SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JACOBS
vom 20. Januar 2005(1)



Rechtssache C-147/03



Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Republik Österreich



„“






1.        Die Kommission macht mit dieser Klage nach Artikel 226 EG im Wesentlichen geltend, dass die österreichischen Bestimmungen über den Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium diskriminierend seien, weil sie für die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen andere Voraussetzungen als für die Inhaber von in Österreich erworbenen Abschlüssen vorsähen. Österreich habe daher gegen seine Pflichten aus den Artikeln 12 EG in Verbindung mit den Artikeln 149 EG und 150 EG verstoßen.

2.        Bei dieser Klage geht es hauptsächlich um etwaige Rechtfertigungsgründe für eine derartige unterschiedliche Behandlung.

Die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften

3.        Die Kommission stützt ihre Klage auf folgende Bestimmungen des EG-Vertrags:

Artikel 12 EG:

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

Der Rat kann nach dem Verfahren des Artikels 251 Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.“

Artikel 149 EG:

„(1)             Die Gemeinschaft trägt zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt.

(2)      Die Tätigkeit der Gemeinschaft hat folgende Ziele:

– Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden, auch durch die Förderung der akademischen Anerkennung der Diplome und Studienzeiten;

(3)     Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den für den Bildungsbereich zuständigen internationalen Organisationen, insbesondere dem Europarat.“

Artikel 150 EG:

„(1)   Die Gemeinschaft führt eine Politik der beruflichen Bildung, welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung unterstützt und ergänzt.

(2)     Die Tätigkeit der Gemeinschaft hat folgende Ziele:

– Erleichterung der Aufnahme einer beruflichen Bildung sowie Förderung der Mobilität der Ausbilder und der in beruflicher Bildung befindlichen Personen, insbesondere der Jugendlichen;

(3)     Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den für die berufliche Bildung zuständigen internationalen Organisationen.“

Die nationalen Vorschriften

4.        Die Kommission wendet sich gegen § 36 des Universitäts-Studiengesetzes (im Folgenden: UniStG) mit dem Titel „Besondere Universitätsreife“, der folgendermaßen lautet:

„(1)   Zusätzlich zur allgemeinen Universitätsreife ist die Erfüllung der studienrichtungsspezifischen Zulassungsvoraussetzungen einschließlich des Rechts zur unmittelbaren Zulassung zum Studium nachzuweisen, die im Ausstellungsstaat der Urkunde, mit der die allgemeine Universitätsreife nachgewiesen wird, bestehen.

(2)     Für die in Österreich ausgestellten Reifezeugnisse handelt es sich um jene Zusatzprüfungen zur Reifeprüfung, deren Ablegung auf Grund der Universitätsberechtigungsverordnung vor der Zulassung zum Studium vorgeschrieben ist.

(3)     Ist die in Österreich angestrebte Studienrichtung im Ausstellungsstaat der Urkunde nicht eingerichtet, sind die studienrichtungsspezifischen Zulassungsvoraussetzungen in Bezug auf eine im Ausstellungsstaat der Urkunde eingerichtete, mit der in Österreich angestrebten Studienrichtung fachlich am nächsten verwandte Studienrichtung zu erfüllen.

(4)     Die Bundesministerin oder der Bundesminister ist berechtigt, durch Verordnung Personengruppen festzulegen, deren Reifezeugnis auf Grund deren besonderer persönlicher Nahebeziehungen zu Österreich oder deren Tätigkeit im Auftrag der Republik Österreich für die Ermittlung des Vorliegens der besonderen Universitätsreife als in Österreich ausgestellt gilt.

(5)     Auf Grund der für den Nachweis der allgemeinen Universitätsreife vorgelegten Urkunde hat die Rektorin oder der Rektor das Vorliegen der besonderen Universitätsreife im Hinblick auf die gewählte Studienrichtung zu prüfen.“

5.        Es dürfte unstreitig sein, dass diese Bestimmungen den Inhabern von in Österreich erworbenen Schulabschlusszeugnissen einen sehr breiten Zugang zum Universitätsstudium ermöglichen, während sie Inhaber vergleichbarer Zeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten den in diesen Staaten geltenden, oftmals strengeren Voraussetzungen unterwerfen.

6.        Die Kommission beantragt daher, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Pflichten aus den Artikeln 12 EG, 149 EG und 150 EG verstoßen hat, dass sie nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber von in Österreich erworbenen Abschlüssen Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich haben. Die Republik Finnland ist dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Kommission als Streithelferin beigetreten.

Zulässigkeit

7.       Österreich hält die Klage der Kommission aus zwei miteinander zusammenhängenden Gründen für unzulässig.

8.        Erstens habe die Kommission den Verfahrensgegenstand zwischen dem Vorverfahren und dem gerichtlichen Verfahren abgeändert und Österreich dadurch gehindert, seine Verteidigung angemessen vorzubereiten. In dem ersten Mahnschreiben vom 9. November 1999, dem ergänzenden Mahnschreiben vom 29. Januar 2001 und der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 17. Januar 2002 sei festgestellt worden, dass sich der Verstoß auf die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen beziehe. In der Klageschrift würden hingegen diskriminierende Zugangsvoraussetzungen zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich als Verstoß gerügt, während von der Anerkennung von Sekundarschulabschlüssen nicht mehr die Rede sei.

9.        Zweitens habe die Kommission den Streitgegenstand ihrer Vertragsverletzungsklage ausgedehnt, indem sie zum ersten Mal in ihrer Klageschrift § 36 Absatz 4 UniStG als diskriminierend beanstandet habe.

10.      Nach ständiger Rechtsprechung „grenzen im Rahmen eines von der Kommission nach Artikel [226 EG] eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens das Schreiben der Kommission an den Mitgliedstaat, in dem dieser zur Äußerung aufgefordert wird, und sodann die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission den Streitgegenstand ein, der danach nicht mehr erweitert werden kann“ (2) . Der Gerichtshof hat außerdem stets erklärt, dass „die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission auf dieselben Rügen gestützt werden [müssen] wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird“ (3) und dass „die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein [muss] wie die mit Gründen versehene Stellungnahme“. (4) Diese Erfordernisse können jedoch nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen den im Mahnschreiben erhobenen Rügen, dem verfügenden Teil der mit Gründen versehenen Stellungnahme und den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern nur beschränkt worden ist (5) .

11.      Meines Erachtens hat die Kommission den Streitgegenstand nicht in entscheidungserheblichem Maße verändert. Ein Vergleich des Wortlauts der beiden Mahnschreiben und der mit Gründen versehenen Stellungnahme mit dem der Klageschrift genügt als Nachweis dafür, dass die Rügen und die Gründe, auf die die Kommission die Klage gestützt hat, während des gesamten Vorverfahrens und im gerichtlichen Verfahren übereinstimmen.

12.      Außerdem äußerte sich die Kommission zu der Antwort Österreichs auf ihr erstes Mahnschreiben vom 9. November 1999 mit einem ergänzenden Mahnschreiben vom 29. Januar 2001, das allein den Zweck hatte, etwaige „sich aus der Antwort der Republik Österreich ergebende Missverständnisse und Unklarheiten“ zu klären. Die Kommission machte das Wesen ihres Begehrens in diesem ergänzenden Schreiben sehr deutlich, insbesondere die Tatsache, dass sich der angebliche Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht auf die Frage der Anerkennung von Sekundarschulabschlüssen in Österreich, sondern auf die Voraussetzungen für den Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich durch Studenten bezieht, die über ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Sekundarschulabschlusszeugnis verfügen, und vor allem auf die indirekte Diskriminierung durch die beanstandete nationale Vorschrift. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in der Klageschrift wurde dann die gleiche Begründung vorgebracht. Die österreichische Regierung wurde somit über das Wesen der angeblichen Vertragsverletzung angemessen in Kenntnis gesetzt und war in der Lage, ihre Verteidigung vorzubereiten.

13.      Die Kommission hat in Bezug auf die § 36 Absatz 4 UniStG betreffende zweite Einwendung vorgetragen, dass sie diese Vorschrift in ihrer Antwort lediglich deshalb erwähnt habe, um zu verdeutlichen, dass sie an die Stelle einer ähnlichen Vorschrift getreten sei, die nach Ansicht der Kommission direkt diskriminierend gewesen sei. Die Kommission hatte also nicht die Absicht, im Hinblick auf § 36 Absatz 4 UniStG eine weitere Rüge auszusprechen. Deshalb halte ich diese Vorschrift nicht für eine separate Angelegenheit. Der Einwand der Republik Österreich zu diesem Punkt ist daher nicht mehr erheblich.

14.      Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, dass die Kommission den Streitgegenstand mit ihrer Klageschrift nicht verändert oder ausgedehnt hat, so dass die Klage also zulässig ist.

Begründetheit

Zum Anwendungsbereich des Vertrages

15.      Als Erstes ist zu prüfen, ob die fragliche nationale Vorschrift, wie die Republik Österreich geltend macht, in den Rahmen der Anerkennung von Diplomen fällt oder, wie die Kommission und die Republik Finnland meinen, den Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium betrifft. Im ersteren Fall fiele diese Vorschrift, da die Gemeinschaftsgesetzgebung auf diesem Gebiet auf den Bereich der gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen beschränkt ist (6) , in die nationale Zuständigkeit, während sie im letzteren Fall in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags fiele.

16.      Der Gerichtshof hat nach Erhebung der vorliegenden Klage durch die Kommission sein Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Belgien (7) erlassen. Die Kommission hatte sich in dieser Rechtssache gegen bestimmte belgische Rechtsvorschriften gewandt, nach denen die Inhaber von Diplomen oder Zeugnissen über den erfolgreichen Sekundarschulabschluss in einem anderen Mitgliedstaat, die Zugang zum Hochschulunterricht der Französischen Gemeinschaft Belgiens begehrten, eine Eignungsprüfung bestehen mussten, wenn sie nicht in der Lage waren, nachzuweisen, dass sie in ihrem Herkunftsland ohne Zulassungsprüfung oder weitere Zugangsvoraussetzung für ein Hochschulstudium zugelassen würden. Die Kommission machte wie im vorliegenden Fall geltend, dass diese zusätzliche Voraussetzung insofern gegen die Artikel 12 EG, 149 EG und 150 EG verstoße, als sie ausschließlich auf Inhaber von in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Diplomen Anwendung finde und dadurch geeignet sei, Staatsangehörige dieser anderen Mitgliedstaaten gegenüber belgischen Staatsangehörigen zu benachteiligen.

17.      Der Gerichtshof stellte im Fall Kommission gegen Belgien meines Erachtens zutreffend fest, dass die fraglichen nationalen Vorschriften Voraussetzungen für den Zugang zum Hochschulstudium betrafen und – Bezug nehmend auf seine Entscheidung im Fall Gravier (8) und die dort zitierten früheren Rechtssachen – dass solche Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen. Außerdem verwies der Gerichtshof auf Artikel 149 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich EG, der ausdrücklich bestimmt, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft zum Ziel hat, die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern, auch durch die Förderung der akademischen Anerkennung der Diplome und Studienzeiten, und auf Artikel 150 Absatz 2 dritter Gedankenstrich EG, wonach die Tätigkeit der Gemeinschaft zum Ziel hat, die Aufnahme einer beruflichen Bildung zu erleichtern und die Mobilität der Ausbilder und der in beruflicher Bildung befindlichen Personen, insbesondere der Jugendlichen, zu fördern (9) .

18.      In Anbetracht dieses Urteils des Gerichtshofes komme ich zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass die im vorliegenden Fall fragliche Vorschrift die Voraussetzungen betrifft, unter denen Lernende, die ein nicht österreichisches Sekundarschulabschlusszeugnis besitzen, Zugang zu österreichischen Universitäten und Hochschulen erhalten können. Die streitige nationale Vorschrift fällt daher in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags und ist insbesondere im Zusammenhang mit dem in Artikel 12 EG verankerten Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu prüfen.

19.      Selbst wenn die fragliche nationale Vorschrift jedoch, wie die Republik Österreich geltend macht, in den den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Bildung vorbehaltenen Zuständigkeitsbereich fiele, wären die Mitgliedstaaten noch immer verpflichtet, die ihnen vorbehaltene Zuständigkeit unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts auszuüben, was die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung einschließt (10) .

Zur Vereinbarkeit der beanstandeten nationalen Vorschrift mit Artikel 12 EG in Verbindung mit den Artikeln 149 EG und 150 EG

20.      Nach ständiger Rechtsprechung verbietet der Grundsatz der Gleichbehandlung, der in dem in Artikel 12 Absatz 1 EG verankerten Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit eine besondere Ausprägung gefunden hat, nicht nur offensichtliche oder direkte Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch indirekte Diskriminierungen, d. h. verschleierte Formen von Diskriminierungen, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (11) . Eine Regelung ist indirekt diskriminierend, wenn sie insbesondere eine Gruppe benachteiligt, die hauptsächlich Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten umfasst und nicht aus objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen gerechtfertigt ist oder in keinem angemessenen Verhältnis zu dem mit der nationalen Vorschrift verfolgten legitimen Zweck steht (12) .

21.      Gestützt auf diese Rechtsprechung stellte der Gerichtshof im Fall Kommission gegen Belgien fest, dass „das in Rede stehende Recht die Inhaber von in einem anderen Mitgliedstaat als Belgien erworbenen Diplomen über eine höhere Schulbildung [benachteiligt], da sie nicht unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber des [belgischen Sekundarschulabschlusszeugnisses] … Zugang zu dem von der Französischen Gemeinschaft eingerichteten Hochschulunterricht haben. Das angewandte Unterscheidungsmerkmal wirkt sich hauptsächlich zum Nachteil der Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten aus.“ (13) Der Gerichtshof erklärte also ausdrücklich, dass die streitige nationale Vorschrift indirekt diskriminierend wirke. Er prüfte jedoch nicht eine etwaige Rechtfertigung, denn Belgien hatte dazu nichts vorgetragen (14) . Der Gerichtshof erkannte deshalb für Recht, dass Belgien gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 12 EG in Verbindung mit den Artikeln 149 EG und 150 EG verstoßen hat.

22.      Ich halte es mit der Kommission und der Republik Finnland für offenkundig, dass die streitige nationale Vorschrift im vorliegenden Fall Staatsangehörige der übrigen Mitgliedstaaten stärker als die österreichischen Staatsbürger betrifft und dass es demzufolge wahrscheinlich ist, dass sie die Erstgenannten in besonderem Maße benachteiligt. Die streitige nationale Vorschrift führt also zu einer indirekten Diskriminierung, sofern sie nicht aus objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der nationalen Vorschrift verfolgten legitimen Zweck steht.

Rechtfertigung

23.      Im Zusammenhang mit der Freizügigkeit können Maßnahmen, die ansonsten diskriminierend wären, aus zwei Arten von Gründen gerechtfertigt sein. Die erste Art umfasst die im EG-Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen: öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (15) . Eine zweite, nicht abschließende Art von Gründen umfasst Rechtfertigungen in Bezug auf den Schutz berechtigter nationaler Interessen, die von der Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzugefügt wurden. Nach der Rechtsprechung können direkt diskriminierende Maßnahmen im Allgemeinen nur aus Gründen gerechtfertigt sein, die im EG-Vertrag ausdrücklich vorgesehen sind. Andererseits können beide Arten von Gründen eine Rechtfertigung für indirekt diskriminierende Maßnahmen sein (16) . Als Ausnahmen vom fundamentalen Grundsatz des freien Verkehrs sind beide Arten von Rechtfertigungsgründen eng auszulegen und müssen verhältnismäßig sein.

24.      Die Kommission hat in ihrer Klageschrift vorgetragen, dass die streitige nationale Vorschrift nur aus den im EG-Vertrag ausdrücklich genannten begrenzten Gründen gerechtfertigt sein könne. Sie war also offenbar der Ansicht, dass Maßnahmen der hier streitigen Art, die formal gesehen zwar für jeden Staatsangehörigen gelten, jedoch nahezu ausschließlich Staatsangehörige der übrigen Mitgliedstaaten berühren, offensichtlichen Diskriminierungen gleichzustellen sind und demzufolge im Hinblick auf eine etwaige Rechtfertigung restriktiv gehandhabt werden müssten. Die Kommission stützte ihren Standpunkt allerdings nicht durch irgendwelche Hinweise auf die einschlägige Rechtsprechung und machte dieses Argument in der mündlichen Verhandlung nicht weiter geltend, wo sie insbesondere darauf abstellte, dass die streitige nationale Maßnahme nicht verhältnismäßig sei.

25.     Österreich trägt vor, dass die streitige nationale Vorschrift aus zwei Gründen gerechtfertigt sei: Erstens wahre sie die Einheitlichkeit des österreichischen Bildungssystems und insbesondere das politische Ziel eines unbeschränkten öffentlichen Zugangs zur Hochschulbildung in Österreich. Zweitens entspreche sie dem Erfordernis, einen Missbrauch des Gemeinschaftsrechts durch Personen zu verhindern, die ihr im EG-Vertrag festgelegtes Recht auf Freizügigkeit ausübten.

26.      Was die erste angebliche Rechtfertigung angeht, die Österreich in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, ist festzustellen, dass der Hauptzweck der österreichischen Bildungspolitik darin besteht, einen unbeschränkten Zugang zu allen Studienebenen zu gewähren. Durch diese politische Entscheidung soll der Prozentsatz der für ein Hochschulstudium qualifizierten österreichischen Bürger, der Österreich zufolge derzeit zu den niedrigsten in den Ländern der EU und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehört, erhöht werden. Angesichts dieses Zieles bestehe die Gefahr, dass dann, wenn man die Bedingungen für den Zugang zur Hochschulausbildung in den übrigen Mitgliedstaaten außer Acht lasse, das liberalere österreichische System mit Anträgen von Lernenden überschwemmt werde, die in den restriktiveren Mitgliedstaaten nicht zum Hochschulstudium zugelassen worden seien. Dieser Zustrom hätte ernste finanzielle, strukturelle und personelle Probleme zur Folge und würde das finanzielle Gleichgewicht des österreichischen Bildungssystems und letztlich dessen Bestand selbst in Frage stellen.

27.      Die Gefahr geht Österreich zufolge hauptsächlich von deutschen Antragstellern aus, die die Voraussetzungen für die Aufnahme bestimmter Universitätsstudien in Deutschland nicht erfüllt haben. Österreich hat – allerdings erst in der mündlichen Verhandlung – Schätzungen für den konkreten Fall des Medizinstudiums vorgelegt. Danach würde die voraussichtliche Anzahl der Anträge ausländischer, hauptsächlich deutscher Inhaber eines Sekundarschulabschlusszeugnisses das Fünffache der verfügbaren Studienplätze überschreiten. Außerdem werde die Hochschulbildung in Österreich von den Steuerzahlern über den nationalen Haushalt finanziert. Daher seien einige Maßnahmen zur Kontrolle der erwarteten Antragsflut erforderlich, damit der unbeschränkte öffentliche Zugang zum Studium als wesentliches Merkmal des Systems beibehalten werden könne.

28.      Die Republik Österreich verweist auf die Urteile Kohll und Vanbraekel, in denen der Gerichtshof festgestellt habe, dass „eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen [kann], der eine solche Beschränkung rechtfertigen kann (17) “.

29.      Die österreichischen Argumente überzeugen mich nicht.

30.      Erstens ist nicht klar, was mit dem Ziel gemeint ist, die Einheitlichkeit des österreichischen Systems der Hochschulausbildung zu erhalten. Nach dem allgemeinen Tenor der österreichischen Argumentation und dem Sachverhalt des Falles scheint „Einheitlichkeit“ soviel zu bedeuten wie „bevorrechtigter Zugang für österreichische Staatsangehörige“. Es ist unstreitig, dass österreichische Universitäten hauptsächlich für deutschsprachige Studenten eine realistische Alternative darstellen. Diese Gruppe dürfte offensichtlich aus deutschen Studenten und auch aus italienischen Studenten aus dem deutschsprachigen Teil Italiens an der österreichischen Grenze bestehen. Angesichts der sowohl in Deutschland als auch in Italien geltenden strengen Zugangsvoraussetzungen für bestimmte Universitätsstudien wie etwa dem der Medizin hat die streitige nationale Vorschrift – selbst wenn sie allgemein formuliert ist und für Studenten eines beliebigen Mitgliedstaats gilt – praktisch zur Folge, dass der Zugang dieser Studenten zum österreichischen System behindert wird. Offenbar soll die von diesen Studenten ausgehende Gefahr durch die streitige nationale Vorschrift behoben werden. Anders gesagt, die praktische, wenn nicht gar die beabsichtigte Folge der streitigen nationalen Vorschrift besteht darin, dass hauptsächlich den Inhabern österreichischer Sekundarabschlusszeugnisse der unbeschränkte Zugang zur Hochschulbildung erhalten wird, während er ausländischen Studenten, für die das österreichische System eine natürliche Alternative darstellt, erschwert wird. Ein solches, im Wesentlichen diskriminierendes Ziel ist mit den Zielen des Vertrages nicht vereinbar.

31.      Zweitens habe ich beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts zu der Anwendung der Feststellungen des Gerichtshofes in den Fällen Kohll und Vanbraekel über nationale Systeme der sozialen Sicherheit auf den Bereich der Hochschulausbildung einige Vorbehalte. Zunächst ist zu bemerken, dass die Fälle Kohll und Vanbraekel mit der Anerkennung rein wirtschaftlicher Ziele als mögliche Rechtfertigungsgründe eine Abweichung von der strengen Auffassung des Gerichtshofes darstellen, dass solche Ziele eine Beschränkung der im Vertrag garantierten Grundfreiheiten nicht rechtfertigen können (18) . Sie bilden nämlich eine zweifache Ausnahme, erstens von den fundamentalen Grundsätzen der Freizügigkeit und zweitens von den anerkannten Gründen, aus denen diese Ausnahmen gerechtfertigt sein können. Insofern ist jede Rechtfertigung, die sich auf diese Fälle stützt, insbesondere wenn dies in analoger Weise erfolgt, mit Bedacht vorzunehmen (19) .

32.      Die Bestimmungen des EG-Vertrags über Tätigkeiten der Gemeinschaft auf den Gebieten der Gesundheit (Artikel 152 EG), Bildung (Artikel 149 EG) und beruflichen Bildung (Artikel 150 EG) sind zwar alle sehr ähnlich formuliert und bringen den gleichen Gedanken der ergänzenden Natur der gemeinschaftlichen Tätigkeit zum Ausdruck (20) . Wirtschaftlich betrachtet gehören außerdem die Gesundheits- und Bildungssysteme zusammen mit der Verteidigung zu den wichtigsten Posten der öffentlichen Ausgaben in der EU (21) .

33.      Trotz dieser Ähnlichkeiten gibt es aber nicht zu übersehende Unterschiede. Der offenkundigste Unterschied ist nach dem Gemeinschaftsrecht, dass der Gerichtshof festgestellt hat, dass der mit öffentlichen Mitteln finanzierte öffentliche Gesundheitsdienst in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit fällt (22) . Demzufolge müssen Leistungen, die ein Mitgliedstaat seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt, grundsätzlich auch Leistungsempfängern gewährt werden, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats haben. In Anbetracht der wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen dieser Rechtsprechung und des sensiblen Charakters des öffentlichen Gesundheitswesens und seiner Finanzierung (23) ist es vielleicht nicht überraschend, dass der Gerichtshof in den Fällen Kohll und Vanbraekel entgegen seiner ständigen Rechtsprechung die Möglichkeit einer auf wirtschaftliche Gründe gestützten Ausnahme für Dienstleistungen zuließ, die im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens erbracht werden.

34.      Eine im Wesentlichen mit öffentlichen Mitteln finanzierte Hochschul- und Universitätsausbildung wurde demgegenüber nicht als Dienstleistung im Sinne von Artikel 49 EG angesehen (24) . Das Studenten nach dem EG-Vertrag im Rahmen der Freizügigkeit zustehende Recht auf Gleichbehandlung wurde von der Rechtsprechung und in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften bislang nur in begrenztem Maße anerkannt. Unterhaltszuschüsse fallen zum gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags (25) . In gesetzgeberischer Hinsicht bietet die Richtlinie 93/96 über das Aufenthaltsrecht der Studenten (26) dadurch, dass sie bestimmt, dass Studenten aus anderen Mitgliedstaaten die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats „nicht über Gebühr belasten“ dürfen, ausreichende Mittel für ihren Unterhalt nachweisen müssen und keinen Anspruch auf Unterhaltszuschüsse haben, den Mitgliedstaaten eine spezielle Handhabe, um die durch die Freizügigkeit von Studenten verursachte potenzielle Last für ihren nationalen Haushalt auf ein Minimum zu begrenzen (27) .

35.      Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen dem öffentlichen Bildungs- und dem öffentlichen Gesundheitswesen. Patienten überschreiten die Grenzen mehr aufgrund einer Notwendigkeit, Studenten eher aufgrund ihrer Entscheidung. Außerdem reisen Patienten zum Erhalt einer spezifischen medizinischen Behandlung, um anschließend in ihr Heimatland zurückzukehren. Studenten hingegen verbleiben während ihrer gesamten Studienzeit im Aufnahmemitgliedstaat, nehmen am örtlichen sozialen und kulturellen Leben teil und tendieren häufig dazu, sich zu integrieren. Kurz gesagt, die Merkmale von Studenten, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben, sind nicht die gleichen wie die von Empfängern medizinischer Dienstleistungen, die ihr entsprechendes Recht ausüben.

36.      Das auf ausländische Studenten angewandte „Trittbrettfahrer“-Argument ist nicht neu und hat, wie Generalanwalt Slynn in seinen Schlussanträgen im Fall Gravier dargelegt hat, einiges für sich (28) . Danach ernten Studenten, die zum Studium ins Ausland ziehen, die Vorteile des in anderen Mitgliedstaaten gebotenen, mit öffentlichen Mitteln finanzierten Bildungswesens, ohne durch nationale Steuern zu dessen Finanzierung beizutragen, und sie zahlen auch nicht unbedingt dadurch etwas zurück, dass sie im Aufnahmemitgliedstaat bleiben, um dort ihren Beruf auszuüben (29) .

37.      Der Gerichtshof hat es in seiner Rechtsprechung über die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung, wozu das Hochschul- und Universitätsstudium gehört, nicht für nötig gehalten, dieses Argument zu prüfen, und es schon gar nicht als einen Grund für eine Ausnahme angesehen (30) . Er hat, wie gesagt, stillschweigend die finanziellen Auswirkungen behandelt, die sich für die nationalen Haushalte aus den im EG-Vertrag anerkannten Rechten von Studenten ergeben können, indem er Ansprüche von Studenten auf Studienbeihilfen ausgeschlossen hat.

38.      Trotzdem mag es nützlich sein, dieses Thema, das viele Mitgliedstaaten betrifft, kurz zu behandeln. Angesichts der Tatsache, dass Studenten nur dann in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen (31) , wenn die gewählten Fächer sie auf den Zugang zum Arbeitsmarkt vorbereiten, ist in der EU zwischen zwei Arten der Mobilität von Studenten zu unterscheiden.

39.      Erstens gibt es Studenten, die, ungeachtet der sprachlichen Barrieren, wegen der in anderen Mitgliedstaaten gebotenen ausgezeichneten Studien ins Ausland gehen und/oder weil diese Auslandsstudien ihren beruflichen Vorstellungen oder Talenten besser entsprechen. Sobald sie ihr Studium abgeschlossen haben, sind ihre Möglichkeiten für eine Mobilität innerhalb der EU erheblich größer, und es ist viel wahrscheinlicher, dass sie ihr Berufsleben teilweise oder in Gänze in einem anderen Land als dem ihrer Herkunft verbringen werden, mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen. Dadurch werden sie zu entscheidenden Faktoren, indem sie ihr erworbenes Wissen in der ganzen EU verbreiten, an der Integration des europäischen Arbeitsmarkts mitwirken und letztlich, im Licht der dem EG-Vertrag zugrunde liegenden Ziele besehen, zu einer „immer engeren Union“ beitragen. Die staatliche Investition in die Ausbildung dieser ausländischen Studenten ist in Anbetracht der allgemeinen Vorteile, die sie der EU bringen, für den Aufnahmestaat entweder ein direkter Gewinn, da die Studenten anschließend in dessen Arbeitsmarkt eintreten, oder ein indirekter Gewinn aufgrund der Vorteile, die der EU insgesamt entstehen.

40.      Zweitens gibt es Studenten, die Zugang zu liberaleren benachbarten Ausbildungssystemen suchen, um den Beschränkungen in ihrem Herkunftsmitgliedstaat zu entgehen. Zumindest ursprünglich haben sie die Absicht, in ihren Herkunftsmitgliedstaat zurückzukehren, sobald sie ihr Studium abgeschlossen haben. Zu dieser Kategorie dürften die Studenten gehören, von denen Österreich befürchtet, dass sie sein System überschwemmen könnten. Meistens sind in diesen Fällen sprachliche Barrieren unerheblich, denn der Unterricht wird im Allgemeinen in einer Sprache erteilt, die von den ausländischen Studenten entweder gut verstanden oder gar gesprochen wird. Die Nähe des Standorts der Hochschule zum Herkunftsort der ausländischen Studenten dürfte weitere Hindernisse für die Mobilität der Studenten ebenfalls verringern. Die Mobilität dieser zweiten Kategorie von Studenten fördert die Integration zwar ähnlich wie bei der ersten Kategorie, jedoch in geringerem Maße. Das „Trittbrettfahrer“-Argument ist im Hinblick auf Studenten der zweiten Kategorie überzeugender.

41.      Es fragt sich, ob diese zwei Situationen rechtlich unterschiedlich behandelt werden sollten oder können. Das ist meines Erachtens zu verneinen. Der gegenwärtige Stand der Rechtsprechung gibt dafür keine Grundlage her. Beide Arten von Studenten genießen – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen – individuelle Rechte, die ihnen im EG-Vertrag eingeräumt wurden (32) , und ich meine nicht, dass die Motive für die Wahl der einen oder der anderen Hochschule irgendeine Auswirkung auf den Umfang dieser Rechte haben sollten, vorausgesetzt natürlich, dass es zu keinem Missbrauch kommt – ein Thema, mit dem ich mich im Zusammenhang mit der zweiten von Österreich geltend gemachten Rechtfertigung befassen werde.

42.      Aus all diesen Gründen bin ich nicht davon überzeugt, dass das öffentliche Bildungswesen und das öffentliche Gesundheitswesen beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts automatisch in analoger Weise behandelt werden können. Die Anwendung der – wie von Österreich geltend gemacht – in den Fällen Kohll and Vanbraekel entwickelten Rechtfertigungsgründe auf den Bereich der mit öffentlichen Mitteln finanzierten Hochschulausbildung ist daher meines Erachtens nicht unbedingt angebracht.

43.      Das Ergebnis könnte jedoch ein anderes sein, wenn der Gerichtshof bestätigen sollte, dass Studenten gestützt auf die Rechte, die sie aus ihrem Status als EG-Bürger ableiten, Anspruch auf Studienbeihilfen in welcher Form auch immer haben können. Ihre gemeinschaftlichen Rechte und die entsprechenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten wären dann praktisch die gleichen wie die von Dienstleistungsempfängern. Unter diesen Umständen würde die durch die Freizügigkeit der Studenten verursachte finanzielle Belastung für den Staatshaushalt erheblich, was meiner Ansicht nach durchaus ein Anlass wäre, wirtschaftliche Gründe als mögliche Rechtfertigungsgründe heranzuziehen.

44.      Der Gerichtshof hat nämlich in seiner jüngeren Rechtsprechung zu Beihilfeforderungen, die von Studenten, Grzelczyk (33) und D’Hoop (34) , erhoben worden waren, anerkannt, dass EU-Bürger, die als Studenten von ihrem Freizügigkeitsrecht nach dem EG-Vertrag Gebrauch gemacht haben, als EU-Bürger gemäß den Artikeln 17 EG und 18 EG Anspruch auf soziale Vergünstigungen haben. Er erkannte für Recht: „Dieser Unionsbürgerstatus soll bestimmungsgemäß der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, die, wenn sie sich in der gleichen Situation befinden, aufgrund dieses Status im sachlichen Geltungsbereich des EG-Vertrags vorbehaltlich der hiervon ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung haben.“ (35) Die Kläger waren zwar keine Arbeitnehmer (oder gleichgestellte Personen wie Familienangehörige) im Sinne des Gemeinschaftsrechts, jedoch fielen sie aufgrund der Tatsache, dass sie ihr Recht ausgeübt hatten, sich innerhalb der Mitgliedstaaten als Studenten zu bewegen und aufzuhalten, in den Anwendungsbereich des Vertrages und waren dadurch berechtigt, die sozialen Vergünstigungen, die Bürgern des Aufnahmemitgliedstaats geboten werden, aufgrund ihrer Eigenschaft als EU-Bürger in Anspruch zu nehmen.

45.      Im Fall Grzelczyk vertrat der Gerichtshof, nachdem er auf seine Ausführungen im Fall Brown hingewiesen hatte, wonach eine Förderung, die Studenten für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt wird, grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags fällt, trotz allem die Auffassung, dass dieses Urteil u. a. aufgrund der seit dem Fall Brown in den EG-Vertrag eingeführten neuen Vorschriften über Bildung dem nicht entgegenstehe, dass der Kläger aufgrund seiner Eigenschaft als EU-Bürger verlange, ihm das Existenzminimum zu gewähren, das Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befänden, geleistet werde. Im Fall D’Hoop verband der Gerichtshof den aufkommenden Gedanken der Unionsbürgerschaft mit dem Bereich der Bildung. Er stellte fest, dass die im EG-Vertrag für die Freizügigkeit gebotenen Möglichkeiten ihre volle Wirkung nicht entfalten könnten, wenn ein Bürger eines Mitgliedstaats benachteiligt werde, der von diesen Möglichkeiten Gebrauch mache. Das gelte insbesondere aufgrund der mit Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe q EG und Artikel 149 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich EG im Bereich der Bildung angestrebten Ziele, die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern (36) .

46.      Der Gerichtshof mag in diesen Fällen zwar den Weg dafür bereitet haben, den gegenwärtigen Umfang der Ansprüche von Studenten auf Studienbeihilfen über die Unterrichts- und Immatrikulierungsgebühren hinaus auszuweiten (37) . Sollte er diesen Ansatz bestätigen, müsste der Umfang der den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden möglichen Rechtfertigungsgründe meines Erachtens jedoch ebenso ausgeweitet werden, und zwar in Einklang mit der Rechtsprechung über Empfänger von Leistungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Gerichtshof seine Urteile in den Fällen Grzelczyk und D’Hoop vorsichtig formuliert und im Fall D’Hoop darauf hingewiesen hat, dass vom Kläger für einen Anspruch auf die fragliche soziale Leistung verlangt werden kann, nachzuweisen, dass ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen ihm und dem betroffenen räumlichen Arbeitsmarkt besteht (38) .

Prüfung der Verhältnismäßigkeit

47.      Wie dem auch immer sei, selbst wenn die von Österreich angestrebten Ziele berechtigt im Sinne des EG-Vertrags sein sollten, wäre die streitige nationale Vorschrift meiner Ansicht nach noch immer unverhältnismäßig. Da die tatsächliche Wirkung oder gar der Zweck der streitigen nationalen Vorschrift der ist, Anträge von deutschsprachigen Studenten aus anderen Mitgliedstaaten zu verhindern, und man sich zur Rechtfertigung dieser Wirkung auf die Urteile Kohll und Vanbraekel stützt, meine ich, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders gründlich durchgeführt werden sollte.

48.      In der mündlichen Verhandlung nannte Österreich fünf mögliche Alternativen zum gegenwärtigen System und kam zu dem Ergebnis, dass die streitige nationale Vorschrift das zur Erreichung des angestrebten Zieles am wenigsten einschneidende Mittel sei. Erstens sei die unbeschränkte Öffnung der österreichischen Hochschulen und Universitäten für Inhaber eines ausländischen Sekundarschulabschlusszeugnisses in Anbetracht der daraus resultierenden finanziellen und strukturellen Schwierigkeiten keine praktikable Lösung. Zweitens wäre die Festlegung von Quoten für ausländische Studenten eine stärkere Einschränkung als das mit der streitigen nationalen Vorschrift vorgeschriebene System. Drittens würde die fallweise Prüfung der Qualifikationen von Bewerbern mit nicht österreichischem Abschlusszeugnis mit der möglichen Einführung einer Prüfung der Gleichwertigkeit zu viele praktische Probleme aufwerfen und weitere Hindernisse für die Freizügigkeit schaffen. Viertens würde die Einführung einer Aufnahmeprüfung, die für Inhaber eines österreichischen und Inhaber eines nicht österreichischen Abschlusszeugnisses gleichermaßen gelten würde, die berechtigte politische Entscheidung vereiteln, einen unbeschränkten öffentlichen Zugang zur österreichischen Hochschul- und Universitätsausbildung zu verschaffen. Außerdem könnte das Ziel, den Prozentsatz der österreichischen Bürger mit einer Hochschul- oder Universitätsausbildung zu erhöhen, durch die voraussichtliche Antragsflut durch nicht österreichische Bewerber gefährdet werden. Gleiches würde für die fünfte Alternative gelten, nämlich für die Einführung eines Erfordernisses eines Mindestnotendurchschnitts in der Sekundarschule für den Zugang zur Hochschulausbildung.

49.      Es ist, wie der Gerichtshof festgestellt hat, Sache der nationalen Behörden, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit geltend machen, in jedem Einzelfall nachzuweisen, dass ihre Regelungen erforderlich und verhältnismäßig sind, um das angestrebte Ziel zu erreichen (39) . Vor allem, was die Ausnahme zum Schutz der Gesundheit in Artikel 30 EG angeht, hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine eingehende Prüfung des angeblichen Risikos durchgeführt werden muss, auf das sich der Mitgliedstaat beruft, der diese Ausnahmeregelung geltend macht (40) . Dies sind allgemein geltende Grundsätze, die für den vorliegenden Fall aus den vorstehend unter Nummer 47 genannten Gründen von besonderer Bedeutung sind.

50.     Österreich ist es meines Erachtens nicht gelungen, angemessen darzulegen, dass das finanzielle Gleichgewicht seines Bildungssystems gestört würde, wenn die streitige nationale Vorschrift aufgehoben würde. Die dem Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zahlen beziehen sich nur auf den Fall von Medizinstudien und den potenziellen Zustrom deutschsprachiger Bewerber zu diesen. Zu anderen Studienfächern wurden keine Schätzungen vorgelegt. Ich glaube nicht, dass dieser Teilbeweis auf eine ernste Gefahr für den Fortbestand des gesamten österreichischen Systems der Hochschulausbildung schließen lässt.

51.      Außerdem haben die österreichischen Bevollmächtigten auf Fragen des Gerichtshofes eingeräumt, dass mit der streitigen nationalen Vorschrift im Wesentlichen ein präventiver Zweck verfolgt wird. Da die streitige nationale Vorschrift hauptsächlich zu präventiven Zwecken eine allgemein diskriminierende Behandlung vorsieht und zu deren Rechtfertigung unzureichende Beweise vorgelegt worden sind, halte ich das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit unter diesen Umständen für nicht erfüllt.

52.      Welche Maßnahmen Österreich auch immer erlässt, um eine Gefahr für das finanzielle Gleichgewicht seines Systems der Hochschulausbildung abzuwenden, sie müssen auf jeden Fall mit dem EG-Vertrag in Einklang stehen, insbesondere mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Einer überhöhten Nachfrage nach Zulassung zu speziellen Fächern könnte man durch den Erlass spezifischer, nicht diskriminierender Maßnahmen, z. B. einer Aufnahmeprüfung oder einer Mindestnote, begegnen, und man würde damit den Anforderungen des Artikels 12 EG genügen. Außerdem könnte im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht meines Erachtens eine Einheitlichkeit – falls damit die Gewährleistung der Gleichwertigkeit der Qualifikationen von Studenten beim Zugang zu österreichischen Hochschulen und Universitäten gemeint ist – besser dadurch hergestellt werden, dass geprüft würde, ob die ausländischen Qualifikationen denen entsprechen, die von den Inhabern österreichischer Abschlusszeugnisse verlangt werden. Die Tatsache, dass die Umsetzung solcher Maßnahmen zu praktischen oder gar finanziellen Schwierigkeiten führen würde, reicht als Rechtfertigung nicht aus (41) .

53.      Der Erlass dieser weniger diskriminierenden Maßnahmen würde eindeutig Änderungen des derzeitigen Systems eines unbeschränkten öffentlichen Zugangs erfordern. Da es keine gemeinschaftlichen Maßnahmen zur Regelung der grenzüberschreitenden Studentenströme gibt, würden diese Änderungen die Notwendigkeit der Erfüllung der Verpflichtungen zum Ausdruck bringen, die sich aus dem im EG-Vertrag festgelegten Grundsatz der Gleichbehandlung ergeben. Die von Österreich geltend gemachten Gefahren beschränken sich nicht nur auf dessen System; sie bestehen vielmehr genauso, wenn nicht gar noch mehr, in anderen Mitgliedstaaten, deren Systeme der Hochschulausbildung Studenten in größerer Zahl anziehen (42) . Zu diesen Mitgliedstaaten gehört Belgien, dessen ähnlich gestaltete Beschränkungen, wie gesagt, für rechtswidrig erklärt wurden. Andere Mitgliedstaaten haben in ihren Systemen der nationalen Bildung die erforderlichen Änderungen vorgenommen, um mit dieser Nachfrage unter Einhaltung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen fertig zu werden. Wollte man die von Österreich vorgetragenen Rechtfertigungsgründe anerkennen, so hieße das, den Mitgliedstaaten zu gestatten, ihre Systeme der Hochschulausbildung aufzusplittern. In diesem Zusammenhang ist auf das Urteil Grzelczyk zu verweisen, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Richtlinie 93/96 über das Aufenthaltsrecht der Studenten „eine bestimmte finanzielle Solidarität der Angehörigen dieses Staates mit denen der anderen Mitgliedstaaten an[erkennt]“, die auch Österreich bekunden muss (43) .

54.      Was die zweite von Österreich vorgetragene Rechtfertigung eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht angeht, hat der Gerichtshof in den Fällen Knoors (44) and Bouchoucha (45) anerkannt, dass ein Mitgliedstaat ein berechtigtes Interesse daran haben kann, zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung ihrer nationalen Berufsausbildungsvorschriften entziehen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob diese Fälle die österreichische Auffassung in irgendeiner Weise stützen.

55.      Erstens ging es in beiden Fällen um Maßnahmen, die Mitgliedstaaten gegen Missbräuche erlassen hatten, die von ihren eigenen Staatangehörigen begangen worden waren, indem sie sich auf die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit stützten, um strengere nationale Regelungen über berufliche Qualifikationen zu umgehen. Wie die Kommission zutreffend geltend macht, kann schwerlich akzeptiert werden, dass den Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der Vorwurf gemacht wird, sie missbrauchten die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit, indem sie versuchten, unter denselben Bedingungen und Voraussetzungen wie Inhaber gleichwertiger österreichischer Zeugnisse Zugang zum österreichischen System der Hochschulausbildung zu erlangen. Das ist vielmehr gerade das Ziel dieser Bestimmungen (46) .

56.      Außerdem entspricht es auch der ständigen Rechtsprechung, dass die Frage eines Missbrauchs des Gemeinschaftsrechts eine Frage des Einzelfalls ist, wobei die besonderen Umstände des Einzelfalls und die Beweislage gebührend zu berücksichtigen sind (47) . Eine allgemeine und unspezifizierte Regelung, die – wie die streitige nationale Vorschrift – automatisch und unterschiedslos auf alle Inhaber eines ausländischen Sekundarschulabschlusszeugnisses Anwendung findet, entspricht kaum diesen Kriterien und ist aus denselben Gründen auch unverhältnismäßig.

Zu dem aus internationalen Übereinkommen hergeleiteten Argument

57.     Österreich trägt als letztes Argument gegen die Klage der Kommission vor, dass die streitige nationale Vorschrift mit zwei Vereinbarungen des Europarats in Einklang stehe, der Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse vom 11. Dezember 1953 und dem Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region vom 11. April 1997. Dieses Argument kann kurz behandelt werden.

58.      Zu den genannten Übereinkommen im Rahmen des Europarats genügt, wie die Kommission bemerkt, folgender Hinweis: „Artikel 234 Absatz 1 EG-Vertrag erlaubt es den Mitgliedstaaten, ihre Verpflichtungen aus vor dem EWG-Vertrag geschlossenen internationalen Übereinkünften gegenüber Drittstaaten einzuhalten, ermächtigt sie jedoch nicht, Rechte aus solchen Übereinkünften in den innergemeinschaftlichen Beziehungen geltend zu machen.“ (48) Österreich kann sich daher nicht auf die Vorschriften der Konvention von 1953 stützen, um seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zu umgehen.

59.      Hinsichtlich des Übereinkommens von 1997 ist Österreich gemäß Artikel 10 EG verpflichtet, keine internationalen Verpflichtungen zu übernehmen, die die Gemeinschaft bei der Ausführung der ihr übertragenen Aufgaben behindern könnten (49) . Diese Verpflichtung nach Artikel 10 EG erfasst alle nationalen Maßnahmen zur Umsetzung des Übereinkommens von 1997, die eine solche Wirkung hatten.

I – Ergebnis

60.      Aus all diesen Gründen meine ich, der Gerichtshof sollte

1.
feststellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Pflichten aus den Artikeln 12 EG, 149 EG und 150 EG verstoßen hat, dass sie nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber von in Österreich erworbenen Abschlüssen Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich haben;

2.
der Republik Österreich die Kosten des Verfahrens auferlegen, mit Ausnahme der Kosten der Republik Finnland, die als Streithelferin ihre eigenen Kosten zu tragen hat.


1
Originalsprache: Englisch.


2
Siehe u. a. Urteil vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache 124/81 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1983, 203, Randnr. 6).


3
Siehe u. a. Urteil vom 9. September 2004 in der Rechtssache C‑195/02 (Kommission/Spanien, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 36).


4
Siehe u. a. Urteil vom 20. Juni 2002 in der Rechtssache C-287/00 (Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I‑5811, Randnr. 18).


5
Siehe u. a. Urteil vom 16. September 1997 in der Rechtssache C-279/94 (Kommission/Italien, Slg. 1997, I‑4743, Randnr. 25).


6
Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG (ABl. L 209, S. 25) und Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16).


7
Urteil vom 1. Juli 2004 in der Rechtssache C-65/03 (Slg. 2004, I‑0000).


8
Urteil vom 13. Februar 1985 in der Rechtssache 293/83 (Slg. 1985, 593).


9
Randnr. 25 des Urteils.


10
  Siehe Urteil vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C-55/00 (Gottardo, Slg. 2002, I‑413, Randnrn. 31 bis 33, und die dort zitierte Rechtsprechung).


11
Kommission/Belgien (Randnr. 28 des Urteils), siehe oben, Fußnote 7.


12
Vgl. u. a. Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑224/98 (D’Hoop, Slg. 2002, I‑6191, Randnr. 36).


13
Kommission/Belgien (Randnr. 29 des Urteils), siehe oben, Fußnote 7.


14
Ebenda (Randnrn. 29 f.).


15
Artikel 39 Absatz 3 EG und Artikel 46 EG.


16
wie ich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑76/90 (Säger, Slg. 1991, I‑4221) in Bezug auf den freien Dienstleistungsverkehr erklärt habe – die Rechtsprechung über objektive Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit zur Anwendung kommen.


17
Urteile vom 28. April 1998 in der Rechtssache C‑158/96 (Kohll, Slg. 1998, I‑1931, Randnr. 41) und vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C‑368/98 (Vanbraekel, Slg. 1998, I‑5363, Randnr. 47). Zu diesen Urteilen und ihren Folgen siehe V. Hatzopoulos in „Killing national health and insurance systems but healing patients? The European market for health-care services after the judgments of the ECJ in Vanbraekel and Peerbooms“ (2002), S. 39, Common Market Law Review, S. 683 bis 729.


18
Vgl. u. a. Urteile vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C‑388/01 (Kommission/Italien, Slg. 2003, I‑721, Randnr. 13) und vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C‑35/98 (Verkooijen, Slg. 2000, I‑4071, Randnr. 48).


19
In beiden Fällen stellte der Gerichtshof aufgrund des jeweiligen Sachverhalts fest, dass die genannte Gefahr nicht besteht.


20
In den Artikeln 149 EG und 150 EG ist bestimmt, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung erfolgt. Zum Gesundheitswesen heißt es in Artikel 152 EG entsprechend, dass bei der Tätigkeit der Gemeinschaft die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt wird.


21
Die Daten für das Jahr 2001 zeigen, dass die öffentlichen Ausgaben in der EU in allen Bereichen der Bildung im Durchschnitt 5,5 % des BIP betragen. Betrachtet man die öffentlichen Ausgaben allein für die Hochschul- und Universitätsbildung, so liegt der Prozentsatz in der EU im Durchschnitt bei 1,4 % des BIP. Die öffentlichen Ausgaben im Gesundheitswesen beliefen sich im Jahr 2002 im Durchschnitt auf 6,4 % des BIP. Die öffentlichen Ausgaben Österreichs für beide Sektoren entsprechen in etwa dem Durchschnitt: 5,8 % des BIP für Bildung, davon 1,4 % für Hochschul- und Universitätsbildung, und 5,4 % des BIP für das Gesundheitswesen. Quelle: OECD 2004.


22
Vgl. Urteil Kohll, das gemäß einigen Verfassern „für die Finanzierung der sozialen Sicherheit und des Gesundheitsdienstes tief greifende Auswirkungen hatte“, V. Hatzopoulos, S. 688 seines Artikels (siehe oben, Fußnote 17).


23
Urteil vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C‑157/99 (Peerbooms, Slg. 2001, I‑5473), das am selben Tag wie das Urteil Vanbraekel erging und in dem der Gerichtshof anerkannte, dass „der Sektor der Krankenhausversorgung bekanntlich erhebliche Kosten verursacht und wachsenden Bedürfnissen entsprechen muss, während die finanziellen Mittel, die für die Gesundheitspflege bereitgestellt werden können, unabhängig von deren Art und Weise der Finanzierung nicht unbegrenzt sind“ (Randnr. 79 des Urteils).


24
Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 263/86 (Humbel, Slg. 1988, 5365, Randnrn. 17 bis 19) und vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C‑109/92 (Wirth, Slg. 1993, I‑6447, Randnrn. 15 bis 19). Siehe auch die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer im Fall Peerbooms (siehe oben, Fußnote 23), in denen er unter Hinweis auf die Feststellungen des Gerichtshofes im Fall Humbel zum öffentlichen Bildungswesen die Auffassung vertrat, dass vom Staat unentgeltlich gewährte Gesundheitsdienstleistungen wegen fehlender Entgeltlichkeit nicht als Dienstleistungen anzusehen seien. Diese Auffassung wurde vom Gerichtshof jedoch verworfen.


25
Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 197/86 (Brown, Slg. 1988, 3205, Randnr. 18). Siehe aber auch Urteile vom 20. September 2001 in der Rechtssache C‑184/99 (Grzelczyk, Slg. 2001, I‑6193) und im Fall D'Hoop (siehe oben, Fußnote 12), auf die nachstehend in den Nrn. 44 bis 46 eingegangen wird, sowie die Schlussanträge vom 11. November 2004 von Generalanwalt Geelhoed in der Rechtssache C‑209/03 (Bidar, Slg. 2004, I‑0000).


26
Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten, ABl. L 317, S. 59.


27
In diesem Zusammenhang verstärkt Artikel 24 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 (ABl. L 158, S. 77) – mit der u. a. die Richtlinie 93/96 aufgehoben wird, sobald die Umsetzungsmaßnahmen auf nationaler Ebene bis April 2006 erlassen worden sind – diesen Ansatz, indem er Studenten, die sich nicht fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, keinen Anspruch auf Studienbeihilfe in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens gewährt.


28
Schlussanträge von Generalanwalt Slynn im Fall Gravier (siehe oben, Fußnote 8). Vgl. im Allgemeinen J.‑C. Scholsem, „A propos de la circulation des étudiants: vers un fédéralisme financier européen?“, Cahiers de Droit Européen (1989), Nr. 3/4, S. 306 bis 324, und A. P. Van der Mei, „Free Movement of Persons Within the EC – Cross-border Access to Public Benefits“, Hart, Oxford (2003), S. 422 ff.


29
Auch wenn Studenten zum Steuersystem des Staates, in dem sie studieren, nicht direkt beitragen mögen, sind sie für die örtliche Wirtschaft am Ort der Hochschule oder Universität eine Einnahmequelle, und in begrenztem Maße durch die indirekten Steuern auch für den nationalen Fiskus. Zur Bedeutung der Zahlungen, die von Steuerpflichtigen erbracht werden, um staatlich finanzierte Vergünstigungen zu erhalten, siehe die Ausführungen von Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen im Fall Bidar, zitiert in Fußnote 25 (Nr. 65). Logisch durchdacht, meint er, bedeute dieses Argument, dass kein Anspruch auf eine staatliche Vergünstigung bestehe, wenn kein Beitrag durch Steuerzahlung oder nur ein bescheidener Beitrag geleistet wurde.


30
Vgl. die Argumente der belgischen Regierung im Fall Gravier (Randnr. 12 des Urteils). Vgl. auch die Ausführungen des Vereinigten Königreichs in der Rechtssache 39/86 (Urteil vom 21. Juni 1988, Lair, Slg. 1988, 3161, Zusammenfassung S. 3169 f.) und im Fall Bidar (siehe oben, Fußnote 25). Letztere hat Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen (Nr. 65) in derselben Rechtssache zusammengefasst.


31
Gravier (siehe oben, Fußnote 8) und Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 24/86 (Blaizot, Slg. 1988, 379).


32
Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer festgestellt, dass die Absichten, die einen Arbeitnehmer aus einem Mitgliedstaat möglicherweise dazu veranlasst haben, in einem anderen Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, hinsichtlich seines Rechts auf Einreise in das Hoheitsgebiet des letztgenannten Staates und auf Aufenthalt in diesem Gebiet belanglos sind, wenn er dort tatsächlich eine echte Tätigkeit ausübt oder ausüben will: Urteile vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81 (Levin, Slg. 1982, 1035, Randnr. 23) und vom 23. September 2003 in der Rechtssache C‑109/01 (Akrich, Slg. 2003, I‑9607, Randnr. 55).


33
Siehe oben, Fußnote 25.


34
Siehe oben, Fußnote 12.


35
Urteile D’Hoop (Randnr. 28) und Grzelczyk (Randnr. 31).


36
Urteil D’Hoop (Randnrn. 31 f.)


37
Siehe auch die Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed im Fall Bidar (siehe oben, Fußnote 25), in denen er gestützt auf diese Rechtsprechung über die Vorschriften des Vertrages über die Unionsbürgerschaft die Auffassung vertritt, dass eine Beihilfe zu Unterhaltskosten für Studenten einer Hochschule nicht mehr außerhalb des Anwendungsbereichs von Artikel 12 EG liege.


38
Urteil D’Hoop (Randnr. 38, siehe oben, Fußnote 12). Diese Einschränkung wurde in dem Urteil vom 23. März 2004 in der Rechtssache C‑138/02 (Collins, Slg. 2004, I‑0000) bestätigt, wenngleich sich diese Rechtssache nicht auf den Bereich des öffentlichen Bildungswesens bezieht.


39
Im Zusammenhang mit der Ausnahme zum Schutz der Gesundheit in Artikel 30 EG vgl. die Urteile vom 5. Februar 2004 in den Rechtssachen C‑24/00 (Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 53) und C‑270/02 (Kommission/Italien, Slg. 2004, I‑0000, Randnrn. 20 bis 22, und die dort zitierte Rechtsprechung).


40
Urteil Kommission/Frankreich (siehe oben, Fußnote 39, Randnr. 54) und Urteil vom 23. September 2003 in der Rechtssache C‑192/01 (Kommission/Dänemark, Slg. 2003, I‑9693, Randnr. 47).


41
Vgl. u. a. Urteil vom 5. Juli 1990 in der Rechtssache C‑42/89 (Kommission/Belgien, Slg. 1990, I‑2821, Randnr. 24).


42
Im Jahr 2000 war das Vereinigte Königreich bei weitem der größte „Nettoimporteur“ von ausländischen Studenten. Quelle: OECD 2002.


43
Urteil Grzelczyk (Randnr. 44, siehe oben, Fußnote 25).


44
Urteil vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 115/78 (Knoors, Slg. 1979, 399).


45
Urteil vom 3. Oktober 1990 in der Rechtssache C‑61/89 (Bouchoucha, Slg. 1990, I‑3551).


46
Siehe zu diesem Punkt die Ausführungen von Generalanwalt La Pergola in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑212/97 (Centros, Slg. 1999, I‑1459, insbesondere Nr. 20).


47
Urteile vom 21. November 2002 in der Rechtssache C‑436/00 (X und Y, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 42) und im Fall Centros (siehe oben, Fußnote 46, Randnr. 25).


48
Urteil des Gerichtshofes vom 2. Juli 1996 in der Rechtssache C‑473/93 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1996, I‑3207, Randnr. 40, und die dort zitierte Rechtsprechung).


49
Urteil vom 14. Juli 1976 in den Rechtssachen 3/76, 4/76 und 6/76 (Kramer u. a., Slg. 1976, 1279).