SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA TRSTENJAK
vom 28. März 2007(1)
Rechtssache C-503/04
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Bundesrepublik Deutschland
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 228 Abs. 2 EG – Urteil des Gerichtshofs, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird – Nichtdurchführung – Finanzielle Sanktionen“
I – Einleitung
1. Der vorliegenden Rechtssache liegt ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 228 Abs. 2 Unterabs. 2 EG zugrunde. Mit ihrer Klage ersucht die Kommission den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 228 Abs. 1 EG verstoßen hat, indem sie nicht die Maßnahmen ergriffen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Kommission/Deutschland, betreffend die Vergabe eines Abwasservertrags durch die Gemeinde Bockhorn und eines Müllentsorgungsvertrags durch die Stadt Braunschweig ergeben(2).
2. In dem genannten Urteil entschied der Gerichtshof, dass die Bundesrepublik die Gemeinschaftsvorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen missachtet hat. Er hielt es zum einen für erwiesen, dass der Abwasservertrag der Gemeinde Bockhorn nicht ausgeschrieben und das Ergebnis des Vergabeverfahrens nicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften bekannt gemacht worden war, wie es Art. 8 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/50/EWG(3) vorschreibt. Zum anderen stellte der Gerichtshof fest, dass die Stadt Braunschweig einen Müllentsorgungsvertrag im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben hatte, obwohl die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 3 der genannten Richtlinie für die freihändige Vergabe ohne gemeinschaftsweite Ausschreibung nicht vorlagen.
3. Im Mittelpunkt des dem Gerichtshof nunmehr zur Entscheidung vorliegenden Rechtsstreits steht die Frage, welche Schlussfolgerungen die Bundesrepublik Deutschland aus dem Feststellungsurteil vom 10. April 2003 hätte ziehen müssen, um ihrer Pflicht zur Wiederherstellung eines gemeinschaftsrechtskonformen Zustands zu genügen. Während die Kommission die Auffassung vertritt, dass die ursprünglich für eine Dauer von mindestens dreißig Jahren abgeschlossenen privatrechtlichen Verträge hätten rückabgewickelt werden müssen, lehnt die Bundesrepublik eine entsprechende Rechtspflicht im Wesentlichen unter Berufung auf das Recht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/655/EWG(4), die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz auf die Zuerkennung von Schadensersatz zu beschränken, ab.
II – Rechtlicher Rahmen
4. Art. 228 EG bestimmt:
„(1) Stellt der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen hat, so hat dieser Staat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben.
(2) Hat nach Auffassung der Kommission der betreffende Mitgliedstaat diese Maßnahmen nicht ergriffen, so gibt sie, nachdem sie ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie aufführt, in welchen Punkten der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil des Gerichtshofes nicht nachgekommen ist.
Hat der betreffende Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben, nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist getroffen, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen. Hierbei benennt sie die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds, die sie den Umständen nach für angemessen hält.
Stellt der Gerichtshof fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds verhängen.
…“
5. Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 lautet:
„Die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 genannten Befugnisse auf den nach Zuschlagserteilung des Auftrags geschlossenen Vertrag richten sich nach dem einzelstaatlichen Recht.
Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss im Anschluss an die Zuschlagserteilung die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz darauf beschränkt werden, einer durch einen Rechtsverstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.“
III – Vorgeschichte der Rechtssache
A – Das Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-20/01 und C-28/01
6. Der Gerichtshof hat in den Nrn. 1 und 2 des Tenors seines Urteils vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Kommission/Deutschland, für Recht erkannt:
„1. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge verstoßen, dass der Abwasservertrag der Gemeinde Bockhorn (Deutschland) nicht ausgeschrieben und das Ergebnis des Vergabeverfahrens nicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften bekannt gemacht wurde.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 8 und 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 verstoßen, dass die Stadt Braunschweig (Deutschland) einen Müllentsorgungsvertrag im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben hat, obwohl die Voraussetzungen des genannten Artikels 11 Absatz 3 für die freihändige Vergabe ohne gemeinschaftsweite Ausschreibung nicht vorlagen.“
7. Bezüglich der ausführlichen Darstellung des Sachverhalts und des Verfahrensablaufs in diesen Rechtssachen verweise ich auf das oben genannte Urteil(5).
B – Das Vorverfahren in der Rechtssache C-503/04
8. Mit Schreiben vom 27. Juni 2003 ersuchte die Kommission die deutsche Regierung, ihr die zur Durchführung des genannten Urteils Kommission/Deutschland ergriffenen Maßnahmen mitzuteilen. Die deutsche Regierung entgegnete in ihrer Mitteilung vom 7. August 2003, dass die Bundesrepublik Deutschland die Verstöße stets anerkannt und alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, damit sich derartige Verstöße in Zukunft nicht wiederholten. Zu einer Kündigung der beiden Verträge, um die es in der Rechtssache gehe, sei sie hingegen nicht verpflichtet.
9. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2003 forderte die Kommission die deutschen Behörden auf, sich binnen zwei Monaten zu äußern.
10. In ihrer Mitteilung vom 23. Dezember 2003 wiederholte die deutsche Regierung, dass die Bundesrepublik Deutschland die Verstöße stets anerkannt, bedauert und alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, damit sich derartige Verstöße in Zukunft nicht wiederholten. Zusätzlich habe sie die Landesregierung von Niedersachsen Anfang Dezember 2003 in einem Schreiben eindringlich um Beachtung des geltenden Vergaberechts gebeten und sie aufgefordert, über die Maßnahmen zu berichten, die dazu beitragen sollten, künftig vergleichbare Verstöße zu vermeiden. Die Bundesregierung wies außerdem auf § 13 der am 1. Februar 2001 in Kraft getretenen deutschen Vergabeverordnung hin, wonach vom öffentlichen Auftraggeber geschlossene Verträge nichtig seien, wenn die unterlegenen Bieter nicht spätestens 14 Tage vor Zuschlagserteilung vom Abschluss des genannten Vertrags informiert worden seien. Zudem wiederholte sie ihre Auffassung, dass das Gemeinschaftsrecht keine Kündigung der beiden Verträge verlange, auf die sich das genannte Urteil Kommission/Deutschland bezogen habe.
11. Mit Schreiben vom 1. April 2004 übermittelte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Darin brachte die Kommission ihre Überzeugung zum Ausdruck, wonach es, da die beschwerdegegenständlichen Verträge noch jahrzehntelang fortwirkten, nicht ausreiche, derartige Verstöße in zukünftigen Vergabeverfahren zu vermeiden. Zur Durchführung des Urteils vom 10. April 2003 seien Maßnahmen zur Beendigung der Vertragsverletzung in den im Urteil behandelten Vergaberechtsfällen erforderlich. Hierzu setzte sie eine Frist von zwei Monaten ab Erhalt dieses Schreibens. Darauf antwortete die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 7. Juni 2004, in dem sie ihre bisherige Auffassung bekräftigte.
12. Da die Kommission der Ansicht war, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht die zur Durchführung des Urteils Kommission/Deutschland erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, hat sie am 7. Dezember 2004 die vorliegende Klage erhoben.
IV – Das Verfahren vor dem Gerichtshof
13. Die Klage der Kommission war nach ihrem ursprünglichen Wortlaut zum einen auf die Feststellung gerichtet, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 228 Abs. 1 EG verstoßen hat, indem sie nicht die Maßnahmen ergriffen hat, die sich aus dem Urteil vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Kommission/Deutschland, betreffend die Vergabe eines Abwasservertrags durch die Gemeinde Bockhorn und eines Müllentsorgungsvertrags durch die Stadt Braunschweig ergeben. Zum anderen zielte die Klage darauf ab, der Bundesrepublik Deutschland aufzugeben, der Kommission auf das „Konto Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft“ ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von 31 680 Euro pro Tag des Verzugs bei der Durchführung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Urteil hinsichtlich der Vergabe eines Abwasservertrags durch die Gemeinde Bockhorn nachzukommen, sowie in Höhe von 126 720 Euro pro Tag des Verzugs bei der Durchführung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Urteil hinsichtlich der Vergabe eines Müllentsorgungsvertrags durch die Stadt Braunschweig nachzukommen. Überdies beantragte die Kommission, der Bundesrepublik Deutschland die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
14. Parallel zum schriftlichen Verfahren in der Rechtssache kam es zu einer nachträglichen Aufhebung der beanstandeten Verträge. In ihrer Klagebeantwortung vom 14. Februar 2005, eingetragen in das Register des Gerichtshofs am 15. Februar 2005, teilte die Bundesrepublik Deutschland mit, dass mit Datum vom 3. Januar 2005 zwischen der Gemeinde Bockhorn und dem jeweiligen Unternehmen ein Aufhebungsvertrag zum Abwasservertrag geschlossen worden sei. Im gleichen Schriftsatz beantragte sie, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Wirkung eines klagestattgebenden Urteils auf die Zukunft zu beschränken und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
15. Die Kommission erklärte in ihrer Erwiderung vom 26. April 2005, dass sie die Klage und den Antrag auf Verhängung eines Zwangsgelds in Bezug auf diesen Klagegrund nicht länger weiterverfolgen wolle.
16. In ihrer Gegenerwiderung vom 28. Juli 2005 teilte die Bundesrepublik Deutschland mit, dass inzwischen (am 4. bzw. 5. Juli 2005) seitens der Stadt Braunschweig ebenfalls ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden sei, und beantragte, das gesamte Verfahren nach Art. 92 § 2 in Verbindung mit Art. 91 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einzustellen sowie die Streichung der Rechtssache im Register anzuordnen, hilfsweise, die Klage insgesamt als unzulässig abzuweisen. Vorsorglich machte die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass eine Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags aus verfahrensrechtlichen und aus materiellrechtlichen Gründen nicht mehr in Betracht komme.
17. Infolge dieser Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland kündigte die Kommission in einer Stellungnahme vom 6. Dezember 2005 an, ihre ursprüngliche Klage nunmehr ausschließlich in Bezug auf die Feststellung aufrechtzuerhalten, dass die Bundesrepublik Deutschland zum relevanten Zeitpunkt dem Urteil des Gerichtshofs hinsichtlich des von der Stadt Braunschweig geschlossenen Vertrags nicht nachgekommen war. Ferner hielt sie es vor dem Hintergrund der nachträglichen Aufhebung auch dieses zweiten Vertrags nicht mehr für erforderlich, die Verhängung eines Zwangsgelds zu beantragen. Im gleichen Schriftsatz wies die Kommission darauf hin, dass die Verhängung eines Pauschalbetrags zwar noch möglich sei, sie jedoch einen darauf gerichteten Antrag unter den gegebenen Umständen nicht für angebracht halte.
18. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. Juni 2005 sind das Königreich der Niederlande, die Französische Republik und die Republik Finnland als Streithelfer im Sinne von Art. 93 § 1 der Verfahrensordnung zur Unterstützung der Anträge der Bundesrepublik Deutschland zugelassen worden.
19. Am 7. Dezember 2006 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der die Kommission, die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik teilgenommen haben.
V – Klagegründe und wesentliche Argumente
20. Die Bundesrepublik Deutschland erhebt mehrere Zulässigkeitsrügen und hält die Klage auch materiell für unbegründet.
A – Zur Zulässigkeit der Klage
1. Statthafte Verfahrensart
21. Die deutsche Regierung macht zunächst ein fehlendes Rechtsschutzinteresse der Kommission geltend, da diese es versäumt habe, einen Antrag auf Auslegung des Urteils nach Art. 102 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu stellen. Der Rechtsstreit über die Frage, welche Folgen sich aus dem Urteil Kommission/Deutschland ergäben, hätte durch einen solchen Antrag und nicht im Wege einer Klage nach Art. 228 EG entschieden werden müssen. Zudem verstoße die sofortige Erhebung einer Zwangsgeldklage ohne vorherigen Auslegungsantrag gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
22. Die Kommission stützt ihre Klage darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht die Maßnahmen ergriffen habe, die sich aus dem Urteil vom 10. April 2003 ergäben. Hierzu sei sie gemäß Art. 228 Abs. 1 EG verpflichtet gewesen. Der Gerichtshof habe in jenem Urteil die Befugnis der Kommission anerkannt, Verstöße der Mitgliedstaaten gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht – etwa durch den Abschluss langfristiger Dienstleistungsverträge unter Missachtung des Vergaberechts – im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens feststellen zu lassen, damit diese Verstöße abgestellt würden.
23. Die Kommission widerspricht der Ansicht, dass der Rechtsstreit durch einen Antrag auf Auslegung des Urteils nach Art. 102 der Verfahrensordnung hätte entschieden werden können. Im Verfahren nach Art. 226 EG, das zum Urteil vom 10. April 2003 geführt habe, habe der Gerichtshof eine Vertragsverletzung festgestellt. Dies sei der einzige mögliche Inhalt eines stattgebenden Urteils, da der Gerichtshof sich darin nicht zu den Maßnahmen äußern müsse, die ein Mitgliedstaat infolge des Urteils zu ergreifen habe.
2. Erledigung des Streitgegenstands
24. Die deutsche Regierung regt an, das Verfahren nach Art. 92 § 2 der Verfahrensordnung einzustellen; sie sieht die Voraussetzungen dieser Bestimmung als erfüllt an. Sowohl der Abwasservertrag der Gemeinde Bockhorn als auch der Entsorgungsvertrag der Stadt Braunschweig, deren Fortbestehen die Kommission veranlasst hätten, das Verfahren einzuleiten, seien aufgehoben worden. Dadurch sei die Klage nunmehr gegenstandslos geworden und habe sich in der Hauptsache erledigt.
25. Hilfsweise macht die deutsche Regierung geltend, die Klage müsse wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen werden, da nach der Aufhebung der streitigen Verträge nichts mehr zur Vollstreckung des Urteils des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01 zu veranlassen sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis vorliege, komme es im Rahmen einer Klage nach Art. 228 Abs. 2 EG nämlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung und nicht etwa auf den Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist an.
26. Die niederländische Regierung schließt sich den Ausführungen der deutschen Regierung an und schlägt dem Gerichtshof vor, die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen, weil sie aufgrund der inzwischen erfolgten Aufhebung des von der Stadt Braunschweig geschlossenen Müllentsorgungsvertrags gegenstandslos geworden sei.
27. Die Kommission ist der Ansicht, dass im Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG ebenso wie im Verfahren nach Art. 226 EG Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage das Bestehen einer Vertragsverletzung zum Zeitpunkt des Ablaufs der dem Mitgliedstaat in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist sei. Habe der Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergäben, nicht innerhalb dieser Frist getroffen, so könne die Kommission den Gerichtshof anrufen. Die einmal zulässig erhobene Klage könne durch spätere Ereignisse nicht unzulässig werden.
28. Die Kommission habe ein Interesse an der Klärung der Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland zum relevanten Zeitpunkt, als der von der Stadt Braunschweig geschlossene Vertrag noch bestanden habe, dem Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01 bereits nachgekommen sei. Dies sei ihres Erachtens nicht der Fall, da sich aus diesem Urteil eine Verpflichtung zur Beendigung des genannten Vertrags ergeben habe. Unter diesen Umständen müsse die Klage aufrechterhalten werden.
B – Zur Begründetheit der Klage
29. Die Kommission knüpft in ihrer Argumentation hinsichtlich der Begründetheit der Klage im Wesentlichen an ihre Ausführungen zur Zulässigkeit an. Sie ist der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen habe, um dem genannten Urteil nachzukommen, da sie den von der Stadt Braunschweig geschlossenen Müllentsorgungsvertrag nicht vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist aufgehoben habe. Die Pflicht eines Mitgliedstaats zur Abstellung des vom Gerichtshof festgestellten Verstoßes und die Befugnisse der Kommission, darauf hinzuwirken, seien in Art. 228 EG, also im primären Gemeinschaftsrecht, vorgesehen. Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 könne als Vorschrift des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts die Tragweite dieser Pflicht in keiner Weise modifizieren. Außerdem verfolge das in der Richtlinie 89/665 vorgesehene Nachprüfungsverfahren einen spezielleren Zweck als das Vertragsverletzungsverfahren.
30. Die deutsche Regierung hält die Klage dagegen für unbegründet, da sie die in ihrer Mitteilung vom 23. Dezember 2003 angeführten Maßnahmen für ausreichend erachtet, um dem genannten Urteil nachzukommen. Die erforderlichen und nach ihrer Ansicht ausreichenden Maßnahmen hätten in nachdrücklichen Hinweisen auf Bundes- und Landesebene, die Vorschriften des Vergaberechts strikt einzuhalten, bestanden.
31. Außerdem vertritt sie mit Unterstützung der niederländischen, der französischen und der finnischen Regierung die Auffassung, dass die Feststellung einer Vertragsverletzung nach Art. 226 EG nicht die Pflicht zur Kündigung eines aus der Vergabe eines Auftrags resultierenden Vertrags zur Folge haben könne. Einer entsprechenden Auslegung stehe zunächst Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 entgegen, der den Mitgliedstaaten erlaube, die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz nach dem Vertragsschluss darauf zu beschränken, einer durch fehlerhaftes Verhalten der Vergabebehörden geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen. Nach dieser Bestimmung könnten die von den Vergabebehörden geschlossenen Verträge somit gültig bleiben. Da die Bundesrepublik Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, stehe das Gemeinschaftsrecht der Gültigkeit der eingegangenen Verpflichtungen nicht entgegen. Darüber hinaus widerspräche eine Pflicht zur Kündigung der Verträge den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, dem Grundsatz pacta sunt servanda sowie Art. 295 EG, dem Eigentumsgrundrecht und auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur zeitlichen Beschränkung der Wirkungen eines Urteils.
32. Die deutsche Regierung weist ferner darauf hin, dass nach deutschem Recht und aufgrund der einschlägigen Klauseln der Verträge in den vorliegenden Fällen die Verträge nicht oder nur unter Eingehung eines unverhältnismäßig hohen Haftungsrisikos gekündigt werden könnten.
VI – Rechtliche Würdigung
33. Wie eingangs erwähnt, steht im Mittelpunkt des vorliegenden Rechtsstreits die Frage, welche Schlussfolgerungen die Bundesrepublik Deutschland aus dem Urteil vom 10. April 2003 hätte ziehen müssen, um ihrer Pflicht zur Wiederherstellung eines gemeinschaftsrechtskonformen Zustands nachzukommen.
34. Diese vereinfachende Darstellung des Streitgegenstands täuscht jedoch über dessen Vielschichtigkeit in rechtlicher Hinsicht hinweg, zumal er Rechtsfragen aufwirft, die sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Klage unmittelbar betreffen.
A – Zur Zulässigkeit der Klage
1. Statthafte Verfahrensart
35. Die erste Frage betrifft die Rüge der deutschen Regierung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Vertragsverletzungsklage der Kommission gemäß Art. 228 Abs. 2 Unterabs. 2 EG. Ihrer Ansicht nach hätte die Kommission vorrangig einen Antrag auf Auslegung des Urteils in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01 nach Art. 102 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs stellen müssen. Sie fügt hinzu, die sofortige Erhebung der Zwangsgeldklage ohne vorherigen Auslegungsantrag verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
36. Meines Erachtens lässt sich für diese Rechtsauffassung weder eine rechtliche Grundlage in den Verträgen finden, noch ist sie mit dem Prozessrecht der Gemeinschaft vereinbar. Vielmehr scheint sie auf einem falschen Verständnis des Wesens der Vertragsverletzungsklage nach Art. 228 Abs. 2 Unterabs. 2 EG zu beruhen, so dass eine Klarstellung unentbehrlich ist.
37. Diesbezüglich ist zunächst anzumerken, dass das Prozessrecht der Gemeinschaft dem Antrag auf Urteilsauslegung keinen Vorrang gegenüber der Klage nach Art. 228 Abs. 2 Unterabs. 2 EG einräumt. Ebenso wenig ist dort die Erhebung einer Klage seitens der Kommission an die Bedingung der Stellung eines entsprechenden Antrags geknüpft. Die verschiedenen Verfahren vor dem Gerichtshof unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen und Zielen voneinander, so dass sie als grundsätzlich selbständig anzusehen sind und nur infolge ihrer Spezialität im Einzelfall andere Verfahrensarten verdrängen können.
38. Nach Art. 102 der Verfahrensordnung setzt die Zulässigkeit eines Antrags auf Auslegung eines Urteils voraus, dass er den Tenor des betroffenen Urteils in Verbindung mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zum Gegenstand hat und die Beseitigung einer Unklarheit oder Mehrdeutigkeit bezweckt, die möglicherweise Sinn und Tragweite des Urteils selbst berührt, soweit mit diesem über den dem Gerichtshof vorgelegten Fall entschieden werden sollte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist daher ein Antrag auf Auslegung eines Urteils unzulässig, wenn er Fragen betrifft, die in diesem Urteil nicht entschieden worden sind, oder wenn durch ihn eine Stellungnahme des angerufenen Gerichts zur Anwendung und Durchführung oder zu den Folgen des von diesem Gericht erlassenen Urteils erlangt werden soll(6).
39. Im vorliegenden Verfahren streiten die Kommission und die deutsche Regierung darüber, ob sich aus dem Urteil vom 10. April 2003 eine Rechtspflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Aufhebung der Dienstleistungsverträge ableiten lässt. In einem solchen Fall kann die Klage der Kommission nur als Antrag verstanden werden, eine für beide Parteien verbindliche Feststellung des Gerichtshofs bezüglich der Anwendung und Durchführung bzw. zu den Folgen des erlassenen Urteils einzuholen. Streitgegenstand ist nämlich die praktische Umsetzung einer gerichtlichen Entscheidung durch die Bundesrepublik Deutschland und nicht etwa eine Unklarheit oder Mehrdeutigkeit jener Entscheidung. Daher wäre nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien ein etwaiger Antrag nach Art. 102 der Verfahrensordnung mangels eines zulässigen Auslegungsgegenstands als unzulässig anzusehen.
40. Ergänzend möchte ich auf die Ausführungen des Generalanwalts Geelhoed in der Rechtssache Kommission/Frankreich verweisen, wonach jede Verpflichtung zur Durchführung eines Urteils des Gerichtshofs Fragen nach seinem genauen Inhalt aufwerfen kann. Diese Fragen seien gegebenenfalls im Laufe des in Art. 228 EG vorgesehenen Verfahrens zu entscheiden(7). Diese Aussage des Generalanwalts ist meines Erachtens ohne weiteres nachvollziehbar, zumal es sich bei dem Vertragsverletzungsverfahren um ein Verfahren handelt, welches bedingt durch seinen feststellenden Charakter ausschließlich auf die gerichtliche Feststellung einer Vertragsverletzung abzielt(8).
41. Infolge der Beschränkung auf die Feststellung der Vertragsverletzung kann es für die betreffenden Mitgliedstaaten unter Umständen schwierig sein, zu ermitteln, welche Maßnahmen sie im Einzelnen treffen müssen, um den gerügten Verstoß zu beseitigen. In solchen Fällen ist der Gerichtshof bemüht, in den Urteilsgründen nähere Hinweise zu einem Rahmen zu geben, innerhalb dessen die beanstandete Maßnahme noch als vertragskonform angesehen werden wird(9). Darüber hinaus kann der Gerichtshof auch im Rahmen des Urteilstenors Interpretationshilfen geben, indem er die festgestellte Pflichtverletzung weiter oder enger umschreibt(10). Aus den begrenzten Befugnissen des Gerichtshofs im Vertragsverletzungsverfahren lässt sich somit nicht folgern, dass es ihm generell verwehrt wäre, im Urteil selbst Überlegungen über Art und Ausmaß der im gegebenen Fall bestehenden Regularisierungsmöglichkeiten anzustellen. Für die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens spricht der Wortlaut von Art. 228 EG, aus dem ausdrücklich hervorgeht, dass der betreffende Mitgliedstaat diejenigen Maßnahmen zu ergreifen zu hat, die sich aus dem Urteil ergeben(11).
42. Der Umfang dieser mitgliedstaatlichen Umsetzungspflicht erschließt sich den Verfahrensbeteiligten im Einzelfall somit grundsätzlich durch einfache Auslegung der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung, ohne dass dafür ein Antrag auf Auslegung nach Art. 102 der Verfahrensordnung notwendig wäre.
43. Aus alledem ergibt sich, dass das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 228 EG durchaus die richtige Verfahrensart ist, um etwaige Fragen nach der Pflicht eines Mitgliedstaats zur Umsetzung eines Urteils des Gerichtshofs zu klären(12). Infolge seiner Spezialität verdrängt es alle anderen Verfahrensarten einschließlich der Urteilsauslegung, so dass sich eine Erörterung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Klage erübrigt.
2. Verhältnis der Klage nach Art. 228 Abs. 2 EG zum Beanstandungsverfahren
44. Soweit die deutsche Regierung ein Vorgehen der Kommission gegen einen vermutlich fortbestehenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Wege einer Klage gemäß Art. 228 Abs. 2 EG unter Hinweis sowohl auf die innerstaatlichen Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen als auch auf das besondere Beanstandungsverfahren der Kommission gemäß Art. 3 der Richtlinie 89/665 rügt, ist dieses Vorbringen in erster Linie als Einrede der Unzulässigkeit dieser Klage zu deuten.
45. Dieser Einrede ist entgegenzuhalten, dass Maßnahmen der Kommission nach Art. 226 EG von der Anpassung des Rechts der Mitgliedstaaten an die Bestimmungen der Richtlinie 89/665 unberührt bleiben(13). Die Kommission kann, wenn die Vermutung eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes eines öffentlichen Auftraggebers besteht, unabhängig von innerstaatlichen Maßnahmen gemäß der umgesetzten Richtlinie 89/665 von Amts wegen das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG gegen den Mitgliedstaat einleiten(14). Gegen eine Verdrängung des Vertragsverletzungsverfahrens als Klageart spricht nämlich nicht nur der Vorrang des Primärrechts gegenüber den sekundärrechtlichen Bestimmungen der Richtlinie 89/665, sondern auch die unterschiedliche Funktion der darin geregelten Mechanismen der Rechtmäßigkeitskontrolle(15).
46. Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 ermächtigt zwar die Mitgliedstaaten, nach Vertragsschluss den nationalen Rechtsschutz auf Schadensersatz für die durch einen solchen Verstoß geschädigten Personen zu begrenzen. Dies kann aber nicht dazu führen, dass das Verhalten eines öffentlichen Auftraggebers in jedem Fall als gemeinschaftsrechtskonform anzusehen ist(16). Vielmehr ist es allein Sache des Gerichtshofs, im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage festzustellen, ob die beanstandete Vertragsverletzung vorliegt oder nicht(17).
47. Des Weiteren hat der Gerichtshof in seinem Urteil Kommission/Irland festgestellt, dass das Verfahren in Art. 3 der Richtlinie 89/665, wonach die Kommission gegenüber einem Mitgliedstaat tätig werden kann, wenn sie der Ansicht ist, dass ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorliegt, eine vorbeugende Maßnahme darstellt, die von den Befugnissen der Kommission aus Art. 226 EG weder abweichen noch sie ersetzen kann(18).
48. Das Beanstandungsverfahren nach Art. 3 der Richtlinie 89/665 dient dazu, den Mitgliedstaaten Gelegenheit zur Verhinderung absehbarer Vergaberechtsverstöße zu geben und dadurch rechtlich unproblematische Fälle von vornherein, auch zur Arbeitsersparnis bei der Kommission, zu klären. Vermieden wird dadurch das langwierige und schwerfällige Vertragsverletzungsverfahren in eindeutigen Fällen(19).
49. Angesichts ihrer speziellen Funktion im System der Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Vergabeverfahren unterscheiden sich beide Verfahren wiederum in den Voraussetzungen für ihre Einleitung, denn anders als das Beanstandungsverfahren setzt das Vertragsverletzungsverfahren keinen klaren und eindeutigen Verstoß(20), sondern lediglich die bloße Nichtbeachtung einer Gemeinschaftsverpflichtung voraus(21). Aus diesem Grund lassen sich auch die einzelnen Verfahrensschritte nicht austauschen, obwohl sie parallel strukturiert sind: Die Stellungnahme nach Art. 226 EG und die Äußerung des Mitgliedstaats dazu können nicht durch ein Vorgehen nach Art. 3 der Richtlinie 89/665 ersetzt werden, sondern sind als Vorstufe für eine Anrufung des Gerichtshofs eigens durchzuführen. Umgekehrt werden die Befugnisse der Kommission nach Art. 226 nicht durch ein Beanstandungsverfahren gemäß Art. 3 der Richtlinie blockiert(22).
50. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Beanstandungsverfahren nicht um ein Instrument handelt, das eine Anrufung des Gerichtshofs ermöglicht. Da die Wahrung des Gemeinschaftsrechts jedoch stets eine richterliche Kontrolle durch den Gerichtshof gebietet, kann es nicht im Sinne des Gemeinschaftsgesetzgebers gewesen sein, eine solche Kontrolle durch eine Verdrängung des Vertragsverletzungsverfahrens auszuschließen.
51. In Bezug auf die Befugnisse der Kommission ist daran zu erinnern, dass sie aufgrund ihrer Rolle als Hüterin des Vertrags auch nicht verpflichtet ist, in erster Linie auf das Beanstandungsverfahren zurückgreifen. Es liegt vielmehr in ihrem Ermessen, den Gerichtshof anzurufen, wenn nach ihrer Auffassung ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag verstoßen hat und ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nachkommt(23).
52. Die gleichen Schlussfolgerungen haben meiner Meinung nach für das Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG zu gelten. Dieses durch den Maastrichter Vertrag in das Primärrecht der Gemeinschaft aufgenommene Verfahren ist in prozessrechtlicher Hinsicht dem Verfahren nach Art. 226 EG nachgebildet. Es eröffnet dem Gerichtshof nunmehr die Möglichkeit, nicht mehr nur die Nichtbefolgung des ersten Urteils festzustellen, sondern gegen den betreffenden Mitgliedstaat auch die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds zu verhängen. Das Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG stellt deshalb ein Verfahren dar, welches darauf abzielt, den widersetzlichen Mitgliedstaat mittels finanzieller Sanktionen zur Beachtung eines Vertragsverletzungsurteils zu veranlassen(24). Dagegen besteht die Funktion der Kontrollmaßnahmen, die die Kommission nach der Richtlinie 89/665 treffen kann, darin, Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht in einer möglichst frühen Phase vorzubeugen. Die Mechanismen des Primär- und Sekundärrechts schließen sich somit nicht aus, sondern ergänzen sich, um die Rechtskonformität mitgliedstaatlichen Handelns zu gewährleisten(25).
53. Folglich kann die deutsche Regierung auf die in der Richtlinie 89/665 vorhandenen Kontroll- und Sanktionsmechanismen keine Einrede der Unzulässigkeit der Klage stützen.
3. Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis und Erledigung des Streitgegenstands
54. Die deutsche Regierung macht in ihrer Gegenerwiderung geltend, dass für den nach der Erwiderung der Kommission vom 26. April 2005 verbleibenden Teil des Streitgegenstands das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen sei, weil der Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Aufhebung des Müllentsorgungsvertrags zwischen der Stadt Braunschweig und den Braunschweigischen Kohlebergwerken (im Folgenden: BKB) nicht mehr durch die Verhängung eines Zwangsgelds oder eines Pauschalbetrags zu einer Verhaltensänderung veranlasst werden müsse. Sie beantragt, das Verfahren einzustellen, hilfsweise die Klage als unzulässig abzuweisen, da nach der Aufhebung der streitigen Verträge nun nichts Weiteres zur Vollstreckung des Urteils des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01 zu veranlassen sei. Sie stützt ihre Anträge darauf, dass es bei der Beurteilung der Frage, ob noch ein Rechtsschutzbedürfnis vorliege, im Rahmen einer Klage nach Art. 228 Abs. 2 EG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme.
55. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung braucht die Kommission bei der Wahrnehmung der ihr in Art. 226 EG eingeräumten Zuständigkeiten kein Klageinteresse nachzuweisen. Ihr fällt nämlich kraft ihres Amtes im Allgemeininteresse die Aufgabe zu, die Ausführung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten zu überwachen und etwaige Verstöße gegen die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen feststellen zu lassen, damit sie abgestellt werden(26).
56. Im Übrigen ist es Sache der Kommission, die Zweckmäßigkeit eines Einschreitens gegen einen Mitgliedstaat zu beurteilen, die ihrer Ansicht nach verletzten Bestimmungen zu benennen und den Zeitpunkt für die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens zu wählen, wobei die Erwägungen, die für diese Wahl bestimmend sind, die Zulässigkeit der Klage nicht beeinflussen(27).
57. Während schließlich allein die Kommission die Zweckmäßigkeit der Einreichung und Aufrechterhaltung einer Vertragsverletzungsklage beurteilt, prüft der Gerichtshof, ob die gerügte Vertragsverletzung vorliegt, ohne dass er über die Ausübung des Ermessens durch die Kommission zu entscheiden hätte(28).
58. Nach alledem ist die auf das fehlende Klageinteresse der Kommission gestützte Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
59. Der Gerichtshof kann gemäß Art. 92 § 2 der Verfahrensordnung von Amts wegen feststellen, dass die Hauptsache erledigt ist, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass kein Entscheidungsbedarf mehr besteht. Er kann zur Prüfung der Erledigung des Rechtsstreits durch einen Antrag der Parteien angeregt werden(29). Ein solcher Parteiantrag ist jedoch nicht erforderlich. Vielmehr kann der Gerichtshof auch ohne Antrag das Verfahren im Wege eines Einstellungsurteils beenden. Im Folgenden ist zu prüfen, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist.
60. Zunächst ist festzustellen, dass durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags zwischen der Stadt Braunschweig und den BKB am 7. Juli 2005 die Bundesrepublik Deutschland der Forderung der Kommission nach Rückabwicklung des beanstandeten Dienstleistungsvertrags, wie sie ursprünglich in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 30. März 2004 formuliert wurde(30), nachgekommen ist. Die Beseitigung des gerügten Vertragsverstoßes erfolgte somit zeitlich nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist von zwei Monaten nach Erhalt dieses Schreibens, jedoch noch während des schriftlichen Verfahrens vor dem Gerichtshof.
61. Gegen eine Erledigung im prozessrechtlichen Sinne spricht, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die ihm in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde. Eine anschließende Beseitigung des Vertragsverstoßes wird daher vom Gerichtshof nicht mehr berücksichtigt und ändert nichts an der Zulässigkeit einer Klage(31).
62. Dies ergibt sich nicht nur mittelbar aus dem Wortlaut des Art. 226 EG, sondern auch aus dem Zweck dieser Phase des vorprozessualen Verfahrens, der darin besteht, dem vertragsbrüchigen Mitgliedstaat noch vor einer möglichen Klageerhebung Gelegenheit zur Abstellung des Verstoßes zu geben. Fraglich ist jedoch, ob diese Grundsätze auch auf das Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG Anwendung finden. Soweit die deutsche Regierung für die Beurteilung einer Erledigung der Hauptsache auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt, scheint diese Rechtsansicht im Wesentlichen der von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Kommission/Griechenland vertretenen Auffassung zu entsprechen. In seinen Schlussanträgen erklärte der Generalanwalt, dass das Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG nicht darauf gerichtet sei, erneut eine Vertragsverletzung festzustellen, sondern darauf, den widersetzlichen Mitgliedstaat zur Beachtung eines Vertragsverletzungsurteils zu veranlassen. Da die öffentliche Sitzung oder, falls eine solche nicht stattfinde, die Zeit bis zum Schluss des schriftlichen Verfahrens die letzte Gelegenheit darstelle, die der beklagte Mitgliedstaat für Ausführungen über das erreichte Maß der Pflichterfüllung und die Kommission für Erklärungen über die Höhe und die Modalitäten der zu verhängenden finanziellen Sanktion haben, müsse auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden(32).
63. Ich stimme dieser Rechtsauffassung zu, allerdings nur, soweit es um die Beurteilung der Notwendigkeit der Verhängung eines Zwangsgelds gegen einen vertragsbrüchigen Mitgliedstaat im konkreten Fall geht. Dagegen dürfte es hinsichtlich des auf die Feststellung der Nichtbefolgung eines Vertragsverletzungsurteils gerichteten Antrags weiterhin auf den Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist ankommen. Von diesem Ansatz geht der Gerichtshof offenbar auch in seinem zuletzt ergangenen Urteil in der Rechtssache C‑119/04, Kommission/Italien, aus, wenn er beide Anträge unabhängig voneinander prüft und dabei differenzierend auf den jeweils maßgeblichen Zeitpunkt abstellt(33).
64. Folglich kann die nachträgliche Aufhebung des beanstandeten Entsorgungsvertrags nach der hier befürworteten Betrachtungsweise nicht als erledigendes Ereignis im Sinne des Art. 92 § 2 der Verfahrensordnung angesehen werden. Demnach ist auch diese Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
B – Zur Begründetheit der Klage
1. Die Fortwirkung des Verstoßes gegen das Vergaberecht
65. Eine Klage nach Art. 228 Abs. 2 EG ist begründet, wenn der Mitgliedstaat, dessen Vertragsverletzung durch ein Urteil des Gerichtshofs festgestellt worden ist, es versäumt hat, die sich aus diesem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Gemäß Art. 228 Abs. 1 EG ist er verpflichtet, den gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Diese Handlungspflicht erstreckt sich auch auf die Organe sämtlicher Gebietskörperschaften des verurteilten Staates(34).
66. Zunächst ist im Hinblick auf die prozessuale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache der Kommission ist, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens dem Gerichtshof die Angaben zu liefern, die erforderlich sind, um zu bestimmen, welchen Stand der Durchführung eines Vertragsverletzungsurteils ein Mitgliedstaat erreicht hat(35). Ferner ist es, wenn die Kommission hinreichende Anhaltspunkte für den Fortbestand der Vertragsverletzung geliefert hat, Sache des betroffenen Mitgliedstaats, die vorgelegten Angaben und deren Konsequenzen substantiiert und ausführlich zu bestreiten(36).
67. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung zur Beendigung der im Urteil vom 10. April 2003 festgestellten Vertragsverletzungen nicht nachgekommen sei. Die nachdrücklichen Hinweise der Bundesregierung, sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene, auf strikte Einhaltung des Vergaberechts hält sie für unzureichend. Sie vertritt den Standpunkt, dass die Vertragsverletzung aufgrund des Fortbestands des Entsorgungsvertrags zwischen der Stadt Braunschweig und den BKB angedauert habe. Sie stützt ihre Argumentation im Wesentlichen auf die Ausführungen des Gerichtshofs in den Randnrn. 36 und 37 des genannten Urteils. Sie hält daher die Rückabwicklung dieses Vertrags für die einzige geeignete Maßnahme, um die Folgen des Verstoßes gegen die vergaberechtlichen Vorschriften zu beseitigen.
68. Der Kommission ist, was die Auslegung der genannten Randnummern des Urteils anbelangt, beizupflichten. Meines Erachtens lässt der Gerichtshof in seinen Ausführungen keinen Zweifel daran, dass die Wirkungen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht so lange andauern, wie ein entgegen dem Vergaberecht zu Stande gekommener Vertrag erfüllt wird(37).
69. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge der Richtlinienverstoß erst dann nicht mehr besteht, wenn bei Ablauf der von der Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist alle Wirkungen der streitgegenständlichen Ausschreibung erschöpft sind(38). Davon ist nicht auszugehen, solange die unter Verletzung des Gemeinschaftsrechts geschlossenen Verträge weiter fortwirken, womit die fortdauernde Erfüllung dieser Verträge gemeint ist(39).
70. Da der auf eine Laufzeit von dreißig Jahren angelegte Entsorgungsvertrag noch bis zu dem für die rechtliche Würdigung im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Zeitpunkt gültig war, kann davon ausgegangen werden, dass die im zugrunde liegenden Urteil festgestellten Verstöße weiterhin fortwirkten(40). Die deutsche Regierung bestreitet im Grunde auch nicht, dass der beanstandete privatrechtliche Vertrag auch nach Erlass des Urteils vom 10. April 2003 Rechtswirkungen entfaltet hat. Sie lehnt jedoch eine Kündigungspflicht unter Hinweis auf die Ermächtigung in Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 ab, die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz nach dem Vertragsschluss darauf zu beschränken, einer durch fehlerhaftes Verhalten geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen(41).
2. Bestandsschutz des vergaberechtswidrigen Vertrags
71. Im Folgenden ist zu prüfen, ob die Bundesrepublik Deutschland zu einer Aufhebung des betreffenden Vertrags rechtlich verpflichtet war oder ob sie stattdessen auf andere Maßnahmen zurückgreifen durfte, um ihrer Pflicht aus Art. 228 Abs. 1 EG zu genügen.
72. Zunächst ist festzustellen, dass die von der deutschen Regierung angeführten Maßnahmen in Gestalt der Hinweise auf Bundes- und Landesebene, die Vorschriften des Vergaberechts strikt einzuhalten, sowie der Aufforderung, über die von ihr eingeleiteten und durchgeführten Maßnahmen zu berichten, ausschließlich darauf angelegt sind, zukünftigen Verstößen vorzubeugen, und daher nicht geeignet sind, eine – wie im vorliegenden Fall – bereits eingetretene, fortdauernde Verletzung des Gemeinschaftsrechts zu unterbinden. Da die deutsche Regierung dem Gerichtshof keine weiteren Maßnahmen mitgeteilt hat, bleibt nunmehr eine mögliche Aufhebungspflicht zu prüfen.
73. Ich halte es für erforderlich, vorab daran zu erinnern, dass ein Mitgliedstaat gehalten ist, alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Pflichtverletzung zu ergreifen, ohne dem ein wie auch immer geartetes Hindernis entgegenstellen zu können. Insbesondere ist es einem Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verwehrt, sich auf innerstaatliche Probleme bei der Durchführung oder Umsetzung einer Gemeinschaftsnorm zu berufen. Dies gilt auch für etwaige Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner Rechtsordnung(42). Die Bundesrepublik Deutschland kann sich daher nicht darauf berufen, dass das öffentliche Auftragswesen nach ihrer Rechtsordnung anders als in anderen Mitgliedstaaten zivilrechtliche Grundzüge aufweist und somit der öffentliche Auftraggeber als mit dem Auftragnehmer gleichgestellter Partner an einen privatrechtlichen Vertrag gebunden ist(43). Die Anerkennung einer Sonderstellung bestimmter Mitgliedstaaten aufgrund von Besonderheiten des nationalen Rechts widerspräche der Notwendigkeit einer einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
74. Soweit die deutsche Regierung ausführt, eine Rückabwicklung sei wegen des schutzwürdigen Vertrauens der Vertragspartner unzumutbar, ist dagegen einzuwenden, dass sie sich auf Rechtspositionen Dritter beruft, die in rechtswidriger Weise durch den öffentlichen Auftraggeber erzeugt wurden. Wie bereits von Generalanwalt Alber in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑328/96, Kommission/Österreich, dargelegt, kann sich der Mitgliedstaat für seine grundsätzliche Pflichtenlage gegenüber der Gemeinschaft nicht erfolgreich auf die Folgen seines rechtswidrigen Vorgehens berufen, um die Rechtspflicht an sich in Frage zu stellen(44). Dem Grundsatz pacta sunt servanda kann somit nur dann Bedeutung beigemessen werden, wenn das Gemeinschaftsrecht einen Bestandsschutz für Verträge, die unter Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommen sind, ausdrücklich anerkennt.
75. Die Frage nach der Pflicht zur Beendigung solcher Verträge ist vom Gerichtshof bislang nicht ausdrücklich beantwortet worden. Betrachtet man aber das Urteil vom 10. April 2003 im Licht der bereits erwähnten Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach alle Wirkungen gemeinschaftswidriger Auftragsvergaben erschöpft sein müssen, spricht alles dafür, dass der Gerichtshof eine Pflicht zur Beendigung des Vertrags im Grundsatz bejahen würde(45).
76. Der Gedanke des effet utile im Sinne einer weitestgehenden praktischen Wirksamkeit der Vergaberichtlinien erlaubt auch keine andere Schlussfolgerung. Die praktische Wirksamkeit stellt einen zentralen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, dessen besondere Relevanz im Rahmen des Vergaberechts erst bei einer näheren Betrachtung des gesetzgeberischen Zwecks der Vergaberichtlinien deutlich wird(46). Der Gerichtshof sieht in den Vergaberichtlinien nämlich nicht nur formelle Regelungen zur Vertragsanbahnung, sondern hebt auch ihren Zweck hervor, die Dienstleistungs- bzw. Warenverkehrsfreiheit zu verwirklichen(47). Eine Verletzung der Richtlinien erschöpft sich deswegen nicht schon mit Vertragsschluss, sondern dauert so lange an, bis der Vertrag vollständig erfüllt ist oder in sonstiger Weise endet. Soll diese Rechtsprechung nicht leer laufen, muss ein im Vertragsverletzungsverfahren festgestellter Verstoß folglich durch Beendigung des Vertrags beseitigt werden(48).
77. Auch unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung dürfte eine Aufhebungspflicht vergaberechtswidriger Verträge erforderlich sein, um die sorgfältige Befolgung der Vergaberichtlinien im Sinne einer effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Mitgliedstaaten, welche die Vorschriften des Vergaberechts umgehen, könnten ohne eine entsprechende Disziplinarmaßnahme unter Umständen dazu geneigt sein, durch ihr eigenes Handeln vollendete Tatsachen zu schaffen(49). Die Folge wäre eine Perpetuierung des gemeinschaftsrechtswidrigen Zustands.
78. Diese Maßnahme ist im konkreten Fall auch verhältnismäßig, wenn man die ursprünglich vorgesehene Laufzeit des Entsorgungsvertrags von dreißig Jahren berücksichtigt. Angesichts dieser langen Zeitspanne war dieses Vertragsverhältnis geeignet, vollendete Tatsachen zu schaffen. Einer Perpetuierung des gemeinschaftsrechtwidrigen Zustands konnte somit nur durch eine Aufhebung entgegengetreten werden.
79. Einer solchen Aufhebungspflicht steht Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/655 nicht entgegen. Erstens kann diese Richtlinie als Bestandteil des Sekundärrechts nicht zu einer Einschränkung der Grundfreiheiten führen. Zweitens lässt sich aus dem in Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie vorgesehen Bestandsschutz des jeweiligen gemeinschaftsrechtswidrigen Vertrags im Verhältnis zu den anderen Bietern keinesfalls die Schlussfolgerung ziehen, dass nach dem Gemeinschaftsrecht generell keine Verpflichtung zur Beendigung vergaberechtswidriger Verträge besteht. Vielmehr ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass sich ein Bieter als Antragsteller im Nachprüfungsverfahren auf eine etwaige Verpflichtung des Mitgliedstaats, nach Art. 228 Abs. 1 EG vergaberechtswidrige Verträge zu beenden, nicht berufen kann(50). Somit hat diese Vorschrift allein Bedeutung für die Ausgestaltung des individuellen Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Vergabeentscheidungen in den Mitgliedstaaten(51). Dagegen sagt sie nichts über den Schutz des Gemeinschaftsinteresses aus, welches klar vom Individualinteresse der umgangenen Bieter zu unterscheiden ist(52). Sie darf es auch nicht, da das höherrangige Primärrecht bereits abschließende Normen hierzu enthält. Dieses durchdachte und differenzierte Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft gegen rechtswidrige Vergabeentscheidungen nationaler Behörden trägt den unterschiedlichen Interessen Rechnung. Dem Nachprüfungsverfahren als Verfahren zum Schutz des Individualinteresses stehen nämlich das Vertragsverletzungsverfahren und das Beanstandungsverfahren gegenüber, welche dazu bestimmt sind, dem Interesse der Gemeinschaft an der Herstellung oder Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands zu dienen. Wie bereits eingangs erwähnt, verdrängt das Vertragsverletzungsverfahren infolge seiner Spezialität das Beanstandungsverfahren. Da die Kommission mit ihrer Aufsichtsklage ausschließlich das Allgemeininteresse verteidigt, sind die Vorschriften des Nachprüfungsverfahrens einschließlich Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/655 als für die vorliegende Rechtssache unbeachtlich anzusehen.
80. Ungeachtet dessen dürfte sich eine Vertragsaufhebung mit anschließender Neuausschreibung im Hinblick auf eine möglichst effektive Durchsetzung des Vergaberechts nicht selten als die bessere Alternative erweisen, um dem Individualinteresse von umgangenen Bietern Rechnung zu tragen. Zum einen ist ein Vertragsabschluss mit Erfüllung des zivilrechtlichen Primäranspruchs oft vorteilhafter für einen Bieter als die Erlangung eines Schadensersatzanspruchs gegen den öffentlichen Auftraggeber(53). Zum anderen wird sich ein Bieter bei der klageweisen Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs vor nationalen Gerichten mit Schwierigkeiten konfrontiert sehen, denn er wird nicht nur das Vorliegen eines Schadens beweisen müssen, sondern auch, dass er seinerzeit das beste Angebot abgegeben hatte. Hinzu kommt regelmäßig die schwierige Aufgabe der Schadensberechnung(54).
81. Ferner ist nicht ersichtlich, weshalb der vergaberechtswidrig geschlossene Vertrag, der ja gerade die fortwirkende Verletzung der Grundfreiheiten bewirkt, a priori von den Maßnahmen zur Durchführung eines Vertragsverletzungsurteils ausgenommen sein sollte(55).
82. Folglich ist auch dieses Vorbringen der deutschen Regierung zurückzuweisen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die nach nationalem Recht bestehenden Möglichkeiten zur Vertragsbeendigung ergriffen und unter Beachtung des Grundsatzes der Effektivität und der Äquivalenz der zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe ausgeschöpft werden müssen(56). Der Umstand, dass es sowohl der Stadt Braunschweig als auch der Gemeinde Bockhorn während des Verfahrens vor dem Gerichtshof gelungen ist, sich von ihren vertraglichen Verpflichtungen zu lösen, widerlegt auch die von der deutschen Regierung vorgetragene Ansicht, eine Kündigung der Schuldverhältnisse sei nicht oder nur unter Eingehung eines unverhältnismäßig hohen Haftungsrisikos möglich.
83. Da die Bundesrepublik Deutschland den beanstandeten Vertrag nicht bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt aufgehoben hat, hat sie nicht die Maßnahmen ergriffen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Kommission/Deutschland, betreffend die Vergabe eines Müllentsorgungsvertrags durch die Stadt Braunschweig ergeben.
C – Zur fehlenden Notwendigkeit von Sanktionen
84. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung ist von einem Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 228 Abs. 1 EG auszugehen, der die Möglichkeit einer Verhängung von Zwangsmitteln durch den Gerichtshof eröffnet.
85. Auch wenn die Kommission ihren ursprünglichen Antrag auf Verhängung eines Zwangsgelds gänzlich zurückgenommen hat und die Verhängung eines Pauschalbetrags nicht beantragt worden ist, bleibt dem Gerichtshof die endgültige Entscheidung darüber vorbehalten, da er an die Vorschläge der Kommission zu den finanziellen Folgen der Feststellung, dass ein Mitgliedstaat ein früheres Urteil des Gerichtshofs nicht befolgt hat, nicht gebunden ist. Diese Vorschläge stellen lediglich einen nützlichen Bezugspunkt für den Gerichtshof bei der Ausübung seines Ermessens nach Art. 228 Abs. 2 EG dar(57). Die Anwendung dieser Vorschrift fällt mit anderen Worten in das unbeschränkte richterliche Ermessen des Gerichtshofs(58).
86. Das Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG soll einen säumigen Mitgliedstaat veranlassen, ein Vertragsverletzungsurteil durchzuführen, und damit die wirksame Anwendung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Die in dieser Bestimmung vorgesehenen Maßnahmen – das Zwangsgeld und der Pauschalbetrag – dienen beide diesem Zweck.
87. Wie der Gerichtshof in der Rechtssache C‑304/02, Kommission/Frankreich, klargestellt hat, hängt die Frage, ob die eine oder die andere dieser beiden Maßnahmen angewandt wird, von ihrer Eignung zur Erfüllung des verfolgten Zwecks nach Maßgabe der Umstände des konkreten Falles ab. Während die Verhängung eines Zwangsgelds besonders geeignet erscheint, um einen Mitgliedstaat zu veranlassen, eine Vertragsverletzung, die ohne eine solche Maßnahme die Tendenz hätte, sich fortzusetzen, so schnell wie möglich abzustellen, beruht die Verhängung eines Pauschalbetrags mehr auf der Beurteilung der Folgen einer Nichterfüllung der Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats für die privaten und öffentlichen Interessen, insbesondere wenn die Vertragsverletzung seit dem Urteil, mit dem sie ursprünglich festgestellt wurde, lange Zeit fortbestanden hat(59).
88. Im Hinblick auf die oben beschriebene Funktion des Zwangsgelds als Beugemittel ist es zweckmäßig, bei der Beurteilung der Frage, ob der verurteilte Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen immer noch nicht nachgekommen ist, und ob somit die Voraussetzungen für die Verhängung einer solchen Sanktion weiterhin vorliegen, wie zuvor erörtert auf die öffentliche Sitzung als maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen. Im vorliegenden Fall sind mit der Aufhebung des Entsorgungsvertrags noch während des schriftlichen Verfahrens diese Voraussetzungen entfallen, so dass die Verhängung eines Zwangsgelds nicht mehr angemessen erscheint.
89. Dagegen eignet sich der Pauschalbetrag als einmalige finanzielle Sanktion mit punitivem Charakter dafür, ein vertragswidriges Verhalten zu ahnden, welches zwar bereits in der Vergangenheit liegt, so dass die Beseitigung des festgestellten Verstoßes für die Gemeinschaft nur noch von geringem Interesse ist, das aber gleichwohl die Verhängung einer Sanktion zum Zweck der Abschreckung unerlässlich macht(60). Auf die Androhung eines Pauschalbetrags sollte insbesondere dann zurückgegriffen werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil erst unter dem Druck des zweiten Verfahrens nachgekommen ist(61), der Verstoß sich als besonders schwer erweist(62) oder eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht(63).
90. Im vorliegenden Fall liegen weder Anhaltspunkte für das Bestehen einer Wiederholungsgefahr vor, noch kann der Verstoß als besonders schwer eingestuft werden. Angesichts der lokalen Bedeutung des vergaberechtswidrigen Müllentsorgungsvertrags der Stadt Braunschweig kann die daraus resultierende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts noch als gering betrachtet werden.
91. Zwar ist jede Missachtung eines Urteils des Gerichtshofs als gravierend anzusehen, so dass der vorliegende Verstoß grundsätzlich mit einem Pauschalbetrag als symbolische Sanktion(64) für die Dauer vom Erlass des Urteils vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C-20/01 und C-28/01, Kommission/Deutschland, bis zum Abschluss der Aufhebungsverträge geahndet werden könnte; dabei ist jedoch mildernd zu berücksichtigen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung aus diesem ersten Urteil noch im Laufe des schriftlichen Verfahrens nachgekommen ist.
92. Unter den Umständen des vorliegenden Falles halte ich es für sachgerecht, von einer finanziellen Sanktion abzusehen.
VII – Kosten
93. Die unterliegende Partei ist nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat und die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
94. Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, tragen nach Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten. Die Französische Republik, das Königreich der Niederlande und die Republik Finnland tragen daher ihre eigenen Kosten.
VIII – Ergebnis
95. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen und in Anbetracht der Tatsache, dass die Kommission die Klage in Bezug auf die Gemeinde Bockhorn nicht länger aufrechterhalten hat, schlage ich dem Gerichtshof vor,
– festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 228 Abs. 1 EG verstoßen hat, indem sie nicht die Maßnahmen ergriffen hat, die sich aus dem Urteil vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Kommission/Deutschland, betreffend die Vergabe eines Müllentsorgungsvertrags durch die Stadt Braunschweig ergeben;
– der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen;
– festzustellen, dass die Französische Republik, das Königreich der Niederlande und die Republik Finnland ihre eigenen Kosten tragen.
1 – Originalsprache: Slowenisch.
2 – Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland (C‑20/01 und C‑28/01, Slg. 2003, I‑3609).
3 – Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1).
4 – Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33).
5 – Urteil vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 6 bis 20).
6 – Urteile des Gerichtshofs vom 28. Juni 1955, Assider/Hohe Behörde (5/55, Slg. 1955, 275), vom 7. April 1965, Hohe Behörde/Collotti und Gerichtshof (70/63a, Slg. 1965, 373), und vom 13. Juli 1966, Willame/Kommission der EAG (110/63a, Slg. 1966, 411); Beschlüsse des Gerichtshofs vom 29. September 1983, Rechnungshof/Williams (9/81 – Auslegung, Slg. 1983, 2859), und Alvarez/Parlament (206/81a, Slg. 1983, 2865), vom 11. Dezember 1986, Suß/Kommission (25/86, Slg. 1986, 3929), und vom 20. April 1988, Maindiaux u. a./WSA u. a. (146/85 und 431/85 – Auslegung, Slg. 1988, 2003); Beschluss des Gerichts erster Instanz vom 14. Juli 1993, Raiola-Denti u. a./Rat (T‑22/91 – Auslegung, Slg. 1993, II‑817, Randnr. 6).
7 – Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 24. November 2005 in der Rechtssache Kommission/Frankreich (C‑177/04, Slg. 2006, I‑2461, Nr. 43).
8 – Urteil vom 18. November 2004, Kommission/Deutschland (C‑126/03, Slg. 2004, I‑11197, Randnrn. 25 und 26); Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 11. September 1979 in der Rechtssache Frankreich/Vereinigtes Königreich (141/78, Slg. 1979, 2946). Schütz, H.-J./Bruha, T./König, D., Casebook Europarecht, Beck, München 2004, S. 333; Cremer, W., in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 228, Randnr. 1. Karpenstein, P./Karpenstein, U., in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Band III, Art. 228 EGV, Randnr. 6, weisen darauf hin, dass das Urteil als Feststellungsurteil weder ein Vollstreckungstitel ist noch die Rechtslage gestaltet. Aus der Feststellung eines Vertragsverstoßes folgt für den verurteilten Mitgliedstaat aus Art. 228 Abs. 1 EG die Pflicht, den Verstoß zu beenden. Der Gerichtshof darf die vertragswidrige Maßnahme aber weder selbst aufheben noch gegenüber dem vertragsbrüchigen Mitgliedstaat die Verpflichtung aussprechen, den Verstoß zu beseitigen.
9 – Urteil vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 70/72 (Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 829, Randnr. 13).
10 – Burgi, M., in: Handbuch des Rechtsschutzes der Europäischen Union (Hrsg. Rengeling/Middeke/Gellermann), 2. Auflage, Beck, München 2003, § 6, Randnr. 49.
11 – Karpenstein, P./Karpenstein, U., in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Band III Art. 228 EGV, Randnr. 6.
12 – Vgl. Fernández Martín, J. M., The EC Public Procurement Rules: A Critical Analysis, Clarendon Press, Oxford, 1996, S. 220.
13 – Frenz, W., Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2007, Randnr. 3399, S. 1016.
14 – Seidel, I., in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, H. IV., Randnr. 173.
15 – Bitterich, K., Kein „Bestandsschutz“ für vergaberechtswidrige Verträge gegenüber Aufsichtsmaßnahmen nach Artikel 226 EG, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht, 16. Jahrgang (2005), Heft 4, S. 164.
16 – Urteil vom 9. September 2004, Kommission/Deutschland (C‑125/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 15).
17 – Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 16, Randnr. 15).
18 – Siehe Urteil vom 17. Dezember 1998, Kommission/Irland (C‑353/96, Slg. 1998, I‑8565, Randnr. 22), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 16. Juli 1998 in derselben Rechtssache (Slg. 1998, I‑8565, Nr. 18); Urteile vom 28. Oktober 1999, Kommission/Österreich (C‑328/96, Slg. 1999, I‑7479, Randnr. 57), vom 24. Januar 1995, Kommission/Niederlande (C‑359/93, Slg. 1995, I‑157, Randnr. 13), und vom 4. Mai 1995, Kommission/Griechenland (C‑79/94, Slg. 1995, I‑1071, Randnr. 11).
19 – Seidel, I., in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, H. IV., Randnr. 164, Frenz, W., Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2007, Randnr. 3407, S. 1019. Dies geht aus dem 8. Erwägungsgrund der Richtlinie 89/665 hervor, wonach die Kommission, wenn ihres Erachtens ein klarer und eindeutiger Verstoß in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags begangen wurde, bei der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats und der Vergabebehörde mit dem Ziel tätig werden können muss, dass ein behaupteter Verstoß umgehend behoben wird.
20 – Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 kann die Kommission das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren anwenden, wenn sie vor Abschluss eines Vertrags zu der Auffassung gelangt, dass bei einem Vergabeverfahren im Sinne der Richtlinien 71/305 und 77/62 ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschriften für das öffentliche Auftragswesen vorliegt.
21 – Urteil Kommission/Niederlande (zitiert in Fn. 18, Randnr. 14).
22 – Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 17. November 1994 in der Rechtssache Kommission/Niederlande (Nrn. 4 f.).
23 – Siehe im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Umsetzungspflicht von Richtlinien die Urteile vom 11. August 1995, Kommission/Deutschland (C‑433/93, Slg. 1995, I‑2303, Randnr. 22), vom 5. November 2002, Kommission/Belgien (C‑471/98, Slg. 2002, I‑9681, Randnr. 39), und Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 2, Randnr. 30).
24 – Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 28. September 1999 in der Rechtsache C‑387/97 (Kommission/Griechenland, Slg. 2000, I‑5047, Nr. 58).
25 – Kalbe, P., Kommentar zum Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 2003, S. 566, spricht von der Doppelspurigkeit des Rechtsschutzsystems bei Verstößen gegen die EG-Vergaberichtlinien.
26 – Urteile vom 8. Dezember 2005, Kommission/Luxemburg (C-33/04, Slg. 2005, I‑10629, Randnr. 65), vom 1. Februar 2001, Kommission/Frankreich (C-333/99, Slg. 2001, I-1025, Randnr. 23), vom 2. Juni 2005, Kommission/Griechenland (C‑394/02, Slg. 2005, I-4713, Randnrn. 14 und 15), vom 4. April 1974, Kommission/Frankreich (167/73, Slg. 1974, 359, Randnr. 15), und Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 2, Randnr. 29).
27 – Urteile Kommission/Luxemburg (zitiert in Fn. 26, Randnr. 66), vom 1. Juni 1994, Kommission/Deutschland (C-317/92, Slg. 1994, I‑2039, Randnr. 4), vom 18. Juni 1998, Kommission/Italien (C-35/96, Slg. 1998, I‑3851, Randnr. 27), und Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 26, Randnr. 24).
28 – Urteil Kommission/Luxemburg (zitiert in Fn. 26, Randnr. 66) mit Hinweis auf das Urteil vom 13. Juni 2002, Kommission/Spanien (C‑474/99, Slg. 2002, I-5293, Randnr. 25).
29 – Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission (C‑400/99, Slg. 2001, I‑7303, Randnrn. 49 bis 65).
30 – Siehe S. 4 der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission vom 30. März 2004 gemäß Artikel 228 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, gerichtet an die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlender Maßnahmen zur Durchführung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C-28/01 betreffend die Vergabe eines Abwasservertrags durch die Gemeinde Bockhorn und eines Müllentsorgungsvertrags durch die Stadt Braunschweig.
31 – Urteile vom 18. Juli 2006, Kommission/Italien (C‑119/04, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 27 und 28), vom 7. März 2002, Kommission/Spanien (C‑29/01, Slg. 2002, I‑2503, Randnr. 11), vom 15. März 2001, Kommission/Frankreich (C‑147/00, Slg. 2001, I‑2387, Randnr. 26), vom 21. Juni 2001, Kommission/Luxemburg (C‑119/00, Slg. 2001, I‑4795, Randnr. 14), vom 30. November 2000, Kommission/Belgien (C‑384/99, Slg. 2000, I‑10633, Randnr. 16), vom 3. Juli 1997, Kommission/Frankreich (C‑60/96, Slg. 1997, I‑3827, Randnr. 15), vom 17. September 1996, Kommission/Italien (C‑289/94, Slg. 1996, I‑4405, Randnr. 20), und vom 12. Dezember 1996, Kommission/Italien (C‑302/95, Slg. 1996, I‑6765, Randnr. 13).
32 – Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtsache Kommission/Griechenland (zitiert in Fn. 24, Nrn. 57 bis 59).
33 – Urteil Kommission/Italien (zitiert in Fn. 31). Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Italienische Republik bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, noch nicht alle Maßnahmen ergriffen hatte, die sich aus dem Urteil vom 26. Juni 2001, Kommission/Italien (C‑212/99, Slg. 2001, I‑4923), ergeben (Randnrn. 27 bis 32). Anschließend prüft der Gerichtshof, ob die Voraussetzungen für die Verhängung eines Zwangsgelds vorliegen, insbesondere, ob die gerügte Vertragsverletzung bis zur Prüfung des Sachverhalts durch ihn angedauert hat (Randnrn. 33 bis 46). Siehe auch die Urteile vom 12. Juli 2005, Kommission/Frankreich (C‑304/02, Slg. 2005, I‑6263, Randnrn. 30 und 31), und Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 7, Randnrn. 20 und 21).
34 – Urteil vom 10. März 1987 in der Rechtssache 199/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 1039, Randnr. 16).
35 – Urteile Kommission/Italien (zitiert in Fn. 31, Randnr. 41), und Kommission/Griechenland (zitiert in Fn. 24, Randnr. 73).
36 – Urteil Kommission/Italien (zitiert in Fn. 31, Randnr. 41) sowie Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 26. Januar 2006 in derselben Rechtssache (Nr. 24) und Urteil Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 33, Randnr. 56). Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtsache Kommission/Griechenland (zitiert in Fn. 24, Nr. 77) obliegt dem Mitgliedstaat in einem Verfahren nach Art. 228 EG die Beweislast dafür, dass dem Vertragsverletzungsurteil in angemessener Weise nachgekommen worden ist.
37 – Siehe auch Heuvels, K., Fortwirkender Richtlinienverstoß nach De-facto-Vergaben, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht, 6. Jahrgang (2005), Heft 1, S. 32; Bitterich, K., Kein „Bestandsschutz“ für vergaberechtswidrige Verträge gegenüber Aufsichtsmaßnahmen nach Artikel 226 EG, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht, 16. Jahrgang (2005), Heft 4, S. 164; derselbe, Bitterich, K., Kündigung vergaberechtswidrig zu Stande gekommener Verträge durch öffentliche Auftraggeber, Neue Juristische Wochenschrift 26/2006, S. 1845; Prieß, G., Beendigung des Dogmas durch Kündigung: Keine Bestandsgarantie für vergaberechtswidrige Verträge, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2006, S. 220; Kalbe, P., Kommentar zum Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 2003, S. 567; Griller, S., Qualifizierte Verstöße gegen das Vergaberecht – Der Fall St. Pölten, ecolex, 2000, S. 8; Hintersteininger, M., Fehlerhafte Anwendung des EG-Vergaberechts am Beispiel St. Pölten – Zum Urteil des EuGH vom 28. 10. 1999, Österreichische Juristen-Zeitung 2000, S. 634.
38 – Siehe Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 16, Randnr. 12) unter Verweis auf das Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 34 bis 37) sowie Urteil Kommission/Österreich (zitiert in Fn. 18, Randnr. 57) und Urteil vom 31. März 1993, Kommission/Italien (C‑362/90, Slg. 1993, I‑2353, Randnrn. 11 und 13).
39 – Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 16, Randnr. 12 f.). So schon angedeutet im Urteil Kommission/Österreich (zitiert in Fn. 18, Randnr. 44).
40 – Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in den verbundenen Rechtssachen Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 2, Nr. 57).
41 – Die Bundesrepublik Deutschland hat von dieser Ermächtigung durch den Erlass von § 114 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Art. 132 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407), Gebrauch gemacht. Nach dieser Bestimmung kann ein bereits erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Ein durch einen Verstoß gegen eine Schutznorm des Vergaberechts geschädigtes Unternehmen hat gemäß § 126 dieses Gesetzes Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens.
42 – Urteile vom 2. Dezember 1986, Kommission/Belgien (239/85, Slg. 1986, 3645, Randnr. 13), vom 2. Dezember 1989, Kommission/Italien (42/80, Slg. 1989, 3635, Randnr. 4), und vom 14. Mai 2002, Kommission/Deutschland (C‑383/00, Slg. 2002, I‑4219, Randnr. 18).
43 – In Mitgliedstaaten mit romanischer Rechtstradition unterliegt das Auftragswesen vollständig dem öffentlichen Recht. So sind in Frankreich, Spanien und Portugal sowohl das Vergabeverfahren als auch der Vertrag zwischen öffentlichem Auftraggeber und Auftragnehmer dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Folgerichtig kommen für die Regelung von Streitigkeiten sowohl aus dem Vergabeverfahren als auch aus dem Vertrag nur die Verwaltungsgerichte bzw. der Staatsrat in Betracht. Der Zuschlag ist somit ein Verwaltungsakt. Im Gegensatz dazu ist der Zuschlag nach deutschem Vergaberecht die zivilrechtliche Annahme eines Angebots. Der Zuschlag vollzieht sich meist in Form eines Auftrags- bzw. Bestätigungsschreibens (Seidel, I., in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU‑Wirtschaftsrechts, H. IV., Randnrn. 8, 9).
44 – Schlussanträge des Generalanwalts Alber in der Rechtssache Kommission/Österreich (zitiert in Fn. 18, Nr. 83).
45 – Kalbe, P., Kommentar zum Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003 in den verbundenen Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht, 2003, S. 567, ist der Auffassung, dass es zum Zweck der Feststellung und Beschreibung des Vertragsverstoßes im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG nicht auf das Schicksal der streitigen Verträge ankam. Dementsprechend habe das Urteil nicht ausdrücklich zur Frage des Schicksals der Verträge Stellung genommen. Allerdings umschreibe das Urteil deutlich, dass der gerügte Verstoß nur durch Rückabwicklung der Verträge und eine neue Ausschreibung ausgeräumt werden könne; siehe auch Gjørtler, P., Varemærker og udbud, Lov & ret, Juni 2003, S. 33, der eine entsprechende Kündigungspflicht aus dem Prinzip der Gemeinschaftstreue in Art. 10 EG ableitet.
46 – Leffler, H., Damages liability for breach of EC procurement law: governing principles and practical solutions, Public Procurement Law Review, Nr. 4, 2003, S. 152, 153; Pachnou, D., Enforcement of the EC procurement rules: the standards required of national review systems under EC law in the context of the principle of effectiveness, Public Procurement Law Review, Nr. 2, 2000, S. 69.
47 – Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) zielt das sekundärrechtliche Vergaberecht auf eine effektive Verwirklichung der unternehmerischen Grundfreiheiten ab. Ähnliches ist den Erwägungsgründen der hier anwendbaren Richtlinien 92/50 und 89/665 zu entnehmen. Die Vergaberichtlinien sind mithin als Ausprägung der Grundfreiheiten zu begreifen. Sie wurden erlassen, um die Wirksamkeit der Grundfreiheiten und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den gemeinschaftsweiten Wettbewerb zu garantieren. Auch der Gerichtshof hat früh klargestellt, dass die Vergaberichtlinien – und damit das Vergaberecht an sich – die tatsächliche Verwirklichung der Grundfreiheiten zum Ziel haben. Siehe Urteile Kommission/Italien (zitiert in Fn. 34, Randnr. 12), vom 12. Februar 1982, Kommission/Luxemburg (76/81, Slg. 1982, 417, Randnr. 7), vom 3. Oktober 2000, University of Cambridge (C‑380/98, Slg. 2000, I‑8035, Randnr. 16), und vom 18. Oktober 2001, SIAC (C‑19/00, Slg. 2001, I‑7725, Randnr. 32).
48 – Bitterich, K., Kein „Bestandsschutz“ für vergaberechtswidrige Verträge gegenüber Aufsichtsmaßnahmen nach Artikel 226 EG, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht, 16. Jahrgang (2005), S. 165; Frenz, W., Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2007, Randnr. 3394 f., S. 1015; Griller, S., Qualifizierte Verstöße gegen das Vergaberecht – Der Fall St. Pölten, ecolex, 2000, S. 8, ist der Ansicht, dass eine entsprechende Pflicht zur Rückabwicklung vergaberechtswidriger Verträge aus bestimmten Umständen resultieren kann, allerdings nur, soweit die vertraglichen Beziehungen mit dem zum Zuge gekommenen Bieter eine solche Rückabwicklung zulassen.
49 – Fernández Martín, J. M., The EC Public Procurement Rules: A Critical Analysis, Clarendon Press, Oxford 1996, S. 157, zu den Risiken einer unumkehrbaren Gemeinschaftsrechtsverletzung, wenn ein Mitgliedstaat durch eigenes Handeln vollendete Tatsachen schafft; Arrowsmith, S., Enforcing the Public Procurement Rules: Legal Remedies in the Court of Justice and the National Courts, Remedies for enforcing the public procurement rules, 1993, S. 16, ist der Auffassung, dass das Fehlen einer solchen Aufhebungsmöglichkeit die Bereitschaft der Behörden mindern könnte, sich an das Vergaberecht zu halten. Es bestehe die Gefahr, dass Verträge unter Verstoß gegen die Bekanntgabepflicht abgeschlossen werden könnten, um Bieter zu entmutigen und ihre Rechtsschutzmöglichkeiten einzuschränken.
50 – Bitterich, K., Kündigung vergaberechtswidrig zu Stande gekommener Verträge durch öffentliche Auftraggeber, Neue Juristische Wochenschrift, 26/2006, S. 1846.
51 – Pachnou, D., Enforcement of the EC procurement rules: the standards required of national review systems under EC law in the context of the principle of effectiveness, Public Procurement Law Review, Nr. 2, 2000, S. 57, 58.
52 – Hintersteininger, M., Fehlerhafte Anwendung des EG-Vergaberechts am Beispiel St. Pölten – Zum Urteil des EuGH vom 28. 10.1999, Österreichische Juristen-Zeitung, 2000, 55. Jahrgang, Heft 17, S. 633, 634, versteht Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/655 als eine Begrenzungsmöglichkeit staatlicher Haftung, die nur für das Verhältnis zwischen Mitgliedstaat und übergangenem Bieter von Bedeutung sei. Diese Bestimmung sei daher als Ausnahmeregelung anzusehen. Ferner sei die Richtlinie als bloße Norm des Sekundärrechts nicht geeignet, die grundsätzliche Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Herstellung eines gemeinschaftsrechtskonformen Zustands zu beschränken.
53 – Fernández Martín, J. M., The EC Public Procurement Rules: A Critical Analysis, Clarendon Press, Oxford 1996, S. 213, und Pachnou, D., Enforcement of the EC procurement rules : the standards required of national review systems under EC law in the context of the principle of effectiveness, Public Procurement Law Review, Nr. 2, 2000, S. 65, sprechen von der Gewährung von Schadensersatz als der zweitbesten Alternative zur Erfüllung in specie; Hintersteininger, M., Fehlerhafte Anwendung des EG-Vergaberechts am Beispiel St. Pölten – Zum Urteil des EuGH vom 28. 10.1999, Österreichische Juristen-Zeitung, 2000, 55. Jahrgang, Heft 17, S. 634, bezeichnet die bloße Leistung eines in Geld bemessenen Schadensersatzes als defiziente Form der Wiedergutmachung. Ihrer Ansicht nach kann der Grundsatz, wonach die restitutio in integrum dem pekuniären Schadensersatz vorzuziehen ist, als allgemeiner Rechtsgrundsatz gelten.
54 – Leffler, H., Damages liability for breach of EC procurement law: governing principles and practical solutions, Public Procurement Law Review, Nr. 4, 2003, S. 160, weist auf die geringen Chancen eines Bieters hin, bei einer Schadensersatzklage wegen des Verlusts eines öffentlichen Auftrags zu obsiegen; Fernández Martín, J. M., The EC Public Procurement Rules: A Critical Analysis, Clarendon Press, Oxford 1996, S. 214, erinnert daran, dass in den meisten Mitgliedstaaten der Beweis erbracht werden muss, dass der Kläger den Zuschlag bekommen hätte oder dass er zumindest eine ernst zu nehmende Chance hatte, ihn zu erhalten. Wenn dieser Beweis nicht erbracht wird, lehnen die Gerichte die Gewährung von Schadensersatz ab. Der Autor ist der Auffassung, es sei unwahrscheinlich, dass ein Kläger diese Hürde überwinden könne.
55 – Arrowsmith, S., Enforcing the Public Procurement Rules: Legal Remedies in the Court of Justice and the National Courts, Remedies for enforcing the public procurement rules, 1993, S. 8, hält es für möglich, dass ein Mitgliedstaat infolge eines Vertragsverletzungsverfahrens vom Gerichtshof auch zur Aufhebung eines vergaberechtswidrigen Vertrags verpflichtet wird.
56 – In seinem Urteil vom 20. Dezember 2005 (Az. 33 O 16465/05) hat das Landgericht München I die außerordentliche Kündigung eines nicht ausgeschriebenen Transportvertrags durch die Stadt München unter Berufung auf § 313 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und eine vertragliche „Loyalitätsklausel“ für zulässig angesehen, da nach einem vorangegangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in dem diesen Fall betreffenden Vertragsverletzungsverfahren (Urteil des Gerichtshofs vom 18. November 2004, Kommission/Deutschland, zitiert in Fn. 8) ein Festhalten am Vertrag für die Stadt unzumutbar geworden sei. Zustimmend Prieß, G., Beendigung des Dogmas durch Kündigung: Keine Bestandsgarantie für vergaberechtswidrige Verträge, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht, 2006, Heft 4, S. 221. Bei Dauerschuldverhältnissen kommt eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB in Frage.
57 – Urteile Kommission/Griechenland (zitiert in Fußnote 24, Randnr. 89), und vom 25. November 2003, Kommission/Spanien (C‑278/01, Slg. 2003, I‑14141, Randnr. 41).
58 – Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in der Rechtssache Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 33, Nr. 84).
59 – Urteil Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 33, Randnrn. 80 und 81).
60 – Karpenstein, P./Karpenstein, U., in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band III, Art. 228 EGV, Randnr. 28; Bonnie, A., Commission Discretion under Article 171 (2) E.C., European law review, Heft 6 (1998), S. 547. Burgi, M., in: Handbuch des Rechtsschutzes der Europäischen Union (Hrsg. Rengeling/Middeke/Gellermann), 2. Auflage, C. H. Beck, München 2003, § 6, Randnr. 49.
61 – Karpenstein, P./Karpenstein, U., in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band III, Art. 228 EGV, Randnr. 28; Gaitanides, C., Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, von der Groeben/Schwarz (Hrsg.), Art. 228 EG, hält einen solchen Fall für gegeben, wenn der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil erst verspätet nachgekommen ist, die neue Klage aber noch nicht beim Gerichtshof anhängig ist oder das gerichtliche Verfahren noch nicht beendet ist.
62 – Candela Castillo, J., La loi européenne, désormais mieux protégée – Quelques réflexions sur la première décision de la Commission demandant à la Cour de Justice de prononcer une sanction pécuniaire au sens de l´article 171 du Traité à l´encontre de certains États membres pour violation du droit communautaire, Revue du Marché Unique Européen, Heft 1 (1997), S. 20, 21.
63 – Karpenstein, P./Karpenstein, U., in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band III, Art. 228 EGV, Randnr. 28; Díez Hochleitner, J., Le traité de Maastricht et l´inexécution des arrêts de la Cour de Justice par les États membres, Revue du Marché Unique Européen, Heft 2 (1994), S. 140; Bonnie, A., Commission Discretion under Article 171 (2) E.C., European Law Review, Heft 6 (1998), S. 547; Burgi, M., in: Handbuch des Rechtsschutzes der Europäischen Union (Hrsg. Rengeling/Middeke/Gellermann), 2. Auflage, C. H. Beck, München 2003, § 6, Randnr. 51.
64 – Karpenstein, P./Karpenstein, U., in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band III, Art. 228 EGV, Randnr. 28, sind der Auffassung, dass ein Pauschalbetrag dem Zwangsgeld dann vorzuziehen sei, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine „symbolische“ Sanktion des vertragsbrüchigen Mitgliedstaats verlange, etwa weil absehbar sei, dass der Mitgliedstaat seinen Vertragsverstoß noch vor Erlass des Urteils regularisieren werde.