Verbundene Rechtssachen C-394/04 und C-395/04

Diagnostiko & Therapeftiko Kentro Athinon-Ygeia AE

gegen

Ypourgos Oikonomikon

(Vorabentscheidungsersuchen des Symvoulio tis Epikrateias)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b – Befreiungen – Mit einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundene Umsätze – Zurverfügungstellung eines Telefons und Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten – Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen der Krankenhauspatienten“

Schlussanträge des Generalanwalts P. Léger vom 15. September 2005 

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 1. Dezember 2005 

Leitsätze des Urteils

Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen nach der Sechsten Richtlinie – Befreiung für Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie mit diesen eng verbundene Umsätze – Begriff „eng verbundene Umsätze“ und „ärztliche Heilbehandlung“ – Zurverfügungstellung eines Telefons und Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten sowie Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen der Krankenhauspatienten – Ausschluss – Ausnahme – Voraussetzungen – Beurteilung durch das nationale Gericht

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b)

Die Zurverfügungstellung eines Telefons und die Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten durch unter Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern fallende Personen sowie die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen dieser Patienten durch diese Personen stellen in der Regel keine mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinne dieser Vorschrift dar. Durch die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung dieser Umsätze soll nämlich gewährleistet werden, dass der Zugang zu solchen Behandlungen nicht durch die höheren Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn die Behandlungen selbst oder die eng mit ihnen verbundenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen wären. Die ärztliche Heilbehandlung und die Krankenhausbehandlung im Sinne dieser Vorschrift müssen nach der Rechtsprechung zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Angesichts des Zweckes, der mit der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung verfolgt wird, können demnach nur Dienstleistungen, die naturgemäß im Rahmen von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, „eng verbundene Umsätze“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen.

Die Zurverfügungstellung der genannten Leistungen kann nur dann einen „eng verbundenen“ Umsatz darstellen, wenn diese Leistungen zur Erreichung der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung verfolgten therapeutischen Ziele unerlässlich sind und nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sind, ihrem Erbringer zusätzliche Einnahmen durch die Erzielung von Umsätzen zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen der Mehrwertsteuer unterliegender gewerblicher Unternehmen getätigt werden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten und gegebenenfalls des Inhalts der für die betroffenen Patienten erstellten ärztlichen Verschreibungen zu bestimmen, ob die erbrachten Leistungen diese Voraussetzungen erfüllen.

(vgl. Randnrn. 23-25, 30, 35, Tenor 1-2)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)

1. Dezember 2005(*)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b – Befreiungen – Mit einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundene Umsätze – Zurverfügungstellung eines Telefons und Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten – Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen der Krankenhauspatienten“

In den verbundenen Rechtssachen C-394/04 und C-395/04

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Symvoulio tis Epikrateias (Griechenland) mit Entscheidungen vom 16. Juni 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 17. September 2004, in den Verfahren

Diagnostiko & Therapeftiko Kentro Athinon-Ygeia AE

gegen

Ypourgos Oikonomikon

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J.‑P. Puissochet, S. von Bahr, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–       der Diagnostiko & Therapeftiko Kentro Athinon-Ygeia AE, vertreten durch K. Karlis, dikigoros,

–       der griechischen Regierung, vertreten durch E.‑M. Mamouna, S. Trekli und V. Kyriazopoulos als Bevollmächtigte,

–       der deutschen Regierung, vertreten durch W.‑D. Plessing und A. Tiemann als Bevollmächtigte,

–       der zypriotischen Regierung, vertreten durch A. Miltiadou-Omirou als Bevollmächtigte,

–       der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. September 2005

folgendes

Urteil

1       Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2       Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Diagnostiko & Therapeftiko Kentro Athinon-Ygeia AE (im Folgenden: Ygeia), einer juristischen Person des Privatrechts, deren Gesellschaftszweck in der Erbringung von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen besteht, und dem Ypourgos Oikonomikon (Finanzminister) wegen der Weigerung der Dimosia Oikonomiki Ypiresia Forologias Anonymon Emborikon Etairion Athinon (für die Besteuerung von Aktiengesellschaften zuständige Finanzbehörde von Athen), die Zurverfügungstellung eines Telefons und die Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten sowie die Unterbringung und Verpflegung der Begleitpersonen dieser Patienten als mit der Krankenhausbehandlung und der medizinischen Behandlung eng verbundene Umsätze von der Mehrwertsteuer zu befreien.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3       Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1)      Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

b)      die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden“.

4       Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe b dieser Richtlinie sieht vor:

„b)      Von der in Absatz 1 Buchstaben b), g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Steuerbefreiung sind Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn

–       sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;

–       sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.“

 Nationales Recht

5       Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d des Gesetzes Nr. 1642/1986 über die Anwendung der Mehrwertsteuer und andere Bestimmungen (FEK A’ 125) bestimmt:

„Von der Steuer befreit sind:

d)      die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die von Personen ausgeführt werden, die rechtmäßig tätig sind. Diesen Dienstleistungen werden ferner die Leistungen gleichgestellt, die in Heilbad‑ und Heilquelleneinrichtungen erbracht werden.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

6       Nach einer Prüfung der Rechnungsbücher von Ygeia für die Veranlagungszeiträume 1992 und 1993 war die Dimosia Oikonomiki Ypiresia Forologias Anonymon Emborikon Etairion Athinon der Ansicht, dass die Einnahmen von Ygeia aus der Zurverfügungstellung von Telefonen und der Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten sowie der Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen dieser Patienten der Mehrwertsteuer unterlägen, da diese Leistungen keine mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundene Umsätze seien. Sie berichtigte daraufhin mit zwei Bescheiden, die jeweils eines dieser beiden Jahre betrafen, die Steuerschuld dieser Gesellschaft.

7       Ygeia klagte gegen diese Bescheide beim Dioikitiko Protodikeio Athinon (Verwaltungsgericht erster Instanz Athen), dann in der Berufungsinstanz beim Dioikitiko Efeteio Athinon (Oberverwaltungsgericht Athen). Sie begründete ihre Klagen damit, dass die in Rede stehenden Dienstleistungen zur Versorgung der Krankenhauspatienten und zur Aufrechterhaltung der Verbindung mit dritten Personen und demzufolge durch die Verbesserung ihrer seelischen Verfassung zur schnelleren Genesung der Patienten beitrügen. Diese Klagen wurden mit der Begründung abgewiesen, die fraglichen Dienstleistungen seien nicht eng mit der Krankenhausbehandlung verbunden, da sie darauf gerichtet seien, den Aufenthalt der Patienten in den Krankenanstalten zu erleichtern, ohne zu deren Behandlung beizutragen.

8       Ygeia erhob Kassationsklagen gegen die Urteile des Dioikitiko Efeteio Athinon beim Symvoulio tis Epikrateias.

9       Der Symvoulio tis Epikrateias weist in seinen Vorlageentscheidungen darauf hin, dass Ygeia als juristische Person des Privatrechts hinsichtlich der Krankenhausbehandlungen und der ärztlichen Heilbehandlungen sowie der mit diesen eng verbundenen Umsätze unstreitig die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Mehrwertsteuer erfülle. Es stelle sich lediglich die Frage, ob die streitigen Leistungen unter den Begriff der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“ fielen.

10     Das vorlegende Gericht führt dazu aus, dass dieser Begriff in Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie nicht definiert sei. Nach den in Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe b dieser Richtlinie genannten Kriterien könne ein Umsatz jedoch als mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbunden angesehen werden, wenn er zum einen zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt werde, unerlässlich sei und zum anderen nicht dazu bestimmt sei, dem Erbringer der steuerbefreiten Leistungen zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Im Übrigen habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 6. November 2003 in der Rechtssache C-45/01 (Dornier, Slg. 2003, I‑12911, Randnrn. 33 bis 35) festgestellt, dass es für die Frage, ob ein Umsatz unter den Begriff „eng verbundene Umsätze“ falle, darauf ankomme, ob es sich dabei um eine Nebenleistung handele. Dies erfordere die Feststellung, ob diese Leistung für ihre Empfänger ein Mittel darstelle, um andere Leistungen unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können, oder ob sie ihren Zweck in sich trage.

11     Unter diesen Umständen hat der Symvoulio tis Epikrateias in dem Verfahren betreffend den Veranlagungszeitraum 1992 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen (Rechtssache C‑394/04):

Sind von unter Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie fallenden Personen erbrachte Dienstleistungen, die in der Zurverfügungstellung eines Telefons und eines Fernsehgeräts an Patienten sowie der Verpflegung und Unterbringung von Begleitpersonen von Patienten bestehen, als mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundene Umsätze im Sinne der vorstehenden Vorschrift anzusehen, da sie Nebenleistungen zu dieser Behandlung, aber auch für diese unerlässlich sind?

12     Hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 1993 hat dieses Gericht beschlossen, das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen, bis der Gerichtshof die vorgenannte Frage beantwortet hat (Rechtssache C‑395/04).

13     Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. Oktober 2004 sind die Rechtssachen C‑394/04 und C‑395/04 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zur Vorlagefrage

14     Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Zurverfügungstellung eines Telefons und die Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten durch eine medizinische Einrichtung im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, sowie die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen dieser Patienten durch diese Einrichtung mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundene Umsätze im Sinne dieser Vorschrift darstellen.

15     Vorab ist festzustellen, dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben sind, nach der Rechtsprechung eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (Urteile vom 20. Juni 2002 in der Rechtssache C‑287/00, Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I‑5811, Randnr. 43, und vom 26. Mai 2005 in der Rechtssache C‑498/03, Kingscrest Associates und Montecello, Slg. 2005, I‑4427, Randnr. 29). Diese Steuerbefreiungen sind autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen (Urteile vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C‑349/96, CPP, Slg. 1999, I‑973, Randnr. 15, und vom 8. März 2001 in der Rechtssache C‑240/99, Skandia, Slg. 2001, I‑1951, Randnr. 23).

16     Außerdem sollen durch Artikel 13 Teil A der Sechsten Richtlinie bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit werden. Durch diese Vorschrift werden jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur diejenigen, die in ihr einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind (vgl. u. a. Urteile vom 12. November 1998 in der Rechtssache C-149/97, Institute of the Motor Industry, Slg. 1998, I-7053, Randnr. 18, und vom 20. November 2003 in der Rechtssache C‑8/01, Taksatorringen, Slg. 2003, I‑13711, Randnr. 60).

17     Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, enthält Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie keine Definition des Begriffes der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung „eng verbundenen“ Umsätze (Urteil vom 11. Januar 2001 in der Rechtssache C‑76/99, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I‑249, Randnr. 22). Gleichwohl ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass sie sich nicht auf Leistungen bezieht, die in keinem Zusammenhang mit einer etwaigen Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung der Leistungsempfänger stehen (Urteil Dornier, Randnr. 33).

18     Daher fallen Leistungen nur dann unter den in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie enthaltenen Begriff der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“, wenn sie tatsächlich als Nebenleistungen zu einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger, die die Hauptleistung darstellt, erbracht werden (Urteil Dornier, Randnr. 35).

19     Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung angesehen werden kann, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptdienstleistung des Erbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 22. Oktober 1998 in den Rechtssachen C‑308/96 und C‑94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I‑6229, Randnr. 24, und Dornier, Randnr. 34).

20     Ygeia macht insoweit geltend, die Erbringung von Beherbergungs‑ und Verpflegungsleistungen gegenüber den Begleitpersonen, durch die die Krankenhauspatienten seelische Unterstützung sowie Hilfe erhielten, wenn sie aufgrund ihres Zustands nicht mehr zu den Verrichtungen des täglichen Lebens in der Lage seien, ermögliche den Patienten eine bessere Genesung und verringere gleichzeitig die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals. Durch die Zurverfügungstellung von Telefonen und die Vermietung von Fernsehgeräten an die Krankenhauspatienten könnten diese mit der Außenwelt in Kontakt bleiben, was sie in eine seelische Verfassung versetze, die eine schnellere Genesung ermögliche, und somit die Gesamtkosten der Krankenhausbehandlung verringere. Das relevante Kriterium für die Frage, ob diese Leistungen unter den Begriff der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“ fielen, sei somit der Wille des Patienten, der die genannten Leistungen erbeten habe, weil er sie für erforderlich für seine Genesung halte.

21     Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

22     Um festzustellen, ob Leistungen, wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden das Mittel darstellen, um die von Ygeia erbrachten Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, ist, wie sämtliche Regierungen der Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt haben, zu berücksichtigen, zu welchem Zweck diese Leistungen durchgeführt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 24).

23     Durch die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung der mit der Krankenhausbehandlung und mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze soll nämlich gewährleistet werden, dass der Zugang zu solchen Behandlungen nicht durch die höheren Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn die Behandlungen selbst oder die eng mit ihnen verbundenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen wären (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 23).

24     Die ärztliche Heilbehandlung und die Krankenhausbehandlung im Sinne dieser Vorschrift müssen nach der Rechtsprechung zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (Urteil Dornier, Randnr. 48).

25     Angesichts des Zweckes, der mit der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung verfolgt wird, können demnach nur Dienstleistungen, die naturgemäß im Rahmen von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, „eng verbundene Umsätze“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Nur solche Leistungen können sich nämlich auf die Kosten der medizinischen Behandlungen auswirken, die dem Einzelnen durch die in Rede stehende Steuerbefreiung zugänglich gemacht werden.

26     Diese Feststellung wird, wie die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, zu Recht geltend machen, durch Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe b erster Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie bestätigt, wonach die Mitgliedstaaten u. a. die in Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels bezeichneten Dienstleistungen von der Steuerbefreiung ausschließen müssen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind. Wie der Generalanwalt in den Nummern 30 bis 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind in dieser für die Mitgliedstaaten zwingenden Vorschrift nämlich die Bedingungen aufgeführt, die bei der Auslegung der verschiedenen darin vorgesehenen Befreiungsfälle zu berücksichtigen sind, die, wie der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehene Fall, Leistungen oder Lieferungen betreffen, die mit einer dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeit „eng verbunden“ sind oder mit dieser in „engem Zusammenhang“ stehen.

27     In den Randnummern 48 und 49 des Urteils Kommission/Deutschland hat der Gerichtshof außerdem hinsichtlich der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung in Bezug auf mit dem Hochschulunterricht „eng verbundene“ Dienstleistungen bereits entschieden, dass die entgeltliche Durchführung von Forschungsvorhaben, auch wenn sie als für den Hochschulunterricht sehr nützlich angesehen werden kann, zur Erreichung des mit diesem angestrebten Zweckes, der insbesondere darin besteht, die Studenten im Hinblick auf die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit auszubilden, nicht unerlässlich ist und daher nicht unter diese Befreiung fällt.

28     Angesichts des Zweckes der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung und unter Berücksichtigung des Wortlauts von Absatz 2 Buchstabe b dieses Artikels gelten diese Feststellungen, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nummer 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auch für die Auslegung des Begriffes der mit der Krankenhausbehandlung und der medizinischen Behandlung „eng verbundenen Umsätze“ im Sinne der erstgenannten Vorschrift.

29     Daher kann für Dienstleistungen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden den Komfort und das Wohlbefinden der Krankenhauspatienten verbessern sollen, in der Regel nicht die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung gewährt werden. Etwas anderes kann nur gelten, wenn diese Leistungen zur Erreichung der therapeutischen Ziele unerlässlich sind, die mit den Krankenhausbehandlungen und den ärztlichen Heilbehandlungen verfolgt werden, in deren Rahmen sie erbracht werden.

30     Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten und gegebenenfalls des Inhalts der für die betroffenen Patienten erstellten ärztlichen Verschreibungen zu bestimmen, ob die erbrachten Leistungen unerlässlich sind oder nicht.

31     Diese Feststellungen werden nicht in Frage gestellt durch das Vorbringen von Ygeia, dass der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie genannte Begriff der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“ angesichts des Zweckes der Befreiung keine besonders enge Auslegung verlange (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 23). Wie sich nämlich bereits aus Randnummer 25 des vorliegenden Urteils ergibt, führt die Belastung von Leistungen, die keine Nebenleistungen sind, mit der Mehrwertsteuer nicht zu einer Erhöhung der Kosten der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung, deren Zugänglichkeit für die Einzelnen diese Vorschrift gewährleisten soll, da diese Leistungen zur Erreichung der mit diesen Behandlungen verfolgten therapeutischen Ziele nicht unerlässlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2003 in der Rechtssache C‑307/01, D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services, Slg. 2003, I‑13989, Randnr. 59).

32     Im Übrigen entspricht die Belastung derartiger Leistungen mit der Mehrwertsteuer, wie der Generalanwalt in Nummer 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der es insbesondere verbietet, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (Urteil vom 23. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑109/02, Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I‑12691, Randnr. 20).

33     Entgegen der Ansicht von Ygeia und wie die deutsche Regierung zu Recht vorträgt, steht nämlich eine medizinische Einrichtung, wenn sie Leistungen wie die in Rede stehenden erbringt, im Wettbewerb mit Steuerpflichtigen, die ebenfalls derartige Leistungen erbringen, wie Anbietern von Telefon‑ und Fernsehdiensten in Bezug auf die den Krankenhauspatienten angebotenen entsprechenden Leistungen sowie Hotels und Restaurants in Bezug auf die Beherbergungsleistungen für die Begleiter dieser Patienten.

34     Daher sind auch Leistungen wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie von der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b dieser Richtlinie vorgesehenen Befreiung auszuschließen, wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, ihrem Erbringer zusätzliche Einnahmen zu verschaffen; ob dies der Fall ist, ist vom vorlegenden Gericht anhand der konkreten Umstände der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu prüfen.

35     Auf die vorgelegte Frage ist somit zu antworten, dass die Zurverfügungstellung eines Telefons und die Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten durch unter Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie fallende Personen sowie die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen dieser Patienten durch diese Personen in der Regel keine mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn diese Leistungen zur Erreichung der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung verfolgten therapeutischen Ziele unerlässlich sind und nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sind, ihrem Erbringer zusätzliche Einnahmen durch die Erzielung von Umsätzen zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen der Mehrwertsteuer unterliegender gewerblicher Unternehmen getätigt werden.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten und gegebenenfalls des Inhalts der für die betroffenen Patienten erstellten ärztlichen Verschreibungen zu bestimmen, ob die erbrachten Leistungen diese Voraussetzungen erfüllen.

 Kosten

36     Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Zurverfügungstellung eines Telefons und die Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten durch unter Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage fallende Personen sowie die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen dieser Patienten durch diese Personen stellen in der Regel keine mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinne dieser Vorschrift dar. Etwas anderes kann nur gelten, wenn diese Leistungen zur Erreichung der mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung verfolgten therapeutischen Ziele unerlässlich sind und nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sind, ihrem Erbringer zusätzliche Einnahmen durch die Erzielung von Umsätzen zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen der Mehrwertsteuer unterliegender gewerblicher Unternehmen getätigt werden.

2.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten und gegebenenfalls des Inhalts der für die betroffenen Patienten erstellten ärztlichen Verschreibungen zu bestimmen, ob die erbrachten Leistungen diese Voraussetzungen erfüllen.

Unterschriften.


* Verfahrenssprache: Griechisch.