SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO TIZZANO

vom 17. November 20051(1)

Rechtssache C-473/04

Plumex

gegen

Young Sports NV

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van Cassatie [Belgien])

„Verordnung Nr. 1348/2000 – Zustellung gerichtlicher Schriftstücke in den Mitgliedstaaten – Formen – Vielfalt – Zustellung durch die von den Mitgliedstaaten benannten Stellen – Zustellung durch die Post – Vorrang einer Form bei Kumulierung“





1.     Der belgische Hof van Cassatie hat mit Urteil vom 22. Oktober 2004 dem Gerichtshof gemäß den Artikeln 68 EG und 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (im Folgenden: Verordnung Nr. 1348/2000 oder einfach Verordnung)(2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.     Im Kern möchte das belgische Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 1348/2000 eine Rangordnung zwischen den verschiedenen Formen der Zustellung aufstellt, die sie vorsieht. Insbesondere möchte das Gericht wissen, ob die Zustellung durch die von den Mitgliedstaaten benannten Stellen Vorrang vor der Zustellung unmittelbar durch die Post hat und daher im Fall der kumulativen Verwendung dieser beiden Formen für die Feststellung des Zeitpunkts der Bewirkung der Zustellung maßgeblich ist.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

3.     Aufgrund der Erwägung, dass für „das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts … die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und beschleunigt werden [muss]“ (zweite Begründungserwägung), hat der Rat die Verordnung Nr. 1348/2000 erlassen.

4.     Die Verordnung sieht in Kapitel II verschiedene Formen der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in einem Mitgliedstaat vor, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammen.

5.     Die erste Form ist die Zustellung durch von den Mitgliedstaaten hierfür benannte Stellen, die für die Übersendung und die Entgegennahme der in Rede stehenden Schriftstücke zuständig sind (im Folgenden: Zustellung über benannte Stellen). Die Einzelheiten dieser Form regelt die Verordnung eingehend (Abschnitt 1, Artikel 4 bis 11). Zusammenfassend ist zu sagen, dass das zu übermittelnde Schriftstück auf der Grundlage eines Formblatts abgefasst und ordnungsgemäß übersetzt und dann von der Übermittlungsstelle eines Mitgliedstaats der Empfangsstelle eines anderen Mitgliedstaats übersandt wird. Die Empfangsstelle übersendet der Übermittlungsstelle die entsprechende Empfangsbestätigung und bewirkt oder veranlasst die Zustellung nach dem Recht ihres Staates. Sie erstellt dann eine Bescheinigung über die vorgenommenen Förmlichkeiten, die der Übermittlungsstelle zu übersenden ist.

6.     Neben dieser ersten Form sieht die Verordnung „andere Arten“ der Zustellung vor (Abschnitt 2), als da sind: i) die Zustellung auf konsularischem oder diplomatischem Weg (Artikel 12 und 13), ii) die unmittelbare Zustellung durch die Post (Artikel 14, im Folgenden: Zustellung durch die Post) und iii) die unmittelbare Zustellung (Artikel 15).

7.     Soweit hier erheblich, sei insbesondere auf Artikel 14, der die Zustellung durch die Post betrifft, hingewiesen, der Folgendes bestimmt:

„(1) Jedem Mitgliedstaat steht es frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen.

(2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 die Bedingungen bekannt geben, unter denen er eine Zustellung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post zulässt.“

8.     Portugal hat erklärt, die Zustellung von Schriftstücken durch die Post zuzulassen, sofern die Zustellung per Einschreiben mit Rückschein erfolgt und eine Übersetzung gemäß der Verordnung beigefügt ist(3).

B –    Nationales Recht

9.     Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens sei darauf hingewiesen, dass gemäß Artikel 1051 Absatz 1 des belgischen Gerichtsgesetzbuchs (im Folgenden: Gesetzbuch) die Frist für die Einlegung einer Berufung einen Monat von der Zustellung des Urteils an beträgt. Nach Artikel 55 des Gesetzbuchs kann diese Frist um 30 Tage verlängert werden, wenn die Person, der das Urteil zugestellt worden ist, in Belgien weder ihren Wohnort noch ihren Wohnsitz hat.

10.   Ferner sei Artikel 40 Absatz 1 erwähnt, wonach die Zustellung durch die Post als durch die Aufgabe des Schriftstücks beim Postamt bewirkt gilt.

II – Sachverhalt und Verfahren

11.   Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist in der Vorlageentscheidung eher bruchstückhaft beschrieben.

12.   Dieser Entscheidung lässt sich allerdings entnehmen, dass sich im Ausgangsverfahren zwei Unternehmen gegenüberstehen: das portugiesische Unternehmen Plumex und das belgische Unternehmen Young Sports NV.

13.   Im Verfahren des ersten Rechtszugs vor der Rechtbank van Koophandel Kortrijk erwirkte Young Sports NV ein für sie günstiges Urteil, das sie der Gegenpartei auf zwei verschiedenen Wegen zustellen ließ.

14.   Eine erste Zustellung erfolgte unmittelbar durch die Post im Sinne von Artikel 14 der Verordnung. Konkret gab Young Sports NV die Zustellungsurkunde am 12. Oktober 2001 bei der Post auf, während Plumex die Empfangsbestätigung am 17. Oktober 2001 zurücksandte.

15.   Eine zweite Zustellung, die über die benannten Stellen Belgiens und Portugals erfolgte, wurde am 6. November 2001 bewirkt.

16.   Gegen das auf diese Weise zugestellte Urteil legte Plumex am 17. Dezember 2001 beim Hof van Beroep Rechtsmittel ein. Dieses Rechtsmittel wurde jedoch als unzulässig zurückgewiesen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts begann nämlich die Frist für die Anfechtung des Urteils der ersten Instanz am Tag nach der Bewirkung der ersten Zustellung (der Zustellung durch die Post vom 12. Oktober 2001) und lief einen Monat und 30 Tage später, am 11. Dezember 2001, ab. Die Berufung vom 17. Dezember 2001 sei daher als verspätet zu betrachten.

17.   Plumex, die mit diesen Erwägungen nicht einverstanden war, erhob dagegen Kassationsbeschwerde.

18.   Insbesondere rügte die Kassationsbeschwerdeführerin, dass in der Entscheidung des Hof van Beroep im vorliegenden Fall der durch die Post erfolgten Zustellung Vorrang eingeräumt worden sei. Nach der durch die Verordnung eingeführten Systematik sei diese nämlich ein „sekundärer“ Weg, auf den nur unter besonderen Umständen zurückgegriffen werden könne; auf jeden Fall sei dieser Weg gegenüber dem prinzipiellen Weg, der in der nach den Artikeln 4 bis 11 geregelten Zustellung bestehe, subsidiär, und daher sei für die Ermittlung des Beginns der Frist auf den letztgenannten Weg abzustellen, auch wenn die Zustellung durch die anderen zulässigen Instrumente durchgeführt worden sei. Daher habe im vorliegenden Fall die Rechtsmittelfrist erst am 6. November (Zeitpunkt der „prinzipiellen“ Zustellung) und nicht am 12. Oktober 2001 (Zeitpunkt der „subsidiären“ Zustellung) begonnen.

19.   Der Hof van Cassatie hat Zweifel in Bezug auf die Auslegung der Verordnung Nr. 1348/2000; er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist die Zustellung nach den Artikeln 4 bis 11 die Hauptart der Zustellung und die Zustellung unmittelbar durch die Post nach Artikel 14 eine subsidiäre Zustellungsart in dem Sinne, dass die erstgenannte Art gegenüber der anderen Art vorrangig ist, wenn beide gemäß den gesetzlichen Bestimmungen durchgeführt werden?

2.      Beginnt, wenn eine Zustellung nach den Artikeln 4 bis 11 mit einer Zustellung unmittelbar durch die Post nach Artikel 14 zusammentrifft, die Berufungsfrist für den Zustellungsempfänger mit dem Datum der Zustellung nach den Artikeln 4 bis 11 und nicht mit dem Datum der Zustellung nach Artikel 14?

20.   In dem auf diese Weise eingeleiteten Verfahren haben die Regierungen Österreichs, Finnlands, Schwedens und des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

III – Rechtliche Prüfung

Zur ersten Frage

21.   Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob zwischen der durch die benannten Organe der Mitgliedstaaten veranlassten Zustellung, die in den Artikeln 4 bis 11 der Verordnung geregelt ist, und der Zustellung durch die Post im Sinne von Artikel 14 der Verordnung eine Rangordnung von der Art besteht, dass die Erstgenannte als prinzipielle Art und die Letztgenannte als nachrangige oder subsidiäre Art zu betrachten ist.

22.   Ich möchte sogleich in Übereinstimmung mit sämtlichen am Verfahren beteiligten Regierungen und der Kommission feststellen, dass die Frage meines Erachtens zu verneinen ist. Ich stelle also fest, dass keine Rangordnung zwischen den beiden erwähnten Zustellungsformen besteht und dass daher die Zustellung durch die Post alternativ oder zusätzlich zu den anderen zugelassenen Arten verwendet werden kann, ohne dass es deshalb nötig wäre, die fruchtlose Anwendung dieser Arten, insbesondere der durch die benannten Stellen der Mitgliedstaaten vermittelten Zustellung, abzuwarten.

23.   Dieser auch von der überwiegenden Lehre unterstützte Standpunkt wird durch Argumente wörtlicher und teleologischer Art gestützt.

24.   Was die Erstgenannten angeht, so genügt der Hinweis, dass die Verordnung keine Bestimmung enthält, die eine Ordnung des Vorrangs zwischen den verschiedenen vorgesehenen Zustellungsarten vorsieht. Vielmehr stellt es Artikel 14 Absatz 1 den Mitgliedstaaten „frei“, „Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen“. Überdies ist diese Möglichkeit in keiner Weise von der vorherigen Anwendung der anderen Arten, insbesondere der in den Artikeln 4 bis 11 geregelten Art, abhängig.

25.   Außerdem scheint mir dieses Ergebnis mit dem Ziel der Verordnung Nr. 1348/2000 in Einklang zu stehen, das darin besteht, dass „die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und beschleunigt“ [wird] (zweite Begründungserwägung).

26.   Dieses Ziel dürfte meines Erachtens nämlich kaum mit einer Lösung vereinbar sein, die der Zustellung durch die von den Staaten benannten Stellen den Vorrang einräumte, da diese ihrer Natur nach (vgl. oben, Nr. 5) sicherlich nicht das schnellste Verfahren ist. Und umgekehrt wäre es mit diesem Ziel noch weniger vereinbar, der Zustellung durch die Post, die demgegenüber die schnellste und kostengünstigste Art ist (vgl. oben, Nr. 6), eine lediglich subsidiäre Rolle beizumessen, wenn man sich einmal dafür entschieden hat, sie in vollem Umfang zuzulassen.

27.   Logischer und mit der erwähnten Zielsetzung besser vereinbar erscheint daher die gegenteilige Auslegung der Verordnung, die die verschiedenen zulässigen Arten der Zustellung auf eine Stufe stellt und es damit den Einzelnen ermöglicht, sich für die Verwendung einer dieser Arten zu entscheiden, wobei sie jeweils derjenigen den Vorzug geben, die sie für die geeignetste und ihren besonderen Zwecken am besten angepasste halten, oder auch sie gemeinsam zu nutzen in der Erwartung, dass zumindest eine dieser Arten zu einem guten Abschluss führt(4).

28.   Aus den dargelegten Gründen gelange ich daher zu dem Ergebnis, dass die Verordnung Nr. 1348/2000 keine Rangordnung zwischen der Zustellung im Sinne der Artikel 4 bis 11 und der Zustellung durch die Post im Sinne von Artikel 14 einführt.

Zur zweiten Frage

29.   Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht Auskunft darüber erhalten, welche Zustellungsart bei Zusammentreffen der Zustellung im Sinne der Artikel 4 bis 11 und der Zustellung durch die Post für die Bestimmung des Zeitpunkts der Zustellung heranzuziehen ist.

30.   Die Kommission und die österreichische Regierung führen zu Recht aus, dass die Verordnung zu diesem Punkt schweigt, und leiten daraus her, dass die Antwort auf die Frage nicht in der Verordnung, sondern in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen zu suchen ist. Beim Zusammentreffen müsse daher für die Bestimmung, welche Zustellung eine bestimmte Verfahrensfrist in Gang setzt (im vorliegenden Fall die Berufungsfrist), auf die Angaben zurückgegriffen werden, die sich in Bezug darauf dem jeweils anwendbaren nationalen Recht entnehmen ließen.

31.   Mir scheint jedoch, dass diese Lösung mit der Entwicklung, die im einschlägigen Bereich in den letzten Jahren eingetreten ist und die nicht nur zu dessen fortschreitender „Vergemeinschaftung“, sondern sogar zu seiner Regelung durch Verordnung geführt hat, wenig kohärent wäre.

32.   Bekanntlich haben die Mitgliedstaaten, nachdem sie die Absicht bekannt gegeben haben, einen gemeinsamen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit“ zu schaffen, beschlossen, die in diesem Zusammenhang für die Mechanismen und die Grundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung notwendigen Maßnahmen in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu „verankern“. Mit anderen Worten, sie haben den Willen kundgegeben, den Bereich zu „vergemeinschaften“ und damit eine „autonome Auslegung“ und eine „einheitliche Anwendung“ der einschlägigen Regelung zu gewährleisten(5).

33.   Zur Verfolgung dieser Absicht hat der Vertrag von Amsterdam die Zuständigkeit zum Erlass von Maßnahmen im Bereich der gerichtlichen Zusammenarbeit in Zivilsachen von der „dritten Säule“ der Europäischen Union, Titel VI EU‑Vertrag (Artikel K bis K9), auf die „gemeinschaftliche Säule“ übertragen. Konkret in diesem Zusammenhang hat ein eigener Gemeinschaftsrechtsakt die Bestimmungen des vom Rat im Rahmen der „dritten Säule“ (hauptsächlich im Sinne von Artikel K.3 EU‑Vertrag) vorgeschlagenen Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil‑ oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das mangels der notwendigen Zahl von Ratifizierungen niemals in Kraft getreten ist(6), übernommen.

34.   Damit nicht genug, ist dieser Rechtsakt auch keine Richtlinie, wie dies die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte(7). Der Rat wich nämlich von diesem Vorschlag ab und folgte der anderen Ansicht des Europäischen Parlaments, das das Erfordernis einer zügigen und klaren und vor allem einheitlichen Umsetzung der einschlägigen Bestimmungen hervorhob(8), und zog es daher vor, diesen Bestimmungen die Form einer Verordnung beizulegen, also eines Rechtsakts, der bekanntlich in allen seinen Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Daher wurde die Verordnung Nr. 1348/2000 erlassen, um deren Auslegung jetzt ersucht wird.

35.   In dieser Hinsicht scheint mir allerdings, dass, auch wenn der Wortlaut dazu nichts enthält, nicht, wie dies häufig geschieht(9), von einer Prüfung der Frage abgesehen werden kann, ob diesem eine „gemeinschaftliche“ Auslegung, also eine „autonome“ und „einheitliche“ Auslegung gegeben werden kann, statt dass jeweils im Einzelfall auf die einzelnen nationalen Rechtsordnungen Rückgriff genommen wird.

36.   Mit den Regierungen Finnlands, Schwedens und des Vereinigten Königreichs bin ich der Ansicht, dass bei einer logischen Auslegung der in Rede stehenden Verordnung im Hinblick auf deren angegebene Ziele eine Auslegung dieser Art nicht ausgeschlossen werden kann.

37.   Wie wir soeben gesehen haben, soll durch diese Verordnung erklärtermaßen die Übermittlung gerichtlicher Schriftstücke in Zivil‑ oder Handelssachen zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck der Zustellung „verbessert“ und „beschleunigt“ werden (zweite Begründungserwägung).

38.   Unter diesem Gesichtspunkt ist die Annahme völlig logisch, dass die Verordnung dadurch, dass sie den rechtmäßigen Rückgriff auf die angegebenen verschiedenen Zustellungsmethoden zugelassen hat, ohne zwischen diesen eine Rangordnung einzuführen, das System durch das Angebot einer größeren Palette von Möglichkeiten verbessern wollte. Aber gerade aus diesem Grund ist überdies anzunehmen, dass sie nicht die Gefahr von Verwirrung und Unsicherheit dadurch erhöhen wollte, dass sie einen Wettbewerb zwischen diesen Methoden in Bezug auf die Festlegung des Zeitpunkts der Zustellung herbeiführen wollte. Dies würde jedoch gerade dann eintreten, wenn, ohne dass die Verordnung eine weitere Angabe in dieser Hinsicht enthält, das natürliche und logische Kriterium in Frage gestellt würde, wonach für die Bestimmung des in Rede stehenden Zeitpunkts die erste gültig bewirkte Zustellung heranzuziehen ist.

39.   Was sodann das Ziel der „Beschleunigung“ der Übermittlung der Schriftstücke angeht, so scheint mir, dass dem Ziel der Schnelligkeit und Wirksamkeit der Zustellung dient, wenn nach der Feststellung, dass keine Rangordnung zwischen den verschiedenen Methoden besteht, für den Vorrang zwischen diesen auf den Zeitpunkt der Zustellung und nicht auf die gewählte Form abgestellt wird. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass für die vorliegenden Zwecke die Zustellung zu berücksichtigen ist, die unter Wahrung der vorgeschriebenen Formen am schnellsten bewirkt worden ist, und nicht diejenige, die, aus welchem Grund auch immer, später eingetreten ist.

40.   Aus allen diesen Gründen bin ich der Ansicht, dass die Verordnung Nr. 1348/2000 dahin auszulegen ist, dass beim Zusammentreffen von Zustellungen, von denen die eine gemäß den Artikeln 4 bis 11 und die andere unmittelbar durch die Post im Sinne von Artikel 14 durchgeführt worden ist, ein gerichtliches Schriftstück als zugestellt zu betrachten ist, sobald die erste Zustellung ordnungsgemäß bewirkt worden ist.

IV – Ergebnis

41.   Nach allem schlage ich vor, auf die Fragen des Hof van Cassatie wie folgt zu antworten:

1.      Die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten begründet weder eine Rangordnung noch eine Ordnung des Vorrangs zwischen der Zustellung gemäß den Artikeln 4 bis 11 und der Zustellung unmittelbar durch die Post gemäß Artikel 14.

2.      Die Verordnung Nr. 1348/2000 ist dahin auszulegen, dass beim Zusammentreffen von Zustellungen, von denen die eine gemäß den Artikeln 4 bis 11 und die andere unmittelbar durch die Post gemäß Artikel 14 durchgeführt wurde, ein gerichtliches Schriftstück als zugestellt zu betrachten ist, sobald die erste Zustellung ordnungsgemäß bewirkt worden ist.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – ABl. L 160, S. 37.


3 – Vgl. Angaben der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. C 151 vom 22. Mai 2001, S. 4) in der durch die Erste Aktualisierung der Angaben der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. C 202 vom 18. Juli 2001, S. 10) geänderten Fassung.


4 – Es sei bemerkt, dass eine Studie über die Anwendung der Verordnung Nr. 1348/2000, die von der Kommission in Auftrag gegeben worden war, „bestätigt, dass die Schriftstücke häufig direkt durch die Post zugestellt werden“ (vgl. Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung [EG] Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM[2004] 603, S. 7).


5 – Vgl. Urteil vom 8. November 2005 in der Rechtssache C-443/03 (Leffler, Slg. 2005, I-0000, Randnrn. 45 und 46).


6 – Siehe Rechtsakt des Rates vom 26. Mai 1997, der das Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil‑ oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union festlegt (ABl. C 261, S. 1). Der Vollständigkeit halber möchte ich noch daran erinnern, dass dieser Bereich bereits vor diesem Übereinkommen Gegenstand internationaler Übereinkünfte, insbesondere des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil‑ und Handelssachen, war, das auch von der Mehrheit der Mitgliedstaaten der Union unterzeichnet worden war.


7 – Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, vorgelegt von der Kommission (ABl. 1999, C 247 E, S. 11).


8 ‑ In seinem Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten ([1999] 219 – C5‑0044/1999 – 1999/0212[CNS], S. 5) hob das Parlament hervor: „Durch die Verordnung wird – im Gegensatz zur Richtlinie – eher gewährleistet, dass der gemeinschaftliche Rechtsakt zügig, klar und einheitlich umgesetzt wird, was dem gesetzten Ziel entspricht.“


9 – Vgl. Urteil Leffler, angeführt in Fußnote 5.