SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 26. Oktober 20061(1)

Rechtssache C‑391/04

Ypourgos Oikonomikon,

Proïstamenos DOY Amfissas

gegen

Charilaos Georgakis

(Vorabentscheidungsersuchen des Symvoulio tis Epikrateias [Griechenland])

„Insidergeschäfte – Richtlinie 89/592/EWG – Geschäfte mit an der Börse notierten Wertpapieren – Begriffe ‚Insider-Information‘ und ‚Ausnutzung einer Insider-Information‘“





I –    Einleitung

1.        In der vorliegenden Rechtssache hat das Symvoulio tis Epikrateias (griechischer Staatsrat) dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte(2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.        Konkret wird der Gerichtshof um Auslegung der Begriffe des Besitzes und der „Ausnutzung“ einer Insider-Information im Sinne der Richtlinie 89/592 ersucht.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

3.        Im Hinblick auf die wichtige Rolle, die der Sekundärmarkt für Wertpapiere bei der Finanzierung der Wirtschaftssubjekte spielt, wird in der vierten Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 ausgeführt, dass das reibungslose Funktionieren dieses Marktes weitgehend von dem Vertrauen der Anleger abhängt.

4.        Nach der fünften Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 beruht dieses Vertrauen u. a. auf der den Anlegern gegebenen Zusicherung, dass sie gleichgestellt sind und dass sie gegen die unrechtmäßige Verwendung einer Insider-Information geschützt werden.

5.        Nach Artikel 1 Ziffer 1 der Richtlinie 89/592 ist „Insider-Information“ „eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieses Wertpapiers oder dieser Wertpapiere beträchtlich zu beeinflussen“.

6.        In Artikel 1 Ziffer 2 werden „Wertpapiere“ u. a. definiert als „Aktien und Schuldverschreibungen sowie Effekten, die mit Aktien und Schuldverschreibungen vergleichbar sind …, wenn sie zum Handel auf einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen reglementiert und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und der Öffentlichkeit direkt oder indirekt zugänglich ist“.

7.        Artikel 2 der Richtlinie 89/592 sieht vor:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat untersagt den Personen, die

–        als Mitglieder eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Emittenten,

–        durch ihre Beteiligung am Kapital des Emittenten oder

–        aufgrund ihrer Arbeit, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben zu dieser Information Zugang haben,

über eine Insider-Information verfügen, unter Ausnutzung derselben in Kenntnis der Sache für eigene oder fremde Rechnung entweder selbst oder indirekt die Wertpapiere des bzw. der von dieser Information betroffenen Emittenten zu erwerben oder zu veräußern.

(2)      Sofern es sich bei den in Absatz 1 genannten Personen um Gesellschaften oder andere juristische Personen handelt, gilt das dort ausgesprochene Verbot für die natürlichen Personen, die an dem Beschluss beteiligt sind, das Geschäft für Rechnung der betreffenden juristischen Person zu tätigen.

(3)       Das in Absatz 1 vorgesehene Verbot gilt für jeden Erwerb und jede Veräußerung von Wertpapieren, die unter Einschaltung eines Berufshändlers erfolgen.

Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, dass dieses Verbot nicht für den Erwerb oder die Veräußerung von Wertpapieren gilt, die ohne Einschaltung eines Berufshändlers außerhalb eines Wertpapiermarktes im Sinne von Artikel 1 Ziffer 2 letzter Satzteil erfolgen.

…“

8.        Artikel 3 der Richtlinie 89/592 verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Personen, die dem Verbot nach Artikel 2 der Richtlinie unterliegen und über eine Insider-Information verfügen, zu untersagen,

„a)      diese Insider-Information an einen Dritten weiterzugeben, soweit dies nicht in einem normalen Rahmen in Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufes oder in Erfüllung ihrer Aufgaben geschieht;

b)      auf der Grundlage dieser Insider-Information einem Dritten zu empfehlen, auf seinen Wertpapiermärkten im Sinne von Artikel 1 Ziffer 2 letzter Satzteil zum Handel zugelassene Wertpapiere zu erwerben oder zu veräußern bzw. erwerben oder veräußern zu lassen“.

9.        Artikel 4 der Richtlinie 89/592 verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie das Verbot in Artikel 2 der Richtlinie auch für andere als in jenem Artikel genannte Personen vorsehen, die in Kenntnis der Sache über eine Insider-Information verfügen, die unmittelbar oder mittelbar nur von einer in Artikel 2 genannten Person stammen kann.

10.      Nach Artikel 6 der Richtlinie 89/592 kann jeder Mitgliedstaat strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie vorgesehenen oder zusätzliche Vorschriften erlassen, sofern diese Vorschriften allgemein gelten.

11.      In der 11. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 wird klargestellt: „Da dem Erwerb oder der Veräußerung von Wertpapieren stets eine entsprechende Entscheidung der Person vorausgehen muss, die eines der beiden Geschäfte tätigt, stellt die Tatsache dieses Erwerbs oder dieser Veräußerung nicht als solche eine Verwendung einer Insider-Information dar.“

12.      In der 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 heißt es: „Ein Insider-Geschäft setzt voraus, dass eine Insider-Information ausgenutzt wird; ... der Umstand, dass Transaktionen allein mit dem Ziel vorgenommen werden, den Kurs von neu emittierten oder im Rahmen eines Sekundärangebots gehandelten Wertpapieren zu regulieren, [kann daher] nicht schon als solcher als Ausnutzung dieser Insider-Informationen gewertet werden.“

B –    Nationales Recht

13.      Durch das griechische Präsidialdekret Nr. 53/1992 betreffend Handlungen im Zusammenhang mit Insider-Informationen und zur Umsetzung der Richtlinie 89/592/EWG (im Folgenden: Dekret Nr. 53/1992), das zur Zeit des hier maßgeblichen Sachverhalts galt, sollen nach seinem Artikel 1 die Rechtsvorschriften betreffend die Wertpapierbörsen an die genannte Richtlinie angepasst werden.

14.      Durch die Artikel 2, 3, 4 und 5 des Dekrets Nr. 53/1992 werden die Artikel 1, 2, 3 bzw. 4 der Richtlinie 89/592 übernommen.

15.      Im Dekret Nr. 53/1992 sind keine Bestimmungen festgelegt, die den in der Richtlinie 89/592 geregelten Begriffen und Verboten eine größere Tragweite beimessen. Griechenland hat somit von der durch Artikel 6 der Richtlinie 89/592 gebotenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

16.      Nach Artikel 11 des Dekrets Nr. 53/1992 verhängt der Kapitalmarktausschuss im Fall eines Verstoßes gegen die Artikel 3 Absätze 1 und 2, 4 und 5 des Dekrets neben den Sanktionen gemäß Artikel 30 Absätze 1 und 3 des Gesetzes Nr. 1806/1988 eine Geldbuße in Höhe von mindestens 10 Mio. GRD und höchstens 1 Mrd. GRD oder in fünffacher Höhe des aus den Insider-Informationen gezogenen Gewinns.

17.      Artikel 30 des Gesetzes droht auch den Besitzern vertraulicher Informationen, die diese unrechtmäßig verwenden, strafrechtliche Sanktionen an.

18.      Im Übrigen wird nach Artikel 34 des Gesetzes Nr. 3632/1928 mit Freiheitsstrafe und Geldstrafe bis zu 50 000 GRD oder einer dieser Strafen belegt, wer wissentlich besondere Mittel zur Irreführung des Publikums durch Beeinflussung der Börsenkurse ausnutzt, um sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen.

19.      Ferner wird nach Artikel 72 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 1969/1991 mit Freiheitsstrafe und mit Geldstrafe von bis zu 100 Mio. GRD bestraft, wer über die Presse oder in anderer Weise wissentlich falsche oder ungenaue Informationen verbreitet, die den Kurs eines oder mehrerer börsennotierter Wertpapiere beeinflussen können.

20.      Schließlich bestimmt Artikel 76 Absatz 10 dieses Gesetzes, dass der Kapitalmarktausschuss vorbehaltlich der Anwendung der einschlägigen strafrechtlichen Vorschriften befugt ist, Geldbußen von bis zu 100 Mio. GRD gegen Unternehmen zu verhängen, die gegen die kapitalmarktrechtlichen Vorschriften oder gegen Entscheidungen des Kapitalmarktausschusses verstoßen.

III – Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

21.      Anfang 1996 waren Herr Georgakis und Angehörige seiner Familie, die vom vorlegenden Gericht als „Gruppe Georgakis“ bezeichnet werden, die Hauptaktionäre der Firma Parnassos. Die Firma Parnassos und ihre Tochtergesellschaft, Syrios ABEE, hielten die Mehrheit der Aktien – sämtlich Namensaktien – der Firma ATEMKE. Die meisten Mitglieder der Gruppe Georgakis waren Mitglieder des Vorstands der Firmen Parnassos und ATEMKE, in denen sie Geschäftsführungsaufgaben versahen.

22.      Die Mitglieder der Gruppe Georgakis beschlossen auf Vorschlag ihres Finanzberaters sodann, den Aktienkurs der Firma Parnassos zu stützen. Um die nach dem griechischen Recht für diesen Beschluss der Hauptversammlung erforderliche Mehrheit zu erhalten, vereinbarten sie den Erwerb von Aktien, mit dem Ziel, 75 % des Stammkapitals dieser Gesellschaft zu erwerben, um ihre Entscheidung gegenüber den anderen Aktionären durchzusetzen.

23.      Von Mai bis Dezember 1996 führten die Mitglieder der Gruppe Georgakis Transaktionen mit Aktien der Firmen Parnassos und ATEMKE durch. Sie verkauften Aktien der Firma ATEMKE an die Firma Parnassos und erwarben mit den auf diese Weise eingenommenen liquiden Mitteln Parnassos-Aktien. Die Firma Parnassos verkaufte im Oktober 1996 835 000 Aktien der Firma ATEMKE an Merrill Lynch Capital Markets plc. mit einer Rückkaufsvereinbarung, die nicht an der Börse angemeldet wurde. Eine solche Transaktion ermöglichte es Parnassos, kurzfristig den Ankauf ihrer eigenen Aktien zu finanzieren, wobei die Aktien ihrer Tochtergesellschaft ATEMKE als Sicherheit dienten.

24.      Der griechische Kapitalmarktausschuss verhängte gegen Herrn Georgakis eine Geldbuße von insgesamt 70 Mio. GRD wegen Beteiligung an den in der vorhergehenden Nummer dieser Schlussanträge beschriebenen Transaktionen im Besitz einer Insider-Information, die ihm entweder unmittelbar in seiner Eigenschaft als Aktionär und Direktor der erwähnten Gesellschaften oder mittelbar über andere Personen, die Geschäftsführungsposten in den betreffenden Gesellschaften einnahmen, zugegangen war, unter Verstoß gegen die Artikel 3 Absatz 1 sowie 4 und 5 des Dekrets Nr. 53/1992. Herr Georgakis focht den Zahlungsbescheid an.

25.      Im ersten Rechtszug vertrat das Trimeles Dioikitiko Protodikeio (Verwaltungsgericht) Livadia insbesondere die Ansicht, dass Herr Georgakis eine Insider-Information über Transaktionen zwischen den Mitgliedern der Gruppe Georgakis ausgenutzt habe, die dazu bestimmt gewesen sei, die Umsätze der Aktien der Firma Parnassos künstlich zu erhöhen, um ein irreführendes Bild von deren Wert, ohne Bezug zu dem Wert, der erreicht worden wäre, wenn diese Umsätze nicht getätigt worden wären, zu geben. Das erstinstanzliche Gericht bestätigte daher die Geldbuße, die vom Kapitalmarktausschuss verhängt worden war.

26.      Das Dioikitiko Efeteio (Oberverwaltungsgericht) Piräus, bei dem Herr Georgakis Rechtsmittel einlegte, gab seinem Rechtsmittel statt und hob das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts und den Zahlungsbescheid auf.

27.      Dieses Gericht entschied, dass die Verhängung der Geldbuße rechtswidrig gewesen sei, da die Richtlinie 89/592, die durch das Dekret Nr. 53/1992 in nationales Recht umgesetzt worden sei, auf Geschäfte zwischen Inhabern von Insider-Informationen und dritten Anlegern angewandt werde und die Ausnutzung einer Insider-Information voraussetze, während beim Erwerb oder Verkauf eines Aktienpakets, der vorher zwischen zwei Personen vereinbart worden sei, das Vorliegen einer solchen Information begrifflich nicht vorliegen könne, da beide Kenntnis von Gegenstand und Umständen der Transaktion hätten. Das Dioikitiko Efeteio Piräus war daher der Ansicht, dass dann, wenn ein zwischen zwei Personen im Voraus vereinbarter Erwerb und Verkauf eines Aktienpakets nicht als solcher als Frucht der Ausnutzung einer Insider-Information angesehen werden könne, die Transaktionen des Klägers mit den Mitgliedern der Gruppe Georgakis nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie und des Dekrets Nr. 53/1992 fielen.

28.      Die Finanzverwaltung legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde zum Symvoulio tis Epikrateias ein.

29.      Nach den Angaben im Vorlagebeschluss des Symvoulio tis Epikrateias waren die zwischen den Mitgliedern der Gruppe Georgakis getätigten Transaktionen im Voraus vereinbart worden, und diesen Mitgliedern war bekannt, dass sich die Kurse der Aktien der Firma Parnassos unter dem Einfluss einer von ihnen selbst geschaffenen künstlichen Nachfrage, die auf einer verschiedene Methoden nutzenden Finanzierung großen Umfangs beruhte, entwickelt hatten.

30.      In Bezug auf die Qualifizierung der in Rede stehenden Verhaltensweisen als Ausnutzung von Insider-Geschäften vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass in Bezug auf das Problem der Auslegung der Richtlinie 89/592, das sich im Ausgangsverfahren stelle, insbesondere in Bezug auf die Begriffe Insider-Information und Besitz von Insider-Informationen, sowie die Tragweite des gegen diesen Besitzer ausgesprochenen Verbots, bestimmte Maßnahmen durchzuführen, begründete Zweifel bestünden. Daher hat das Symvoulio tis Epikrateias das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind im Falle von vorher abgesprochenen Börsengeschäften, die zwischen Personen oder Personengruppen, die eine der Eigenschaften des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 besitzen, getätigt werden und die zu einer Überbewertung oder künstlichen Erhöhung des Kurses der übertragenen Wertpapiere führen, die Personen, die diese Geschäfte tätigen, als Inhaber von Insiderinformationen im Sinne der Artikel 1 und 2 dieser Richtlinie anzusehen, so dass ihre Handlungen unter das in den Artikeln 2, 3 und 4 der Richtlinie 89/592 aufgestellte Verbot der Ausnutzung von Insiderinformationen fallen?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

31.      Der Kassationsbeschwerdegegner des Ausgangsverfahrens, die griechische Regierung, die italienische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben beim Gerichtshof gemäß Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten sind auch in der mündlichen Verhandlung am 13. Juli 2006 angehört worden, mit Ausnahme der italienischen Regierung, die dort nicht vertreten war.

V –    Prüfung der Vorlagefrage

32.      Vorab sind einige Umstände hervorzuheben, die nach der Vorlagefrage und dem Vorlagebeschluss wohl unstreitig sind.

33.      Zunächst hat sich der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt 1996 und damit allein unter der Geltung der Richtlinie 89/592 und der griechischen Regelung zu deren Umsetzung abgespielt. Der Gerichtshof ist daher nicht unmittelbar aufgerufen, die Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)(3) auszulegen, die am 12. April 2003 in Kraft getreten und durch die gemäß ihren Artikeln 20 und 21 die Richtlinie 89/592 am selben Tag aufgehoben worden ist.

34.      Sodann ist unstreitig, dass die Mitglieder der Gruppe Georgakis entweder als Mitglieder des Vorstands oder der Geschäftsleitung der Firmen Parnassos oder ATEMKE oder wegen ihrer Beteiligung am Kapital dieser Gesellschaften vom persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 89/592 und der nationalen Regelung zu deren Umsetzung erfasst werden.

35.      Ferner sind die Aktien, die Gegenstand der im Ausgangsverfahren streitigen Geschäfte sind, Wertpapiere im Sinne der Definition des Artikels 1 Ziffer 2 der Richtlinie 89/592.

36.      Schließlich geht aus der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts hervor, dass die zwischen den betreffenden Personen getätigten Transaktionen, die vorab vereinbart waren, den Preis der gehandelten Wertpapiere künstlich erhöht haben.

37.      Nach diesen Klarstellungen wird der Gerichtshof mit der Frage des vorlegenden Gerichts im Wesentlichen um die Angabe ersucht, ob Personen, die als Insider im Sinne der Richtlinie 89/592 betrachtet werden können, über eine Insider-Information im Sinne dieser Richtlinie verfügen und sie ausnutzen, wenn sie vorab vereinbarte Börsengeschäfte abschließen, die zu einer künstlichen Erhöhung des Preises der übertragenen Wertpapiere führen.

38.      Vor allem ist daran zu erinnern, dass nicht das Verfügen über eine Insider-Information durch die in Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 aufgeführten Personen als solches nach dieser Richtlinie verboten ist, sondern die Ausnutzung dieser Insider-Information in Kenntnis der Sache(4). Darauf hat der Gerichtshof im Übrigen im Urteil Verdonck(5) hingewiesen.

39.      Insbesondere aus Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 ergibt sich, dass die Ausnutzung einer Insider-Information notwendigerweise auf dem tatsächlichen Vorhandensein dieser Information beruht. Die Insider-Information muss also vor ihrer Ausnutzung vorhanden sein. Daher kann eine Insider-Information nur eine Person ausnutzen, die zuvor über eine solche Information verfügt, unabhängig davon, ob es sich bei einer solchen Person um einen primären Insider handelt, also um jemanden, der über eine der in Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 aufgeführten Eigenschaften verfügt, oder einen so genannten Sekundär-Insider im Sinne von Artikel 4 der Richtlinie.

40.      Die Beteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, sind in der Frage, ob Personen, die Geschäfte wie diejenigen getätigt haben, um die es im Ausgangsverfahren geht, über eine Insider-Information im Sinne der Richtlinie 89/592 verfügen, deren Ausnutzung durch diese Richtlinie verboten ist, unterschiedlicher Auffassung.

41.      Sowohl für Herrn Georgakis, den Kassationsbeschwerdegegner des Ausgangsverfahrens, als auch für die Kommission fällt ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/592.

42.      Nach Ansicht von Herrn Georgakis soll die Richtlinie 89/592 ausschließen, dass Personen, die wegen ihrer Aufgaben über eine Insider-Information verfügen, die Möglichkeit haben, diese zu ihren Gunsten und zum Nachteil der Dritten, mit denen sie handeln, auszunutzen. Daher bestehe eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen darin, dass der Inhaber der Insider-Information einen Vertragspartner habe, dem diese Information unbekannt sei. Dies sei im Ausgangsverfahren nicht der Fall. Denn in diesem Verfahren seien alle an der Transaktion beteiligten Vertragspartner Mitinhaber, aber auch Schöpfer einer gemeinsamen Information über ein börsennotiertes Wertpapier. Daher sei diese Information zum einen für diese Personen keine Insider-Information mehr, und zum anderen könne die Insider-Kenntnis nicht zum Nachteil des anderen ausgenutzt werden.

43.      Die Kommission ist der Ansicht, dass aus dem Sachverhalt, wie er vom vorlegenden Gericht dargestellt worden sei, nicht hervorgehe, dass Insider-Informationen die Mitglieder der Gruppe Georgakis dazu veranlasst hätten, die in Rede stehenden Transaktionen abzuschließen. Vielmehr seien diese Transaktionen auf der Grundlage der Entscheidung der Gruppe Georgakis auf den Vorschlag von deren Finanzberatern hin, den Kurs der Aktien der Firma Parnassos zu stützen, durchgeführt worden. Daher liefen solche Transaktionen nicht als solche auf die Ausnutzung einer Insider-Information hinaus. Transaktionen, die auf der Entscheidung einiger Mitglieder des Verwaltungsrats eines Emittenten beruhten, den Kurs einer Aktie an der Börse zu stützen, fielen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/6, da diese Manipulationen des Marktes betreffe; diese Richtlinie sei jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

44.      Dagegen vertreten die griechische und italienische Regierung die Ansicht, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens unter die Richtlinie 89/592 falle.

45.      Die griechische Regierung betont, dass der abgestimmte Handel mit Aktien ein und derselben Gesellschaft oder der fiktive Erwerb und die fiktive Veräußerung zwischen denselben Personen zu dem Zweck, die Handelbarkeit und den Preis der Aktien zu erhöhen, eine Information von entscheidender Bedeutung darstellten, deren Ausnutzung schwerwiegende Auswirkungen auf die Transparenz des Marktes haben könne. Der maßgebliche Bestandteil einer Insider-Information, über die die Mitglieder einer Gruppe verfügten, die sich abgestimmt habe, sei das Wissen, dass der gegenwärtige Kurs des Papiers auf einer künstlichen Aufblähung der Nachfrage durch die Mitglieder der Gruppe selbst und nicht auf einer günstigen Entwicklung oder Entwicklungsaussicht für die finanziellen Parameter der in Rede stehenden Gesellschaft beruhe und dass er offensichtlich nicht das Ergebnis einer verbesserten Handelbarkeit eines an der Börse eingeführten Wertpapiers sei. Der Begriff des Verfügens über eine Insider-Information umfasse nicht nur den Erwerb, sondern auch die Schaffung der Information. Die Anwendung der Regelung für Insider-Informationen sei nicht ausgeschlossen, wenn die Insider-Information auf die Personen zurückgehe, die sie ausnutzten. In der mündlichen Verhandlung hat die griechische Regierung hinzugefügt, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens sowohl die Ausnutzung einer Insider-Information als auch eine Manipulation des Marktes darstellen könne.

46.      Die italienische Regierung ist im Wesentlichen der Ansicht, dass im Licht der Zielsetzung der Richtlinie 89/592, größtmögliche Transparenz beim Funktionieren der Finanzmärkte herzustellen und zu gewährleisten, dass die Investoren gleichbehandelt werden, Personen, die ein Geschäft oder eine Reihe von Geschäften zur künstlichen Stützung des Kurses eines börsennotierten Wertpapiers beschlossen hätten, auch zu den Inhabern der entsprechenden Information gezählt werden müssten, nämlich über das Programm des Verkaufs und des Erwerbs von Wertpapieren, das zuvor vereinbart worden sei und das dazu bestimmt sei, den Kurs eines börsennotierten Wertpapiers ohne Kenntnis der Öffentlichkeit künstlich zu stützen. Dieses Programm stelle sicherlich eine Insider-Information im Sinne der Richtlinie 89/592 dar, deren Ausnutzung verboten sei.

47.      Auch sei darauf hingewiesen, dass die Beteiligten, die in der mündlichen Verhandlung erschienen sind, die von der Gruppe Georgakis getätigten Geschäfte als „painting the tape“-Praxis beschrieben haben.

48.      In der Finanz- und Börsenwelt wird unter dieser Praxis im Allgemeinen verstanden, dass einige Investoren untereinander eine Reihe von Transaktionen mit bestimmten Wertpapieren durchführen und dabei einen erhöhten Handelsumfang und ein erhebliches Interesse der Investoren an diesen Wertpapieren vortäuschen, was außenstehende Investoren dazu veranlassen kann, die betreffenden Wertpapiere zu kaufen, und auf diese Weise eine Steigerung des Kurses dieser Papiere ermöglichen kann(6).

49.      Aus den in den folgenden Nummern dieser Schlussanträge dargelegten Gründen neige ich zu der Ansicht, dass unter Berücksichtigung der tatsächlichen Angaben, über die wir verfügen, ein Sachverhalt wie der, den das vorlegende Gericht im Auge hat, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/592 fällt.

50.      Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 verbietet die Ausnutzung der Insider-Information in Kenntnis der Sache. Meines Erachtens ist der Tatbestand der „Ausnutzung in Kenntnis der Sache“ der Insider-Information durch zwei unterschiedliche Merkmale gekennzeichnet. Das immaterielle Merkmal besteht in der Absicht (oder der Entscheidung), wissentlich die Information auszunutzen, deren Insider-Charakter man kennt. Das materielle Merkmal ist die Umsetzung dieser Absicht oder Entscheidung durch Vornahme von Wertpapiertransaktionen entweder unmittelbar oder mittelbar durch einen Finanzvermittler(7).

51.      In diesem Kontext muss, da – wie ich in Nummer 39 dieser Schlussanträge ausgeführt habe – das Vorhandensein der Insider-Information begrifflich jeder Ausnutzung dieser Information vorausgeht, die Insider-Information sowohl dem immateriellen Merkmal der Ausnutzung dieser Information, also der Absicht oder der Entscheidung, die Information auszunutzen, als auch ihrem materiellen Merkmal, nämlich der Umsetzung dieser Absicht oder Entscheidung, vorausgehen.

52.      Nach dem im Vorlagebeschluss wiedergegebenen Sachverhalt wurde die Anfang 1996 getroffene Entscheidung der Mitglieder der Gruppe Georgakis, Transaktionen zur „Stützung“ des Kurses der Aktien der Firma Parnassos vorzunehmen, aufgrund eines Vorschlags von deren Finanzberatern gefasst. Da es an sonstigen tatsächlichen Angaben fehlt, ist die Entscheidung der Mitglieder der Gruppe Georgakis also wohl nicht auf der Grundlage einer Insider-Information im Sinne der Richtlinie 89/592 getroffen worden. Auch geht aus dem Vorlagebeschluss nicht hervor, dass der Vorschlag der Finanzberater der Gruppe Georgakis auf der Grundlage einer Insider-Information im Sinne dieser Richtlinie erfolgte.

53.      Bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens können daher die Personen, die die betreffenden Transaktionen vorgenommen haben, keine Insider-Information ausnutzen, da sich anhand der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts nicht feststellen lässt, welche Insider-Information sie zur Durchführung dieser Transaktionen veranlasst haben soll.

54.      Ferner kann die Ansicht der am Verfahren beteiligten Regierungen, die im Wesentlichen vortragen, dass die Entscheidung der Mitglieder der Gruppe Georgakis, Geschäfte abzuschließen, die eine künstliche Stützung des Kurses der Aktien ohne Wissen der Öffentlichkeit bezweckten, als solche eine Insider-Information darstelle, deren Ausnutzung ihnen verboten sei, nicht überzeugen.

55.      Die Annahme, dass die Entscheidung der Mitglieder der Gruppe Georgakis, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Geschäfte abzuschließen, als solche eine Insider-Information wäre, wird meines Erachtens nämlich durch den Gedanken, der der 11. und der 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 zugrunde liegt, entkräftet.

56.      Die 11. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 lautet: „Da dem Erwerb oder der Veräußerung von Wertpapieren stets eine entsprechende Entscheidung der Person vorausgehen muss, die eines der beiden Geschäfte tätigt, stellt die Tatsache dieses Erwerbs oder dieser Veräußerung nicht als solche eine Verwendung einer Insider-Information dar.“

57.      In der 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 heißt es: „Ein Insider-Geschäft setzt voraus, dass eine Insider-Information ausgenutzt wird, ... der Umstand, dass Transaktionen allein mit dem Ziel vorgenommen werden, den Kurs von neu emittierten oder im Rahmen eines Sekundärangebots gehandelten Wertpapieren zu regeln, [kann daher] nicht schon als solche als Ausnutzung dieser Insider-Information gewertet werden.“

58.      Diese Begründungserwägungen sind meines Erachtens dahin auszulegen, dass in den beiden dort beschriebenen Fallgestaltungen die vorherige Entscheidung, die angeführten Transaktionen vorzunehmen, nicht als solche als Insider-Information betrachtet werden kann.

59.      Die gegenteilige Auffassung zu vertreten, würde darauf hinauslaufen, dass die Investoren der Gesellschaften, die Wertpapiere ausgeben, oder deren Organe daran gehindert würden, ihre Entscheidungen, die betreffenden Transaktionen vorzunehmen, durchzuführen, da diese Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich dem Verdacht ausgesetzt würden, dass sie eine Insider-Information ausnutzen, sobald sie diese Transaktionen vornehmen. Eine solche Auslegung würde ganz ohne Zweifel dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Wertpapiermarktes schaden. Dies ist gewiss nicht das mit der Richtlinie 89/592 verfolgte Ziel.

60.      Zwar lässt sich eine Fallgestaltung wie die des Ausgangsverfahrens nicht in vollem Umfang mit denjenigen gleichsetzen, auf die in der 11. und 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 abgestellt wird.

61.      Ich denke jedoch nicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber dadurch, dass er sich darauf beschränkt hat, die beiden in der 11. und 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 genannten Fallgestaltungen zu erwähnen, die Ansicht vertreten wollte, dass im Umkehrschluss in allen anderen Fallgestaltungen einschließlich einer Fallgestaltung wie der des Ausgangsverfahrens die vorherige Entscheidung, Wertpapiertransaktionen durchzuführen, als solche als Insider-Information zu betrachten sei.

62.      So ist das in diese Richtung weisende Vorbringen der italienischen Regierung wenig überzeugend, dass nämlich die 11. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 – da sie nur den Erwerb „oder“ die Veräußerung von Wertpapieren betreffe – die Fallgestaltungen nicht abdecke, bei denen mehrere Börsengeschäfte durchgeführt würden, und dass daher aus diesem Grund anzunehmen sei, dass die von der Gruppe Georgakis durchgeführten Geschäfte die Ausnutzung einer Insider-Information darstellten. Die Verwendung des Bindewortes „oder“ in der 11. Begründungserwägung ist meines Erachtens nämlich nicht als ausschließlich, sondern eher als beispielhaft zu verstehen, was die Verwendung des Begriffes „Transaktionen“ in der Mehrzahl in der 12. Begründungserwägung der Richtlinie zu bestätigen scheint.

63.      Zudem dürfte der Umstand, dass die in Rede stehenden Transaktionen vorab vereinbart wurden, auch nicht zwingend die Folge nach sich ziehen, dass die Entscheidung der Gruppe Georgakis als Insider-Information zu betrachten wäre. Das Kriterium der vorherigen Planung von Börsentransaktionen ist nämlich zumindest auch in der Fallgestaltung gegeben, in der eine (echte) Regulierung des Kurses von Wertpapieren beabsichtigt ist, die in der 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 eigens erwähnt ist.

64.      Dagegen soll mit der 11. und der 12. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 meines Erachtens der Gedanke veranschaulicht werden, dass die vorherige Entscheidung, Wertpapiertransaktionen durchzuführen, als solche keine Insider-Information ist.

65.      Eine solche Entscheidung kann jedoch das subjektive Merkmal der Ausnutzung einer Insider-Information darstellen, sofern diese Entscheidung auf dieser Information beruht. Darüber hinaus könnte bei zeitlich gestaffelten Transaktionen das Auftreten einer Insider-Information, die geeignet ist, die ursprünglich von den Investoren getroffene Entscheidung zu verändern, auch dazu führen, dass die nach Kenntnisnahme von dieser Information und unter deren Verwendung durchgeführten Transaktionen die Ausnutzung dieser Information im Sinne der Richtlinie 89/592 darstellen.

66.      Allerdings bin ich, wie ich bereits im Zusammenhang mit der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts ausgeführt habe, nicht der Ansicht, dass im Ausgangsverfahren eine Insider-Information vorliegt.

67.      Diese Beurteilung kann meines Erachtens nicht durch das Argument der am Verfahren beteiligten Regierungen entkräftet werden, wonach die Ziele der Transparenz des Marktes und der Chancengleichheit der Investoren, die mit der Richtlinie 89/592 verfolgt würden, es zulassen müssten, eine Fallgestaltung wie die des Ausgangsverfahrens dem Anwendungsbereich der Richtlinie 89/592 zuzuschlagen.

68.      Zwar greift der Gemeinschaftsrichter häufig auf die Methode der teleologischen Auslegung der Bestimmungen von Gemeinschaftsrechtsakten zurück, doch lässt sich meines Erachtens im vorliegenden Fall der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 89/592 im Licht der in deren Begründungserwägungen sehr allgemein aufgezählten Ziele nicht erweitern. Selbst wenn durch den Sachverhalt, um den es im Ausgangsverfahren geht, das ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes sicherlich beeinträchtigt wird, würde die von den am Verfahren beteiligten Regierungen vorgeschlagene Betrachtungsweise doch darauf hinauslaufen, dass die der Anwendbarkeit der Richtlinie 89/592 inhärenten Voraussetzungen, insbesondere die Voraussetzung des Vorliegens einer Insider-Information, die der Ausnutzung dieser Information in ihrer intentionellen und materiellen Dimension zugrunde liegt, außer Acht gelassen würden.

69.      Ferner ergibt sich in der Regel der Anwendungsbereich eines Gemeinschaftsrechtsakts aus ihm selbst; er kann grundsätzlich nicht auf alle Fälle erweitert werden, für deren Regelung er nicht gedacht ist(8). Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch nicht, dass mit der Richtlinie 89/592 ein Fall der „painting the tape“-Praxis und ganz allgemein die Manipulation des Marktes erfasst werden sollte.

70.      In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber durch den Erlass der erwähnten Richtlinie 2003/6, mit der die gleichen Ziele der Transparenz und der Integrität des Marktes wie mit der Richtlinie 89/592 verfolgt werden(9), dadurch, dass er die Letztgenannte ersetzt und die Bekämpfung von Marktmanipulationen in den Anwendungsbereich der neuen Richtlinie einbezieht, gerade ein Fortschreiten der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten durch Sanktionierung von Verhaltensweisen bezweckt, von denen die Erfahrung gezeigt hat, dass sie das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben und daher das reibungslose Funktionieren der Märkte beeinträchtigen können(10).

71.      Nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2003/6 sind „Marktmanipulationen“ „Geschäfte oder Kauf- bzw. Verkaufsaufträge, die den Kurs eines oder mehrerer Finanzinstrumente durch eine Person oder mehrere, in Absprache handelnde Personen in der Weise beeinflussen, dass ein anormales oder künstliches Kursniveau erzielt wird, es sei denn, die Person, welche die Geschäfte abgeschlossen oder die Aufträge erteilt hat, weist nach, dass sie legitime Gründe dafür hatte und dass diese Geschäfte oder Aufträge nicht gegen die zulässige Marktpraxis auf dem betreffenden geregelten Markt verstoßen“. Diese Definition scheint damit Praktiken wie das „painting the tape“ zu erfassen(11).

72.      Im Licht des Rechtsetzungsverfahrens der Gemeinschaft im Bereich der Marktmissbräuche(12) ist es meines Erachtens nicht möglich, dem Vorbringen der am Verfahren beteiligten Regierungen zu folgen, wonach der Anwendungsbereich der Richtlinie 89/592 mit der Folge zu erweitern oder nach der von der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung formulierten Nuance „[dieser Rechtsakt] flexibler auszulegen“ wäre, dass diese Richtlinie Praktiken wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verbietet.

73.      Denn die Betrachtungsweise der am Verfahren beteiligten Regierungen würde darauf hinauslaufen, dass der zur Zeit der Anwendung der Richtlinie 89/592 bestehende fragmentarische Charakter des Regulierungsrahmens der Gemeinschaft verkannt würde, indem dieser eine Tragweite beigemessen würde, durch die in die Restzuständigkeit der Mitgliedstaaten eingegriffen werden könnte, Marktmanipulation zu reglementieren und mit Sanktionen zu belegen.

74.      Ich möchte im Übrigen bemerken, dass in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit die Hellenische Republik(13) wie auch die große Mehrheit der Mitgliedstaaten die Praktiken der Marktmanipulation reglementiert und mit Strafe bedroht hatten(14).

VI – Entscheidungsvorschlag

75.      Nach allem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Symvoulio tis Epikrateias wie folgt zu beantworten:

Personen oder Personengruppen, die eine der Eigenschaften des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte besitzen und die vorher abgesprochene Börsengeschäfte tätigen, die zu einer künstlichen Erhöhung des Kurses der übertragenen Wertpapiere führen, sind nicht als Inhaber einer Insider-Information im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie anzusehen.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 334, S. 30.


3 – ABl. L 96, S. 16.


4 – Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592.


5 – Urteil des Gerichtshofes vom 3. Mai 2001 in der Rechtssache C‑28/99 (Slg. 2001, I‑3399, Randnr. 29).


6 – Vgl. insbesondere die Definitionen auf den Websites www.investorwords.com und www.investopedia.com.


7 – Dabei ist es unerheblich, dass das immaterielle und das materielle Merkmal zeitlich sehr nahe aneinander oder praktisch gleichzeitig verwirklicht werden. Im Übrigen impliziert das immaterielle Merkmal der Ausnutzung einer Information, deren Insider-Charakter bekannt ist, nicht, dass eine Absicht besteht, einen Gewinn zu erzielen.


8 – Vgl. in Bezug auf eine Verordnung Urteil vom 12. Dezember 1985 in der Rechtssache 165/84, Krohn, Slg. 1985, 3997, Randnr. 13 und die darin angegebene Rechtsprechung.


9 – Vgl. insbesondere die 2., 11., 12., 15., 27., 41. und 43. Begründungserwägung der Richtlinie 89/592.


10 – Vgl. in diesem Sinne die 13. Begründungserwägung der Richtlinie 2003/6. Vgl. auch die 11. Begründungserwägung dieser Richtlinie, wo es heißt: „Der vorhandene gemeinschaftliche Rechtsrahmen zum Schutz der Marktintegrität ist unvollständig.“


11 – In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass die Kommission im Richtlinienvorschlag vorgeschlagen hatte, die Definition der Marktmanipulation durch genaue Beispiele im Anhang des Richtlinienvorschlags, die die Auslegung dieser Definition erleichtern sollten, zu untermauern. In der Rubrik „Geschäftliche Handlungen, die den – falschen – Eindruck einer Aktivität erwecken sollen“ in Abschnitt B des Anhangs war auf diese Weise die Praxis des „painting the tape“ aufgeführt (vgl. Richtlinienvorschlag vom 30. Mai 2001, KOM[2001] 281 endg., S. 25). Aufgrund des Widerspruchs des Europäischen Parlaments gegen die Anwendung der „Komitologie“-Methode, die im Richtlinienvorschlag für die Änderungen der Bestimmungen des Anhangs vorgesehen war (vgl. hierzu den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Parlaments, Dokument A5/2002/69 vom 27. Februar 2002), enthält der schließlich vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union verabschiedete Text keinen Anhang.


12 – Nach der Richtlinie 2003/6 schließt Marktmissbrauch sowohl Insider-Geschäfte als auch Marktmanipulation ein.


13 – Vgl. insbesondere Artikel 34 des in Nr. 18 dieser Schlussanträge angeführten Gesetzes Nr. 3632/1928.


14 – Es scheint, dass nur die Republik Österreich und das Königreich Schweden und in geringerem Maße das Königreich der Niederlande Marktmanipulationen nicht mit Sanktionen belegt haben.