiheit verwandelt, die der Dynamik der Grundrechte verwandt ist.(19)

18. Vor dem Hintergrund dieses Denkansatzes in der Rechtsprechung überrascht es nicht, dass die Entscheidungen des Gerichtshofs zur Arbeitnehmerfreizügigkeit immer häufiger auf die Art. 17 EG und 18 EG gestützt werden. Einige Generalanwälte, die eine orthodoxere Methode verwenden, sprechen sich für die ausschließliche Geltung von Art. 39 EG aus, wenn es um die Lösung von Problemen in Bezug auf Arbeitnehmer geht. Dessen ungeachtet hat der Gerichtshof die Möglichkeit erweitert, die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft und die über die Arbeitnehmerfreizügigkeit gleichzeitig anzuwenden. Meines Erachtens steht dieser Denkansatz im Einklang mit der auf diesem Rechtsgebiet ergangenen Rechtsprechung, aber das erzielte Ergebnis erweist sich nicht immer als klar oder überzeugend. Dieser Mangel wird deutlich, wenn man einige jüngere Entscheidungen des Gerichtshofs betrachtet.

19. In der Rechtssache Kommission/Deutschland(20) ging es um die Beurteilung einer Eigenheimzulage, die Einkommensteuerpflichtigen unter der Voraussetzung gewährt wurde, dass die Immobilie in Deutschland belegen war. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts fest und sah insoweit allerdings einen zweifachen Verstoß: Zum einen sei gegen die Art. 39 EG und 43 EG verstoßen worden, sofern die Steuerpflichtigen erwerbstätig gewesen seien; zum anderen sei Art. 17 EG verletzt worden, wenn der Einzelne keinerlei auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit ausgeübt habe.(21) Generalanwalt Bot stellte in seinen Schlussanträgen in diesem Verfahren lediglich einen Verstoß gegen die genannten Art. 39 EG und 43 EG fest. Er sah es nicht als unerlässlich an, auf die Folgewirkungen einzugehen, die die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft in einem solchen Fall haben.(22) Der Gerichtshof teilte diese Auffassung nicht.

20. Das Urteil in der Rechtssache Silke Gaumain-Cerri(23), in der ein Wohnorterfordernis für die Gewährung einer Sozialleistung an Pflegepersonen auf dem Prüfstand stand, bestätigte die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1408/71 und damit die Anwendbarkeit des Sekundärrechts im Bereich der sozialen Sicherheit; in Anbetracht der Zweifel über die Einordnung dieser Pflegepersonen, deren Dienstleistungen an Pflegebedürftige nicht genau zu dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff des „Arbeitnehmers“ passten, mussten jedoch die in der Rechtssache in Rede stehenden Normen ausgedehnt werden. Anstatt auf die entscheidungserhebliche Einordnung einzugehen, erklärte der Gerichtshof das Wohnorterfordernis für rechtswidrig, ohne dass „es erforderlich ist, sich zur Arbeitnehmereigenschaft der betreffenden Dritten im Sinne des Artikels 39 EG oder der Verordnung Nr. 1408/71 zu äußern … Unstreitig besitzen nämlich diese Dritten in den Ausgangsverfahren die durch Artikel 17 EG verliehene Unionsbürgerschaft.“(24)

21. Es spielte somit keine Rolle, ob die Pflegepersonen Arbeitnehmer waren, da sich der vom Gemeinschaftsrecht gewährte Schutz aus Art. 39 EG (und den sekundärrechtlichen Bestimmungen zu seiner Ausgestaltung) oder aus Art. 17 EG ergab. Ebenso wie in der Rechtssache Kommission/Deutschland schloss sich der Gerichtshof nicht der Ansicht seines Generalanwalts an, der Pflegepersonen, nachdem er deren Arbeitssituation detailliert dargestellt hatte, als „Arbeitnehmer“ im Sinne des Gemeinschaftsrechts ansah.(25)

22. Die angeführten Urteile betrafen Personen, die sich gegenüber den Staaten, deren Staatsangehörige sie waren, auf gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen beriefen, weshalb die Anwendung von Art. 17 EG – dessen Wortlaut sich auf die Feststellung beschränkt, dass „Unionsbürger … die [im EG-]Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten [haben]“ – gerechtfertigt war. Dieselbe Ausdehnungsfähigkeit lässt sich bei Art. 18 EG feststellen, der das Recht proklamiert, sich im Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Diese Bestimmung, die im Wesentlichen auf Staatsbürger abzielt, die Rechte gegenüber Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, geltend machen, hat sich ebenfalls schrittweise in die Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG eingewoben.

23. Das Urteil Baumbast ermöglichte es einem Deutschen, der die Verkehrsfreiheiten im Vereinigten Königreich in Anspruch genommen hatte, in diesem Staat seinen Wohnort aufgrund von Art. 18 EG beizubehalten.(26) In der Rechtssache Trojani war der Gerichtshof der Auffassung, dass ein Franzose, der sich sporadisch in Belgien aufhielt, immer dann auf den Schutz des bereits genannten Art. 18 EG zählen könne, wenn er nicht die Merkmale eines Wirtschaftssubjekts (ein Tatbestandsmerkmal, dessen Prüfung in der Hand des nationalen Gerichts blieb) aufweise.(27) Mit dem Urteil in der Rechtssache Schwarz wurde dieser Ansatz vertieft, indem – wobei die Anwendung von Art. 49 EG oder die von Art. 18 EG dem nationalen Gericht überlassen wurde – festgestellt wurde, dass beide Vorschriften verletzt seien.(28) Letztlich bringt die Aufteilung des Anwendungsbereichs der Artikel über die Unionsbürgerschaft und die Freizügigkeit unbeschadet einer gewissen begrifflichen Asepsis bei dieser Trennung keine großen praktischen Unterschiede mit sich. Der Gerichtshof bewegt sich mit sicherem Schritt in Richtung der Schaffung eines einheitlichen Niveaus für den Schutz des freien Personenverkehrs, wobei er die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft als wertvolles Instrument nutzt.

24. In diesem Kontext ist es angezeigt, einige Gedanken zu rekapitulieren, um eine dogmatische Grundlage zu erarbeiten, die die Lösung des vorliegenden Falls erleichtert und klare Leitlinien für die Lösung zukünftiger Fälle vorgibt. Das Vorabentscheidungsverfahren bringt die Besonderheiten eines konkreten Falls mit den Erfordernissen einer Rechtsprechung in Übereinstimmung, die für eine Gemeinschaft mit 500 Millionen Einwohnern gilt, die sowohl individuelle als auch allgemeingültige Antworten verlangen. Zu diesem Zweck schlage ich dem Gerichtshof eine Methodologie für die Vorschriften über die Unionsbürgerschaft vor, mit der sich der Rechtsstreit von Herrn Petersen lösen lässt und die für viele Rechtsstreitigkeiten, die in der Union in den kommenden Jahren auftreten werden, eine Orientierung bieten kann.

2. Die Bürgerfreizügigkeit in einer Union des Rechts

25. Der Gerichtshof hat den Anstoß für eine bedeutende Wende in Bezug auf den Begriff der Unionsbürgerschaft gegeben, den die Mitgliedstaaten im Jahr 1992 in die Gründungsverträge eingeführt hatten. Hinter dieser Entwicklung stehen zwei geistige Antriebskräfte, die Kriterien beisteuern, um der Rechtsprechung Kohärenz und die Fähigkeit zu pragmatischen Lösungen zu verleihen: zum einen der Durchbruch der Grundrechte, zum anderen die Herausbildung einer demokratischen Identität in der europäischen politischen Gemeinschaft.

26. Ursprünglich schuf der Begriff der Unionsbürgerschaft, so wie er im Zweiten Teil des EG-Vertrags erscheint, einen mehr symbolischen als realen Überbau für die Vorschriften, die die Freizügigkeit gewährleisten. Die Schaffung von Grundlagen für die Mitwirkung an den demokratischen Prozessen auf lokaler Ebene oder die Teilhabe am diplomatischen und konsularischen Schutz verliehen einen Status, der sich in den Art. 17 EG bis 22 EG erschöpfen sollte.(29) Der Gerichtshof stellte jedoch fest, dass die Verkehrsfreiheiten an schwerwiegenden Einschränkungen litten. Oft äußerten sich diese Mängel in offensichtlichen Ungerechtigkeiten für denjenigen, dem die Gemeinschaftsrechtsordnung Rechte verliehen hatte. In so bekannten Rechtssachen wie Martínez Sala, Baumbast oder Carpenter stand der Gerichtshof vor einem schwierigen Dilemma: Eine rigide Anwendung der Vorschriften über die Freizügigkeit hätte zu einem für die Rechtsuchenden untragbaren Ergebnis geführt; wäre der Schutz hingegen über diese Freiheiten hinaus ausgedehnt worden, so hätte dies den Anwendungsbereich der Verträge mit ungewissem Ziel erweitern können. Um beide alternativen Auswirkungen zu vermeiden, griff der Gerichtshof auf den Begriff der Unionsbürgerschaft gemäß den Art. 17 EG und 18 EG zurück, um den Freiheiten einen ausgefeilteren Inhalt zu verleihen.(30)

27. Meines Erachtens ist diese neue Dialektik so zu verstehen: Der Begriff der Unionsbürgerschaft, der einen Rechtsstatus für den Einzelnen einschließt, verlangt von den Mitgliedstaaten eine besondere Beachtung der Rechtssituation des Einzelnen . Hierbei kommt den Grundrechten eine wesentliche Rolle zu. Als integraler Bestandteil des Bürgerstatus stärken die Grundrechte die Rechtsstellung der Person, indem sie eine entscheidende Dimension für die fallbezogene materielle Gerechtigkeit eröffnen. Mit seinen Grundrechten als Freiheitsbefugnissen ausgestattet versieht der europäische Bürger seine Forderungen mit einem höheren Grad an Legitimität. Selbst in einigen Fällen, in denen kein Grundrecht auf dem Spiel steht, aber ein offensichtliches Unrecht vorliegt, wird auf eine eingehende Prüfung der Verhältnismäßigkeit zurückgegriffen.(31) Diese Lesart erfordert eine neue Auslegung der Verkehrsfreiheiten, wenn deren Träger den in den Art. 17 EG und 18 EG zuerkannten Status genießen.

28. Auf diese Weise wandelt sich der freie Personenverkehr zur Bürgerfreizügigkeit . Ein Perspektivwechsel, der nicht unbedeutend erscheint, denn nicht mehr der Verkehr steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern dieser verlagert sich stattdessen auf den Einzelnen.

29. Während die Grundrechte eine individuelle Dimension einführen, sorgt das demokratische Element dafür, dass den Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft mehr Beachtung geschenkt wird. Solange sich die Verkehrsfreiheiten auf die Beseitigung von Hindernissen und das Verbot der Diskriminierung beschränkten, blieb es implizit dabei, dass der Einzelne, der zu- oder abwandert, einer Herkunftsgemeinschaft angehörte: dem Staat seiner Zugehörigkeit. Diese Tatsache würde es für sich allein betrachtet rechtfertigen, dass die Verantwortung für die Staatsbürger den Staaten obliegt, denen jene jeweils angehören, was dazu führt, dass sich die Politik der Solidarität auf diejenigen beschränkt, die Mittel beitragen und an der Ausgestaltung der polis mitwirken.(32)

30. Der Gerichtshof hat diese staatsbezogene Sichtweise überwunden, indem er dem gemeinschaftlichen Besitzstand eine Sensibilität hinzugefügt hat, die der Natur der Unionsbürgerschaft besser angepasst ist.(33) In der Rechtsprechung lässt sich feststellen, dass die Betonung der Verantwortung und die Pflichten der Herkunfts staaten zugunsten der Verantwortung und der Pflichten der Aufnahme staaten abnimmt.(34) So darf ein Mitgliedstaat einen europäischen Bürger nicht deshalb schutzlos stellen, weil dieser nicht formell in seinem Hoheitsgebiet wohnt, sofern sich dessen Privat- und Erwerbsleben innerhalb der Grenzen des betreffenden Staates abspielt.(35) Ebenso müssen die Staaten, auch wenn dies zu einer Belastung für die öffentlichen Kassen führt, allen europäischen Bürgern ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Wohnorts dieselben Leistungen gewähren, sofern sie nachweisen, dass sie Tätigkeiten ausüben, die den Tätigkeiten derjenigen, die eine Verbindung mit der politischen Gemeinschaft des betreffenden Staates aufweisen, gleichwertig sind.(36) Ein Denkansatz, der dann umso mehr gilt, wenn der europäische Bürger glaubhaft macht, keine finanzielle Belastung für den Aufnahmestaat zu sein, und zwar unabhängig von der Quelle der Einkünfte oder der Methode, die zum Erwerb der Unionsbürgerschaft eingesetzt wurde.(37)

31. Es ist somit der Begriff der Zugehörigkeit im materiellen Sinne, dem jedes administrative Erfordernis fremd ist, der die Einbeziehung des europäischen Bürgers in die politische Gemeinschaft rechtfertigt.(38) Wenn die Identitätsbindungen zu einem einzigen Staat abgebrochen werden, um sie mit anderen zu teilen, wird eine Verknüpfung in einen größeren Raum hergestellt. Es wird demzufolge jener Begriff der Zugehörigkeit zu Europa geschaffen, dessen Festigung durch die Verträge vorangetrieben wird. Dies hat in unnachahmlicher Weise der Richter Benjamin Cardozo im Urteil Baldwin c. G.A.F. Seelig in Bezug auf die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zum Ausdruck gebracht, indem er betonte, dass „deren Ausgestaltung die Theorie zugrunde [lag], dass die Völker der verschiedenen Staaten gemeinsam untergehen oder schwimmen müssen und dass auf lange Sicht die Vereinigung und nicht die Trennung Wohlstand und Rettung bringt“.(39)

32. Deshalb verleihen der Durchbruch der Grundrechte auf der einen und die Verbindung zu dem Staat, der den Bürger tatsächlich integriert, auf der anderen Seite der Rechtsprechung ein verfassungsrechtliches Gewicht. Auf diese Weise wird die Stellung des freien Bürgers im demokratischen Umfeld geschützt, ein Umstand, der die tatsächliche Existenz einer Union des Rechts befestigt, deren Bestimmungen, vor allem die der Verträge, die individuelle Freiheit und die demokratische Gleichheit gewährleisten.(40)

3. Freiheiten und Unionsbürgerschaft: Kriterien für das Zusammenleben

33. Nach dieser Darstellung schlage ich dem Gerichtshof vor, die Unionsbürgerschaft weiter zu stärken, aber die juristischen Methoden für den Schutz zu verfeinern, denn manchmal erweist sich die Anwendung der Verträge als die falsche Methode. In diesem Sinne halte ich es für unerlässlich, die genaue Reichweite der Art. 17 EG und 18 EG zu konkretisieren, um insbesondere für den Fall, dass der Sachverhalt einen Zusammenhang mit dem freien Verkehr von Personen aufweist, den Status des europäischen Bürgers festzulegen, seien diese Personen nun Arbeitnehmer oder Unternehmer.

34. Der Gerichtshof hat den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG), der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) detailliert herausgearbeitet. Trotz der Fortentwicklung der Rechtsprechung bleiben hinsichtlich der Möglichkeit, sich auf diese Vertragsbestimmungen zu berufen, Ungewissheiten, entweder weil die betreffende Person kein Arbeitnehmer im Sinne des Vertrags selbst ist oder weil sie keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. In diesem Fall kämen die Art. 17 EG und 18 EG als Auffangtatbestände ins Spiel, die dem zu- oder abwandernden Bürger Schutz für den Fall gewähren, dass er nicht durch andere Normen geschützt wird oder diese nur eingeschränkten Schutz gewähren, sei es wegen fehlender Harmonisierung in dem Bereich, sei es wegen der Besonderheiten der in diesem Zusammenhang auftretenden Fälle.

35. Gleichzeitig lässt sich eine gewisse Redundanz in der Rechtsprechung ausmachen, die dazu tendiert, bei der Fallanalyse zwischen dem Komplex der Unionsbürgerschaft und dem der Freiheiten zu unterscheiden, um diese anschließend auf identische Art und Weise zu behandeln. Dies lässt sich in den vorerwähnten Urteilen Schwarz und Kommission/Deutschland feststellen, aus denen sich eine Trennung, aber auch eine Vereinigung von Inhalten und Ergebnissen ableiten lässt. Wenn diese Identität mehr materiell- als formellrechtlicher Art ist, sehe ich keinen Nutzen darin, die Trennung der Anwendungsbereiche aufrechtzuerhalten.

36. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, über die vorliegende Rechtssache zu entscheiden, indem er die Verkehrsfreiheiten für Arbeitnehmer und Selbständige (Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG) unter Beachtung der hier auftretenden Besonderheiten einbezieht. Sollte eine Verbindung zu den Grundrechten oder den demokratischen Faktoren der Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft bestehen, so müssen die Freiheiten im Licht der Art. 17 EG und 18 EG ausgelegt werden, um dem europäischen Bürger den größtmöglichen Schutz zu bieten.

37. Sollten hingegen die Freiheiten der Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG auf den Fall nicht anwendbar sein, ersuche ich den Gerichtshof, innerhalb der Art. 17 EG und 18 EG eine Abstufung in zwei Schutzniveaus vorzunehmen: Wenn es um die vorstehend genannten Voraussetzungen für Freiheit und Demokratie geht, wird dem Einzelnen das höchste Schutzniveau gewährt; geht es nicht um diese Voraussetzungen, muss dem Gemeinschaftsgesetzgeber und den nationalen Behörden ein weiteres Ermessen zustehen.

38. Mit dieser Ausrichtung würde dem Grundgedanken, der die Rechtsprechung beherrscht, eine ausgefeiltere juristische Methode zur Seite gestellt. Gleichzeitig käme den Art. 17 EG und 18 EG ihre volle Bedeutung zu, auch in den Fällen, in denen sie mit den traditionellen Verkehrsfreiheiten in Berührung kommen. Schließlich würde der Gerichtshof die Stellung des europäischen Bürgers stärken, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Rechte als auch im Hinblick auf die Integration.

39. Nach diesen einleitenden Ausführungen sind die vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof gestellten Vorlagefragen zu prüfen.

VI – Die erste Frage: der Vorschuss wegen Arbeitslosigkeit für Personen, die eine Leistung wegen Invalidität beantragt haben, und seine Einordnung

A – Fragestellung

40. Herr Petersen erhielt eine Sozialleistung, die Aspekte einer Leistung bei Arbeitslosigkeit und solche einer Leistung bei Invalidität aufweist. Wenngleich kein Zweifel besteht, dass es sich um eine unter die Verordnung Nr. 1408/71 fallende Leistung handelt(41), ist es erforderlich, sich für die eine oder die andere Kategorie zu entscheiden, da der genannte Rechtstext die nationalen Maßnahmen hinsichtlich der Änderung oder des Ruhens bei einem Wohnortwechsel des Anspruchsinhabers unterschiedlichen Rechtsfolgen unterwirft. Während es verboten ist, Leistungen wegen Invalidität aus diesem Grund zu ändern oder zum Ruhen zu bringen(42), wird den Mitgliedstaaten ein größerer Handlungsspielraum zugestanden, wenn es sich um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit handelt(43) .

41. Unter Verwendung der in diesen Schlussanträgen entwickelten Argumentation halte ich daran fest, dass die Entscheidung für die eine oder für die andere Einordnung zum selben Ergebnis führt. Entscheidet man sich für die Leistung wegen Invalidität, gibt das in der Verordnung enthaltene Verbot dem Verwaltungsgerichtshof eine überzeugende Antwort an die Hand. Wenn hingegen der Leistung wegen Arbeitslosigkeit der Vorzug gegeben wird, erfüllt Herr Petersen eine der in den Nrn. 25 bis 38 der vorliegenden Schlussanträge dargestellten Voraussetzungen, um in den Genuss des höchstmöglichen Schutzniveaus gemäß den Art. 18 EG und 39 EG kommen zu können.

42. Trotz der identischen Folgen bedarf es einer Stellungnahme zu der Debatte über die Einordnung, da sich die Vorlagefragen zunächst hierauf beziehen.

B – Das Vorbringen der Regierungen, der Kommission und von Herrn Petersen

43. Die deutsche, die österreichische und die italienische Regierung sowie die Kommission haben in ihren Erklärungen den Standpunkt vertreten, die streitige Leistung sei eine Leistung bei Arbeitslosigkeit, die unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung Nr. 1408/71 falle. Sie berufen sich alle auf das Urteil De Cuyper(44), das den Zweck und die Berechnungsgrundlage der Leistung als Kriterien für die zutreffende Einordnung wählte.(45)

44. So weisen die deutsche und die österreichische Regierung darauf hin, dass der streitige Vorschuss der Absicherung bei Arbeitslosigkeit dienen solle, da ein solcher Zustand für die Gewährung der Leistung erforderlich sei. Zudem bestehe das zum Wesen der Leistung bei Invalidität gehörende Risiko in Tatsachen, die bis zu dem Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung über die Gewährung der Leistung unbekannt seien. Schließlich berechne sich die Leistung gemäß den Vorschriften über das Arbeitslosengeld, vorbehaltlich eines Berichtigungskoeffizienten, der Verzerrungen vermeiden solle, wenn die Leistung wegen Invalidität zuerkannt werde.

45. Die Kommission stimmt mit diesen Argumenten im Wesentlichen überein, betont allerdings, dass der für die Leistung wegen Invalidität zuständige Träger in dem Fall, dass diese zur Auszahlung komme, der für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit zuständigen Einrichtung die während der Laufzeit des Vorschusses gezahlten Beträge erstatten müsse; werde die Leistung wegen Invalidität nicht zuerkannt, würden die ausgezahlten Beträge auf das Arbeitslosengeld angerechnet, auf die derjenige, der den Vorschuss beantragt habe, eigentlich Anspruch gehabt habe (da er arbeitslos habe sein müssen).

46. Schließlich relativieren die deutsche, die österreichische und die italienische Regierung sowie Kommission übereinstimmend die Tatsache, dass der Betreffende, um die Leistung zu erhalten, nicht verpflichtet sei, eine Arbeit zu suchen, da ja eine Leistung verfremdet werde, mit der derjenige unterstützt werde, der Invalidität geltend mache, aber nicht wisse, wie über seinen Antrag entschieden werde, und zudem arbeitslos sei. Um diesen Umständen abzuhelfen, sei in Österreich ein tertium genus , eine dritte Kategorie, geschaffen worden, die alle Elemente einer Leistung wegen Arbeitslosigkeit aufweise, allerdings mit einer logischen Ausnahme, da jemand, der eine Leistung wegen Invalidität beanspruche, schwerlich angehalten werden könne, Arbeit zu suchen.

47. Herr Petersen und die spanische Regierung vertreten eine vom Standpunkt der genannten Regierungen und der Kommission abweichende Auffassung und sehen die streitige Leistung als soziale Unterstützung wegen Invalidität im Sinne von 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 an.

48. Das Königreich Spanien vertritt gestützt auf eine wörtliche Auslegung des Urteils De Cuyper die Auffassung, dass die Leistung bezwecke, Herrn Petersen, da er nicht arbeitsfähig sei, wegen seiner möglichen Invalidität abzusichern. Die Leistung wegen Arbeitslosigkeit solle „den betroffenen Arbeitnehmern erlauben, ihren Bedarf nach dem unfreiwilligen Verlust ihrer Beschäftigung zu decken, während sie noch arbeitsfähig sind“.(46) Der letzte Satzteil, dem zufolge derjenige, der eine Leistung bei Arbeitslosigkeit begehre, in der Lage sein müsse, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, schließe Herrn Petersen aus und mache den ihm gewährten Vorschuss zu einer Leistung wegen Invalidität.

49. Der Prozessbevollmächtigte von Herrn Petersen stützt sich nicht auf das Urteil De Cuyper; er stellt die Einordnung der Leistung als Leistung der sozialen Sicherheit in den Mittelpunkt seiner Argumentation und führt insoweit die Urteile Jauch(47) und Offermanns(48) an.

C – Würdigung

50. Die vorgebrachten Stellungnahmen spiegeln das Dilemma wider, vor das sich der Gerichtshof gestellt sieht, wobei es Argumente für und gegen jede Option gibt. Im Prinzip handelt es sich um eine schwer in die gemeinschaftsrechtliche Typologie einzuordnende Leistung sui generis , die bei Personen Mangelsituationen überbrücken soll, die einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen geltend machen.

51. Aber es gibt gewichtige Gründe, um in dieser Leistung eher eine Leistung bei Arbeitslosigkeit als eine Leistung wegen Invalidität zu sehen.

52. Zwar muss derjenige, der den in Rede stehenden Vorschuss beansprucht, weder arbeitsfähig sein(49) noch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen.(50) Wird die Leistung wegen Invalidität gewährt, so entfaltet die Entscheidung im Verhältnis zu dem Vorschuss gewissermaßen Rückwirkung, wodurch sie von Beginn an zu einer Leistung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 wird, und die für die Absicherung bei Invalidität zuständige Einrichtung leistet an die mit Leistungen wegen Arbeitslosigkeit betraute Verwaltung für die Gewährung des Vorschusses einen Ausgleich.(51) Schließlich hat das Urteil De Cuyper die Leistung wegen Arbeitslosigkeit mit genauen Vorgaben definiert und dabei die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen betont.(52)

53. Aufgrund dessen könnte man denken, dass der streitige Vorschuss eine Leistung wegen Invalidität ist, aber es gibt schwerwiegende Einwände, die diese voreilige Annahme widerlegen.

54. Der erste Einwand gründet auf den Charakter sui generis des Vorschusses, der als spezifische Leistung zur Abhilfe in einer besonderen Lage gedacht ist. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, befindet sich der streitige Vorschuss in einer Art rechtlichem „Vorhof“. Er weist Merkmale der einen und der anderen Kategorie auf, aber ihm fehlen auch einige typische Elemente beider Kategorien, so dass es unmöglich ist, ihn in eine Rubrik einzuordnen, die zu einhundert Prozent die Charakteristika vereinigt, die die Leistungen bei Invalidität oder bei Arbeitslosigkeit im Gemeinschaftsrecht ausmachen.

55. Vor dem Hintergrund dieser Überlegung muss die Tatsache relativiert werden, dass Herr Petersen, wie jeder andere Empfänger des Vorschusses, möglicherweise weder arbeiten noch für die Dauer der Arbeitslosigkeit gegenüber der Arbeitsverwaltung Rechenschaft ablegen kann. Auf die gleiche Weise, wie der Vorschuss hinsichtlich dieser Aspekte (die angesichts § 7 Abs. 1 Z 1 AlVG wesentliche Voraussetzungen sind) von der Leistung bei Arbeitslosigkeit abweicht, fehlt es bei ihm an einer wesentlichen Voraussetzung der Leistung wegen Invalidität, dem wirtschaftlichen Inhalt, der sich gemäß den Bestimmungen über das Arbeitslosengeld berechnet(53) .

56. Der zweite Einwand begründet Zweifel daran, dass die Leistung wegen Invalidität Rückwirkung entfaltet, um den Betrag der Leistung wegen Arbeitslosigkeit finanziell auszugleichen. Der genannte Vorschuss wird umgewandelt, wenn der Antrag auf Leistung wegen Invalidität positiv beschieden wird; wird er hingegen abgelehnt, bleibt er eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit im eigentlichen Sinn, ohne dass irgendein finanzieller Ausgleich zwischen den zuständigen Verwaltungen stattfände.(54)

57. Auch die Bedeutung des Urteils De Cuyper muss relativiert werden, um es im rechten Maß zu verstehen. In dieser Rechtssache bezog ein belgischer Staatsangehöriger eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit mit der Besonderheit, dass er sich nicht als Arbeitsuchender registrieren lassen musste und damit nicht verpflichtet war, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu halten.(55) Diese Befreiung, die eine Ausnahme von den gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld erforderte, hinderte den Gerichtshof nicht daran, die Leistung als eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit einzuordnen. Das Urteil beschreibt in Randnr. 27 diese Leistungen als solche, bei denen der Leistungsempfänger noch arbeitsfähig ist, geht aber davon aus, dass eine derartige Leistung, obwohl sie eine der Voraussetzungen nicht erfüllte, die Merkmale für eine Einordnung als Leistung wegen Arbeitslosigkeit aufgewiesen habe; dies ließe sich auf die vorliegende Rechtssache übertragen, da der österreichische Vorschuss, obwohl es bei ihm an einer wesentlichen Voraussetzung dafür fehlt, ihn unter die Definition der Leistungen bei Arbeitslosigkeit einzuordnen, eine breite Skala von Merkmalen aufweist, die ihn dieser Art von Leistungen ähnlich machen.

58. Erstens wird der Vorschuss bezahlt, weil es um einen arbeitslosen Arbeitnehmer geht, der außerdem eine Leistung bei Invalidität beantragt hat, so dass es sich offenbar um eine besonders schutzbedürftige Person handelt.(56) Unter diesen Umständen ist eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit zulasten der Arbeitslosenversicherung und entsprechend den Vorschriften über diese Leistungen vorgesehen. Zweitens erlischt der Anspruch auf den Vorschuss automatisch, wenn der Empfänger während des Verfahrens zur Entscheidung über die Leistung wegen Invalidität eine Beschäftigung annimmt. Ebenso wie Arbeitslose den Anspruch auf eine Leistung bei Arbeitslosigkeit verlieren, wenn sie eine Arbeit antreten, trifft den Vorschussberechtigten die gleiche Folge. Drittens entspricht die Methode zur Berechnung des Vorschusses den Bestimmungen für Leistungen bei Arbeitslosigkeit, allerdings mit einem Korrekturfaktor, um umfangreiche Ausgleichszahlungen für den Fall zu vermeiden, dass die Leistung wegen Invalidität später bewilligt wird. Viertens handelt es sich bei der Invalidität des Vorschussempfängers lediglich um eine Hypothese, da einzig die Arbeitslosigkeit gewiss ist, weshalb es angebracht erscheint, dass der Vorschuss auf diese Weise eingeordnet wird.

59. Der wesentliche Faktor, der den Ausschlag zugunsten der Einordnung des Vorschusses als Leistung wegen Arbeitslosigkeit gibt, ist dessen Zweck.(57) Aus dem Wortlaut und dem Geist der österreichischen Rechtsvorschriften geht hervor, dass diese Leistung für einen befristeten Zeitraum, der – auch wenn dies noch nicht gewiss ist – mit einer Rückkehr in oder aber einem Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt enden kann, die Einkünfte aus der Beschäftigung ersetzen soll. Auf diese Weise möchte man den Antragsteller wirtschaftlich aktiv, aber auch – wie die deutsche Regierung ausgeführt hat – psychologisch animiert auf diesem Markt halten.

60. Demnach sichert der Vorschuss ein zweifaches Risiko ab: das Risiko, dass der Antrag auf Gewährung einer Leistung wegen Invalidität abgelehnt wird, und das Risiko, dass sich der Antragsteller entschließt, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, und damit sein ursprüngliches Begehren aufgibt.

61. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass es sich bei dem in § 23 AlVG geregelten Vorschuss um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung Nr. 1408/71 handelt, auch wenn diese Einordnung im Hinblick auf die zweite Vorlagefrage, die zweifellos der Schlüssel zur Lösung des vorliegenden Falls ist, nicht ausschlaggebend ist.

VII – Die zweite Vorlagefrage: das für den Vorschuss geltende Wohnorterfordernis

A – Einleitung

62. Die anschließende Frage des Verwaltungsgerichtshofs, die eine logische Folge der ersten Frage ist, bezieht sich darauf, dass der Wohnort für Herrn Petersen zur Voraussetzung für den Erhalt des Vorschusses gemacht wird.

63. Da die Leistung als eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit einzuordnen ist, macht Art. 69 der Verordnung Nr. 1408/71 die Möglichkeit für den Einzelnen, während der Zeit des Bezugs einer solchen Leistung in einem anderen Mitgliedstaat zu wohnen, von drei Voraussetzungen abhängig: Der Betreffende muss vor seinem Umzug bei der Arbeitsverwaltung gemeldet gewesen sein, er muss sich danach im Aufnahmestaat melden, und er muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Arbeit aufnehmen.

64. Es ist offensichtlich, dass Herr Petersen keine dieser drei Voraussetzungen erfüllt.

65. Im Gegensatz zur Kommission und zum Kläger haben alle Regierungen, die im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren Erklärungen abgegeben haben, auf diese Nichterfüllung abgestellt und damit das Ruhen des Vorschusses, den Herr Petersen erhalten hatte, gerechtfertigt. Doch dieses Vorbringen enthält eine Falle, aus der man sich umgehend befreien muss.

B – Das Vorbringen der Regierungen, der Kommission und von Herrn Petersen

66. Die deutsche, die österreichische, die spanische und die italienische Regierung tragen übereinstimmend zwei Argumente vor. Zum einen erfülle Herr Petersen keine der in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Voraussetzungen für eine Mitnahme seiner Sozialleistung. Zum anderen sei das bereits erwähnte Urteil De Cuyper anwendbar.

67. Nach Ansicht der vier Regierungen ist es nicht unverhältnismäßig, für einen Arbeitnehmer wie Herrn Petersen ein Wohnorterfordernis aufzustellen; denn die Art. 69 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 fassten verschiedene Fallgestaltungen ins Auge, bei denen es möglich sei, die Leistungen zu exportieren, und keine treffe auf den Kläger zu. Es bestehe deshalb ein gewisser Konsens dahin, dass die Verordnung Nr. 1408/71 eine abschließende Aufzählung enthalte, über die hinaus keine Leistung zugestanden werde, wenn der Anspruchsinhaber in einen anderen Mitgliedstaat abwandere.

68. Zudem stütze das Urteil De Cuyper den Standpunkt der Regierungen, indem es ein Wohnorterfordernis für mit Art. 18 EG vereinbar erkläre; es sei angenommen worden, dass die Kontrollen durch die Arbeitsverwaltung in einem Fall, wie dem, über den zu befinden gewesen sei, nur wirksam seien, wenn der Leistungsempfänger, der dem Arbeitsamt zur Verfügung stehen müsse, in dem leistungserbringenden Staat wohne.

69. Die Kommission hingegen vertritt die Auffassung, dass eine Wohnortklausel gegen Art. 39 EG verstoße, wobei sie sich ebenfalls auf das Urteil stützt; ihrer Ansicht nach besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Sachverhalt der Rechtssache De Cuyper und dem der vorliegenden Rechtssache: Während Herr De Cuyper dem Arbeitsamt habe zur Verfügung stehen müssen, sei mit dem Vorschuss für Herrn Petersen eine vollständige Befreiung von dieser Verpflichtung verbunden. Wenn die Betrugsbekämpfung nicht mehr im Vordergrund stehe, werde eine Maßnahme wie die hier streitige unverhältnismäßig. Auch wenn die Verordnung Nr. 1408/71 einen Fall wie den vorliegenden nicht einbeziehe, bedeute dies daher nicht, dass ein solcher Fall außerhalb des Schutzes bleibe, den die Verträge gewährten. Die Rechtsordnung der Gemeinschaft gewähre in einem solchen Fall vielmehr Schutz und verbiete ein Wohnorterfordernis wie das hier vorliegende.

70. Herr Petersen prüft die Rechtswidrigkeit des Wohnorterfordernisses in zwei Richtungen: hinsichtlich einer Verletzung des Grundrechts auf Eigentum und hinsichtlich eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz. Die übermäßige Minderung eines Vermögenswerts in Verbindung mit der diskriminierenden Behandlung, die der Kläger im Vergleich zu Österreichern erfahre, die nicht in einen anderen Mitgliedstaat umzögen, begründe die Unvereinbarkeit der nationalen Entscheidung mit dem Gemeinschaftsrecht.

C – Würdigung

71. Weder der Verwaltungsgerichtshof noch die Beteiligten haben sich mit der Arbeitnehmereigenschaft von Herrn Petersen auseinandergesetzt. Die Kommission hat sich auf die Feststellung beschränkt, dass auf diesen, wenn er als Arbeitnehmer angesehen werde, Art. 39 EG und anderenfalls Art. 18 EG anzuwenden sei.

72. Ich neige dazu, dem Kläger den Status eines Arbeitnehmers zuzuerkennen, da sich der streitige Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis ableitet. Auch wenn das Urteil De Cuyper hinsichtlich dieses Aspekts mehrdeutig ist, gehe ich davon aus, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs die Anwendung von Art. 39 EG für den Fall bestätigt hat, dass die in Rede stehenden Ansprüche unmittelbar auf ein Arbeitsverhältnis zurückführen sind.(58) In der vorliegenden Rechtssache ist der Zusammenhang zwischen der Leistung und der Arbeitnehmereigenschaft von Herrn Petersen offensichtlich, da es sich um einen Vorschuss handelt, der von zwei Voraussetzungen abhängt, die gleichzeitig vorliegen müssen: Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit; beide weisen eine Verbindung mit einem vorherigen Arbeitsverhältnis auf.

73. Unbeschadet dessen muss, auch wenn Art. 39 EG für die Beantwortung der Vorlagefrage besondere Bedeutung zukommt, Art. 18 EG ebenfalls Beachtung geschenkt werden. Wie ich dargelegt habe, ist Herr Petersen ein Beispiel für die Bürgerfreizügigkeit , die gemäß den Ausführungen in den Nrn. 25 bis 38 der vorliegenden Schlussanträge der persönlichen und kollektiven Situation des Klägers eine besondere normative Kraft verleiht.

1. Die individuelle Rechtsstellung von Herrn Petersen

74. Herr Petersen ist ein Arbeitsloser, der seinerzeit infolge seiner abhängigen Beschäftigung eine Wartezeit zurücklegte, die ihm Anspruch auf eine Leistung wegen Invalidität vermittelt. Da er arbeitslos war, verlangte er einen Vorschuss, der der Unterstützung von Arbeitslosen dienen soll, die gleichzeitig eine Leistung wegen Invalidität beantragt haben. Dieser Vorschuss wird immer dann gewährt, wenn die Voraussetzungen der Leistung wegen Arbeitslosigkeit vorliegen, wobei der Begünstigte jedoch von der Pflicht zur Arbeitssuche befreit ist. Die nationalen Bestimmungen über die soziale Sicherheit werden zu diesem Zweck flexibilisiert , aber die Regierungen, die sich an dem vorliegenden Verfahren beteiligt haben, ersuchen den Gerichtshof um eine starre Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen der sozialen Sicherheit, da Herr Petersen nicht die Voraussetzungen der Art. 69 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 für einen Export der Leistungen erfülle, so dass der Vorschuss zu widerrufen sei, wenn er seinen Wohnort in einen anderen Mitgliedstaat verlege.

75. Dieses Argumentationsmuster stellt Herrn Petersen vor ein tragisches Dilemma, da er, ganz gleich, was er tut, stets verliert. Erfüllt er die Voraussetzungen, erhält er den Vorschuss nicht. Erfüllt er alle bis auf die, die er nicht zu erfüllen braucht, erhält er ihn ebenfalls nicht, weil er den Wohnort gewechselt hat. Und wenn er ihn nicht erhält, läuft er Gefahr, dass ihm die Leistung wegen Invalidität nicht gewährt und er vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wird. Ihm bleibt nur, eine normale Leistung wegen Arbeitslosigkeit zu beantragen, obwohl er wegen der Schwierigkeiten, denen er begegnet (da er eine Leistung wegen Invalidität beantragt), möglicherweise nicht die besten Voraussetzungen hat, um einen Arbeitsplatz in einem verhältnismäßig wettbewerbsorientierten Umfeld zu erlangen.

76. Es ist unerheblich, dass der Sonderfall von Herrn Petersen nicht unter den in der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführten Fallgestaltungen auftaucht; denn die Verordnung soll nicht alle weiteren Fallgestaltungen ausschließen, sondern dient der Ausgestaltung von Art. 39 EG. Jede Vorschrift des Sekundärrechts ist im Licht des Primärrechts auszulegen und anzuwenden. Hieraus folgt, dass es für ein Wohnorterfordernis wie das hier vorliegende an einer objektiven und vernünftigen Rechtfertigung fehlt. Hinzu kommt, dass es im vorliegenden Verfahren niemandem, insbesondere auch der österreichischen Regierung nicht, gelungen ist, die Weigerung der Verwaltung, den Wohnortwechsel von Herrn Petersen zu erlauben, zu erklären.(59)

77. Auch wenn die europäische Bürgerschaft eine vorrangige Beachtung der rechtlichen Situation des Einzelnen erfordert, ist offensichtlich, dass die österreichische Entscheidung, obwohl keine Grundrechte auf dem Spiel stehen, schwerlich eine gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung überstände.(60) Deshalb ist aufgrund von Art. 39 EG sowie von Art. 18 EG eine Maßnahme wie die angefochtene, der zufolge der Empfänger einer Sozialleistung unterschiedlich behandelt wird, je nachdem, wo sich sein Wohnort befindet, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

2. Die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft

78. Herr Petersen ist ein deutscher Staatsangehöriger, der einen großen Teil seines Berufslebens in Österreich verbracht hat. Nachdem er mehrere Jahre rechtmäßig in diesem Land gewohnt hatte, kehrte er in sein Geburtsland zurück und hatte zuvor bei den österreichischen Behörden eine Leistung wegen Invalidität und einen Vorschuss hierauf beantragt. Es steht außer Zweifel, dass der Kläger unmittelbar mit dem österreichischen Staat verbunden ist, selbst wenn es nur dadurch ist, dass er an die österreichische Arbeitsverwaltung Sozialversicherungsbeiträge bis zur Erfüllung der gesetzlichen Anwartschaft entrichtet hat. Die Verbindung von Herrn Petersen mit Österreich spricht für sich selbst, insbesondere hinsichtlich der Bewertung der Art der Leistung, die ihm verweigert wird.

79. Sollte der Gerichtshof dazu neigen, den Vorschuss als eine Leistung wegen Invalidität einzuordnen, so wäre er damit konfrontiert, dass die Verordnung Nr. 1408/71 ein Ruhen oder eine Änderung dieser Art von Sozialleistungen wegen des Wohnorts ausschließt.(61) Diese Beschränkung macht Sinn, denn sie soll die Freizügigkeit derjenigen ausbauen, die ihr Arbeitsleben beendet haben und sich entschließen, in einem anderen Mitgliedstaat zu leben, sei es aus klimatischen, familiären oder gefühlsmäßigen Gründen.

80. Sollte der Gerichtshof hingegen die Annahme bevorzugen, dass Herr Petersen eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit erhält, dann darf nicht vergessen werden, dass der Vorschuss eine Vorstufe für den Erhalt einer Leistung wegen Invalidität ist, der, wenn diese nicht gewährt wird, die Unterstützung in eine Leistung wegen Arbeitslosigkeit umwandelt, vorausgesetzt, der Betreffende erfüllt die Erfordernisse der Art. 69 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71, sofern er den Wohnort wechselt. Dessen ungeachtet liegt eines dieser Erfordernisse darin begründet, dass „im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen [wegen Invalidität] zu rechnen ist“.(62) Demzufolge darf Herr Petersen, ohne der Kontrolle durch die Arbeitsverwaltung zu unterliegen, in Deutschland für einen bestimmten Zeitraum, nämlich für die Dauer des Verfahrens für die Gewährung der Leistung wegen Invalidität, wohnen.

81. Während dieser Zeit kann die österreichische Verwaltung, die Herrn Petersen frühzeitig aufgefordert hat, einen Vorschuss zu beantragen, wodurch stillschweigend zu dessen Gunsten anerkannt worden ist, dass mit „der Zuerkennung der Leistungen [die dieser beantragt hat] zu rechnen ist“, die wirtschaftliche Belastung mit der hier streitigen Leistung übernehmen. Wenn dem Kläger die Leistung wegen Invalidität verweigert wird, wird er in seine ursprüngliche Lage zurückversetzt. In der Zwischenzeit aber konditioniert der Wohnortwechsel von Herrn Petersen, der im Verlauf eines Verfahrens stattgefunden hat, bei dem diesem voraussichtlich eine Leistung gewährt wird, die es ihm erlaubt, in jedem Mitgliedstaat zu wohnen, in keiner Weise die Handlungsfähigkeit oder die finanzielle Integrität der österreichischen Behörden.

82. Die Verbindung, die Herr Petersen nachweislich aufweist, begründet die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, die die österreichische Arbeitsverwaltung erlassen hat. In Anbetracht der Zugehörigkeit von Herrn Petersen zu der Gemeinschaft, mit der er auf effektive Weise verbunden war, muss Art. 39 EG im Licht von Art. 18 EG ausgelegt werden. Deshalb gelange ich unter Anwendung eines hohen Schutzstandards auf den europäischen Bürger zu dem Schluss, dass beide Vorschriften verletzt worden sind.

VIII – Ergebnis

83. Entsprechend den vorangehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs wie folgt zu beantworten:

Bei einer Geldleistung der Arbeitslosenversicherung, welche Arbeitslosen, die die Zuerkennung einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit beantragt haben, gewährt wird, handelt es sich um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern.

Die Art. 18 EG und 39 EG stehen einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, wonach der Anspruch auf diese Leistung ruht, wenn sich der Arbeitslose in einem anderen Mitgliedstaat aufhält.

(1) .

(2)  – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2).

(3)  – Die Idee, dass es keine absolute, sondern nur eine relative Wahrheit gibt, stammt von den Sophisten, die die Auffassung vertraten, dass es unmöglich sei, die Wirklichkeit mit den Sinnen wahrzunehmen, da jeder Sinn die Welt auf eine andere Weise deute. Diese Enttäuschung über die Wahrheit veranlasst den bekannten Monolog des Prinzen Hamlet, in dem dieser zum Ausdruck bringt, dass der Unterschied zwischen Sein und Nichtsein der individuellen Vorstellung zuzuordnen ist (Rosenberg, M., The Masks of Hamlet , Associated University Presses, London, 1992, S. 65 bis 82).

(4)  – Diese Gesamtregelung ist durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1) ersetzt worden.

(5)  – Urteil vom 12. Mai 1998, Martínez Sala (C‑85/96, Slg. 1998, I‑2691).

(6)  – Eine interessante historische Analyse der Verhandlungen, die dazu führten, dass die europäische Bürgerschaft Eingang in den Vertrag über die Europäische Union gefunden hat, findet sich in O’Leary, S., The Evolving Concept of Community Citizenship. From the Free Movement of Persons to Union Citizenship , Kluwer Law International, Den Haag, 1996, S. 23 bis 30.

(7)  – Urteile vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119), und vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher (C‑11/06 und C‑12/06, Slg. 2007, I‑0000).

(8)  – Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, Slg. 2001, I‑6193), und vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas (C‑192/05, Slg. 2006, I‑10451).

(9)  – Urteile vom 11. Juli 2002, Carpenter (C‑60/00, Slg. 2002, I‑6279), und vom 17. September 2002, Baumbast und R (C‑413/99, Slg. 2002, I‑7091).

(10)  – Die Herausgeber der Zeitschrift Common Market Law Review beschäftigen sich in deren erster Nummer des 45. Jahrgangs (2008), S. 2 und 3, mit der Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich und stellen hierbei fest, dass die Unterschiede zwischen wirtschaftlich tätigen und nicht wirtschaftlich tätigen Personen oder zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und solchen mit Gemeinschaftsbezug sowie die Logik des Diskriminierungsverbots des Art. 12 EG an Bedeutung verloren haben. Schrittweise habe sich der in den Art. 17 EG und 18 EG verankerte Begriff der Unionsbürgerschaft zum neuen Motor für die Integration entwickelt.

(11)  – Schlussanträge zu den Urteilen vom 17. Juni 1997, Shingara und Radiom (C‑65/95 und C‑111/95, Slg. 1997, I‑3343), Nr. 34, und vom 16. September 2004, Baldinger (C‑386/02, Slg. 2004, I‑8411), Nr. 25. Ebenso meine Schlussanträge in den Rechtssachen Collins (Urteil vom 23. März 2004, C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703), Nrn. 56 bis 74, sowie Morgan und Bucher (in Fn. 7 angeführtes Urteil), Nrn. 37 bis 68.

(12)  – Schlussanträge vom 9. Dezember 1992 in der Rechtssache Konstantinidis (Urteil vom 30. März 1993, C‑168/91, Slg. 1993, I‑1191), Nr. 46.

(13)  – Der Gerichtshof ist zwar dem konkreten Vorschlag des Generalanwalts nicht gefolgt, wohl aber dem diesem zugrunde liegenden Denkansatz, denn in den Schlussanträgen von Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache Centro Europa 7, vom 12. September 2007 (Urteil vom 31. Januar 2008, C‑380/05, Slg. 2008, I‑0000), Nrn. 16 bis 22, hat man sich bemüht, alles in allem von den von Generalanwalt Jacobs vertretenen Ideen aus weiter voranzukommen.

(14)  – Urteil Carpenter, angeführt in Fn. 9.

(15)  – Urteil Baumbast, angeführt in Fn. 9.

(16)  – Urteil Bidar, angeführt in Fn. 7.

(17)  – Urteil Tas-Hagen, angeführt in Fn. 8.

(18)  – Urteil Morgan, angeführt in Fn. 7.

(19)  – Spaventa, E., „Seeing the wood despite the trees? On the scope of Union citizenship and its constitutional effects“, Common Market Law Review , Jahrgang 45 (2008), S. 40, hat diese Angleichung an die Rechtssachen, in denen es um die Unionsbürgerschaft geht, beschrieben, indem sie ausführt, dass „the national authorities must take into due consideration the personal situation of the claimant so that even when the rule in the abstract is compatible with Community law, its application to that particular claimant might be contrary to the requirements of proportionality or fundamental rights protection. … This qualitative change is of constitutional relevance both in relation to the Community’s own system, and in relation to the domestic constitutional systems“.

(20)  – Urteil vom 17. Januar 2008, Kommission/Deutschland (C‑152/05, Slg. 2008, I‑0000).

(21)  – Urteil Kommission/Deutschland, angeführt in der vorangehenden Fußnote, Randnrn. 29 und 30.

(22)  – Schlussanträge vom 28. Juni 2007 in der Rechtssache Kommission/Deutschland (Urteil vom 17. Januar 2008, angeführt in Fn. 20).

(23)  – Urteil vom 8. Juli 2004, Gaumain-Cerri (C‑502/01 und C‑31/02, Slg. 2004, I‑6483).

(24)  – Urteil Gaumain-Cerri, angeführt in der vorangehenden Fußnote, Randnrn. 32 und 33.

(25)  – Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 2. Dezember 2003, Gaumain-Cerri (Urteil angeführt in Fn. 23).

(26)  – Urteil Baumbast, angeführt in Fn. 9.

(27)  – Urteil vom 7. September 2004, Trojani (C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573).

(28)  – Urteil vom 11. September 2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz (C‑76/05, Slg. 2007, I‑6849).

(29)  – Closa, C., „The Concept of Citizenship in the Treaty on European Union“, Common Market Law Review, Jahrgang 29 (1992), S. 1140 bis 1146.

(30)  – Besselink, L., „Dynamics of European and national citizenship: inclusive or exclusive?“, European Constitutional Law Review , Nr. 3, Jahrgang I (2007), S. 1 und 2; Castro Oliveira, Á., „Workers and other persons: step-by-step from movement to citizenship – Case Law 1995-2001“, Common Market Law Review , Jahrgang 39 (2002), S. 77 bis 127; Dougan, M., und Spaventa, E., „Educating Rudy and the (nin-) English patient: A double-bill on residency rights under Article 18 EC“, European Law Review , Jahrgang 28 (2003), S. 700 bis 704; Martin, D., „A Big Step Forward for Union Citizens, but a Step Backwards for Legal Coherence“, European Journal of Migration and Law , Jahrgang 4 (2002), S. 136 bis 144; O’Leary, S., „Putting flesh on the bones of European Union citizenship“, European Law Review , Jahrgang 24 (1999), S. 75 bis 79; Shaw, J., und Fries, S., „Citizenship of the Union: First Steps in the European Court of Justice“, European Public Law , Jahrgang 4 (1998), S. 533.

(31)  – Spanventa, E., angeführt in Fn. 19, S. 37 und 38, analysiert die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Unionsbürgerschaft in rein innerstaatlichen Situationen und führt aus, dass „either one argues that the Court has gone too far in say Baumbast, Bidar, and also Carpenter, or there is a challenging argument to be made as to why crossing a border should make such a difference to claimants’ rights“. Denn die Logik der unterschiedlichen Behandlung kann auf paradoxe Weise ungerechte Auswirkungen nach sich ziehen. Gerade dies hat der Gerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung zu vermeiden versucht.

(32)  – Eine Dimension, die sich mit einem eigenen Profil in der Sozialpolitik als besonderem Motor für die Integration von Menschen abzeichnet. Hantrais, L., Social policy in the European Union , St. Martin’s Press, New York, 1995, S. 34 bis 42, und Majone, G., „The EC Between Social Policy and Social Regulation“, Journal of Common Market Studies , Jahrgang 31 (1993), S. 153 bis 170. Eine spezielle Erwähnung verdient der bekannte Pintasilgo-Bericht, der 1996 von einem Ausschuss der Weisen unter dem Titel Für ein Europa der Bürger- und Sozialrechte erarbeitet wurde und der ebenfalls die Bedeutung der Sozialpolitik als Mittel zur Förderung der Integration hervorhebt.

(33)  – Das repräsentativste Beispiel für diesen Bruch mit den staatsbezogenen Elementen der demokratischen Anbindung liefert das Urteil des Gerichtshofs vom 12. September 2006, Spanien/Vereinigtes Königreich (C‑145/04, Slg. 2006, I‑7917), in dem es um die Zulässigkeit britischer Wahlvorschriften ging, denen zufolge Drittstaatsangehörige, die aufgrund ihrer Identität Verbindungen zum Vereinigten Königreich aufwiesen, an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen durften. Der Gerichtshof bestätigte die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme mit einer weit gefassten Begründung, wobei er annahm, dass die Anbindung des Bürgers an den Staat seiner Zugehörigkeit andere Formen der demokratischen Beteiligung in anderen politischen Gemeinschaften nicht ausschließe. In Randnr. 78 dieses Urteils nimmt der Gerichtshof mit Bestimmtheit den Standpunkt ein, dass „die einzelnen Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Personen zu bestimmen, die das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament haben, und dass es nicht gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstößt, wenn die Mitgliedstaaten dieses aktive und passive Wahlrecht bestimmten Personen zuerkennen, die enge Verbindungen mit ihnen aufweisen, ohne eigene Staatsangehörige oder in ihrem Hoheitsgebiet ansässige Unionsbürger zu sein“. Zum Stand der Frage im innerstaatlichen Bereich, wo der demokratische Prozess diejenigen, die nicht über eine Vertretung verfügen müssen, einschließen oder aber auch ausschließen kann, Presno Linera, M. A., El derecho de voto, Tecnos, Madrid, 2003, S. 155 bis 172.

(34)  – Es ist angezeigt, darauf hinzuweisen, dass sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten denselben Gedanken im Verlauf einer hundertjährigen Rechtsprechung zu eigen gemacht hat, in ganz besonderer Weise seit der Verabschiedung des 14. Zusatzes zur Verfassung, dessen Inhalt, wie wohlbekannt ist, eine Folge des Urteils Dred Scott c. Sandford (60 U.S. [19 How.] 393 [1856]) und des nachfolgenden Bürgerkriegs ist, der den jungen Bundesstaat zwischen 1861 und 1865 in ein Blutbad stürzte. Der genannte Zusatzartikel proklamiert, dass „all persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside. No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States.“ Es ist bezeichnend, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten noch heute, fast eineinhalb Jahrhunderte nach Verabschiedung dieser Regelung, weiterhin gegen staatliche Vorschriften vorgeht, die für diejenigen, die ein Recht in Anspruch nehmen wollen, ein Wohnorterfordernis vorsehen. In dem Urteil neueren Datums in der Sache Saenz c. Roe , 526 U.S. 489 (1999), erklärte der Oberste Gerichtshof ein kalifornisches Gesetz für verfassungswidrig, das denjenigen, die nicht länger als zwölf Monate in Kalifornien wohnten, die Gewährung einer Sozialleistung versagte. Das Gericht vertrat bei zwei abweichenden Voten die Auffassung, dass es sich um eine Maßnahme handele, die mit der Freizügigkeit, die jeder Bürger der Union genieße, unvereinbar sei. Siehe hierzu, wenn auch vor dem letztgenannten Urteil geschrieben, die renommierten Ausführungen von Warren, E., „Fourteenth Amendment: Retrospect and Prospect“, in Schwartz, B. (Hrsg.), The Fourteenth Amendment , New York University Press, New York, 1970, S. 216 ff.

(35)  – Urteil Grzelczyk, angeführt in Fn. 8.

(36)  – Urteil Bidar, angeführt in Fn. 7.

(37)  – Urteil vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen (C‑200/02, Slg. 2004, I‑9925).

(38)  – Was im Umkehrschluss die Zugehörigkeit desjenigen ausschließt, der versucht, die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft zu instrumentalisieren, ohne irgendeine Verwurzelung in der politischen Gemeinschaft nachzuweisen, wie es in der Rechtssache Collins (Urteil vom 23. März 2004, Collins, C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703) der Fall war.

(39)  – Baldwin c. G.A.F. Seelig, Inc., 294 U.S. 522, 523 (1935).

(40)  – Ich entnehme den Ausdruck Union des Rechts dem Werk von Rideau, J., „L’incertaine montée vers l’Union de droit“, De la Communauté de droit à l’Union de droit. Continuités et avatars européens, LGDJ, Paris, 2000, S. 1.

(41)  – Sie erfüllt alle Voraussetzungen der genannten Verordnung und der Rechtsprechung, denn eine Leistung ist dann eine Leistung der sozialen Sicherheit „wenn sie zum einen den Empfängern unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Umstände aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt wird und sich zum anderen auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht“ (Urteile vom 27. März 1985, Hoeckx, 249/83, Slg. 1985, 973, Randnrn. 12 bis 14, und vom 16. Juli 1992, Hughes, C‑78/91, Slg. 1992, I‑4839, Randnr. 15).

(42)  – Art. 10 der Verordnung Nr. 1408/71.

(43)  – Art. 69 der Verordnung Nr. 1408/71.

(44)  – Urteil vom 18. Juli 2006, De Cuyper (C‑406/04, Slg. 2006, I‑6947).

(45)  – Urteil De Cuyper, angeführt in der vorstehenden Fußnote, Randnr. 25; danach „sind Leistungen der sozialen Sicherheit unabhängig von den besonderen Eigenheiten der verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften als Leistungen gleicher Art zu betrachten, wenn ihr Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung identisch sind. Dagegen sind lediglich formale Merkmale nicht als wesentliche Tatbestandsmerkmale für die Einstufung der Leistungen anzusehen.“

(46)  – Urteil De Cuyper, angeführt in Fn. 44, Randnr. 27.

(47)  – Urteil vom 8. März 2001, Jauch (C‑215/99, Slg. 2001, I‑1901).

(48)  – Urteil vom 15. März 2001, Offermanns (C‑85/99, Slg. 2001, I‑2261).

(49)  – § 23 Abs. 2 Z 1 AlVG.

(50)  – Eine logische Folge der vorgenannten Ausnahme.

(51)  – § 23 Abs. 5 AlVG.

(52)  – Urteil De Cuyper, angeführt in Fn. 44, Randnr. 27.

(53)  – Art. 23 Abs. 4 AlVG.

(54)  – Art. 23 Abs. 5 und 6 AlVG.

(55)  – Urteil De Cuyper, angeführt in Fn. 44, Randnr. 30.

(56)  – § 23 Abs. 2 Z 3 AlVG verlangt für die Gewährung des Vorschusses an diejenigen, die eine Leistung bei Invalidität beantragen, dass „eine Bestätigung des Pensionsversicherungsträgers vorliegt, dass voraussichtlich eine Leistungspflicht dem Grunde nach binnen zwei Monaten nach dem Stichtag für die Pension nicht festgestellt werden kann“, was zeigt, dass der Vorschuss gewährt wird, um die durch ein verlängertes Verwaltungsverfahren verursachte zeitliche Verzögerung auszugleichen.

(57)  – Urteil De Cuyper, angeführt in Fn. 44, Randnr. 25.

(58)  – Urteile Martínez Sala, angeführt in Fn. 5, Randnr. 32, vom 27. November 1997, Meints (C‑57/96, Slg. 1997, I‑6689), Randnrn. 16 und 17, und vom 6. November 2003, Ninni-Orasche (C‑413/01, Slg. 2003, I‑13187), Randnr. 34.

(59)  – Die Abschnitte 12 bis 14 der schriftlichen Erklärungen der österreichischen Regierung beschränken sich auf die Wiederholung des Inhalts des Art. 39 EG sowie der Art. 10 und 67 der Verordnung Nr. 1408/71. Sie enthalten keine schlüssigen Gesichtspunkte, um zu rechtfertigen, dass es Herrn Petersen verweigert wurde, den ihm gewährten Vorschuss anlässlich der Verlegung seines Wohnorts in einen anderen Mitgliedstaat zu exportieren.

(60)  – Nr. 27 der vorliegenden Schlussanträge.

(61)  – Art. 10 der Verordnung Nr. 1408/71.

(62)  – Mir scheint nicht ausschlaggebend zu sein, dass die Leistung Herrn Petersen zunächst verweigert wurde. Wie der Experte der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, werden 60 % der Anträge auf Leistungen wegen Invalidität abgelehnt, was eine restriktive Politik der Verwaltung hinsichtlich der Bewertung der Voraussetzungen belegt, die den Anspruch auf den Bezug der Leistung entstehen lassen. Ich gehe daher davon aus, dass die ursprüngliche Ablehnung des Antrags von Herrn Petersen prima facie nicht bedeutet, dass mit der Zuerkennung der Leistung nicht zu rechnen war.