1. Rechtsmittel – Rechtsschutzinteresse – Voraussetzung
2. Rechtsmittel – Anschlussrechtsmittel – Gegenstand
(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 116)
3. Rechtsmittel – Anschlussrechtsmittel – Rechtsschutzinteresse – Voraussetzung
4. Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Wettbewerbsfeindlichkeit – Hinreichende Feststellung
(Art. 81 Abs. 1 EG)
5. Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Absicht der Parteien einer Vereinbarung, den Wettbewerb einzuschränken – Kein notwendiges Kriterium
(Art. 81 Abs. 1 EG)
6. Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Vereinbarungen zur Begrenzung des Parallelhandels
(Art. 81 EG)
7. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Freistellung – Voraussetzungen – Beweislast
(Art. 81 Abs. 3 EG)
8. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Freistellung – Voraussetzungen – Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten
(Art. 81 Abs. 3 EG)
9. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Freistellung – Voraussetzungen – Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder Beitrag zum technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt
(Art. 81 Abs. 3 EG)
1. Ein Rechtsmittelführer hat nur dann ein Rechtsschutzinteresse, wenn ihm das Rechtsmittel im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann. Soweit ein Rechtsmittel gegen einen Teil der Gründe eines Urteils gerichtet ist und mit ihm beantragt wird, die Begründung auszutauschen, ohne dass der Tenor dieses Urteils in Frage gestellt wird, ist es für unzulässig zu erklären, da es dem Rechtsmittelführer keinen Vorteil verschaffen und sich nicht auf den Tenors des Urteils auswirken kann.
(vgl. Randnrn. 23-26)
2. Legen ein Kläger und ein Beklagter des ersten Rechtszugs beide ein Rechtsmittel gegen dasselbe Urteil des Gerichts ein, so ergibt sich aus Art. 116 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht, dass der Beklagte des ersten Rechtszugs nicht zugleich ein Rechtsmittel und ein Anschlussrechtsmittel auf das vom Kläger des ersten Rechtszugs eingelegte Rechtsmittel einlegen kann, und zwar ungeachtet dessen, dass dieses Urteil mehrere Rechtssachen betrifft und diese verbunden worden sind. Denn trotz ihrer Verbindung verlieren die Rechtssachen nicht ihre Selbständigkeit. Es ist nicht verfahrensmissbräuchlich, zugleich ein Rechtsmittel und ein Anschlussrechtsmittel einzulegen.
Ferner ergibt sich aus Art. 116 § 1 der Verfahrensordnung nicht, dass der Beklagte des ersten Rechtszugs, der ein Rechtsmittel und ein Anschlussrechtsmittel eingelegt hat, im Rahmen des Anschlussrechtsmittels keine Verteidigungsmittel geltend machen darf, um auf die vom Kläger des ersten Rechtszugs mit dessen Rechtsmittel vorgetragenen Rechtsmittelgründe einzugehen. Diese Schlussfolgerung wird nicht dadurch entkräftet, dass die Verteidigungsmittel in dem mit „Anschlussrechtsmittel“ überschriebenen Teil der Rechtsmittelbeantwortung dargelegt sind. Denn es darf nicht allein auf die förmliche Bezeichnung des Teils eines Schriftsatzes abgestellt werden, ohne seinen Inhalt zu berücksichtigen.
(vgl. Randnrn. 31, 36, 38)
3. Wie bei einem Rechtsmittel hat ein Anschlussrechtsmittelführer nur dann ein Rechtschutzinteresse, wenn ihm das Anschlussrechtsmittel im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann.
(vgl. Randnr. 33)
4. Der wettbewerbswidrige Zweck und die wettbewerbswidrige Wirkung einer Vereinbarung sind keine kumulativen, sondern alternative Voraussetzungen für die Beurteilung, ob diese Vereinbarung unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG fällt. Der durch die Konjunktion „oder“ gekennzeichnete alternative Charakter dieser Voraussetzung weist darauf hin, dass zunächst der eigentliche Zweck der abgestimmten Verhaltensweise in Betracht zu ziehen ist, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen, und es müssen, damit sie vom Verbot erfasst wird, Voraussetzungen vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist. Die Auswirkungen einer Vereinbarung brauchen nicht geprüft zu werden, wenn feststeht, dass sie einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt.
(vgl. Randnr. 55)
5. Bei der Prüfung des wettbewerbswidrigen Zwecks einer Vereinbarung ist insbesondere auf deren Inhalt und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Ferner ist es der Kommission und den Gemeinschaftsgerichten, auch wenn die Absicht der Beteiligten kein für die Bestimmung des wettbewerbsbeschränkenden Charakters einer Vereinbarung notwendiges Element ist, nicht verwehrt, sie zu berücksichtigen.
(vgl. Randnr. 58)
6. Im Parallelhandel bezwecken Vereinbarungen, mit denen dieser Handel begrenzt oder verboten werden soll, grundsätzlich eine Verhinderung des Wettbewerbs. Die Feststellung, dass, wenn feststeht, dass bei einer Vereinbarung, die auf eine Begrenzung des Parallelhandels abzielt, grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sie eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt, dies insofern gilt, als vermutet werden kann, dass dadurch den Endverbrauchern die Vorteile eines wirksamen Wettbewerbs hinsichtlich der Bezugsquellen oder der Preise vorenthalten werden, wird weder durch den Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EG noch durch die Rechtsprechung gestützt. Denn zum einen geht aus Art. 81 Abs. 1 EG nicht hervor, dass nur Vereinbarungen, die den Verbrauchern bestimmte Vorteile entziehen, einen wettbewerbswidrigen Zweck haben könnten. Zum anderen ist Art. 81 EG, wie auch die übrigen Wettbewerbsregeln des Vertrags, nicht nur dazu bestimmt, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen. Daher setzt die Feststellung, dass mit einer Vereinbarung ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, nicht voraus, dass dadurch den Endverbrauchern die Vorteile eines wirksamen Wettbewerbs hinsichtlich der Bezugsquellen oder der Preise vorenthalten werden. Das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Zwecks darf daher nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden, dass die Vereinbarung Nachteile für die Endverbraucher beinhaltet.
Der Grundsatz, wonach eine Vereinbarung zur Begrenzung des Parallelhandels eine „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ darstellt, gilt im Arzneimittelsektor.
(vgl. Randnrn. 59-60, 62-64)
7. Derjenige, der sich auf Art. 81 Abs. 3 EG beruft, muss mit überzeugenden Argumenten und Beweisen nachweisen, dass die Voraussetzungen für eine Freistellung erfüllt sind. Die Beweislast trägt demnach das Unternehmen, das die Freistellung beantragt. Die tatsächlichen Gesichtspunkte, auf die sich das Unternehmen beruft, können die andere Partei jedoch zu einer Erläuterung oder Rechtfertigung zwingen, da sonst der Schluss zulässig ist, dass den Anforderungen an die Beweislast genügt wurde.
Insbesondere ist zur Entscheidung der Frage, ob eine Vereinbarung zur Verbesserung der Erzeugung oder Verteilung der in Rede stehenden Waren oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt und spürbare objektive Vorteile mit sich bringt, diese Entscheidung anhand der mit dem Antrag auf Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG vorgelegten Sachargumente und Beweise zu prüfen. Eine solche Prüfung kann eine Berücksichtigung der Merkmale und etwaigen Besonderheiten der von der Vereinbarung betroffenen Branche erfordern, wenn diese Merkmale und Besonderheiten für das Ergebnis der Prüfung entscheidend sind. Eine solche Berücksichtigung führt nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern gewährleistet nur, dass die Prüfung des Freistellungsantrags im Licht der vom Antragsteller vorgelegten Sachargumente und Beweise erfolgt.
(vgl. Randnrn. 82-83, 102-103)
8. Mit einem Antrag auf Nichtigerklärung einer auf einen Freistellungsantrag nach Art. 81 Abs. 3 EG ergangenen Entscheidung der Kommission befasst, nimmt das Gemeinschaftsgericht eine in materieller Hinsicht beschränkte Kontrolle vor. Im Rahmen einer solchen Kontrolle kann es insbesondere prüfen, ob die Kommission die Entscheidung in Bezug auf die relevanten Sachargumente und Beweise, die der Antragsteller zur Stützung seines Freistellungsantrags vorgetragen bzw. vorgelegt hat, hinreichend begründet hat. Wenn die Kommission hinsichtlich einer der Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG keine Gründe angegeben hat, prüft es, ob die Begründung der Entscheidung der Kommission in Bezug auf diese Voraussetzung ausreichend ist. Eine solche Lösung steht in voller Übereinstimmung mit dem Grundsatz, dass sich die von den Gemeinschaftsgerichten ausgeübte Kontrolle der Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission notwendigerweise auf die Prüfung beschränkt, ob die Vorschriften über das Verfahren und die Begründung eingehalten wurden, ob der Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegt. Es steht dem Gemeinschaftsgericht nicht zu, die wirtschaftliche Beurteilung des Urhebers der Entscheidung, deren Rechtmäßigkeit es zu kontrollieren hat, durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.
(vgl. Randnrn. 84-86, 146-148, 163-164)
9. Eine Vereinbarung, um nach Art. 81 Abs. 3 EG freigestellt zu werden, muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Dieser Beitrag kann nicht schon in jedem Vorteil gesehen werden, der sich aus der Vereinbarung für die Tätigkeit der an ihr beteiligten Unternehmen ergibt, sondern nur in spürbaren objektiven Vorteilen, die geeignet sind, die mit der Vereinbarung verbundenen Nachteile für den Wettbewerb auszugleichen.
Eine für eine bestimmte Zeit gewährte Freistellung kann eine zukunftsorientierte Analyse der Konkretisierung der sich aus einer Vereinbarung ergebenden Vorteile erforderlich machen; für die Annahme, dass die Vereinbarung einen spürbaren objektiven Vorteil mit sich bringt, genügt es, dass die Kommission aufgrund der ihr vorliegenden Informationen zu der Überzeugung gelangt, dass der Eintritt dieses Vorteils hinreichend wahrscheinlich ist.
Das Vorgehen der Kommission kann daher eine Untersuchung der Frage implizieren, ob es angesichts der vorgetragenen Sachargumente und vorgelegten Beweise wahrscheinlicher ist, dass die in Rede stehende Vereinbarung das Erreichen spürbarer objektiver Vorteile ermöglicht, oder aber, dass dies nicht der Fall ist.
Das Vorliegen eines spürbaren objektiven Vorteils setzt nicht zwingend voraus, dass sämtliche zusätzliche Finanzmittel in Forschung und Entwicklung investiert werden.
(vgl. Randnrn. 92-94, 120)