Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen

(Artikel 230 EG)

2. Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen

(Artikel 230 EG)

3. Staatliche Beihilfen – Bestehende Beihilfen

(Artikel 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Artikel 1 Buchstabe b Ziffer v)

4. Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission

(Artikel 87 EG)

5. Staatliche Beihilfen – Begriff

(Artikel 87 Absatz 1 EG)

6. Staatliche Beihilfen – Begriff

(Artikel 87 Absatz 1 EG)

7. Handlungen der Organe – Begründungspflicht – Umfang

(Artikel 253 EG)

8. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Vertrauensschutz – Voraussetzungen

9. Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission, mit der die Abschaffung einer Steuerregelung vorgeschrieben wird, die im Wege der Anerkennung gewährt wurde

Leitsätze

1. Gemäß Artikel 230 EG kann eine natürliche oder juristische Person nur dann gegen eine Entscheidung, die an eine andere Person gerichtet ist, Klage erheben, wenn diese Entscheidung sie unmittelbar und individuell betrifft.

Was die zweitgenannte Voraussetzung betrifft, so schließt der Umstand, dass eine streitige Vorschrift ihrer Natur und ihrer Tragweite nach eine generelle Norm ist, da sie für sämtliche betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, nicht aus, dass sie einige von ihnen individuell betrifft.

Eine natürliche oder juristische Person kann nur dann individuell betroffen sein, wenn die streitige Bestimmung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt.

Wenn die angefochtene Maßnahme eine Gruppe von Personen berührt, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme anhand von den Mitgliedern der Gruppe eigenen Merkmalen feststanden oder feststellbar waren, können diese Personen von der Maßnahme insoweit individuell betroffen sein, als sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören. Dies ist der Fall bei Unternehmen, für die eine Entscheidung der Kommission auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen verhindert, dass der Vorteil aus einer nationalen Steuerausnahmeregelung bis zu dem vom nationalen Recht vorgesehenen Endzeitpunkt Bestand hat oder dass die beantragte und beanspruchbare Verlängerung dieses Vorteils gewährt wird.

(vgl. Randnrn. 55, 58-64)

2. Ein Verband, der mit der Wahrnehmung der Gruppeninteressen von Unternehmen betraut ist, ist grundsätzlich nur dann zu einer Nichtigkeitsklage gegen eine endgültige Entscheidung der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen befugt, wenn die betreffenden Unternehmen oder einige davon individuell klagebefugt sind oder wenn er ein eigenes Interesse geltend machen kann.

(vgl. Randnr. 56)

3. Die Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG], die die Ausübung der der Kommission in Artikel 88 EG übertragenen Befugnisse kodifiziert, definiert nicht, was unter dem Begriff der „Entwicklung des Gemeinsamen Marktes“ in ihrem Artikel 1 Buchstabe b Ziffer v zu verstehen ist, nach dem eine Maßnahme, die im Zeitpunkt ihrer Einführung keine Beihilfe war, doch als bestehende Beihilfe gilt, soweit sie „später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu [einer Beihilfe]“ wurde. Dieser Begriff, der dahin verstanden werden kann, dass es sich um eine Änderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten in dem von der fraglichen Maßnahme betroffenen Sektor handelt, betrifft nicht den Fall, dass die Kommission ihre Beurteilung allein aufgrund einer strengeren Anwendung der Beihilfevorschriften des EG-Vertrags ändert.

Jedoch stellt die Verordnung eine in Anwendung der Artikel 87 EG und 88 EG erlassene Maßnahme des abgeleiteten Rechts dar, die die Bedeutung dieser Artikel nicht einschränken kann, zumal die Kommission ihre Befugnisse unmittelbar aus diesen ableitet. Artikel 88 Absatz 1 EG überträgt der Kommission nämlich die Aufgabe, die in den Mitgliedstaaten bestehenden Beihilferegelungen fortlaufend zu überprüfen und den Mitgliedstaaten die zweckdienlichen Maßnahmen vorzuschlagen, die aufgrund der fortschreitenden Entwicklung des Gemeinsamen Marktes und für sein Funktionieren erforderlich sind. Nach Artikel 88 Absatz 2 kann die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat, falls dies fehlschlägt, Umgestaltungen oder die Aufhebung der Beihilfe binnen einer bestimmten Frist aufgeben.

Die Kommission erfüllt also die ihr nach Artikel 88 EG zukommende Rolle, wenn sie beschließt, eine in einem Mitgliedstaat für bestimmte Unternehmen geltende Steuerregelung einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, die, obwohl sie in früheren Entscheidungen nicht als Beihilfe angesehen wurde, von einer Arbeitsgruppe des Rates als für den Gemeinsamen Markt schädlich eingestuft worden ist, und wenn sie auf diese Regelung das Verfahren der Überprüfung einer bestehenden Beihilfe anwendet und dabei zu dem Schluss gelangt, dass die Regelung nunmehr eine unvereinbare staatliche Beihilfe darstelle. Deshalb bilden die Artikel 87 EG und 88 EG die Rechtsgrundlage einer solchen Entscheidung.

Damit ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gewahrt, und diese Entscheidung stellt einen klaren Rechtsakt dar, dessen Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar war. Demzufolge verstößt die Entscheidung nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.

(vgl. Randnrn. 70-76)

4. Die Kommission kann sich im Falle eines Beihilfeprogramms darauf beschränken, die Merkmale des fraglichen Programms zu untersuchen, um zu beurteilen, ob es den Beihilfeempfängern gegenüber deren Wettbewerbern einen spürbaren Vorteil sichert. Sie ist auch nicht verpflichtet, jeden einzelnen Anwendungsfall der Regelung zu prüfen.

(vgl. Randnr. 82)

5. Der Begriff der Beihilfe erfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, Darlehen oder Beteiligungen am Kapital von Unternehmen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, und die somit, ohne Subventionen im strengen Wortsinn zu sein, diesen nach Art und Wirkung gleichstehen.

Eine Maßnahme, mit der staatliche Stellen bestimmten Unternehmen eine Abgabenbefreiung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, aber die Begünstigten finanziell besser stellt als die übrigen Abgabepflichtigen, ist eine staatliche Beihilfe.

(vgl. Randnrn. 86-87)

6. Artikel 87 Absatz 1 EG verlangt die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Ist dies der Fall, erfüllt die betreffende Maßnahme das Tatbestandsmerkmal der Selektivität, das zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung gehört.

(vgl. Randnr. 119)

7. Wenn auch die in Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung eines Rechtsakts der Gemeinschaft dessen Natur angepasst sein muss und die Überlegungen des Organs, das ihn erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann, ist es doch nicht geboten, der Kommission in einer Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, die Angabe der Gründe vorzuschreiben, aus denen sie dieselbe Beihilferegelung in früheren Entscheidungen anders beurteilt hat. Denn der Begriff der staatlichen Beihilfe entspricht einem objektiven Sachverhalt, der zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem die Kommission ihre Entscheidung trifft.

(vgl. Randnr. 137)

8. Auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich jeder berufen, bei dem ein Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt hat. Hingegen kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat. Ist ferner ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Gemeinschaftsmaßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, so kann er sich im Fall ihres Erlasses nicht auf den genannten Grundsatz berufen.

Selbst wenn man im Übrigen annimmt, dass die Gemeinschaft zuvor eine Lage geschaffen hat, die geeignet war, ein berechtigtes Vertrauen zu begründen, kann ein unbestreitbares öffentliches Interesse dem Erlass von Übergangsmaßnahmen für Sachlagen entgegenstehen, die vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung entstanden, in ihrer Entwicklung aber noch nicht abgeschlossen sind. Wenn jedoch ein solches Interesse nicht gegeben ist, kann im Absehen von Übergangsmaßnahmen zum Schutz des Vertrauens, das die Wirtschaftsteilnehmer berechtigterweise in die Beibehaltung einer Gemeinschaftsregelung haben durften, ein Verstoß gegen eine höherrangige Rechtsnorm liegen.

(vgl. Randnrn. 147-149)

9. Gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt eine Entscheidung der Kommission, die entgegen früheren Beurteilungen die Abschaffung einer Steuersonderregelung mit der Begründung, dass es sich um eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe handele, anordnet und keine Übergangsmaßnahmen für die Wirtschaftsteilnehmer vorsieht, deren ohne weiteres verlängerbare Anerkennung, die die Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelung bildet, gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Entscheidung oder kurz danach abläuft, zugleich jedoch nicht daran hindert, dass die zu diesem Zeitpunkt noch länger laufenden Anerkennungen während mehrerer Jahre weiterhin gültig sind; denn die genannten Wirtschaftsteilnehmer, die sich der Änderung der fraglichen Regelung nicht kurzfristig anpassen können, können jedenfalls erwarten, dass eine Entscheidung, mit der die Kommission ihre frühere Beurteilung revidiert, ihnen die nötige Zeit einräumt, dieser Änderung der Beurteilung tatsächlich Rechnung zu tragen, und dass kein unbestreitbares öffentliches Interesse der Einräumung dieser nötigen Zeit entgegensteht.

(vgl. Randnrn. 155-167, 172-174)