Rechtssache C-465/05

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Italienische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Freier Dienstleistungsverkehr — Niederlassungsrecht — Beruf des Wachmanns — Private Sicherheitsdienste — Treueid auf die Italienische Republik — Genehmigung durch den Präfekten — Geschäftsniederlassung — Mindestzahl von Bediensteten — Hinterlegung einer Sicherheit — Behördliche Kontrolle der Preise für die erbrachten Dienstleistungen“

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 13. Dezember 2007   I-11095

Leitsätze des Urteils

  1. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Ausnahmen – Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind

    (Art 43 EG, 45 EG, 49 EG und SS EG)

  2. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Private Sicherheitsunternehmen

    (Art 49 EG)

  3. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Private Sicherheitsunternehmen

    (Art 43 EG und 49 EG)

  4. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Private Sicherheitsunternehmen

    (Art 49 EG)

  5. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Private Sicherheitsunternehmen

    (Art 43 EG und 49 EG)

  6. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Preiskontrolle – Private Sicherheitsunternehmen

    (Art 49 EG)

  1.  Ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften die Tätigkeit als privater Wachmann nur nach Ableistung eines Treueids auf diesen Mitgliedstaat und dessen Staatsoberhaupt ausgeübt werden kann, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 49 EG. Beim Stand des geltenden Rechts nehmen nämlich die privaten Sicherheitsunternehmen in diesem Mitgliedstaat nicht unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teil, da die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten auf dem Gebiet der privaten Sicherheit nicht den Aufgaben gleichgestellt werden können, die in die Zuständigkeit der für die öffentliche Sicherheit verantwortlichen Dienststellen fallen, so dass die in den Art. 45 EG und 55 EG vorgesehenen Ausnahmeregelungen in einem solchen Fall keine Anwendung finden. Im Übrigen wird ein solches feierliches Versprechen der Treue zu einem Mitgliedstaat und zu dessen Staatsoberhaupt wegen seiner symbolischen Bedeutung eher bei den Angehörigen dieses Mitgliedstaats oder der dort bereits ansässigen Personen auf Zustimmung stoßen können. Die ausländischen Wirtschaftsteilnehmer befinden sich daher gegenüber den dem betreffenden Staat zugehörigen und in diesem Staat ansässigen Wirtschaftsteilnehmern in einer weniger vorteilhaften Lage. Was schließlich die etwaige Rechtfertigung eines solchen Hindernisses für die Niederlassungsfreiheit wie auch für den freien Dienstleistungsverkehr mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung betrifft, so setzt dieser letztgenannte Begriff eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es kann aber nicht angenommen werden, dass die in anderen Mitgliedstaaten als dem, in dem die Ableistung des Treueids vorgeschrieben ist, niedergelassenen privaten Sicherheitsunternehmen durch die Ausübung ihres Rechts auf Niederlassungsfreiheit und auf freien Dienstleistungsverkehr sowie durch den Einsatz von Personal, das keinen Treueid auf diesen Mitgliedstaat und dessen Staatsoberhaupt geleistet hat, eine tatsächliche und schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft herbeiführen könnten.

    (vgl Randnrn. 43-44, 47-50, 130 und Tenor)

  2.  Ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften die Tätigkeit des privaten Sicherheitsdienstes durch in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Dienstleistungserbringer nur nach Erteilung einer gebietsbezogenen Erlaubnis durch die zuständige Behörde ausgeübt werden kann, ohne dass die Verpflichtungen berücksichtigt werden, denen diese Dienstleistungserbringer bereits im Herkunftsmitgliedstaat unterliegen, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 EG. Eine Maßnahme eines Mitgliedstaats, mit der im Wesentlichen Kontrollen wiederholt werden, die bereits in dem Mitgliedstaat durchgeführt worden sind, in dem der Dienstleistungserbringer niedergelassen ist, kann nämlich nicht als zur Erreichung des Ziels, eine strenge Kontrolle der in Frage stehenden Tätigkeiten zu gewährleisten, erforderlich angesehen werden.

    (vgl. Randnrn. 63-64, 67, 130 und Tenor)

  3.  Ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften die Tätigkeit des privaten Sicherheitsdienstes durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen nur nach Erteilung einer Erlaubnis durch die zuständige Behörde ausgeübt werden kann, die in ihrer Geltung räumlich begrenzt ist und deren Erteilung von der Berücksichtigung der Zahl und der Größe der privaten Sicherheitsunternehmen abhängig ist, die in diesem Gebiet bereits tätig sind, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 49 EG.

    (vgl. Randnrn. 68, 79-80, 130 und Tenor)

  4.  Ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften

    die privaten Sicherheitsunternehmen eine Geschäftsniederlassung in jeder Provinz haben müssen, in der sie ihre Tätigkeit ausüben,

    jeder Angehörige des Personals dieser Unternehmen eine Erlaubnis zur Ausübung der Bewachungstätigkeit besitzen muss, ohne dass die im Herkunftsmitgliedstaat bereits durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen berücksichtigt werden,

    verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 EG.

    (vgl. Randnrn. 88, 93-94, 130 und Tenor)

  5.  Ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften

    die privaten Sicherheitsunternehmen als Voraussetzung für die Erlaubnis zur Ausübung ihrer Tätigkeit über eine Mindest- und/oder Höchstzahl von Mitarbeitern verfügen müssen,

    diese Unternehmen eine Sicherheit bei einer innerstaatlichen Einrichtung hinterlegen müssen,

    verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 49 EG.

    (vgl. Randnrn. 105, 115, 130 und Tenor)

  6.  Ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften die Preise für die privaten Sicherheitsdienstleistungen in der Erlaubnis der zuständigen Behörde innerhalb einer bestimmten Bandbreite festgelegt werden, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 EG. Die dadurch herbeigeführte Beschränkung der Freiheit der Preisfestsetzung ist geeignet, den Zugang zum Markt dieses Mitgliedstaats für private Sicherheitsdienstleistungen für die Wirtschaftsteilnehmer zu beschränken, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und ihre Dienstleistungen in diesem Mitgliedstaat anbieten wollen. Diese Beschränkung nimmt nämlich diesen Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit, durch niedrigere als die verbindlich festgesetzten Preise den Wirtschaftsteilnehmern, die in dem betreffenden Mitgliedstaat bereits dauerhaft ansässig sind und daher leichter als im Ausland ansässige Wirtschaftsteilnehmer sich einen Kundenstamm aufbauen können, in wirksamerer Weise Konkurrenz zu machen. Diese Beschränkung ist auch geeignet, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer daran zu hindern, bestimmte Kosten, die die im Mitgliedstaat der Leistungserbringung ansässigen Wirtschaftsteilnehmer nicht zu tragen haben, in den Preis ihrer Dienstleistungen einfließen zu lassen. Schließlich kann die den Wirtschaftsteilnehmern belassene Preisbandbreite nicht die Wirkungen der dadurch herbeigeführten Beschränkung der Freiheit der Preisfestsetzung ausgleichen.

    (vgl. Randnrn. 125-126, 129-130 und Tenor)