SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PHILIPPE LÉGER
vom 21. Oktober 2004(1)



Rechtssache C-215/03



Salah Oulane
gegen
Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie


(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank 's-Gravenhage [Niederlande])

„Freier Dienstleistungsverkehr – Aufenthaltsrecht – Tourist, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist – Verpflichtung zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Inhaftnahme zum Zweck der Abschiebung“






1.        Die vorliegende Rechtssache wirft das Problem auf, welcher Zusammenhang zwischen dem Recht eines Angehörigen eines Mitgliedstaats, sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten, und dem von ihm zu erbringenden Nachweis seiner Staatsangehörigkeit besteht. Der Gerichtshof wird demgemäß ersucht, die Frage zu beantworten, ob der Betreffende zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses verpflichtet werden kann und ob ein Gemeinschaftsangehöriger im Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung zum Zweck der Abschiebung in Haft genommen werden kann.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

2.        Die Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (2) legt die praktischen Modalitäten zur Durchführung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr fest. Eines der Ziele der aufgrund der Artikel 54 Absatz 2 EWG-Vertrag (nach Änderung Artikel 54 Absatz 2 EG-Vertrag, nach weiterer Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 EG) und 63 Absatz 2 EWG-Vertrag (dann Artikel 63 Absatz 2 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 52 Absatz 2 EG) erlassenen Richtlinie ist es, Erbringern und Empfängern von Leistungen ein Aufenthaltsrecht zu gewährleisten, dessen Dauer derjenigen der Leistung entspricht.

3.        So bestimmt Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 73/148:

„Für Leistungserbringer und Leistungsempfänger entspricht das Aufenthaltsrecht der Dauer der Leistung.

Übersteigt diese Dauer drei Monate, so stellt der Mitgliedstaat, in dem die Leistung erbracht wird, zum Nachweis dieses Rechts eine Aufenthaltserlaubnis aus.

Beträgt diese Dauer drei Monate oder weniger, so genügt der Personalausweis oder Reisepass, mit dem der Betroffene in das Hoheitsgebiet eingereist ist, für seinen Aufenthalt. Der Mitgliedstaat kann allerdings von dem Betroffenen verlangen, dass er seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet anzeigt.“

B – Nationales Recht

4.        Artikel 50 der Vreemdelingenwet vom 23. November 2000 (im Folgenden: Ausländergesetz 2000) sieht vor, dass eines widerrechtlichen Aufenthalts verdächtige Personen zur Feststellung ihrer Identität, ihrer Staatsangehörigkeit und ihrer aufenthaltsrechtlichen Stellung festgenommen werden können. Lässt sich die Identität des Festgenommenen nicht sofort feststellen, kann der Betreffende an einen für eine Vernehmung vorgesehenen Ort gebracht und dort bis zu sechs Stunden festgehalten werden; diese Dauer kann um bis zu 48 Stunden verlängert werden, wenn immer noch zu vermuten ist, dass der Aufenthalt des Festgenommenen nicht ordnungsgemäß ist.

5.        Nach Artikel 59 des Ausländergesetzes 2000 kann der Ausländer, dessen Aufenthalt nicht ordnungsgemäß ist, zum Zweck der Abschiebung in Haft genommen werden, sofern die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit dies erfordert.

6.        Darüber hinaus enthält der Vreemdelingenbesluit vom 23. November 2000 (zur Durchführung des Ausländergesetzes vom selben Tag erlassene Ausländerverordnung) Bestimmungen, die für Angehörige anderer Mitgliedstaaten als der Niederlande gelten. Artikel 8:13 Absatz 1 der Ausländerverordnung bestimmt: „Die Abschiebung eines Gemeinschaftsangehörigen hat so lange zu unterbleiben, wie nicht feststeht, dass diesem kein Aufenthaltsrecht zusteht oder dass sein Aufenthaltsrecht erloschen ist.“

7.        Das Vreemdelingencirculaire 2000 (Ausländerrundverfügung) sieht schließlich vor, dass einem Ausländer, der sich in den Niederlanden aufhält und sich auf Rechte aus dem EG-Vertrag beruft, aber keinen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorgelegt hat, „Gelegenheit zur Vorlage eines solchen Ausweises gegeben wird“. Dafür wird ihm eine Frist von zwei Wochen eingeräumt.

II – Sachverhalt und Ausgangsverfahren

8.        Am 2. Dezember 2001 wurde Salah Oulane (im Folgenden: Beschwerdeführer) wegen des Verdachts des Diebstahlsversuchs von der Polizei festgenommen und an einem für die Vernehmung vorgesehenen Ort festgehalten. Da keine Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet wurden, wurde er am 3. Dezember 2001 wieder entlassen.

9.        Unmittelbar im Anschluss daran wurde der Beschwerdeführer aufgrund einer inländischen Ausländerkontrollmaßnahme nach dem Ausländergesetz 2000 festgenommen. Da er sich nicht sofort ausweisen konnte, wurde er zur Vernehmung festgehalten. Anschließend wurde er nach demselben Gesetz zum Zweck seiner Abschiebung in Haft genommen.

10.      Bei den Vernehmungen nannte der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum und erklärte, er besitze die französische Staatsangehörigkeit. Er halte sich seit etwa drei Monaten zu Urlaubszwecken in den Niederlanden auf. Zur Zeit besitze er weder einen Reisepass noch ein anderes Ausweispapier, habe in den Niederlanden keinen festen Aufenthaltsort, besitze kein Geld und habe sich nicht bei den Ausländerbehörden gemeldet.

11.      Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2001 legte der Beschwerdeführer bei der Rechtbank 's-Gravenhage eine Beschwerde ein, mit der er die Aufhebung der Abschiebungshaft sowie die Gewährung einer Entschädigung beantragte.

12.      Am 7. Dezember 2001 legte der Beschwerdeführer den niederländischen Behörden schließlich einen französischen Personalausweis vor.

13.      Am 10. Dezember 2001, dem achten Tag der Haft, hoben die niederländischen Behörden die Abschiebungshaft auf.

14.      Dieser beim vorlegenden Gericht gestellte erste Entschädigungsantrag stellt eine der beiden Phasen des vom vorlegenden Gericht zu entscheidenden Rechtsstreits dar.

15.      Weitere Umstände veranlassten den Beschwerdeführer nämlich, ein zweites gerichtliches Verfahren zu betreiben.

16.      Am 27. Juli 2002 wurde er in einem Gütertunnel des Bahnhofs Rotterdam Centraal von der Bahnpolizei wegen Verstoßes gegen Artikel 7 des Algemeen reglement vervoer (Allgemeine Beförderungsbestimmungen) mit der Begründung festgenommen, er habe sich ohne Erlaubnis an einem nicht öffentlich zugänglichen Ort aufgehalten. Da gegen ihn keine Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet wurden, wurde er zwei Stunden später wieder freigelassen.

17.      Nachdem der Beschwerdeführer erneut nach dem Ausländergesetz 2000 festgenommen wurde, wurde er ein weiteres Mal zur Vernehmung festgenommen. Anschließend wurde er erneut nach dem Ausländergesetz 2000 in Abschiebungshaft gehalten.

18.      Bei seiner Vernehmung erklärte der Beschwerdeführer u. a., dass er kein Ausweispapier besitze und dass sein Reisepass gestohlen worden sei. Er befinde sich seit achtzehn Tagen in den Niederlanden und habe dort keinen festen Wohnsitz oder Aufenthaltsort. Im Übrigen gab er die Adresse seiner Mutter und deren Telefonnummer in Frankreich an.

19.      Es steht fest, dass die Behörden während dieser Haft über eine Abschrift des Personalausweises des Beschwerdeführers verfügten.

20.      Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2002 legte der Beschwerdeführer bei der Rechtbank 's-Gravenhage eine Beschwerde ein, mit der er die Aufhebung der Abschiebungshaft und die Gewährung einer Entschädigung beantragte.

21.      Mit Schriftsatz, der am 29. Juli 2002 bei der Kanzlei der Rechtbank 's-Gravenhage einging, teilten die niederländischen Behörden dem vorlegenden Gericht mit, dass die Haft aufgehoben worden sei.

22.      Am 2. August 2002 wurde der Beschwerdeführer schließlich nach Frankreich abgeschoben.

III – Die Vorlage

23.      In ihrem Vorlageurteil weist die Rechtbank 's-Gravenhage darauf hin, dass sie regelmäßig mit dem Problem konfrontiert werde, das durch die Anwendung des Ausländergesetzes 2000 auf Personen aufgeworfen werde, die erklärten, aufgrund des Gemeinschaftsrechts ein Aufenthaltsrecht zu besitzen, ohne jedoch sofort einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen zu können.

24.      In den beiden bei ihm anhängigen Verfahren hat das vorlegende Gericht die Frage zu beantworten, ob dem Antragsteller wegen der Zeiten der Abschiebungshaft eine Entschädigung zu gewähren ist. Es hat somit zu prüfen, ob die Inhaftnahme des Beschwerdeführers während dieser Zeiten rechtmäßig war.

25.      Dazu möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es nach dem Gemeinschaftsrecht unzulässig ist, dass die Behörden eines Mitgliedstaats gegen einen Einzelnen, der sich in diesem Staat aufhält, die Abschiebungshaft anordnen können, wenn der Betreffende die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, dies aber nicht sofort durch Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nachweisen kann.

26.      Die Rechtbank 's-Gravenhage hat dem Gerichtshof daher folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.
Ist Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148/EWG nach dem Wegfall der Einreisekontrollen an den Binnengrenzen so auszulegen, dass das darin geregelte Aufenthaltsrecht einer Person, die sich als Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats und als Tourist bezeichnet, von den Behörden des Mitgliedstaats, in dem diese Person ihr Aufenthaltsrecht geltend macht, erst ab dem Zeitpunkt der Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses anerkannt werden muss?

2.a)
Falls Frage 1 zu bejahen ist: Besteht beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot und den freien Dienstleistungsverkehr, Anlass, hiervon eine solche Ausnahme zu machen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats dem Betreffenden die Gelegenheit zur nachträglichen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses geben müssen?

b)
Ist es für die Beantwortung von Frage 2a erheblich, dass im nationalen Recht des Mitgliedstaats, in dem der Betreffende sein Aufenthaltsrecht geltend macht, für die eigenen Staatsangehörigen keine allgemeine Ausweispflicht vorgesehen ist?

c)
Falls Frage 2a zu bejahen ist: Bestehen beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Anforderungen an die Dauer der Frist, die der Mitgliedstaat für die nachträgliche Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses einräumen muss, bevor er eine verwaltungsrechtliche Sanktion in Form einer Maßnahme wegen eines vermuteten rechtswidrigen Aufenthalts verhängen kann?

d)
Stellt eine verwaltungsrechtliche Sanktion in Form einer Maßnahme der in Frage 2c genannten Art, die in der Inhaftnahme zum Zweck der Abschiebung aufgrund von Artikel 59 des Ausländergesetzes 2000 besteht und vor Ablauf der in Frage 2c genannten Frist verhängt wird, einen unverhältnismäßigen Eingriff in den freien Dienstleistungsverkehr dar?

3.a)
Falls Frage 1 zu bejahen ist: Stellt es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar, wenn gegen eine Person, die sich als Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats und als Tourist bezeichnet, aus Gründen der öffentlichen Ordnung nach Artikel 59 des Ausländergesetzes 2000 auch ohne erkennbares Vorliegen einer gegenwärtigen und ernsten Gefahr für die öffentliche Ordnung verfügt wird, sie zum Zweck der Abschiebung in Haft zu nehmen, solange sie ihr Aufenthaltsrecht nicht durch Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nachgewiesen hat?

b)
Falls bei Frage 3a das Vorliegen eines Hindernisses bejaht wird: Kommt es bei der Prüfung der Rechtfertigung des Hindernisses auf die Dauer der Frist an, die der Mitgliedstaat für die nachträgliche Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses einräumt?

c)
Falls bei Frage 3a das Vorliegen eines Hindernisses bejaht wird: Kommt es für die Prüfung der Rechtfertigung des Hindernisses darauf an, ob der Mitgliedstaat entsprechend seiner allgemeinen Praxis in Fällen einer rechtswidrigen Ausländerhaft nachträglich eine Entschädigung für den Zeitraum gewährt, in dem sich der Betreffende in Haft befand und seine Staatsangehörigkeit noch nicht durch Vorlage eines gültigen Reisepasses oder Personalausweises nachgewiesen hatte?

4.
Ist ein Mitgliedstaat, der keine allgemeine Ausweispflicht versieht, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot, daran gehindert, im Rahmen einer inländischen Ausländerkontrolle gegen eine Person, die sich als Tourist bezeichnet, nach Artikel 59 des Ausländergesetzes 2000 zu verfügen, den Betreffenden zum Zweck der Abschiebung in Haft zu nehmen, solange er das von ihm beanspruchte Aufenthaltsrecht nicht durch Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nachgewiesen hat?

Zum zweiten Verfahren:

5.
Ist es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts unzulässig, dass ein Angehöriger in einem anderen Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet er sich aufhält, nicht als Bürger mit einem gemeinschaftsrechtlich geschützten Aufenthaltsrecht angesehen wird, solange er sich diesem Mitgliedstaat gegenüber nicht auf ein Aufenthaltsrecht als Dienstleistungsempfänger beruft?

6.
Ist der Begriff des Dienstleistungsempfängers, wie er im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs verstanden wird, so auszulegen, dass auch dann, wenn sich eine Person längere Zeit, möglicherweise über sechs Monate, in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, dort wegen des Verdachts einer Straftat festgenommen wird, keinen festen Wohn- oder Aufenthaltsort angeben kann und weder Geld noch Gepäck besitzt, der Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat ein hinreichender Grund für die Vermutung ist, dass touristische oder andere mit einem kurzzeitigen Aufenthalt verbundene Dienstleistungen, wie etwa Beherbungs- oder Bewirtungsleistungen, in Anspruch genommen werden?

IV – Beurteilung

27.      Die Gesamtheit der Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts ist meines Erachtens in vier Fragestellungen aufzuteilen.

28.      Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof erstens, die Konturen des Begriffes Dienstleistungsempfänger zu präzisieren, um zu klären, ob ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der sich längere Zeit, möglicherweise sogar über sechs Monate, in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, dort wegen einer Straftat festgenommen wird, keinen festen Wohn- oder Aufenthaltsort angeben kann und weder Geld noch Gepäck besitzt, in den persönlichen Geltungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr fallen kann. Mit seiner fünften und seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht demgemäß wissen, ob vermutet werden kann, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats wie der Beschwerdeführer, der sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, Empfänger touristischer Dienstleistungen ist. Wenn das nämlich der Fall ist, kann der Betreffende den durch die Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr gewährten Schutz in Anspruch nehmen.

29.      Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 dahin auszulegen ist, dass die Zuerkennung eines Aufenthaltsrechts durch einen Mitgliedstaat an einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die Eigenschaft eines Dienstleistungsempfängers hat, davon abhängig gemacht werden kann, dass der Betreffende einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, und, wenn ja, ob dieser Mitgliedstaat dem Betreffenden nach dem Gemeinschaftsrecht Gelegenheit geben muss, den gültigen Personalausweis oder Reisepass innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen (Vorlagefragen 1, 2a und 2c).

30.      Drittens fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen, ob es das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausschließt, dass nach den ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats Angehörige anderer Mitgliedstaaten verpflichtet werden können, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, um ihre Staatsangehörigkeit nachzuweisen, und dass sie, falls sie zur Vorlage eines dieser Ausweispapiere außerstande sind, zum Zweck der Abschiebung in Haft genommen werden können, obwohl das niederländische Recht niederländischen Staatsangehörigen keine solche Verpflichtung auferlegt (Vorlagefragen 2b und 4).

31.      Viertens möchte das vorlegende Gericht schließlich wissen, ob es ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr darstellt, wenn Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die ihre Verpflichtung zum Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nicht erfüllen, in Abschiebungshaft genommen werden, und wenn ja, ob dieses Hindernis gerechtfertigt sein kann (Vorlagefragen 2d, 3a, 3b und 3c).

A – Zum Begriff des Dienstleistungsempfängers

32.      Mit seiner fünften und seiner sechsten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, den Begriff des Dienstleistungsempfängers zu präzisieren, um zu klären, ob ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der sich längere Zeit, möglicherweise sogar über sechs Monate, in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, dort wegen einer Straftat festgenommen wird, keinen festen Wohn- oder Aufenthaltsort angeben kann und weder Geld noch Gepäck besitzt, in den persönlichen Geltungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr fallen kann.

33.      Ich weise zunächst darauf hin, dass ich bei der Beantwortung dieser Frage auf einen Angehörigen eines Mitgliedstaats abstellen werde, der sich nach der Schilderung des Sachverhalts im Vorlageurteil bis zu drei Monaten in einem anderen Mitgliedstaat aufhält. Dieser Schilderung zufolge hat nämlich der Beschwerdeführer erklärt, dass er sich bei seiner ersten Verhaftung bereits seit etwa drei Monaten in den Niederlanden aufgehalten habe. Bei seiner zweiten Verhaftung, die sieben Monate später erfolgte, hat er erklärt, er halte sich seit achtzehn Tagen in den Niederlanden auf.

34.      Ich werde also nicht die Situation des Angehörigen eines Mitgliedstaats berücksichtigen, der sich in einem anderen Mitgliedstaat „längere Zeit, möglicherweise über sechs Monate“ aufhält (3) .

35.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts lassen nämlich insgesamt klar erkennen, dass dieses die Erklärungen des Beschwerdeführers nicht in Frage stellt, da diese Fragen ausschließlich die Ausweispapiere betreffen, deren Vorlage bei einem Aufenthalt von weniger als drei Monaten verlangt werden kann, nämlich einen gültigen Reisepass oder Personalausweis.

36.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes zum persönlichen Geltungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr „[schließt der] in Artikel 59 EG-Vertrag festgelegte Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs, der eines der Grundprinzipien des Vertrages ist, … die Freiheit der Dienstleistungsempfänger ein, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen daran gehindert zu werden; Touristen sind als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen“ (4) .

37.      Ich werde mich hier nicht dem Versuch hingeben, den Begriff des Touristen nach dem Gemeinschaftsrecht zu definieren, und folge damit der Auffassung von Generalanwalt Lenz in seinen Schlussanträgen, die zum Urteil Cowan geführt haben. Ich teile nämlich die von Generalanwalt Lenz geäußerten Bedenken hinsichtlich des Nutzens einer Bestimmung des Begriffes Tourist im Gemeinschaftsrecht: „[Es ist] rechtlich ohne Belang, die einzelnen möglichen Gruppen potenzieller Dienstleistungsempfänger an starre Definitionen zu binden und untereinander abzugrenzen. Aufgabe kann es nur sein, den Begriff des Dienstleistungsempfängers zu konkretisieren.“ (5)

38.      In diesem Bemühen hat sich der Generalanwalt angesichts der verschiedenen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Einreise und den Aufenthalt von Gemeinschaftsangehörigen dafür ausgesprochen, dass sich eine Person „schon an der Grenze, noch bevor sie sich auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaats befindet, und erst recht, bevor sie eine Dienstleistung auch tatsächlich in Anspruch genommen hat, auf ihre Eigenschaft als Dienstleistungsempfänger berufen kann“. Für die Eigenschaft als Dienstleistungsempfänger wird somit von vornherein generalisierend auf die „im Verlauf einer Reise in Anspruch zu nehmenden Dienstleistungen“ abgestellt, und zwar bereits zum Zeitpunkt des Antritts der Reise (6) . Es geht also nicht darum, nachträglich unter Berücksichtigung der während der Reise tatsächlich in Anspruch genommenen Dienstleistungen die Eigenschaft eines Dienstleistungsempfängers festzustellen.

39.      Ich meine daher, dass aufgrund des Umstands, dass sich eine aus einem Mitgliedstaat stammende Person zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem anderen Mitgliedstaat befindet, vermutet werden kann, dass sie in diesem Mitgliedstaat Empfänger von Dienstleistungen ist oder sein wird. Dass sich diese Person im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhält, prädestiniert sie nämlich dazu, punktuell oder ständig einen ganzen Fächer von Dienstleistungen zu empfangen.

40.      Die vom vorlegenden Gericht im Einzelnen angeführten Umstände sind insoweit nicht dazu angetan, einem Angehörigen eines Mitgliedstaats wie dem Beschwerdeführer die Eigenschaft eines Dienstleistungsempfängers abzusprechen. Dass der Betreffende wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung festgenommen oder sogar eines Verstoßes gegen bestimmte Straftaten für schuldig erkannt wurde, ist nämlich mit seiner Eigenschaft als Dienstleistungsempfänger nicht unvereinbar, wie sich insbesondere aus dem Urteil Calfa (7) ergibt. Die gleiche Feststellung ist auch im Hinblick auf das Fehlen eines Wohnsitzes oder ständigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat geboten, das vielmehr für die Annahme eines Aufenthalts gerade aus touristischen Gründen spricht.

41.      Außerdem lässt der Umstand, dass jemand bei seiner Festnahme weder über Geld noch über Gepäck verfügt, nicht die Vermutung zu, dass er solches überhaupt nicht besitzt (8) . Ich halte es jedoch für erforderlich, darauf hinzuweisen, dass der Nachweis des völligen Fehlens von Mitteln für den Lebensunterhalt mit der gemeinschaftlichen Definition von Dienstleistungen unvereinbar wäre, bei denen es sich um „Leistungen, die normalerweise gegen Entgelt erbracht werden“ (9) handelt. Insoweit kann allerdings davon ausgegangen werden, dass derjenige, der z. B. von einem Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats finanziell unterstützt wird oder aber bei dem die Möglichkeit besteht, dass er Geld aus seinem Herkunftsstaat erhält, nicht völlig ohne solche Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts ist.

42.      Ich schlage deshalb vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass der Umstand, dass sich ein Angehöriger eines Mitgliedstaats zu einem bestimmten Zeitpunkt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet, für die Vermutung genügt, dass er in diesem Mitgliedstaat Empfänger von Dienstleistungen ist oder sein wird und dass er als solcher in den persönlichen Geltungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr fällt.

43.      Bevor ich mit der Prüfung der weiteren Fragen des vorlegenden Gerichts beginne, möchte ich erläutern, warum es meiner Ansicht nach wichtig ist, im vorliegenden Fall zu klären, ob der Betreffende in die Kategorie der Dienstleistungsempfänger fällt.

44.      Man könnte nämlich behaupten, dass seit dem Vertrag von Maastricht und der Einführung des Begriffes der Unionsbürgerschaft in das primäre Gemeinschaftsrecht die Eigenschaft als Angehöriger eines Mitgliedstaats für sich allein für die Begründung eines Aufenthaltsrechts in einem anderen Mitgliedstaat genügt, ohne dass es erforderlich wäre, dass der Betreffende eine Erwerbstätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder als Selbständiger ausübt oder sich an einer solchen beteiligt.

45.      Da das Recht zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten somit „jedem Unionsbürger durch eine klare und präzise Vorschrift des EG-Vertrags unmittelbar zuerkannt“ wird (10) , genügt es bereits, dass der Betreffende Angehöriger eines Mitgliedstaats und damit Unionsbürger ist, um sich auf ein solches Aufenthaltsrecht berufen zu können.

46.      Nach Artikel 18 Absatz 1 EG besteht jedoch – und insofern kommt es auf eine genaue Bestimmung und Zuordnung der Personen an, die die Freizügigkeit wahrnehmen können – das jedem Unionsbürger zustehende Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nur „vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“ (11) .

47.      Um allerdings diese Beschränkungen und Bedingungen ermitteln und ihre ganze Tragweite erkennen zu können, muss weiter geprüft werden, welche Bestimmungen des primären und des abgeleiteten Rechts auf eine bestimmte rechtliche Konstellation konkret anwendbar sind.

48.      Was den Rechtsstreit betrifft, den das vorlegende Gericht zu entscheiden hat, so sind die zum maßgeblichen Zeitpunkt anwendbaren Beschränkungen und Bedingungen des Aufenthaltsrechts in den Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr enthalten.

49.      Die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts tendiert sicher zu einer Vereinheitlichung der Regelungen über die Freizügigkeit der Angehörigen der Mitgliedstaaten, wenn nicht gar zu einer einzigen Regelung auf diesem Gebiet (12) . Bis dahin erfüllt, soweit es sich um Rechtssachen handelt, für die noch die bereichsspezifischen Gemeinschaftsvorschriften gelten (13) , die Zuordnung der Personen, die die Freizügigkeit wahrnehmen können, zu Kategorien meines Erachtens noch ihren rechtlichen Zweck.

50.      Ich sehe schließlich die Vorschriften des primären und des abgeleiteten Rechts über den freien Dienstleistungsverkehr als ausreichend an, um die Fragen des vorlegenden Gerichts zweckdienlich zu beantworten, weshalb „auf den zusätzlichen Schutz durch die Unionsbürgerschaft … nicht zurückgegriffen zu werden [braucht]“ (14) . Ich möchte jedoch hinzufügen, dass danach zwar nicht systematisch auf den durch die Unionsbürgerschaft vermittelten Schutz als solchen zurückgegriffen zu werden braucht, dass jedoch die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Freizügigkeit, wie sie in dem nach diesem Begriff gebotenen weiteren Sinne zu verstehen ist, nicht außer Acht gelassen werden darf. Deshalb ist die Unionsbürgerschaft, die „dazu bestimmt [ist], der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein“ (15) , ein Merkmal, das bei der Auslegung aller Gemeinschaftsvorschriften über die Freizügigkeit und insbesondere der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr als dynamisches Element zu berücksichtigen ist.

B – Zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses durch einen Dienstleistungsempfänger als Voraussetzung für die Anerkennung seines Aufenthaltsrechts durch den Aufnahmemitgliedstaat

51.      Mit seinen Vorlagefragen 1, 2a und 2c möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 dahin auszulegen ist, dass die Zuerkennung eines Aufenthaltsrechts durch einen Mitgliedstaat an einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die Eigenschaft eines Dienstleistungsempfängers hat, davon abhängig gemacht werden kann, dass der Betreffende einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, und, wenn ja, ob dieser Mitgliedstaat dem Betreffenden nach dem Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit einräumen muss, den gültigen Personalausweis oder Reisepass innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen.

52.      Artikel 4 Absatz 2 dieser Richtlinie sieht zunächst vor, dass „[f]ür Leistungserbringer und Leistungsempfänger … das Aufenthaltsrecht der Dauer der Leistung [entspricht]“. Sodann unterscheidet er danach, ob diese Dauer drei Monate übersteigt oder nicht:

53.     Übersteigt die Dauer der Leistung und damit die des Aufenthalts drei Monate, so „stellt der Mitgliedstaat, in dem die Leistung erbracht wird, zum Nachweis dieses Rechts eine Aufenthaltserlaubnis aus“ (Unterabsatz 2).

54.      Beträgt diese Dauer drei Monate oder weniger, so „genügt der Personalausweis oder Reisepass, mit dem der Betroffene in das Hoheitsgebiet eingereist ist, für seinen Aufenthalt“ (Unterabsatz 3) (16) .

55.      Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung über einen Aufenthalt, der drei Monate oder weniger dauert, um deren Auslegung das vorlegende Gericht den Gerichtshof ersucht, geht nicht hervor, ob die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses durch einen Dienstleistungsempfänger Voraussetzung dafür ist, dass der Aufnahmemitgliedstaat diesem ein Aufenthaltsrecht zuerkennt.

56.      Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 muss daher meines Erachtens einer teleologischen Auslegung unterzogen werden. Der Rückgriff auf diese Auslegungsmethode erscheint mir insoweit gerechtfertigt, als sich die dem vorlegenden Gericht zu erteilende Antwort nicht eindeutig aus dem Wortlaut der auszulegenden Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ergibt (17) .

57.      Danach ist Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 meiner Ansicht nach so zu verstehen, dass dann, wenn der betreffende Mitgliedstaat aufgrund des Umstands, dass der Dienstleistungsempfänger bei den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, verpflichtet ist, ein Recht des Dienstleistungsempfängers zum Aufenthalt von bis zu drei Monaten anzuerkennen, das Aufenthaltsrecht nicht schon deshalb erlischt, weil der Betreffende ein solches Ausweispapier nicht sofort vorlegen kann.

58.      Hierbei ist zu beachten, dass der Gerichtshof bereits im Urteil Royer von 1976 festgestellt hat, dass „das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort zu den vom Vertrag genannten Zwecken aufzuhalten [,] … unmittelbar aus dem Vertrag oder, je nach Sachlage, aus den zu seiner Durchführung ergangenen Bestimmungen [fließt] (18) . Daraus hat der Gerichtshof geschlossen, dass „dieses Recht unabhängig von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats erworben [wird]“, und dass „[d]ie Erteilung dieser Erlaubnis … also nicht rechtsbegründend [wirkt]; vielmehr wird mit ihr durch den Mitgliedstaat lediglich festgestellt, welche persönliche Stellung einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats nach den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zukommt“ (19) .

59.      Dieser Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass das Gemeinschaftsrecht dem Aufnahmemitgliedstaat kein Ermessen im Hinblick auf die Verleihung eines Einreise- und Aufenthaltsrechts an Angehörige anderer Mitgliedstaaten belässt, sondern dass die Befugnis dieses Aufnahmemitgliedstaats nur darin besteht, die Modalitäten der Ausübung dieses Rechts zu überwachen und gegebenenfalls Zuwiderhandlungen gegen diese Modalitäten innerhalb bestimmter Grenzen zu ahnden.

60.      Speziell zu den Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, und der Kontrollbefugnis der Mitgliedstaaten hat der Gerichtshof im Urteil Wijsenbeek von 1999 klargestellt, dass, „[s]oweit keine gemeinschaftlichen Bestimmungen für die Kontrolle der Außengrenzen der Gemeinschaft … erlassen worden sind, … die Ausübung dieser Rechte voraus[setzt] …, dass der Betroffene belegen kann, dass er die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt (20) . Der Nachweis der Eigenschaft, Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats zu sein, gehört somit immer noch eindeutig zu den „in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“ (21) der Ausübung des Rechts der Angehörigen der Mitgliedstaaten, sich im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

61.      Von diesem Erfordernis ausgehend, hat der Gerichtshof sodann ausgeführt: „Selbst wenn die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach Artikel 7a oder Artikel 8a EG-Vertrag ein unbedingtes Recht besäßen, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen, behielten die Mitgliedstaaten folglich das Recht, Identitätskontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft durchzuführen, die einen Betroffenen, wie in den Richtlinien 68/369, 73/148, 90/364, 90/365 und 93/96 vorgesehen, zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses verpflichteten, damit festgestellt werden könnte, ob er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und damit das Recht hat, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen, oder ob er Staatsangehöriger eines Drittlandes ist, der dieses Recht nicht besitzt.“ (22) Das bedeutet zum einen, dass die Mitgliedstaaten an den Binnengrenzen der Gemeinschaft rechtmäßig Identitätskontrollen vornehmen können, und zum anderen, dass sich die Verpflichtung der Betroffenen, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt. Diese Verpflichtung soll die Prüfung ermöglichen, ob die Betroffenen als Angehörige eines Mitgliedstaats berechtigt sind, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen.

62.      Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass bei der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats begangene Zuwiderhandlungen gegen eine solche Verpflichtung von den Mitgliedstaaten geahndet werden können, sofern die Sanktionen mit denen vergleichbar sind, die für entsprechende nationale Straftaten gelten, und sofern sie nicht so unverhältnismäßig sind, dass sie eine Behinderung des freien Personenverkehrs darstellen (23) .

63.      Meiner Ansicht nach lassen sich aus den Erwägungen des Gerichtshofes folgende Schlüsse ziehen. Erstens dienen die Identitätskontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft und die entsprechende Verpflichtung eines reisenden Gemeinschaftsangehörigen, sich dieser Kontrolle durch Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu unterziehen, ein und demselben Ziel , nämlich sicherzustellen, dass der Betreffende tatsächlich als Angehöriger eines Mitgliedstaats Freizügigkeit genießt. Deshalb ist der Standpunkt des Gerichtshofes meines Erachtens in einem finalen und nicht in einem formalen Sinne auszulegen, denn die Verpflichtung zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses an einer Binnengrenze ist kein Selbstzweck: Letztlich kommt es nur auf den Nachweis der Staatsangehörigkeit des Betroffenen an.

64.      Zweitens kann diese berechtigte Überprüfung der Eigenschaft der bei ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats kontrollierten Person als Angehörige eines Mitgliedstaats nach meiner Ansicht auch nach der Einreise in das Hoheitsgebiet erfolgen, soweit es nur um die isolierte Prüfung des Aufenthaltsrechts geht; insoweit lassen sich die Erwägungen des Gerichtshofes zur Kontrolle an den Binnengrenzen auf diesen Aspekt des Rechts der Freizügigkeit übertragen. Im Übrigen hat der Gerichtshof im Hinblick auf das Freizügigkeits- und das Aufenthaltsrecht ausgeführt, dass die Ausübung dieser Rechte „voraus[setzt] …, dass der Betroffene belegen kann, dass er die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt“ (24) .

65.      Drittens ist die Voraussetzung für die Ausübung des Aufenthaltsrechts, nämlich der Staatsangehörigkeitsnachweis, von der Verpflichtung zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu unterscheiden, die nur eine der „für Einreise, Ortswechsel und Aufenthalt von Ausländern bestehenden gesetzlichen Formalitäten“ (25) darstellt. Denn wie wir gesehen haben, kann die Verletzung dieser Verpflichtung zwar vom Aufnahmemitgliedstaat geahndet werden, jedoch keinesfalls zur Verneinung des Aufenthaltsrechts führen.

66.      All dies bestärkt mich in der – auch von der Europäischen Kommission geteilten – Auffassung, dass die in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 73/148 aufgeführten administrativen Erfordernisse wie die, dass ein Personalausweis oder ein Reisepass für einen Aufenthalt des Dienstleistungsempfängers von bis zu drei Monaten genügt, im Licht des Zieles der Richtlinie zu sehen sind, die im Rahmen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs bestehenden Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Angehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft aufzuheben (26) .

67.      Unter diesem Blickwinkel hebt die Kommission, einem pragmatischen Ansatz folgend, einen entscheidenden Umstand hervor, und zwar den, dass die Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 eine doppelte Funktion habe, da sie zum einen darauf abziele, die Regelung der Beweislast für das Aufenthaltsrecht nicht nur für die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, sondern auch für die Mitgliedstaaten selbst zu erleichtern (27) , und zum anderen darauf, eine Maximalvorschrift für die formellen Voraussetzungen festzulegen, deren Erfüllung ein Mitgliedstaat in Bezug auf die Beweislast für das Aufenthaltsrecht verlangen könne, womit sie strengere Voraussetzungen ausschließe (28) .

68.      Die Kommission ist also der Auffassung, dass man aus Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 nicht den Umkehrschluss ziehen könne, dass die Nichterfüllung dieser Verpflichtung zur Verweigerung der Anerkennung der Staatsangehörigkeit und damit im vorliegenden Fall zur Verweigerung des Aufenthaltsrechts führe. Ein solcher Formalismus könnte zu unsinnigen Ergebnissen führen, die im Widerspruch zu den Gemeinschaftsinstrumenten stünden, die eine weite – allerdings nicht unbeschränkte – Auslegung des Aufenthaltsrechts bezwecken.

69.      Genau im Sinne dieser Argumentation meine ich angesichts des Zweckes der Richtlinie 73/148, dass zwar der Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 die Regel darstellt, weil es sich dabei um die einfachste und augenfälligste Art und Weise der Feststellung der Staatsangehörigkeit einer Person handelt, dass diese Bestimmung jedoch nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie die Feststellung der Staatsangehörigkeit auf andere Art und Weise ausschließt (29) .

70.      Diese Auslegung steht meiner Ansicht nach auch nicht im Widerspruch zum Wortlaut von Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148. Zwar genügt nämlich für einen Aufenthalt des Dienstleistungsempfängers von höchstens drei Monaten grundsätzlich die Vorlage der amtlichen Dokumente wie des Personalausweises oder des Reisepasses und kann es zur Anwendung einer Sanktion durch den Aufnahmemitgliedstaat führen, wenn nicht eines dieser beiden Dokumente vorgelegt wird, jedoch kann deshalb der Aufnahmemitgliedstaat die kontrollierte Person doch nicht an der Ausübung ihres Aufenthaltsrechts hindern, was letztlich konkret einer Verneinung des Bestehens dieses Rechts gleichkäme.

71.      Allerdings ist meine Analyse nicht so zu verstehen, dass es danach schon genügen würde, dass sich ein Gemeinschaftsangehöriger auf sein Aufenthaltsrecht beruft, um sich rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten zu können. Nach der finalen Sichtweise, auf der meine Analyse beruht, hat vielmehr der Gemeinschaftsangehörige seine Staatsangehörigkeit auf Aufforderung der zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nachzuweisen, genauer, zu deren Überzeugung nachzuweisen, und zwar anhand jedes amtlichen Schriftstücks oder Kontakts, das oder der einen ernsthaften Hinweis auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats geben könnte.

72.      Im Übrigen muss dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats stets die Möglichkeit eingeräumt werden, innerhalb angemessener Frist einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, wobei insbesondere den üblichen Beschaffungs- und Übermittlungsfristen Rechnung zu tragen ist.

73.      Aufgrund all dessen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148 dahin auszulegen ist, dass die Zuerkennung eines Aufenthaltsrechts durch einen Mitgliedstaat an einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die Eigenschaft eines Dienstleistungsempfängers hat, nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass der Betreffende einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt. Der Dienstleistungsempfänger, der dabei sein Aufenthaltsrecht in einem Aufnahmemitgliedstaat für die Dauer von drei Monaten oder weniger ausübt, ist jedoch auf Aufforderung der zuständigen Behörden dieses Staates verpflichtet, seine Eigenschaft als Angehöriger eines Mitgliedstaats durch jedes geeignete Mittel nachzuweisen. Ihm muss die Gelegenheit gegeben werden, innerhalb angemessener Frist einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen.

C – Zur unterschiedlichen Behandlung von Gemeinschaftsangehörigen und Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats hinsichtlich der Verpflichtung zum Nachweis der Staatsangehörigkeit

74.      Mit seinen Vorlagefragen 2b und 4 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausschließt, dass nach den ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufnahmestaats Angehörige anderer Mitgliedstaaten verpflichtet werden können, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, und, falls sie zur Vorlage eines dieser Ausweispapiere nicht in der Lage sind, zum Zweck der Abschiebung in Haft genommen werden können, während das niederländische Recht niederländischen Staatsangehörigen keine solche Verpflichtung auferlegt.

75.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist diese Vorlagefrage, da es sich hierbei um den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs handelt, im Hinblick auf Artikel 49 EG zu prüfen. Denn in Artikel 12 EG ist zwar das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit niedergelegt, doch kann dieses „autonom nur in durch das Gemeinschaftsrecht geregelten Fällen angewandt werden …, für die der Vertrag kein besonderes Diskriminierungsverbot vorsieht“. Für den freien Dienstleistungsverkehr wird jedoch „dieses Verbot [durch Artikel 49 EG] näher geregelt und konkretisiert“ (30) .

76.      Die Vorlagefrage ist daher so zu verstehen, dass das vorlegende Gericht Aufschluss darüber wünscht, ob es das in Artikel 49 EG niedergelegte allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausschließt, dass nach den ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats Angehörige anderer Mitgliedstaaten verpflichtet werden können, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, obwohl das niederländische Recht den niederländischen Staatsangehörigen keine solche Verpflichtung auferlegt (31) .

77.      Das vorlegende Gericht legt seine Ansicht zu der Frage, was eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sein könnte, wie folgt dar: Das niederländische Recht sehe keine umfassende, allgemeine Ausweispflicht, sondern nur in besonderen Gesetzen enthaltene beschränkte Ausweispflichten vor, die lediglich in bestimmten Situationen gälten (32) . Das Ausländergesetz 2000 werde von den niederländischen Behörden der Kategorie der beschränkten Ausweispflichten zugerechnet.

78.      Daher sei es im Hinblick auf die Pflicht zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses angebracht, die Situation einer Person, die bei einer Kontrolle erkläre, die niederländische Staatsangehörigkeit zu besitzen, mit derjenigen einer Person zu vergleichen, die erkläre, Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats zu sein.

79.      Nach der niederländischen Verwaltungsrechtsprechung müsse insoweit eine Person, die erkläre, die niederländische Staatsangehörigkeit zu besitzen, ihre Identität durch objektive, sich unmittelbar auf sie als natürliche Person beziehende Angaben glaubhaft machen. Der Betroffene könne seine Identität nicht nur durch Vorlage eines niederländischen Personalausweises oder Reisepasses, sondern z. B. auch durch Vorlage eines in den Niederlanden erteilten Führerscheins glaubhaft machen. Etwaige Zweifel hinsichtlich dieser Identität könnten schließlich durch Einsicht in kommunale Verwaltungsdaten ausgeräumt werden.

80.      Wer dagegen bei einer im Inland erfolgten ausländerrechtlichen Kontrolle erkläre, er sei Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats, und sich auf die Freizügigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr berufe, werde – aus Gründen der öffentlichen Ordnung – in der Regel nach dem Ausländergesetz 2000 in Haft genommen, wenn und solange er keinen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen könne.

81.      Infolgedessen fragt sich das vorlegende Gericht, ob hierin eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Diskriminierung des Gemeinschaftsangehörigen gegenüber dem niederländischen Staatsangehörigen vorliegt, der nach nationalem Recht nicht verpflichtet sei, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass – unter Ausschluss anderer Papiere – vorzulegen, um seine Staatsangehörigkeit nachzuweisen.

82.      Zu dieser Frage vertritt die Kommission die Auffassung, beim Aufenthaltsrecht sei schon nach dem EG-Vertrag die Stellung der eigenen Staatsangehörigen eine ganz andere als die der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, da das Aufenthaltsrecht der Inländer insbesondere in Anbetracht des Verbotes, sie auszuweisen, per definitionem ein dauerhaftes und absolutes sei. Daher hänge die hinsichtlich der Verpflichtung, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, unterschiedliche Behandlung nicht mit der eigentlichen Staatsangehörigkeit, sondern mit der objektiv unterschiedlichen rechtlichen Situation in Bezug auf das Aufenthaltsrecht zusammen.

83.      Meines Erachtens ist zunächst daran zu erinnern, dass zwar die Verpflichtung des Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu sein, wie wir gesehen haben, als solche keine Voraussetzung für die Entstehung seines Aufenthaltsrechts ist, dass es sich dabei aber um ein im Gemeinschaftsrecht, insbesondere in der Richtlinie 73/148, vorgesehenes Formerfordernis handelt. Daher kann gesagt werden, dass die Mitgliedstaaten im Gemeinschaftsrecht eine solide Grundlage dafür finden, von den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, zu verlangen, dass sie im Besitz eines gültigen Ausweispapiers sind. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof im Übrigen festgestellt, dass „im Grundsatz die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ahndung von Verstößen gegen diese Pflicht nicht zu bestreiten [ist]“ (33) .

84.      Ich möchte darüber hinaus betonen, dass der Gerichtshof mehrmals Situationen gebilligt hat, in denen es gerechtfertigt sein kann, von demjenigen, der die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats nicht besitzt, die Erfüllung einer den Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats nicht auferlegten Verpflichtung zu verlangen, wie etwa derjenigen, den zuständigen Behörden seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet anzuzeigen (34) . Er hat außerdem festgestellt: „Soweit [die Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft] den Angehörigen eines Mitgliedstaats, die in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einreisen oder sich dort aufhalten, besondere Pflichten – wie den Besitz eines Reisepasses oder eines Personalausweises – auferlegt, können die hiervon betroffenen Personen nicht einfach den Angehörigen des Aufenthaltsorts gleichgestellt werden.“ (35)

85.      Diese Gesichtspunkte können für die Ansicht sprechen, dass sich der Umstand, dass die Situation von Angehörigen der Mitgliedstaaten, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten wollen, hinsichtlich der rechtlichen Verpflichtungen im Rahmen der Ausübung des Aufenthaltsrechts nicht mit derjenigen von Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats vergleichbar sei, daraus erkläre, dass auf den Erstgenannten nach dem Gemeinschaftsrecht spezifische Zwänge lasten.

86.      Diese Ansicht überzeugt mich jedoch nicht. Sie stößt nämlich, soweit es konkret nur um die Verpflichtung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten geht, ständig im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu sein, mit der Entscheidung des Gerichtshofes im Urteil Kommission/Belgien von 1989 an ihre Grenzen. Denn dort ging es zwar allein um das Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, doch hat der Gerichtshof mit einer über den Einzelfall hinausgehenden Formulierung festgestellt: „[D]as Gemeinschaftsrecht verbietet Belgien … nicht, in seinem Hoheitsgebiet zu kontrollieren, ob die Inhaber eines gemeinschaftlichen Aufenthaltsrechts ständig ihre Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis bei sich tragen, da eine entsprechende Verpflichtung die belgischen Staatsangehörigen hinsichtlich ihres Personalausweises trifft.“ (36) Dieselbe Auffassung findet sich auch im Urteil Kommission/Deutschland von 1998 wieder, in dem der Gerichtshof noch deutlicher zum Ausdruck gebracht hat, dass die staatlichen Kontrollen hinsichtlich der Erfüllung der Verpflichtung, stets eine Aufenthaltserlaubnis vorlegen zu können, nach dem Gemeinschaftsrecht nur zulässig seien, wenn der Aufnahmemitgliedstaat seinen eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Verpflichtung hinsichtlich ihres Personalausweises auferlege (37) . Diese Parallele zwischen der Situation von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten und derjenigen von Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats impliziert zudem, dass die bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung in den beiden Fällen verhängten Sanktionen einander entsprechen müssen (38) .

87.      Man sieht, dass sich der Gerichtshof im Rahmen dieser Rechtsprechung veranlasst gesehen hat, von der Vergleichbarkeit der Situationen der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten und der Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats auszugehen, soweit es um ihre Verpflichtung geht, im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder eines gültigen Personalausweises zu sein, und daraus zu folgern, dass sie im Rahmen der Überwachung der Erfüllung dieser Verpflichtung entsprechend zu behandeln sind. Damit wird also anerkannt, dass sich diese beiden Personengruppen hinsichtlich der Notwendigkeit, ihre Staatsangehörigkeit nachzuweisen, in einer vergleichbaren Situation befinden und dass sie deshalb insoweit gleichzubehandeln sind.

88.      Ich möchte daher bemerken, dass es meiner Ansicht nach gegen das allgemeine Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit verstößt, wenn die nationale Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis die Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, die sich auf ihr Aufenthaltsrecht berufen, verpflichtet, dieses Recht ausschließlich durch Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nachzuweisen, während einer Person, die sich auf ihre niederländische Staatsangehörigkeit beruft und ebenfalls im Inland kontrolliert wird, das Recht zuerkannt wird, ihre Identität durch jedes andere geeignete Mittel glaubhaft zu machen.

89.      In einer solchen Situation kann nämlich davon ausgegangen werden, dass die vorerwähnte Rechtsprechung des Gerichtshofes Anwendung findet, da die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich als Dienstleistungsempfänger für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten in einem Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, ständig im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein müssen, während die niederländischen Staatsangehörigen hinsichtlich ihrer Ausweispapiere (39) keine entsprechende Verpflichtung haben.

90.      Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, zu antworten, dass das in Artikel 49 EG niedergelegte allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit es ausschließt, dass nach den ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats Angehörige anderer Mitgliedstaaten verpflichtet werden können, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, während das Recht des Aufnahmemitgliedstaats den eigenen Staatsangehörigen keine solche Verpflichtung auferlegt.

D – Zur Abschiebungshaft des Angehörigen eines Mitgliedstaats, der Empfänger von Dienstleistungen ist, im Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen

91.      Im Rahmen dieser letzten Gruppe von Vorlagefragen (2d, 3a, 3b und 3c) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr darstellt, wenn Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die ihre Verpflichtung zum Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nicht erfüllen, in Abschiebungshaft genommen werden, und, wenn ja, ob dieses Hindernis gerechtfertigt sein kann.

92.      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil Sagulo, Brenca und Bakhouche ausgeführt hat: „[Es ist] zwar Sache der Mitgliedstaaten …, in vernünftigen Grenzen Verstöße gegen die Pflicht der unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Personen, sich einen gültigen Personalausweis oder Reisepass zu beschaffen, zu ahnden, … derartige Sanktionen [dürfen aber] keinesfalls so schwer sein …, dass sie zum Hindernis für die im Vertrag vorgesehene Einreise- oder Aufenthaltsfreiheit würden.“ Von diesem Postulat ausgehend, hat sich der Gerichtshof wie folgt an das vorlegende Gericht gewandt: „[Es] ist … Aufgabe des innerstaatlichen Gerichts, von seiner richterlichen Beurteilungsfreiheit Gebrauch zu machen, um zu einer Ahndung zu gelangen, die dem Charakter und dem Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften angemessen ist, deren Einhaltung die Sanktion sichern soll.“ (40)

93.      Nach dieser ständigen Rechtsprechung darf die Nichtbeachtung einer Formalität wie der des Besitzes eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses keinesfalls mit einer Ausweisung geahndet werden, da „mit einer solchen Maßnahme das durch den Vertrag verliehene und garantierte Recht selbst verneint wird“ (41) . Nach Ansicht des Gerichtshofes ist außerdem zu der Frage, ob einem durch den EG-Vertrag geschützten Ausländer vorläufig die Freiheit entzogen werden kann, um ihn aus dem Hoheitsgebiet zu entfernen, „festzustellen, dass eine derartige Maßnahme dann nicht in Betracht kommen kann, wenn eine Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet gegen den Vertrag verstieße“ (42)

94.      Zu beachten ist allerdings, dass diese Feststellung, wie ich meine, nicht so verstanden werden darf, dass sie die Befugnis des Aufnahmemitgliedstaats – über die er verfügen können muss –, den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats an einem geeigneten Ort vorläufig festzuhalten, um die nötigen Überprüfungen hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit vorzunehmen, ausschließt. In diesem Fall ist die fragliche Verwaltungsmaßnahme nämlich von einer etwaigen Ausweisungsmaßnahme abgekoppelt und stellt keine Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet dar. Sie hat den Zweck, den Angehörigen eines Mitgliedstaats in die Lage zu versetzen, seine Staatsangehörigkeit durch jedes geeignete Mittel nachzuweisen.

95.      Im Übrigen hat der Gerichtshof ebenfalls in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Aufnahmestaat dann, wenn der Angehörige eines Mitgliedstaats seine Verpflichtung, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, verletzt, „keine unverhältnismäßige Sanktion wie etwa eine Gefängnisstrafe vorsehen [darf], die eine Behinderung des freien Personenverkehrs darstellte“ (43) .

96.      Ich weise außerdem darauf hin, dass der in Artikel 49 EG niedergelegte Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs, „der eines der Grundprinzipien des Vertrages ist, … die Freiheit der Dienstleistungsempfänger ein[schließt], sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen daran gehindert zu werden“ (44) .

97.      Unter diesen Umständen meine ich, dass es offensichtlich ein Hindernis für die Freizügigkeit von Dienstleistungsempfängern darstellt, wenn gegen diese eine Haftmaßnahme zum Zweck der Abschiebung angewandt wird, weil sie ihre Eigenschaft als Angehörige eines Mitgliedstaats nicht anhand eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nachweisen konnten. Eine solche Maßnahme, durch die das Recht zum freien Aufenthalt entzogen wird, stellt nämlich die Verneinung eines Rechts dar, das den Dienstleistungsempfängern unmittelbar durch Artikel 49 EG und die zu seiner Durchführung erlassenen Richtlinien verliehen worden ist.

98.      Gleichwohl ist zu prüfen, ob diese Maßnahme durch die insbesondere in Artikel 46 EG vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sein könnte (45) . Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes erlaubt dieser Artikel nämlich „den Mitgliedstaaten, gegenüber den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten u. a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung Maßnahmen zu ergreifen, die sie insofern bei ihren eigenen Staatsangehörigen nicht anwenden könnten, als sie nicht die Befugnis haben, diese auszuweisen oder ihnen die Einreise in das nationale Hoheitsgebiet zu untersagen“ (46) .

99.      Die Antwort, die dem vorlegenden Gericht zu diesem Punkt zu geben ist, scheint mir in der im Urteil Royer getroffenen Entscheidung zu finden zu sein, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Nichterfüllung der für Einreise, Ortswechsel und Aufenthalt von Ausländern bestehenden gesetzlichen Formalitäten, „da es um die Ausübung eines unmittelbar aufgrund des Vertrages erworbenen Rechts geht, … für sich allein nicht als Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit angesehen werden [kann]“ (47) .

100.    Ohne dass geprüft zu werden braucht, ob mit der fraglichen nationalen Maßnahme der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird, genügt somit die Feststellung, dass die insbesondere in Artikel 46 EG vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung nicht anwendbar ist, um das Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr zu rechtfertigen, das in einer Haftmaßnahme zum Zweck der Abschiebung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten besteht, die ihre Verpflichtung, im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu sein, nicht erfüllen.

101.    Im Übrigen sollte das vorlegende Gericht darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich ein Mitgliedstaat jedenfalls nur dann mit Erfolg auf die Ausnahme der öffentlichen Ordnung zur Rechtfertigung bestimmter Beschränkungen der Freizügigkeit berufen kann, wenn „eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ (48) . Die „Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt“ (49) , genügt also nicht. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Ausnahme der öffentlichen Ordnung wie alle Abweichungen von einem im EG-Vertrag vorgesehenen Grundprinzip eng auszulegen ist.

102.    Außerdem ergibt sich aus Artikel 3 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates (50) , dass bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung „ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein [darf]“ und „strafrechtliche Verurteilungen allein … ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen [können]“ (51) . Außerdem sollte das vorlegende Gericht darauf hingewiesen werden, dass die Ausnahme der öffentlichen Ordnung nach der Auslegung durch den Gerichtshof nur dann gegeben ist, wenn „ein persönliches Verhalten [vorliegt], das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt“ (52) .

103.    Schließlich ist es meines Erachtens für die Rechtfertigung einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs unerheblich, dass ein innerstaatliches Gericht den Dienstleistungsempfänger nachträglich dafür entschädigt, dass seine Haft rechtswidrig war.

104.    Ich schlage demgemäß dem Gerichtshof vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass es ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr darstellt, wenn ein Dienstleistungsempfänger, der seine Verpflichtung zum Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nicht erfüllt, in Abschiebungshaft genommen wird, und dass dieses Hindernis als solches gegen Artikel 49 EG verstößt. Die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats können jedoch beschließen, den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats vorläufig festzunehmen, um ihm die Gelegenheit zu geben, seine Staatsangehörigkeit durch jedes geeignete Mittel nachzuweisen.

V – Ergebnis

105.    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Rechtbank 's-Gravenhage wie folgt zu beantworten:

1.
Der Umstand, dass sich ein Angehöriger eines Mitgliedstaats zu einem bestimmten Zeitpunkt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet, genügt für die Vermutung, dass er in diesem Mitgliedstaat Empfänger von Dienstleistungen ist oder sein wird und dass er als solcher in den persönlichen Geltungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr fällt.

2.
Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs ist dahin auszulegen, dass die Zuerkennung eines Aufenthaltsrechts durch einen Mitgliedstaat an einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die Eigenschaft eines Dienstleistungsempfängers hat, nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass der Betreffende einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt. Der Dienstleistungsempfänger, der dabei sein Aufenthaltsrecht in einem Aufnahmemitgliedstaat für die Dauer von drei Monaten oder weniger ausübt, ist jedoch auf Aufforderung der zuständigen Behörden dieses Staates verpflichtet, seine Eigenschaft als Angehöriger eines Mitgliedstaats durch jedes geeignete Mittel nachzuweisen. Ihm muss die Gelegenheit gegeben werden, innerhalb angemessener Frist einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen.

3.
Das in Artikel 49 EG niedergelegte allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit schließt es aus, dass nach den ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats Angehörige anderer Mitgliedstaaten verpflichtet werden können, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, während das Recht des Aufnahmemitgliedstaats den eigenen Staatsangehörigen keine solche Verpflichtung auferlegt.

4.
Es stellt ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar, wenn ein Dienstleistungsempfänger, der seine Verpflichtung zum Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nicht erfüllt, in Abschiebungshaft genommen wird; dieses Hindernis verstößt als solches gegen Artikel 49 EG. Die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats können jedoch beschließen, den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats vorläufig festzunehmen, um ihm die Gelegenheit zu geben, seine Staatsangehörigkeit durch jedes geeignete Mittel nachzuweisen.


1
Originalsprache: Französisch.


2
ABl. L 172, S. 14. Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG aufgehoben (ABl. L 158, S. 77).


3
Entgegen der ursprünglichen Formulierung der sechsten Frage des vorlegenden Gerichts.


4
Siehe insbesondere Urteil vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache C‑348/96, Calfa, Slg. 1999, I‑11, Randnr. 16). Die Freizügigkeit von Dienstleistungsempfängern, die nicht ausdrücklich im EG-Vertrag vorgesehen ist, ist erstmals in der Richtlinie 73/148 anerkannt worden, bevor der Gerichtshof festgestellt hat, dass diese Freiheit die „notwendige Ergänzung“ der Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr darstelle und „dem Ziel [entspricht], jede gegen Entgelt geleistete Tätigkeit, die nicht unter den freien Waren- und Kapitalverkehr und unter die Freizügigkeit der Personen fällt, zu liberalisieren“ (Urteil vom 31. Januar 1984 in den Rechtssachen 286/82 und 26/83, Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Randnr. 10). Zu Empfängern touristischer Dienstleistungen siehe auch Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87 (Cowan, Slg. 1989, 195).


5
Schlussanträge von Herrn Lenz vom 6. Dezember 1988 in der Rechtssache Cowan, Nr. 22.


6
Ibidem, Nr. 28.


7
A. a. O.; in dieser Rechtssache wurde Frau Calfa als Dienstleistungsempfängerin angesehen, obwohl sie eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz für schuldig befunden und zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und daneben auf Lebenszeit aus Griechenland ausgewiesen wurde.


8
Im Ausgangsverfahren ist den Akten übrigens zu entnehmen, dass beim Beschwerdeführer eine Quittung der Postbank gefunden wurde.


9
Artikel 50 Absatz 1 EG.


10
Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C‑413/99 (Baumbast und R, Slg. 2002, I‑7091, Randnr. 84).


11
Artikel 18 Absatz 1 EG. Zu einem Anwendungsfall nach Maßgabe der Beschränkungen und Bedingungen der Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26) siehe Urteil Baumbast und R (Randnrn. 85 ff.). Ich erinnere auch daran, dass diese Beschränkungen und Bedingungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht einer unmittelbaren Wirkung von Artikel 18 Absatz 1 EG entgegenstehen: „Die Anwendung der Beschränkungen und Bedingungen, die nach Artikel 18 Absatz 1 EG für die Wahrnehmung dieses Aufenthaltsrechts bestehen, unterliegt jedoch der gerichtlichen Kontrolle. Diese Beschränkungen und Bedingungen stehen daher nicht dem entgegen, dass Artikel 18 Absatz 1 EG den Einzelnen Rechte verleiht, die sie gerichtlich geltend machen können und die die innerstaatlichen Gerichte zu wahren haben“ (a. a. O., Randnr. 86).


12
Siehe Richtlinie 2004/38, der die Mitgliedstaaten bis zum 30. April 2006 nachkommen müssen.


13
Der Richtlinie 2004/38 liegt insbesondere der Wille zugrunde, die „bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts [durch einen einzigen Rechtsakt] zu überwinden“ (vierte Begründungserwägung).


14
Um die Formulierung aufzugreifen, die Generalanwalt La Pergola in seinen Schlussanträgen vom 17. Februar 1998 in der Rechtssache Calfa (Nr. 10), also in einem vergleichbaren Fall, verwendet hat.


15
Urteil vom 20. September 2001 in der Rechtssache C‑184/99 (Grzelczyk, Slg. 2001, I‑6193, Randnr. 31).


16
Hervorhebung von mir.


17
Zur Anwendung der Methoden der grammatikalischen Auslegung und der teleologischen Auslegung vgl. insbesondere meine Ausführungen in meinen Schlussanträgen vom 27. September 2001 in der Rechtssache C‑63/00 (Schilling und Nehring, Urteil vom 16. Mai 2002, Slg. 2002, I‑4483, Nrn. 17 ff.).


18
Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 48/75 (Slg. 1976, 497, Randnr. 31; Hervorhebung von mir).


19
Urteil Royer, Randnrn. 32 bzw. 33; Hervorhebung von mir.


20
Urteil vom 21 September 1990 in der Rechtssache C‑378/97 (Slg. 1999, I‑6207, Randnr. 42; Hervorhebung von mir). Der dieser Rechtssache zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Gegen Herrn Wijsenbeek, der die niederländische Staatsangehörigkeit besaß, wurde in den Niederlanden ein Strafverfahren betrieben, weil er sich am 17. Dezember 1993 bei seiner Einreise in die Niederlande über den Flughafen Rotterdam unter Verstoß gegen Artikel 25 der niederländischen Ausländerverordnung geweigert hatte, dem mit der Grenzüberwachung beauftragten Polizeibeamten seinen Reisepass vorzuzeigen und auszuhändigen oder seine niederländische Staatsangehörigkeit auf andere Weise zu belegen.


21
Artikel 18 Absatz 1 EG.


22
Urteil Wijsenbeek (Randnr. 42).


23
Ibidem (Randnr. 44).


24
Ibidem (Randnr. 42).


25
Urteil Royer (Randnr. 38).


26
Erklärungen der Kommission (Nr. 34).


27
Nach Ansicht der Kommission stellt die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses grundsätzlich die einfachste Art des Nachweises der Staatsangehörigkeit dar, und die Mitgliedstaaten seien befugt, diese Vorlage vorzuschreiben.


28
Dieser Ansatz wird meines Erachtens in Artikel 6 der Richtlinie 2004/38 aufrechterhalten, nach dessen Absatz 1 „[e]in Unionsbürger … das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten [hat], wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht “ (Hervorhebung von mir). Wie man sieht, spiegelt sich die Diskussion, zu der die Frage des vorlegenden Gerichts Anlass gibt, vollständig in der vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Formulierung wider, in der übrigens, genauer gesagt, eine „Nichtfestlegung“ zum Ausdruck kommt, die die Mehrdeutigkeit aufrechterhält: Handelt es sich bei dem Erfordernis des Besitzes eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses um eine Sachvoraussetzung oder vielmehr um eine Formalität für das Aufenthaltsrecht? Meiner Ansicht nach handelt es sich nur um eine Formalität, die im Rahmen der Ausübung des Aufenthaltsrechts zu erfüllen ist.


29
Man denke etwa daran, welche Folgen die entgegengesetzte Auffassung in der gewiss nicht als außergewöhnlich zu bezeichnenden Situation hätte, in der ein Tourist seinen Reisepass und/oder Personalausweis verloren hat oder ihm diese Ausweispapiere gestohlen wurden: Wäre es in diesem Fall sinnvoll, den Aufenthalt dieser Person zu beenden?


30
Siehe insbesondere Urteil vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C‑55/98 (Vestergaard, Slg. 1990, I‑7641, Randnrn. 16 und 17). Vgl. auch Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C‑379/92 (Peralta, Slg. 1994, I‑3453, Randnr. 18).


31
Meines Erachtens ist die gesamte Problematik der in der Abschiebungshaft bestehenden Zwangsmaßnahme, die im Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung, stets einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen zu können, angewandt werden kann, im Hinblick auf die Rechtfertigung der Hindernisse für die Freizügigkeit und nicht isoliert im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot allein zu beurteilen. Schon nach dem Wortlaut des Ausländergesetzes 2000 können diese Maßnahmen nämlich per definitionem nur Ausländer betreffen, da sie auf deren Abschiebung abzielen. Diesen Teil des Problems werde ich daher bei der Untersuchung der letzten Gruppe der Vorlagefragen prüfen.


32
Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass die meisten dieser beschränkten Ausweispflichten die Bekämpfung von Missbräuchen von Leistungen und Prämien im Sozial- und Steuerrecht bezweckten.


33
Urteil vom 14. Juli 1977 in der Rechtssache 8/77 (Sagulo, Brenca und Bakhouche, Slg. 1977, 1495, Randnr. 10).


34
Urteil vom 7. Juli 1976 in der Rechtssache 118/75 (Watson und Belmann, Slg. 1976, 1185).


35
Urteil Sagulo, Brenca und Bakhouche (Randnr. 11).


36
Urteil vom 27. April 1989 in der Rechtssache 321/87 (Kommission/Belgien, Slg. 1989, 997, Randnr. 12).


37
Urteil vom 30. April 1998 in der Rechtssache C‑24/97, Kommission/Deutschland, Slg. 1998, I‑2133, Randnr. 13).


38
Urteil Kommission/Deutschland (Randnr. 14). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen habe, dass sie Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhielten, „bei vergleichbaren Verstößen gegen die Ausweispflicht“ hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs und des Bußgeldrahmens „in unverhältnismäßiger Weise anders behandelt“ als deutsche Staatsangehörige.


39
Das vorlegende Gericht führt als Beispiele für diese Ausweispapiere einen „gültige[n] Personalausweis, in dem die niederländische Staatsangehörigkeit angegeben ist, oder ein[en] gültige[n] niederländischen Reisepass“ an (S. 8 des Vorlageurteils).


40
Urteil Sagulo, Brenca und Bakhouche (Randnr. 12).


41
Urteil Watson und Belmann (Randnr. 20).


42
Urteil Royer (Randnr. 43).


43
Urteil Wijsenbeek (Randnr. 44).


44
Urteil Calfa (Randnr. 16).


45
Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts sind die beiden Beschlüsse, mit denen die Inhaftnahmen verfügt worden sind, „auf Gründe der öffentlichen Ordnung im Zusammenhang mit dem Verdacht gestützt [worden], dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen könnte, da er – entgegen Artikel 4.21 der Vreemdelingenbesluit (Ausländerverordnung) – kein Ausweispapier besitze, sich nicht beim Polizeipräsidenten gemeldet habe, über keinen festen Wohnsitz oder Aufenthaltsort verfüge und einer versuchten Straftat verdächtigt werde“ (S. 3 des Vorlageurteils).


46
Urteil Calfa (Randnr. 20).


47
Urteil Royer (Randnr. 39).


48
Siehe insbesondere Urteil vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35).


49
Urteil vom 29. April 2004 in den Rechtssachen C‑482/01 und C‑493/01 (Orfanopoulos und Oliveri, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 66).


50
Richtlinie vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850). Zu beachten ist, dass diese Richtlinie nach ihrem Artikel 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats gilt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen .


51
Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 64/221.


52
Urteil Bouchereau (Randnr. 28).