Schlüsselwörter
Leitsätze

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1. Freizügigkeit – Einreise- und Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten – Anerkennung des Aufenthaltsrechts eines Empfängers von Dienstleistungen, der Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, unter der Voraussetzung, dass er einen Personalausweis oder einen Reisepass vorlegt, unter Ausschluss jedes anderen Mittels des Nachweises seiner Identität oder Staatsangehörigkeit – Unzulässigkeit

(Richtlinie 73/148 des Rates, Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3)

2. Freier Dienstleistungsverkehr – Freizügigkeit von Dienstleistungsempfängern – Gleichbehandlung – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Verpflichtung der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit unter Ausschluss jedes anderen Beweismittels einen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen – Unzulässigkeit

(Artikel 12 EG und 49 EG)

3. Freizügigkeit – Freier Dienstleistungsverkehr – Einreise- und Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten – Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zur Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses – Keine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung – Maßnahme der Inhaftnahme zum Zweck der Abschiebug – Unzulässigkeitt

(Artikel 49 EG; Richtlinie 73/148 des Rates, Artikel 8)

4. Freizügigkeit – Freier Dienstleistungsverkehr – Einreise- und Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten – Verpflichtung zur Erbringung der Nachweise, dass der Aufenthalt ordnungsgemäß ist – Recht des Aufnahmemitgliedstaats, in Ermangelung solcher Nachweise die Abschiebung anzuordnen

(Artikel 49 EG; Richtlinie 73/148 des Rates)

Leitsätze

1. Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung des Aufenthaltsrechts eines Empfängers von Dienstleistungen, der Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, nicht davon abhängig machen kann, dass der Betroffene einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, sofern seine Identität und seine Staatsangehörigkeit zweifelsfrei mit anderen Mitteln nachgewiesen werden können.

(vgl. Randnr. 26, Tenor 1)

2. Artikel 49 EG steht dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten, die sich als Empfänger von Dienstleistungen in diesem Mitgliedstaat aufhalten, der Verpflichtung unterworfen werden, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, wenn in diesem Mitgliedstaat für die eigenen Staatsangehörigen keine allgemeine Ausweispflicht gilt, sondern diesen erlaubt ist, ihre Identität mit jedem nach nationalem Recht zulässigen Mittel nachzuweisen. Artikel 49 EG stellt nämlich im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nach Artikel 12 EG dar, der jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet.

Zwar verbietet es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat nicht, zu kontrollieren, ob die Verpflichtung zur Vorlage eines Ausweispapiers eingehalten wird; der Mitgliedstaat muss dann jedoch seinen eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich ihres Personalausweises dieselbe Verpflichtung auferlegen.

(vgl. Randnrn. 33-35, Tenor 2)

3. Eine Maßnahme der Inhaftnahme eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, dessen Aufenthalt auf seiner Eigenschaft als Empfänger von Dienstleistungen beruht, zum Zweck der Abschiebung, die wegen der unterbliebenen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses – auch ohne Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung – angeordnet wird, stellt ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar und verstößt damit gegen Artikel 49 EG.

Denn es steht zwar den Mitgliedstaaten frei, Zuwiderhandlungen gegen die Verpflichtung zur Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses zu ahnden; doch müssen die Sanktionen denjenigen vergleichbar sein, die für entsprechende nationale Zuwiderhandlungen gelten, und verhältnismäßig sein. Insoweit würden Haft- oder Abschiebungsmaßnahmen, die ausschließlich darauf gestützt wären, dass der Betroffene gesetzliche Formalitäten in Bezug auf die Ausländerüberwachung nicht erfüllt hat, den Kern des unmittelbar vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Aufenthaltsrechts antasten und stünden offensichtlich außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung.

Eine Haftmaßnahme kann nur aufgrund einer ausdrücklichen Ausnahmevorschrift wie etwa Artikel 8 der Richtlinie 73/148 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt sein, wonach die Mitgliedstaaten das Aufenthaltsrecht von Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten beschränken können, soweit die Beschränkungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Die Tatsache, dass die für Einreise, Ortswechsel und Aufenthalt von Ausländern geltenden gesetzlichen Formalitäten nicht erfüllt sind, kann jedoch als solche keine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bedeuten.

(vgl. Randnrn. 38, 40-42, 44, Tenor 3)

4. Unbeschadet der Fragen, die die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit betreffen, ist es Sache der Angehörigen eines Mitgliedstaats, die sich als Empfänger von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, die Nachweise dafür zu erbringen, dass ihr Aufenthalt im Sinne der Richtlinie 73/148 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs ordnungsgemäß ist. Der Nachweis der Identität und der Staatsangehörigkeit kann jedoch in Ermangelung eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses mit anderen Mitteln geführt werden. Ebenso kann der Nachweis der Zugehörigkeit des Betroffenen zu einer der in den Artikeln 1 und 4 der Richtlinie 73/148 genannten Personengruppen gemäß Artikel 6 dieser Richtlinie mit jedem geeigneten Mittel geführt werden.

In Ermangelung solcher Nachweise kann der Aufnahmemitgliedstaat unter Beachtung der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen die Abschiebung anordnen.

(vgl. Randnrn. 53-56, Tenor 4)