SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

L. A. GEELHOED

vom 14. Juli 20051(1)

Rechtssache C-320/03

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Österreichische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Artikel 28 EG bis 30 EG – Artikel 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten und Artikel 1 und 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind – Fahrverbot für Lastkraftwagen mit einem Gewicht von über 7,5 t, die bestimmte Güter befördern, auf einem Abschnitt der A 12 Inntalautobahn“





I –    Einleitung

1.     Am 27. Mai 2003 erließ der Landeshauptmann von Tirol eine Verordnung, mit der der Transport bestimmter Güter mit Lastkraftwagen von mehr als 7,5 t auf einem Teilstück der durch das österreichische Inntal führenden Autobahn A 12 verboten wurde. Diese Maßnahme, mit der die Verringerung der Stickstoffdioxid-Emissionen von Lastkraftwagen in diesem Gebiet bezweckt wurde, sollte am 1. August 2003 in Kraft treten. Daraufhin leitete die Kommission unverzüglich ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG ein, in dem sie geltend machte, dass die Maßnahme gegen Gemeinschaftsverordnungen über Beförderungsdienstleistungen und gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr verstoße.

2.     Die Rechtssache wirft wichtige Grundsatzfragen zur Vereinbarkeit von Maßnahmen, die zum Schutz der Umwelt erlassen werden, mit den Vertragsbestimmungen über die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes auf. Beides sind grundlegende Ziele der Gemeinschaft, die in Artikel 2 EG verankert sind und in vielen konkreten Bestimmungen des Vertrages Ausdruck gefunden haben.

3.     Die Vertragsbestimmungen über den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen, einschließlich Beförderungsdienstleistungen, haben zu einer stärkeren geografischen Spezialisierung innerhalb der Gemeinschaft geführt. Unter anderem deshalb ist der Beförderungsverkehr schneller gewachsen als das Bruttoinlandsprodukt: Pro Prozentpunkt Wirtschaftswachstum wächst der Beförderungsverkehr um 1,5 Prozent. Innerhalb des Transportsektors profitierte der Straßengüterverkehrssektor, der bis Mitte der achtziger Jahre in vielen Mitgliedstaaten innerstaatlichen Beschränkungen unterlag, am meisten von diesem überproportionalen Wachstum. Während der Eisenbahngüterverkehr in absoluten Zahlen stagnierte und sogar zurückging und der Binnenschiffsgüterverkehr aufgrund der nur begrenzt vorhandenen erforderlichen Infrastruktur für eine moderne Binnenschifffahrt in großem Maßstab lediglich geringes Wachstum aufwies, expandierte der Straßengüterverkehr schnell. Jede Erweiterung der Gemeinschaft trieb diese Expansion weiter an.

4.     Dieses schnelle Wachstum des Straßengüterverkehrs hat jedoch auch seine Schattenseiten: Überlastung der Verkehrswege in der Gemeinschaft, insbesondere der Hauptverkehrsachsen zwischen den Wirtschaftszentren, schnellere Abnutzung der Straßennetzes, die zu höheren Instandhaltungskosten führt, Umweltauswirkungen durch Lärm und Schadstoffemissionen und schließlich Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit der Menschen durch Staus und Umweltverschmutzung.

5.     In den letzten 25 Jahren haben die meisten Mitgliedstaaten zahlreiche Maßnahmen zur Begrenzung und Kanalisierung der nachteiligen Nebenwirkungen des wachsenden Straßenverkehrs ergriffen. So wurden spezielle Straßenbenutzungsgebühren eingeführt, um die dem Straßengüterverkehr zuzurechnenden Infrastrukturkosten zu finanzieren. Der Transitverkehr wird im Allgemeinen um dicht besiedelte Gebiete und solche, die unter dem Gesichtspunkt des Landschafts- und Naturschutzes empfindlich sind, herumgeleitet. Verschiedene Transitländer beschränken die Nutzung ihres Straßennetzes durch Schwerfahrzeuge an Wochenenden oder nachts. Schließlich wird versucht, die Wahl des Verkehrsträgers bei Transporten zu weiter entfernten Zielen durch die Einführung selektiver Subventionen, selektiver Gebühren und bindender Vorschriften zu beeinflussen.

6.     Diese Maßnahmen treffen zunehmend mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zusammen, die Gemeinschaftsvorschriften einzuhalten, die erlassen wurden, um die Umweltauswirkungen verschiedener Tätigkeiten im Hinblick auf den Schutz der Umwelt und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu verringern.

7.     In der vorliegenden Rechtssache stoßen die von mir knapp beschriebenen Entwicklungen aufeinander. Sie spiegelt die Spannungen zwischen der wirtschaftlichen Expansion des Straßengüterverkehrs und dem Schutz anderer Belange vor den schädlichen Nebenwirkungen dieser Entwicklung wider.

II – Einschlägige Rechtsvorschriften

A –    Gemeinschaftsrecht

8.     Vorschriften über den Güterkraftverkehr in der Gemeinschaft sind in der Verordnung Nr. 881/92(2) und der Verordnung Nr. 3118/93(3) enthalten.

9.     Nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 881/92 unterliegt der grenzüberschreitende Güterverkehr innerhalb der Gemeinschaft einer Gemeinschaftslizenz. Diese Lizenz wird von einem Mitgliedstaat jedem gewerblichen Güterkraftverkehrsunternehmer erteilt, der in seinem Gebiet niedergelassen ist und in diesem Mitgliedstaat zur Durchführung des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs berechtigt ist.

10.   Ferner bestimmt Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3118/93:

„Jeder Unternehmer des gewerblichen Güterkraftverkehrs, der Inhaber der Gemeinschaftslizenz gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 ist und dessen Fahrer, wenn er Staatsangehöriger eines Drittstaats ist, unter den in jener Verordnung festgelegten Bedingungen eine Fahrerbescheinigung mit sich führt, wird unter den in der vorliegenden Verordnung festgelegten Bedingungen zum zeitweiligen gewerblichen Güterkraftverkehr in einem anderen Mitgliedstaat (nachstehend ‚Kabotage‘ bzw. ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ genannt) zugelassen, ohne dass er dort über einen Unternehmenssitz oder eine Niederlassung verfügen muss.“

11.   Die Gemeinschaftsregelung über den Schutz der Luftqualität besteht u. a. aus der Richtlinie 96/62 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität(4) und der Richtlinie 1999/30 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft(5) (im Folgenden: Luftqualitätsrichtlinien). Beide Richtlinien wurden auf der Grundlage des Artikels 130s Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 175 Absatz 1 EG) erlassen.

12.   Nach Artikel 1 der Richtlinie 96/62 ist ihr allgemeiner Zweck die Festlegung der Grundsätze für eine gemeinsame Strategie mit folgendem Ziel:

–       Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen für die Gemeinschaft im Hinblick auf die Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt;

–       Beurteilung der Luftqualität in den Mitgliedstaaten anhand einheitlicher Methoden und Kriterien;

–       Verfügbarkeit von sachdienlichen Informationen über die Luftqualität und Unterrichtung der Öffentlichkeit hierüber, u. a. durch Alarmschwellen;

–       Erhaltung der Luftqualität, sofern sie gut ist, und Verbesserung der Luftqualität, wenn dies nicht der Fall ist.

13.   Artikel 4 der Richtlinie 96/62 sieht vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission Grenzwerte für die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Schadstoffe festlegt.

14.   Artikel 7 der Richtlinie 96/62 legt allgemeine Anforderungen im Hinblick auf die Verbesserung der Luftqualität fest. Der erste und der dritte Absatz dieser Bestimmung lauten:

„1. Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen.

3. Die Mitgliedstaaten erstellen Aktionspläne, in denen die Maßnahmen angegeben werden, die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken. Diese Pläne können, je nach Fall, Maßnahmen zur Kontrolle und, soweit erforderlich, zur Aussetzung der Tätigkeiten vorsehen, die zu einer Überschreitung der Grenzwerte beitragen, einschließlich des Kraftfahrzeugverkehrs.“

15.   Artikel 8 der Richtlinie 96/62 sieht Maßnahmen für Gebiete vor, in denen die Werte den Grenzwert übersteigen. Absatz 3 bestimmt:

„Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1 [d. h., in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten] ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann.

Der Plan oder das Programm, zu dem die Öffentlichkeit Zugang haben muss, umfasst mindestens die in Anhang IV aufgeführten Angaben.“

16.   Artikel 4 der Richtlinie 1999/30 stellt die Grundlage für die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) dar:

„1. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten Konzentrationen von Stickstoffdioxid und gegebenenfalls Stickstoffoxiden in der Luft die Grenzwerte des Anhangs II Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

Die in Anhang II Abschnitt I festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 8 der Richtlinie 96/62/EG anzuwenden.

2. Die Alarmschwelle für die Stickstoffdioxidkonzentrationen in der Luft ist in Anhang II Abschnitt II festgelegt.“

17.   In Anhang II der Richtlinie 1999/30 sind folgende Grenzwerte für Stickstoffdioxid für den Schutz der menschlichen Gesundheit festgelegt:

–       Der bis zum 1. Januar 2010 um einen degressiven Prozentsatz erhöhte 1‑Stunden‑Grenzwert beträgt 200 µg/m3, die nicht öfter als 18mal im Kalenderjahr überschritten werden dürfen;

–       der um die vorgesehene Toleranzmarge erhöhte Jahresgrenzwert für 2002 beträgt 56 µg/m3.

B –    Österreichisches Recht

18.   Die streitige Maßnahme wurde auf der Grundlage der §§ 10, 11 und 14 des Immissionsschutzgesetzes-Luft (im Folgenden: IG‑L) erlassen, mit dem die Richtlinien 96/62 und 1999/30 in österreichisches Recht umgesetzt worden sind. § 10 IG‑L sieht die Veröffentlichung eines Maßnahmenkatalogs vor, der erlassen werden kann, sobald die Überschreitung eines Grenzwerts festgestellt worden ist. § 11 enthält die Grundsätze, die in diesem Zusammenhang zu beachten sind, wie z. B. das Verursacherprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. § 14 enthält spezielle Maßnahmen für den Verkehr.

III – Sachverhalt und Verfahren

19.   Nachdem Stickstoffdioxidwerte gemessen worden waren, die die im IG‑L festgelegten Grenzwerte überschritten, wurde am 1. Oktober 2002 auf einem Teilstück der Inntalautobahn ein befristetes Nachtfahrverbot für Lastkraftwagen eingeführt. Im Jahr 2002 wurde der Jahresgrenzwert von 56 μg/m3 nach dem IG‑L wieder überschritten. Daraufhin wurde das befristete Nachtfahrverbot zunächst verlängert und dann mit Wirkung vom 1. Juni 2003 durch ein unbefristetes, ganzjährig geltendes Nachtfahrverbot für Lastkraftwagen über 7,5 t ersetzt.

20.   Am 27. Mai 2003 erließ der Landeshauptmann von Tirol auf der Grundlage des IG‑L die streitige Verordnung, die für bestimmte Lastkraftwagen, die bestimmte Güter befördern, ab 1. August 2003 ein absolutes Fahrverbot auf einem Teilstück der Inntalautobahn A 12 vorsah. Nach § 1 der Verordnung zielt das Fahrverbot darauf ab, die durch den Menschen beeinflussten Emissionen zu verringern und somit die Luftqualität zu verbessern, um dadurch dem dauerhaften Schutz u. a. der Gesundheit des Menschen und des Tier- und Pflanzenbestands zu dienen.

21.   In § 2 der Verordnung wird ein „Sanierungsgebiet“ festgelegt, bei dem es sich um einen etwa 46 km langen Abschnitt der Autobahn A 12 zwischen den Gemeinden Kundl und Ampass handelt. In diesem Gebiet ist nach § 3 der Verordnung das Fahren mit Lastkraftwagen mit einer höchstzulässigen Gesamtmasse von mehr als 7,5 t zum Transport folgender Güter verboten: alle Abfälle, die im Europäischen Abfallverzeichnis(6) aufgenommen sind, Getreide, Rundholz und Kork, Nichteisen- und Eisenerze, Steine, Erden, Aushub, Kraftfahrzeuge und Anhänger sowie Baustahl. Das Verbot sollte ab 1. August 2003 unmittelbar gelten, ohne dass die Behörden weitere Anordnungen hätten treffen müssen. § 4 der Verordnung sieht eine Ausnahme von dem Verbot für Lastkraftwagen vor, wenn die beförderten Güter entweder aus dem Gebiet der Stadtgemeinde Innsbruck oder der Bezirke Kufstein, Schwaz oder Innsbruck-Land kommen oder dafür bestimmt sind. Weitere Ausnahmen enthält das IG‑L selbst. Es nimmt bestimmte Fahrzeugkategorien vom Fahrverbot aus, darunter Fahrzeuge der Straßeninstandhaltung, der Müllabfuhr sowie der Land- und Forstwirtschaft. Schließlich kann für andere Fahrzeuge im Einzelfall eine Genehmigung beantragt werden, wenn ein öffentliches oder ein erhebliches persönliches Interesse besteht.

22.   Nach einem ersten Schriftwechsel über die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht übersandte die Kommission der Republik Österreich am 25. Juni 2003 ein Mahnschreiben und forderte sie auf, sich innerhalb einer Woche hierzu zu äußern. Die österreichische Regierung antwortete am 3. Juli 2003. Am 9. Juli 2003 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Österreich, in der sie erneut eine Frist von einer Woche für deren Antwort setzte. Die Republik Österreich beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 18. Juli 2003.

23.   Da die Kommission weiter von der Unvereinbarkeit der streitigen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht überzeugt war, erhob sie am 23. Juli 2003 beim Gerichtshof gemäß Artikel 226 EG die vorliegende Vertragsverletzungsklage. Die Kommission beantragt,

–       festzustellen, dass der Erlass des Fahrverbots auf einem Teilstück der A 12 Inntalautobahn zwischen Kilometer 20,359 im Gemeindegebiet von Kundl und Kilometer 66,780 im Gemeindegebiet von Ampass für Lastkraftwagen über 7,5 t Gesamtmasse, die bestimmte Güter befördern, mit den Verpflichtungen der Republik Österreich aus den Artikeln 1 und 3 der Verordnung Nr. 881/92, den Artikeln 1 und 6 der Verordnung Nr. 3118/93 und den Artikeln 28 EG und 30 EG nicht vereinbar ist;

–       der Republik Österreich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

24.   Die Kommission beantragte gleichzeitig gemäß den Artikeln 242 und 243 EG beim Präsidenten des Gerichtshofes, die Republik Österreich im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das sektorale Fahrverbot der streitigen Verordnung bis zum Erlass des Urteils zur Hauptsache auszusetzen(7).

25.   Mit Beschluss vom 30. Juli 2003 ordnete der Präsident des Gerichtshofes auf Antrag der Kommission nach Artikel 84 § 2 der Verfahrensordnung zur Wahrung des status quo an, dass die Republik Österreich das sektorale Fahrverbot gemäß der streitigen Verordnung bis zum Erlass des Beschlusses aussetzt, der das Verfahren der einstweiligen Anordnung abschließt(8).

26.   Mit Beschluss vom 2. Oktober 2003(9) ordnete der Präsident des Gerichtshofes die Verlängerung der Aussetzung der streitigen Maßnahme bis zum 30. April 2004 und mit Beschluss vom 27. April 2004(10) bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über die Klage an.

27.   Mit Beschlüssen vom 16. September 2003 und vom 21. Januar 2004 ließ der Präsident des Gerichtshofes zunächst die Bundesrepublik Deutschland und die Italienische Republik, dann das Königreich der Niederlande als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zu.

IV – Zulässigkeit

28.   Die österreichische Regierung bestreitet angesichts der extrem kurzen Fristen, die ihr im Vorverfahren für die Beantwortung des Mahnschreibens und der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzt worden seien, die Zulässigkeit der Klage der Kommission. Unter diesen Umständen sei sie nicht in der Lage gewesen, ihre Verteidigung ausreichend vorzubereiten, so dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör und ihr Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden seien. Sie bezweifle, dass die Dienststellen der Kommission ihre Stellungnahmen zum Vorbringen der Kommission seriös geprüft hätten.

29.   Österreich macht außerdem geltend, dass die Kommission von dem in der Verordnung Nr. 2679/98 über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten(11) vorgesehenen Verfahren hätte Gebrauch machen sollen.

30.   Die Kommission räumt ein, dass die von ihr gesetzten Fristen tatsächlich sehr kurz bemessen gewesen seien, hält sie aber für gerechtfertigt, weil die streitige Verordnung am 1. August 2003 in Kraft hätte treten sollen.

31.   Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass das vorprozessuale Verfahren dem Mitgliedstaat Gelegenheit geben soll, seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen oder seine Verteidigungsmittel gegen die Rügen der Kommission in sachdienlicher Weise geltend zu machen(12). In Anbetracht dieses doppelten Zieles muss den Mitgliedstaaten eine angemessene Frist eingeräumt werden, um auf das Mahnschreiben zu antworten, einer mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen oder gegebenenfalls ihre Verteidigung vorzubereiten. Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist, ob die festgesetzte Frist angemessen ist, und dass sehr kurze Fristen in besonderen Fällen gerechtfertigt sein können, insbesondere wenn es dringend ist, einer Vertragsverletzung zu begegnen, oder wenn dem betroffenen Mitgliedstaat der Standpunkt der Kommission schon vor dem Beginn des Verfahrens vollständig bekannt ist(13).

32.   Die Durchführung des Vorverfahrens ist anhand sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles zu beurteilen. Nachdem die Kommission eine Beschwerde erhalten hatte, ersuchte sie die österreichischen Behörden am 6. Mai 2003 um Auskunft über die damals erst vorgeschlagene Maßnahme und um Erläuterungen zu deren Rechtfertigung. Die österreichischen Behörden antworteten am 13. Juni 2003. Inzwischen war die streitige Verordnung erlassen worden und sollte am 1. August 2003 in Kraft treten. Dadurch wäre eine Situation geschaffen worden, die nach Ansicht der Kommission einen Verstoß der Republik Österreich gegen ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen bedeutet hätte und wahrscheinlich außerdem zu nicht wieder gutzumachenden Schäden für das Transportgewerbe geführt hätte. Um dies zu vermeiden, war die Kommission aufgrund von Umständen, die weitgehend dem Zeitplan der österreichischen Behörden für die Einführung der streitigen Maßnahme zuzuschreiben waren, gezwungen, das Vorverfahren zügig durchzuführen, um die Verfahrensvoraussetzungen für den Antrag auf einstweilige Anordnung nach Artikel 243 EG zu erfüllen.

33.   Im Übrigen war der Standpunkt der Kommission den österreichischen Behörden vor Einleitung des Vorverfahrens und vor Erlass der streitigen Maßnahme bekannt.

34.   Somit bin ich der Auffassung, dass die Kommission keine andere Wahl hatte, als das Vorverfahren so zu führen, wie sie es tat, und dass die Fristen unter diesen Umständen nicht als unangemessen angesehen werden können. Eine Klage der Kommission gegen einen Mitgliedstaat unter Umständen, wie sie hier vorliegen, für unzulässig zu erklären, würde die Rolle der Kommission gemäß Artikel 211 EG, nämlich darüber zu wachen, dass die Mitgliedstaaten ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, und, falls erforderlich, das Verfahren nach Artikel 226 EG einzuleiten, ernsthaft beeinträchtigen.

35.   Das Vorbringen der österreichischen Regierung, die Kommission hätte von dem in der Verordnung Nr. 2679/98 vorgesehenen Verfahren Gebrauch machen müssen, ist ebenfalls zurückzuweisen. Mit dieser Verordnung soll schnell auf Behinderungen des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt, wie sie in Artikel 1 der Verordnung definiert sind, reagiert werden können. Ohne dass auf Einzelheiten dieses Verfahrens einzugehen wäre, das in erster Line auf von Privatpersonen verursachte Situationen zurückgeht, wie sie den Urteilen des Gerichtshofes in den Rechtssachen Kommission/Frankreich(14) und Schmidberger(15) zugrunde liegen, obwohl es darauf nicht beschränkt ist, genügt die Feststellung, dass dieses Verfahren nicht als eine Vorbedingung betrachtet werden kann, die die Kommission erfüllen müsste, bevor sie das Vorverfahren nach Artikel 226 EG einleitet. Ebenso wenig ersetzt es dieses Verfahren. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, „dass die Kommission ungeachtet weiterer Befugnisse, die ihr nach dem EG-Vertrag zustehen, um die Wahrung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, frei beurteilen kann, ob sie die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage für zweckmäßig hält, ohne ihre Entscheidung rechtfertigen zu müssen; die Erwägungen, die für diese Wahl bestimmend sind, können die Zulässigkeit der Klage nicht beeinflussen“(16). Die Befugnisse der Kommission nach Artikel 226 EG können daher nicht durch Akte des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts abgeändert oder eingeschränkt werden(17). Ich möchte jedoch hinzufügen, dass die österreichische Regierung, wenn tatsächlich nach diesem Verfahren vorgegangen worden wäre, die Aufforderung der Kommission nach Artikel 5 der Verordnung innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Eingang der Mitteilung hätte beantworten müssen. Auch wenn sich der Kontext von dem des Vorverfahrens unterscheidet, so ist es doch merkwürdig, dass die österreichische Regierung diese Frist, wenn auch nur implizit durch ihren Hinweis auf die Verordnung, als akzeptabel ansieht.

36.   In Anbetracht dieser Erwägungen ist die Klage der Kommission für zulässig zu erklären.

V –    Begründetheit

A –    Standpunkt der Kommission sowie der deutschen, der italienischen und der niederländischen Regierung

37.   Wie oben ausgeführt, macht die Kommission geltend, dass die streitige Maßnahme gegen die Gemeinschaftsvorschriften über die Dienstleistungsfreiheit im Transportsektor in der Verordnung Nr. 881/92 und der Verordnung Nr. 3118/93 sowie über den freien Warenverkehr, der durch die Artikel 28 und 30 EG garantiert werde, verstoße. Bevor sie auf diese Punkte eingeht, erläutert die Kommission die unmittelbaren faktischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der streitigen Maßnahme.

38.   Der Abschnitt der Autobahn A 12, für den die Maßnahme gelten solle, weise eine hohe Verkehrsdichte auf, weil sich hier der Nord-Süd-Verkehr zwischen Deutschland und Italien und der innerösterreichische Ost-West-Verkehr überlagerten. Die Tiroler Statistiken zeigten, dass im Tagesdurchschnitt 5 200 Schwerfahrzeuge auf der A 12 zwischen Wörgl und Hall unterwegs seien. Bei näherer Betrachtung der von der Maßnahme betroffenen Transporte und unter Berücksichtigung der Ausnahmen für den örtlichen Verkehr ergebe sich, dass letztlich 610 ausländische und 130 österreichische Fahrzeuge täglich betroffen wären. Da der betroffene Abschnitt der A 12 nur großräumig zu umfahren sei, werde durch die Maßnahme im Ergebnis der gesamte Durchgangsverkehr von Schwerfahrzeugen, die die in der Verordnung aufgezählten Güter beförderten, von der Straße verbannt. Die deutsche Regierung weist außerdem darauf hin, dass längere Ausweichstrecken eine höhere Luftverschmutzung bedeuteten und das Problem lediglich verlagerten.

39.   Die Maßnahme habe erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen nicht nur auf das Transportgewerbe, sondern auch auf die Hersteller der betroffenen Güter, die sich mit höheren Transportkosten und logistischen Problemen bei der Suche nach anderen Möglichkeiten, ihre Waren zu ihren Kunden zu bringen, konfrontiert sähen. Die Kommission und die beteiligten Regierungen tragen vor, dass vor allem kleine und mittlere Transportunternehmen, von denen sich viele auf die Beförderung mancher der betroffenen Güter spezialisiert hätten, gefährdet seien.

40.   Die Kommission und die beteiligten Regierungen weisen darauf hin, dass die Verlagerung der betroffenen Transporte auf die Schiene kurzfristig nicht als eine realistische Option angesehen werden könne. Dies gelte für alle drei Möglichkeiten, den Transport der betroffenen Güter auf die Schiene zu verlagern: Wagenladungsverkehr, unbegleiteter kombinierter Verkehr und begleiteter kombinierter Verkehr (Rollende Landstraße). Abgesehen davon, dass es nicht Aufgabe eines Straßentransportunternehmens sei, Güter mit der Bahn zu befördern, könne diese Option angesichts der begrenzten Kapazität auf der Bahnstrecke über den Brenner und wegen technischer Beschränkungen, Verspätungen, Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit noch nicht als eine echte Alternative zum Straßenverkehr angesehen werden. Hinzu komme, dass eine kurzfristige Erhöhung der Kapazitäten nicht möglich sei. Die geplante Kapazitätserhöhung im Rahmen des Programms „Brenner 2005“ solle die bestehende Nachfrage decken und könne die zusätzliche Nachfrage, die durch das Fahrverbot in der streitigen Verordnung entstehe, nicht auffangen. Die Verlagerung auf die Schiene würde die Rentabilität der Beförderung der betroffenen Güter verringern.

41.   In Anbetracht dieser Auswirkungen ist nach Ansicht der Kommission und der beteiligten Regierungen offensichtlich, dass die streitige Maßnahme auch – unter Verstoß gegen die Verordnung Nr. 881/92 und die Verordnung Nr. 3118/93 – die Dienstleistungsfreiheit im Transportgewerbe und – unter Verstoß gegen die Artikel 28 und 30 EG – den freien Verkehr der betroffenen Waren einschränke. Die italienische und die niederländische Regierung tragen vor, dass sie auch das Recht auf freie Durchfuhr durch das Gebiet eines Mitgliedstaats verletze, das der Gerichtshof im Urteil SIOT(18) anerkannt habe.

42.   Darüber hinaus betreffe die Maßnahme, obwohl sie neutral formuliert sei, de facto in erster Linie den Transitverkehr. Statistiken zeigten, dass 80 % dieses Verkehrs auf nicht-österreichische Fuhrunternehmen zurückgingen, während 80 % der von der Maßnahme ausgenommenen Beförderungen von österreichischen Unternehmen durchgeführt würden. Die Maßnahme bewirke demnach eine (mittelbare) Diskriminierung zwischen den nationalen und den ausländischen Fuhrunternehmen. Sie könne daher nicht mit Umweltschutzerwägungen gerechtfertigt werden.

43.   Für den Fall, dass der Gerichtshof anderer Auffassung sein sollte, trägt die Kommission hilfsweise vor, dass die streitige Maßnahme nicht von den Luftqualitätsrichtlinien gedeckt sei. Ein unbefristetes sektorales Fahrverbot könne nicht auf Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 gestützt werden. Zwar seien die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie erfüllt, da der um die Toleranzmarge erhöhte Grenzwert für Stickstoffdioxid 2002 deutlich überschritten worden sei. Der Maßnahmenkatalog in § 10 IG‑L enthalte jedoch nicht die nach Artikel 8 Absatz 3 und Anhang IV der Richtlinie erforderlichen Angaben. Die beteiligten Regierungen stellen auch die Methode in Frage, auf der die Messung der Schadstoffkonzentration und die Schlussfolgerung basierten, dass die Stickstoffdioxidemissionen vor allem einer bestimmten Kategorie von Lastkraftwagen zuzurechnen seien.

44.   Soweit die österreichische Regierung versucht, die Maßnahme mit Erwägungen sowohl des Gesundheits- als auch des Umweltschutzes zu rechtfertigen, ist nach Ansicht der Kommission und der beteiligten Regierungen offensichtlich, dass Letzterer das Hauptziel sei. Eine Rechtfertigung mit Erwägungen des Gesundheitsschutzes nach Artikel 30 EG komme nur dann in Betracht, wenn die betroffenen Waren eine unmittelbare und nachweisliche Gesundheitsgefahr darstellten. Dies sei hier eindeutig nicht der Fall.

45.   Überdies entspreche die streitige Maßnahme nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da es andere Maßnahmen gebe, die den freien Verkehr von Waren und Transportdienstleistungen weniger behinderten. Insoweit verweist die Kommission, unterstützt von den beteiligten Regierungen, auf die Möglichkeit, das in der streitigen Verordnung enthaltene Fahrverbot sukzessive für die verschiedenen Schadstoffklassen von Lastkraftwagen (EURO 0, 1 und 2, später sogar EURO 3) einzuführen. Auch das Ökopunktesystem, das im Protokoll Nr. 9 über den Straßen- und Schienenverkehr sowie den kombinierten Verkehr in Österreich zur Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (im Folgenden: Protokoll Nr. 9) festgelegt worden sei, habe bereits erheblich dazu beigetragen, den Schwerverkehr mit Erfordernissen des Umweltschutzes in Einklang zu bringen. Andere denkbare Maßnahmen wären die Beschränkung des Schwerlastverkehrs zu Spitzenverkehrszeiten, ein Nachtfahrverbot, vom Schadstoffausstoß der Fahrzeuge abhängige Mautsysteme und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Solche Maßnahmen, die dem Grundsatz der Bekämpfung der Umweltverschmutzung an der Quelle und dem Verursacherprinzip besser entsprächen, würden den örtlichen Verkehr einschließen und damit auch die Verschmutzung durch von der streitigen Maßnahme ausgenommene Fahrzeuge verringern. Die Einführung eines neuen Fahrverbots für den LKW-Verkehr, bevor die Ergebnisse des verlängerten Nachtfahrverbots verfügbar seien, sei zumindest verfrüht.

46.   Die deutsche Regierung macht darüber hinaus geltend, dass nicht nachvollziehbar sei, warum die Beförderung der in der streitigen Verordnung aufgeführten Güter besonders zur Luftverschmutzung beitrage. Die Auswahl der Güter sei willkürlich und unangemessen. Die niederländische Regierung trägt vor, die Maßnahme gelte nur für eine der vielen Verschmutzungsquellen in dem betroffenen Gebiet und beschränke sogar die Verwendung von relativ sauberen Lastkraftwagen (EURO 3). Die italienische Regierung weist darauf hin, dass es einen gemeinschaftsrechtlichen Durchfuhranspruch für Fahrzeuge gebe, denen Ökopunkte zugeteilt worden seien.

47.   Nach Ansicht der deutschen Regierung hätten sich die österreichischen Behörden vor Einführung einer solch drastischen Maßnahme nach Artikel 10 EG mit den betroffenen Mitgliedstaaten und der Kommission beraten müssen. Die Kommission trägt vor, dass die streitige Maßnahme, wenn überhaupt, stufenweise hätte eingeführt werden sollen, um es den betroffenen Sektoren zu ermöglichen, sich auf die veränderten Umstände vorzubereiten.

48.   Die Kommission und die beteiligten Regierungen machen schließlich geltend, dass andere Bedingungen für die Beförderung von Waren als die in den Verordnungen über die Dienstleistungsfreiheit im Transportsektor vorgesehenen unzulässig seien. Da sich aus ihren Ausführungen zu Artikel 28 EG ergebe, dass die Maßnahme nicht gerechtfertigt werden könne, verstoße sie auch gegen die Artikel 1 und 3 der Verordnung Nr. 881/92 und die Artikel 1 und 6 der Verordnung Nr. 3118/93.

B –    Standpunkt der Republik Österreich

49.   Nach Ansicht der österreichischen Regierung ist die streitige Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Die Kommission bestreite nicht, dass der um die Toleranzmarge erhöhte Grenzwert von 56 μg/m3 an der Messstelle Vomp/Raststätte 2002 überschritten worden sei und 2003 erneut weit (68 μg/m3) überschritten worden sei. In einem solchen Fall sei ein Mitgliedstaat nach den Artikeln 7 und 8 der Richtlinie 96/62 verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass der Grenzwert eingehalten werde. In dieser Situation sei die streitige Maßnahme erlassen worden.

50.   Die österreichische Regierung wendet sich nachdrücklich gegen die Auffassung der Kommission, dass die in den Luftqualitätsrichtlinien festgelegten Grenzwerte nicht im Hinblick auf die noch geltende Ökopunkteregelung zur Anwendung kämen. Es sei zwar richtig, dass das Protokoll Nr. 9, das die Ökopunkteregelung enthalte, Abweichungen vom sekundären Gemeinschaftsrecht ausdrücklich vorsehe; diese seien jedoch abschließend aufgezählt und beinhalteten die Luftqualitätsrichtlinien gerade nicht.

51.   Da wissenschaftliche Studien eindeutig zeigten, dass Stickstoffdioxidemissionen des Schwerverkehrs eine Hauptursache der Luftverschmutzung in dem von der streitigen Maßnahme erfassten Gebiet darstellten, sei eine Beschränkung der Zahl der LKW-Fahrten offensichtlich notwendig. Um die Auswirkungen eines Fahrverbots auf dem fraglichen Abschnitt der A 12 möglichst gering zu halten, seien Güter ausgewählt worden, für die die Beförderung auf der Schiene sowohl technisch wie wirtschaftlich eine praktische und machbare Alternative sei. Entgegen den Behauptungen der Kommission und der beteiligten Regierungen ergebe sich aus den Stellungnahmen verschiedener öffentlicher und privater in- und ausländischer Bahnunternehmen, dass ausreichende Kapazitäten bestünden, um eine durch die Einführung der streitigen Maßnahme erhöhte Nachfrage aufzufangen. Dies gelte für den Wagenladungsverkehr, den unbegleiteten kombinierten Verkehr und die Rollende Landstraße. Außerdem gebe es auch Alternativrouten auf der Straße. Fast der Hälfte des Transitverkehrs auf dem Brennerkorridor stehe eine kürzere oder zumindest gleichwertige Alternativroute zur Verfügung. Die Annahme der Kommission, die betroffenen Transporte müssten über die Schweiz oder die Tauernroute ausweichen, sei nicht begründet.

52.   Die österreichische Regierung bestreitet das Vorbringen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Maßnahme auf das Transportgewerbe, das sich durch strukturelle Überkapazitäten und extrem geringe Gewinnspannen auszeichne. Dass die Maßnahme diese Probleme verschärfen könnte, sei kein Grund, sie für rechtswidrig zu erklären.

53.   Was den angeblich diskriminierenden Charakter der streitigen Maßnahme angehe, so sei die Maßnahme nicht nur auf ausländische Waren anwendbar. Das Fahrverbot betreffe alle Lastkraftwagen, einschließlich österreichischer LKWs, die das bezeichnete Teilstück der A 12 zur Beförderung der in der Verordnung aufgeführten Güter zur Gänze durchführen. Die Auswahl der Güter habe sich danach gerichtet, ob sich deren Beförderung leicht auf die Schiene verlagern lasse (Bahnaffinität), um die Auswirkungen der Maßnahme auf den freien Warenverkehr gering zu halten. Diese Güter würden nämlich jetzt schon in größerem Umfang auf der Schiene transportiert. Auf das Vorbringen der Kommission, die Maßnahme sei insoweit diskriminierend, als die Transporte, die Ausgangs- oder Zielpunkt in dem bezeichneten Gebiet hätten, vom Verbot ausgenommen seien, entgegnet die österreichische Regierung, dass sich dieser Sachverhalt nicht mit dem Transitverkehr vergleichen lasse. Der einzige zulässige Vergleich sei der zwischen Fahrzeugen, die in das Gebiet hinein- und wieder herausführen. Die Ausnahme für den lokalen Verkehr sei gerechtfertigt, weil die Verlagerung auf die Schiene bedeuten würde, dass Wege zu den Bahnterminals zurückzulegen wären, die länger wären, was im Hinblick auf das Ziel der Maßnahme, die Luftverschmutzung zu verringern, kontraproduktiv wäre.

54.   Sollte der Gerichtshof entgegen diesen Erwägungen zu der Auffassung gelangen, dass die Maßnahme eine mittelbare Diskriminierung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten darstellt, so sei sie als aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit nach Artikel 30 EG und des Umweltschutzes gerechtfertigt anzusehen. Die österreichische Regierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Grenzwerte in den Luftqualitätsrichtlinien so festgesetzt worden seien, wie es für den dauerhaften Schutz der menschlichen Gesundheit und den Schutz der Ökosysteme und der Vegetation erforderlich erscheine. Daher müsse nicht bei jeder Überschreitung der Grenzwerte der Nachweis erbracht werden, dass die menschliche Gesundheit gefährdet und die Umwelt geschädigt werde.

55.   Das in der Verordnung enthaltene Fahrverbot sei zur Erreichung des damit verfolgten Zieles geeignet, erforderlich und angemessen. Die von der Kommission und den beteiligten Regierungen vorgeschlagenen Alternativen wären keine verhältnismäßigeren Mittel, um das Ziel der streitigen Maßnahme zu erreichen. Ein Fahrverbot für Fahrzeuge bestimmter EURO-Klassen wäre entweder nicht ausreichend (Verbot für EURO 0 und 1) oder unverhältnismäßig (Verbot für EURO 0, 1 und 2). Letzteres würde 50 % der LKW-Fahrten betreffen und nehme keine Rücksicht auf die Verlagerbarkeit auf die Schiene. Die österreichische Regierung trägt außerdem vor, dass die Grenzwerte trotz des Ökopunktesystems überschritten worden seien und dass das Nachtfahrverbot für Lastkraftwagen bei der Vorbereitung der Maßnahme berücksichtigt worden sei. Das Fahrverbot in der streitigen Verordnung dürfe nicht als eine isolierte Maßnahme betrachtet werden. Es sei im Zusammenhang mit anderen strukturellen Maßnahmen zu sehen, die zur Verringerung der Luftverschmutzung ergriffen worden seien, wie z. B. die Verbesserung der Schienenverkehrsinfrastruktur.

56.   Schließlich sei die Rüge der Kommission in Bezug auf den angeblichen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 881/92 und die Verordnung Nr. 3118/93 unbegründet, da nicht angegeben werde, worin dieser Verstoß bestehe, sondern lediglich auf die Ausführungen zu dem angeblichen Verstoß gegen Artikel 28 EG verwiesen werde. Die Voraussetzungen von Artikel 38 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichtshofes seien daher nicht erfüllt.

C –    Allgemeine Bemerkungen: das Problem in einem größeren Zusammenhang

57.   In der Einleitung zu diesen Schlussanträgen habe ich festgestellt, dass dieser Rechtsstreit auf ein tiefer liegendes Problem zurückgeht, nämlich die Notwendigkeit, die verstärkte Nutzung des Straßennetzes mit den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes in Einklang zu bringen. Bevor ich mich den eigentlichen Rechtsfragen zuwende, ist es erforderlich, den Rechtsstreit in einen größeren Zusammenhang zu stellen, um eine ausgewogene Lösung finden zu können, die den Hintergrund dieses Problems berücksichtigt.

58.   Erstens sollte der räumlichen Umgebung, in der die Maßnahme Anwendung finden soll, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Alpen bilden ein natürliches Hindernis zwischen Frankreich und Deutschland – und den nördlich davon gelegenen Mitgliedstaaten – auf der einen Seite und Italien und Teilen des Balkans, einschließlich Sloweniens, auf der anderen. Es gibt eine Reihe von Korridoren durch dieses Hindernis, die aus Pässen oder Tunneln oder einer Kombination aus beiden bestehen, die für den Straßenverkehr zugänglich gemacht worden sind. Der alpenquerende Straßenverkehr konzentriert sich auf diese Korridore. Das schnelle Wachstum des innergemeinschaftlichen Straßenverkehrs hat zu einer verstärkten Nutzung dieser Straßenverbindungen und damit zu erhöhtem Druck auf die Umwelt in diesen Korridoren und deren unmittelbarer Umgebung geführt.

59.   Das Herz der Alpenregion besteht im Norden und Osten aus zwei relativ kleinen Ländern, der Schweiz und Österreich, und im Westen aus der Grenzregion zwischen Frankreich und Italien. In dieser Grenzregion gibt es eine Reihe von Verkehrskorridoren, wie z. B. die Routen durch den Mont-Blanc-Tunnel und den Tunnel bei Fréjus. Die anderen Korridore verlaufen durch die Schweiz und Österreich. Aufgrund dieser geografischen Gegebenheiten betrifft jede Maßnahme, die von der Schweiz oder Österreich zur Einschränkung, Kanalisierung oder Beeinflussung von Verkehrsträgern ergriffen wird, zwangsläufig den aus anderen Mitgliedstaaten kommenden Straßenverkehr vergleichsweise stärker als den Binnenverkehr. Bei ähnlichen Maßnahmen, die in der Grenzregion zwischen Frankreich und Italien ergriffen werden, zeigt sich diese Wirkung weitaus weniger.

60.   Da diese unterschiedlichen Auswirkungen nationaler Maßnahmen zur Begrenzung der negativen externen Wirkungen des Straßengüterverkehrs in den Korridoren ausschließlich auf die natürlichen Grenzen und die Staatsgrenzen zurückzuführen sind, muss die Frage, ob solche Maßnahmen unmittelbar oder mittelbar diskriminierend sind, umsichtig und genau geprüft werden.

61.   Zweitens besteht eines der Merkmale nationaler Maßnahmen zur Kanalisierung von Verkehrsströmen oder Beeinflussung von Verkehrsträgern darin, dass sie aus Gründen, die mit der Lebensfähigkeit der örtlichen und regionalen Wirtschaft zusammenhängen, Ausnahmen für Verkehr mit Ziel- oder Ausgangspunkt in diesen Regionen vorsehen müssen. Dies ist ein Gesichtspunkt, der keinem aufmerksamen Nutzer der Hauptverkehrswege in Europa entgehen kann. Wenn verhältnismäßig kleine Transitstaaten wie die Schweiz oder Österreich Maßnahmen zur Beeinflussung oder Beschränkung von Verkehrsströmen ergreifen, kommen Ausnahmen für den Ziel- und Quellverkehr im betroffenen Gebiet beinahe zwangsläufig den inländischen Spediteuren stärker zugute als den Spediteuren aus anderen Mitgliedstaaten. Diese Auswirkung, die wiederum die Folge der Konfiguration der Staatsgrenzen ist, kann nicht einfach als eine Form der Diskriminierung angesehen werden, wie die Kommission und die beteiligten Regierungen geltend machen.

62.   Drittens sollte die Art des Umweltproblems, das Gegenstand der streitigen Maßnahme ist, näher untersucht werden.

63.   Die Beteiligten scheinen darin übereinzustimmen, dass die durch NOx- und NO2-Emissionen verursachte Luftverschmutzung im Inntal in den letzten Jahren gestiegen ist und dass diese Verschmutzung die Werte, die nach Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht als annehmbar gelten, häufiger, für längere Zeiträume und in höherem Maße überschritten hat. Hinzu kommt, dass die zulässigen Höchstgrenzwerte mit der Zeit strenger werden.

64.   Obergrenzen für die hinnehmbare Umweltverschmutzung wie die hier in Rede stehenden schaffen sozusagen einen „Raum“, der der Aufnahmefähigkeit der Umwelt für die Verschmutzung aus verschiedenen Quellen in dem Gebiet entspricht. Innerhalb der Grenzen dieses „Raums“ werden Emissionen verschiedener Quellen, wie z. B. des Straßenverkehrs, industrieller Prozesse und der Gebäudeheizung, als hinnehmbar betrachtet. Besteht die Gefahr, dass die Grenzen dieses „Raums“ überschritten werden, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Tätigkeiten, die diese Verschmutzung verursachen, einzudämmen.

65.   Bei der Beurteilung der streitigen Maßnahme ist zum einen zu prüfen, ob sie zur Erreichung ihres Umweltschutzziels geeignet ist, und zum anderen, ob sie nicht andere gemeinschaftsrechtlich geschützte Belange unverhältnismäßig beeinträchtigt. Die Geeignetheit der Maßnahme ist anhand von Gesichtspunkten wie ihrer Wirksamkeit (ist davon auszugehen, dass sie innerhalb einer angemessenen Frist zu der beabsichtigten Emissionsbegrenzung führt?), anhand der Frage, ob sie in der Praxis funktioniert (handelt es sich bei der Maßnahme um ein effizientes Mittel zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles?), und anhand ihrer Durchsetzbarkeit (können die Wirtschaftsteilnehmer gezwungen werden, ihr Verhalten in der gewünschten Weise anzupassen?) zu prüfen. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten wie der Verfügbarkeit möglicher Alternativen zum Transport der betroffenen Güter auf der Straße und des damit zusammenhängenden Grundsatzes der Kosteneffizienz der Maßnahme zu beurteilen. Schließlich kann es bei der Prüfung der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme eine Rolle spielen, ob sie auf die dynamischsten Quellen abzielt, d. h. auf die Quellen, deren Emissionen relativ stark steigen und die daher im Verhältnis stärker zum gesamten Emissionsanstieg beitragen.

66.   In Anbetracht der verschiedenen zu berücksichtigenden Faktoren und Belange liegt es auf der Hand, dass mehr als eine Kombination von Maßnahmen denkbar ist, die in einer bestimmten Situation geeignet und verhältnismäßig ist. Man sollte daher Zurückhaltung üben bei der Feststellung, dass „andere“ Maßnahmen „wirksamer“, „verhältnismäßiger“ oder „weniger einschneidend“ wären. Auch wenn dies durchaus der Fall sein kann, wenn sie im Licht eines bestimmten Interesses geprüft werden, so mag es doch anders sein, wenn sie im Hinblick auf andere Interessen betrachtet werden.

67.   Die Förderung der Transparenz der Entscheidungsfindung bei der Entwicklung von Strategien auf diesem Gebiet ist einer der Gründe dafür, dass die Artikel 7 Absatz 3 und 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 den Mitgliedstaaten in den dort genannten Fällen aufgeben, „Pläne“ oder „Programme“ zur Verringerung der in den Luftqualitätsrichtlinien genannten Emissionen aufzustellen.

68.   Viertens ist darauf hinzuweisen, dass sich jede Maßnahme zur Beeinflussung von Verkehrsströmen und -trägern auf die bestehende Struktur des Transportgewerbes auswirkt. Solche Maßnahmen beeinflussen zwangsläufig die Kostenstruktur der betroffenen Transportunternehmen und haben, insbesondere wenn sie zu einer veränderten Nutzung der Verkehrsträger führen sollen, Folgen für die Transportlogistik. Bestimmte Arten von Transportunternehmen können sich auf eine solche neue Situation besser einstellen als andere. Schließlich führt eine Kombination von Maßnahmen, die für eine Verlagerung bestimmter Arten von Ladungen von der Straße auf die Schiene sorgen soll, naturgemäß zu erheblichen Veränderungen der Wettbewerbsstruktur innerhalb und zwischen den verschiedenen Transportmärkten. Das ist eine unvermeidbare – und in manchen Fällen sogar beabsichtigte – Folge solcher Maßnahmen.

69.   Vor diesem Hintergrund kann den Argumenten der Kommission und der beteiligten Regierungen, die diese auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der streitigen Maßnahme auf bestimmte Teile des Transportgewerbes stützen, nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Sie sind nur insoweit stichhaltig, als diese Wirkungen von unangemessenen und unverhältnismäßigen Bestandteilen der Maßnahme verursacht werden. Andernfalls wären nicht einmal erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen des Schwerverkehrs zulässig. Meines Erachtens ist der Standpunkt der Kommission in dieser Sache wegen seiner Einseitigkeit kontraproduktiv. Ich komme später darauf zurück.

D –    Rechtliche Würdigung: Vorgehensweise

70.   Obwohl die Kommission in erster Linie geltend macht, dass die streitige Maßnahme gegen die Verordnungen Nrn. 881/92 und 3118/93 verstoße, konzentrieren sich ihre Rechtsausführungen in der Klageschrift auf die behauptete Unvereinbarkeit mit Artikel 28 EG. Die Frage der Vereinbarkeit mit den Luftqualitätsrichtlinien wird im Rahmen der möglichen Rechtfertigung der Maßnahme mit Umweltschutzerwägungen behandelt. Der angebliche Verstoß gegen die Verordnungen Nrn. 881/92 und 3118/93 wird danach nur sehr kurz angesprochen.

71.   Diese Vorgehensweise erscheint mir in systematischer Hinsicht nicht ganz korrekt. Da die österreichische Regierung vorträgt, die streitige Maßnahme sei auf das IG‑L gestützt, mit dem die Luftqualitätsrichtlinien in österreichisches Recht umgesetzt worden seien, sollte zunächst untersucht werden, ob und inwieweit sie von den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinien gedeckt ist. Stellen die Luftqualitätsrichtlinien keine geeignete Grundlage für die Maßnahme dar, ist sodann zu prüfen, ob sie – soweit es um die behauptete Beschränkung des freien Warenverkehrs geht – mit den Artikeln 28 und 30 EG vereinbar ist. Schließlich ist im Zusammenhang mit der Frage der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Transportsektor auf den geltend gemachten Verstoß gegen die Verordnungen Nrn. 881/92 und 3118/93 einzugehen.

E –    Vereinbarkeit mit den Luftqualitätsrichtlinien

72.   Das wichtigste Mittel zur Erreichung der in Artikel 1 der Richtlinie 96/62 genannten Ziele besteht darin, Grenzwerte für verschiedene Schadstoffe festzulegen, um die Luftqualität messen und bestimmen zu können, wann vorbeugende oder korrigierende Maßnahmen zu ergreifen sind. Solche Grenzwerte wurden in der Richtlinie 1999/30 für Stickstoffdioxid (NO2) und Stickoxide (NOx) festgesetzt. Besteht die „Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte“, so erstellen die Mitgliedstaaten nach Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 „Aktionspläne …, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern“. Diese Pläne können nach dieser Bestimmung auch „die Aussetzung der Tätigkeiten …, einschließlich des Kraftfahrzeugverkehrs“ vorsehen. Ist festgestellt worden, dass die Schadstoffwerte über den um eine Toleranzmarge erhöhten Grenzwerten liegen, so ergreifen die Mitgliedstaaten nach Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 „Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann“. Diese Pläne oder Programme müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und die in Anhang IV der Richtlinie 96/62 aufgeführten Angaben enthalten.

73.   Dies ist zusammengefasst der Rahmen, in dem die Vereinbarkeit der streitigen Maßnahme mit den Luftqualitätsrichtlinien zu beurteilen ist. In Anbetracht des Vorbringens der Kommission und der österreichischen Regierung sollte sich die Prüfung auf zwei wichtige Aspekte konzentrieren: erstens auf die Frage, ob die Mitgliedstaaten nach den Luftqualitätsrichtlinien zum Handeln verpflichtet sind, wenn ein Grenzwert überschritten wird, und zweitens auf die Frage, wie weit dies gehen soll, d. h. welche Art von Maßnahmen erlassen werden soll.

74.   Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Kommission nicht bestreitet, dass der um die Toleranzmarge erhöhte Jahresgrenzwert für NO2 von 56 μg/m3 an der Messstelle Vomp/Raststätte in den Jahren 2002 und 2003 überschritten wurde. Die Methode, die zur Messung der NO2-Werte verwendet wurde, ist zwar von der deutschen und der italienischen Regierung kritisiert worden; die Kommission ist auf diesen Punkt jedoch nicht eingegangen. Diese Tatsache ist auch vom Präsidenten des Gerichtshofes in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2003(19) bestätigt worden. Für dieses Verfahren kann daher davon ausgegangen werden, dass Einigkeit bezüglich der tatsächlichen Grundlage der streitigen Maßnahme besteht.

75.   Ferner ist festzustellen, dass nicht bestritten wird, dass das IG‑L die Luftqualitätsrichtlinien ordnungsgemäß umsetzt.

76.   Die Frage, ob die österreichischen Behörden, wie die österreichische Regierung vorträgt, zum Handeln verpflichtet waren, nachdem sie festgestellt hatten, dass der Jahresgrenzwert für NO2 überschritten worden war, kann anhand des eindeutigen Wortlauts der Artikel 7 Absatz 3 und 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 beantwortet werden. Beide Bestimmungen schreiben zwingend vor, dass die Mitgliedstaaten bei Auftreten der darin beschriebenen Ereignisse die vorgeschriebenen Maßnahmen „ergreifen“.

77.   Auch wenn die Grenzwerte für NO2, wie die Kommission und die deutsche Regierung geltend machen, erst ab 2010 einzuhalten sind, bedeutet dies nicht, dass ein solcher Grenzwert, wenn er einmal festgesetzt worden ist, keine Rechtsfolgen hat. Im Gegenteil, wenn eine Richtlinie ein solch klar definiertes Ergebnis festlegt, das wesensgemäß nur stufenweise erreicht werden kann, dann bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten sich bemühen müssen, dieses Ergebnis innerhalb der gesetzten Frist zu erreichen. Würde das Unterlassen der geeigneten Maßnahmen die Erreichung des Zieles innerhalb der in den Luftqualitätsrichtlinien gesetzten Frist erschweren oder sogar unmöglich machen, verstieße dies gegen die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Artikel 10 EG in Verbindung mit Artikel 249 Absatz 3 EG(20). Aus der Tatsache, dass die in Anhang II der Richtlinie 1999/30 festgesetzten Grenzwerte für NO2 und NOx erst 2010 erreicht werden müssen, kann daher nicht geschlossen werden, dass die Artikel 7 Absatz 3 und 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 keine Pflicht zum Handeln enthalten, wenn diese Grenzwerte vor diesem Zeitpunkt überschritten werden.

78.   Die österreichischen Behörden durften daher annehmen, dass sie nach der Richtlinie 96/62 zum Handeln verpflichtet waren, nachdem sie festgestellt hatten, dass die in Anhang II der Richtlinie 1999/30 festgesetzten Jahresgrenzwerte für NO2 überschritten worden waren.

79.   Es stellt sich sodann die Frage, ob die streitige Maßnahme durch Artikel 7 Absatz 3 oder Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 gedeckt ist. Wie bereits ausgeführt, unterscheidet die Richtlinie 96/62 zwei Fälle, nämlich zum einen, dass die Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte besteht, und zum anderen, dass die Schadstoffwerte höher sind als die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge. Im vorliegenden Fall, in dem die österreichischen Behörden festgestellt haben, dass der Jahresgrenzwert für NO2 überschritten wurde, ist die streitige Maßnahme offensichtlich nach Artikel 8 Absatz 3 und nicht nach Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 zu beurteilen. Genauer gesagt ist zu entscheiden, ob die streitige Maßnahme als Durchführung eines Planes oder Programms im Sinne des Artikels 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 anzusehen ist, was bedeuten würde, dass die §§ 10, 11 und 14 IG‑L einen solchen Plan oder ein solches Programm darstellen.

80.   Im Allgemeinen bedeutet ein Plan oder ein Programm dem Begriff nach, dass ein bestimmtes Problem festgestellt und analysiert worden ist und dass Maßnahmen, die zur Lösung dieses Problems erforderlich erscheinen, ebenso wie ein Zeitplan für deren Durchführung genannt werden. In dem vergleichbaren Zusammenhang einer Richtlinie zur Bekämpfung der Wasserverschmutzung habe ich einen Aktionsplan als ein Dokument beschrieben, das als ein Gesamtrahmen für eine Reihe von Maßnahmen zur Verwirklichung eines bestimmten Zieles nach einem festgelegten Zeitplan dienen soll und voraussetzt, dass diese Maßnahmen diesem Ziel angemessen und ausreichend zusammenhängend sind. Wichtig ist, dass ein Aktionsprogramm einen selbständigen und erkennbaren Rahmen für einen Komplex von Maßnahmen bildet, mit denen ein politisches Ziel erreicht werden soll(21). Dieser Auffassung schloss sich der Gerichtshof kurz und bündig mit dem Hinweis an, dass ein Aktionsprogramm ein „zur Erreichung eines bestimmten Zieles bestimmtes strukturiertes und zusammenhängendes System“ bilden solle(22).

81.   Dass der in Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 verwendete Begriff „Plan oder Programm“ in diesem Sinne verwendet wird, wird durch Anhang IV der Richtlinie bestätigt, in dem ausdrücklich festgelegt ist, welche Informationen in diesen Plänen oder Programmen enthalten sein müssen. Dazu gehören Einzelheiten über den Ort des Überschreitens, über den Ursprung der Verschmutzung, über eine Lageanalyse und über bestehende und beabsichtigte Maßnahmen. Maßnahmen, die im Rahmen eines solchen Programms ergriffen werden sollen, können nämlich nur dann geeignet sein, einen Grenzwert zu erreichen, wenn sie speziell auf die Verringerung der Werte bestimmter Schadstoffe ausgerichtet sind, wobei alle relevanten örtlichen und geografischen Gegebenheiten der betreffenden Region zu berücksichtigen sind.

82.   Dabei ist zwischen den nationalen Rechtsvorschriften, die die zuständigen Behörden ermächtigen, bestimmte Arten von Maßnahmen zu erlassen, wenn Grenzwerte überschritten worden sind, und Plänen oder Programmen, die angeben, welche Maßnahmen zur Verringerung bestimmter Schadstoffe unter den besonderen naturräumlichen Gegebenheiten des betroffenen Gebietes geeignet und wirksam sind, zu unterscheiden. Erstere enthalten die formale Grundlage und die Voraussetzungen für den Erlass der Maßnahmen, während Letztere die konkreten Maßnahmen behandeln, die in einer bestimmten Situation zu ergreifen sind.

83.   Der in § 10 IG‑L aufgeführte Maßnahmenkatalog, die in § 11 IG‑L genannten Grundsätze und die speziellen Vorschriften über den Verkehr in § 14 IG‑L sind zu allgemein, als dass sie als Plan oder Programm im Sinne von Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 in Verbindung mit Anhang IV der Richtlinie angesehen werden könnten. Sie stehen als solche nicht im Zusammenhang mit einer spezifischen Sachlage. Auch wenn die streitige Maßnahme auf der Grundlage dieser Bestimmungen des IG‑L erlassen wurde und selbst Bestandteil eines Planes oder Programms sein könnte, wurde sie doch eindeutig nicht im Rahmen eines zusammenhängenden Maßnahmenkomplexes, wie in Nummer 80 beschrieben, erlassen, der die Verringerung von NO2 im betreffenden Gebiet bezweckt.

84.   Als Zwischenergebnis möchte ich deshalb festhalten, dass die streitige Maßnahme nicht auf Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 gestützt werden kann.

85.   Jedoch können die Mitgliedstaaten nach Artikel 176 EG Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ergreifen, die über die nach Artikel 175 EG erlassenen hinausgehen. Solche Maßnahmen müssen mit den sonstigen Bestimmungen des EG-Vertrags vereinbar sein. Deshalb ist als nächstes die Vereinbarkeit der streitigen Maßnahme mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit im Transportsektor zu prüfen.

F –    Vereinbarkeit mit den Artikeln 28 und 30 EG

86.   Die Artikel 28 bis 30 EG garantieren den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft, was nicht nur die freie Ein- und Ausfuhr von Waren in andere und aus anderen Mitgliedstaaten, sondern auch die freie Durchfuhr von Waren durch das Gebiet der Mitgliedstaaten umfasst. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil SIOT(23) ausgeführt hat, „ist als Folge der Zollunion und im gegenseitigen Interesse der Mitgliedstaaten das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes der Freiheit der Warendurchfuhr innerhalb der Gemeinschaft anzuerkennen“(24). Nicht zolltarifliche Hemmnisse für diese Grundfreiheiten sind verboten, sofern sie nicht aus Gründen gerechtfertigt werden können, die in Artikel 30 EG oder in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannt sind. Im vorliegenden Fall beruft sich die österreichische Regierung auf Gründe zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Auch wenn diese Ziele zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahme geltend gemacht werden können, ist diese nur dann als mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr vereinbar anzusehen, wenn sie diesen Warenverkehr nicht mehr als zur Erreichung dieser Ziele erforderlich einschränkt.

1.      Beschränkung?

87.   Durch das vollständige Verbot der Beförderung bestimmter Kategorien von Waren mit Lastkraftwagen über 7,5 t auf einem Abschnitt einer der wichtigsten Straßenverbindungen zwischen Süddeutschland und Norditalien behindert die streitige Maßnahme eindeutig den freien Verkehr und die freie Durchfuhr dieser Waren. Das Verbot zwingt die Beförderer und die Hersteller dieser Waren, nach Ausweichrouten oder anderen Verkehrsträgern zu suchen, was zu höheren Kosten und in bestimmten Fällen zum Verlust von Märkten führen kann, wenn die Ausfuhr dieser Waren unrentabel wird. In Anbetracht der sich diametral gegenüberstehenden Ansichten und Statistiken, die von der Kommission und der österreichischen Regierung zur Frage, ob die vorhandenen Schienenkapazitäten ausreichen, die durch das Fahrverbot in der streitigen Verordnung erhöhte Nachfrage aufzunehmen, vorgetragen bzw. vorgelegt worden sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Beförderung der betroffenen Waren kurzfristig problemlos auf die Schiene verlagern lässt. Die Auswirkungen der Maßnahme werden noch dadurch verstärkt, dass das Fahrverbot nur zwei Monate nach dem Erlass und der Veröffentlichung der Verordnung in Kraft treten sollte, was es den betroffenen Sektoren unmöglich macht, innerhalb einer angemessenen Frist Alternativen für die Beförderung der betroffenen Waren zu finden.

88.   Mitgliedstaaten tragen eine besondere Verantwortung dafür, den freien Warenverkehr auf den wichtigen Straßenverbindungen in der Gemeinschaft zu gewährleisten, wie der Gerichtshof im Urteil Schmidberger in einer Rechtssache, die Handlungen von Privatpersonen betraf, zur Brennerautobahn festgestellt hat(25). Das bedeutet, dass die Beförderung von Waren auf den wichtigsten Verkehrsachsen des Straßennetzes der Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Durchfuhr durch die Mitgliedstaaten grundsätzlich sichergestellt werden muss. Ein vollständiges Verbot der Beförderung bestimmter Kategorien von Waren auf diesen Routen stellt eine Blockade dar, die denen entspricht, um die es in den Rechtssachen Kommission/Frankreich(26) und Schmidberger ging. In Anbetracht der weiten Auslegung, die der Gerichtshof beim Begriff einer Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung vertritt(27), stellt das Fahrverbot zweifellos eine nach Artikel 28 EG verbotene Maßnahme dar.

2.      Diskriminierung?

89.   Als nächstes ist zu klären, ob die streitige Maßnahme diskriminierend ist. Dies ist von Bedeutung, um bestimmen zu können, welche Gründe für ihre Rechtfertigung geltend gemacht werden können. Der Gerichtshof vertritt, was die mögliche Rechtfertigung von Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels angeht, allgemein die Auffassung, dass sich nur Maßnahmen, die unterschiedslos für inländische Waren und aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Waren gelten, mit zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses einschließlich des Umweltschutzes rechtfertigen lassen. Sollte die Maßnahme als mittelbar diskriminierend anzusehen sein, kann sie nur aus den in Artikel 30 EG aufgeführten Gründen gerechtfertigt werden.

90.   Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Diskriminierung nur vorliegen, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Situationen angewandt werden oder dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird(28).

91.   Die durch die streitige Maßnahme bewirkte Diskriminierung soll darin bestehen, dass Fuhrunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten weitaus stärker betroffen seien als österreichische Spediteure. Während 80 % des Transitverkehrs zur Beförderung der betroffenen Güter durch das Sanierungsgebiet von Fuhrunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten durchgeführt werden, fallen unter die Ausnahme des örtlichen Verkehrs und des Ziel- und Quellverkehrs im Sanierungsgebiet hauptsächlich (zu 80 %) österreichische Fuhrunternehmen. Das wirft die Frage auf, ob diese unterschiedlichen Auswirkungen auf österreichische und ausländische Fuhrunternehmen, die die betroffenen Güter befördern, eine mittelbare Diskriminierung bedeuten.

92.   Mit einer ähnlichen Frage sah sich der Gerichtshof in der Rechtssache Kommission/Österreich(29) konfrontiert, in der es um unterschiedliche Mautgebühren für die Nutzung der Brennerautobahn ging. In diesem Fall waren die Gebühren für Kraftfahrzeuge mit mehr als drei Achsen, die die Gesamtstrecke der Brennerautobahn benutzten, im Durchschnitt erheblich höher als für die gleiche Kategorie von Fahrzeugen, die nur Teilstrecken befuhren. In Anbetracht der Tatsache, dass die Fahrzeuge, die die Gesamtstrecke zurücklegten, ganz überwiegend nicht in Österreich zugelassen waren, während die Fahrzeuge, die Teilstrecken in Anspruch nahmen, ganz überwiegend in Österreich zugelassen waren, und beide Fahrzeugkategorien sich in der gleichen Situation befanden, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Gebührenänderungen zu einer Begünstigung der österreichischen Verkehrsunternehmer geführt haben(30). Diese Feststellung wurde durch die Entstehungsgeschichte der Gebührenänderung bestätigt, in deren Verlauf auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, die „heimischen Frächter“ vor der „drastischen Belastung“ zu schützen, die sich aus den Gebührenänderungen ergebe(31).

93.   Im Gegensatz zu den Mautgebühren, um die es im Fall der Brennerautobahn ging, unterscheidet die hier in Rede stehende Maßnahme als solche nicht zwischen bestimmten Kategorien von Fahrzeugen in einer Weise, die die Beförderung von Gütern mit österreichischen Fahrzeugen direkt bevorzugen würde. Das Fahrverbot gilt unterschiedslos für alle Lastkraftwagen über 7,5 t, die die in der Verordnung aufgeführten Güter befördern. Es trifft zwar zu, dass das in der Verordnung enthaltene Verbot den Transitverkehr ausländischer Lastkraftwagen zwischen Süddeutschland und Norditalien stärker betrifft als die von österreichischen Fahrzeugen durchgeführten Transporte; es ist jedoch fraglich, ob dies allein schon den Schluss zulässt, dass es Erstere mittelbar benachteiligt. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Ausnahme zugunsten des Ziel- und Quellverkehrs im Sanierungsgebiet, von der österreichische Fuhrunternehmen mehr profitieren, zu derselben Schlussfolgerung führt.

94.   Wie ich in den Nummern 58 ff. dieser Schlussanträge ausgeführt habe, ist bei der Beurteilung, ob die streitige Maßnahme ausländische Spediteure (mittelbar) benachteiligt, der besondere räumliche Zusammenhang zu beachten, in dem sie Anwendung finden soll. Meiner Ansicht nach ist es in dieser Hinsicht zu simpel und formalistisch, auf einen Vergleich der unmittelbaren Auswirkungen der Maßnahme auf die verschiedenen Kategorien der betroffenen Fuhrunternehmen abzustellen. In Anbetracht des Zweckes der Maßnahme, die Beförderung bestimmter Massengüter von der Straße auf die Schiene zu verlagern, ist das für die Auswahl der dem Beförderungsverbot unterliegenden Güter verwendete Kriterium neutral. Die Maßnahme muss als eine Einheit betrachtet werden, die nicht nur auf die Beförderung mit bestimmten Fahrzeugen als solche oder auf die betroffenen Güter als solche gerichtet ist. Sie kombiniert die beiden Elemente, was sich aus der behaupteten Verlagerbarkeit dieser Beförderungen auf die Schiene erklärt. Da die Maßnahme die Beeinflussung der Verkehrsträger in Bezug auf diese Güter bezweckt, betrifft sie angesichts der besonderen geografischen Lage Österreichs naturgemäß und zwangsläufig den ausländischen Transit stärker als den Binnentransport der betroffenen Güter. Es entspricht ferner dem Wesen einer solchen Maßnahme, dass Ausnahmen für Beförderungen mit Ziel- oder Ausgangspunkt in dem Sanierungsgebiet vorgesehen sind.

95.   Als Ganzes und in ihrem allgemeinen Zusammenhang betrachtet, ist die streitige Maßnahme meines Erachtens nicht als (mittelbar) diskriminierend anzusehen.

3.      Rechtfertigung?

96.   Die streitige Maßnahme wurde ausdrücklich zum Schutz der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit im Sanierungsgebiet erlassen. Da sie meiner Ansicht nach nicht diskriminierend ist, kann die österreichische Regierung zur Rechtfertigung der durch die Maßnahme verursachten Beschränkung des freien Warenverkehrs grundsätzlich beide Erwägungen anführen.

97.   In der vorliegenden Rechtssache ist unstreitig, dass der um die Toleranzmarge erhöhte Grenzwert für NO2 in zwei aufeinander folgenden Jahren überschritten wurde. In einem solchen Fall sind die Mitgliedstaaten, wie ich oben in Nummer 78 festgestellt habe, nach Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 verpflichtet, Abhilfe zu schaffen und im Rahmen eines Planes oder Programms Maßnahmen zu ergreifen, um die Erreichung der Grenzwerte sicherzustellen. Obwohl ich zu dem Ergebnis gelangt bin, dass die auf das IG‑L gestützte Maßnahme den Anforderungen des Artikels 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62 nicht entspricht, bin ich doch der Ansicht, dass sie der Zielsetzung der Richtlinie, die Luftqualität im Besonderen und die Umwelt in dem betroffenen Gebiet im Allgemeinen zu schützen, entspricht. Dass die streitige Maßnahme, wie die niederländische Regierung bemerkt, nur eine Quelle der Luftverschmutzung erfasst und andere Quellen unberührt lässt, schließt die Möglichkeit, sie mit Umweltschutzerwägungen zu rechtfertigen, nicht aus. Es mag zwar zutreffen, dass ein Umweltproblem nur durch umfassenderes und strukturelleres Handeln erfolgreich bewältigt werden kann, doch kann dies keine Voraussetzung für die Rechtfertigung von zu diesem Zweck ergriffenen Einzelmaßnahmen sein.

98.   Die österreichische Regierung versucht die streitige Maßnahme auch mit Erwägungen der öffentlichen Gesundheit im Sinne des Artikels 30 EG zu rechtfertigen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs eng auszulegen sind. Nationale Behörden, die sich auf Erwägungen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen berufen, müssen in jedem Einzelfall darlegen, dass die in Frage stehenden Erzeugnisse in Anbetracht ihrer Eigenschaften eine tatsächliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen(32). Eine solche Gefahr besteht bei den von der streitigen Maßnahme betroffenen Waren offensichtlich nicht. Wird die Umwelt mehr oder weniger im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit geschützt, sollte der Gesundheitsschutz als Bestandteil des Umweltschutzziels angesehen werden. Dass die Umweltpolitik dazu dient, die menschliche Gesundheit in diesem umfassenderen Sinn zu schützen, wird durch die Beschreibung der Ziele der Gemeinschaft auf diesem Gebiet in Artikel 174 Absatz 1 EG bestätigt. Ist die streitige Maßnahme auch zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erlassen worden, dann in diesem umfassenderen, indirekteren Sinne, so dass der Gesundheitsschutz meines Erachtens unter den hier vorliegenden Umständen keine eigenständige Rolle spielt.

99.   Die wichtigere Frage, die sich in dieser Rechtssache stellt, lautet jedoch, ob die streitige Maßnahme als aus Gründen des Umweltsschutzes gerechtfertigt angesehen werden kann, wenn der Gerichtshof entgegen meiner Auffassung entscheidet, dass sie zu einer mittelbaren Diskriminierung von schweren Lastkraftwagen aus anderen Mitgliedstaaten, die die aufgeführten Güter befördern, führt.

100. Der Gerichtshof hatte sich seit den frühen neunziger Jahren in einer Reihe von Rechtssachen mit dieser Frage zu befassen. In seinen Urteilen ging er dabei in einer Art und Weise vor, die von seinem gewöhnlichen Ansatz bezüglich der Möglichkeit, sich zur Rechtfertigung nationaler Beschränkungen des freien Warenverkehrs auf nicht in Artikel 30 EG genannte Ziele des Allgemeininteresses zu berufen, abwich.

101. So entschied er in der Rechtssache Wallonischer Abfall(33), nachdem er zunächst festgestellt hatte, dass zwingende Erfordernisse nur zu berücksichtigen seien, wenn es sich um Maßnahmen handele, die unterschiedslos auf einheimische und eingeführte Erzeugnisse anwendbar seien, dass bei der Beurteilung der Frage, „ob die beanstandete Beeinträchtigung [im Wesentlichen ein Verbot der Einfuhr von Abfällen aus anderen Regionen als der Region Wallonien] diskriminierend ist oder nicht, … die Besonderheit der Abfälle zu berücksichtigen“ sei(34). Unter Berufung u. a. auf den in Artikel 174 Absatz 2 EG aufgestellten Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen, gelangte er zu dem Schluss, dass „die beanstandeten Maßnahmen unter Berücksichtigung der zwischen den Abfällen je nach dem Ort ihrer Erzeugung bestehenden Unterschiede und ihres Zusammenhangs mit dem Ort ihrer Erzeugung nicht als diskriminierend angesehen werden“ könnten(35). Hier definierte der Gerichtshof die betreffende Maßnahme einfach neu, so dass sie die Voraussetzungen erfüllte, um als zwingender Grund zur Rechtfertigung einer Einfuhrbeschränkung geltend gemacht werden zu können.

102. In der Rechtssache Aher-Waggon(36) ging es um eine deutsche Maßnahme, die die inländische Erstzulassung eines zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Flugzeugs von der Einhaltung von Lärmgrenzwerten abhängig machte, die strenger als die in einer Richtlinie vorgesehenen Werte waren, aber Flugzeuge, die vor der Umsetzung der Richtlinie zugelassen wurden, hiervon freistellte. Obwohl diese Maßnahme eindeutig diskriminierend war, weil ältere Flugzeuge je nach dem Mitgliedstaat der Zulassung unterschiedlich behandelt wurden, ging der Gerichtshof darauf nicht ein, sondern entschied, dass eine „solche Behinderung … durch Erwägungen der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes … gerechtfertigt sein“ könne(37).

103. Mit der Maßnahme, um die es in der Rechtssache PreussenElektra(38) ging, wurden deutsche Unternehmen verpflichtet, aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Strom zu Mindestpreisen abzunehmen, und Netzbetreiber ohne Gegenleistung zur Finanzierung herangezogen. Da diese Maßnahme eindeutig inländische Erzeuger „grünen“ Stroms begünstigte, konnte sie nicht als eine Maßnahme angesehen werden, die unterschiedslos auf nationalen und importierten Strom anwendbar war. Der Gerichtshof entschied jedoch, wiederum ohne auf die Art der Maßnahme einzugehen, dass bei „der Beurteilung, ob eine solche Abnahmepflicht dennoch mit Artikel 30 EG-Vertrag vereinbar ist, … das Ziel der streitigen Regelung und die Besonderheiten des Strommarktes zu beachten“(39) seien. Nachdem er u. a. festgestellt hatte, dass die Maßnahme den Schutz der Umwelt bezwecke, indem sie zur Verringerung der Emissionen von Treibhausgasen beitrage, die zu den Hauptursachen der Klimaänderungen zählten, zu deren Bekämpfung sich die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten in internationalen Abkommen wie dem Kyoto-Protokoll verpflichtet hätten, und dass die Erfordernisse des Umweltschutzes nach Artikel 174 Absatz 2 EG und später Artikel 6 EG bei der Festlegung und Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden müssten, entschied der Gerichtshof, dass die betreffende Maßnahme „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet des Elektrizitätsmarkts“ nicht gegen Artikel 28 EG verstoße(40). Bemerkenswerterweise prüfte der Gerichtshof nicht, ob die Abnahmepflicht im Hinblick auf deren Umweltziel verhältnismäßig war.

104. Aus diesen drei Rechtssachen zu Artikel 28 EG scheint sich zu ergeben, dass der Gerichtshof die Notwendigkeit anerkennt, zum Zwecke des Umweltschutzes erlassene Maßnahmen zuzulassen, auch wenn diese den Handel mit eingeführten Waren stärker behindern als den mit inländischen Waren. Er hat jedoch bisher noch nicht ausdrücklich angegeben, unter welchen Voraussetzungen Maßnahmen, die nicht unterschiedslos auf ausländische und inländische Waren anwendbar sind, dennoch aus Umweltschutzgründen gerechtfertigt sein können. Die Rechtsprechung ist insoweit nach wie vor unklar und bruchstückhaft.

105. In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache PreussenElektra behandelte Generalanwalt Jacobs diese Frage ebenfalls und forderte den Gerichtshof auf, seine Auffassung klarzustellen, um die erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen. Seiner Ansicht nach sprechen zwei besondere Gründe dafür, dass der Gerichtshof zwingende Gründe des Umweltschutzes flexibler handhabt. Erstens sei die Stellung des Umweltschutzes im EG-Vertrag seit dem Vertrag von Amsterdam aufgewertet worden. Nach Artikel 6 EG müssten die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung der in Artikel 3 genannten Gemeinschaftspolitiken, zu denen auch der Binnenmarkt gehöre, einbezogen werden. Zweitens enthielten nationale Umweltschutzmaßnahmen „ihrem Wesen nach möglicherweise Unterscheidungen im Hinblick auf Art und Ursache der Beeinträchtigung und können daher … als diskriminierend anzusehen sein“(41).

106. Ich stimme mit Generalanwalt Jacobs in dieser Frage überein. Seit der Annahme der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 ist der Umweltschutz zunehmend zu einem Hauptziel der Gemeinschaftspolitik geworden, das nicht nur in der Querschnittsklausel des Artikels 6 EG, sondern auch in der Aufzählung der Ziele der Gemeinschaft in Artikel 2 EG zum Ausdruck kommt. Der Umweltschutz hat auch Anerkennung als Rechtfertigungsgrund für beschränkende Maßnahmen erlangt, nicht in Artikel 30 EG, aber in Artikel 95 Absätze 4 und 5 EG, wenn ein Mitgliedstaat Maßnahmen beibehalten oder erlassen will, die strenger als eine Harmonisierungsmaßnahme sind. Zwar muss die Kommission nach Artikel 95 Absatz 6 EG prüfen, ob die Maßnahme ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels darstellt. Dieses Kriterium schließt meines Erachtens jedoch nicht aus, dass sich eine solche Maßnahme auf inländische und eingeführte Waren unterschiedlich auswirkt, was unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann.

107. Belastet eine Umweltschutzmaßnahme ausländische Waren stärker als inländische, so lässt sich daraus nicht ohne weiteres schließen, dass die Maßnahme (mittelbar) diskriminierend ist. Es ist weiter zu prüfen, ob diese Auswirkungen zwangsläufig und wesensmäßig aus dem Umweltschutzziel der Maßnahme folgen. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob das Ziel der Maßnahme erreicht werden könnte, ohne die ausländischen Waren stärker zu belasten als die inländischen. Unter diesen Umständen sollte es meines Erachtens möglich sein, eine derartige nationale Maßnahme aus Umweltschutzgründen zu rechtfertigen, sofern feststeht, dass die Maßnahme inländische Waren nicht begünstigt oder schützt und dies auch nicht beabsichtigt ist.

108. In Nummer 94 habe ich festgestellt, dass die Tatsache, dass sich die streitige Maßnahme auf ausländische Fuhrunternehmen, die die betroffenen Güter befördern, stärker auswirkt als auf österreichische Unternehmen, die unvermeidliche Folge der Anwendung dieser Maßnahme in ihrem räumlichen Zusammenhang ist. Außerdem bezweckt sie nicht, die österreichischen Spediteure irgendwie zu begünstigen. Ich bin daher der Ansicht, dass das in der streitigen Verordnung enthaltene sektorale Fahrverbot trotz seiner unterschiedlichen Auswirkungen auf den das Sanierungsgebiet durchfahrenden ausländischen und österreichischen Verkehr grundsätzlich mit Umweltschutzerwägungen gerechtfertigt werden kann. Demnach ist als Nächstes zu prüfen, ob die Maßnahme im Hinblick auf dieses Ziel geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.

4.      Verhältnismäßigkeit?

109. Im Mittelpunkt des Vorbringens der Parteien und der beteiligten Regierungen stand die Verhältnismäßigkeit der streitigen Maßnahme im Hinblick auf das Ziel der Verringerung der NO2-Emissionen im Sanierungsgebiet. In diesem Zusammenhang wurden drei Hauptaspekte angesprochen. Der erste betrifft die Frage, ob die Güter anders – auf der Schiene oder auf Ausweichstraßen – befördert werden können. Beim zweiten geht es um die Möglichkeit, das Ziel der Verringerung der Emissionen von Schadstoffen in die Luft mit anderen Maßnahmen, wie z. B. der Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Mautsystemen in Abhängigkeit von der Schadstoffklasse der schweren Lastkraftwagen, zu erreichen. Der dritte Aspekt betrifft das Verhältnis zwischen der streitigen Maßnahme und den bestehenden Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung in Österreich, wie z. B. dem Ökopunktesystem.

110. Da beide in dieser Rechtssache berührten Belange, der freie Warenverkehr und der Umweltschutz, grundlegende Ziele der Gemeinschaft sind, ist zu prüfen, ob die streitige Maßnahme einen angemessenen Ausgleich zwischen diesen Belangen schafft(42).

111. Insoweit ist festzustellen, dass die Bandbreite der bestehenden und denkbaren Maßnahmen, die die Kommission und die beteiligten Regierungen als Alternativen zu dem in der streitigen Verordnung enthaltenen Fahrverbot angeführt haben, zeigt, dass es äußerst schwierig ist, eine Auswahl unter den politischen Entscheidungen zu treffen, durch die die NO2-Emissionen auf annehmbare Werte (d. h. dem Grenzwert in der Richtlinie 1999/30 entsprechende Werte) verringert werden sollen. Es ist nicht belegt worden, dass dieses Ziel mit einer dieser Maßnahmen ebenso wirksam erreicht werden kann und der freie Warenverkehr dabei weniger behindert wird. Wahrscheinlicher ist, dass das Ziel der Verringerung der Luftverschmutzung in dem betroffenen Gebiet eine Kombination der vorgeschlagenen Alternativmaßnahmen erfordert.

112. In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof zu entscheiden, ob die streitige Maßnahme im Hinblick auf die Ziele, zu deren Erreichung sie erlassen wurde, verhältnismäßig ist, muss aber nicht angeben, welche speziellen Alternativmaßnahmen geeigneter wären. Unter diesen Umständen sollte sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit darauf konzentrieren, ob die Maßnahme insoweit nicht unangemessen ist, als sie auf den ersten Blick als wirksam, in der Praxis durchführbar und durchsetzbar angesehen werden kann(43). Außerdem erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz meines Erachtens, dass Maßnahmen, mit denen strukturelle Veränderungen bei den Verkehrsströmen und -trägern herbeigeführt werden sollen, auf eine Art und Weise vorbereitet und eingeführt werden, die der Tragweite des Übergangs angemessen ist. In dieser Hinsicht ist die streitige Maßnahme meiner Ansicht nach unverhältnismäßig.

113. Der erste Punkt betrifft die Vorbereitung der Maßnahme. Vor dem Erlass einer so weitreichenden Maßnahme wie einem vollständigen Verbot der Beförderung bestimmter Güter mit schweren Lastkraftwagen auf einem Autobahnabschnitt, der eine wichtige Verbindung zwischen Mitgliedstaaten darstellt, ist es unerlässlich, dass der Erlass weniger beschränkender Maßnahmen in Betracht gezogen worden ist und dass dargetan worden ist, dass diese ungeeignet wären. In Anbetracht des Zieles der streitigen Maßnahme, die Verlagerung der Beförderung der betroffenen Güter von der Straße auf die Schiene sicherzustellen, hätte insbesondere zuvor festgestellt werden müssen, dass ausreichend geeignete Schienenkapazitäten zur Verfügung stehen, um diese Verlagerung aufzunehmen. Um Transparenz zu gewährleisten und um die Maßnahme als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ansehen zu können, ist es außerdem erforderlich, dass diese Informationen im Stadium der Vorbereitung deutlich angesprochen werden. Dies ist auch einer der Zwecke der Pläne und Programme nach den Artikeln 7 Absatz 3 und 8 Absatz 3 der Richtlinie 96/62. Weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch aus den Akten ergibt sich, dass die österreichischen Behörden bei der Vorbereitung der streitigen Maßnahme berücksichtigt haben, ob das Ziel der Verringerung der Schadstoffemissionen durch andere, weniger beschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte und ob die Beförderung der betroffenen Güter mit anderen Verkehrsträgern oder über andere Straßenverbindungen eine realistische Alternative darstellt.

114. Zweitens folgt aus den in Artikel 10 EG festgelegten Pflichten, dass die am meisten betroffenen Mitgliedstaaten und die Kommission informiert und konsultiert werden müssen, bevor eine Maßnahme mit derartigen strukturellen Folgen für die Beförderung von Waren über österreichisches Gebiet, die weitreichende Anpassungen seitens der betroffenen Sektoren erfordern, ergriffen wird. Solche Konsultationen haben vor dem Erlass der streitigen Maßnahme nicht stattgefunden.

115. Drittens und vor allem muss den betroffenen Sektoren angesichts der strukturellen Folgen, die die streitige Maßnahme für viele Wirtschaftsbereiche hat, Zeit gegeben werden, um sich an die neuen Umstände, unter denen sie arbeiten müssen, anzupassen. Eine solche Maßnahme, mit der eine strukturelle Umstellung der Beförderung bestimmter Waren erreicht werden soll, kann nur schrittweise eingeführt werden. Es bedarf einer hinreichend langen Übergangszeit, nicht nur, um es den Wirtschaftsteilnehmern zu ermöglichen, sich anzupassen, sondern auch, um sicherzustellen, dass die vorhandene Infrastruktur die erhöhte Nachfrage aufnehmen kann. Eine solche Übergangszeit kann Jahre dauern. Die von den österreichischen Behörden für die Einführung des sektoralen Fahrverbots vorgesehene Frist von zwei Monaten ist eindeutig zu kurz und somit unverhältnismäßig.

116. Ich gelange folglich zu dem Schluss, dass die Art, in der die streitige Maßnahme vorbereitet wurde und eingeführt werden sollte, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Sie ist daher mit Artikel 28 EG unvereinbar.

G –    Vereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 881/92 und der Verordnung Nr. 3118/93

117. In ihrer Klageschrift erklärt die Kommission lediglich, dass andere Bedingungen für den freien Warenverkehr als die in diesen Verordnungen genannten unzulässig seien und dass sich aus ihrer Feststellung, dass die Beschränkung im Sinne des Artikels 28 EG nicht gerechtfertigt werden könne, ergebe, dass die Artikel 1 und 3 der Verordnung Nr. 881/92 und die Artikel 1 und 6 der Verordnung Nr. 3118/93 verletzt worden seien.

118. Beide Verordnungen zielen darauf ab, den Güterkraftverkehrsmarkt zu öffnen, indem alle Beschränkungen aufgehoben werden, die mit der Staatsangehörigkeit des Erbringers von Dienstleistungen oder mit seiner Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, zusammenhängen(44). Das Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist eine einheitliche Gemeinschaftslizenz, die vom Mitgliedstaat der Niederlassung ausgestellt wird. Ferner ist in Artikel 6 der Verordnung Nr. 3118/93 festgelegt, dass die Durchführung der Kabotagefahrten in bestimmten Bereichen, z. B. in Bezug auf für den Beförderungsvertrag geltende Preise und Bedingungen, Fahrzeuggewichte und -abmessungen und Vorschriften für die Beförderung bestimmter Kategorien von Beförderungsgut, den nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unterliegt.

119. Hierzu möchte ich bemerken, dass die Kommission ihre Feststellung, dass die streitige Maßnahme eine Bestimmung der Verordnung Nr. 881/92 oder der Verordnung Nr. 3118/93 verletze, nicht belegt hat. Sie hat insbesondere nicht dargetan, dass die Maßnahme gegen das in den Verordnungen festgelegte System der Einheitslizenz verstößt und das Recht der Fuhrunternehmen auf Zugang zum Markt beschränkt.

120. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen den Bedingungen für den Zugang zum Markt und den Bedingungen für die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen in den Mitgliedstaaten zu unterscheiden. Da sich die Verordnungen darauf beschränken, den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt zu gewährleisten, schränken sie die Befugnisse der Mitgliedstaaten nicht ein, Maßnahmen zu erlassen, die die Nutzung ihres Straßennetzes unter den Aspekten des Umweltschutzes oder der Verbesserung der Verkehrssicherheit betreffen.

121. Dass Artikel 6 der Verordnung Nr. 3118/93, wie die niederländische Regierung vorgetragen hat, Maßnahmen von der hier in Rede stehenden Art nicht erwähnt, ist irrelevant. Diese Verordnung beschränkt sich auf Kabotagedienstleistungen, und auch die in Artikel 6 behandelten Fragen stehen eindeutig in Zusammenhang mit der Kabotage als solcher und schließen Maßnahmen allgemeinerer Art nicht aus, die in Bezug auf die Nutzung der Straßen innerhalb der Mitgliedstaaten ergriffen werden. Ich brauche in diesem Zusammenhang nur darauf hinzuweisen, dass Artikel 6 nicht auf Bestimmungen verweist, die im Bereich der Verkehrssicherheit erlassen werden.

122. Das Vorbringen der Kommission ist daher insoweit unbegründet.

VI – Kosten

123. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Österreich mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission beigetreten sind, haben nach Artikel 69 §4 ihre eigenen Kosten zu tragen.

VII – Ergebnis

124. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor,

–       festzustellen, dass der Erlass des Fahrverbots auf einem Teilstück der A 12 Inntalautobahn zwischen Kilometer 20,359 im Gemeindegebiet von Kundl und Kilometer 66,780 im Gemeindegebiet von Ampass für Lastkraftwagen über 7,5 t Gesamtmasse, die bestimmte Güter befördern, wegen seiner unzulänglichen Vorbereitung, des Fehlens vorheriger Konsultationen mit den Mitgliedstaaten und der Kommission sowie der extrem kurzen Frist für die Einführung des Verbots mit den Verpflichtungen der Republik Österreich nach Artikel 28 EG bis 30 EG unvereinbar ist;

–       der Republik Österreich die Kosten aufzuerlegen;

–       anzuordnen, dass die Bundesrepublik Deutschland, die Italienische Republik und das Königreich der Niederlande ihre eigenen Kosten tragen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (ABl. L 95, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 484/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 1. März 2002 (ABl. L 76, S.  1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 881/92).


3 – Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind (ABL. L 279, S. 1), in der Fasssung der Verordnung (EG) Nr. 484/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 1. März 2002 (ABl. L 76, S.  1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 3118/93).


4 – Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55, im Folgenden: Richtlinie 96/62).


5 – Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41, im Folgenden: Richtlinie 1999/30).


6 – Entscheidung 2000/532/EG der Kommission vom 3. Mai 2000 zur Ersetzung der Entscheidung 94/3/EG über ein Abfallverzeichnis gemäß Artikel 1 Buchstabe a) der Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle und der Entscheidung 94/904/EG des Rates über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689/EWG über gefährliche Abfälle (ABl. L 226, S. 3) in der Fassung der Entscheidung 2001/573/EG des Rates vom 23. Juli 2001 zur Änderung der Entscheidung 2000/532/EG der Kommission über ein Abfallverzeichnis (ABl. L 203, S. 18).


7 – Rechtssache C‑320/03 R (Kommission/Österreich).


8 – Slg. 2003, I‑7929.


9 – Slg. 2003, I‑11665.


10 – Slg. 2004, I-3593.


11 – Verordnung (EG) Nr. 2679/98 des Rates vom 7. Dezember 1998 über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 337, S. 8, im Folgenden: Verordnung Nr. 2679/98).


12 – Rechtssache C‑1/00 (Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I‑9989, Randnr. 64), Rechtssache C‑328/96 (Kommission/Österreich, Slg. 1999, I‑7479, Randnr. 34) und Rechtssache 293/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1988, 305, Randnr. 14).


13 – Vgl. die in der vorstehenden Fußnote zitierten Rechtssachen: Rechtssache C‑1/00, Randnr. 65, Rechtssache C-328/96, Randnr. 51, und Rechtssache 293/85, Randnr. 14.


14 – Rechtssache C‑265/95 (Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I‑6959).


15 – Rechtssache C‑112/00 (Schmidberger, Slg. 2003, I‑5659).


16 – Rechtssache C‑70/99 (Kommission/Portugal, Slg. 2001, I‑4845, Randnr. 17).


17 – Vgl. Rechtssache C‑394/02 (Kommission/Griechenland, Urteil vom 2. Juni 2005, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 27 und 28 und die dort zitierte Rechtsprechung).


18 – Rechtssache 266/81 (SIOT, Slg. 1983, 731).


19 – Zitiert in Fußnote 9, Randnr. 57 des Beschlusses.


20 – Siehe Rechtssache C‑129/96 (Inter‑Environnement Wallonie, Slg. 1997, I‑7411, Randnrn. 44 und 45.


21 – Siehe Nrn. 16 und 17 meiner Schlussanträge in der Rechtssache C‑396/01 (Kommission/Irland, Slg. 2003, I‑2315).


22 – Rechtssache C‑396/01, zitiert in Fußnote 21, Randnr. 60.


23 – Zitiert in Fußnote 18.


24 – Randnr. 16 des Urteils.


25 – Zitiert in Fußnote 15, Randnrn. 62 und 63 des Urteils.


26 – Zitiert in Fußnote 14.


27 – Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837): Nach Randnr. 5 des Urteils umfasst dieser Begriff „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“. Siehe auch Urteil Schmidberger, zitiert in Fußnote 15, Randnr. 56.


28 – Rechtssache C‑205/98 (Kommission/Österreich, Slg. 2000, I‑7367, Randnr. 70).


29 – Zitiert in Fußnote 28.


30 – Siehe insbesondere Randnrn. 79 und 88 des Urteils.


31 – Siehe Randnr. 81 des Urteils.


32 – Siehe z. B. Rechtssache C‑41/02 (Kommission/Niederlande, Urteil vom 2. Dezember 2004, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 47).


33 – Rechtssache C‑2/90 (Kommission/Belgien, Slg. 1993, I‑4431).


34 – Randnr. 34 des Urteils.


35 – Randnr. 36 des Urteils.


36 – Rechtssache C‑389/96 (Aher‑Waggon GmbH, Slg. 1998, I‑4473).


37 – Randnr. 19 des Urteils.


38 – Rechtssache C‑379/98 (PreussenElektra, Slg. 2001, I‑2099).


39 – Randnr. 72 des Urteils.


40 – Siehe Randnrn. 73 und 81 des Urteils.


41 – Zitiert in Fußnote 38, Nrn. 229 bis 233.


42 – Vgl. Urteil Schmidberger, zitiert in Fußnote 15, Randnr. 81.


43 – Vgl. vorstehend Nrn. 65 und 66.


44 – Vgl. die jeweils zweite Begründungserwägung der Verordnungen Nrn. 881/92 und 3118/93.