SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
FRANCIS G. JACOBS
vom 24. Februar 2005(1)
Rechtssache C-77/04
Groupement d'intérêt économique (GIE) Réunion européenne u. a.
gegen
Zurich España
„“
1. Diese Rechtssache betrifft eine Klage, die von einem Versicherungsnehmer gegen seine Versicherer anhängig gemacht wurde, um
aufgrund des Versicherungsvertrags im Hinblick auf seine Haftung gegenüber dem Geschädigten schadlos gestellt zu werden, und
in die die Versicherer einen anderen Versicherer, der den Geschädigten angeblich gegen dasselbe Risiko versichert hatte, als
Streitverkündeten einbeziehen wollen.
2. Das Hauptproblem ist die Frage, ob diese Fallgestaltung im Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens
(2)
durch die Bestimmungen über die Zuständigkeit für Versicherungssachen oder durch eine gesonderte Vorschrift über Interventionsklagen
geregelt wird.
3. Für den Fall, dass die letztgenannte Vorschrift für anwendbar erklärt wird, stellt sich eine weitere Frage hinsichtlich der
Voraussetzungen, von denen ihre Anwendung abhängt.
Das Brüsseler Übereinkommen
4. Das Brüsseler Übereinkommen regelt die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen. Titel II bestimmt, welche Gerichte der Vertragsstaaten zuständig sind. Artikel 2 stellt die allgemeine
Regel auf, dass die Gerichte des Vertragsstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat.
Anschließend werden Ausnahmen von dieser Regel festgelegt, wonach für bestimmte Klagen andere Gerichte zuständig sind.
5. Der zu diesen Ausnahmen gehörende Artikel 6 Nummer 2 bezieht sich auf Klagen auf Gewährleistung sowie auf Interventionsklagen.
Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, „wenn es sich um
eine Klage auf Gewährleistung oder um eine Interventionsklage handelt, [auch] vor dem Gericht des Hauptprozesses [verklagt
werden], es sei denn, dass die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen“.
6. Der 3. Abschnitt des Titels II betrifft die Zuständigkeit für Versicherungssachen. Er sieht Folgendes vor:
„Artikel 7
Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die Zuständigkeit vorbehaltlich des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5
nach diesem Abschnitt.
Artikel 8
Der Versicherer, der seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann verklagt werden:
1. vor den Gerichten des Staates, in dem er seinen Wohnsitz hat,
2. in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Bezirks, in dem der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat, oder
3. falls es sich um einen Mitversicherer handelt, vor dem Gericht eines Vertragsstaats, bei dem der federführende Versicherer
verklagt wird.
…
Artikel 9
Bei der Haftpflichtversicherung oder bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen kann der Versicherer außerdem vor dem Gericht
des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden. Das Gleiche gilt, wenn sowohl bewegliche als
auch unbewegliche Sachen in ein und demselben Versicherungsvertrag versichert und von demselben Schadensfall betroffen sind.
Artikel 10
Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten
anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist.
Auf eine Klage, die der Verletzte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 7 bis 9 anzuwenden, sofern eine
solche unmittelbare Klage zulässig ist.
Sieht das für die unmittelbare Klage maßgebliche Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten
vor, so ist dasselbe Gericht auch für diese Personen zuständig.
Artikel 11
Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 10 Absatz 3 kann der Versicherer nur vor den Gerichten des Vertragsstaats klagen,
in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Versicherungsnehmer, Versicherter
oder Begünstigter ist.
Die Vorschriften dieses Abschnitts lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem die Klage
selbst gemäß den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist.
Artikel 12
Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden:
1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird,
2. wenn sie dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt
angeführten Gerichte anzurufen,
3. wenn sie zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Vertragsstaat haben, getroffen ist, um die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates
auch für den Fall zu begründen, dass das schädigende Ereignis im Ausland eingetreten ist, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung
nach dem Recht dieses Staates nicht zulässig ist,
4. wenn sie von einem Versicherungsnehmer abgeschlossen ist, der seinen Wohnsitz nicht in einem Vertragsstaat hat, ausgenommen
soweit sie eine Versicherung, zu deren Abschluss eine gesetzliche Verpflichtung besteht, oder die Versicherung von unbeweglichen
Sachen in einem Vertragsstaat betrifft, oder
5. wenn sie einen Versicherungsvertrag betrifft, soweit dieser eines oder mehrere der in Artikel 12a aufgeführten Risiken deckt.“
7. Artikel 12a zählt Risiken auf, die im Wesentlichen mit der gewerblichen Beförderung von Gütern durch Seeschiffe und Luftfahrzeuge
zusammenhängen.
8. Der 8. Abschnitt enthält Regeln über im Zusammenhang stehende Verfahren, die bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig
gemacht worden sind. Artikel 22 sieht, soweit er hier von Bedeutung ist, Folgendes vor:
„Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen, die im Zusammenhang stehen, erhoben, so kann das später angerufene
Gericht das Verfahren aussetzen, solange beide Klagen im ersten Rechtszug anhängig sind.
…
Klagen stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine
gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen
ergehen könnten.“
Tatsächlicher Hintergrund und Klageverfahren
9. Die Firma Soptrans ist ein Unternehmen mit Sitz in Boulou, Frankreich, und Eigentümerin eines Stellplatzes, auf dem sie Neuwagen
abstellt, die zum Verkauf und Transport in Europa bestimmt sind. Insoweit ist sie bei den Firmen GIE Réunion européenne, AXA,
Winterthur, Le Continent und Assurances Mutuelles de France, die alle ihren Sitz in Frankreich haben, gegen Schäden an diesen
Fahrzeugen versichert.
10. Am 13. August 1990 beschädigte ein Hagelschauer eine Reihe von Fahrzeugen, die auf dem Stellplatz abgestellt waren und der
Firma General Motors España (im Folgenden: GME) gehörten, deren Versicherungsgesellschaft Zurich España ihren Sitz in Spanien
hat. Eine Klage, die GME in Spanien anhängig machte, führte zu einem Vergleich zwischen GME und Soptrans, nach dem Soptrans
120 Millionen Peseten als Schadensersatz an GME zahlen musste.
11. Soptrans erhob anschließend Klage gegen ihre Versicherer beim Tribunal de Grande Instance Perpignan und beantragte deren Verurteilung
zur Übernahme des von ihr zu tragenden Schadens. Diese wiederum wollten auf der Grundlage des Artikels L 121-4 des französischen
Versicherungsgesetzbuchs, der die Mehrfachdeckung durch verschiedene Versicherungsverträge betrifft, Zurich España den Streit
verkünden. Zurich España machte geltend, dass die Gerichte in Barcelona, ihrem Sitzort, zuständig seien.
12. Mit Urteil vom 5. Februar 2001, das aufgrund eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung des Gerichts in Perpignan erging,
entschied die Cour d’appel Montpellier, dass Zurich España im Verfahren vor den französischen Gerichten nicht der Streit verkündet
werden könne.
13. Die Versicherer von Soptrans (im Folgenden: Rechtsmittelführer) fechten dieses Urteil nun bei der Cour de Cassation an, die
das Verfahren ausgesetzt hat und eine Entscheidung über folgende Fragen beantragt:
- 1.
- Fällt eine Klage auf Gewährleistung oder eine Interventionsklage zwischen Versicherern, die nicht auf einem Rückversicherungsvertrag,
sondern auf einer Mehrfachversicherung oder einer Mitversicherung beruht, als Versicherungssache unter die Vorschriften im
3. Abschnitt von Titel II des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 in der durch das Beitrittsübereinkommen von
1978 geänderten Fassung?
- 2.
- Ist Artikel 6 Nummer 2 auf eine Klage auf Gewährleistung oder eine Interventionsklage zwischen Versicherern zur Bestimmung
des zuständigen Gerichts anwendbar, und ist für seine Anwendung bejahendenfalls eine Konnexität der verschiedenen Klagen im
Sinne von Artikel 22 des Übereinkommens oder doch zumindest der Nachweis eines für den Ausschluss einer Umgehung des Gerichtsstands
hinreichenden Zusammenhangs zwischen diesen Klagen erforderlich?
14. Schriftliche Erklärungen sind von den Rechtsmittelführern, Zurich España, der Kommission und den Regierungen von Frankreich
und Italien eingereicht worden. Alle Beteiligten mit Ausnahme der italienischen Regierung waren auch in der mündlichen Verhandlung
vertreten.
Zur ersten Vorlagefrage
15. Die Beteiligten vertreten unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob der 3. Abschnitt von Titel II des Übereinkommens
auf Interventionsklagen zwischen Versicherern, die auf einer Mehrfachversicherung oder Mitversicherung beruhen, anwendbar
ist. Die Rechtsmittelführer, die Kommission und Italien verneinen die Anwendbarkeit des 3. Abschnitts, während Zurich España
und Frankreich sie bejahen.
16. Mir scheint, dass trotz der weiten Formulierung des Artikels 7 die Vorschriften dieses Abschnitts nicht auf Prozesse zwischen
Versicherern Anwendung finden sollen.
17. Diese Ansicht wird durch alle wesentlichen Bestimmungen dieses Abschnitts gestützt, insbesondere durch die Artikel 8, 10 und
12, die sich eindeutig mit Klagen eines Versicherungsnehmers, Versicherten oder Geschädigten befassen, sowie durch Artikel
11, der sich auf Klagen gegen einen Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten bezieht.
18. Sie wird darüber hinaus durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes untermauert, nach der dieser Abschnitt, wie viele andere
Sondervorschriften des Übereinkommens, die schwächere Partei schützen soll, in diesem Fall „den Versicherten …, der meist
mit einem vorformulierten und in seinen Einzelheiten nicht mehr verhandelbaren Vertrag konfrontiert wird und in aller Regel
der wirtschaftlich Schwächere ist“
(3)
, oder „den Vertragsteil …, der als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren als sein Vertragspartner anzusehen
ist“
(4)
. Ich kann mir keinen Sachverhalt vorstellen, bei dem sich ein gewerblicher Versicherer mit der Behauptung, in einer vergleichbaren
Position der Schwäche gegenüber einem anderen Versicherer zu sein, auf den Schutz dieses Abschnitts berufen könnte.
19. Im Ausgangsverfahren erfolgte deshalb die Wahl des Gerichtsstands durch Soptrans in vollständiger Übereinstimmung mit dem
3. Abschnitt.
20. Bei dieser Sichtweise ist darauf hinzuweisen, dass bei Klagen, die in den Anwendungsbereich dieses Abschnitts fallen, Artikel
8 Nummer 3 und Artikel 10 es ermöglichen, einen Versicherer, der unter Umständen zum Ausgleich eines Verlustes oder Schadens
beitragen muss, außerhalb seines Sitzstaats in das Verfahren einzubeziehen.
21. Es trifft zu, dass sich keine dieser Bestimmungen auf einen Sachverhalt wie den der vorliegenden Rechtssache bezieht. Artikel
8 Nummer 3 bezieht sich auf Mitversicherer, und es erscheint trotz des Wortlauts der Vorlagefrage des nationalen Gerichts
klar, dass die Beziehung zwischen den Rechtsmittelführern und Zurich España vorliegend kein Fall von Mitversicherung in dem
dort gemeinten Sinne ist
(5)
. Artikel 10 bezieht sich auf Klagen eines Geschädigten.
22. Allerdings widerspricht es eindeutig nicht dem Ordnungsprinzip dieses Abschnitts, dass ein Versicherer als Streitverkündeter
auf Beklagtenseite in einen von einer Partei, die kein Versicherer ist, anhängig gemachten Prozess einbezogen wird.
23. Schließlich könnte, selbst wenn man davon ausginge, dass der 3. Abschnitt isoliert betrachtet auf die Interventionsklage zwischen
den Rechtsmittelführern und Zurich España anwendbar ist – und ich habe oben ausgeführt, dass ich nicht glaube, dass er auf
Prozesse zwischen Versicherern anwendbar ist –, nur Artikel 11, der das Recht eines Versicherers auf Wahl des Gerichtsstands
für seine Klage einschränkt, es erforderlich machen, dass diese Klage bei den Gerichten am Sitz von Zurich España erhoben
wird.
24. Jedoch erwähnt Artikel 11 erstens nur Beklagte, die Versicherungsnehmer, Versicherte oder Begünstigte sind. Zweitens erfolgte
die Wahl des Gerichtsstands durch Soptrans. Und drittens stellt Artikel 11 lediglich die allgemeine Regel des Beklagtenwohnsitzes
wieder her, die in Artikel 2 zum Ausdruck kommt
(6)
, der, soweit es um Interventionsklagen geht, unter dem Vorbehalt des Artikels 6 Nummer 2 steht. Diese Vorschrift ist Gegenstand
der zweiten Vorlagefrage.
25. Auf die erste Vorlagefrage ist folglich zu antworten, dass eine Klage auf Gewährleistung oder eine Interventionsklage zwischen
Versicherern, die auf einer Mehrfachversicherung beruht, nicht unter die Vorschriften über Versicherungssachen im 3. Abschnitt
von Titel II des Brüsseler Übereinkommens fällt.
Zur zweiten Vorlagefrage
26. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 6 Nummer 2 des Übereinkommens auf eine Klage auf
Gewährleistung oder eine Interventionsklage zwischen Versicherern zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anwendbar ist und,
falls ja, ob für seine Anwendung eine Konnexität der verschiedenen Klagen im Sinne von Artikel 22 oder der Nachweis eines
für den Ausschluss einer Umgehung des Gerichtsstands hinreichenden Zusammenhangs zwischen diesen Klagen erforderlich ist.
27. Zurich España hat – hilfsweise für den Fall, dass der 3. Abschnitt als nicht anwendbar angesehen wird – vorgetragen, dass
die Voraussetzungen des Artikels 6 Nummer 2 nicht vorlägen und diese Vorschrift daher nicht angewendet werden könne. Die Rechtsmittelführer,
die Kommission und Italien vertreten hingegen die Ansicht, dass Artikel 6 Nummer 2 anwendbar sei.
28. Die verschiedenen Argumente befassen sich mit drei Gesichtspunkten.
29. Erstens hat Zurich España zu der Bedingung, dass der Hauptprozess nicht allein deshalb anhängig gemacht worden sein darf,
um den Streitverkündeten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen, in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die
Rechtsmittelführer versucht hätten, sie den spanischen Gerichten zu entziehen, indem sie Soptrans dazu gebracht hätten, das
Verfahren so zu führen, dass seine Anhängigmachung bei den spanischen Gerichten vermieden worden sei.
30. Dies ist jedoch eine Tatsachenfrage, die von den nationalen Gerichten zu klären ist. Sollte sich herausstellen, dass die Gerichtsstandswahl
allein darauf abzielte, Zurich España dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen, so wäre Artikel 6 Nummer 2 seinem Wortlaut
nach eindeutig nicht anwendbar.
31. Zweitens wird darüber gestritten, ob die Anwendung von Artikel 6 Nummer 2 davon abhängt, dass ein Zusammenhang zwischen dem
Hauptprozess und der Interventionsklage besteht, der entweder für die Erfüllung der Voraussetzungen des Artikels 22 oder aber
für den Nachweis, dass keine Umgehung des Gerichtsstands vorliegt, ausreicht.
32. Was den ersten Aspekt angeht, so stimme ich dem Argument zu, wonach im Fall der Streitverkündung durch den Beklagten ein innerer
Zusammenhang zwischen der Streitverkündung und dem Hauptprozess besteht. Wie die Kommission vorträgt, besteht der Zusammenhang
in dem möglichen Interesse des ursprünglichen Beklagten, von einem Streitverkündeten eine Gewährleistung oder einen anderen
Ausgleich für die Folgen der ursprünglichen Klage zu erhalten.
33. Jedenfalls erscheint klar, dass ein innerer Zusammenhang zwischen einer Klage gegen einen Versicherer auf Entschädigung für
die Folgen eines versicherten Ereignisses und Verfahren besteht, mit denen dieser Versicherer Ausgleich von einem anderen
Versicherer erlangen will, der eine Deckungszusage für dasselbe Ereignis erteilt haben soll.
34. Auf dieser Grundlage halte ich es nicht für notwendig, zusätzlich eine engere Beziehung im Sinne von Artikel 22 oder in einem
anderen Sinne zu fordern. Deshalb braucht auf das Vorbringen zur genauen Natur einer solchen Beziehung nicht eingegangen zu
werden.
35. Was den zweiten Aspekt betrifft, so ist das Bestehen oder Fehlen einer Absicht, eine Person ihren eigenen Gerichten zu entziehen,
unabhängig von dem Zusammenhang zwischen dem Hauptprozess und der Interventionsklage, und es besteht meiner Ansicht nach keine
Notwendigkeit, diese beiden Kriterien miteinander zu verbinden.
36. Zurich España verweist gleichwohl auf die Feststellung der Cour d’appel Montpellier, dass keine Gefahr bestehe, dass der Hauptprozess
und die Interventionsklage zu einander widersprechenden Entscheidungen führen würden.
37. Wie bereits gesagt, bin ich jedoch der Ansicht, dass Verfahren wie die vorliegenden in einem inneren Zusammenhang stehen und
dass die Kriterien des Artikels 22 – zu denen die Gefahr widersprechender Entscheidungen gehört – nicht einschlägig sind.
Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 22 den später angerufenen Gerichten lediglich erlaubt, nicht aber von ihnen
verlangt, das Verfahren auszusetzen oder sich für unzuständig zu erklären.
38. Drittens beschäftigen sich einige der Beteiligten mit der Frage, ob die Anwendung des Artikels 6 Nummer 2 auf Interventionsklagen
durch nationale Verfahrensregeln über die Zulässigkeit ausgeschlossen werden kann.
39. Die Rechtsmittelführer, die Kommission und Italien verweisen insoweit auf die Feststellung des Gerichtshofes in der Rechtssache
Hagen, wonach sich Artikel 6 Nummer 2 „[h]insichtlich der Gewährleistungsklage … auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts
[beschränkt] und … nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen im eigentlichen Sinne [betrifft]“ und „hinsichtlich der Verfahrensregeln
auf die für das nationale Gericht geltenden nationalen Rechtsvorschriften zurückzugreifen ist“
(7)
.
40. Die Rechtsmittelführer weisen darauf hin, dass nach Artikel 325 des französischen Zivilprozessgesetzbuchs eine Intervention
nur dann zulässig sei, wenn sie in einem hinreichenden Zusammenhang zu den Forderungen der Parteien im Hauptprozess stehe.
41. Es ist klar, dass nationale Verfahrensregeln die Möglichkeit, Interventionsklagen bei dem für den Hauptprozess zuständigen
Gericht anhängig zu machen, einschränken dürfen.
42. Allerdings ergibt sich aus dem Urteil Hagen
(8)
, dass ein nationales Gericht keine Zulässigkeitsvoraussetzungen des nationalen Rechts anwenden darf, die die Anwendung der
Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens einschränken würden.
43. Artikel 6 Nummer 2 ist deshalb auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts bei einer Klage auf Gewährleistung oder einer Interventionsklage
zwischen Versicherern im Sinne der nationalen Verfahrensregeln anwendbar. Angesichts des inneren Zusammenhangs zwischen solchen
Klagen und dem Hauptprozess setzt seine Anwendung lediglich voraus, dass kein Nachweis dafür vorliegt, dass der Hauptprozess
allein in der Absicht anhängig gemacht wurde, den Beklagten des Interventionsprozesses dem für ihn zuständigen Gericht zu
entziehen.
Ergebnis
44. Ich bin daher der Auffassung, dass der Gerichtshof die von der Cour de Cassation aufgeworfenen Fragen wie folgt beantworten
sollte:
- 1.
- Eine Klage auf Gewährleistung oder eine Interventionsklage zwischen Versicherern, die auf einer Mehrfachversicherung beruht,
fällt nicht unter die Vorschriften über Versicherungssachen im 3. Abschnitt von Titel II des Brüsseler Übereinkommens vom
27. September 1968 in seiner geänderten Fassung.
- 2.
- Artikel 6 Nummer 2 dieses Übereinkommens ist auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts bei einer Klage auf Gewährleistung
oder einer Interventionsklage zwischen Versicherern im Sinne der nationalen Verfahrensregeln anwendbar. Seine Anwendung setzt
lediglich voraus, dass kein Nachweis dafür vorliegt, dass der Hauptprozess allein in der Absicht anhängig gemacht wurde, den
Beklagten des Interventionsprozesses dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Nationale Zulässigkeitsvorschriften dürfen
nur insoweit angewendet werden, als sie die Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigen.
- 1 –
- Originalsprache: Englisch.
- 2 –
- Vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen. Eine konsolidierte Fassung des Übereinkommens mit den Änderungen durch die vier nachfolgenden Beitrittsübereinkommen
ist im ABl. 1998, C 27, S. 1, veröffentlicht. Mit Wirkung vom 1. März 2002 (nach dem in der vorliegenden Rechtssache maßgeblichen
Zeitraum) ist das Übereinkommen – außer für Dänemark und bestimmte überseeische Gebiete anderer Mitgliedstaaten – durch die
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) ersetzt worden.
- 3 –
- Urteil vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 201/82 (Gerling, Slg. 1983, 2503, Randnr. 17).
- 4 –
- Urteil vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C‑412/98 (Group Josi, Slg. 2000, I‑5925, Randnr. 65).
- 5 –
- Vgl. den Schlosser-Bericht zu dem Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs
Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen
in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof (ABl.
1979, C 59, S. 71), Nr. 149.
- 6 –
- Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly in der Rechtssache Group Josi, zitiert in Fußnote 4, Nr. 30.
- 7 –
- Urteil vom 15. Mai 1990 in der Rechtssache C‑365/88 (Hagen, Slg. 1990, I‑1845, Randnrn. 18 und 19).
- 8 –
- Randnr. 20.