SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

L. A. GEELHOED

vom 16. Juni 20051(1)

Rechtssache C‑466/03

Verfahren der Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH

gegen

Land Baden-Württemberg

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Baden-Baden)

„Auslegung von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung ─ Erhöhung des Stammkapitals einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Einbringung von Anteilen an einer anderen Gesellschaft ─ Gebühren für die notarielle Beurkundung der Anteilsübertragung“





I –    Einleitung

1.        Mit seiner Vorlagefrage in dieser Rechtssache möchte das Landgericht Baden-Baden (Deutschland) wissen, ob die Gebühren für die notarielle Beurkundung eines Vertrages, mit dem Anteile an einer Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft zum Zweck der Erhöhung des Kapitals der letztgenannten Gesellschaft übertragen werden, nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern durch die Ansammlung von Kapital(2) verboten sind. Im Verfahren vor dem Gerichtshof ist ferner die Frage aufgeworfen worden, ob solche Gebühren aufgrund einer Abweichung gemäß Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie als Börsenumsatzsteuern zulässig sein können.

II – Anwendbare Bestimmungen

A –    Gemeinschaftsrecht

2.        Die für den vorliegenden Fall erheblichen Bestimmungen der Richtlinie 69/335 sind die Folgenden:

„Artikel 3

(1)      Kapitalgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie sind:

a)      die Gesellschaften belgischen, deutschen, französischen, italienischen, luxemburgischen und niederländischen Rechts, die nachstehend aufgeführt sind:

–        société de personnes à responsabilité limitée/personenvennootschap met beperkte aansprakelijkheid, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, société à responsabilité limitée, società a responsabilità limitata, société à responsabilité limitée;

Artikel 4

(1)      Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:

a)      die Gründung einer Kapitalgesellschaft;

c)      die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;

Artikel 10

Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:

a)      die in Artikel 4 genannten Vorgänge;

b)      die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;

c)      die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck auf Grund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann.

Artikel 12

(1)      In Abweichung von den Artikeln 10 und 11 können die Mitgliedstaaten Folgendes erheben:

a)      pauschal oder nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern;

e)      Abgaben mit Gebührencharakter;

…“

B –    Nationales Recht

3.        Nach § 36 Absatz 2 des Gesetzes über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (auch bezeichnet als Kostenordnung, im Folgenden: KostO)(3) wird für die Beurkundung von Verträgen das Doppelte der vollen Gebühr erhoben.

4.        Nach § 15 Absatz 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung(4) (im Folgenden: GmbHG) bedarf es zur Abtretung von Geschäftsanteilen durch Gesellschafter eines in notarieller Form geschlossenen Vertrages.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

5.        Am 30. Juli 2002 beschloss die Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Beschwerdeführerin), ihr Stammkapital im Nennbetrag von 100 000 DM auf Euro umzustellen und im Wege der Sacheinlage auf 100 000 Euro zu erhöhen. Die Sacheinlage bestand im einzigen Geschäftsanteil an der ARKU Maschinenbau GmbH. Zu dieser Zeit war Herr Albert Reiss alleiniger Gesellschafter beider Gesellschaften. Der Vertrag über die Kapitaleinbringung ist dem Kapitalerhöhungsbeschluss als Anlage beigefügt.

6.        Die Kapitalerhöhung wurde am 4. November 2002 im Handelsregister beim Amtsgericht Baden‑Baden eingetragen. Neben anderen Gebühren wurde für die Übertragung der Anteile an der ARKU Maschinenbau GmbH eine 20/10-Gebühr (das Doppelte der normalen Gebühr) nach § 36 Absatz 2 KostO in Höhe von 11 424,00 Euro, ausgehend von einem Geschäftswert in Höhe des tatsächlichen Wertes des abgetretenen Anteils von 3 763 443,90 Euro, festgesetzt.

7.        Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Festsetzung beim Amtsgericht Baden-Baden Erinnerung ein. Dieses Gericht wies die Erinnerung als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 nicht einschlägig sei, da die Formbedürftigkeit der Abtretung von GmbH-Anteilen auf § 15 Absatz 3 GmbHG beruhe und da die Kostenpflicht den Kostenschuldner unabhängig davon treffe, ob es sich um eine Kapitalgesellschaft oder um eine natürliche Person handele.

8.        Daraufhin legte die Beschwerdeführerin gegen diesen Beschluss Beschwerde beim Landgericht Baden-Baden ein und machte zur Begründung geltend, dass auch die festgesetzten Gebühren für die notarielle Beurkundung eines Vertrages über die Abtretung eines GmbH-Anteils, der gemäß § 15 Absatz 3 GmbHG der notariellen Beurkundung bedürfe, gemäß Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 verbotene Abgaben seien.

9.        Das Landgericht Baden-Baden ist der Ansicht, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens unter diesen Umständen von der Auslegung des Artikels 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 abhänge. Es hat festgestellt, dass ein Ausnahmetatbestand nach Artikel 12 der Richtlinie 69/335, insbesondere nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e, nicht vorliege, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Artikel 234 EG vorgelegt:

Erfasst Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 auch die Gebühren für die notariell beurkundete Abtretung von GmbH-Anteilen?

10.      Das Land Baden-Württemberg (im Folgenden: das Land) und die Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht.

11.      Bei der Behandlung der Rechtssache hat der Gerichtshof ursprünglich beschlossen, gemäß Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes zu entscheiden. Nachdem jedoch das Land eingewandt hat, dass die Antwort auf die Vorlagefrage nicht klar aus der vorliegenden Rechtsprechung abgeleitet werden könne, hat er diese Verfahrensweise überdacht und beschlossen, über das Vorabentscheidungsersuchen durch Urteil zu entscheiden.

IV – Beurteilung der Vorlagefrage

12.      Das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts ist sehr allgemein gefasst und enthält nicht alle Angaben, die für eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort erheblich sind. Aufgrund des Akteninhalts sollte klargestellt werden, dass sich die Frage auf den Fall bezieht, dass die betreffenden Gebühren von Notaren festgesetzt werden, die Beamte des Landes sind, und dass die Abtretung von Gesellschaftsanteilen im Zusammenhang mit der Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft steht. Ferner geht aus den schriftlichen Erklärungen des Landes hervor, dass die Entscheidung der Sache auch von der möglichen Anwendbarkeit der Ausnahme in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 69/335 abhängt. Daher ist die Frage unter Berücksichtigung der erwähnten Gesichtspunkte zu beantworten.

13.      Nach Ansicht des Landes ist die Vorlagefrage zu verneinen. Das Beurkundungserfordernis in § 15 Absatz 3 GmbHG richte sich nicht an die Gesellschaft, deren Geschäftsanteil übertragen werde (ARKU Maschinenbau), sondern an den bisherigen Gesellschafter (Herrn Albert Reiss) und den neuen Gesellschafter (die Beschwerdeführerin). Sie und nicht die Gesellschaft, deren Geschäftsanteil übertragen werde, seien die Schuldner der Gebühr. Daher falle der Vorgang nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335. Sodann führt das Land aus, dass die Gebühr, wenn überhaupt, unter Artikel 10 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 fallen könne, da die festgesetzte Gebühr auf die Beurkundung als Leistung im Rahmen eines der in Artikel 4 der Richtlinie 69/335 genannten Vorgänge, nämlich der Erhöhung des Kapitals der Beschwerdeführerin, erhoben werde. Allerdings müsse die in Rede stehende Gebühr unabhängig davon, ob sie gegen Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 verstoße, als Börsenumsatzsteuer im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 69/335 betrachtet werden, und daher gelte das Verbot in der erstgenannten Bestimmung nicht für sie.

14.      Die Kommission nimmt den gegenteiligen Standpunkt ein und verweist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach Abgaben, die von Notaren aufgrund von Förmlichkeiten, die für die Kapitalerhöhung erforderlich seien, erhoben würden, nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 verboten seien(5). Obwohl die notarielle Beurkundung der Abtretung von Anteilen als solche von der Rechtsform der Vertragsparteien unabhängig sei, sei die Abtretung im vorliegenden Fall eine zwingende Voraussetzung für die Erhöhung des Kapitals der Beschwerdeführerin. Dies werde dadurch belegt, dass der Vertrag über die Anteilsabtretung der Urkunde über die Kapitalerhöhung als Anlage beigefügt sei. Da die Anteilsabtretung als Teil der Kapitalerhöhung zu betrachten sei und die Gebühr für eine Förmlichkeit im Zusammenhang mit diesem Vorgang erhoben werde, sei sie nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 verboten. Ferner dürften derartige Abgaben nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 nur in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten erhoben werden.

15.      Obwohl das genaue Problem, das in der Vorlage aufgeworfen wird, vom Gerichtshof noch nicht ausdrücklich behandelt worden ist, bietet die Rechtsprechung zur Richtlinie 69/335 ausreichende Leitlinien für die Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie unter den Umständen des vorliegenden Falles. Der Gesichtspunkt, der die Anwendbarkeit von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie betrifft, ist wiederum verhältnismäßig neu und bedarf näherer Betrachtung.

16.      Erstens ist es zweckdienlich, sich die Aufgabe des Artikels 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 in der Systematik der Richtlinie insgesamt ins Gedächtnis zu rufen. Durch die Richtlinie 69/335 werden die verschiedenen Arten indirekter Abgaben, die die Mitgliedstaaten auf Kapitalerhöhungen erhoben hatten, durch eine einheitliche Gesellschaftsteuer ersetzt. Diese Steuer darf nur einmal auf der Grundlage einer harmonisierten Struktur und harmonisierter Sätze erhoben werden. Das in Artikel 10 enthaltene Verbot anderer Steuern oder Abgaben mit ähnlichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer soll dieses System einer einheitlichen Gesellschaftsteuer schützen und gewährleisten, dass es weder absichtlich noch unabsichtlich durch die Einführung solcher Abgaben umgangen wird(6). Dieses Ziel war eindeutig der Grundsatz, durch den sich der Gerichtshof bei der Festlegung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung leiten ließ.

17.      Die Frage, ob Notargebühren wie diejenigen, um die es im Ausgangsverfahren geht, zur Kategorie „andere Steuern oder Abgaben“ im Sinne von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 gehören, ist vom Gerichtshof bereits in der Rechtssache Modelo(7) und, an diese anknüpfend, seinem Beschluss in der Rechtssache Gründerzentrum(8) beantwortet worden. Die letztgenannte Entscheidung bezog sich tatsächlich auf die Lage im Land Baden-Württemberg. Nach dieser Rechtsprechung(9) stellen Gebühren Abgaben im Sinne der Richtlinie 69/335 dar, wenn

–        sie für die notarielle Beurkundung eines unter die Richtlinie fallenden Rechtsgeschäfts und

–        in einem Rechtssystem, in dem der Notar Beamter ist, erhoben werden, und

–        ein Teil dieser Gebühren dem Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben zufließt.

Im Hinblick darauf, dass der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass die Regelung des Landes Baden-Württemberg für Notare von dieser Art ist, sind die in Rede stehenden Abgaben ihrer Natur nach Abgaben im Sinne von Artikel 10 der Richtlinie 69/335 und verboten, soweit sie mit einem der dieser Bestimmung unterliegenden Vorgänge in Zusammenhang stehen.

18.      Das Verbot des Artikels 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 gilt für Steuern oder Abgaben auf eine der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann. Zur Erläuterung von Sinn und Zweck dieser Bestimmung hat der Gerichtshof im Urteil Denkavit Internationaal(10) ausgeführt, dass sie dadurch gerechtfertigt ist, dass die fraglichen Abgaben zwar nicht auf die Kapitalzuführungen als solche, wohl aber wegen der Formalitäten im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft, also wegen des Instruments zur Kapitalansammlung, erhoben werden. Ihre Beibehaltung würde die mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden(11).

19.      Des Näheren hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Verbot des Artikels 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 nicht nur Abgaben bei der Eintragung neuer Gesellschaften, sondern auch Abgaben für die Eintragung von Kapitalerhöhungen erfasst, da sie ebenfalls aufgrund einer wesentlichen Förmlichkeit erhoben werden, die durch die Rechtsform der betreffenden Gesellschaft bedingt ist. Auch wenn die Eintragung der Kapitalerhöhungen genau genommen kein der Ausübung einer Tätigkeit durch eine Gesellschaft vorangehendes Verfahren darstellt, so ist sie doch eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit(12).

20.      Die Gebühr, um die es im Ausgangsverfahren geht, wird für die notarielle Beurkundung der Abtretung von Geschäftsanteilen durch Gesellschafter der Kapitalgesellschaft erhoben. Dies ist eine wesentliche Förmlichkeit für die Durchführung einer solchen Abtretung nach § 15 Absatz 3 GmbHG. Allgemein gilt dieses Erfordernis unabhängig von der Rechtsform des Abtretenden und des Abtretungsempfängers. Als solche würde die für diese Förmlichkeit erhobene Gebühr daher nicht von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 erfasst. Dieses Ergebnis ist jedoch im Licht der Umstände des vorliegenden Falles nicht gerechtfertigt, bei dem ein unmittelbarer rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsabtretung und der Kapitalerhöhung der Beschwerdeführerin vorliegt. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass bei dieser Lage die Anteilsabtretung als Teil des Vorgangs der Kapitalerhöhung zu betrachten ist. Tatsächlich war die Abtretung für die Finanzierung der Kapitalerhöhung der empfangenden Kapitalgesellschaft bestimmt, und der Vertrag war der Urkunde über die Kapitalerhöhung als Anlage beigefügt. Unter solchen Umständen stehen alle Gebühren, die für Förmlichkeiten erhoben werden, die nach dem nationalen Recht für die Durchführung der verschiedenen Teile des Vorgangs der Kapitalerhöhung vorgesehen sind, im Zusammenhang mit der Rechtsform der betreffenden Gesellschaft und sind als nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 verboten zu betrachten.

21.      Jede andere Entscheidung würde dazu führen, dass die Erhebung einer zusätzlichen Abgabe auf eine Kapitalerhöhung zugelassen würde. Dies würde gegen den Grundsatz der einheitlichen Gesellschaftsteuer verstoßen und die Wirksamkeit von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 beim Schutz des Grundsatzes unterlaufen.

22.      Besteht dagegen kein wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsabtretung und der Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft, wie dies in einem beim Gerichtshof anhängigen Parallelverfahren der Fall ist(13), so werden Gebühren, die ein Notar in einem System wie in Nummer 17 beschrieben für Förmlichkeiten in Bezug auf die Abtretung von Geschäftsanteilen erhebt, nicht von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 erfasst.

23.      Schließlich möchte ich zur Anwendbarkeit von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 bemerken, dass es unerheblich ist, dass die Gesellschaft, deren Anteile abgetreten werden (ARKU Maschinenbau), nicht, wie das Land vorgetragen hat, der Schuldner der Notargebühren für die Beurkundung der Abtretung ist. Worauf es ankommt ist, dass eine Gebühr erhoben wird, die förmlich im Zusammenhang mit einem von der Richtlinie erfassten Vorgang steht und möglicherweise vom freien Kapitalverkehr abschrecken kann.

24.      Als Nächstes ist die Frage zu erörtern, ob die Gebühr für die Anteilsabtretung, wie das Land geltend macht, vom Verbot des Artikels 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 als „Börsenumsatzsteuer“ im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie ausgenommen werden kann. Nach dieser Bestimmung können solche Steuern „[i]n Abweichung von den Artikeln 10 und 11“ von den Mitgliedstaaten pauschal oder nicht pauschal erhoben werden.

25.      In der Rechtssache Codan(14) hatte der Gerichtshof Gelegenheit, Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 69/335 im Kontext eines Falles auszulegen, der dem Ausgangsverfahren ähnelte. Die Rechtssache Codan entstand wegen der Erhebung einer Abgabe auf die Übertragung von Geschäftsanteilen in Dänemark in einer Situation, in der die erwerbende Gesellschaft ihr Kapital um einen Betrag erhöhte, der dem Wert der übertragenen Anteile entsprach. Die Frage, die dem Gerichtshof vom nationalen Gericht vorgelegt wurde, ging dahin, ob Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie auf die Übertragung von Aktien unabhängig davon anwendbar ist, ob die Gesellschaft, die diese Aktien ausgegeben hat, zum Börsenverkehr zugelassen ist und ob die Aktienübertragung über die Börse oder direkt zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber erfolgt ist. Das nationale Gericht hatte keine Fragen nach einer möglichen Anwendung des Artikels 10 der Richtlinie 69/335 vorgelegt, da zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens Einigkeit darüber bestand, dass der Vorgang unter die Richtlinie fiel. Daher hat der Gerichtshof eine Antwort auf die genaue Frage des dänischen Gerichts gegeben und sich nicht ausdrücklich mit dem genauen Anwendungsbereich von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a oder mit dem Verhältnis zwischen diesem Artikel und den Artikeln 10 und 11 der Richtlinie befasst.

26.      Das Verhältnis zwischen Artikel 12 einerseits und den Artikeln 10 und 11 andererseits wird durch die ersten Worte der erstgenannten Vorschrift bestimmt, die sich unmittelbar auf die letztgenannten beiden Vorschriften beziehen. Allerdings scheint die Art, in der dies ausgedrückt wurde, in den verschiedenen Sprachfassungen des Artikels 12 unterschiedlich zu sein. Einige Sprachfassungen geben eindeutig an, dass Artikel 12 von den Artikeln 10 und 11 abweicht („Par derogation“, „In Abweichung“, „in deroga“, „In afwijking“, „Em derrogação“; „poiketen“), andere Sprachfassungen verwenden eine Terminologie, die darauf hindeutet, dass Artikel 12 bestrebt ist, seinen Anwendungsbereich gegenüber den Artikeln 10 und 11 abzugrenzen („Notwithstanding“, „No obstante“, „Uanset“, „Utan hinder“). Dieser Unterschied ist erheblich. Ist Artikel 12 der Richtlinie als Abweichung von den Artikeln 10 und 11 zu betrachten, so würde dies bedeuten, dass die in dieser Bestimmung aufgeführten Abgaben trotz des Umstands erhoben werden können, dass sie von den Verboten in den letztgenannten beiden Bestimmungen erfasst werden. Grenzt dieser Artikel dagegen den Anwendungsbereich der Artikel 10 und 11 ab, so würde dies darauf hindeuten, dass die betreffenden Abgaben nur entweder in den Anwendungsbereich der Artikel 10 und 11 oder in den des Artikels 12 fallen.

27.      Die Grundsätze für die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts bei voneinander abweichenden Sprachfassungen stehen bereits fest. Wie der Gerichtshof unter Hervorhebung des Erfordernisses einer einheitlichen Auslegung in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, ist die fragliche Bestimmung, falls die Sprachfassungen voneinander abweichen, anhand der allgemeinen Systematik und des Zweckes der Regelung auszulegen, zu der sie gehört(15).

28.      Was den Zweck der Richtlinie 69/335 angeht, so hat der Gerichtshof ebenfalls im Urteil Codan unter Berufung auf die Begründungserwägungen der Richtlinie ausgeführt, dass diese „den freien Kapitalverkehr fördern [will], der als wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt angesehen wird. Die Verfolgung dieses Zieles setzt hinsichtlich der Steuern auf die Ansammlung von Kapital voraus, dass die in den Mitgliedstaaten bisher geltenden indirekten Steuern aufgehoben und durch eine innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur einmal und in allen Mitgliedstaaten in gleicher Höhe erhobene Steuer ersetzt werden.“(16) Wie ich in Nummer 16 dieser Schlussanträge ausgeführt habe, soll Artikel 10 der Richtlinie konkret gewährleisten, dass die einheitliche Gesellschaftsteuer weder absichtlich noch unabsichtlich durch die Einführung anderer Abgaben auf die Kapitalansammlung oder ‑erhöhung umgangen wird.

29.      Für die Weise, in der Artikel 12 auszulegen ist, sollten daher sowohl der Zweck der Richtlinie 69/335 als auch die Aufgabe des Artikels 10 in ihrer Systematik maßgeblich sein. Artikel 12 sollte keineswegs in einer Weise ausgelegt werden, bei der die Gefahr bestünde, dass die Wirksamkeit oder der „effet utile“ der Richtlinie beeinträchtigt würde.

30.      Diesem Gedankengang folgend, meine ich, dass es Artikel 10 der Richtlinie den Sinn nehmen würde, wenn nach Artikel 12 der Richtlinie die Erhebung einer Abgabe zugelassen würde, von der festgestellt worden ist, dass sie eine indirekte Steuer auf Kapitalansammlungen im Sinne von Artikel 10 darstellt. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass Artikel 12 nicht als Ausnahme vom Verbot des Artikels 10 betrachtet werden kann. Vielmehr legt Artikel 12 den Anwendungsbereich des Artikels 10 dadurch fest, dass er Abgabenkategorien angibt, die ihrer Natur nach die Kapitalansammlung nicht behindern.

31.      Im Licht der vorstehend gegebenen Auslegung von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 kann daher Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a keine Ausnahme für Abgaben auf die Beurkundung von Vorgängen vorsehen, die wirtschaftlich und rechtlich im Zusammenhang mit der Kapitalansammlung oder ‑erhöhung einer Kapitalgesellschaft stehen. Er kann auf Abgaben auf die Abtretung von Anteilen nur dann Anwendung finden, wenn kein solcher Zusammenhang besteht. Würde Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a anders ausgelegt, so würde dies die Gefahr schaffen, dass die Wirksamkeit des Systems der einheitlichen Gesellschaftsteuer, das durch die Richtlinie 69/335 eingeführt worden ist, ausgehöhlt würde.

32.      Im Hinblick darauf, dass die Kommission diesen Gesichtspunkt erwähnt hat, möchte ich schließlich hinzufügen, dass die fraglichen Notargebühren auch nicht nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 ausgenommen werden können, wo eine Abweichung von den Artikeln 10 und 11 der Richtlinie in Bezug auf „Abgaben mit Gebührencharakter“ vorgesehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung bringt „die Unterscheidung zwischen den nach Artikel 10 der Richtlinie 69/335 verbotenen Steuern und den Abgaben mit Gebührencharakter, deren Erhebung erlaubt ist, an erster Stelle mit sich, dass zu Letzteren nur die Abgaben zu rechnen sind, deren Höhe sich nach den Kosten der erbrachten Dienstleistung richtet. Eine Abgabe, deren Höhe keinen Zusammenhang mit den tatsächlichen Aufwendungen für diese bestimmte Dienstleistung aufweist oder sich nicht nach den Aufwendungen, für die sie die Gegenleistung darstellt, sondern nach den gesamten Betriebs- und Investitionskosten der mit dem betreffenden Vorgang befassten Stelle richtet, ist als Abgabe anzusehen, für die allein das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie 69/335 gilt.“(17)

V –    Ergebnis

33.      Nach allem schlage ich vor, auf die vom Landgericht Baden-Baden vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung untersagt Gebühren für die notarielle Beurkundung der Abtretung von Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens, d. h., wenn die Notare Beamte sind und ein Teil der Gebühren ihrer Anstellungsbehörde für die Finanzierung ihrer Aufgaben zufließt und wenn die Abtretung wirtschaftlich und rechtlich im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft steht. Eine solche Gebühr kann nicht als „Börsenumsatzsteuer“ im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 69/335 betrachtet werden.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 69/335).


3 – Gesetz vom 26. Juli 1957 (BGBl. I, 960), geändert durch Gesetz vom 22. Februar 2002 (BGBl. I, 981).


4 – Gesetz vom 20. April 1892 (RGBl. S. 477), geändert durch Gesetz vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, 2681).


5 – Rechtssache C‑188/95, Fantask u. a., Slg. 1997, I‑6783, Randnr. 22, Rechtssache C‑56/98, Modelo, Slg. 1999, I‑6427, Randnr. 25, und Rechtssache C‑19/99, Modelo Continente, Slg. 2000, I‑7213, Randnr. 25.


6 – Vgl. die letzte Begründungserwägung. Vgl. auch Rechtssache C‑56/98, Modelo, angeführt in der vorherigen Fußnote, Randnr. 27.


7 – Rechtssache C‑56/98, Modelo, angeführt in Fußnote 5.


8 – Rechtssache C‑264/00, Gründerzentrum, Slg. 2002, I‑3333.


9 – Vgl. Randnr. 27 des Beschlusses. Siehe auch Rechtssache C‑56/98, Modelo, angeführt in Fußnote 5, Randnr. 22.


10 – Rechtssache C‑2/94, Denkavit Internationaal u. a., Slg. 1996, I‑2827.


11 – Randnr. 23 des Urteils und Rechtssache C‑56/98, Modelo, angeführt in Fußnote 5, Randnr. 24.


12 – Rechtssache C‑188/95, Fantask u. a., angeführt in Fußnote 5, Randnr. 22.


13 – Rechtssache C‑193/04, Organon Portuguesa, in der der Gerichtshof gemäß Artikel 20 Absatz 5 der Satzung des Gerichtshofes ohne Schlussanträge des Generalanwalts über die Sache entscheiden wird.


14 – Rechtssache C‑236/97, Codan, Slg. 1998, I‑8679.


15 – Codan, angeführt in der vorhergehenden Fußnote, Randnr. 26 des Urteils m. w. N. Vgl. auch Rechtssache C‑257/00, Nani Givane, Slg. 2003, I‑345, Randnr. 37.


16 – Randnr. 27.


17 – U. a. verbundene Rechtssachen C‑71/91 und C‑178/91, Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Slg. 1993, I‑1915, Randnrn. 41 und 42, Rechtssache C‑56/98, Modelo, angeführt in Fußnote 5, Randnr. 29, Rechtssache C‑206/99, SONAE, Slg. 2001, I‑4679, Randnr. 32, und Rechtssache C‑264/00, Gründerzentrum, angeführt in Fußnote 8, Randnr. 31.