SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 24. Mai 20071(1)

Rechtssache C‑84/06

Staat der Nederlanden

gegen

Antroposana, Patiëntenvereniging voor Antroposofische Gezondheidszorg,

Nederlandse Vereniging van Antroposofische Artsen,

Weleda Nederland NV

und

Wala Nederland NV

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden [Niederlande])

„Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel – Anthroposophische Arzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen und Registrierung – Vollständige Harmonisierung“





I –    Einleitung

1.        Mit dieser Vorlage stellt der Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) dem Gerichtshof zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel(2) sowie der Art. 28 EG und 30 EG bezüglich der Voraussetzungen, von deren Vorliegen das niederländische Recht die Erlaubnis zum Inverkehrbringen anthroposophischer Arzneimittel abhängig macht.

2.        Diese Art von Arzneimitteln wird im Rahmen der anthroposophischen Medizin eingesetzt, einer medizinischen Richtung, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von dem österreichischen Philosophen und Wissenschaftler Rudolf Steiner (1861–1925) begründet wurde(3). Die anthroposophischen Arzneimittel werden auf der Grundlage pflanzlicher, mineralischer oder tierischer Substanzen zubereitet(4).

3.        Die Problematik dieser Vorlage zur Vorabentscheidung ergibt sich aus der Fragestellung, ob die Richtlinie 2001/83 zu einer abschließenden Harmonisierung der nationalen Verfahren zur Genehmigung und Registrierung von Humanarzneimitteln für das Inverkehrbringen in den Mitgliedstaaten gelangt ist oder ob diese Richtlinie im Gegenteil lediglich eine Stufe auf dem Weg der Harmonisierung darstellt, die Raum lässt für abweichende nationale Verfahren für in der Richtlinie nicht vorgesehene Arten von Arzneimitteln wie etwa solche anthroposophischen Arzneimittel, die weder zu den homöopathischen noch zu den traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln gehören.

4.        In meinen Schlussanträgen werde ich darlegen, dass die Richtlinie 2001/83 eine vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren zur Genehmigung und Registrierung der in ihren materiellen Anwendungsbereich fallenden Humanarzneimittel bewirkt hat. Demzufolge werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, dem Hoge Raad der Nederlanden zu antworten, dass die Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass sie den Mitgliedstaaten vorschreibt, die anthroposophischen Arzneimittel, die weder dem besonderen vereinfachten Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel noch dem vereinfachten Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel unterliegen, dem allgemeinen Verfahren für die Genehmigung des Inverkehrbringens nach Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie zu unterwerfen.

II – Der rechtliche Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

5.        Die auf Art. 95 EG gestützte Richtlinie 2001/83 hat eine Kodifizierung der zuvor erlassenen Richtlinien zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Humanarzneimittel vorgenommen und sie in einem einzigen Text zusammengefasst.

6.        Dem Gemeinschaftsgesetzgeber zufolge müssen alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten. Dieses Ziel muss jedoch mit Mitteln erreicht werden, die die Entwicklung der pharmazeutischen Industrie und den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht hemmen können(5).

7.        Ausgehend von der Feststellung, dass die Unterschiede zwischen einigen einzelstaatlichen Vorschriften den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft behindern und sich somit unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken, wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber diese Hindernisse beseitigen und zu diesem Zweck eine Angleichung der einschlägigen Rechtsvorschriften durchführen(6).

8.        Die Richtlinie 2001/83 ist mithin „ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung des freien Verkehrs mit Arzneimitteln“(7). Der Gemeinschaftsgesetzgeber verweist aber darauf, dass sich „aufgrund der insbesondere im Ausschuss für Arzneispezialitäten gesammelten Erfahrungen … weitere Maßnahmen als notwendig erweisen [können], um noch bestehende Hemmnisse für den freien Verkehr zu beseitigen“(8).

9.        Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie bestimmt den Begriff des Arzneimittels wie folgt:

„…

a)       Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden, oder

b)      alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.“

10.      Anders als beim homöopathischen Arzneimittel, das in Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2001/83 definiert wird, enthält die Richtlinie keine Definition des anthroposophischen Arzneimittels. Erwähnt wird diese Arzneimittelart aber im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie, wo es heißt: „Anthroposophische Arzneimittel, die in einer offiziellen Pharmakopöe beschrieben und nach einem homöopathischen Verfahren zubereitet werden, sind hinsichtlich der Registrierung und der Genehmigung für das Inverkehrbringen homöopathischen Arzneimitteln gleichzustellen.“

11.      Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 lautet:

„Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93[(9)] erteilt wurde.“

12.      Für die nationalen Genehmigungen des Inverkehrbringens von Humanarzneimitteln sieht die Richtlinie 2001/83 drei Verfahrensarten vor.

13.      Erstens enthält Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie die Vorschriften für ein allgemeines Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen. Für eine solche Genehmigung muss der Antragsteller insbesondere die Ergebnisse pharmazeutischer, vorklinischer und klinischer Versuchen vorlegen(10). Art. 10a dieser Richtlinie sieht indessen vor, dass der Antragsteller nicht verpflichtet ist, die Ergebnisse der vorklinischen und klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre in der Gemeinschaft allgemein medizinisch verwendet wurden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit gemäß den Bedingungen des Anhangs I ebendieser Richtlinie aufweisen. In diesem Fall werden die Ergebnisse dieser Versuche durch einschlägige wissenschaftliche Dokumentation ersetzt.

14.      Zweitens sieht Titel III Kapitel 2 der Richtlinie 2001/83 mit der Überschrift „Besondere auf homöopathische Arzneimittel anzuwendende Bestimmungen“ ein besonderes vereinfachtes Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel vor, die den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie entsprechen(11).

15.      Drittens schafft Titel III Kapitel 2a der Richtlinie 2001/83 mit der Überschrift „Besondere auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel anzuwendende Bestimmungen“ ein vereinfachtes Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel, die sämtlichen Kriterien des Art. 16a Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 entsprechen.

B –    Nationales Recht

16.      Gemäß Art. 3 Abs. 4 der Wet op de Geneesmiddelenvoorziening (Gesetz über die Arzneimittelversorgung, im Folgenden: WoG) ist es untersagt, nicht registrierte Arzneispezialitäten und -präparate herzustellen, zu verkaufen, abzugeben, einzuführen, damit zu handeln oder für die Abgabe vorrätig zu halten. Der Handel mit einem Arzneimittel, dessen Registrierung nicht abgeschlossen ist, wird strafrechtlich geahndet.

17.      Die Registrierungsregeln sind in der Königlichen Verordnung vom 8. September 1977 über die Registrierung von Arzneimittelspezialitäten und ‑zubereitungen in der 2004 geänderten Fassung(12) festgelegt. Im Übrigen sind besondere Registrierungsregeln für homöopathische Arzneimittel in der Königlichen Verordnung vom 24. Dezember 1991 in der 2000 geänderten Fassung(13) enthalten. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über homöopathische Mittel legt fest, dass bei ihrer Anwendung ein nach anthroposophischer Methode hergestelltes Mittel ebenfalls als homöopathisches Arzneimittel anzusehen ist, wenn die Zubereitungsweise der üblichen allgemeinen Methodologie für die Zubereitung homöopathischer Arzneimittel entspricht.

18.      Die anthroposophischen Arzneimittel sind durch eine Übergangsregelung bis zum 1. Juni 2002 von dem Registrierungserfordernis befreit worden.

19.      Seit dem Ablauf dieser Übergangszeit ist nach Ansicht der niederländischen Behörden für diese Art von Arzneimitteln das Verbot des Art. 3 Abs. 4 WoG in vollem Umfang zur Anwendung zu bringen.

20.      Nach homöopathischer Methode hergestellte anthroposophische Arzneimittel können somit in einem vereinfachten Verfahren registriert werden, das durch die Verordnung über homöopathische Mittel eingeführt worden ist. Für die anderen anthroposophischen Arzneimittel gilt das allgemeine, mit der Registrierungsverordnung eingeführte Registrierungsverfahren. Die niederländischen Behörden sind nämlich davon ausgegangen, dass die Richtlinie 2001/83 ihnen nicht gestatte, eine besondere Regelung für die Gruppe der homöopathisch hergestellten anthroposophischen Arzneimittel festzulegen.

III – Das Ausgangsverfahren

21.      Im Ausgangsverfahren stehen sich der Staat der Nederlanden und Antroposana, Patiëntenvereniging voor Antroposofische Gezondheitszorg (Patientenvereinigung für anthroposophische Gesundheitsfürsorge), Nederlandse Vereniging van Antroposofische Artsen (Niederländische Vereinigung anthroposophischer Ärzte), Weleda Nederland NV und Wala Nederland NV (im Folgenden: Rechtsmittelbeklagte) gegenüber(14).

22.      In diesem Rechtsstreit geht es im Kern um die Frage, ob Art. 3 Abs. 4 WoG auf anthroposophische Arzneimittel angewandt werden kann, solange kein besonderes Registrierungsverfahren für diese Art von Arzneimitteln eingerichtet worden ist.

23.      Die Rechtsmittelbeklagten haben daher vor der Rechtbank te ’s‑Gravenhage die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 4 WoG auf anthroposophische Arzneimittel in Frage gestellt. Sie machten insbesondere die Unangemessenheit und Unverhältnismäßigkeit der niederländischen Rechtsvorschriften geltend, die mit der Festlegung der Registrierung dieser Mittel nach den Verfahrensformen der Richtlinie 2001/83 de facto den Vertrieb eines Großteils der anthroposophischen Arzneimittel in den Niederlanden unmöglich machten. Es sei nämlich schwierig, die therapeutische Wirksamkeit dieser Arzneimittel auf der Grundlage der objektiven Kriterien nachzuweisen, die für traditionelle Arzneimittel gälten. Zahlreiche anthroposophische Mittel könnten selbst nach dem vereinfachten Verfahren für homöopathische Arzneimittel nicht registriert werden, da dieses die Beschreibung des Mittels in einer amtlich anerkannten Pharmakopöe voraussetze. Anthroposophische Arzneimittel seien aber in amtlichen Pharmakopöen nur zum Teil beschrieben.

24.      Die niederländischen Behörden haben auf diese Argumentation im Wesentlichen erwidert, dass die Richtlinie 2001/83 eine vollständige Harmonisierung der Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln durchgeführt habe. Die Mitgliedstaaten seien daher verpflichtet, die vereinheitlichten Registrierungsverfahren für jedes Arzneimittel einzuhalten, und seien folglich nicht mehr frei, für Gruppen besonderer Arzneimittel wie anthroposophische Mittel abweichende Verfahren anzuwenden, die in der Gemeinschaftsregelung nicht vorgesehen seien.

25.      Parallel zu dieser Klage in der Hauptsache haben die Rechtsmittelbeklagten beim Richter des vorläufigen Rechtsschutzes der Rechtbank te ’s‑Gravenhage gegen den Staat der Nederlanden eine einstweilige Anordnung beantragt, diesem bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, das in Art. 3 Abs. 4 WoG niedergelegte Verbot aufrechtzuerhalten, hilfsweise, ihm bis zu diesem Zeitpunkt aufzugeben, es zu dulden, dass Weleda Nederland NV und Wala Nederland NV nichthomöopathische anthroposophische Arzneimittel herstellen, verkaufen, abgeben, einführen und mit ihnen handeln und dass die Apotheker, denen sie ihre Erzeugnisse liefern, diese Mittel verkaufen und abgeben.

26.      Mit Entscheidung vom 15. April 2003 hat der Richter des vorläufigen Rechtsschutzes dem Hilfsantrag der Rechtsmittelbeklagten bezüglich der von einem Arzt verschriebenen Arzneimittel stattgegeben.

27.      Gegen diese Entscheidung haben der Staat der Nederlanden beim Gerechtshof te ’s‑Gravenhage Beschwerde und die Rechtmittelbeklagten Anschlussbeschwerde eingelegt. Mit Urteil vom 27. Mai 2004 hat dieses Gericht das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben, als mit der Anordnung des Richters des vorläufigen Rechtsschutzes die Einschränkung verbunden war, dass sie ausschließlich für von einem Arzt verordnete Arzneimittel gelten sollte. Im Übrigen wurde das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Der Staat der Nederlanden hat gegen das Urteil des Gerechtshof te ’s‑Gravenhage Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden eingelegt.

IV – Die Vorabentscheidungsfragen

28.      Der Hoge Raad der Nederlanden hält für seine Entscheidung über diese Kassationsbeschwerde eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts für erforderlich und hat dem Gerichtshof folglich die nachstehenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Zwingt die Richtlinie 2001/83/EG die Mitgliedstaaten, anthroposophische Arzneimittel, die nicht zugleich homöopathische Arzneimittel sind, den Genehmigungserfordernissen im Sinne von Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie zu unterwerfen?

2.      Ist, wenn die erste Frage verneint wird, die niederländische Gesetzesvorschrift, die diese anthroposophischen Arzneimittel den genannten Genehmigungserfordernissen unterwirft, eine nach Art. 30 EG zugelassene Ausnahme vom Verbot des Art. 28 EG?

V –    Untersuchung

A –    Zur ersten Vorabentscheidungsfrage

29.      Mit dieser ersten Frage möchte der Hoge Raad der Nederlanden im Kern wissen, ob die Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichtet, die anthroposophischen Arzneimittel, die weder unter das besondere vereinfachte Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel noch unter das vereinfachte Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel fallen, dem allgemeinen Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen nach Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie zu unterwerfen.

30.      Wie ich bereits einleitend erläutert habe, wird der Gerichtshof mit dieser Frage um die Prüfung ersucht, ob die Richtlinie 2001/83 eine abschließende Harmonisierung der nationalen Genehmigungs- und Registrierungsverfahren für Humanarzneimittel und für deren Inverkehrbringen in den Mitgliedstaaten erreicht hat oder ob diese Richtlinie im Gegenteil lediglich eine Stufe bei der Harmonisierung darstellt, die Raum für abweichende nationale Verfahren für in dieser Richtlinie nicht vorgesehene Arzneimittelgruppen wie anthroposophische Arzneimittel lässt, die weder zur Gruppe der homöopathischen noch zur Gruppe der traditionellen pflanzlichen Arzneimittel gehören.

31.      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass ein anthroposophisches Mittel gemäß Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Richtlinie anzusehen ist, wenn es der Definition des Arzneimittels „nach der Bezeichnung“ oder des Arzneimittels „nach der Funktion“ entspricht(15). Das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren betrifft ausschließlich die anthroposophischen Mittel, die der einen oder der anderen der beiden Definitionen entsprechen.

32.      Die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission schlagen vor, die erste Frage zu bejahen, weil die Richtlinie 2001/83 eine abschließende Harmonisierung der nationalen Verfahren für die Genehmigung des Inverkehrbringens von Humanarzneimitteln bewirkt habe. Anthroposophische Arzneimittel, die weder homöopathische noch traditionelle pflanzliche Arzneimittel seien, müssten daher nach dem in Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie geregelten allgemeinen Verfahren genehmigt werden.

33.      Die Rechtsmittelbeklagten und die deutsche Regierung sind dagegen der Auffassung, dass die besagte Richtlinie keine vollständige Harmonisierung der Genehmigungsverfahren bewirke. Insbesondere gebe es im Bereich der Humanarzneimittel eine schrittweise Harmonisierung. Zwar seien die homöopathischen und die traditionellen pflanzlichen Arzneimittel bereits ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Gemeinschaftsregelung aufgenommen worden, dies gelte jedoch noch nicht für anthroposophische Arzneimittel. Daher stehe es den Mitgliedstaaten weiter frei, spezifische Genehmigungsverfahren für bestimmte Arzneimittel parallel zu den nach der Richtlinie 2001/83 anwendbaren Verfahren festzulegen oder beizubehalten, solange diese Richtlinie keine speziellen und adäquaten Verfahren für anthroposophische Arzneimittel vorsehe.

34.      Aus Gründen, die ich alsbald darlegen werde, bin ich mit der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission der Meinung, dass die Richtlinie 2001/83 eine vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln bewirkt und die erste Frage daher zu bejahen ist.

35.      Dies soll die Prüfung der Rechtsgrundlage, des Wortlauts, der Systematik und der Ziele dieser Richtlinie zeigen(16).

1.      Die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2001/83

36.      Die Richtlinie 2001/83 ist bekanntlich auf der Grundlage des Art. 95 EG erlassen worden.

37.      Anders als die Rechtsmittelbeklagten in ihren schriftlichen Erklärungen glaube ich nicht, dass eine vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln auf der Grundlage dieses Artikels unmöglich wäre.

38.      Art. 95 EG stellt nämlich eine allgemeine Rechtsgrundlage dar, die es abweichend von Art. 94 EG und vorbehaltlich abweichender Bestimmungen des EG-Vertrags ermöglicht, Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben.

39.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen die Maßnahmen gemäß Art. 95 Abs. 1 EG die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts schaffen und müssen tatsächlich dieses Ziel haben, indem sie zur Beseitigung von Behinderungen des freien Warenverkehrs oder des freien Dienstleistungsverkehrs oder auch zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen beitragen(17).

40.      Außerdem ist der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn die Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Art. 95 EG erfüllt sind, nicht daran gehindert, sich auf diese Rechtsgrundlage zu stützen, nur weil bei den zu treffenden „Entscheidungen“ dem Gesundheitsschutz maßgebende Bedeutung zukommt(18).

41.      Dieser Artikel gibt zwar nicht ausdrücklich den Grad der Harmonisierung an, der erreicht werden soll. Die Aufgabe von Art. 95 EG, die Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften, die die Grundfreiheiten beeinträchtigen könnten, zu verringern oder gar zu beseitigen, muss den Gemeinschaftsgesetzgeber in die Lage versetzen, eine abschließende Harmonisierung durchzuführen, wenn er diese Rechtsgrundlage heranzieht.

42.      Die Prüfung der Fassung der Richtlinie 2001/83 erlaubt die Feststellung, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln herbeiführen wollte.

2.      Der Wortlaut der Richtlinie 2001/83

43.      Im Rahmen des Titels III der Richtlinie 2001/83, der dem Inverkehrbringen von Humanarzneimitteln gewidmet ist, bestimmt bekanntlich Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1: „Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 erteilt wurde.“(19)

44.      Der Gerichtshof hatte diese Vorschrift im Urteil HLH Warenvertrieb und Orthica (oben angeführt in Fn. 15) auszulegen. Er hat entschieden: „Ist ein Erzeugnis zutreffend als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 eingestuft, so setzt sein Vertrieb eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 6 Absatz 1 dieser Richtlinie voraus.“(20) Weiter heißt es dort: „Die Verfahren der Erteilung und die Wirkungen einer solchen Genehmigung sind in den Artikeln 7 bis 39 dieser Richtlinie eingehend geregelt.“(21) In dieser Rechtssache hat daher der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht geantwortet, dass „ein Erzeugnis, das ein Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 darstellt, nur dann in einen anderen Mitgliedstaat eingeführt werden kann, wenn eine gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen erwirkt wurde, und zwar auch dann, wenn das Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel in zulässiger Weise vertrieben wird“(22).

45.      Sowohl der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 als auch seine Auslegung durch den Gerichtshof lassen die Annahme zu, dass die Mitgliedstaaten keinerlei Handlungsspielraum für die etwaige Einführung eines ergänzenden Genehmigungsverfahrens für das Inverkehrbringen besitzen, das neben die in der Richtlinie vorgesehenen treten könnte. Nur „nach der Richtlinie 2001/83“ und also nur in den in dieser Richtlinie festgelegten Verfahren kann ein Mittel, das der Gemeinschaftsdefinition des „Arzneimittels“ entspricht und nicht von der Verordnung Nr. 726/2004 erfasst wird, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen in einem Mitgliedstaat erhalten(23).

46.      Die Systematik der Richtlinie 2001/83 spricht ebenfalls für die These der vollständigen Harmonisierung.

3.      Die Systematik der Richtlinie 2001/83

47.      Die Struktur der Richtlinie 2001/83 folgt den von ihr geregelten Bereichen, d. h. insbesondere Inverkehrbringen von Humanarzneimitteln (Titel III), Herstellung und Import (Titel IV), Etikettierung und Packungsbeilage (Titel V), Einstufung (Titel VI), Großhandel (Titel VII) und Pharmakovigilanz (Titel VIII)(24).

48.      Eine Beantwortung der Frage, ob die Richtlinie 2001/83 eine vollständige Harmonisierung aller dieser Bereiche bewirkt hat, setzt voraus, dass man die Verknüpfung zwischen den Vorschriften innerhalb jedes ihrer Titel überprüft(25).

49.      Titel III der Richtlinie 2001/83 sieht, wie bereits erwähnt, drei Arten von Verfahren für das Inverkehrbringen von Humanarzneimitteln in den Mitgliedstaaten vor. Es handelt sich zum einen um das allgemeine Genehmigungsverfahren (Kapitel 1) und zum anderen um das besondere vereinfachte Registrierungsverfahren für die homöopathischen Arzneimittel, die die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie (Kapitel 2) erfüllen, und schließlich um das vereinfachte Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel, die sämtlichen Kriterien des Art. 16a Abs. 1 dieser Richtlinie entsprechen (Kapitel 2a).

50.      Mehrere Gesichtspunkte belegen, dass dieses Verfahrenssystem vollständig ist und die Schaffung anderer besonderer nationaler Verfahren für die Zulassung des Inverkehrbringens von Humanarzneimitteln nicht zulässt.

51.      So bestimmt etwa Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83: „Die nicht unter Artikel 14 Absatz 1 fallenden homöopathischen Arzneimittel werden entsprechend Artikel 8 und den Artikeln 10, 10a, 10b, 10c und 11 [dieser Richtlinie] genehmigt“. Diese Vorschrift bedeutet, dass die homöopathischen Arzneimittel, die, weil sie nicht alle Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllen, nicht dem besonderen vereinfachten Registrierungsverfahren unterworfen werden können, dem allgemeinen Genehmigungsverfahren nach Titel III Kapitel 1 der Richtlinie 2001/83 unterliegen. Folglich haben die Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit, ein besonderes Verfahren für die Genehmigung des Inverkehrbringens von homöopathischen Arzneimitteln einzurichten, bei denen nicht auf das besondere vereinfachte Registrierungsverfahren nach Kapitel 2 dieser Richtlinie zurückgegriffen werden kann.

52.      Zwar können gemäß Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet „entsprechend den dortigen Grundsätzen und besonderen Merkmalen der homöopathischen Medizin besondere Vorschriften für die vorklinischen und klinischen Versuche der homöopathischen Arzneimittel, die nicht den Bestimmungen des Artikels 14 Absatz 1 unterliegen, einführen oder beibehalten“. Gleichwohl kann diese Befugnis zur Anpassung, die den Mitgliedstaaten ausdrücklich vom Gemeinschaftsgesetzgeber zugestanden wurde, wie sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 ergibt, nur im Rahmen des allgemeinen Genehmigungsverfahrens ausgeübt werden, das in Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie geregelt ist.

53.      Im Übrigen bestimmt Art. 16a Abs. 3 der Richtlinie 2001/83: „Erfüllt ein traditionelles pflanzliches Arzneimittel jedoch nach dem Urteil der zuständigen Behörden die Anforderungen für eine Genehmigung gemäß Artikel 6 oder eine Registrierung gemäß Artikel 14, so ist dieses Kapitel [2a – Besondere auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel anzuwendende Bestimmungen] nicht anwendbar.“ Hierzu heißt es im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/24: „Allerdings sollte dieses vereinfachte Verfahren nur zur Anwendung kommen, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG … nicht gewährt werden kann. Das Verfahren sollte auch nicht für homöopathische Arzneimittel gelten, die für eine Genehmigung für das Inverkehrbringen oder eine Registrierung gemäß der Richtlinie 2001/83/EG in Frage kommen.“

54.      Diese Vorschriften belegen meines Erachtens insgesamt den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers, einen erschöpfenden Verfahrensrahmen einzurichten, innerhalb dessen jedes Arzneimittel in einem Verfahren entsprechend seinen Merkmalen genehmigt oder registriert werden kann.

55.      Die These der vollständigen Harmonisierung wird schließlich bestätigt, wenn man die Ziele der Richtlinie 2001/83 überprüft.

4.      Die Ziele der Richtlinie 2001/83

56.      Die Richtlinie 2001/83 soll die Behinderungen des Handels mit Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft beseitigen und zugleich die öffentliche Gesundheit schützen. Die Verbindung dieser beiden Ziele entspricht dem Gebot des Art. 95 Abs. 3 EG, dass eine Angleichung aufgrund dieses Artikels auf einem hohen Schutzniveau erfolgen muss.

57.      Da der Zweck, die Behinderungen des freien Arzneimittelverkehrs zu beseitigen, durch eine Angleichung der nationalen Vorschriften für Arzneimittel erreicht werden muss, scheint er im Kern unvereinbar mit der Beibehaltung von Unterschieden zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu sein.

58.      Eine vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln ist daher erforderlich, um den Zweck der Beseitigung von Hemmnissen für den Handel mit Arzneimitteln zwischen den Mitgliedstaaten in vollem Umfang zu erreichen.

59.      Ferner dürfte auch allein eine vollständige Harmonisierung dieser Verfahren geeignet sein, das vom Gemeinschaftsgesetzgeber als „wesentlich“ eingestufte Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit optimal zu erreichen. Für die Verfolgung dieses Ziels ist nämlich die Geltung unterschiedlicher Kriterien für die Bewertung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit bestimmter Arzneimittel in den Mitgliedstaaten nicht gleichbedeutend mit der einheitlichen Festlegung solcher Kriterien auf Gemeinschaftsebene auf der Grundlage eines hohen Schutzniveaus der öffentlichen Gesundheit.

60.      Schließlich würde die Beibehaltung oder Einrichtung besonderer Verfahren für dieses oder jenes besondere Arzneimittel möglicherweise Unterschiede in der Beurteilung von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel durch die zuständigen nationalen Behörden begünstigen. Solche Unterschiede aber könnten in der Praxis die Durchsetzung der gegenseitigen Anerkennung der Genehmigungen lähmen, was dem vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Richtlinie 2001/83 angestrebten Zweck, diese Anerkennung zu fördern, zuwiderliefe(26).

5.      Schlussbemerkungen

61.      Abschließend möchte ich einige Bemerkungen anfügen, um ein Missverständnis zu beseitigen, das mir der These zugrunde zu liegen scheint, die von den Rechtsmittelbeklagten und der deutschen Regierung vorgebracht worden ist. Diese stützen sich nämlich weitgehend auf die historische oder „schrittweise“ Entwicklung der Gemeinschaftsregelung im Bereich der Humanarzneimittel, um das Vorliegen einer vollständigen Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln in Abrede zu stellen.

62.      Ich stehe indessen auf dem Standpunkt, dass das Vorliegen einer vollständigen Harmonisierung in einem bestimmten Bereich nicht bedeutet, dass dieser eine starre und endgültige Harmonisierung erfahren hätte. Dass eine Harmonisierung abschließend ist, scheint mir, mit anderen Worten, mit ihrer Entwicklungsfähigkeit nicht unvereinbar zu sein.

63.      In einem Bereich wie dem, der uns hier beschäftigt, ist ganz offensichtlich, dass eine Fortentwicklung der Gemeinschaftsregelung in regelmäßigen Abständen unerlässlich und sogar unvermeidbar ist, wenn man den wissenschaftlichen Fortschritt und die Erfahrungen berücksichtigt, die die praktische Durchführung der Rechtsnorm mit sich bringt.

64.      Hiervon zeugen einige Anpassungen, die die Richtlinie 2001/83 im Jahre 2004 erfahren hat, z. B. die Einfügung eines Kapitels 2a in Titel III der Richtlinie, das ein vereinfachtes Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel vorsieht.

65.      Die Einrichtung dieses Verfahrens ist vom Gemeinschaftsgesetzgeber im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/24 wie folgt begründet worden: „Trotz ihrer langen Tradition erfüllen zahlreiche Arzneimittel nicht die Anforderungen einer allgemeinen medizinischen Verwendung, einer anerkannten Wirksamkeit und eines annehmbaren Sicherheitsgrads und werden dadurch den Anforderungen für eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht gerecht. Damit diese Produkte auf dem Markt bleiben können, haben die Mitgliedstaaten unterschiedliche Verfahren und Bestimmungen eingeführt. Diese derzeitig bestehenden Unterschiede in den Vorschriften der Mitgliedstaaten können den Handel mit den traditionellen Arzneimitteln in der Gemeinschaft behindern und zu Diskriminierungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Herstellern dieser Arzneimittel führen. Sie können sich ferner auf den Gesundheitsschutz auswirken, da die nötigen Garantien für Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit gegenwärtig nicht immer gegeben sind.“

66.      Diese Erklärung belegt meines Erachtens das pragmatische Vorgehen des Gemeinschaftsgesetzgebers bei Arzneimitteln. Nachdem er nämlich aufgrund der Praxis die Ungeeignetheit des allgemeinen Genehmigungsverfahrens für die traditionellen pflanzlichen Arzneimittel und die gleichzeitige Geltung unterschiedlicher Verfahren für die Genehmigung des Inverkehrbringens dieser Gruppe von Arzneimitteln in den Mitgliedstaaten festgestellt hatte(27), machte das Ziel, die Handelshemmnisse und die Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen den Herstellern von Arzneimitteln zu beseitigen und die öffentliche Gesundheit zu schützen, eine Anpassung des geltenden Verfahrensrahmens erforderlich.

67.      Da der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich die Befugnis zugestanden hat, besondere Verfahren für besondere Arzneimittel einzuführen, ist eine Anpassung des mit der Richtlinie 2001/83 geschaffenen Verfahrenssystems nur auf Gemeinschaftsebene durchführbar.

68.      In diesem Sinne ist die Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln, auch wenn sie ihrer Natur nach entwicklungsfähig ist, als abschließend anzusehen(28).

69.      Ich schlage demnach vor, auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2001/83, da sie eine vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln bewirkt, dahin auszulegen ist, dass sie den Mitgliedstaaten vorschreibt, anthroposophische Arzneimittel, die nicht dem besonderen vereinfachten Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel oder dem vereinfachten Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel unterliegen, dem allgemeinen Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen nach Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie zu unterwerfen.

B –    Zur zweiten Vorabentscheidungsfrage

70.      Da ich dem Gerichtshof vorschlage, die erste Frage zu bejahen, braucht die zweite Frage nicht geprüft zu werden.

VI – Ergebnis

71.      Insgesamt schlage ich aufgrund all dieser Erwägungen dem Gerichtshof vor, die vom Hoge Raad der Nederlanden vorgelegten Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu beantworten:

Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinien 2004/24/EG und 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 ist, da sie eine vollständige Harmonisierung der nationalen Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder der Registrierung von Humanarzneimitteln bewirkt, dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten vorschreibt, anthroposophische Arzneimittel, die nicht dem besonderen vereinfachten Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel oder dem vereinfachten Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel unterliegen, dem allgemeinen Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen nach Titel III Kapitel 1 dieser Richtlinie zu unterwerfen.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 311, S. 67. Sie wurde durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) und bezüglich der traditionellen pflanzlichen Arzneimittel durch die Richtlinie 2004/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 85) geändert (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).


3 – Nach dieser medizinischen Bewegung wird die Krankheit verstanden als Ungleichgewicht zwischen vier Elementen des Menschen, nämlich dem physischen Leib, dem Ätherleib (Lebenskräfte), dem Astralleib (Triebe und Empfindungen) und dem Ich oder Eigenleib (Bewusstsein). Die vom anthroposophischen Arzt angebotenen Arzneimittel sollen das Gleichgewicht zwischen diesen vier Elementen wiederherstellen.


4 – Die anthroposophischen Arzneimittel haben einen eigenständigen Hintergrund und eine spezielle Zubereitungsweise. Sie werden nur zum Teil in einer offiziellen Pharmakopöe für homöopathische Arzneimittel beschrieben. Bestimmte Zubereitungen können wie homöopathische Mittel verabreicht werden oder zum Bereich der Phytotherapie gehören.


5 – Zweiter und dritter Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83.


6 – Vierter und fünfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83.


7 – Vierzehnter Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83.


8 – Ebd.


9 –      Verordnung des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1). Diese Verordnung hat ein zentrales System der Genehmigung des Inverkehrbringens in der Gemeinschaft geschaffen. Sie ist durch die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 1) geändert und ersetzt worden. Der Rückgriff auf das zentrale Verfahren ist bei den im Anhang der letztgenannten Verordnung angeführten Arzneimitteln obligatorisch.


10 – Vgl. Art. 8 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie 2001/83.


11 – Diese Vorschriften waren ursprünglich in der Richtlinie 92/73/EWG des Rates vom 22. September 1992 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel (ABl. L 297, S. 8) enthalten.


12 – Stb. 2004, Nr. 309 (im Folgenden: Registrierungsverordnung).


13 – Stb. 2000, Nr. 467 (im Folgenden: Verordnung über homöopathische Mittel).


14 – Dem vorlegenden Gericht zufolge sind Weleda Nederland NV und Wala Nederland NV die wichtigsten Hersteller anthroposophischer Arzneimittel auf dem niederländischen Markt; diese Arzneimittel seien seit etwa 80 Jahren dort auf dem Markt.


15 – Urteil vom 9. Juni 2005, HLH Warenvertrieb und Orthica (C‑211/03, C‑299/03 und C‑316/03 bis C‑318/03, Slg. 2005, I‑5141, Randnr. 49).


16 – In seinen Schlussanträgen vom 12. Februar 2007 in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Gintec (C‑374/05) hat Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer Stellung zu der Frage genommen, ob die die Werbung betreffenden Vorschriften der Richtlinie 2001/83 eine minimale Angleichung verfolgen oder ob sie im Gegenteil ein „abgeschlossenes Szenario“ schaffen, so dass die Mitgliedstaaten über keinerlei Handlungsspielraum verfügen und den Beschränkungen, die diese Richtlinie vorgibt, keine weiteren hinzufügen dürfen (Nr. 3). Er hat die Auffassung vertreten, dass „[e]ine Auslegung, die auf das Ziel der Richtlinie, ihre Zweckmäßigkeit, den Tenor ihres Wortlauts sowie ihre Rechtsgrundlage abstellt, … denjenigen [R]echt [gibt], die der Ansicht sind, dass die Richtlinie [2001/83] ein System zur Verfügung stellt, das keinen weiteren Raum für Neuerungen aufweist als den, den sie ausdrücklich gewährt“ (Nr. 24).


17 – Urteile vom 5. Oktober 2000, Deutschland/Parlament und Rat (C‑367/98, Slg. 2000, I‑8419, Randnrn. 83, 84 und 95), und vom 10. Dezember 2002, British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco (C‑491/01, Slg. 2002, I‑11453, Randnr. 60). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Dezember 2006, Deutschland/Parlament und Rat (C‑380/03, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 37).


18 – Vgl. insbesondere die in Fn. 17 angeführten Urteile vom 5. Oktober 2000, Deutschland/Parlament und Rat (Randnr. 88), British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco (Randnr. 62), und vom 12. Dezember 2006, Deutschland/Parlament und Rat (Randnr. 39).


19 – Hervorhebung nur hier.


20 – Randnr. 57.


21 – Ebd. (Hervorhebung nur hier).


22 – Randnr. 60 (Hervorhebung nur hier).


23 – Ich teile insoweit die Auffassung von Generalanwalt Geelhoed in Nr. 33 seiner Schlussanträge in der Rechtssache HLH Warenvertrieb und Orthica (Urteil angeführt in Fn. 15), der dort ausgeführt hat: „Das System der Richtlinie 2001/83 ist abschließend, soweit es um die Festlegung des Arzneimittelbegriffs geht; es sieht eine abschließende Regelung für die Genehmigung des Inverkehrbringens sowie die – für den zwischenstaatlichen Handel – grundlegende gegenseitige Anerkennung erteilter Genehmigungen und eine abschließende Regelung zur Bereinigung unterschiedlicher Auffassungen der Mitgliedstaaten über die Gesundheitsgefährdung durch zugelassene Arzneimittel vor. In diesem solchermaßen abgestimmten Rahmen sollen die Mitgliedstaaten ihre Auffassungen zum Schutz der Gesundheit im Einklang mit den einschlägigen ausführlichen Vorschriften der Richtlinie zur Geltung bringen. Nur bei Angelegenheiten, die eindeutig nicht darunter fallen, bleibt Raum für eigenständige nationale Maßnahmen, die unter Berufung auf Artikel 30 EG gerechtfertigt werden können.“


24 – Die Richtlinie 2001/83 zeigt aber auch, welche Bereiche der Gemeinschaftsgesetzgeber offensichtlich nicht harmonisieren wollte. So legt etwa ihr Art. 4 Abs. 3 fest: „Die Bestimmungen dieser Richtlinie berühren nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise und ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der innerstaatlichen Krankenversicherungssysteme aufgrund gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen.“


25 – Die Prüfung, ob die Richtlinie 2001/83 eine erschöpfende Harmonisierung bewirkt hat, kann nur Bereich für Bereich und nicht allgemein erfolgen. Es geht daher nicht an, sich, wie dies die Rechtsmittelbeklagten zur Stützung ihrer Auffassung tun, auf das Urteil zu berufen, in dem der Gerichtshof u. a. festgestellt hat, dass „der Verkauf von Arzneimitteln an den Endverbraucher bisher nicht Gegenstand einer vollständigen gemeinschaftlichen Harmonisierung ist“ (Urteil vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband, C‑322/01, Slg. 2003, I‑14887, Randnr. 102).


26 – Vgl. insbesondere den zwölften Erwägungsgrund sowie Titel III Kapitel 4 der Richtlinie 2001/83.


27 – Mit der Erwähnung der Geltung solcher besonderen Verfahren innerhalb der Mitgliedstaaten trifft der Gemeinschaftsgesetzgeber lediglich eine Feststellung, erklärt aber diese Verfahren keineswegs für mit der Richtlinie 2001/83 vereinbar.


28 – Entsprechend dieser Analyse kann der vierzehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 nicht dahin verstanden werden, dass er grundsätzlich einer vollständigen Harmonisierung in den von der Richtlinie geregelten Bereichen entgegenstünde. Außerdem lassen sich andere Anpassungen des von der Richtlinie eingeführten Verfahrenssystems vorstellen wie etwa die Ausweitung der Registrierung der traditionellen Verwendung auf andere Gruppen als pflanzliche Arzneimittel (vgl. insoweit Art. 16i der Richtlinie 2001/83).