Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

I – Einleitung

1. Der vorliegenden Rechtssache liegt eine Vertragsverletzungsklage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 226 EG zugrunde, mit der sie vom Gerichtshof die Feststellung begehrt, dass das Großherzogtum Luxemburg aufgrund der Bedingungen, die es an Unternehmen stellt, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und Arbeitnehmer zur Erbringung von Dienstleistungen nach Luxemburg entsenden, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen(2) (im Folgenden: Richtlinie 96/71) sowie aus den Art. 49 EG und 50 EG verstoßen hat.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

2. Gemäß Art. 49 Abs. 1 EG sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, verboten.

3. Art. 50 Abs. 1 EG definiert solche Leistungen als Dienstleistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht u. a. den Vorschriften über den freien Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Nach dem letzten Absatz von Art. 50 EG kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, die dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt.

4. Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 bestimmt unter der Überschrift „Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ Folgendes:

„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,

– durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder

– durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Absatzes 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen,

festgelegt sind:

a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten;

b) bezahlter Mindestjahresurlaub;

c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;

d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;

e) Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz;

f) Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen;

g) Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.

Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.

(10) Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung des Vertrags für inländische und ausländische Unternehmen in gleicher Weise

– Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Absatz 1 Unterabsatz 1 aufgeführten Aspekte, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt,

– Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen oder Schiedssprüchen nach Absatz 8 festgelegt sind und andere als im Anhang genannte Tätigkeit betreffen, vorzuschreiben.“

5. Anlässlich der Verabschiedung der Richtlinie wurde eine Erklärung (Erklärung 10) abgegeben, wonach unter den Worten „Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung“ die „verbindlichen Vorschriften verstanden werden sollten, von denen nicht abgewichen werden darf und die nach ihrer Art und ihrem Ziel den zwingenden Erfordernissen des öffentlichen Interesses gerecht werden. Diese Vorschriften können insbesondere das Verbot der Zwangsarbeit oder die Beteiligung der Behörden an der Überwachung der Einhaltung der Rechtsvorschriften über die Arbeitsbedingungen umfassen“(3) .

B – Nationales Recht

6. Art. 1 des luxemburgischen Gesetzes vom 20. Dezember 2002 über die Umsetzung der Richtlinie 96/71 und die Kontrolle der Anwendung des Arbeitsrechts (im Folgenden: das Gesetz vom 20. Dezember 2002)(4) sieht Folgendes vor:

„(1) Zwingende Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, insbesondere was die Bestimmungen über Vereinbarungen und Verträge gemäß dem Gesetz vom 27. März 1986 zur Genehmigung des Römischen Übereinkommens vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht angeht, stellen dar und gelten als solche für alle Arbeitnehmer, die auf dem Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg eine Arbeitsleistung erbringen, einschließlich jener, die vorübergehend nach Luxemburg entsandt wurden, und ungeachtet der Dauer oder des Zwecks der Entsendung: alle Bestimmungen in Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften sowie all jene, die sich aus allgemein verbindlichen Kollektivverträgen oder einem Schiedsspruch mit einem ähnlichen Anwendungsbereich wie im Fall der verbindlichen Kollektivverträge ergeben, die folgende Bereiche betreffen:

1. den schriftlichen Arbeitsvertrag oder das auf Grundlage der Richtlinie 91/533/EWG vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bestimmungen erstellte Dokument;

2. den sozialen Mindestlohn und die automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten;

3. die Arbeitszeit und die wöchentliche Ruhezeit;

4. den bezahlten Urlaub;

5. die Betriebsferien;

6. die gesetzlichen Feiertage;

7. die Regelung der Leiharbeit und der Verleihung von Arbeitnehmern;

8. die Regelung der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge;

9. die Schutzvorschriften, die für die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen und der Schwangeren und Wöchnerinnen gelten;

10. die Nichtdiskriminierung;

11. die kollektiven Arbeitsverträge;

12. die sich aus den Rechtsvorschriften über witterungsbedingte und technisch bedingte Arbeitslosigkeit zwingend ergebende Untätigkeit;

13. Schwarzarbeit oder illegale Arbeit, einschließlich der Bestimmungen über die Arbeitserlaubnis für Arbeitnehmer, die nicht aus einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums stammen;

14. die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz im Allgemeinen und die Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Unfallversicherungsgenossenschaft (Association d’assurance contre les accidents) gemäß Artikel 154 Sozialversicherungsordnung sowie die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes, die durch großherzogliche Verordnung nach obligatorischer Stellungnahme des Staatsrates und mit dem Einverständnis der Konferenz der Präsidenten der Abgeordnetenkammer auf Grundlage von Artikel 14 des Gesetzes vom 17. Juni 1994 über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz aufgestellt wurden, im Besonderen.

(2) Die Bestimmungen von Absatz 1 des vorliegenden Artikels gelten für alle Arbeitnehmer ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die im Dienst eines beliebigen Unternehmens stehen, und unbeschadet der Staatsangehörigkeit und des juristischen oder tatsächlichen Standorts des Unternehmens.“

7. Art. 2 desselben Gesetzes bestimmt Folgendes:

„(1) Die Bestimmungen von Artikel 1 des vorliegenden Gesetzes gelten darüber hinaus für alle Unternehmen, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer auf das Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg entsenden, mit Ausnahme des fahrenden Personals der Handelsmarine.

(2) Unter ‚Entsendung‘ versteht man im Sinne von Absatz 1 oben folgende Tätigkeiten, die von den betroffenen Unternehmen ausgeführt werden, sofern während der Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht:

1. die Entsendung eines Arbeitnehmers, selbst auf kurze oder im Voraus festgelegte Dauer, im Namen und unter der Leitung der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Unternehmen auf das Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg im Rahmen eines Vertrags, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in Luxemburg ansässigen oder tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde;

2. die Entsendung eines Arbeitnehmers, selbst auf kurze oder im Voraus festgelegte Dauer, auf das Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg, an eine Niederlassung des entsendenden Unternehmens oder an ein Unternehmen, das zum gleichen Konzern wie das entsendende Unternehmen gehört;

3. unbeschadet der Anwendung des Gesetzes vom 19. Mai 1994 über die Regelung der Arbeitnehmerüberlassung und der vorübergehenden Verleihung von Arbeitnehmern, die Entsendung eines Arbeitnehmers, selbst auf kurze oder im Voraus festgelegte Dauer, durch ein Leiharbeitsunternehmen oder im Rahmen von Leiharbeit an ein verwendendes, im Großherzogtum Luxemburg ansässiges oder tätiges Unternehmen.

(3) Als entsandter Arbeitnehmer gilt jeder Arbeitnehmer, der normalerweise im Ausland beschäftigt ist und während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet des Großherzogtums Luxemburg erbringt.

(4) Der Begriff ‚Arbeitsverhältnis‘ wird entsprechend dem luxemburgischen Recht definiert.“

8. Art. 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 lautet:

„(1) Im Sinne der Anwendung des vorliegenden Gesetzes muss ein Unternehmen, auch wenn es seinen Sitz außerhalb des Hoheitsgebiets des Großherzogtums Luxemburg hat oder gewöhnlich außerhalb des luxemburgischen Hoheitsgebiets tätig ist, von dem ein oder mehrere Arbeitnehmer einschließlich jener, die entsprechend den Bestimmungen von Artikel 1 und 2 des vorliegenden Gesetzes vorübergehend nach Luxemburg entsandt wurden, in Luxemburg eine Arbeitsleistung erbringen, der Gewerbeaufsichtsbehörde vor Beginn der Arbeiten auf Anfrage und innerhalb kürzester Frist die für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben zur Verfü gung stellen, darunter insbesondere:

– Namen, Vornamen, Geburtsort und -datum, Familienstand, Staatsangehörigkeit und Beruf der Arbeitnehmer;

– die genaue berufliche Qualifikation der Arbeitnehmer;

– die Eigenschaft, in der sie vom Unternehmen eingestellt wurden, und die Tätigkeit, die sie dort regelmäßig ausüben;

– die Angabe des Wohnorts und gegebenenfalls des ständigen Aufenthaltsorts der Arbeitnehmer;

– gegebenenfalls die Aufenthalts- oder die Arbeitserlaubnis;

– die Arbeitsstelle(n) in Luxemburg und die Dauer der Arbeiten;

– eine Kopie des Formulars E 101, oder gegebenenfalls eine genaue Angabe der Sozialversicherungseinrichtungen, bei denen die Arbeitnehmer während ihres Aufenthalts auf dem luxemburgischen Hoheitsgebiet versichert sind;

– eine Kopie des schriftlichen Arbeitsvertrags oder des auf Grundlage der Richtlinie 91/533/EWG vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bestimmungen erstellten Dokuments.

(2) Eine großherzogliche Verordnung kann zukünftig die Anwendung des vorliegenden Artikels genauer bestimmen.“

9. Art. 8 desselben Gesetzes bestimmt Folgendes:

„Jedes Unternehmen, das im Ausland ansässig ist und dort seinen Firmensitz hat oder in Luxemburg keinen festen Sitz im Sinne des Steuergesetzes hat, von dem ein oder mehrere Arbeitnehmer in Luxemburg eine beliebige Arbeitsleistung erbringen, ist verpflichtet, die notwendigen Unterlagen zur Prüfung der ihm in Anwendung des vorliegenden Gesetzes und insbesondere von Artikel 7 oben auferlegten Pflichten bei einem in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu hinterlegen. Diese Unterlagen sind auf Anfrage und innerhalb kürzester Frist der Gewerbeaufsichtsbehörde vorzulegen. Die Gewerbeaufsichtsbehörde muss im Voraus per Einschreiben mit Rückschein vom Unternehmen oder dessen im vorstehenden Absatz genannten Vertreter vor Beginn der entgeltlichen Arbeitstätigkeit über den genauen Ort der Hinterlegung unterrichtet werden.“

III – Vorgerichtliches Verfahren

10. Mit Mahnschreiben vom 1. April 2004 machte die Kommission die luxemburgische Regierung auf einige Ungereimtheiten bei der Umsetzung der Richtlinie 96/71 durch das Gesetz vom 20. Dezember 2002 aufmerksam. Im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen die Richtlinie 96/71 sowie gegen die Art. 49 EG und 50 EG machte die Kommission folgende Rügen geltend:

– Das Gesetz vom 20. Dezember 2002 zwinge Unternehmen, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und Arbeitnehmer zur Erbringung von Dienstleistungen nach Luxemburg entsenden zur Beachtung von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die über das hinausgingen, was Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 vorschreibe;

– das Gesetz vom 20. Dezember 2002 setze die Richtlinie 96/71 insofern unvollständig um, als das nationale Recht den Begriff „Mindestruhezeiten“ auf die wöchentliche Ruhezeit beschränke und andere Ruhezeiten wie die tägliche Ruhezeit oder die Pausenzeit ausschließe;

– Art. 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002, der Unternehmen, bei denen ein Arbeitnehmer dauerhaft oder vorübergehend eine Tätigkeit in Luxemburg ausübe, die Pflicht auferlege, der Inspection du travail et des mines „vor der Arbeitsaufnahme“ „auf einfaches Verlangen“ und „schnellstmöglich“ die für eine Kontrolle wesentlichen und unverzichtbaren Auskünfte zu erteilen, weise nicht die erforderliche Klarheit auf, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten;

– Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 beschränke die Dienstleistungsverkehrsfreiheit, indem er jene Unternehmen dazu verpflichte, einen in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu benennen, dessen Aufgabe es sei, die für die Kontrolle der diesen Unternehmen obliegenden Pflichten erforderlichen Dokumente aufzubewahren.

11. In ihrem Antwortschreiben vom 30. August 2004 trug die luxemburgische Regierung vor, die von der Kommission gerügten gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Anwendbarkeit der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen stellten Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 dar.

12. Bezüglich der zweiten Rüge erkannte die luxemburgische Regierung die unvollständige Umsetzung der Richtlinie 96/71 an.

13. Was die dritte und die vierte Rüge der Kommission betrifft, bezeichnete die luxemburgische Regierung die Bestimmungen in Art. 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, da die Verpflichtung, einen in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu benennen, dessen Aufgabe es sei, die für die Kontrolle der diesen Unternehmen obliegenden Pflichten erforderlichen Dokumente aufzubewahren, weder zu einer Voraberklärung verpflichte noch eine diskriminierende Anforderung sei. Sie seien vielmehr Maßnahmen, ohne die die zuständigen nationalen Behörden ihre Kontrollfunktion nicht erfüllen könnten.

14. Die Kommission sah diese Antwort nicht als zufriedenstellend an und beschloss daher, der luxemburgischen Regierung eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit Datum vom 18. Oktober 2005 zu übersenden, in der sie dem Großherzogtum Luxemburg vorwarf, dadurch seinen Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 sowie aus den Art. 49 EG und 50 EG nicht nachgekommen zu sein, dass es

– die Bestimmungen des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zu Verwaltungsvorschriften der „nationalen öffentlichen Ordnung“ erklärt habe;

– die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 in Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes nicht vollständig umgesetzt habe;

– in Art. 7 Abs. 1 dieses Gesetzes Voraussetzungen aufgestellt habe, die nicht klar genug seien, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten;

– in Art. 8 dieses Gesetzes die Aufbewahrung der für die Kontrolle erforderlichen Dokumente in Luxemburg einem dort ansässigen Ad-hoc-Bevollmächtigten übertragen habe.

15. Die Kommission forderte das Großherzogtum Luxemburg ferner dazu auf, binnen zwei Monaten ab Zustellung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen.

16. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2005 bat die luxemburgische Regierung um Aufschub dieser Frist, um ihren Standpunkt darzulegen. Allerdings blieb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission unbeantwortet. Daraufhin hat die Kommission Klage erhoben.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

17. Die Kommission beantragt in ihrer Klageschrift, die am 20. Juli 2006 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist,

– die Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch seinen Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 sowie aus den Art. 49 EG und 50 EG nicht nachgekommen ist, dass es

1. die Bestimmungen des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zu Verwaltungsvorschriften der „nationalen öffentlichen Ordnung“ erklärt hat;

2. die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 in Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes nicht vollständig umgesetzt hat;

3. in Art. 7 Abs. 1 dieses Gesetzes Voraussetzungen aufgestellt hat, die nicht klar genug sind, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten;

4. in Art. 8 dieses Gesetzes die Aufbewahrung der für die Kontrolle erforderlichen Dokumente in Luxemburg einem dort ansässigen Ad-hoc-Bevollmächtigten übertragen hat;

– dem Großherzogtum Luxemburg die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

18. Die luxemburgische Regierung hat in ihrer am 5. Oktober 2006 eingegangenen Klagebeantwortung beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19. Nach Eingang der Erwiderung der Kommission vom 10. November 2006 und der Gegenerwiderung der luxemburgischen Regierung vom 12. Januar 2007 ist das schriftliche Verfahren abgeschlossen worden. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

V – Wesentliche Argumente der Parteien

20. Die Kommission stützt ihre Klage auf vier Rügen, die sie gegen die luxemburgische Umsetzungsregelung erhebt.

A – Zur ersten Rüge: Fehlerhafte Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71

21. Die Kommission wirft dem Großherzogtum Luxemburg eine fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie 96/71 vor, wobei sie mit ihrer ersten Rüge vier im Gesetz vom 20. Dezember 2002 enthaltene Bestimmungen beanstandet. Ihrer Ansicht nach hat Luxemburg, indem es sämtliche nationale Bestimmungen zu Unrecht zu Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung erklärt hat, Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden, Verpflichtungen auferlegt, die über das hinausgehen, was die Richtlinie 96/71 vorschreibt. Ihrer Ansicht nach beruht die Umsetzung auf einer zu weiten Auslegung des Begriffs der „Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung“ in Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71. Solche Bestimmungen müssten sich an der Erklärung 10 zur Richtlinie 96/71 messen lassen, die diesen Begriff präzisiere.

– Erfordernis eines schriftlichen Arbeitsvertrags oder eines entsprechenden Dokuments im Sinne der Richtlinie 91/533/EWG (Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002)

22. Dieser Vorwurf betrifft zunächst die gesetzliche Pflicht, nur Arbeitnehmer zu entsenden, die durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder ein entsprechendes Dokument im Sinne der Richtlinie 91/533 an das Unternehmen gebunden sind. Die Kommission meint, dass die Kontrolle über die Einhaltung der Pflichten aus der Richtlinie 91/533 im Fall einer Entsendung allein den Behörden des Niederlassungsstaats obliegt, der die Richtlinie umzusetzen hat, dagegen nicht dem Aufnahmestaat.

– Automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten (Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002)

23. Die Kommission ist der Auffassung, dass die luxemburgische Gesetzgebung dadurch, dass sie die automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten verlangt, im Widerspruch mit der Richtlinie 96/71 steht, die nur eine Regelung der Mindestlohnsätze durch den Entsendestaat vorsieht.

– Einhaltung der Regelung der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge (Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002)

24. Nach Ansicht der Kommission steht es dem Aufnahmestaat nach der Richtlinie 96/71 nicht zu, Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden, seine Gesetzgebung auf dem Gebiet der Teilzeitarbeit und der befristeten Arbeitsverträge aufzuzwingen.

– Einhaltung der kollektiven Arbeitsverträge (Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002)

25. Die Kommission trägt vor, kollektive Arbeitsverträge könnten unabhängig von ihrem materiellen Inhalt keine Verwaltungsvorschriften der „nationalen öffentlichen Ordnung“ darstellen.

26. Die luxemburgische Regierung verweist weitgehend auf die Ausführungen in ihrem Antwortschreiben vom 30. August 2004, nach denen es sich bei den Bestimmungen in Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 um Vorschriften der öffentlichen Ordnung handelt, da sie den Schutz der Arbeitnehmer bezwecken. Auch wenn die luxemburgische Regierung den Verweis der Kommission auf Erklärung 10 zur Richtlinie 96/71 im Grunde für zutreffend hält, erinnert sie daran, dass die besagte Erklärung nicht im Amtsblatt der Gemeinschaft veröffentlicht worden sei und daher nicht als Auslegungshilfe herangezogen werden dürfe. Jedenfalls sieht sie die Bestimmungen in Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Schließlich verweist sie zur Stützung ihrer Auffassung auf das Gesetzgebungsverfahren, das zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt(5) geführt hat.

B – Zur zweiten Rüge: Unvollständige Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71

27. Die luxemburgische Regierung erkennt die unvollständige Umsetzung der Richtlinie 96/71 an und weist auf eine Gesetzesänderung vom 19. Mai 2006 hin.

28. Die Kommission bringt vor, sie habe darüber keine Auskünfte erhalten.

C – Zur dritten Rüge: Fehlende Klarheit betreffend die Kontrollmaßnahmen

29. Nach Ansicht der Kommission ist Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht klar genug formuliert, um Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Luxemburg entsenden wollen, die erforderliche Rechtssicherheit zu gewährleisten. Indem diese Regelung das Risiko jener Unternehmen erhöhe, gegen das Gesetz zu verstoßen, stelle sie eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Jedenfalls komme die Verpflichtung, der Gewerbeaufsichtsbehörde vor Beginn der Arbeiten auf Anfrage und innerhalb kürzester Frist die für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben zur Verfügung zu stellen, einer mit Art. 49 EG nicht vereinbaren Vorabanzeige gleich.

30. Die luxemburgische Regierung hält dagegen den Gesetzestext für hinreichend klar. Jedenfalls sei mit der Formulierung von Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht das Erfordernis einer Vorabanzeige verbunden.

D – Zur vierten Rüge: Erfordernis eines Ad-hoc-Vertreters

31. Die Kommission ist der Auffassung, dass die in Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 vorgeschriebene Benennung eines in Luxemburg an sässigen Ad-hoc-Vertreters, dessen Aufgabe es sei, die für die Kontrolle der diesen Unternehmen obliegenden Pflichten erforderlichen Dokumente für einen Zeitraum auch nach der eigentlichen Dienstleistung aufzubewahren, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle. Diese Verpflichtung sei nicht nur angesichts der in Art. 4 der Richtlinie 96/71 vorgesehenen Zusammenarbeit im Informationsbereich überflüssig, sondern auch mit Kosten für die betroffenen Unternehmen verbunden.

32. Die luxemburgische Regierung hält dagegen, das System der Zusammenarbeit im Informationsbereich, worauf die Kommission hinweise, erlaube den zuständigen Verwaltungsbehörden nicht, die Kontrollen mit der notwendigen Effizienz durchzuführen. Im Übrigen setze das Gesetz vom 20. Dezember 2002 keine bestimmte Rechtsform für die Ausübung der Funktion als Vertreter voraus. Des Weiteren sei die Hinterlegung der notwendigen Dokumente bei einem Vertreter, vom Zeitpunkt nach der Entsendung abgesehen, allein am Tag des Arbeitsbeginns erforderlich.

VI – Rechtliche Würdigung

A – Einleitende Bemerkungen

1. Legislativer Zweck der Richtlinie 96/71

33. Die Richtlinie 96/71 schreibt die Anwendung bestimmter zwingender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Aufnahmestaats auf entsandte Arbeitnehmer vor. Mit der Festlegung dieser Mindestarbeits- und Beschäftigungsbedingungen sollten drei sehr unterschiedliche Ziele verwirklicht werden: die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die Wahrung der Rechte der entsandten Arbeitnehmer und die Beseitigung von Hindernissen und Unklarheiten, die den freien Dienstleistungsverkehr beeinträchtigen.

34. Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Kommission und Rat war dabei die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG, die eine steigende Anzahl von Unternehmen dazu veranlasst, Arbeitnehmer für eine zeitlich begrenzte Arbeitsleistung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu entsenden, der nicht der Staat ist, in dem sie normalerweise beschäftigt werden. Voraussetzung für die Förderung des freien Dienstleistungsverkehrs war nach den Überlegungen des Richtliniengebers ein fairer Wettbewerb sowie die Ergreifung von Maßnahmen, welche die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer garantieren(6) . Aufgrund der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Inhalts der jeweils einzuhaltenden Arbeitsbedingungen könne sich die Situation ergeben, dass für entsandte Arbeitnehmer niedrigere Arbeitslöhne und andere Arbeitsbedingungen als die im Aufnahmestaat geltenden zur Anwendung kämen. Dies wirke sich auf den lauteren Wettbewerb zwischen den Unternehmen und auf den Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen ausländischen und inländischen Unternehmen aus, was unter einem sozialen Aspekt betrachtet inakzeptabel sei. Durch die Anwendung eines „harten Kerns“ des Arbeitsrechts des Gaststaats auch auf ausländische Unternehmen sollten derartige Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden.

35. Ferner sollten die Probleme hinsichtlich des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Rechts gelöst werden, die mit der Transnationalisierung der Arbeitsverhältnisse entstanden(7) . Indem sie festlegte, welche nationalen Bestimmungen als zwingende Bestimmungen im Sinne des Art. 7 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) für den Bereich der Arbeitnehmerentsendung gelten sollten, beabsichtigte die Richtlinie 96/71, die anzuwendenden Arbeitsbedingungen vorhersehbar zu machen und damit die Rechtssicherheit zu erhöhen(8) .

2. Rechtlicher Beurteilungsrahmen

36. Was den materiell-rechtlichen Rahmen angeht, im Lichte dessen der Gerichtshof die Vereinbarkeit der streitgegenständlichen luxemburgischen Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen aufgerufen ist, möchte ich darauf hinweisen, dass die Richtlinie 96/71 nur eine teilweise Harmonisierung des Bereichs der Arbeitnehmerentsendung bewirkt(9) . Sie ist in erster Linie als eine Norm des Arbeitskollisionsrechts der Gemeinschaft anzusehen, die die Einzelheiten und Bedingungen des Arbeitsverhältnisses der entsandten Arbeitnehmer betrifft(10) . Nicht vom Regelungszweck der Richtlinie 96/71 erfasst ist hingegen die Einreise in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats und der Aufenthalt in diesem Gebiet(11), so dass Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Rahmen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung grundsätzlich auch am Maßstab der einschlägigen Vorschriften des EG-Vertrags, allen voran Art. 49 EG, zu messen sind.

37. Für die gerichtliche Kontrolle der Gemeinschaftsrechtmäßigkeit einer nationalen Maßnahme im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG hat dies zur Folge, dass im Einzelnen zu prüfen ist, ob der geltend gemachte Verstoß allein die Richtlinie 96/71 oder vielmehr unmittelbar Art. 49 EG betrifft. Verstoßen staatliche Regelungen über grenzüberschreitende Arbeitsleistungen gegen die Richtlinie, ist die Anwendung des Vertrags ausgeschlossen, obgleich jede Verletzung der Richtlinie eine Verletzung des Vertrags in sich birgt, da er ihre Rechtsgrundlage darstellt. Verstoßen sie jedoch unmittelbar gegen den Vertrag, weil sie von den detaillierten Regelungen der Richtlinie, die ihn ausführt, nicht umfasst sind, findet sich der einzige mögliche Bezugspunkt im Vertrag selbst(12) .

38. Im Hinblick auf die prozessuale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG der Kommission der Nachweis für das Vorliegen eines solchen Verstoßes obliegt. Außerdem muss sie dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren dieser das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann, wobei sie sich nicht auf Vermutungen stützen darf(13) . Es ist dabei Sache des beklagten Mitgliedstaats, sich substantiiert und ausführlich gegenüber den vorgelegten Daten und den sich daraus ergebenden Folgerungen zu verteidigen(14) .

B – Untersuchung der Klagegründe

Zur ersten Rüge

39. Sofern die Kommission eine fehlerhafte Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 beanstandet, hat diese Rüge vorrangig einen Verstoß gegen diese sekundärrechtliche Norm zum Gegenstand.

1. Der Begriff der öffentlichen Ordnung in Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71

40. Die luxemburgische Regierung trägt vor, mit der Erklärung sämtlicher Bestimmungen der in Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 angeführten Bereiche zu zwingenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts von der Ermächtigung in Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 Gebrauch gemacht zu haben. Diese Bestimmung erlaubt es den Mitgliedstaaten, den Regelungskatalog auf andere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auszuweiten, wenn es sich bei den hinzugefügten Bedingungen um Vorschriften der öffentlichen Ordnung handelt(15) . Sie ermöglicht es auch, die Vorschriften über die in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen und Schiedssprüchen geregelten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auf andere Tätigkeiten als die im Anhang angeführten Bauarbeiten auszudehnen.

41. Von dieser Ermächtigung können die Mitgliedstaaten jedoch nicht uneingeschränkt Gebrauch machen, insbesondere haben sie diesbezüglich die Grundfreiheiten sowie die Zwecksetzung der Richtlinie zu berücksichtigen(16) . Dies erklärt sich sowohl aus dem Vorrang des freien Dienstleistungsverkehrs, zu dessen Verwirklichung die Richtlinie 96/71 ausweislich ihres fünften Erwägungsgrundes gerade beitragen will, als auch aus dem Grundsatz der einschränkenden Auslegung von Ausnahmebestimmungen zu den Grundfreiheiten(17) . Letzteres ist vom Gerichtshof abermals und ausdrücklich im Zusammenhang mit der Ausnahme der öffentlichen Ordnung hervorgehoben worden(18) .

42. Beim Begriff der öffentlichen Ordnung handelt es sich um einen eigenständigen Begriff des Gemeinschaftsrechts, der den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten mitbestimmt und daher autonom und nicht etwa in Anlehnung an eine oder mehrere nationale Rechtsordnungen zu definieren ist(19) . Als solcher unterliegt er der Auslegung durch den Gerichtshof, so dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, seine Tragweite einseitig und ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft zu bestimmen(20) . Dies schließt jedoch nicht aus, dass besondere Umstände die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigen, so dass den Mitgliedstaaten unter Umständen ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag gesetzten Grenzen zuzubilligen ist(21) .

43. Abgesehen von diesen gemeinsamen Grundsätzen können dem Begriff der öffentlichen Ordnung in Abhängigkeit von der systematischen Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung und der Funktion der jeweiligen Norm jedoch unterschiedliche Bedeutungen zukommen(22) . Im vorliegenden Fall entfaltet der Begriff der öffentlichen Ordnung in seiner Ausprägung in Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 die Wirkung einer Ausnahmeklausel, da sie eine Erweiterung des in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 gewährleisteten Kernbereichs an Mindestschutzbestimmungen nur unter bestimmten Bedingungen zulässt.

44. Hinsichtlich der genauen Voraussetzungen für den Rückgriff auf diese Ermächtigung hat der Begriff der öffentlichen Ordnung durch die anlässlich der Annahme der Richtlinie 96/71 verabschiedete Erklärung 10 des Rates und der Kommission eine Präzisierung dahin gehend erfahren, dass darunter u. a. „die verbindlichen Vorschriften verstanden werden sollten, von denen nicht abgewichen werden darf und die nach ihrer Art und ihrem Ziel den zwingenden Erfordernissen des öffentlichen Interesses gerecht werden“.

45. Aus meiner Sicht spricht nichts gegen eine Auslegung von Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 im Licht dieser Erklärung. Der Gerichtshof hat bezüglich der Zulässigkeit, in Sitzungsprotokolle aufgenommene Erklärungen des Rates zur Auslegung abgeleiteten Rechts heranzuziehen, ausgeführt, dass dies nur dann nicht in Frage kommt, wenn der Inhalt der Erklärung in der fraglichen Bestimmung keinen Ausdruck gefunden und somit keine rechtliche Bedeutung hat(23) . Hierzu ist festzustellen, dass die Erklärung 10 nicht im Widerspruch zum Begriff der öffentlichen Ordnung steht, sondern vielmehr zur Inhaltsbe stimmung der Ausnahmeklausel beiträgt. Indem sie auf die „zwingenden Erfordernisse des öffentlichen Interesses“ verweist, entspricht sie auch der vom Gerichtshof entwickelten, ebenfalls auf Fälle der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern anwendbaren Rechtsprechung zu den immanenten Schranken der Grundfreiheiten. Entgegen den Ausführungen der luxemburgischen Regierung mindert die fehlende Veröffentlichung der Erklärung 10 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften nicht ihre rechtliche Relevanz, zumal die luxemburgische Regierung sich als verfassungsmäßige Vertreterin eines im Rat repräsentierten Mitgliedstaats entgegenhalten lassen muss, Kenntnis der auslegenden Erklärungen zu haben, die von diesem Organ im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens abgegeben wurden(24) . Folglich ist die Heranziehung der Erklärung 10 als Auslegungshilfe zulässig.

46. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass es den Mitgliedstaaten nicht freistehen kann, von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistungsunternehmen die Einhaltung aller verbindlichen Vorschriften ihres Arbeitsrechts zu verlangen(25) . Im Interesse einer weitestgehenden Verwirklichung der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs ist der Kommission darin zuzustimmen, dass dazu nur jene gesetzlich vorgeschriebenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gezählt werden können, die für die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unabdingbar sind(26) . Ob die beanstandeten Vorschriften diesem Erfordernis genügen, ist im Einzelnen zu prüfen.

2. Die Bestimmungen des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002

– Erfordernis eines schriftlichen Arbeitsvertrags oder eines entsprechenden Dokuments im Sinne der Richtlinie 91/533

47. Was das Erfordernis eines schriftlichen Arbeitsvertrags oder eines entsprechenden Dokuments im Sinne der Richtlinie 91/533 in Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 anbelangt, ist dem Vorbringen der Kommission beizupflichten, dass dem Empfangsstaat grundsätzlich nicht die Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie 91/533 obliegt.

48. Die Richtlinie 91/533 dient der Harmonisierung jener Vorschriften über die Form von Arbeitsverhältnissen, die einige Mitgliedstaaten angesichts der zunehmenden Vielfalt von Arbeitsverhältnissen zum Schutz der Arbeitnehmer vor Unkenntnis ihrer Rechte und für eine transparente Gestaltung der Arbeitsverhältnisse getroffen haben(27) . Dazu gehört der von den Parteien angesprochene Nachweis der Erfüllung der Pflicht des Arbeitsgebers gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/533, den Arbeitnehmer schriftlich über die wesentlichen Punkte des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses sowie über die Bedingungen seiner Entsendung ins Ausland gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/533 in Kenntnis gesetzt zu haben. Der Arbeitgeber kommt seiner Nachweispflicht nach, wenn er die Dokumente mit den notwendigen Informationen ausstellt und sie vor der Abreise des Arbeitnehmers an ihn aushändigt(28) .

49. Gemäß ihrem letzten Erwägungsgrund „haben die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, oder sie haben sich zu vergewissern, dass die Sozialpartner im Vereinbarungswege die erforderlichen Maßnahmen einführen, wobei die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Vorkehrungen treffen müssen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die in der Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden“. Wie bereits aus dem Wortlaut hervorgeht, erstreckt sich die Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten über eine bloße legislative Tätigkeit hinaus auf die Durchsetzung dieser Bestimmungen, einschließlich der Kontrolle ihrer Einhaltung. Dieselbe Pflicht trifft den jeweiligen Mitgliedstaat in Fällen der Entsendung von Arbeitnehmern, wobei gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/533 sichergestellt sein muss, dass der Arbeitnehmer zuvor zusätzliche Angaben über die Bedingungen seiner Entsendung erhält. Hat der Entsendestaat bereits von seinen Kontrollbefugnissen Gebrauch gemacht, so besteht angesichts der mit der Richtlinie 91/533 einhergehenden Harmonisierung kein Raum für eine etwaige Zuständigkeit des Empfangsstaats.

50. Eine solche Zuständigkeit lässt sich ebenso wenig aus der Richtlinie 91/533 herleiten. Sie kann auch nicht dadurch begründet werden, dass Luxemburg die Einhaltung der oben genannten Informationspflichten zu Normen zum Schutz der öffentlichen Ordnung erklärt. Ein solches Erfordernis, wie es Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 vorsieht, lässt sich nicht dem von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 festgelegten Kernbereich gemeinschaftlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuordnen. Die gesetzgeberische Entscheidung, die Unterrichtungspflichten nach der Richtlinie 91/533 nicht in den Katalog des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 aufzunehmen, muss respektiert werden(29) .

51. Als unerheblich für die Untersuchung dieser Rüge zurückzuweisen sind schließlich die Ausführungen der luxemburgischen Regierung zum Gesetzgebungsverfahren, das zur Annahme der Richtlinie 2006/123 führte. Das streitgegenständliche luxemburgische Gesetz vom 20. Dezember 2002 steht nämlich in keinem sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang zur Richtlinie 2006/123. Es setzt vielmehr ausschließlich die Richtlinie 96/71 um.

– Automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten

52. In Bezug auf die in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 vorgesehene automatische Anpassung der „Entlohnung“ an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten trägt die luxemburgische Regierung vor, sie diene dem Schutz der Arbeitnehmer und trage zum Erhalt des sozialen Friedens in Luxemburg bei. Sie führt aus, eine solche automatische Anpassung sei in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 implizit vorgesehen.

53. Allerdings richtet sich der Vorwurf der Kommission nicht gegen den automatischen Charakter dieses Mechanismus, sondern gegen die unbestrittene Tatsache, dass nach luxemburgischem Recht eine allgemeine Anpassung der „Entlohnung“ stattfindet, die sowohl die Reallöhne als auch die Mindestlohnsätze umfasst. Bereits in ihrem Schreiben vom 30. August 2004 hatte die luxemburgische Regierung ausgeführt, dass nach luxemburgischem Recht der Mindestlohn ebenfalls dem allgemeinen Anpassungsmechanismus unterworfen ist. Nach Ansicht der Kommission entspricht dies jedoch nicht den Vorgaben von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71, in dem ausschließlich von „Mindestlohnsätzen“ die Rede ist.

54. Der Kommission ist darin zuzustimmen, dass die luxemburgische Umsetzungsnorm vom Wortlaut her von der Richtlinie 96/71 abweicht. Bei der Untersuchung der Frage, ob eine Bestimmung des nationalen Rechts im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht steht, muss die Auslegung berücksichtigt werden, welche die nationalen Gerichte dieser Bestimmung zugrunde legen(30) . Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 ist jedoch weder missverständlich, noch lässt er eine gemeinschaftsrechtswidrige Auslegung zu. Sofern das Gesetz vom 20. Dezember 2002 nach objektiven Maßstäben nämlich dahin gehend auszulegen ist, dass eine allgemeine Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten stattfindet, die sich gleichfalls zum Vorteil der Mindestlöhne auswirkt, erfüllt Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71. Insofern ist das Vorbringen der Kommission als unbegründet zurückzuweisen.

– Einhaltung der Regelung der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge

55. Das Erfordernis der Einhaltung der Regelungen der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge in Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 lässt sich keiner der in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 aufgelisteten Kategorien zuordnen, sondern geht über den Kernbereich gemeinschaftlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen hinaus. Da es sich auf die Ermächtigung in Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 stützt, muss es einer Prüfung anhand des Begriffs der öffentlichen Ordnung im Sinne der Erklärung 10 unterzogen werden, deren Inhalt im Wesentlichen die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 49 EG wiedergibt(31) .

56. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Art. 49 EG nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(32) . Nach dieser Definition reicht es aus, um es als Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Art. 49 EG einzustufen, wenn die luxemburgischen Regelungen der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge strenger sind als die im Entsendestaat geltenden und damit die Erbringung von Dienstleistungen in Luxemburg für ausländische Unternehmen weniger attraktiv machen.

57. Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrags nur durch Regelungen beschränkt werden darf, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, soweit dieses Interesse nicht durch die Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist(33) .

58. Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 bezweckt nach Ansicht der luxemburgischen Regierung die Gleichbehandlung und die gleiche Entlohnung der Arbeitnehmer, womit sie dem nach Gemeinschaftsrecht legitimen Ziel des Arbeitnehmerschutzes dienen. Wie die luxemburgische Regierung erklärt, zielt diese Regelung darauf ab, Rechte der Arbeitnehmer zu schützen, die bereits in der Gemeinschaftsrechtsordnung durch die Richtlinien 97/81/EG(34) und 99/70/EG(35) gewährleistet sind. Zudem setze sie nur Grundsätze um, die ihren Ursprung in der öffentlichen Ordnung der Gemeinschaft hätten.

59. Ich vermag mich dieser Rechtsauffassung nicht anzuschließen. Die Tatsache, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Regelungsgegenstand der genannten Richtlinien, d. h. die Regelung der Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge, nicht in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 aufgenommen hat, spricht dafür, dass dieser Bereich des europäischen Arbeitsrechts gerade nicht zur öffentlichen Ordnung der Gemeinschaft gehört. Zudem handelt es sich dabei um Regelungen, die, wie die luxemburgische Regierung selbst einräumt, auf Gemeinschaftsebene bereits Gegenstand der Richtlinien 97/81 und 99/70 sind und daher von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen(36) . Folglich werden die in ihnen verkörperten Interessen bereits durch Vorschriften geschützt, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist. Demnach kann sich die luxemburgische Regierung nicht auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses berufen, um die streitgegenständlichen nationalen Regelungen zu Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung zu erklären.

– Einhaltung der kollektiven Arbeitsverträge

60. Im Zusammenhang mit dem in Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 enthaltenen Verweis auf die „zwingenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts in kollektiven Arbeitsverträgen“ stellt sich in erster Linie die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71. Die Kommission hegt Zweifel an der ordnungsgemäßen Umsetzung und wirft Luxemburg im Wesentlichen vor, eine Kategorie von Akten unabhängig von ihrer Rechtsnatur und ihrem materiellen Inhalt unter Verstoß gegen die Ermächtigung in Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 zu zwingenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts erheben zu wollen.

61. Die Kommission beanstandet damit zwei Aspekte dieser Regelung, die getrennt voneinander untersucht werden müssen. Der Kommission ist zunächst darin zuzustimmen, dass der Begriff der „kollektiven Arbeitsverträge“ im einleitenden Satz in Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zum einen und in Nr. 11 dieser Bestimmung zum anderen unterschiedliche Bedeutungen ausweist. Während im ersten Fall von „allgemein verbindlichen Kollektivverträgen“ die Rede ist, wird in Nr. 11 allgemein auf „kollektive Arbeitsverträge“ Bezug genommen. Bei Letzteren kann es sich aber nur um jene Tarifverträge handeln, die nicht für allgemein verbindlich erklärt wurden. Als solche können sie aber wegen des eindeutigen Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 96/71, der nur auf „allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge“ Bezug nimmt, nicht in dessen Anwendungsbereich fallen, was zur Folge hat, dass jene Tarifverträge nicht als dem Kernbereich gemeinschaftlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zugehörig angesehen werden können(37) .

62. Ein anderer Aspekt betrifft die Erhebung einer bestimmten Kategorie von Akten zu Bestimmungen der öffentlichen Ordnung unabhängig von ihrer Rechtsnatur und ihrem materiellen Inhalt. Um beurteilen zu können, ob eine bestimmte tarifliche Regelung als zwingend im Sinne der Erklärung 10 betrachtet werden kann, ist es meiner Ansicht nach erforderlich, dass der jeweilige Mitgliedstaat die tariflichen Regelungen genau anzeigt(38) . Der pauschale Verweis auf „kollektive Arbeitsverträge“ gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 weist hingegen den Charakter einer Blankettnorm auf, die ein Mindestmaß an Bestimmtheit und Klarheit vermissen lässt. Letzteres ist unbedingt erforderlich, da es nicht auszuschließen ist, dass es Umstände geben kann, die die Anwendung tariflicher Regelungen auf entsandte Arbeitnehmer mit der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar machen(39) . Es bedarf daher stets einer einzelfallbezogenen Prüfung dahin gehend, ob die fragliche Regelung bei einer objektiven Betrachtung den Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet und ob sie den betroffenen Arbeitnehmern einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt. Durch den pauschalen Verweis auf „kollektive Arbeitsverträge“ wird dem Gerichtshof eine eingehende Prüfung jedoch gerade versagt.

63. In prozessualer Hinsicht hat die luxemburgische Regierung ihrer Pflicht, sich substantiiert und ausführlich gegenüber den vorgelegten Anhaltspunkten zu verteidigen, nicht dadurch genügt, dass sie in ihrer Klagebeantwortung auf die kollektiven Arbeitsverträge verwiesen hat, die sie ihrem Antwortschreiben vom 30. August 2004 beigefügt hat(40) . Es handelt sich dabei, wie die Kommission richtig anmerkt, nämlich um durch großherzogliche Verordnung für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge im Sinne des einleitenden Satzes in Art. 1 Abs. 1 und nicht um die streitgegenständlichen sonstigen „kollektiven Arbeitsverträge“, auf die sich Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 bezieht.

64. Folglich steht Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71.

Zur zweiten Rüge

65. In ihrem Mahnschreiben machte die Kommission die luxemburgische Regierung erstmals darauf aufmerksam, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 die Mitgliedstaaten verpflichte, dafür zu sorgen, dass Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten einhalten. Sie wies darauf hin, dass Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 den Schutz der Mindestruhezeiten auf die wöchentliche Ruhezeit beschränke. Der Begriff der „Mindestruhezeiten“ umfasse jedoch nicht nur die wöchentliche Ruhezeit, sondern auch andere Ruhezeiten, wie etwa die tägliche Ruhezeit oder die Ruhepause, die in Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 2003/88/EG(41) vorgesehen sind.

66. Bereits in ihrem Antwortschreiben vom 30. August 2004 erkannte die luxemburgische Regierung die unvollständige Umsetzung der Richtlinie 96/71 an(42) .

67. Damit kam sie ihrer Verpflichtung jedenfalls erst nach Ablauf der zweimonatigen Frist nach, die ihr die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 12. Oktober 2005 gesetzt hatte. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung nämlich anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die ihm in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde(43) . Da die luxemburgische Regierung die verspätete Umsetzung nicht bestreitet, ist diese Rüge schon aus diesem Grund begründet.

Zur dritten Rüge

68. Die Rüge der Kommission bezüglich einer ungerechtfertigten Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufgrund der Auferlegung einer Verpflichtung im Ausland ansässiger Unternehmer gemäß Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002, „der Gewerbeaufsichtsbehörde vor Beginn der Arbeiten auf Anfrage und innerhalb kürzester Frist die für eine Kontrolle unbedingt notwendigen Angaben zur Verfügung zu stellen“, betrifft dagegen nicht die Umsetzung der Richtlinie 96/71, sondern unmittelbar Art. 49 EG.

69. Wie bereits ausgeführt, verlangt Art. 49 EG nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen(44) . Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Anwendung der nationalen Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats auf Dienstleistende geeignet, Dienstleistungen zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, und damit als Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs anzusehen, soweit daraus zusätzliche Kosten und zusätzliche administrative und wirtschaftliche Belastungen folgen(45) .

70. Die Regelung in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zielt darauf ab, der luxemburgischen Gewerbeaufsichtsbehörde die Kontrolle der Identität und des rechtmäßigen Aufenthalts der Arbeitnehmer im Rahmen einer Entsendung zu ermöglichen. Sie unterwirft Unternehmen mit Sitz außerhalb des Hoheitsgebiets des Großherzogtums Luxemburg einem obligatorischen antizipierten Verwaltungsverfahren, das die Vorlage von Dokumenten zum sozial-, arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Status der entsandten Arbeitnehmer vor Beginn der Arbeiten verlangt, so dass diese Regelung jedenfalls für die betroffenen Unternehmen mit Verwaltungsformalitäten verbunden ist, die geeignet sind, die Entsendung von Arbeitnehmern nach Luxemburg weniger attraktiv als auf innerstaatlicher Ebene zu machen. Gemäß der erwähnten weiten Definition der Rechtsprechung reicht bereits dieser Umstand aus, um den Beschränkungscharakter dieser Regelung zu bejahen(46) .

71. Es ist gleichwohl daran zu erinnern, dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten die Befugnis eingeräumt hat, zu kontrollieren, ob die nationalen und gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Erbringung von Dienstleistungen beachtet worden sind. Ebenso hat er die Berechtigung von Kontrollmaßnahmen anerkannt, die erforderlich sind, um die Beachtung von Anforderungen zu überprüfen, die selbst durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind(47) . Die luxemburgische Regierung begründet die Regelung in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 sowohl mit dem Schutz der Arbeitnehmer als auch mit der Notwendigkeit, Kontrollen zum Zweck der Bekämpfung von Missbrauch und illegalen transnationalen Aktivitäten durchzuführen. Sowohl der soziale Schutz der Arbeitnehmer als auch die Bekämpfung von Missbrauchsfällen gelten nach der Rechtsprechung als legitime Zwecke(48) .

72. Der Gerichtshof hat jedoch auch festgestellt, dass die Kontrollen der nationalen Aufsichtsbehörden die vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen beachten müssen und die Dienstleistungsfreiheit nicht illusorisch machen dürfen(49) . Insbesondere müssen sie geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist(50) .

73. Kennzeichnend für die luxemburgische Regelung ist vor allem die gesetzliche Verpflichtung der Unternehmer, noch „vor Beginn der Arbeiten“ der Gewerbeaufsichtsbehörde die erforderlichen Dokumente zur Verfügung zu stellen, was eine mit dem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich nicht vereinbare vorausgehende Missbrauchskontrolle vermuten lässt. Die luxemburgische Regierung wendet dagegen ein, der Umstand, dass der Unternehmer seiner Anzeigepflicht erst „auf Anfrage“ nachkommen müsse, weiche diese gesetzliche Verpflichtung auf. Damit sei keine Verpflichtung des Unternehmers verbunden, von sich aus eine Erklärung gegenüber den Behörden abzugeben.

74. Wie ich glaube, bestehen dennoch Anhaltspunkte für die Annahme, dass die luxemburgische Regelung durchaus ähnlich einer vorausgehenden Missbrauchskontrolle ausgestaltet ist. Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 ist nämlich in Verbindung mit Art. 13 bis 17 des Gesetzes vom 4. April 1974 über die Neuordnung der Gewerbeaufsichtsbehörde(51) (im Folgenden: Gesetz vom 4. April 1974) zu lesen, die Letztere im Fall eines Verstoßes gegen die Anzeigepflicht des Unternehmers dazu ermächtigt, den Stopp der Arbeitstätigkeit der entsandten Arbeitnehmer auf dem Gebiet des Großherzogtums mit sofortiger Wirkung anzuordnen. Die Wiederaufnahme der Arbeit kann von der Gewerbeaufsichtsbehörde erst erlaubt werden, nachdem alle notwendigen Dokumente nachgereicht worden sind(52), wobei Verstöße gegen diese Anordnung gemäß Art. 28 des Gesetzes vom 4. April 1974 mit Freiheitsstrafe und Bußgeld zu ahnden sind. Wenn es aber erstens einer „Erlaubnis“ bedarf, um die Arbeit wiederaufzunehmen und zweitens die Nichteinhaltung der Nachweispflicht mit Mitteln des Ordnungswidrigkeits- und Strafrechts durchgesetzt wird, dann kann die Regelung des Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht anders verstanden werden, als dass für die Erbringung von Dienstleistungen in Luxemburg im Wege der Entsendung von Arbeitnehmern ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt besteht(53) .

75. Erschwerend wirkt sich aus, dass die Formulierung dieser Bestimmung den Anforderungen an Rechtssicherheit und Klarheit nicht genügt. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten, um die volle Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, nicht nur ihr Recht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang bringen, sondern darüber hinaus eine so bestimmte, klare und transparente Lage schaffen, dass der Einzelne seine Rechte in vollem Umfang erkennen und sich vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann(54) . Dieser Grundsatz hat erst recht zu gelten, wenn das mitgliedstaatliche Recht Individuen Verpflichtungen auferlegt und im Fall der Zuwiderhandlung Sanktionen androht.

76. Es ist festzustellen, dass der missverständliche Wortlaut der Regelung die Erteilung einer Erlaubnis weitgehend in das Ermessen der Verwaltung stellt und außerdem die Gefahr für Unternehmen, sich verwaltungs- bzw. strafrechtlicher Sanktionen ausgesetzt zu sehen, in unzumutbarer Weise erhöht. So legt die Gewerbeaufsichtsbehörde ausweislich der Beweismittel, die die Kommission dem Gerichtshof zur Verfügung gestellt hat, Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 offenbar streng aus, indem sie die vollständige Einreichung aller Dokumente im Vorfeld der Dienstleistung verlangt(55), so dass es entgegen den Ausführungen der luxemburgischen Regierung nicht ausreicht, dass die Dokumente am selben Tag kurz vor Beginn der Arbeiten eingereicht werden. Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 könnten sich ferner aus dem Umstand ergeben, dass die Anzeigepflicht und damit das eigentliche Verwaltungsverfahren grundsätzlich erst nach Eingehen einer „Anfrage“ der Gewerbeaufsichtsbehörde entsteht, wobei unklar bleibt, welche Rolle dem Unternehmen im Vorfeld dieses Verfahrens zukommt und ob es gegebenenfalls diese „Anfrage“ selbst hervorrufen muss. Da mangels einer solchen „Anfrage“ ein Unternehmen von der Dienstleistungsfreiheit im Endeffekt nicht Gebrauch machen kann, ohne sich verwaltungs- bzw. strafrechtlichen Sanktionen ausgesetzt zu sehen, wirkt sich diese Beschränkung als ein absolutes Verbot aus, welches angesichts der Möglichkeit des Rückgriffs auf weniger einschneidende Mittel nicht als erforderlich angesehen werden kann, um den Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten.

77. Ich halte es abschließend für unerlässlich, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass der Gerichtshof zuletzt im Urteil Kommission/Luxemburg(56) hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit einer Genehmigung als Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung und der Anwendbarkeit milderer Mittel Folgendes festgestellt hat: „Würde ein Dienstleistungsunternehmen verpflichtet, den örtlichen Behörden im Voraus die Anwesenheit eines oder mehrerer entsandter Arbeitnehmer, die vorgesehene Dauer dieser Anwesenheit und die der Entsendung zugrunde liegende(n) Dienstleistung(en) anzuzeigen, so wäre dies eine Maßnahme, die ebenso wirksam wäre wie die fragliche Bedingung und zugleich weniger einschneidend. Sie würde es den betreffenden Behörden ermöglichen, die Einhaltung der luxemburgischen Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während der Dauer der Entsendung zu kontrollieren und dabei die Verpflichtungen zu berücksichtigen, denen das Unternehmen bereits nach den im Herkunftsmitgliedstaat geltenden Regeln auf diesem Gebiet unterliegt.“ Unter diesen Umständen ist es eher angebracht, dass der Aufnahmemitgliedstaat seinen Eingriff auf die Prüfung der erforderlichen Informationen durch den Dienstleistungserbringer bei der Aufnahme der Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat beschränkt und erst dann auf repressive Maßnahmen zurückgreift, wenn sich dies als notwendig erweist(57) . Mit der faktischen Einführung eines Erlaubnisvorbehalts in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 geht die luxemburgische Regelung daher über das hinaus, was der Gerichtshof als verhältnismäßig ansieht.

78. Aus alledem folgt, dass es sich bei dieser Regelung um eine vorausgehende Missbrauchskontrolle handelt, die nicht mit Art. 49 EG vereinbar ist. Demnach ist auch diese Rüge begründet.

Zur vierten Rüge

79. Als zusätzliches administratives Erfordernis, das geeignet ist, Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat die Entsendung von Arbeitnehmern zu erschweren, stellt die in Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 vorgeschriebene Benennung eines in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreters eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne des Art. 49 EG dar(58) . Es ist daher zu prüfen, ob die sich aus dieser nationalen Bestimmung ergebenden Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt sind und, wenn ja, ob sie erforderlich sind, um dieses Ziel zu verfolgen, und zwar mit den geeigneten Mitteln.

80. Die luxemburgische Regierung beruft sich auf den Arbeitnehmerschutz, die Bekämpfung von Missbrauch sowie auf die Notwendigkeit einer wirksamen Kontrolle. Wie bereits ausgeführt, sind sowohl der soziale Schutz der Arbeitnehmer als auch die Bekämpfung von Missbrauch als legitime Zwecke anerkannt(59), während die Durchführung von Kontrollen zwecks Durchsetzung der innerstaatlichen Schutzbestimmungen als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar angesehen wird, sofern diese Aufsicht innerhalb der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen stattfindet(60) .

81. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung all derjenigen Voraussetzungen abhängig machen darf, die für eine Niederlassung gelten, und damit den Bestimmungen des EG-Vertrags, deren Ziel es gerade ist, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, nicht jede praktische Wirksamkeit nehmen darf(61) .

82. Dementsprechend hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Italien(62) die Anforderung an Zeitarbeitsunternehmen, die in Italien ansässigen Nutzern Arbeitskräfte zur Verfügung stellen wollen, ihren Sitz oder eine Zweigniederlassung im Inland zu errichten, als nicht mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar angesehen, da es die Erbringung von Dienstleistungen in dem besagten Mitgliedstaat durch Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten unmöglich macht.

83. Die luxemburgische Regierung trägt im Wesentlichen vor, nichts in Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 weise auf die genauen Merkmale des fraglichen Ad-hoc-Vertreters hin. Es werde weder verlangt, dass dieser eine natürliche oder juristische Person sein, noch, dass er eine entgeltlich handelnde Einrichtung sein müsse. Wichtig sei allein, dass die Gewerbeaufsichtsbehörde den Namen der Person kenne, bei der die notwendigen Dokumente hinterlegt seien. Ad-hoc-Vertreter im Sinne dieser Bestimmung könne, etwa im Baubereich, entweder der Hauptunternehmer, der Vorarbeiter oder eine Bauverwaltung sein.

84. Dagegen ist einzuwenden, dass diese Auslegung keineswegs Ausdruck in Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 findet. Sie steht sogar in Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben. Vielmehr geht aus dem Wortlaut eindeutig hervor, dass der fragliche Ad-hoc-Vertreter in Luxemburg „ansässig“ sein, also seinen „Lebensmittelpunkt“ bzw. seinen „gewöhnlichen Wohnsitz“ im Inland haben muss. Wie die Kommission richtig anmerkt, setzt dieses Tatbestandsmerkmal einen „ständigen Wohnsitz“ oder jedenfalls einen Aufenthalt voraus, der über die Dauer der Dienstleistungserbringung hinausgeht. Daraus folgt, dass den Anforderungen von Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 nicht genügt wird, wenn die notwendigen Unterlagen etwa von einem der entsandten Arbeitnehmer verwahrt werden.

85. Dieses Ergebnis erscheint mir nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar. Im Urteil Arblade(63) hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, dass eine Verpflichtung, bestimmte Unterlagen am Wohnsitz einer im Aufnahmemitgliedstaat wohnenden natürlichen Person bereitzuhalten und aufzubewahren, die diese Unterlagen als vom Arbeitgeber bestimmter Bevollmächtigter oder von ihm bestimmte Aufsichtsperson führt, auch nachdem der Arbeitgeber die Beschäftigung von Arbeitnehmern in diesem Staat eingestellt hat, nur dann als zulässig anzusehen ist, wenn die Behörden dieses Staates ihre Überwachungsaufgabe in Ermangelung einer derartigen Verpflichtung nicht wirksam erfüllen können.

86. Der luxemburgischen Regierung ist einerseits darin beizupflichten, dass die Durchführung von Kontrollen vor Ort unerlässlich ist, um die Einhaltung der mitgliedstaatlichen Schutzbestimmungen sicherzustellen. Andererseits ist ihr vorzuhalten, nicht hinreichend dargelegt bzw. bewiesen zu haben, dass die luxemburgischen Behörden ohne die Beteiligung eines in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreters ihre Überwachungsaufgabe nicht erfüllen könnten. Zur Rechtfertigung einer derart einschneidenden Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit wie der vorliegenden reicht es nämlich nicht aus, ohne eingehende Begründung kritische Zweifel oder bloße Bedenken hinsichtlich der Effizienz des in Art. 4 der Richtlinie 96/71 vorgesehenen organisierten Systems der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten zu äußern(64) . Wie alle anderen Mitgliedstaaten ist das Großherzogtum Luxemburg gehalten, am genannten System der Amtshilfe teilzunehmen, um die Einhaltung der betreffenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu überwachen. Insofern hat die luxemburgische Regierung ihrer prozessualen Darlegungs- und Beweispflicht nicht genügt.

87. Davon abgesehen kann die Kontrolle der Beachtung der mit dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer zusammenhängenden Regelungen sehr wohl durch weniger einschränkende Maßnahmen sichergestellt werden. Es ist nämlich grundsätzlich davon auszugehen, dass zur Erfüllung dieser Überwachungsaufgabe die Bezeichnung eines der entsandten Arbeitnehmer, z. B. eines Vorarbeiters, der die Verbindung zwischen dem ausländischen Unternehmen und der Gewerbeaufsichtsbehörde wahrnimmt und gegebenenfalls die erforderlichen Unterlagen entweder auf der Baustelle oder an einem zugänglichen und klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats bereithält, ausreicht(65) . Als eine die Dienstleistungsfreiheit weniger beschränkende Maßnahme zur Sicherung des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer stünde sie im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

88. Ich gelange deshalb zu der Schlussfolgerung, dass die Anforderungen in Art. 8 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 unverhältnismäßig sind und gegen Art. 49 EG verstoßen. Demzufolge ist auch die vierte Rüge begründet.

VII – Zu den Kosten in der Rechtssache

89. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Großherzogtum Luxemburg mit seinem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

VIII – Ergebnis

90. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

– festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch seinen Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 96/71 sowie aus den Art. 49 EG und 50 EG nicht nachgekommen ist, dass es

1. die Bestimmungen des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1, 8 und 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zu Verwaltungsvorschriften der „nationalen öffentlichen Ordnung“ erklärt hat;

2. die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 96/71 in Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes nicht vollständig umgesetzt hat;

3. in Art. 7 Abs. 1 dieses Gesetzes Voraussetzungen aufgestellt hat, die nicht klar genug sind, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten;

4. in Art. 8 dieses Gesetzes die Aufbewahrung der für die Kontrolle erforderlichen Dokumente in Luxemburg einem dort ansässigen Ad-hoc-Bevollmächtigten übertragen hat;

– die Klage im Übrigen als unbegründet abzuweisen;

– dem Großherzogtum Luxemburg die Kosten aufzuerlegen.

(1) .

(2)  – ABl. 1997, L 18, S. 1.

(3)  – Die Erklärung 10 ist nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden. Ihr Inhalt wird jedoch in der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 25. Juli 2003, KOM(2003) 458 endg., S. 13, wiedergegeben.

(4)  – Gesetz vom 20. Dezember 2002 über die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und die Regelung der Kontrolle der Anwendung des Arbeitsrechts ( Mémorial A – N° 154 vom 31. Dezember 2002, S. 3722).

(5)  – Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 4. April 2006, KOM(2006) 160 endg.

(6)  – Siehe Erwägungsgrund 5.

(7)  – Siehe Erwägungsgrund 6.

(8)  – In den Erwägungsgründen 7 bis 11 der Richtlinie 96/71 wird auf das Verhältnis zum EVÜ eingegangen, dessen Art. 6 die Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen betrifft. Maßgebend ist nach dieser Vorschrift – sei es als Schranke für die Rechtswahl oder als objektives Vertragsstatut - „das Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist“ (Art. 6 Abs. 2 Buchst. a EVÜ). Diese Vorschrift wird durch die Richtlinie 96/71 in dem Sinne modifiziert, dass für die in der Richtlinie genannten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen das Recht des Arbeitsortes maßgebend ist, wenn nicht das über Art. 6 EVÜ bestimmte Arbeitsvertragsstatut günstigere Bedingungen vorsieht. Nach Ansicht von Jayme, E./Kohler, C., „Europäisches Kollisionsrecht 1997 – Vergemeinschaftung durch ‚Säulenwechsel‘“, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts , 17. Jahrgang, Nr. 6, 1997, S. 400, kann man die Entsenderichtlinie als Konkretisierung der „zwingenden Vorschriften“ im Sinne des Art. 7 EVÜ verstehen, da der Erwägungsgrund 10 ausdrücklich darauf verweist.

(9)  – Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Léger vom 23. Februar 2006 in der Rechtssache Kommission/Österreich (C‑168/04, Slg. 2006, I‑9041, Nr. 28). Der Bereich der Arbeitnehmerentsendung unterliegt noch keiner Harmonisierung. Er wird gemäß Erwägungsgrund 86 vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36) ausdrücklich ausgenommen. Ein Vorschlag der Kommission betreffend die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen und die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern bzw. der Entsendung von Drittstaatsangehörigen zusammenzuarbeiten, wurde auf Betreiben des Europäischen Parlaments und des Rates vom früheren Richtlinienentwurf gestrichen. Siehe dazu den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2006, KOM(2006) 160 endg., S. 15, 16.

(10)  – Schmidt, M., Das Arbeitsrecht der Europäischen Gemeinschaft , Baden-Baden 2001, S. 254, 259, vertritt die Auffassung, dass die Entsenderichtlinie nicht die Arbeitsbedingungen harmonisiert, sondern nur die kollisionsrechtliche Wahlfreiheit beschränkt. Däubler, W., „Die Entsende-Richtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, S. 614, weist darauf hin, dass die Richtlinie 96/71 sich insbesondere auf Art. 57 Abs. 2 EG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 47 Abs. 2 EG) und Art. 66 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 55 EG) stützt. Art. 66 EG-Vertrag verweise auf die Ausgestaltungs- und Einschränkungsmöglichkeiten, die im Bereich der Niederlassungsfreiheit bestehen, und ordne ihre entsprechende Anwendung für den Bereich der Erbringung von Dienstleistungen an. Nach Art. 57 Abs. 2 EG-Vertrag kann der Rat zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten Richtlinien erlassen, um dadurch die Ausübung der Grundfreiheiten (Niederlassung bzw. Erbringung von Dienstleistungen) zu erleichtern. Vom Gegenstand her sei dies geschehen. Die Richtlinie koordiniere die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen, die Dienstleistungserbringer zu beachten haben. Forgó, K., „Aktuelles zur Entsenderichtlinie“, ecolex 1996, S. 818, erklärt, dass die durch divergierende Kollisionsnormen entstehenden Unterschiede durch die Richtlinie 96/71 beseitigt würden. Die durch das unterschiedliche nationalstaatliche Arbeitsrecht entstehenden Differenzen blieben dagegen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 96/71 erhalten, da Letztere keine inhaltliche Harmonisierung vorsehe. Borgmann, B., „Kollisionsrechtliche Aspekte des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes“, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts 1996, S. 319, sieht in der Richtlinie 96/71 eine Koordination der international zwingenden Normen im Bereich des Arbeitsrechts. In Nr. 58 seiner Schlussanträge vom 23. Mai 2007 in der derzeit beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Laval un Partneri (C‑341/05) erklärt Generalanwalt Mengozzi, die Richtlinie 96/71 bezwecke die kollisionsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, nach denen sich das auf eine grenzüberschreitende Dienstleistung im Fall einer vorübergehenden Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der Gemeinschaft anwendbare innerstaatliche Recht bestimme, zu koordinieren, ohne das Sachrecht der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen – hinsichtlich insbesondere der Lohnhöhe – oder das Recht, kollektive Maßnahmen durchzuführen, zu harmonisieren.

(11)  – Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed vom 15. September 2005 in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑244/04, Slg. 2006, I‑885, Nr. 6).

(12)  – Vgl. in diesem Sinne auch Nr. 28 der Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer vom 14. Dezember 2006 in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑490/04) sowie Nrn. 144 bis 163 der Schlussanträge Laval un Partneri (angeführt in Fn. 10).

(13)  – Urteile vom 12. Mai 2005, Kommission/Belgien (C‑287/03, Slg. 2005, I‑3761, Randnr. 27), vom 14. April 2005, Kommission/Deutschland (C‑341/02, Slg. 2005, I‑2733, Randnr. 35), vom 29. Mai 2001, Kommission/Italien (C‑263/99, Slg. 2001, I‑4195, Randnr. 27), vom 8. März 2001, Kommission/Deutschland (C‑68/99, Slg. 2001, I‑1865, Randnr. 38), vom 23. Oktober 1997, Kommission/Frankreich (C‑159/94, Slg. 1997, I‑5815, Randnr. 102), und vom 25. Mai 1982, Kommission/Niederlande (96/81, Slg. 1982, 1791, Randnr. 6).

(14)  – Urteil vom 22. September 1988, Kommission/Griechenland (272/86, Slg. 1988, 4875, Randnr. 21).

(15)  – Während der Verhandlungen im Rat hatten sich insbesondere das Vereinigte Königreich, Irland und Portugal gegen eine offene Liste ausgesprochen, da eine solche dem Ziel der Richtlinie, Klarheit zu schaffen und die Rechtssicherheit zu erhöhen, widerspreche (Agence Europe, 43. Jahrgang, Nr. 6449 vom 27./28. März 1995).

(16)  – So auch Fuchs, M./Marhold, F., Europäisches Arbeitsrecht , 2. Auflage, Wien 2006, S. 322. Borgmann, B., „Kollisionsrechtliche Aspekte des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes“, angeführt in Fn. 10, S. 316, ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten zwar die ungeliebte Konkurrenz mit Unternehmen aus Staaten mit niedrigen Arbeitskosten durch die „Verschärfung“ ihrer international zwingenden Vorschriften abschwächen können. Hierbei seien freilich die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Görres, S., Grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung in der EU , Wien/Graz 2003, S. 122, ist der Meinung, dass ein Rückgriff auf Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 voraussetzt, dass es sich bei den fraglichen mitgliedstaatlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen um Regelungen im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt, welche die Vorschriften des EG-Vertrags nicht verletzen. Die Autoren erkennen somit an, dass bei einem Rückgriff auf Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 bestimmte Maßstäbe eingehalten werden müssen, zu denen notwendigerweise sowohl die zu verwirklichende Dienstleistungsfreiheit als auch die genauen Zielsetzungen des Richtliniengebers zählen. Nach Ansicht von Generalanwalt Mengozzi in Nr. 212 seiner Schlussanträge vom 23. Mai 2007 in der Rechtssache Laval un Partneri (C‑341/05) enthebt der Umstand, dass nationale Regeln zur Kategorie der Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung oder derjenigen der zwingenden Vorschriften gehören, die Mitgliedstaaten nicht, wie aus Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 und der Rechtsprechung zu Art. 49 EG hervorgehe, der Beachtung der Bestimmungen des Vertrags.

(17)  – Siehe im Zusammenhang mit Beschränkungen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Nr. 143 der Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer vom 16. Mai 2006 in den verbundenen Rechtssachen Placanica, Palazzese und Sorrichio (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007, I‑0000). Georgiadis, N., Derogation clauses: the protection of national interests in EC law , Brüssel 2006, S. 72, weist darauf hin, dass alle Ausnahmeklauseln, insbesondere die Ausnahme der öffentlichen Ordnung, dem Grundsatz der einschränkenden Auslegung unterliegen. Nach Ansicht von Wichmann, J., Dienstleistungsfreiheit und grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern , Frankfurt am Main 1998, S. 104, 105, lassen sich systematische Erwägungen gegen eine extensive Auslegung anführen. Denn schon aus ihrer Stellung als vertragliche Ausnahmevorschrift ergebe sich, dass die Ordre-public-Klausel eng auszulegen sei. Die Berufung auf die öffentliche Ordnung setze daher voraus, dass wesentliche Hoheitsinteressen des Mitgliedstaats berührt seien.

(18)  – Der Gerichtshof hat dabei stets hervorgehoben, dass die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eine Abweichung vom grundlegenden Prinzip der Freizügigkeit darstellt, die wie alle Ausnahmen von einem Grundprinzip des Vertrags eng auszulegen ist und deren Tragweite nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann. Siehe die Urteile vom 26. Februar 1975, Bonsignore (67/74, Slg. 1975, 297, Randnr. 6), vom 28. Oktober 1975, Rutili (36/75, Slg. 1975, 1219, Randnr. 27), vom 27. Oktober 1977, Bouchereau (30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 33), vom 19. Januar 1999, Calfa (C‑348/96, Slg. 1999, I‑11, Randnr. 23), vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri (C‑482/01 und C‑493/01, Slg. 2004, I‑5257, Randnrn. 64 und 65), vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien (C‑503/03, Slg. 2006, I‑1097, Randnr. 45), vom 27. April 2006, Kommission/Deutschland (C‑441/02, Slg. 2006, I‑3449, Randnr. 34), und vom 7. Januar 2007, Kommission/Niederlande (C‑50/06, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 42).

(19)  – Urteile vom 2. April 1998, EMU Tabac (C‑296/95, Slg. 1998, I‑1605, Randnr. 30), und vom 23. März 1982 (53/81, Slg. 1982, 1035, Randnrn. 10 bis 12).

(20)  – Nach ständiger Rechtsprechung setzt der Rückgriff einer nationalen Behörde auf den Begriff der öffentlichen Ordnung auf jeden Fall voraus, dass außer der sozialen Störung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (siehe Urteile Rutili, angeführt in Fn. 18, Randnr. 28, Bouchereau, angeführt in Fn. 18, Randnr. 35, Orfanopoulos und Oliveri, angeführt in Fn. 18, Randnr. 66, Kommission/Spanien, angeführt in Fn. 18, Randnr. 46, Kommission/Deutschland, angeführt in Fn. 18, Randnr. 35, und Kommission/Niederlande, angeführt in Fn. 18, Randnr. 43).

(21)  – Siehe Urteil vom 14. Dezember 1974, Van Duyn (41/74, Slg. 1974, 1337, Randnrn. 18 und 19).

(22)  – Er findet sich in einer Vielzahl gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen, von denen auf primärrechtlicher Ebene insbesondere die Art. 30 EG, 39 Abs. 3 EG, 46 EG, 55 EG und 58 Abs. 1 Buchst. b EG als sogenannte „Grundfreiheitsschranken“ Bedeutung erlangt haben, die unter gewissen Voraussetzungen Einschränkungen des primärrechtlich gewährleisteten freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital erlauben. Daneben findet der Begriff der öffentlichen Ordnung im Sekundärrecht entweder als Ausnahmeklausel oder als interpretierendes und präzisierendes Sekundärrecht Verwendung (siehe dazu Schneider, H., Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag , Baden-Baden 1998, S. 53).

(23)  – Urteile vom 23. Februar 1988, Kommission/Italien (429/85, Slg. 1988, 843, Randnr. 9), vom 26. April 1991, Antonissen (C‑292/89, Slg. 1991, I‑745, Randnr. 18), vom 29. Mai 1997, VAG Sverige (C‑329/95, Slg. 1997, I‑2675, Randnr. 23), vom 3. Dezember 1998, Generics (UK) u. a. (C‑368/96, Slg. 1998, I‑7967, Randnrn. 25-28).

(24)  – Eine Verwahrung gegen die Aussage der Erklärung 10, obwohl diese dem Rat als Organ und damit u. a. auch der luxemburgischen Regierung zuzurechnen ist, widerspräche dem Rechtsgrundsatz „venire contra factum proprium nemini licet“, wonach sich niemand in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen darf.

(25)  – Siehe insbesondere die Urteile vom 24. Januar 2002, Portugaia Construções (C‑164/99, Slg. 2002, I‑787, Randnr. 17), und vom 15. März 2001, Mazzoleni (C‑165/98, Slg. 2001, I‑2189, Randnr. 23), in denen der Gerichtshof erklärte, dass ein Mitgliedstaat insbesondere die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung all derjenigen Voraussetzungen abhängig machen darf, die für eine Niederlassung gelten, und damit den Bestimmungen des EG-Vertrags, deren Ziel es gerade ist, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, jede praktische Wirksamkeit nehmen.

(26)  – Wolfsgruber, C., Die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern , Wien 2001, S. 42, erwähnt die Erklärung 10 nicht. Die Autorin ist dennoch der Auffassung, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung in Art. 3 Abs. 10 der Richtlinie 96/71 in Anlehnung an die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 46 Abs. 1 EG eng zu interpretieren ist. Eine Ausdehnung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Gaststaats sei somit nur unter der Voraussetzung möglich, dass „eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der Grundinteressen der Gesellschaft bestehe“. Däubler, W., „Die Entsende-Richtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht“, angeführt in Fn. 10, S. 615, weist darauf hin, dass keineswegs alle für inländische Unternehmen geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen auf die Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten erstreckt werden. Vielmehr gehe es um Mindestlohn und Mindesturlaub, so dass etwa die höheren Löhne eines Facharbeiters, übliche Zuschläge, die betriebliche Altersversorgung usw. keine Rolle spielen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Richtlinie 96/71 zwar einen Kern von Mindestschutzbestimmungen festlegen, gleichzeitig aber Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs aus Erwägungen der öffentlichen Ordnung möglichst vermeiden will.

(27)  – Zugleich dient die Richtlinie 91/533 der Umsetzung von Punkt 9 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, nach dem die Arbeitsbedingungen eines jeden abhängig Beschäftigten der Europäischen Gemeinschaft entsprechend den Gegebenheiten der einzelnen Länder durch das Gesetz, durch einen Tarifvertrag oder in einem Beschäftigungsvertrag geregelt sein müssen.

(28)  – Der Arbeitgeber ist gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/533 verpflichtet, den Arbeitnehmer spätestens zwei Monate nach Arbeitsaufnahme schriftlich über die wesentlichen Punkte des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses in Kenntnis zu setzen. Für die Informationsverpflichtung setzt Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 91/533 einen Mindestumfang fest. Darüber hinaus muss gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/533 der schriftliche Nachweis bei Arbeitnehmern, die ihre Arbeit in einem oder mehreren anderen Ländern als dem Mitgliedstaat ausüben, dessen Rechtsvorschriften und/oder Praxis der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis unterliegt, die Angabe i) der Dauer der im Ausland ausgeübten Arbeit, ii) der Währung, in der das Arbeitsentgelt ausgezahlt wird, iii) gegebenenfalls die mit dem Auslandsaufenthalt verbundenen Vorteile in Geld und in Naturalien und gegebenenfalls die Bedingungen für die Rückführung des Arbeitnehmers enthalten, wobei auch in diesen Fällen die Unterrichtung über die Währung des auszuzahlenden Entgelts sowie die mit dem Auslandsaufenthalt verbundenen Vorteile durch einen Hinweis auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. die Satzungs- oder Tarifvertragsbestimmungen erfolgen kann. Diese Dokumente müssen vor der Abreise des Arbeitnehmers in dessen Besitz gelangen. Siehe dazu Fuchs, M./Marhold, F., Europäisches Arbeitsrecht , angeführt in Fn. 16, S. 79 ff.

(29)  – Siehe zum rechtlichen Verhältnis zwischen der Richtlinie 96/71 und der Richtlinie 2006/123 die Ausführungen in Fn. 9.

(30)  – Lenaerts, K./Arts, D./Maselis, I., Procedural Law of the European Union , 2. Auflage, London 2006, Randnr. 5-056, S. 162, weisen darauf hin, dass die Tragweite nationaler Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsbestimmungen im Licht der Auslegung beurteilt werden muss, die ihnen nationale Gerichte zuordnen. Lässt eine nationale Bestimmung unterschiedliche Interpretationen – eine gemeinschaftsrechtswidrige und eine gemeinschaftsrechtskonforme – zu, so obliegt der Kommission der Beweis, dass die nationalen Gerichte die jeweilige Bestimmung nicht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht auslegen. In der vorliegenden Rechtssache ist der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 jedoch unmissverständlich und lässt keine andere Interpretation zu, die einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 91/533 nahelegen würde.

(31)  – Siehe Nr. 45.

(32)  – Urteile vom 25. Juli 1991, Säger (C‑76/90, Slg. 1991, I‑4221, Randnr. 12), vom 9. August 1994, Vander Elst (C‑43/93, Slg. 1994, I‑3803, Randnr. 14), vom 28. März 1996, Guiot (C‑272/94, Slg. 1996, I‑1905, Randnr. 10), vom 12. Dezember 1996, Reisebüro Broede (C‑3/95, Slg. 1996, I‑6511, Randnr. 25), vom 9. Juli 1997, Parodi (C‑222/95, Slg. 1997, I‑3899, Randnr. 18), Portugaia Construções (angeführt in Fn. 25, Randnr. 16) und vom 19. Januar 2006, Kommission/Deutschland (C‑244/04, Slg. 2006, I‑885, Randnr. 30).

(33)  – Urteile vom 25. Oktober 2001, Finalarte (C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Randnr. 31), vom 23. November 1999, Arblade (C‑369/96 und C‑376/96, Slg. 1999, I‑8453, Randnr. 34).

(34)  – Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP and EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9). Die Richtlinie garantiert Arbeitnehmern, die von neuen flexiblen Arbeitsformen betroffen sind, die gleiche Behandlung wie Vollzeitbeschäftigten und Beschäftigten mit unbefristetem Arbeitsvertrag. Der Zugang zur Teilzeitarbeit soll leichter werden; an die Arbeitgeber ergehen Empfehlungen, wie sie den Wünschen der Arbeitnehmer hinsichtlich flexibler Arbeitsformen Rechnung tragen können.

(35)  – Richtlinie 99/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. L 175, S. 43). Die Richtlinie enthält Mindestvorschriften für befristete Arbeitsverträge, um die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern zu sichern und den Missbrauch durch aufeinanderfolgende Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse dieser Art zu vermeiden. Sie fordert die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Sanktionen bei Verstößen gegen diese Mindestvorschriften auf. Ferner sieht sie Sonderklauseln vor, um den Verwaltungsaufwand zu begrenzen, der sich für kleinere und mittlere Unternehmen aus der Anwendung dieser neuen Bestimmungen ergeben könnte.

(36)  – Die allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen, d. h. die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE), der Europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB), schlossen am 6. Juni 1997 eine Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und am 18. März 1999 eine Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die jeweils durch die Richtlinien 97/81 und 99/70 durchgeführt werden sollten. Wie aus Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 97/81 bzw. Nr. 16 der Richtlinie 99/70 hervorgeht, war eine Richtlinie im Sinne von Art. 249 EG als der geeignete Rechtsakt angesehen worden, da sie für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich ist, diesen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlässt.

(37)  – Ohne eine genaue rechtliche Bewertung anhand der Richtlinie 96/71 vorzunehmen, vertreten Däubler, W., „Die Entsende-Richtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht“, angeführt in Fn. 10, S. 615, und Borgmann, B., „Entsendung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer durch EU-Unternehmen nach Deutschland“, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 1993, S. 122, die Auffassung, dass nicht alle für inländische Unternehmen geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen auf die Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten erstreckt werden können. Letzterer sieht in der zwingenden Erstreckung von innerstaatlich nicht allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auf ausländische Arbeitsverträge sogar eine offene Diskriminierung ausländischer Unternehmen.

(38)  – Dies folgt bereits aus der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Vorgaben einer Richtlinie so umzusetzen, dass sie den Erfordernissen der Eindeutigkeit und Bestimmtheit des Rechtszustands voll gerecht wird, auf den die Richtlinie abzielt (vgl. Urteile vom 1. März 1983, Kommission/Italien, 300/81, Slg. 1983, 449, Randnr. 10, und vom 2. Dezember 1986, Kommission/Belgien, 239/85, Slg. 1986, 3645, Randnr. 7).

(39)  – Dies hat der Gerichtshof im Urteil Portugaia Construções (angeführt in Fn. 25, Randnrn. 28, 29) hinsichtlich der Anwendung der nationalen Vorschriften über Mindestlöhne auf Dienstleistende festgestellt. Daher sei von den nationalen Behörden bzw. Gerichten zu prüfen, ob die fragliche Regelung bei einer objektiven Betrachtung den Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet und ob sie den betroffenen Arbeitnehmern einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt. Damit machte der Gerichtshof deutlich, dass sich scheinbar vorteilhafte nationale Regelungen über Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen wie der Mindestlohn nicht generell zum Vorteil der entsandten Arbeitnehmer auswirken können. Gleiches hat meines Erachtens auch für tarifliche Regelungen zu gelten. In diesem Sinne auch Generalanwalt Mengozzi in Nr. 237 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Laval un Partneri (angeführt in Fn. 16), der auf das Urteil Portugaia Construções verweist.

(40)  – Es handelt sich dabei um die „Convention collective de travail pour le métier de plafonneur-façadier“ (großherzogliche Verordnung vom 31. Januar 1996 – Mémorial A – Nr. 14), die „Convention collective de travail pour les métiers d´installateur sanitaire et d’installateur de chauffage et de climatisation“ (großherzogliche Verordnung vom 23. September 1996, Mémorial A – Nr. 72), den „Contrat collectif pour le bâtiment“ (großherzogliche Verordnung vom 18. Februar 1997, Mémorial A – Nr. 14).

(41)  – Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9).

(42)  – Sie kündigte darin die Vorbereitung eines Gesetzesentwurfs an, mit dem in Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 ein Verweis auf die tägliche Ruhezeit und die Ruhepause aufgenommen werden sollte. Laut Klagebeantwortung ist dies durch Art. 4 des Gesetzes vom 19. Mai 2006 über die Umsetzung der Richtlinien 2003/88 und 96/71 erfolgt (Loi du 19 mai 2006 1] transposant la directive 2003/88/CE du Parlement européen et du Conseil du 4 novembre 2003 concernant certains aspects de l’aménagement du temps de travail; 2] modifiant la loi modifiée du 7 juin 1937 ayant pour objet la réforme de la loi du 31 octobre 1919 portant règlement légal du louage de services des employés privés; 3] modifiant la loi modifiée du 9 décembre 1970 portant réduction et réglementation de la durée de travail des ouvriers occupés dans les secteurs public et privé de l’économie; 4] modifiant la loi modifiée du 17 juin 1994 concernant les services de santé au travail;5] modifiant la loi du 20 décembre 2002 portant 1. transposition de la directive 96/71/CE du Parlement européen et du Conseil du 16 décembre 1996 concernant le détachement de travailleurs effectué dans le cadre d’une prestation de service; 2. réglementation du contrôle de l’application du droit du travail [ Mémorial A – Nr. 97 vom 31. Mai 2006, S. 1806]).

(43)  – Urteile vom 18. Juli 2006, Kommission/Italien (C‑119/04, Slg. 2006, I‑6885, Randnrn. 27 und 28), vom 7. März 2002, Kommission/Spanien (C‑29/01, Slg. 2002, I‑2503, Randnr. 11), vom 15. März 2001, Kommission/Frankreich (C‑147/00, Slg. 2001, I‑2387, Randnr. 26), vom 21. Juni 2001, Kommission/Luxemburg (C‑119/00, Slg. 2001, I‑4795, Randnr. 14), vom 30. November 2000, Kommission/Belgien (C‑384/99, Slg. 2000, I‑10633, Randnr. 16), vom 3. Juli 1997, Kommission/Frankreich (C‑60/96, Slg. 1997, I‑3827, Randnr. 15), vom 17. September 1996, Kommission/Italien (C‑289/94, Slg. 1996, I‑4405, Randnr. 20), und vom 12. Dezember 1996, Kommission/Italien (C‑302/95, Slg. 1996, I‑6765, Randnr. 13).

(44)  – Urteile Säger (angeführt in Fn. 32, Randnr. 12), Vander Elst (angeführt in Fn. 32, Randnr. 14), Guiot (angeführt in Fn. 32, Randnr. 10), Reisebüro Broede (angeführt in Fn. 32, Randnr. 25), Parodi (angeführt in Fn. 32, Randnr. 18), Portugaia Construções (angeführt in Fn. 39, Randnr. 16) und Kommission/Deutschland (angeführt in Fn. 32, Randnr. 30).

(45)  – Im Urteil Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnr. 50) hatte der Gerichtshof über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, die den als Dienstleistenden im Sinne des Vertrags handelnden Arbeitgeber verpflichtete, zusätzlich zu den bereits von ihm an den Fonds des Mitgliedstaats, in dem er ansässig war, abgeführten Beiträgen Arbeitgeberbeiträge an den Fonds des Aufnahmemitgliedstaats zu entrichten. Der Gerichtshof sah darin eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, da eine solche Verpflichtung den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen verursachte, so dass diese Unternehmen den im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Arbeitgebern unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs nicht gleichgestellt waren und somit von der Erbringung von Dienstleistungen im Aufnahmemitgliedstaat abgehalten werden konnten. Siehe auch das Urteil Finalarte (angeführt in Fn. 33, Randnr. 30), das sich seinerseits auf das Urteil Mazzoleni (angeführt in Fn. 25, Randnr. 24) bezieht. In letzterem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Anwendung der nationalen Vorschriften über die Mindestlöhne auf Dienstleistende, die in einer an den Aufnahmemitgliedstaat angrenzenden Region ansässig sind, zu einem unverhältnismäßig hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand führen, wenn das Entgelt für Arbeitnehmer, die lediglich stundenweise in den Aufnahmestaat entsandt werden, gesondert zu berechnen ist.

(46)  – Vgl. Urteile Finalarte (angeführt in Fn. 33, Randnr. 36) und vom 21. Oktober 2004, Kommission/Luxemburg (C‑445/03, Slg. 2004, I‑10191, Randnr. 41), in denen der Gerichtshof bereits die Notwendigkeit der Beachtung von Verwaltungsformalitäten für die Annahme einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs ausreichen ließ. In seinen Schlussanträgen vom 15. Juli 2004, Kommission/Luxemburg (C‑445/03, Slg. 2004, I‑10191, Nr. 17), weist Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer darauf hin, dass die Dienstleister, die ihr Recht ausüben, Dienstleistungen im Gebiet eines beliebigen Mitgliedstaats mit Hilfe der Entsendung des vorhandenen Personals zu erbringen, sich mit verschiedenen Nachteilen konfrontiert sehen. Einer ergebe sich aus dem Erfordernis, eine Genehmigung zu erhalten, deren Erteilung abgesehen davon, dass sie im Ermessen stehe, nicht leicht zu bewirken sei und die Erledigung einiger mehr oder weniger langwieriger, komplexer oder kostspieliger Verwaltungsformalitäten voraussetze. Der andere beruhe darauf, dass der Dienstleistungserbringer einige Kontrollen über sich ergehen lassen müsse, die zu den vom Niederlassungsstaat durchgeführten hinzukommen oder diese schlicht wiederholen. All diese Formalitäten führten häufig zum Verzicht auf die Erbringung der Dienstleistung oder zu nachteiligen Verzögerungen. Angesichts dieser Tatsachen ist weiter an dieser Rechtsprechung festzuhalten.

(47)  – Urteile vom 21. September 2006, Kommission/Österreich (C‑168/04, Slg. 2006, I‑9041, Randnr. 43), Kommission/Deutschland (angeführt in Fn. 32, Randnr. 36) und Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnr. 38).

(48)  – Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs bezüglich des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer siehe die Urteile vom 17. Dezember 1981, Webb (279/80, Slg. 1981, 3305, Randnr. 19), vom 3. Februar 1982, Seco (62/81 und 63/81, Slg. 1982, 223, Randnr. 10), vom 27. März 1990, Rush Portuguesa (C‑113/89, Slg. 1990, I‑1417, Randnr. 18), Vander Elst (angeführt in Fn. 32, Randnr. 25), Guiot (angeführt in Fn. 32, Randnr. 16), Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnr. 36), Finalarte (angeführt in Fn. 33, Randnrn. 40, 45), vom 12. Oktober 2004, Wolff & Müller (C‑60/03, Slg. 2004, I‑9553, Randnr. 35), und Kommission/Österreich (angeführt in Fn. 47, Randnr. 47) sowie Nr. 249 der Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache Laval un Partneri (angeführt in Fn. 16). Zur Rechtsprechung bezüglich der Bekämpfung von Missbrauch siehe das Urteil Kommission/Österreich (angeführt in Fn. 47, Randnr. 56). Dass das Gemeinschaftsrecht Missbräuche und Betrügereien nicht schützen will, folgt ferner aus dem Urteil vom 2. Mai 1996, Paletta II (C‑206/94, Slg. 1996, I‑2357, Randnr. 28), in dem der Gerichtshof feststellte, dass es dem Arbeitgeber nach Gemeinschaftsrecht nicht verwehrt ist, Nachweise zu erbringen, anhand deren das nationale Gericht gegebenenfalls feststellen kann, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich oder betrügerisch eine gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 574/72 festgestellte Arbeitsunfähigkeit gemeldet hat, ohne krank gewesen zu sein.

(49)  – Urteile Kommission/Österreich (angeführt in Fn. 47, Randnr. 43) und Rush Portuguesa (angeführt in Fn. 48, Randnr. 17).

(50)  – Urteile Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnr. 35), Mazzoleni (angeführt in Fn. 25, Randnr. 26) und vom 12. Oktober 2004, Wolff & Müller (C‑60/03, Slg. 2004, I‑9553, Randnr. 34). Teyssié, B., Droit européen du travail , 2. Auflage, Paris 2003, S. 158, 159, ist der Ansicht, dass das Erfordernis der Einhaltung einer Verwaltungsformalität nur dann gerechtfertigt sei, wenn es den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer diene. Der soziale Schutz der Arbeitnehmer als legitimer Rechtfertigungsgrund dürfe nicht als Vorwand zum Zweck der Schaffung von gesetzlichen Bestimmungen fungieren, welche die Dienstleistungsfreiheit behindern.

(51)  – Gemäß Art. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 „sind die Gewerbeaufsichtsbehörde und die Zollverwaltung in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich mit der Überwachung der Anwendung der Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes beauftragt“. Für den Aufgabenbereich der Gewerbeaufsichtsbehörde ist das Gesetz vom 4. April 1974 über die Neuordnung der Gewerbeaufsichtsbehörde ( Mémorial A – Nr. 27, S. 485) einschlägig.

(52)  – Siehe den vorläufig vollstreckbaren Bescheid der Gewerbeaufsichtsbehörde mit Datum vom 29. April 2004, gerichtet an ein bestimmtes Unternehmen, in dem sie die Erbringung von Dienstleistungen durch nicht angemeldete Arbeitnehmer verbietet („ordonnance exécutoire par provision: cessation de prestations de travail détachées non-déclarées“), als Kopie in Anhang A-5 der Klageschrift beigefügt.

(53)  – Der Gesetzgeber verbietet bestimmte Betätigungen (oder bestimmte Vorhaben), aber nicht, weil sie generell unterbleiben sollen, sondern weil vorweg behördlich geprüft werden soll, ob sie im Einzelfall gegen bestimmte materiell-rechtliche Rechtsvorschriften verstoßen. Verläuft die Prüfung positiv und ergibt sich, dass die Betätigung mit dem materiellen Recht im Einklang steht, ist die Genehmigung zu erteilen. Das Verbot steht also von vornherein unter dem Vorbehalt, die Erlaubnis zu erteilen, wenn sich im Erlaubnisverfahren keine gesetzlichen Versagungsgründe ergeben. Daher spricht man im Fall der „Erlaubnis“ auch vom „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ (siehe dazu Maurer, H., Allgemeines Verwaltungsrecht , 15. Auflage, München 2004, Randnr. 51, S. 218). Mit dem Vorliegen eines solchen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt steht auch der Beschränkungscharakter der luxemburgischen Regelung in Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2002 zweifellos fest. Zur Entsendung von Arbeitnehmern aus einem Drittstaat durch ein in der Gemeinschaft ansässiges Dienstleistungsunternehmen hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Erbringung von Dienstleistungen durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen im Inland von der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis abhängig macht, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EG darstellt. Vgl. Urteile Kommission/Österreich (angeführt in Fn. 47, Randnr. 40), Kommission/Luxemburg (angeführt in Fn. 46, Randnr. 24), und Vander Elst (angeführt in Fn. 32, Randnr. 15).

(54)  – Vgl. in diesem Sinne, bezogen auf Richtlinien, Urteile vom 28. Februar 1991, Kommission/Italien (C‑360/87, Slg. 1991, I‑791, Randnr. 12), und vom 15. Juni 1995, Kommission/Luxemburg (C‑220/94, Slg. 1995, I‑1589, Randnr. 10). Siehe ferner Urteile vom 18. Januar 2001, Kommission/Italien (C‑162/99, Slg. 2001, I‑541, Randnrn. 22 bis 25), und vom 6. März 2003, Kommission/Luxemburg (C‑478/01, Slg. 2003, I‑2351, Randnr. 20).

(55)  – Im vorläufig vollstreckbaren Bescheid der Gewerbeaufsichtsbehörde mit Datum vom 29. April 2004, mit dem sie die Erbringung von Dienstleistungen durch nicht angemeldete Arbeitnehmer verbietet („ordonnance exécutoire par provision: cessation de prestations de travail détachées non-déclarées“), als Kopie in Anhang A-5 der Klageschrift beigefügt, weist die Gewerbeaufsichtsbehörde darauf hin, dass die Unterlagen betreffend den sozial- und arbeitsrechtlichen Status der entsandten Arbeitnehmer vor der Erbringung von grenzüberschreitenden Leistungen eingereicht werden müssen, wobei das Wort „antérieurement“ offenbar zwecks Belehrung vermeintlich illegal handelnder Unternehmen in Großbuchstaben geschrieben wird.

(56)  – Urteil Kommission/Luxemburg, angeführt in Fn. 46, Randnr. 31.

(57)  – In diesem Sinne auch Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen vom 15. September 2005, Kommission/Deutschland (C‑244/04, Slg. 2006, I‑885, Nr. 28), bezüglich einer deutschen Regelung, die die Entsendung von Staatsangehörigen von Drittstaaten, die bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Erbringer von Dienstleistungen beschäftigt sind, einem Verfahren der vorherigen Genehmigung unterwarf. Nach Ansicht des Generalanwalts ist eine vorherige Kontrollmaßnahme nicht verhältnismäßig, da die Unternehmen, die diese mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer nicht beachten, die Verantwortung für eine unter rechtswidrigen Bedingungen erfolgte Entsendung trügen und stets belangt werden könnten. Eine vorherige Kontrollmaßnahme könne daher nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, Gewissheit darüber zu erlangen, dass diese Entsendung rechtmäßig erfolge.

(58)  – Dies wird von der luxemburgischen Regierung auf S. 5 ihres Antwortschreibens auf das Mahnschreiben der Kommission implizit anerkannt. Darin erkennt sie die besonderen Zwänge, die das Erfordernis, einen in Luxemburg ansässigen Ad-hoc-Vertreter zu bestimmen, bei ausländischen Unternehmen verursacht hat.

(59)  – Siehe Nr. 71.

(60)  – Siehe Nr. 72.

(61)  – Vgl. die Urteile Säger (angeführt in Fn. 32, Randnr. 13) sowie Mazzoleni (angeführt in Fn. 25, Randnr. 23).

(62)  – Urteil vom 7. Februar 2002, Kommission/Italien (C‑279/00, Slg. 2002, I‑1425, Randnrn. 17 und 18).

(63)  – Urteile Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnr. 76) und vom 4. Dezember 1986, Kommission/Deutschland (205/84, Slg. 1986, 3755, Randnr. 54).

(64)  – Im Urteil Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnrn. 79) stellte der Gerichtshof fest, dass „das organisierte System der Zusammenarbeit oder des Informationsaustausches zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Artikel 4 der Richtlinie 96/71 es überflüssig machen [würde], die Unterlagen im Aufnahmemitgliedstaat aufzubewahren, nachdem der Arbeitgeber dort keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt“. Gemäß dieser Bestimmung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, organisatorische Einrichtungen zu schaffen, die eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ermöglichen. Dadurch soll insbesondere den Gerichten der einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit geschaffen werden, die Beschäftigungsbedingungen am jeweiligen Arbeitsort in anderen Mitgliedstaaten in Erfahrung zu bringen. Als solche Einrichtungen sind vor allem Verbindungsbüros oder sonstige Stellen der Amtshilfe gedacht. Von besonderer Relevanz ist die in der Richtlinie vorgesehene Zusammenarbeit jener Behörden, die für die Überwachung der betreffenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuständig sind. Diese Kooperation besteht darin, Anfragen der Behörden anderer Mitgliedstaaten zu beantworten, die i) die länderübergreifende Zurverfügungstellung von Arbeitnehmern, ii) offenkundige Verstöße und iii) Fälle, in denen der Verdacht auf eine unzulässige länderübergreifende Tätigkeit besteht, betreffen. Die gegenseitige Amtshilfe hat unentgeltlich zu erfolgen (siehe dazu Forgó, K., „Aktuelles zur Entsenderichtlinie“, angeführt in Fn. 10, S. 817).

(65)  – Vgl. Urteil Arblade (angeführt in Fn. 33, Randnrn. 65, 74), das sich auf den sozialen Schutz der Arbeitnehmer im Baugewerbe bezog.