Rechtssache C-433/03

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Aushandlung, Abschluss, Ratifizierung und Inkraftsetzung von Abkommen durch einen Mitgliedstaat – Binnenschiffsgüter‑ und ‑personenverkehr – Außenkompetenz der Gemeinschaft – Artikel 10 EG – Verordnungen (EWG) Nr. 3921/91 und (EG) Nr. 1356/96“

Schlussanträge des Generalanwalts A. Tizzano vom 10. März 2005 

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 14. Juli 2005 

Leitsätze des Urteils

1.     Vertragsverletzungsverfahren – Streitgegenstand – Bestimmung während des Vorverfahrens – Spätere Beschränkung – Zulässigkeit

(Artikel 226 EG)

2.     Vertragsverletzungsverfahren – Prüfung der Begründetheit durch den Gerichtshof – Maßgebliche Sachlage – Sachlage bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist

(Artikel 226 EG)

3.     Völkerrechtliche Verträge – Zuständigkeit der Gemeinschaft – Schaffung einer ausschließlichen Außenkompetenz der Gemeinschaft durch Ausübung ihrer internen Zuständigkeit – Voraussetzungen – Binnenschiffsverkehr – Verordnung Nr. 3921/91 – Gemeinschaftsregelung nicht ausreichend für einen Übergang der ausschließlichen Außenkompetenz auf die Gemeinschaft

(Artikel 71 Absatz 1 EG und 80 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 3921/91 des Rates)

4.     Verfahren – Klageschrift – Streitgegenstand – Bestimmung – Änderung im Laufe des Verfahrens – Verbot

5.     Mitgliedstaaten – Verpflichtungen – Verpflichtung zur Zusammenarbeit – Beschluss, mit dem die Kommission ermächtigt wird, im Namen der Gemeinschaft ein multilaterales Übereinkommen auszuhandeln – Handlungs- und Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten – Umfang

(Artikel 10 EG)

1.     Zwar wird der Gegenstand der nach Artikel 226 EG erhobenen Klage durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren umschrieben, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssen, aber dieses Erfordernis kann nicht so weit gehen, dass sie in jedem Fall völlig übereinstimmend formuliert sein müssen, sofern nur der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern lediglich beschränkt worden ist.

(vgl. Randnr. 28)

2.     Das Vorliegen einer Vertragsverletzung ist anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde; später eingetretene Änderungen können vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden.

(vgl. Randnr. 32)

3.     Die Gemeinschaft erwirbt aufgrund der Ausübung ihrer internen Zuständigkeit eine ausschließliche Außenkompetenz, wenn die völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Rechtsnormen fallen oder jedenfalls ein Gebiet erfassen, das bereits weitgehend von solchen Rechtsnormen abgedeckt ist, auch wenn kein Widerspruch zwischen diesen Verpflichtungen und den Gemeinschaftsvorschriften besteht.

Hat die Gemeinschaft daher in ihre internen Rechtsetzungsakte Klauseln über die Behandlung der Angehörigen von Drittstaaten aufgenommen oder hat sie ihren Organen ausdrücklich eine Zuständigkeit für Verhandlungen mit Drittstaaten übertragen, so erwirbt sie somit eine ausschließliche Außenkompetenz nach Maßgabe des von diesen Rechtsakten erfassten Bereiches.

Dies gilt – selbst in Ermangelung einer ausdrücklichen Klausel, mit der die Organe zu Verhandlungen mit Drittstaaten ermächtigt werden – auch dann, wenn die Gemeinschaft eine vollständige Harmonisierung auf einem bestimmten Gebiet verwirklicht hat, denn die insoweit erlassenen gemeinsamen Rechtsnormen könnten beeinträchtigt werden, wenn die Mitgliedstaaten die Freiheit zu Verhandlungen mit Drittstaaten behielten.

Was die Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von nicht aus der Gemeinschaft stammenden Verkehrsunternehmern zum innerstaatlichen Binnenschiffsverkehr angeht, hat die Gemeinschaft keine ausschließliche Außenkompetenz erworben. Die Verordnung Nr. 3921/91 über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Binnenschiffsgüter‑ und ‑personenverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, enthält nämlich keine Regelungen für diese Verkehrsunternehmer, da sie nur die in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Verkehrsunternehmer erfasst und da mit ihr deswegen keine umfassende Harmonisierung erfolgt ist.

(vgl. Randnrn. 44-48, 50, 52-53)

4.     Eine Partei kann im Laufe des Verfahrens den Streitgegenstand nicht selbst abändern, so dass die Begründetheit der Klage allein anhand der in der Klageschrift enthaltenen Anträge zu prüfen ist.

(vgl. Randnr. 61)

5.     Die durch Artikel 10 EG aufgestellte Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit ist allgemein anwendbar und unabhängig davon, ob es sich bei der betreffenden Zuständigkeit der Gemeinschaft um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt und ob die Mitgliedstaaten möglicherweise berechtigt sind, gegenüber Drittländern vertragliche Verpflichtungen einzugehen.

Insbesondere bestehen für die Mitgliedstaaten besondere Handlungs- und Unterlassungspflichten, wenn die Kommission dem Rat Vorschläge unterbreitet hat, die, obgleich sie vom Rat nicht angenommen worden sind, den Ausgangspunkt eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens darstellen.

Der Erlass eines Beschlusses durch den Rat, mit dem die Kommission ermächtigt wird, im Namen der Gemeinschaft ein Übereinkommen auszuhandeln, stellt den Beginn eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens auf internationaler Ebene dar und begründet deshalb zumindest eine Verpflichtung zu enger Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen, wenn nicht gar eine Unterlassungspflicht der Mitgliedstaaten, damit der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtert wird und die Einheitlichkeit und Kohärenz des völkerrechtlichen Gemeinschaftshandelns und der völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft gewährleistet sind.

(vgl. Randnrn. 64-66)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

14. Juli 2005(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Aushandlung, Abschluss, Ratifizierung und Inkraftsetzung von Abkommen durch einen Mitgliedstaat – Binnenschiffsgüter‑ und ‑personenverkehr – Außenkompetenz der Gemeinschaft – Artikel 10 EG – Verordnungen (EWG) Nr. 3921/91 und (EG) Nr. 1356/96“

In der Rechtssache C‑433/03

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 10. Oktober 2003,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Schmidt, W. Wils und A. Manville als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.‑D. Plessing als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt G. Schohe,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und der Richter C. Gulmann, J. Makarczyk und P. Kūris,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: R. Grass,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2005

folgendes

Urteil

1       Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland

a)      dadurch ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 EG und der Verordnung (EWG) Nr. 3921/91 des Rates vom 16. Dezember 1991 über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind (ABl. L 373, S. 1), verletzt hat, dass sie

–       das am 22. Oktober 1991 in Bonn unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Rumäniens über die Binnenschifffahrt (BGBl. 1993 II S. 770, im Folgenden: Abkommen mit Rumänien),

–       das am 8. November 1991 in Warschau unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Binnenschifffahrt (BGBl. 1993 II S. 779, im Folgenden: Abkommen mit Polen) und

–       das am 14. Juli 1992 in Bonn unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ukraine über die Binnenschifffahrt (BGBl. 1994 II S. 258, im Folgenden: Abkommen mit der Ukraine)

individuell ausgehandelt, abgeschlossen, ratifiziert und in Kraft gesetzt hat und

b)      dadurch ihre Verpflichtungen aus der Verordnung (EG) Nr. 1356/96 des Rates vom 8. Juli 1996 über gemeinsame Regeln zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr zwischen Mitgliedstaaten (ABl. L 175, S. 7) verletzt hat, dass sie sich geweigert hat, die Abkommen mit Rumänien, Polen und der Ukraine sowie

–       das am 26. Januar 1988 in Prag unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über die Binnenschifffahrt (BGBl. 1989 II S. 1035, im Folgenden: Abkommen mit der Tschechoslowakei) und

–       das am 15. Januar 1988 in Budapest unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Ungarn über die Binnenschifffahrt (BGBl. 1989 II S. 1026, im Folgenden: Abkommen mit Ungarn)

zu kündigen.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

 Vorschriften des EG‑Vertrags

2       Artikel 10 EG lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe.

Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten.“

3       In Bezug auf den Verkehrssektor bestimmt Artikel 70 EG, dass die Mitgliedstaaten die Ziele des Vertrages im Rahmen einer gemeinsamen Politik verfolgen.

4       Artikel 71 Absatz 1 EG lautet:

„Zur Durchführung des Artikels 70 wird der Rat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verkehrs gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen

a)      für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln aufstellen;

b)      für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen festlegen;

c)      Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit erlassen;

d)      alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften erlassen.“

5       Auf der Grundlage dieser Vorschrift hat der Rat die Verordnungen Nr. 3921/91 und Nr. 1356/96 erlassen.

 Verordnung Nr. 3921/91

6       Nach ihrer dritten Begründungserwägung zielt die Verordnung Nr. 3921/91 darauf ab, nichtansässigen Verkehrsunternehmen die Durchführung innerstaatlicher Güter- und Personenbeförderungen in der Binnenschifffahrt unter denselben Bedingungen zu gestatten, wie sie der betreffende Mitgliedstaat seinen eigenen Verkehrsunternehmen vorschreibt.

7       Zu diesem Zweck sieht Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung vor, dass ab 1. Januar 1993 jeder Unternehmer des Güter- und Personenverkehrs in der Binnenschifffahrt zum innerstaatlichen gewerblichen Güter- und Personenverkehr in der Binnenschifffahrt in einem Mitgliedstaat, in dem er nicht ansässig ist – der so genannten „Kabotage“ –, zugelassen ist, sofern er sich in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit dessen Rechtsvorschriften niedergelassen hat und gegebenenfalls dort die Genehmigung für den grenzüberschreitenden Güter- und Personenverkehr in der Binnenschifffahrt erhalten hat. Nach Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 2 kann ein Unternehmer, der diese Bedingungen erfüllt, die Kabotage vorübergehend in dem betreffenden Mitgliedstaat ausüben, ohne dort einen Unternehmenssitz oder eine Zweigniederlassung zu gründen.

8       Ferner bestimmt Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung, dass der Verkehrsunternehmer zur Durchführung der Kabotage nur zugelassen wird, wenn er nur Schiffe verwendet, deren Eigentümer natürliche Personen sind, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, oder juristische Personen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und mehrheitlich Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gehören.

9       Schließlich berührt die Verordnung Nr. 3921/91 nach ihrem Artikel 6 nicht die aufgrund der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschifffahrtsakte (im Folgenden: Mannheimer Akte) bestehenden Rechte.

 Verordnung Nr. 1356/96

10     Aus der Überschrift und der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1356/96 geht hervor, dass sie die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr zwischen Mitgliedstaaten durch die Aufhebung aller Beschränkungen zum Ziel hat, die mit der Staatsangehörigkeit des Erbringers von Dienstleistungen oder damit zusammenhängen, dass dieser in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll.

11     Die Artikel 1 und 2 dieser Verordnung bestimmen, dass ein Binnenschifffahrtsunternehmer ohne Diskriminierung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit und seines Niederlassungsorts zu den Beförderungen zwischen Mitgliedstaaten und für den Durchgangsverkehr durch Mitgliedstaaten zugelassen ist. Artikel 2 enthält auch die Bedingungen für diese Zulassung.

12     Gemäß Artikel 3 der Verordnung bleiben von ihr „[d]ie Rechte, die sich für die Verkehrsunternehmer aus Drittstaaten aus der Revidierten Rheinschifffahrtsakte (Mannheimer Akte) und aus dem Übereinkommen über die Regelung der Schifffahrt auf der Donau (Belgrader Übereinkommen) ergeben, … ebenso unberührt wie die internationalen Verpflichtungen, die die Gemeinschaft eingegangen ist“.

 Von der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Abkommen

13     Die in Randnummer 1 des vorliegenden Urteils genannten Abkommen (im Folgenden: Abkommen) stellen Regeln über die gegenseitige Nutzung der Binnenwasserstraßen für den Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr durch die Schiffe der Vertragsparteien auf.

14     Diese Abkommen sehen u. a. vor, dass Güter- und/oder Personenbeförderungen durch die Schiffe einer Vertragspartei zwischen zwei Häfen der anderen Partei (Kabotage) sowie Güter- und/oder Personenbeförderungen durch die Schiffe einer Vertragspartei zwischen Häfen der anderen Partei und Häfen eines Drittstaats (Verkehr mit Drittstaaten) einer speziellen Erlaubnis durch die zuständigen Behörden der betreffenden Vertragsparteien bedürfen.

15     Die Abkommen mit Ungarn und der Tschechoslowakei wurden durch zwei Gesetze vom 14. Dezember 1989 ratifiziert und traten am 31. Januar und 4. Mai 1990 in Kraft. Die Abkommen mit Rumänien und Polen wurden durch zwei Gesetze vom 19. April 1993 ratifiziert und traten am 9. Juli und 1. November 1993 in Kraft. Das Abkommen mit der Ukraine wurde durch Gesetz vom 2. Februar 1994 ratifiziert und trat am 1. Juli 1994 in Kraft.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und vorgerichtliches Verfahren

16     Am 28. Juni 1991 legte die Kommission dem Rat eine Empfehlung für einen Beschluss über die Aufnahme von Verhandlungen in Bezug auf den Abschluss eines Übereinkommens zwischen der Gemeinschaft und Drittländern im Bereich der Fracht- und Passagierbeförderung im Binnenschiffsverkehr vor.

17     Mit Beschluss vom 7. Dezember 1992 ermächtigte der Rat die Kommission, ein Übereinkommen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit Polen und den Vertragsstaaten der Donaukonvention (Ungarn, Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien, ehemalige UdSSR, ehemaliges Jugoslawien und Österreich) über Regeln für die Fracht‑ und Passagierbeförderung im Binnenschiffsverkehr auszuhandeln (im Folgenden: Beschluss des Rates vom 7. Dezember 1992).

18     Im Anschluss an diesen Beschluss des Rates bat die Kommission mit Schreiben vom 20. April 1993 mehrere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, „von jeder Initiative abzusehen, die den guten Verlauf der auf Gemeinschaftsebene unternommenen Verhandlungen gefährden könnte“, und insbesondere im Bereich der Binnenschifffahrt „auf eine Ratifizierung der schon paraphierten oder unterzeichneten Abkommen sowie auf die Eröffnung von neuen Verhandlungen mit Staaten Mittel- und Osteuropas zu verzichten“.

19     Am 8. April 1994 beschloss der Rat, dass den Verhandlungen mit der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen und der Slowakischen Republik Vorrang einzuräumen sei.

20     Die multilateralen Verhandlungen der Kommission führten am 5. August 1996 zur Paraphierung des Entwurfs eines Übereinkommens, auf dessen Grundlage die Kommission dem Rat am 13. Dezember 1996 einen Vorschlag für einen Beschluss über den Abschluss eines Abkommens zur Festlegung von Bedingungen für den Binnenschiffsgüter‑ und ‑personenverkehr zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Tschechischen Republik, der Republik Polen und der Slowakischen Republik vorlegte.

21     Bis heute wurde jedoch von der Gemeinschaft kein Übereinkommen mit den betreffenden Staaten geschlossen.

22     Mit Mahnschreiben vom 10. April 1995 und erweitertem Mahnschreiben vom 24. November 1998 leitete die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG ein und forderte die Bundesrepublik Deutschland auf, die Abkommen zu kündigen.

23     Da die deutsche Regierung in ihren Antwortschreiben vom 23. Juni 1995 und 26. Februar 1999 bestritt, dass der Abschluss der Abkommen Gemeinschaftsrecht verletze, gab die Kommission am 28. Februar 2000 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie die Bundesrepublik Deutschland aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

24     Da die Situation nach Ansicht der Kommission unbefriedigend blieb, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

 Zur Zulässigkeit

25     Die deutsche Regierung beruft sich erstens darauf, dass die Klage in Bezug auf die Abkommen mit Ungarn und der Tschechoslowakei unzulässig sei. Diese Abkommen seien in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht geprüft worden.

26     Insofern genügt die Feststellung, dass in der mit Gründen versehenen Stellungnahme im Zusammenhang mit der Rüge der Unvereinbarkeit der Abkommen mit der Verordnung Nr. 1356/96 eindeutig und mehrfach auf die Abkommen mit Ungarn und der Tschechoslowakei Bezug genommen wird und dass die Bundesrepublik Deutschland in Nummer 2 ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme ausdrücklich dazu Stellung genommen hat.

27     Zweitens bestreitet die deutsche Regierung die Zulässigkeit der Klage, soweit die Kommission sich darin auf die so genannten Open-skies-Urteile vom 5. November 2002 in den Rechtssachen C‑466/98 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2002, I‑9427), C‑467/98 (Kommission/Dänemark, Slg. 2002, I‑9519), C‑468/98 (Kommission/Schweden, Slg. 2002, I‑9575), C‑469/98 (Kommission/Finnland, Slg. 2002, I‑9627), C‑471/98 (Kommission/Belgien, Slg. 2002, I‑9681), C‑472/98 (Kommission/Luxemburg, Slg. 2002, I‑9741), C‑475/98 (Kommission/Österreich, Slg. 2002, I‑9797) und C‑476/98 (Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I‑9855) beruft, obwohl diese nach Beendigung des vorgerichtlichen Verfahrens ergangen sind. Die Kommission hätte nach Ansicht der deutschen Regierung vor Erhebung der Vertragsverletzungsklage eine neue mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland richten und darin auf diesen neuen Rechtsprechungskontext hinweisen müssen.

28     Zwar wird der Gegenstand der nach Artikel 226 EG erhobenen Klage durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren umschrieben, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssen, aber dieses Erfordernis kann nicht so weit gehen, dass sie in jedem Fall völlig übereinstimmend formuliert sein müssen, sofern nur der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern lediglich beschränkt worden ist (vgl. u. a. Urteile vom 16. September 1997 in der Rechtssache C‑279/94, Kommission/Italien, Slg. 1997, I‑4743, Randnrn. 24 und 25, vom 25. April 2002 in der Rechtssache C‑52/00, Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I‑3827, Randnr. 44, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑139/00, Kommission/Spanien, Slg. 2002, I‑6407, Randnrn. 18 und 19).

29     Die Kommission wollte durch die Bezugnahme auf die Open-skies-Urteile in ihrer Klageschrift lediglich auf die neueste Rechtsprechung zu den Grundsätzen hinweisen, die für die ausschließliche Außenkompetenz der Gemeinschaft gelten, ohne den in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 28. Februar 2000 festgelegten Streitgegenstand zu erweitern, zu ändern oder auch nur zu beschränken.

30     Die Klage ist demnach zulässig.

 Zur Klage

31     Zunächst beantragt die deutsche Regierung, festzustellen, dass die Klage in Bezug auf die Abkommen mit der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen durch den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 gegenstandslos geworden sei.

32     Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. u. a. Urteile vom 11. Oktober 2001 in der Rechtssache C‑110/00, Kommission/Österreich, Slg. 2001, I‑7545, Randnr. 13, und vom 19. Februar 2004 in der Rechtssache C‑310/03, Kommission/Luxemburg, Slg. 2004, I‑1969, Randnr. 7).

33     Im vorliegenden Fall ist die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist am 28. April 2000 abgelaufen, so dass sich der Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit auswirkt.

34     Die Kommission stützt ihre Klage auf drei Rügen. Erstens wirft sie der Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung der ausschließlichen Außenkompetenz der Gemeinschaft im Sinne des Urteils vom 31. März 1971 in der Rechtssache 22/70 (Kommission/Rat, „AETR“, Slg. 1971, 263) vor. Zweitens macht sie eine Verletzung von Artikel 10 EG geltend. Drittens führt sie aus, dass die Abkommen nicht mit der Verordnung Nr. 1356/96 vereinbar seien.

 Zur ersten Rüge: Verletzung der ausschließlichen Außenkompetenz der Gemeinschaft

 Vorbringen der Parteien

35     Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission geltend, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Sinne des Urteils AETR verletzt habe, dass sie die Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine ausgehandelt, geschlossen, ratifiziert und in Kraft gesetzt habe. Diese Abkommen beeinträchtigten die gemeinsamen Regeln, die die Gemeinschaft mit der Verordnung Nr. 3921/91 erlassen habe.

36     Insbesondere beeinträchtigten die streitigen Abkommen dadurch, dass sie Verkehrsunternehmern aus den betreffenden Drittstaaten mit spezieller Erlaubnis den Zugang zur Kabotage in Deutschland ermöglichten, die gemeinsamen Regeln der Verordnung Nr. 3921/91, soweit diese Regeln ab dem 1. Januar 1993 die Bedingungen für die Zulassung zur Kabotage in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft umfassend harmonisierten.

37     Die Verordnung Nr. 3921/91 erfasse nicht nur die Verkehrsunternehmer aus der Gemeinschaft, sondern auch die Verkehrsunternehmer aus Drittstaaten, weil ihr Artikel 6 den Zugang schweizerischer Verkehrsunternehmer zur Kabotage nach der Mannheimer Akte anerkenne.

38     Die deutsche Regierung macht geltend, die Bestimmungen der Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine fielen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 3921/91 oder erfassten ein Gebiet, das bereits weitgehend von ihr abgedeckt sei, so dass die von der Gemeinschaft mit dieser Verordnung erlassenen gemeinsamen Regeln von den Abkommen unberührt blieben.

39     Die Verordnung Nr. 3921/91 habe rein internen Charakter. Sie regele nur die Kabotage auf den Binnenwasserstraßen eines Mitgliedstaats durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Verkehrsunternehmer und enthalte keine Bestimmung über die Bedingungen, unter denen Verkehrsunternehmer aus Drittstaaten die Erlaubnis erhalten könnten, Kabotageleistungen auf den Binnenwasserstraßen der Gemeinschaft zu erbringen.

40     Die Bezugnahme auf die Mannheimer Akte in Artikel 6 der Verordnung Nr. 3921/91 könne nicht als eine Bestimmung über die Behandlung von Staatsangehörigen aus Drittstaaten ausgelegt werden. Diese Bestimmung betreffe allein die Schweiz und bestätige lediglich die Rechte, die diese nach der Mannheimer Akte habe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

41     Zwar überträgt der Vertrag der Gemeinschaft nicht ausdrücklich eine Außenkompetenz auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt, aber die Artikel 71 Absatz 1 EG und 80 Absatz 1 EG sehen eine Handlungsbefugnis der Gemeinschaft auf diesem Gebiet vor.

42     In den Randnummern 16 bis 18 und 22 des Urteils AETR hat der Gerichtshof entschieden, dass sich die Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss völkerrechtlicher Übereinkommen nicht nur aus einer ausdrücklichen Erteilung durch den Vertrag ergibt, sondern auch aus anderen Vertragsbestimmungen und aus in ihrem Rahmen ergangenen Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane fließen kann. Insbesondere sind in den Bereichen, in denen die Gemeinschaft zur Verwirklichung einer vom Vertrag vorgesehenen gemeinsamen Politik Vorschriften erlassen hat, die in irgendeiner Form gemeinsame Rechtsnormen vorsehen, die Mitgliedstaaten weder einzeln noch gemeinsam handelnd berechtigt, mit Drittstaaten Verpflichtungen einzugehen, die diese Normen beeinträchtigen. In dem Maß, wie die Schaffung dieser gemeinsamen Normen fortschreitet, kann nur die Gemeinschaft mit Wirkung für den gesamten Geltungsbereich der Gemeinschaftsrechtsordnung vertragliche Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten übernehmen und erfüllen. Die Mitgliedstaaten können außerhalb des Rahmens der Gemeinschaftsorgane keine Verpflichtungen eingehen, die die Gemeinschaftsrechtsnormen, die zur Verwirklichung der Ziele des Vertrages ergangen sind, beeinträchtigen oder in ihrer Tragweite ändern können.

43     Stünde es den Mitgliedstaaten weiterhin frei, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, die die gemeinsamen Rechtsnormen beeinträchtigen, so würde die Verwirklichung des mit diesen Rechtsnormen verfolgten Zweckes sowie der Aufgabe der Gemeinschaft und der Ziele des Vertrages unterlaufen (Urteil vom 2. Juni 2005 in der Rechtssache C‑266/03, Kommission/Luxemburg, Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 41).

44     Die Bedingungen, unter denen völkerrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten die Tragweite gemeinsamer Rechtsnormen beeinträchtigen oder ändern können und unter denen die Gemeinschaft daher durch Ausübung ihrer internen Zuständigkeit eine ausschließliche Außenkompetenz erwirbt, hat der Gerichtshof u. a. in seinen Open-skies-Urteilen wiederholt.

45     Dies ist der Fall, wenn die völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Rechtsnormen fallen oder jedenfalls ein Gebiet erfassen, das bereits weitgehend von solchen Rechtsnormen abgedeckt ist, auch wenn kein Widerspruch zwischen diesen Rechtsnormen und den genannten Verpflichtungen besteht (Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 108).

46     Hat die Gemeinschaft in ihre internen Rechtsetzungsakte Bestimmungen über die Behandlung von Staatsangehörigen aus Drittstaaten aufgenommen oder hat sie ihren Organen ausdrücklich eine Zuständigkeit für Verhandlungen mit Drittstaaten übertragen, so erwirbt sie somit eine ausschließliche Außenkompetenz nach Maßgabe des von diesen Rechtsakten erfassten Bereiches (Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 109).

47     Dies gilt – selbst in Ermangelung einer ausdrücklichen Klausel, mit der die Organe zu Verhandlungen mit Drittstaaten ermächtigt werden – auch dann, wenn die Gemeinschaft eine vollständige Harmonisierung auf einem bestimmten Gebiet verwirklicht hat, denn die insoweit erlassenen gemeinsamen Rechtsnormen könnten im Sinne des Urteils AETR beeinträchtigt werden, wenn die Mitgliedstaaten die Freiheit zu Verhandlungen mit Drittstaaten behielten (Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 110).

48     Wie aus der Überschrift und den Artikeln 1 und 2 der Verordnung Nr. 3921/91 hervorgeht, legt sie die Bedingungen für die Zulassung zum Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats nur für die Verkehrsunternehmer der Gemeinschaft fest. Diese Vorschriften erfassen nämlich nur die Güter- und Personenverkehrsunternehmer, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind und Schiffe verwenden, deren Eigentümer natürliche Personen sind, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, oder juristische Personen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und mehrheitlich Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gehören (Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 46).

49     Die Bezugnahme in Artikel 6 der Verordnung Nr. 3921/91 auf die nach der Mannheimer Akte bestehenden Rechte kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen, weil die Gemeinschaft darin lediglich die Rechte zur Kenntnis nimmt, die sich für die Schweiz aus der Mannheimer Akte ergeben (Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 47).

50     Folglich regelt die Verordnung Nr. 3921/91 nicht die Bedingungen für die Zulassung von nicht aus der Gemeinschaft stammenden Verkehrsunternehmern zum innerstaatlichen Binnenschiffsgüter‑ und ‑personenverkehr in einem Mitgliedstaat (Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 48).

51     Da die Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine nicht in einen bereits von der Verordnung Nr. 3921/91 erfassten Bereich fallen, können sie diese Verordnung nicht aus dem von der Kommission genannten Grund beeinträchtigen.

52     Außerdem ergibt sich gerade aus der Tatsache, dass die Verordnung Nr. 3921/91 keine Regeln für in Drittstaaten niedergelassene Verkehrsunternehmer enthält, die innerhalb der Gemeinschaft tätig werden, dass mit dieser Verordnung keine umfassende Harmonisierung erfolgt ist.

53     Daher ist das Vorbringen der Kommission, dass die Gemeinschaft auf dem durch die Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine geregelten Gebiet eine ausschließliche Außenkompetenz im Sinne des Urteils AETR erworben habe, unbegründet.

54     Unter diesen Umständen ist die erste Rüge zurückzuweisen.

 Zur zweiten Rüge: Verletzung von Artikel 10 EG

 Vorbringen der Parteien

55     Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch, dass sie die mit Polen, Rumänien und der Ukraine geschlossenen Abkommen ratifiziert und in Kraft gesetzt habe, nachdem der Rat am 7. Dezember 1992 beschlossen habe, die Kommission zu ermächtigen, im Namen der Gemeinschaft ein Übereinkommen auszuhandeln, und nachdem die Kommission die deutsche Regierung mit Schreiben vom 20. April 1993 gebeten habe, auf die Ratifizierung dieser Abkommen zu verzichten, die Verwirklichung des genannten Beschlusses gefährdet und damit ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 EG verletzt. Die Aushandlung eines Übereinkommens im Namen der Gemeinschaft durch die Kommission sowie dessen späterer Abschluss durch den Rat würden nämlich durch interferierende Einzelinitiativen eines Mitgliedstaats erschwert.

56     In ihrer Erwiderung fügt die Kommission hinzu, die Beibehaltung des Abkommens mit der Tschechoslowakei durch eine am 22. April 1993 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Mitteilung vom 24. März 1993 (BGBl. 1993 II S. 762) verletze ebenfalls Artikel 10 EG.

57     Die deutsche Regierung beruft sich darauf, dass die Mitgliedstaaten nicht nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gezwungen werden könnten, bereits mit Drittstaaten geschlossene Abkommen zu kündigen, weil die Kommission auf dem durch diese Abkommen geregelten Gebiet Verhandlungen aufnehme. Da der Ausgang solcher Verhandlungen und der Abschluss eines Übereinkommens im Namen der Gemeinschaft naturgemäß ungewiss seien, werde durch eine solche Kündigung bis zum etwaigen Inkrafttreten eines Übereinkommens ein rechtsfreier Raum geschaffen.

58     Jedenfalls seien die Anforderungen des Artikels 10 EG erfüllt, da die deutsche Regierung sich nach Rücksprache mit der Kommission während der Aushandlung der Abkommen bereit erklärt habe, diese zu kündigen, sobald ein Gemeinschaftsabkommen geschlossen werde; zudem sei die Kündigungsfrist für die Abkommen auf sechs Monate verkürzt worden.

59     Ferner seien die Abkommen unterzeichnet worden, bevor der Rat seinen Beschluss vom 7. Dezember 1992 erlassen habe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

60     Zur Zulässigkeit der Rüge ist in Bezug auf die Beibehaltung des Abkommens mit der Tschechoslowakei zunächst festzustellen, dass diese Rüge von der Kommission in ihrer Erwiderung erhoben wurde und daher nicht vom Gerichtshof geprüft werden kann. Eine solche Rüge wurde nämlich von der Kommission in ihrer Klageschrift nicht geltend gemacht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 298/86, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 4343, Randnr. 8).

61     Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Partei im Laufe des Verfahrens den Streitgegenstand nicht selbst abändern, so dass die Begründetheit der Klage allein anhand der in der Klageschrift enthaltenen Anträge zu prüfen ist (vgl. u. a. Urteile vom 25. September 1979 in der Rechtssache 232/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1979, 2729, Randnr. 3, und vom 6. April 2000 in der Rechtssache C‑256/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I‑2487, Randnr. 31).

62     Folglich ist die Rüge der Kommission als unzulässig zurückzuweisen, soweit sie die Beibehaltung des Abkommens mit der Tschechoslowakei betrifft.

63     Sodann ist in Bezug auf die Begründetheit dieser Rüge daran zu erinnern, dass Artikel 10 EG die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgabe zu erleichtern und alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten.

64     Diese Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit ist allgemein anwendbar und unabhängig davon, ob es sich bei der betreffenden Zuständigkeit der Gemeinschaft um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt und ob die Mitgliedstaaten möglicherweise berechtigt sind, gegenüber Drittländern vertragliche Verpflichtungen einzugehen (Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 58).

65     Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass für die Mitgliedstaaten besondere Handlungs- und Unterlassungspflichten bestehen, wenn die Kommission dem Rat Vorschläge unterbreitet hat, die, obgleich sie vom Rat nicht angenommen worden sind, den Ausgangspunkt eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens darstellen (Urteile vom 5. Mai 1981 in der Rechtssache 804/79, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1981, 1045, Randnr. 28, und vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 59).

66     Der Erlass eines Beschlusses, mit dem die Kommission ermächtigt wird, im Namen der Gemeinschaft ein Übereinkommen auszuhandeln, stellt den Beginn eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens auf internationaler Ebene dar und begründet deshalb zumindest eine Verpflichtung zu enger Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen, wenn nicht gar eine Unterlassungspflicht der Mitgliedstaaten, damit der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtert wird und die Einheitlichkeit und Kohärenz des völkerrechtlichen Gemeinschaftshandelns und der völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft gewährleistet sind (Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 60).

67     Im vorliegenden Fall hat – wie der Generalanwalt in Nummer 92 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – der Beschluss des Rates vom 7. Dezember 1992 eine substanzielle Änderung des rechtlichen Rahmens der Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine bewirkt und eine engere Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Kommission vor der Ratifizierung und Inkraftsetzung dieser Abkommen erforderlich gemacht.

68     Wie auch der Generalanwalt in den Nummern 90 und 91 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, hat die deutsche Regierung die Kommission zwar während der Aushandlung und der Unterzeichnung der Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine – also vor dem Beschluss des Rates vom 7. Dezember 1992 – konsultiert, doch danach hat die Bundesrepublik Deutschland diese Abkommen unstreitig ratifiziert und in Kraft gesetzt, ohne mit der Kommission zusammengearbeitet oder sich mit ihr abgestimmt zu haben.

69     Dadurch hat dieser Mitgliedstaat die Umsetzung des Beschlusses des Rates vom 7. Dezember 1992 und infolgedessen auch die Erfüllung der Aufgabe der Gemeinschaft sowie die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährdet.

70     Die Rücksprache mit der Kommission drängte sich umso mehr auf, als der Rat und die Kommission sich darauf verständigt hatten, im Verfahren zur Aushandlung des Übereinkommens im Namen der Gemeinschaft die in einem dem Verhandlungsmandat vom 7. Dezember 1992 als Anhang beigefügten Gentleman’s Agreement aufgestellten Verhaltensregeln anzuwenden, die eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten vorsehen. Insofern bestimmt Titel II Nummer 3 Buchstabe d des Gentleman’s Agreement: „Bei den Verhandlungen spricht die Kommission im Namen der Gemeinschaft; die Vertreter der Mitgliedstaaten ergreifen nur auf Bitte der Kommission das Wort. Darüber hinaus unterlassen die Vertreter der Mitgliedstaaten jegliche Handlung, die die Kommission bei der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Aufgaben beeinträchtigen könnte.“

71     Zwar wurden, wie die deutsche Regierung hervorhebt, die Abkommen vor dem Beschluss des Rates vom 7. Dezember 1992 unterzeichnet, aber die Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine wurden erst danach ratifiziert und in Kraft gesetzt.

72     Schließlich ist der Umstand, dass die deutsche Regierung sich verpflichtet hat, die Abkommen zu kündigen, sobald ein Übereinkommen im Namen der Gemeinschaft geschlossen wird, kein Beleg dafür, dass die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Artikel 10 EG eingehalten wurde. Da eine solche Kündigung nach der Aushandlung und dem Abschluss dieses Übereinkommens erfolgen würde, hätte sie keinerlei praktische Wirksamkeit, weil sie die multilateralen Verhandlungen der Kommission in keiner Weise erleichtert hätte.

73     Nach alledem hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 EG verletzt, dass sie die Abkommen mit Polen, Rumänien und der Ukraine ratifiziert und in Kraft gesetzt hat, ohne mit der Kommission zusammenzuarbeiten oder sich mit ihr abzustimmen.

74     Folglich ist die zweite Rüge in dem in der vorstehenden Randnummer angegebenen Umfang begründet.

 Zur dritten Rüge: Unvereinbarkeit der Abkommen mit der Verordnung Nr. 1356/96

 Vorbringen der Parteien

75     Mit ihrer dritten Rüge macht die Kommission geltend, es sei mit den Artikeln 1 und 2 und den allgemeinen Zielen der Verordnung Nr. 1356/96 unvereinbar, dass nach deren Erlass Bestimmungen in den Abkommen beibehalten worden seien, die für die in den betreffenden Drittstaaten registrierten Schiffe die Möglichkeit vorsähen, Dienstleistungen des Binnenschiffsverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu erbringen, sofern sie über eine spezielle Erlaubnis der zuständigen Behörde verfügten.

76     Durch die einseitige Gewährung von Zugangsrechten durch die Bundesrepublik Deutschland oder jedenfalls dadurch, dass sich dieser Mitgliedstaat das Recht vorbehalten habe, Verkehrsunternehmern, die nicht die Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1356/96 erfüllten, für Verbindungen innerhalb der Gemeinschaft einseitig Zugangsrechte einzuräumen, änderten die Abkommen einseitig und außerhalb der Kontrolle der Gemeinschaft die Natur und die Reichweite der durch das Gemeinschaftsrecht festgelegten Regeln über die innergemeinschaftliche Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt. Es sei unstreitig, dass die tschechischen, ungarischen, polnischen, rumänischen, slowakischen und ukrainischen Verkehrs‑ und Schifffahrtsunternehmer, die nach den Abkommen eine Erlaubnis für die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erhalten könnten, keine dieser Voraussetzungen erfüllten.

77     Die deutsche Regierung trägt vor, die Abkommen fielen weder in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1356/96, noch erfassten sie ein Gebiet, das bereits weitgehend von ihr abgedeckt sei.

78     Die Verordnung Nr. 1356/96 solle lediglich den Binnenmarkt durch die Festlegung gemeinsamer Regeln für den Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr zwischen Mitgliedstaaten herstellen; sie enthalte keine Vorschriften zur Regelung des Zugangs von Unternehmen aus Drittstaaten zu den Dienstleistungen des Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehrs in der Gemeinschaft.

 Würdigung durch den Gerichtshof

79     Der Hauptzweck der Verordnung Nr. 1356/96 besteht in der Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten durch die Aufhebung aller Beschränkungen oder Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Niederlassungsorts des Dienstleistungserbringers.

80     Gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 1356/96 kommt dieses System der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr allen Verkehrsunternehmern zugute, die

–       in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit dessen Rechtsvorschriften niedergelassen sind,

–       dort zur Durchführung von grenzüberschreitenden Güter- und Personenbeförderungen in der Binnenschifffahrt befugt sind,

–       für diese Beförderungen Binnenschiffe einsetzen, die in einem Mitgliedstaat eingetragen sind oder für die in dem Fall, dass keine Eintragung erfolgt ist, eine Bescheinigung über die Zugehörigkeit zur Flotte eines Mitgliedstaats vorliegt, und

–       die Bedingungen gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 3921/91 erfüllen, d. h. Schiffe verwenden, deren Eigentümer natürliche Personen sind, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, oder juristische Personen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und mehrheitlich Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gehören.

81     Auch wenn die Verordnung Nr. 1356/96 ein System der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zugunsten der in diesen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verkehrsunternehmer regelt, ist festzustellen, dass das damit durch diese Verordnung eingeführte System nicht bezweckt oder bewirkt, die in Drittstaaten niedergelassenen Verkehrsunternehmer oder dort eingetragene Schiffe daran zu hindern, solche Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu erbringen (vgl. Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg, Randnr. 73).

82     Die Abkommen führen zudem kein System der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und ‑personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zugunsten der tschechischen, ungarischen, polnischen, slowakischen, rumänischen und ukrainischen Verkehrsunternehmer ein, sondern beschränken sich darauf, durch eine spezielle Erlaubnis der zuständigen Behörden der Vertragsparteien für die in den betreffenden Drittstaaten eingetragenen Schiffe die Möglichkeit vorzusehen, solche Dienstleistungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu erbringen.

83     Folglich wurde durch die Bestimmungen der streitigen Abkommen entgegen dem Vorbringen der Kommission weder die Natur noch die Reichweite der Vorschriften der Verordnung Nr. 1356/96 geändert.

84     Unter diesen Umständen ist die dritte Rüge zurückzuweisen.

85     Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 EG verletzt hat, dass sie die Abkommen ratifiziert und in Kraft gesetzt hat, ohne mit der Kommission zusammenzuarbeiten oder sich mit ihr abzustimmen; im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

86     Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage der Kommission nur teilweise stattgegeben wird, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 EG verletzt, dass sie

–       das am 22. Oktober 1991 in Bonn unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Rumäniens über die Binnenschifffahrt,

–       das am 8. November 1991 in Warschau unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Binnenschifffahrt und

–       das am 14. Juli 1992 in Bonn unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ukraine über die Binnenschifffahrt

ratifiziert und in Kraft gesetzt hat, ohne mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten oder sich mit ihr abzustimmen.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die Bundesrepublik Deutschland tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften.


* Verfahrenssprache: Deutsch.