Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

I – Einleitung

1. Mit Entscheidung vom 15. März 2007 hat das Bayerische Landessozialgericht München (Deutschland) dem Gerichtshof gemäß Art. 234 EG zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt; die erste betrifft die Auslegung des Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971(2), die zweite die Auslegung der Art. 18 EG, 39 EG und 49 EG.

2. Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits, den Frau Petra von Chamier-Glisczinski gegen die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (im Folgenden: DAK) angestrengt hat, um die Erstattung der Kosten ihrer Unterbringung in einem Pflegeheim in Österreich zu erhalten.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

1. Die maßgeblichen Vorschriften des Vertrags

3. Art. 18 Abs. 1 EG bestimmt:

„Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“

4. Art. 39 Abs. 1 bis 3 EG lautet:

„(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht,

a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;

b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;

d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.“

5. Art. 49 Abs. 1 EG bestimmt:

„Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.“

2. Das abgeleitete Recht

6. Die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit stellen unleugbar ein Hindernis für die Freizügigkeit der Erwerbstätigen dar. Aus diesem Grund haben die Verfasser des Vertrags von Rom dem Rat die Zuständigkeit für den Erlass der „für die Herstellung der Freizügigkeit erforderlichen Maßnahmen“ in diesem Sektor übertragen. Art. 51 EG (jetzt Art. 42 EG) stellte insbesondere die Einführung eines Systems in Aussicht, „welches aus- und einwandernden Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert:

a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen“.

7. Diese Zuständigkeit hat der Rat bereits ab 1958 mit dem Erlass einer Regelung zur Koordinierung der Rechtsvorschriften in den verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherheit wahrgenommen, die für die verschiedenen von diesen Vorschriften erfassten Risiken gelten sollte. Gegenwärtig wird diese Koordinierung durch die Verordnung Nr. 1408/71(3) sichergestellt, deren ursprüngliche Fassung mehrfach geändert worden ist.

8. Für die vorliegende Rechtssache ist insbesondere Art. 19 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung von Bedeutung, der bestimmt:

„(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnt und die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt, erhält in dem Staat, in dem er wohnt,

a) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre.

b) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohnorts können die Leistungen jedoch vom Träger des Wohnorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Familienangehörige, die im Gebiet eines anderen als des zuständigen Staates wohnen, sofern sie nicht aufgrund der Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet sie wohnen, Anspruch auf diese Leistungen haben.“

9. Zu beachten ist gleichfalls Art. 22 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung mit folgendem Wortlaut:

„(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt und

b) der, nachdem er zulasten des zuständigen Trägers leistungsberechtigt geworden ist, von diesem Träger die Genehmigung erhalten hat, in das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, zurückzukehren oder einen Wohnortwechsel in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats vorzunehmen, oder

hat Anspruch auf:

i) Sachleistungen, für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates; …“

10. Das vorlegende Gericht bezieht sich in der ersten Vorabentscheidungsfrage auch auf Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968(4) über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Dieser Artikel ist(5) durch Art. 38 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG(6) aufgehoben worden. Abs. 1 dieses Artikels lautet:

„(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

b) seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt.“

B – Nationales Recht

11. In Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs hat die deutsche Regierung das im Elften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) geregelte Pflegeversicherungssystem im Überblick dargestellt.

12. Dieses System sieht drei Formen von Leistungen für pflegebedürftige Personen vor.

13. § 36 SGB XI bestimmt, dass Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Sachleistungen haben, die durch Angestellte von ambulanten Pflegediensten erbracht werden, die mit der Pflegekasse durch einen Versorgungsvertrag verbunden sind. Die Kosten dieser Leistungen werden von der Kasse bis zu einem Höchstbetrag übernommen, der vom Grad der Pflegebedürftigkeit des Empfängers abhängt. In der Pflegestufe III beläuft sich dieser Betrag auf 1 432 Euro monatlich und kann in Fällen mit außergewöhnlich hohem und intensivem Pflegeaufwand mit besonders hohen Kosten auf bis zu 1 918 Euro erhöht werden. Die Kasse vergütet die Pflegeeinsätze nach den Tarifen, die in den mit den verschiedenen ambulanten Pflegediensten abgeschlossenen Leistungsverträgen festgelegt sind. Die häusliche medizinische Behandlungspflege gehört nicht zu den Sachleistungen im Sinne des Art. 36 und wird von der Krankenversicherung finanziert.

14. § 37 SGB XI bestimmt, dass Pflegebedürftige ein monatliches Pflegegeld beanspruchen können, wenn sie die erforderliche häusliche Pflege und Versorgung selbst sicherstellen. Das Pflegegeld kann vom Begünstigten frei verwendet werden und somit auch für die Bezahlung von Leistungen, die nicht von der Versicherung gedeckt oder von Personen erbracht werden, die nicht den zugelassenen Pflegediensten angehören. Auch die Höhe des Pflegegelds ist vom Grad der Pflegebedürftigkeit abhängig. In der Pflegestufe III beläuft sich dieser Betrag auf monatlich 665 Euro.

15. § 38 SGB XI regelt die sogenannten Kombinationsleistungen . Nach dieser Vorschrift kann ein Versicherter, der die ihm zustehenden Sachleistungen nur teilweise in Anspruch nimmt, gleichzeitig ein Pflegegeld nach § 37 erhalten, dessen Betrag um einen Prozentsatz herabgesetzt wird, der dem der Inanspruchnahme der Sachleistung entspricht. Es ist Sache des Empfängers, zu entscheiden, zu welchem Anteil er Sachleistungen in Anspruch nimmt. Mit den Kombinationsleistungen soll eine flexiblere selbstbestimmte Gestaltung der häuslichen Pflege für den Pflegebedürftigen ermöglicht werden.

16. Leistungen, die die in der Pflegeversicherung vorgesehenen Höchstgrenzen übersteigen, gehen zulasten des Pflegebedürftigen.

17. Schließlich können Pflegebedürftige gemäß § 43 SGB XI, auf den die Kommission in ihren Erklärungen hinweist, Pflege in vollstationären Einrichtungen beanspruchen, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des Einzelfalls nicht in Betracht kommt. Die Pflegekasse deckt die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege und die Aufwendungen der sozialen Betreuung durch einen Pauschalbetrag. Dieser Pauschalbetrag beträgt für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 1 432 Euro. Der von der Pflegekasse zu übernehmende Betrag darf insgesamt 75 % des Gesamtbetrags aus Pflegesatz sowie Entgelt für Unterkunft und Verpflegung des Pflegebedürftigen nicht übersteigen. § 43 sieht weiter vor, dass die jährlichen Ausgaben einer Pflegekasse für die bei ihr versicherten Pflegebedürftigen in vollstationärer Pflege durchschnittlich 15 339 Euro je Person nicht übersteigen dürfen. Dieser Höchstbetrag darf in Ausnahmefällen überschritten werden. Der Versicherte, der vollstationäre Pflege wählt, obwohl diese nach Feststellung der Pflegekasse nicht erforderlich ist, erhält zu den pflegebedingten Aufwendungen einen Zuschuss in Höhe des in § 36 für seine Pflegestufe vorgesehenen Gesamtwerts.

III – Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen

18. Frau von Chamier-Glisczinski, deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in München, erhielt aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit von der DAK, dem Sozialversicherungsträger, bei dem sie über ihren Ehemann versichert war, die in § 38 SGB XI vorgesehenen Leistungen aus der Pflegeversicherung (Kombinationsleistungen).

19. Am 27. August 2001 beantragte sie bei der DAK, die Sachleistungen, die ihr nach den deutschen Vorschriften zustanden, in einem österreichischen Pflegeheim erbringen zu lassen, in dem sie aufgenommen werden wollte. Diesen Antrag lehnte die DAK mit Bescheid vom 31. August 2001 ab und begründete dies damit, dass das österreichische Recht für die seinem Sozialversicherungssystem Angeschlossenen in einem Fall wie dem von Frau von Chamier-Glisczinski keine Sachleistungen vorsehe. Nach Auffassung der DAK bestand deshalb lediglich ein Anspruch auf Auszahlung des deutschen Pflegegelds nach der Pflegestufe III in Höhe von 1 300 DM (664,68 Euro).

20. Vom 17. September 2001 bis 18. Dezember 2003 hielt sich Frau von Chamier-Glisczinski in einem staatlich anerkannten Pflegeheim in Österreich auf, in das sie sich laut Vorlagebeschluss begeben hatte, weil ihr Ehemann sich in Österreich um eine Tätigkeit bewerben wollte.

21. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2002 wies die DAK den Widerspruch von Frau von Chamier-Glisczinski gegen den Bescheid vom 31. August 2001 zurück. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht München mit Urteil vom 11. Oktober 2005 ab. Frau von Chamier-Glisczinski legte gegen dieses Urteil Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht München ein und begehrt weiterhin Erstattung der Kosten für die Unterbringung in der Pflegeeinrichtung in Österreich in Höhe der Differenz zwischen dem bereits gewährten Pflegegeld und dem Höchstbetrag, bis zu dem die Kosten für Sachleistungen nach § 36 SGB XI bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III von der zuständigen Einrichtung übernommen werden.

22. Das Bayerische Landessozialgericht München, nach dessen Auffassung die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 19 Abs. 1 Buchst. a, gegebenenfalls in Verbindung mit Abs. 2, der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 im Hinblick auf Art. 18 EG und Art. 39 EG, 49 EG in Verbindung mit Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 dahin gehend auszulegen, dass der Arbeitnehmer oder Selbständige bzw. der Familienangehörige keine Geld- oder Erstattungsleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Wohnorts erhält, wenn nach den für letzteren Träger geltenden Rechtsvorschriften keine Sachleistungen, sondern nur Geldleistungen für die bei diesem Versicherten vorgesehen sind?

2. Falls kein derartiger Anspruch besteht, besteht im Hinblick auf Art. 18 EG bzw. Art. 39 EG ein Anspruch auf Kostenübernahme – nach vorheriger Genehmigung – für einen stationären Pflegeheimaufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat gegen den zuständigen Träger in der Höhe der im zuständigen Mitgliedstaat zu gewährenden Leistungen?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

23. Am 18. September 2007 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mitgeteilt, dass der Rechtsstreit nach dem Tod von Frau von Chamier-Glisczinski von ihrem Ehemann weitergeführt werde und die Vorabentscheidungsfragen aufrechterhalten würden.

24. Die Berufungsklägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin), die Kommission sowie die deutsche und die norwegische Regierung haben gemäß Art. 23 Abs. 2 und 3 der Satzung des Gerichtshofs schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie haben außerdem in der Sitzung vom 12. Juni 2008 ihren Standpunkt mündlich vorgetragen.

25. Gemäß Art. 104 § 5 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist dem vorlegenden Gericht ein Ersuchen um Klarstellung übermittelt worden. Der Gerichtshof hat ferner der deutschen Regierung einige Fragen zur schriftlichen Beantwortung gestellt.

V – Rechtliche Untersuchung

A – Vorbemerkungen

26. Vor der Prüfung der Vorabentscheidungsfragen ist zunächst der tatsächliche Kontext des Ausgangsverfahrens eingehender darzulegen, wie er sich aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf das Ersuchen des Gerichtshofs um Klarstellung und aus den für die Klägerin in der Sitzung abgegebenen Erläuterungen ergibt.

27. In Beantwortung des Ersuchens des Gerichtshofs um Klarstellung hat das Bayerische Landessozialgericht München dem Gerichtshof zwei Schreiben übermittelt, von denen das erste vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das zweite von der DAK stammt. Im ersten Schreiben wird ausgeführt, dass der Ehemann während des gesamten Aufenthalts von Frau von Chamier-Glisczinski in dem österreichischen Pflegeheim seinen Wohnsitz in München beibehalten habe, wo er bis zum 30. Juni 2002 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Ab August 2001 sei er jedoch aufgrund einer Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber im Hinblick auf die Auflösung des Arbeitvertrags von seinen Arbeitspflichten befreit gewesen. Von August 2001 bis Dezember 2003 habe er in Österreich, wo sich seine Frau aufgehalten habe, eine Beschäftigung gesucht. Im Dezember 2003 schließlich habe Herr von Chamier‑Glisczinski ein Gewerbe aufgebaut, das im April 2004 seinen Sitz in Laufen gehabt habe. Im Schreiben der DAK wird hingegen ausgeführt, Herr von Chamier‑Glisczinski sei, wie sich aus den Unterlagen der DAK ergebe, vom 17. September 2001 bis 30. Juni 2002 als Arbeitnehmer tätig und bei dieser freiwillig versichert gewesen, vom 1. Juli 2002 bis zum 18. Dezember 2003 beim Arbeitsamt, von dem er Arbeitslosengeld erhalten habe, als Arbeitsuchender registriert und bei der DAK pflichtversichert gewesen und schließlich ab 19. Dezember 2003 bei dieser als Selbständiger versichert gewesen.

28. In der Sitzung hat Herr von Chamier‑Glisczinski klargestellt, dass er im August 2001 Verhandlungen mit einem österreichischen Pharmaunternehmen aufgenommen habe, um ein eigenes Gewerbe zu begründen. Dieses Vorhaben, das ihn bewogen habe, sich in Österreich, wo seine Ehefrau sich seit September 2001 aufgehalten habe, niederzulassen, sei indessen gescheitert, weil er keine Finanzierung erhalten habe.

29. Bei der weiteren Untersuchung werden die vorstehend genannten Gesichtspunkte Berücksichtigung finden, weil einige von ihnen Einfluss auf die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen haben könnten.

B – Zur ersten Vorlagefrage

30. Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob aufgrund des in Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Mechanismus der Träger des Wohnmitgliedstaats verpflichtet ist, für Rechnung des zuständigen Trägers Geldleistungen, gegebenenfalls in Form der Erstattung oder der Kostenübernahme, zu erbringen, wenn das System der sozialen Sicherheit dieses Staates im Gegensatz zu dem des zuständigen Trägers keine Sachleistungen für die eigenen Versicherten vorsieht.

31. Die erste Frage geht demnach dahin, ob der Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 ein Anspruch auf Ausgleich in Geld für die fraglichen Sachleistungen zusteht, den sie gegen die Einrichtungen der sozialen Sicherheit ihres Wohnstaats geltend machen kann.

32. Vor der Beantwortung dieser Frage halte ich folgende Erläuterungen für angebracht.

33. Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Verordnung Nr. 1390/81 den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen ausgedehnt hat. Die Lage der Ehegatten von Chamier‑Glisczinski wird deshalb durch diese Verordnungen geregelt, auch wenn in der Sitzung deutlich geworden ist, dass Herr von Chamier‑Glisczinski während des Aufenthalts seiner Ehefrau in dem Pflegeheim in Österreich dort keine Tätigkeit als Arbeitnehmer suchte, sondern eine selbständige Tätigkeit anstrebte.

34. Ich weise ferner darauf hin, dass sich der Gerichtshof bereits zur Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Leistungen des deutschen Sozialversicherungssystems bei Pflegebedürftigkeit geäußert hat. Im Urteil Molenaar hat er entschieden, dass solche Leistungen ungeachtet gewisser Besonderheiten „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 seien, weil sie „im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung [bezwecken], mit der sie auch organisatorisch verknüpft sind, um den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern“(7) . Auf solche Leistungen sind daher die Art. 18 bis 36 der Verordnung anzuwenden.

35. Das vorlegende Gericht hat in Art. 19 der Verordnung den normativen Bezugsrahmen für die Lage der Eheleute von Chamier-Glisczinski ausgemacht. Ich muss allerdings sagen, dass ich Zweifel an der Richtigkeit dieses Bezugsrahmens hege. Dieser Artikel regelt nämlich die Rechtslage des als Arbeitnehmer oder selbständig Erwerbstätigen oder seines Familienangehörigen, der zu dem Zeitpunkt , zu dem sich das Risiko, das Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit vermittelt, verwirklicht, im vorliegenden Fall die Pflegebedürftigkeit, in einem anderen als dem zuständigen Staat wohnt. Die Lage eines Erwerbstätigen oder seines Familienangehörigen, der, nachdem er in den Genuss der Leistungen zulasten des zuständigen Staates gekommen ist , seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ist hingegen in Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung geregelt.

36. Im vorliegenden Fall steht nun aber fest, dass Frau von Chamier-Glisczinski bereits ein Anspruch auf die Leistungen der deutschen Pflegeversicherung in der Form der Kombinationsleistungen zustand, bevor sie ihren Wohnort von Deutschland nach Österreich verlegte. Ihre Stellung scheint mir daher eher vom Anwendungsbereich von Art. 22 Abs. 1 Buchst. b als dem des Art. 19 erfasst zu sein.

37. Die Änderung des normativen Bezugsrahmens bedeutet indessen keine wesentliche Änderung hinsichtlich der anzuwendenden Regelung. Art. 22 Abs. 1 Ziff. i und ii sieht nämlich, wie im Folgenden zu erläutern sein wird, eine ähnliche Regelung wie die des Art. 19 Abs. 1 Buchst. a und b vor, wenn man einmal von der Pflicht des Erwerbstätigen oder seines Familienangehörigen absieht, beim zuständigen Träger eine Genehmigung für die Fortsetzung der ärztlichen Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat zu beantragen(8) . Allerdings darf im Fall des Buchst. b des Art. 22 Abs. 1, der bei Frau von Chamier-Glisczinski vorzuliegen scheint, diese Genehmigung „nur verweigert werden, wenn die Rückkehr oder der Wohnortwechsel des Arbeitnehmers oder Selbständigen dessen Gesundheitszustand gefährden oder die Durchführung der ärztlichen Behandlung in Frage stellen würde“.

38. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil Twomey aufgrund der Feststellung, dass der Begriff des Arbeitnehmers oder Selbständigen in der Verordnung Nr. 1408/71 besonders weit gefasst sei, klargestellt hat, dass Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 auf einen beschäftigungslosen Erwerbstätigen anwendbar ist, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt, unabhängig vom Zeitpunkt – vor oder nach Beendigung der Erwerbstätigkeit – der Erkrankung(9) . Daraus folgt aufgrund der Verweisung in Art. 19 Abs. 2, dass dieser auch auf die Familienangehörigen eines beschäftigungslosen Erwerbstätigen anzuwenden ist, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Die gleiche Schlussfolgerung gilt meines Erachtens für Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung. Zum einen nämlich ist der Begriff des Arbeitnehmers oder Selbständigen im Sinne dieses Artikels derselbe, wie in Randnr. 16 des Urteils Twomey stillschweigend anerkannt wird. Zum anderen hat Art. 22 Abs. 1 Buchst. b wie Art. 19 einen von Art. 25 der Verordnung abweichenden Anwendungsbereich; dieser regelt nämlich die Stellung von Beschäftigungslosen, die sich vorübergehend in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat aufhalten, um dort eine Beschäftigung zu suchen(10), ohne allerdings ihren Wohnsitz dorthin zu verlegen (11) . Auch wenn Herr von Chamier-Glisczinski, wie in dem dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht übermittelten Schreiben der DAK dargelegt wird, während des Aufenthalts seiner Ehefrau in dem Pflegeheim in Österreich eine Zeit lang in Deutschland als Arbeitsuchender registriert gewesen sein und von den zuständigen Behörden dieses Staates Arbeitslosenunterstützung erhalten haben sollte, würde dies demnach, auch wenn es sich bestätigen sollte, nicht ausreichen, die Anwendung von Art. 19 (und aus denselben Gründen auch von Art. 22 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung auf die Lage von Frau von Chamier-Glisczinski auszuschließen.

39. Nach diesen Klarstellungen prüfe ich nunmehr die erste vom vorlegenden Gericht gestellte Frage.

40. Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass Frau von Chamier-Glisczinski für eine gewisse Zeit Kombinationsleistungen gemäß § 38 SGB XI erhalten hat. Diese setzen häusliche Pflege des Pflegebedürftigen voraus. In der Sitzung hat Herr von Chamier-Glisczinski bestätigt, dass seine Ehefrau bis zu ihrem Umzug in das Pflegeheim in Österreich zuhause gepflegt wurde.

41. Außerdem ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass Frau von Chamier-Glisczinski im August 2001 bei der DAK einen Antrag auf Genehmigung ihres Umzugs in ein Pflegeheim in Österreich unter Beibehaltung der Leistungen aus der deutschen Pflegeversicherung gestellt hat, die ihr indessen verweigert wurde. Pflegebedürftige haben gemäß § 43 Abs. 1 SGB XI, wie dargelegt, Anspruch auf Pflege in vollstationären Einrichtungen, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist. Gemäß § 43 Abs. 2 übernimmt die Pflegekasse die Aufwendungen für den Aufenthalt im Pflegeheim mit einem Pauschalbetrag; für Personen der Pflegestufe III wie Frau von Chamier-Glisczinski beträgt dieser Pauschalbetrag 1 432 Euro monatlich. Außerdem erhält der Versicherte, der vollstationäre Pflege wählt, obwohl diese nach den Feststellungen der Pflegekasse nicht erforderlich ist, gemäß § 43 Abs. 4 einen Zuschuss in Höhe des in § 36 Abs. 3 für die jeweilige Pflegestufe vorgesehenen Gesamtwerts; in Pflegestufe III beläuft sich dieser auf 1 432 Euro monatlich.

42. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme logisch, dass Frau von Chamier-Glisczinski in ihrem Antrag an die DAK den Willen zum Ausdruck gebracht hat, von den Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI zu den Leistungen des § 43 SGB XI überzugehen, und zugleich den Wunsch geäußert hat, diese Leistungen aus Anlass ihres Umzugs in das Pflegeheim in Österreich zu „exportieren“. Die Weigerung der DAK wäre mit der Anwendung von Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 und nicht mit dem Fehlen der Voraussetzungen für den Übergang zu den Leistungen nach § 43 SGB XI begründet worden. Frau von Chamier-Glisczinski hätte aller Wahrscheinlichkeit nach solche Leistungen erhalten, wenn sie sich in einem Pflegeheim in Deutschland hätte pflegen lassen. Da sie ihren Aufenthaltsort nach Österreich verlegt hat, hat sie indessen ihren Anspruch auf Leistungen nach den §§ 36, 38 und 43 SGB XI verloren, allerdings den auf Pflegegeld nach § 37 behalten, der sich in ihrem Fall auf 665 Euro monatlich belief. Sie hätte ferner keine Leistungen nach dem österreichischen System der sozialen Sicherheit erhalten, das, wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, für Fälle von Pflegebedürftigkeit wie den von Frau von Chamier-Glisczinski keine Sachleistungen zu kennen scheint(12) .

43. Die deutsche und die norwegische Regierung sowie die Kommission sind der Auffassung, dass die ungünstige Lage, in der sich Frau von Chamier-Glisczinski befunden habe, auf dem Unterschied der Systeme der sozialen Sicherheit beruhe, die mit der Verordnung Nr. 1048/71 lediglich koordiniert und nicht harmonisiert worden seien.

44. Zunächst ist vor allem darauf hinzuweisen, dass Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 eine unterschiedliche Regelung für Geld- und für Sachleistungen vorsieht. Während Erstere dem Erwerbstätigen, der sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beschäftigung aufhält, „vom zuständigen Träger nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften“ (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b) erbracht werden, werden Letztere dem Erwerbstätigen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Wohnorts „nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften erbracht, als ob [der Erwerbstätige] bei diesem versichert [wäre]“ (Art. 19 Abs. 1 Buchst. a). Wie bereits festgestellt worden ist, sieht Art. 22 Abs. 1 Ziff. i und ii der Verordnung ein entsprechendes System vor.

45. Der Doppelmechanismus, der sich aus diesen Vorschriften ergibt, gestattet einem dem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats angeschlossenen Erwerbstätigen, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt oder sich dort aufhält, einerseits, die Geldleistungen, die er nach den Vorschriften des zuständigen Staates beanspruchen kann, zu „exportieren“, und andererseits, im Aufenthaltsmitgliedstaat die Sachleistungen in Anspruch zu nehmen, die den in diesem Staat Versicherten zustehen. Im Übrigen wird durch die Verweisung auf die Rechtsvorschriften des Wohn- oder Aufenthaltsstaats verhindert, dass die Einrichtungen dieses Staates, die einem dem System eines anderen Mitgliedstaats angeschlossenen Erwerbstätigen Sachleistungen zu erbringen haben, andere als die eigenen Vorschriften anzuwenden haben. Mithin werden aufgrund dieser Vorschriften z. B. die Art der Leistung, deren Modalitäten(13) und deren Dauer(14) sowie der Umfang der Deckung festgelegt. Die Leistungen werden „für Rechnung des zuständigen Trägers“ erbracht(15), der gemäß Art. 36 der Verordnung verpflichtet ist, sie dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltstaats in vollem Umfang zu ersetzen.

46. Nach der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Definition schließt der Begriff „Sachleistungen“ Leistungen in Form von Zahlungen des verpflichteten Trägers, insbesondere in Form von Kostenübernahmen oder ‑erstattungen, nicht aus, während der Begriff „Geldleistungen“ im Wesentlichen Leistungen betrifft, die den Verdienstausfall des kranken Arbeitnehmers ausgleichen sollen(16) . Im Urteil Molenaar hat der Gerichtshof bekräftigt, dass Leistungen der deutschen Pflegeversicherung, „die die häusliche oder stationäre Pflege des Versicherten, den Kauf von Pflegehilfsmitteln und bestimmte Maßnahmen decken sollen, … unbestreitbar unter den Begriff ‚Sachleistungen‘ in den Artikeln 19 Absatz 1 Buchstabe a, 25 Absatz 1 Buchstabe a und 28 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 [fallen]“ (17) . Die Leistungen, die Gegenstand des von Frau Chamier-Glisczinski gegenüber der DAK geltend gemachten Anspruchs sind, stellen daher, auch wenn sie in der Zahlung eines Geldbetrags als Kostenerstattung bestehen, Sachleistungen dar und sind als solche der Regelung in den entsprechenden Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 unterstellt.

47. Gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung in der Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Molenaar hat der Erwerbstätige, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt, Anspruch auf die Sachleistungen, die der Träger des Wohn- oder Aufenthaltsstaats bei vergleichbaren Sachverhalten ihren eigenen Versicherten erbringt, „ soweit dessen Recht die Zahlung von Sachleistungen vorsieht , die zur Deckung der Risiken bestimmt sind, die die Pflegeversicherung im Beschäftigungsmitgliedstaat deckt, ohne dass es auf die spezielle Bezeichnung des Systems des sozialen Schutzes ankäme, zu dem diese Sachleistungen gehören“(18) .

48. Hieraus folgt, dass der Erwerbstätige keinen Anspruch gegen den Wohnstaat erheben kann, wenn dessen Rechtsvorschriften keine Erbringung von Sachleistungen zur Deckung des Risikos vorsehen, für das diese Leistungen verlangt werden. Diese Schlussfolgerung scheint mir nicht nur mit dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung, sondern auch mit dessen Ratio im Einklang zu stehen, die zugunsten des Erwerbstätigen den Zugang zu den seinem Gesundheitszustand entsprechenden Pflegeleistungen im Wohn- oder Aufenthaltsstaat unter den gleichen Bedingungen wie den nach dem System der sozialen Sicherheit dieses Staates Versicherten sicherstellen will.

49. Im Fall von Frau von Chamier-Glisczinski bedeutet dies, da anscheinend das österreichische System der sozialen Sicherheit die Erbringung von Sachleistungen bei Pflegebedürftigkeit nicht vorsieht, dass sie keinen Anspruch gegen die Träger des Wohnstaats erheben kann.

50. Unter diesem Gesichtspunkt stimme ich also der Auslegung zu, die die deutsche und die norwegische Regierung sowie die Kommission in ihren jeweiligen Erklärungen vorgeschlagen haben.

51. Nicht folgen kann ich indessen der These, dass sich aus der Natur der Kollisionsnorm des Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung ergeben soll, dass sich der Anspruch des Erwerbstätigen auf Sachleistungen in dem Fall, dass er in einem anderen als dem Beschäftigungsmitgliedstaat wohnt, ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats richtet, und zwar in dem Sinne, dass nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats gegenüber dessen Trägern kein Anspruch auf solche Leistungen erhoben werden kann, wenn die Vorschriften des Wohnstaats die Erbringung von Sachleistungen zur Deckung des Risikos nicht vorsehen, für das solche Leistungen beansprucht werden.

52. Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil Jordens-Vosters bereits festgestellt, dass die Verordnung Nr. 1408/71 „im Wesentlichen zum Ziel [hat], die Anwendung der in den einzelnen Mitgliedstaaten für Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geltenden Systeme der sozialen Sicherheit nach einheitlichen und gemeinschaftlichen Kriterien sicherzustellen“ und „es [demnach] hieße, über dieses Ziel hinauszugehen und sich gleichzeitig außerhalb der Zweckbestimmung und des Rahmens des [Artikels 42 EG] zu stellen, legte man die Verordnung Nr. 1408/71 so aus, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften v erbietet, dem Arbeitnehmer einen weiter gehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung dieser Verordnung ergibt“(19) . Genauer gesagt hat der Gerichtshof bei dieser Gelegenheit ausgesprochen, dass es deshalb eine Verkennung von Buchstabe und Geist von Art. 19 der Verordnung wäre, wenn man diese Bestimmungen dahin auslegen würde, „dass sie dem zuständigen Träger verbieten, einem Arbeitnehmer oder Rentenberechtigten günstigere soziale Leistungen zu gewähren, als wozu er nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung verpflichtet ist, wenn die von diesem Träger angewandten innerstaatlichen Rechtsvorschriften dem Versicherten unter besonderen Umständen einen solchen erweiterten sozialen Schutz zubilligen“. Für den Gerichtshof ist es unerheblich , dass der betreffende Erwerbstätige oder Rentenberechtigte im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnt; dieser Umstand ist vielmehr nach Art. 19 der Verordnung entscheidend, „um den Träger, der die dem Versicherten geschuldeten Leistungen zu erbringen hat, und die für die Erbringung dieser Leistungen geltenden Rechtsvorschriften zu bestimmen, … hat aber … keinen Einfluss auf die etwaige Gewährung solcher zusätzlichen sozialen Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, auf die der Versicherte keinen Anspruch hat, die ihm der zuständige Träger jedoch zuerkennen kann“(20) .

53. Sinngemäß hat der Gerichtshof im Urteil Pierik I(21) nicht zu Art. 19, sondern zu Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 zunächst ausgeführt, dass „[i]m Rahmen der allgemeinen Ziele des Vertrages … Art. 22 der Verordnung zu denjenigen Maßnahmen [gehört], die es den Arbeitnehmern, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ohne Rücksicht darauf, bei welchem nationalen Träger sie versichert sein mögen und wo ihr Wohnort liegen mag, ermöglichen sollen, Sachleistungen zu erhalten, die in einem anderen Mitgliedstaat gewährt werden“(22), und dann entschieden, dass die Worte „Sachleistungen, die (die Arbeitnehmer) für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts … erhalten“ (Art. 22 Abs. 1 Buchst. b), nicht nur die im Mitgliedstaat des Wohnorts gewährten Sachleistungen bezeichnen, sondern auch diejenigen, die der zuständige Träger gewähren kann(23) . Der Grund hierfür ist, wie der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Verordnung verlangt, für den Arbeitnehmer die Möglichkeit einer seinem Gesundheitszustand angemessenen Behandlung in einem beliebigen Mitgliedstaat sicherzustellen, ohne Rücksicht auf seinen Wohnort oder darauf, in welchem Mitgliedstaat der Sozialversicherungsträger, bei dem er versichert ist, seinen Sitz hat(24) .

54. Die beiden vorgenannten Urteile betrafen Pflegeleistungen im Beschäftigungsmitgliedstaat durch den Träger dieses Staates an einen Erwerbstätigen mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, während im Fall von Frau von Chamier-Glisczinski Erstattung für im Wohnmitgliedstaat erhaltene Leistungen verlangt wird. Dieser Umstand allein dürfte es aber kaum ausschließen, die vom Gerichtshof festgelegten Grundsätze auf Sachverhalte wie denjenigen zu übertragen, der Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist.

55. Andererseits könnte, wenn man in Art. 19 ein Hindernis dafür sähe, dass die Träger des zuständigen Mitgliedstaats einem bei ihnen Versicherten Sachleistungen nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften erbringen, wenn solche Leistungen im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Betroffenen nicht vorgesehen sind, dies zu Ergebnissen führen, die mit der Zielsetzung der Verordnung unvereinbar wären. Das wäre z. B. dann der Fall, wenn der zuständige Mitgliedstaat zur Absicherung eines bestimmten Risikos nur Sachleistungen, der Wohnmitgliedstaat hingegen nur Geldleistungen vorsähe: In diesem Fall erhielte der Erwerbstätige weder Geldleistungen, weil diese im zuständigen Mitgliedstaat, der sie gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung zu erbringen hätte, nicht vorgesehen sind, noch Sachleistungen, weil diese im Wohnmitgliedstaat nicht vorgesehen sind. Der Arbeitnehmer würde mit anderen Worten von jeglicher Absicherung des betreffenden Risikos ausgeschlossen, obwohl doch das System der sozialen Sicherheit beider Staaten eine solche vorsieht. Bei einer solchen Fallgestaltung würde der Arbeitnehmer außerdem anders als die im System der sozialen Sicherheit des zuständigen Staates Versicherten, die in diesem Staat wohnen, und auch anders als die im System der sozialen Sicherheit des Wohnmitgliedstaats Versicherten behandelt.

56. Es scheint mir auf der Hand zu liegen, dass ein solches Ergebnis mit dem Geist der Verordnung und den entsprechend Art. 42 EG mit der Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit verfolgten Zielen, zu denen vor allem das Diskriminierungsverbot und der Schutz wohlerworbener Rechte gehören, nicht in Einklang stünde(25) . Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof ständig einer Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 entgegengetreten ist, die zu einem Verlust von in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats garantierten Vorteilen der sozialen Sicherheit geführt hätte(26) .

57. Die Verordnung Nr. 1408/71 steht zwar der Erstattung nicht entgegen, die Frau von Chamier-Glisczinski von der DAK beansprucht, doch kann meines Erachtens das Recht auf Zahlung dieser Erstattung nicht den Vorschriften dieser Verordnung entnommen werden, auch wenn man diese im Licht der Bestimmungen des Vertrags über die Freizügigkeit auslegt. Es ist daher zu prüfen, ob dieses Recht unmittelbar kraft dieser Bestimmungen, deren Auslegung Gegenstand der zweiten Vorabentscheidungsfrage ist, anerkannt werden kann.

58. Aus allen diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste Vorabentscheidungsfrage wie folgt zu antworten:

Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer oder Selbstständige, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt, gegenüber dem Träger des Wohnorts keinen Anspruch auf Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers hat, wenn die Rechtsvorschriften des Wohnstaats die Erbringung von Sachleistungen zur Absicherung des Risikos, für das diese Leistungen beansprucht werden, nicht vorsehen. Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 steht der Gewährung solcher Leistungen an einen solchen Erwerbstätigen oder einen seiner Familienangehörigen in Form der Kostenerstattung durch den zuständigen Träger nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften nicht entgegen.

59. In gleicher Weise ist meines Erachtens Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 auszulegen, falls dass vorlegende Gericht feststellen sollte, dass die Lage von Frau von Chamier-Glisczinski entsprechend meiner Auffassung vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift und von Art. 19 erfasst wird.

C – Zur zweiten Vorlagefrage

60. Mit der zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob gemäß den Art. 18 EG, 39 EG und 49 EG ein Recht gegenüber dem zuständigen Träger besteht, nach Genehmigung die Kosten der Aufnahme und der Pflege in einem Pflegeheim eines anderen Mitgliedstaats in Höhe eines Betrags erstattet zu erhalten, der den Leistungen entspricht, die einem im zuständigen Mitgliedstaat Versicherten zustehen .

61. Vorab ist auf die ständige Rechtsprechung zu der in Art. 234 EG festgelegten Aufgabenverteilung hinzuweisen, wonach es zwar Sache des nationalen Gerichts ist, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wurden, auf den bei ihm anhängigen Fall anzuwenden, es dagegen dem Gerichtshof zukommt, aus den gesamten vom nationalen Gericht gemachten Angaben, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen gemeinschaftsrechtlichen Elemente herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Streitgegenstands einer Auslegung bedürfen(27) .

62. Es ist festzustellen, dass sich aus den uns zur Verfügung stehenden Anhaltspunkten ergibt, dass Frau von Chamier-Glisczinski die Anwendung von Art. 49 EG zu ihren Gunsten nicht beanspruchen kann. Den Angaben des vorlegenden Gerichts und den Hinweisen von Herrn von Chamier-Glisczinski in der Sitzung zufolge hatte sie sich nämlich nicht vorübergehend nach Österreich begeben, um dort in der spezialisierten Einrichtung, in der sie aufgenommen worden war, gepflegt zu werden, sondern hatte dort ihren festen Aufenthalt genommen , im Hinblick auf den bevorstehenden Umzug ihres Ehemannes. Sie hat für die Dauer von 27 Monaten fest in Österreich gewohnt und sich in dem betreffenden Pflegeheim aufgehalten. Im Urteil Steymann hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Art. 59 und 60 des Vertrags (jetzt Art. 49 EG und 50 EG) „nicht für den Angehörigen eines Mitgliedstaats gelten, der sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu erbringen oder zu empfangen“(28) . Diese Feststellung ist im Urteil Sodemare für Dienstleistungen an Bewohner von Altenwohnungen bestätigt worden(29) .

63. In der gleichen Weise wird wohl die Lage der Eheleute von Chamier-Glisczinski nicht vom Anwendungsbereich von Art. 39 EG erfasst. Aus den Erklärungen, die Herr von Chamier-Glisczinski in der Sitzung abgegeben hat, ergibt sich nämlich, dass dieser in der Zeit des Aufenthalts seiner Ehefrau in Österreich keinerlei Anstrengung unternommen hat, um eine Beschäftigung als Arbeitnehmer in diesem Land zu suchen.

64. Angesichts des tatsächlichen Kontexts des Ausgangsverfahrens ist daher die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage auf die Auslegung des Art. 18 EG zu beschränken.

65. Zunächst sei gesagt, dass ich dem Einwand der Kommission und der norwegischen Regierung nicht beipflichte, wonach dem Umstand, dass die Verordnung Nr. 1408/71 im Bereich der sozialen Sicherheit die in den Bestimmungen des Vertrags festgelegte Freizügigkeit verwirkliche, zu entnehmen sei, dass nur Art. 19 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung auf den Ausgangsfall anzuwenden sei, während die Bestimmungen des Vertrags erst Anwendung finden könnten, nachdem dieser Artikel für rechtswidrig erklärt worden sei.

66. Wie ich bereits dargelegt habe(30), bin ich nämlich der Auffassung, dass Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 der Anerkennung eines Rechts des Erwerbstätigen oder eines seiner Familienangehörigen aufgrund der Bestimmungen des Vertrags nicht entgegensteht, das nicht gegen den Träger des Wohnstaats, sondern gegen den des Versicherungsstaats geltend zu machen ist.

67. Hierzu ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bei der Prüfung des Verhältnisses zwischen Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 und den Bestimmungen des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr im Urteil Kohll(31) klargestellt hat, dass diese Vorschrift nicht den Fall regeln – und daher auch nicht verhindern – soll, dass die Kosten in einem anderen Mitgliedstaat erbrachter Behandlungen zu den Sätzen erstattet werden, die im Versicherungsstaat gelten, sondern sich darauf beschränkt, dem Versicherten zu erlauben, Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers nach den Rechtsvorschriften des Staates zu erhalten, in dem die Leistungen erbracht werden(32) . Die Allgemeinheit dieser Feststellung zum einen und die Tatsache, dass Art. 22 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 der Verordnung eine übereinstimmende Regelung für Sachleistungen vorsehen, zum anderen bringen mich zu der Ansicht, dass diese Klarstellung des Gerichtshofs neben allen von Art. 22 Abs. 1 (einschließlich Buchst. b) geregelten Sachverhalten auch für die Sachverhalte gilt, die in den Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 fallen. Wie Art. 22 Abs. 1 soll auch Art. 19 somit nicht die Erstattung der Kosten von Pflegeleistungen, die in einem anderen als dem Versicherungsstaat und zu den dort vorgesehenen Bedingungen und Tarifsätzen erbracht werden, regeln und folglich auch nicht verhindern.

68. Im Urteil Kohll hat der Gerichtshof weiterhin bekräftigt, dass das Recht auf eine solche Erstattung unmittelbar aus den Bestimmungen des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr folge(33) .

69. Die hier zu beantwortende Frage ist hingegen, ob das gleiche Recht aufgrund von Art. 18 EG anerkannt werden kann, wenn weder Art. 49 EG noch Art. 39 EG herangezogen werden kann.

70. In dieser Hinsicht möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass das Gemeinschaftsrecht nach ständiger Rechtsprechung die Befugnis der Mitgliedstaaten nicht berührt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten(34) . Infolgedessen ist es angesichts fehlender Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene Sache jedes Mitgliedstaats, durch den Erlass von Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit festzulegen(35) . Bei der Ausübung dieser Befugnis müssen indessen die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecht(36) und insbesondere die Vertragsbestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, beachten(37) .

71. Nun hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass es, da ein Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats hat, die sich in der gleichen Situation befinden, mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar wäre, wenn der Mitgliedstaat, dem er angehört, ihn weniger günstig behandeln könnte, als wenn er nicht von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hätte, die ihm der Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt(38) . Nach Auffassung des Gerichtshofs könnte eine solche Erleichterung nämlich ihre Wirkungen nicht voll entfalten, wenn der Angehörige eines Mitgliedstaats sie durch Hindernisse für seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nach den Rechtsvorschriften seines Ursprungsstaats nicht in Anspruch nehmen könnte, die ihn benachteiligten, weil er von ihnen Gebrauch gemacht hätte(39) .

72. Eine nationale Regelung, die bestimmte Inländer allein deshalb benachteiligt, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, würde zu einer Ungleichbehandlung führen, die den Grundsätzen widerspräche, auf denen der Status eines Unionsbürgers beruht, nämlich der Garantie der gleichen rechtlichen Behandlung bei der Ausübung seiner Freizügigkeit(40) .

73. Ebenso ist meines Erachtens eine nationale Regelung zu beurteilen, die einem dem nationalen System der sozialen Sicherheit angeschlossenen, gegen Pflegebedürftigkeit Versicherten die Erstattung der ihm aus Anlass des Aufenthalts in einer spezialisierten Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten – in den Grenzen der von dieser Regelung garantierten Absicherung – versagt, wenn die Erstattung dieser Kosten im Fall eines Aufenthalts in einer Vertragseinrichtung im Gebiet des Versicherungsmitgliedstaats gewährt worden wäre.

74. Eine solche unterschiedliche Behandlung könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen würde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird(41) .

75. Hierzu verweise ich darauf, dass der Gerichtshof im Urteil Smits und Peerbooms(42) bei der Ausweitung der Anwendung der im Urteil Kohll aufgestellten Grundsätze auf medizinische Dienstleistungen im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts klargestellt hat, dass, falls die Vorschriften eines Mitgliedstaats die Übernahme der Kosten für medizinische Dienstleistungen im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat durch die zuständige Kasse von der vorherigen Erteilung einer Genehmigung abhängig machen, dies eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, aber durch den doppelten Zweck der Erhaltung eines ausgewogenen und allgemein zugänglichen Systems medizinischer Behandlung in Krankenhäusern und der effizienten Bewirtschaftung der für die Krankenpflege bestimmten Finanzmittel gerechtfertigt werden kann(43) .

76. Nach meiner Auffassung gelten entsprechende Erwägungen auch für Pflege- und Betreuungsleistungen zugunsten Pflegebedürftiger, die in spezialisierten Einrichtungen erbracht werden. Auch für solche Leistungen gelten nämlich, wie die deutsche und die norwegische Regierung meines Erachtens zu Recht unterstrichen haben, die gleichen Planungserfordernisse im Hinblick auf die Erhaltung eines ausgewogenen und allgemein zugänglichen Systems von Heimstrukturen für Pflegebedürftige, insbesondere bei Berücksichtigung der höheren Lebenserwartung in den Ländern der Gemeinschaft, sowie die Erfordernisse der Dämpfung der Kosten der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit.

77. Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung als Voraussetzung für den Erhalt der genannten Erstattung verstieße daher nicht gegen Art. 18 EG, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung im Hinblick auf die vorgenannten Zwecke gerechtfertigt wären, sich auf objektive, nicht diskriminierende und im Voraus festgelegte Kriterien stützten und dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit entsprächen(44) .

78. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall, wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, der Antrag von Frau von Chamier-Glisczinski, der sich für die Zeit ihres Aufenthalts in dem Pflegeheim in Österreich auf die Sachleistungen richtete, die das System der Pflegeversicherung, dem sie angeschlossen war, vorsah, unter Bezugnahme lediglich auf Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71 abgelehnt worden ist. Aus den oben dargelegten Gründen schließt der Umstand, dass dieser Artikel Anwendung findet, das Recht auf Erstattung in den Grenzen der von diesem System vorgesehenen Absicherung aufgrund von Art. 18 EG nicht aus(45) . Die Ablehnung des Kostenübernahmeantrags von Frau von Chamier-Glisczinski kann daher jedenfalls nicht als rechtmäßig angesehen werden.

VI – Ergebnis

79. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Bayerischen Landessozialgericht München vorgelegten Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu antworten:

1. Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer oder Selbstständige, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt, gegenüber dem Träger des Wohnorts keinen Anspruch auf Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers hat, wenn die Rechtsvorschriften des Wohnstaats die Erbringung von Sachleistungen zur Absicherung des Risikos, für das diese Leistungen beansprucht werden, nicht vorsehen. Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 steht der Gewährung solcher Leistungen an einen solchen Erwerbstätigen oder einen seiner Familienangehörigen in Form der Kostenerstattung durch den zuständigen Träger nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften nicht entgegen.

2. Art. 18 EG ist dahin auszulegen, dass er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die einem bei dem nationalen System der sozialen Sicherheit gegen Pflegebedürftigkeit Versicherten die Erstattung der ihm aus Anlass des Aufenthalts in einer spezialisierten Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten – in den Grenzen der von dieser Regelung garantierten Absicherung – versagt, wenn die Erstattung dieser Kosten im Fall eines Aufenthalts in einer Vertragseinrichtung im Hoheitsgebiet des zuständigen Mitgliedstaats bewilligt worden wäre. Eine solche unterschiedliche Behandlung könnte nur dann gerechtfertigt sei, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen würde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird.

(1) .

(2)  – ABl. L 149, S. 2.

(3)  – Die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 werden durch die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 74, S. 1), ergänzt.

(4)  – ABl. L 257, S. 2.

(5)  – Mit Wirkung vom 30. April 2006.

(6)  – ABl. L 158, S. 77.

(7)  – Urteil vom 5. März 1998 (C‑160/96, Slg. 1998, I‑843, Randnr. 24).

(8)  – Für Sachleistungen ist vorgesehen, dass die Dauer ihrer Erbringung von den Vorschriften des zuständigen Staates und, anders als bei Art. 19, nicht von denen des Wohn-(oder Aufenthalts)staats festgelegt wird.

(9)  – Urteil vom 10. März 1992 (C‑215/90, Slg. 1992, I‑1823, Randnrn. 13 bis 15 und 18).

(10)  – Vgl. Randnr. 15 des Urteils Twomey (angeführt in Fn. 9).

(11)  – Nach der Definition in Art. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 ist unter Wohnsitz der „gewöhnliche Aufenthalt“ zu verstehen.

(12)  – Anderer Meinung ist hingegen die deutsche Regierung, die ausführt, dass das vorlegende Gericht die entsprechenden Vorschriften des österreichischen Rechts falsch verstanden habe.

(13)  – In einigen nationalen Rechtsordnungen werden z. B. die Kosten für ärztliche Betreuung in öffentlichen Einrichtungen in der Regel vom zuständigen Träger übernommen; in anderen wiederum gilt ein Erstattungssystem. Der Prozentsatz der Deckung der Kosten ärztlicher Betreuung ist von System zu System unterschiedlich.

(14)  – Wie wir gesehen haben, wird bei den Sachverhalten, die in den Anwendungsbereich des Art. 22 Abs. 1 fallen, die Dauer der Leistungserbringung von den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates festgelegt.

(15)  – Vgl. Art. 19 Abs. 1 Buchst. b und Art. 22 Abs. 1 Ziff i.

(16)  – Vgl. Urteil vom 30. Juni 1966, Vaassen-Göbbels (61/65, Slg. 1966, 584, 607).

(17)  – Urteil Molenaar, Randnr. 32.

(18)  – Ebd., Randnr. 37; Hervorhebung nur hier.

(19)  – Urteil vom 10. Januar 1980, Jordens-Vosters (69/79, Slg. 1980, 75, Randnr. 11).

(20)  – Ebd. Randnr. 13; Hervorhebung nur hier.

(21)  – Urteil vom 16. März 1978 (117/77, Slg. 1978, 825).

(22)  – Ebd., Randnr. 14.

(23)  – Ebd., Randnr. 21.

(24)  – Ebd., Randnrn. 17 und 22.

(25)  – Vgl. in diesem Sinne auch kürzlich das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bosmann, in dem bekräftigt wurde, dass durch Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71, wonach eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt, „der Wohnstaat … nicht daran gehindert werden [soll], dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren“ (Urteil vom 20. Mai 2008, C‑352/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 31).

(26)  – Vgl. Urteile vom 9. Dezember 1993, Lepore und Scamuffa (C‑45/92 und C‑46/92, Slg. 1993, I‑6497, Randnr. 21), vom 4. Oktober 1991, Paraschi (C‑349/87, Slg. 1991, I‑4501, Randnr. 22), vom 30. März 1993, de Wit (C‑282/91, Slg. 1993, I‑1221, Randnrn. 16 und 17), sowie vom 5. Oktober 1994, Van Munster (C‑165/91, Slg. 1994, I‑4661, Randnr. 27). Vgl. auch Urteile vom 9. Oktober 1997, Naranjo Arjona u. a. (C‑31/96 bis C‑33/96, Slg. 1997, I‑5501, Randnr. 20), vom 17. Dezember 1998, Grajera Rodríguez (C‑153/97, Slg. 1998, I‑8645, Randnr. 17), und vom 9. November 2006, Nemec (C‑205/05, Slg. 2006, I‑10745, Randnrn. 37 und 38).

(27)  – Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2003, Inizan (C‑56/01, Slg. 2003, I‑12403, Randnrn.32 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

(28)  – Urteil vom 5. Oktober 1988 (C‑196/87, Slg. 1988, 6159, Randnr. 17).

(29)  – Urteil vom 17. Juni 1997, Sodemare u. a. (C‑70/95, Slg. 1997, I‑3395, Randnr. 38).

(30)  – Vgl. Nrn. 51 bis 56.

(31)  – Urteil vom 28. April 1998, Kohll (C‑158/96, Slg. 1998, I‑1931).

(32)  – Randnrn. 26 und 27. In diesen Randnummern hat der Gerichtshof auf einen Einwand der luxemburgischen Regierung und des zuständigen Trägers ähnlichen Inhalts wie der von der Kommission im vorliegenden Verfahren geantwortet. Vgl. auch Urteil vom 12. Juli 2001, Vanbraekel (C‑368/98, Slg. 2001, I‑5363, Randnr. 36). Im Urteil Inizan (in Fn. 27 angeführt, Randnrn. 15 bis 36) hat der Gerichtshof schließlich verneint, dass Art. 22 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung, soweit er die Erbringung von Sachleistungen, die er sicherstellt, von der vorherigen Erteilung einer Genehmigung abhängig macht, gegen die Art. 49 EG und 50 EG verstößt. Vgl. schließlich aus jüngerer Zeit Urteil vom 16. Mai 2006, Watts (C‑372/04, Slg. 2006, I‑4325, Randnrn. 46 bis 48).

(33)  – Dem Gerichtshof zufolge stehen diese Bestimmungen einer nationalen Regelung entgegen, die die Erstattung von Kosten nach den Sätzen des zuständigen Staates für den Beistand eines freiberuflichen Arztes außerhalb von Krankenhäusern in einem anderen Mitgliedstaat von einer vorherigen Genehmigung des Trägers des Versicherten abhängig machen. Nach Auffassung des Gerichtshofs „hält eine solche Regelung die Sozialversicherten davon ab, sich an ärztliche Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, und stellt sowohl für diese wie für ihre Patienten eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar“ (Randnrn. 34 und 35 des Urteils).

(34)  – Vgl. insbesondere Urteile vom 7. Februar 1984, Duphar u. a. (238/82, Slg. 1984, 523, Randnr. 16), und Sodemare u. a. (in Fn. 29 angeführt, Randnr. 27).

(35)  – Vgl. Urteile vom 24. April 1980, Conan (110/79, Slg. 1980, 1445, Randnr. 15), Paraschi (in Fn. 26 angeführt, Randnr. 15) und vom 30. Januar 1997, Stöber und Piosa Pereira (C‑4/95 und C‑5/95, Slg. 1997, I‑511, Randnr. 36).

(36)  – Vgl. Urteile vom 13. Mai 2003, Müller-Fauré und van Riet (C‑385/99, Slg. 2003, I‑4509, Randnr. 100), vom 28. April 1998, Decker (C‑120/95, Slg. 1998, I‑1831, Randnr. 23), Watts (in Fn. 32 angeführt, Randnr. 92), sowie Kohll (in Fn. 31 angeführt, Randnr. 19).

(37)  – Vgl. Urteil vom 23. November 2000, Elsen (C‑135/99, Slg. 2000, I‑10409, Randnr. 33).

(38)  – Vgl. Urteile vom 9. November 2006, Turpeinen (C‑520/04, Slg. 2006, I‑10685, Randnr. 20), vom 11. Juli 2002, D’Hoop (C‑224/98, Slg. 2002, I‑6191, Randnr. 30) und vom 29. April 2004, Pusa (C‑224/02, Slg. 2004, I‑5763, Randnr. 18).

(39)  – Vgl. Urteile Turpeinen, Randnr. 22, und Pusa, Randnr. 19 (beide in Fn. 38 angeführt).

(40)  – Vgl. Urteile Turpeinen, Randnr. 22, und Pusa, Randnr. 19 (beide in Fn. 38 angeführt). Vgl. auch Urteile vom 18. Juli 2006, De Cuyper (C‑406/04, Slg. 2006, I‑6947, Randnr. 39), und Elsen (in Fn. 37 angeführt).

(41)  – Vgl. Urteile vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703, Randnr. 66), Turpeinen (in Fn. 38 angeführt, Randnr. 32) und De Cuyper (in Fn. 40 angeführt, Randnr. 40).

(42)  – Urteil vom 12. Juli 2001 (C‑157/99, Slg. 2001, I‑5473).

(43)  – Ebd., Randnrn. 69 ff. Nach der Rechtsprechung darf aber die in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte ambulante Pflege nicht von einer Genehmigung abhängig gemacht werden (Urteil Kohll, in Fn. 31 angeführt).

(44)  – Vgl. auch Urteile Müller-Fauré und van Riet (in Fn. 36 angeführt) und Inizan (in Fn. 27 angeführt). Im Urteil vom 18. März 2004, Leichtle (C‑8/02, Slg. 2004, I‑2641), hat der Gerichtshof z. B. die Bedingungen, von denen eine deutsche Beihilfevorschrift die Erteilung einer Genehmigung für eigene Versicherte zur Durchführung von Heilkuren in einem anderen Mitgliedstaat abhängig machte, für unvereinbar mit den Erfordernissen des freien Dienstleistungsverkehrs erklärt.

(45)  – Es ist aber zu beachten, dass sich in bestimmten Fällen dieses Erstattungsrecht und das Recht auf vom Wohn- oder Aufenthaltsstaat erbrachte Sachleistungen, das aus den Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 abgeleitet wird, überlagern können. Natürlich muss in diesen Fällen das Risiko einer Doppelleistung vermieden werden. Dies kann durch eine Verwaltungskooperation der beteiligten Einrichtungen nach dem von dieser Verordnung geschaffenen System erreicht werden.