Rechtssache C-259/02


La Mer Technology Inc.
gegen
Laboratoires Goemar SA



(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division)

«Artikel 104 Absatz 3 der Verfahrensordnung – Marken – Richtlinie 89/104/EWG – Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 – Verfall der Rechte des Markeninhabers – Begriff der ernsthaften Benutzung einer Marke»

Beschluss des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 27. Januar 2004
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Leitsätze des Beschlusses

1.
Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Gründe für den Verfall der Marke – Fehlende „ernsthafte Benutzung“ der Marke – Begriff

(Richtlinie 89/104 des Rates, Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1)

2.
Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Gründe für den Verfall der Marke – Fehlende „ernsthafte Benutzung“ der Marke – Berücksichtigung von Umständen, die nach der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung liegen – Zulässigkeit – Entscheidung des nationalen Gerichts

(Richtlinie 89/104 des Rates, Artikel 12 Absatz 1)

1.
Die Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104 über die Marken sind dahin auszulegen, dass eine Marke „ernsthaft benutzt“ wird, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren ­ benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch diese Marke verliehenen Rechte dienen. Die Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke. Wenn unter den genannten Voraussetzungen eine wirkliche geschäftliche Rechtfertigung vorliegt, kann selbst eine geringfügige Benutzung der Marke oder eine Benutzung, die nur von einem Importeur in dem betroffenen Mitgliedstaat ausgeht, als ausreichend angesehen werden, um das Vorliegen der Ernsthaftigkeit im Sinne dieser Richtlinie zu belegen.

(vgl. Randnr. 27, Tenor 1)

2.
Die Erste Richtlinie 89/104 über die Marken zieht zwar bei der Beurteilung der „ernsthaften Benutzung“ der Marke im Sinne von ihrem Artikel 12 Absatz 1 nur Umstände in Betracht, die innerhalb des einschlägigen Zeitraums liegen und die der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung zeitlich vorausgehen, verbietet es aber nicht, bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung für den einschlägigen Zeitraum gegebenenfalls Umstände zu berücksichtigen, die nach dieser Antragstellung liegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob solche Umstände den Schluss bestätigen, dass die Benutzung der Marke in dem einschlägigen Zeitraum ernsthaft war, oder ob sie vielmehr einen Willen des Inhabers, diesen Antrag abzuwehren, offenbaren.

(vgl. Randnr. 33, Tenor 2)




BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)
27. Januar 2004(1)

„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung – Marken – Richtlinie 89/104/EWG – Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 – Verfall der Rechte des Markeninhabers – Begriff der ernsthaften Benutzung der Marke“

In der Rechtssache C-259/02

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

La Mer Technology Inc.

gegen

Laboratoires Goemar SA

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)



DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)



unter Mitwirkung des Richters J. N. Cunha Rodrigues in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie des Richters J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,

nach Unterrichtung des vorlegenden Gerichts über die Absicht des Gerichtshofes, nach Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,nach Anhörung des Generalanwalts

erlässt



Beschluss



1
Der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juli 2002, gemäß Artikel 234 EG sieben Fragen nach der Auslegung der Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft amerikanischen Rechts La Mer Technology Inc. (im Folgenden: Klägerin) und der Gesellschaft französischen Rechts Laboratoires Goemar SA (im Folgenden: Beklagte), in dem es um die Erklärung des Verfalls der Rechte der Beklagten an den beiden Marken „Laboratoire de la mer“ geht, die diese im Vereinigten Königreich für von ihr vertriebene Produkte eintragen ließ.


Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3
Artikel 10 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Hat der Inhaber der Marke diese für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, innerhalb von fünf Jahren nach dem Tag des Abschlusses des Eintragungsverfahrens nicht ernsthaft in dem betreffenden Mitgliedstaat benutzt oder wurde eine solche Benutzung während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren ausgesetzt, so unterliegt die Marke den in dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen, es sei denn, dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.

(2)     Folgendes gilt ebenfalls als Benutzung im Sinne des Absatzes 1:

a)
Benutzung der Marke in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird;

b)
Anbringen der Marke auf Waren oder deren Aufmachung in dem betreffenden Mitgliedstaat ausschließlich für den Export.

(3)     Die Benutzung der Marke mit Zustimmung des Inhabers oder durch eine zur Benutzung einer Kollektivmarke, Garantiemarke oder Gewährleistungsmarke befugte Person gilt als Benutzung durch den Inhaber.“

4
Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

„Eine Marke wird für verfallen erklärt, wenn sie innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für ihre Nichtbenutzung vorliegen; der Verfall einer Marke kann jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn nach Ende dieses Zeitraums und vor Stellung des Antrags auf Verfallserklärung die Benutzung der Marke ernsthaft begonnen oder wieder aufgenommen worden ist; wird die Benutzung jedoch innerhalb eines nicht vor Ablauf des ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren der Nichtbenutzung beginnenden Zeitraums von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Verfallserklärung begonnen oder wieder aufgenommen, so bleibt sie unberücksichtigt, sofern die Vorbereitungen für die erstmalige oder die erneute Benutzung erst stattgefunden haben, nachdem der Inhaber Kenntnis davon erhalten hat, dass der Antrag auf Verfallserklärung gestellt werden könnte.“

Innerstaatliches Recht

5
Section 46 (1) des Trade Marks Act (Markengesetz) 1994 bestimmt:

„Eine Marke kann aus einem der folgenden Gründe für verfallen erklärt werden:

a)
Die Marke ist nicht innerhalb von fünf Jahren nach dem Tag des Abschlusses des Eintragungsverfahrens ernsthaft im Vereinigten Königreich von ihrem Inhaber oder mit dessen Zustimmung für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, benutzt worden, und es liegen keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vor;

b)
eine solche Benutzung ist während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren ausgesetzt worden, und es liegen keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vor.“


Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

6
Die Beklagte ist in Saint-Malo (Frankreich) niedergelassen und hat sich auf Algenprodukte spezialisiert. Sie ließ im Vereinigten Königreich die Marke Laboratoire de la mer für sich eintragen, und zwar im Jahr 1988 für „pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse, Sanitärprodukte für medizinische Zwecke, diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke ..., die sämtlich Meeresprodukte enthalten“, der Klasse 5 im Sinne des Abkommens von Nizza über die Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung (im Folgenden: Abkommen von Nizza) und im Jahr 1989 für „Meeresprodukte enthaltende Parfümeriewaren und Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ der Klasse 3 dieses Abkommens.

7
Die Klägerin möchte die Marke La Mer benutzen, um eine Reihe von Kosmetika und ähnlichen Produkten im Vereinigten Königreich zu vertreiben. Am 27. März 1998, also mehr als fünf Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem die Marken Laboratoire de la mer eingetragen worden waren, stellte sie bei der Trade Mark Registry zwei Anträge auf Verfallserklärung für diese Marken und machte geltend, dass die Beklagte die Marken innerhalb von fünf Jahren vor Stellung der Anträge nicht ernsthaft benutzt habe.

8
Am 19. Juni 2001 gab der Hearing Officer (zuständiger Beamter der Trade Mark Registry) den Anträgen auf Verfallserklärung hinsichtlich der Marken Laboratoire de la mer statt, jedoch nur für die „Parfümeriewaren“ der Klasse 3 des Abkommens von Nizza und die „pharmazeutischen und veterinärmedizinischen Erzeugnisse und Sanitärprodukte“ der Klasse 5 des Abkommens. Dieser Teil der Entscheidung des Hearing Officer ist nicht angefochten worden. Im Übrigen wies er die Anträge zurück, soweit sie sich auf den Verfall der Marken bezogen, die für „Meeresprodukte enthaltende Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ der Klasse 3 und für „diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ der Klasse 5 des Abkommens eingetragen waren.

9
Die Klägerin hat gegen diesen Teil der Entscheidung des Hearing Officer beim High Court of Justice (England und Wales), Chancery Division, zwei Klagen erhoben.

10
Am 19. Dezember 2001 gab der High Court den Klagen hinsichtlich der Waren der Klasse 5 des Abkommens von Nizza statt und erklärte demgemäß die fragliche Marke für verfallen.

11
In Bezug auf die Marke, die für „Meeresprodukte enthaltende Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ der Klasse 3 des Abkommens von Nizza eingetragen war, führte der High Court of Justice hingegen aus, dass die Beklagte während der fünf vor den Anträgen auf Verfallserklärung liegenden Jahre die Firma Health Scope Direct Ltd mit Sitz in Schottland damit beauftragt habe, derartige Waren im Vereinigten Königreich zu vertreiben. Der High Court war der Auffassung, dass der Verkauf dieser Waren in diesem Zeitraum nur einen sehr geringen Umsatz in Höhe einiger hundert GBP ergeben habe, dass diese Sachlage aber eher den geschäftlichen Misserfolg der Markeninhaberin widerspiegele als eine Markenbenutzung mit dem einzigen Ziel, die Wirkungen der Eintragung aufrechtzuerhalten. Im Übrigen stellte der High Court fest, dass die Beklagte kurze Zeit später einen neuen Vertriebsmittler im Vereinigten Königreich angeworben habe, um ihren Absatz anzukurbeln.

12
Der High Court nahm an, dass die Hauptfrage des Rechtsstreits darin bestehe, ob die Marke Laboratoire de la mer unter diesen Umständen im Sinne des Trade Marks Act 1994 ernsthaft benutzt worden sei. Er wies darauf hin, dass der Begriff der ernsthaften Benutzung dieselbe Reichweite habe wie in den entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie.

13
Der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.
Was ist bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen, ob eine Marke im Sinne der Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 in einem Mitgliedstaat „ernsthaft benutzt“ worden ist?

Insbesondere:

2.
Ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie in dem Mitgliedstaat eingetragen ist, benutzt worden ist?

3.
Reicht jegliche, selbst geringfügige Benutzung der Marke aus, wenn sie zu keinem anderen Zweck erfolgt ist, als mit den Waren zu handeln oder die betreffenden Dienstleistungen zu erbringen?

4.
Falls die vorstehende Frage zu verneinen ist: Wie ist zu bestimmen, welches Maß an Benutzung ausreicht, und sind dabei insbesondere Art und Größe des Unternehmens des Markeninhabers zu untersuchen?

5.
Ist eine symbolische oder eine fiktive Benutzung und vor allem eine Benutzung, die ausschließlich oder vornehmlich zu dem Zweck erfolgt, einen möglichen Antrag auf Feststellung des Verfalls der Marke abzuwehren, unerheblich?

6.
Welche Arten von Benutzung kommen in Betracht? Muss insbesondere nachgewiesen werden, dass die Marke in dem betreffenden Mitgliedstaat im geschäftlichen Verkehr benutzt worden ist, und wäre ferner insbesondere die Einfuhr in diesen Mitgliedstaat durch einen einzelnen Verbraucher ausreichend?

7.
Ist eine Benutzung, die nach Stellung des Antrags auf Verfallserklärung erfolgt, auch für die Prüfung der Frage unerheblich, ob die Benutzung im entscheidungserheblichen Zeitraum ernsthaft war?

Zur Anwendung von Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung

14
Nach Auffassung des Gerichtshofes lassen sich die Antworten auf die ersten sechs Fragen klar aus dem Urteil vom 11. März 2003 in der Rechtssache C-40/01 (Ansul, Slg. 2003, I-2439) herleiten, das nach Erlass des Vorlagebeschlusses ergangen ist; über die Antwort auf die siebte Frage kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Der Gerichtshof hat daher nach Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung das vorlegende Gericht mit Schreiben vom 22. Mai 2003 davon unterrichtet, dass er durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtige, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten mit Schreiben vom 27. Oktober 2003 Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

15
Die Kommission und die französische Regierung haben hierzu keine Erklärungen eingereicht.

16
Indessen hat das vorlegende Gericht mit Urteil vom 20. Juni 2003 zwar die fünfte Vorlagefrage zurückgezogen, aber die anderen Fragen aufrechterhalten, wobei es den Gerichtshof ersuchte, Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung nicht anzuwenden. Die Klägerin hat den Gerichtshof mit Schreiben vom 4. Juli 2003 darauf hingewiesen, dass eine mündliche Verhandlung gemäß Artikel 104 § 4 der Verfahrensordnung erforderlich sei. Mit einem gemeinsamen, durch ihre Vertreter unterzeichneten Schreiben vom 17. November 2003 haben die Parteien darauf hingewiesen, dass sie die Auffassung des vorlegenden Gerichts teilten, wie sie sich aus dem Urteil vom 20. Juni 2003 ergebe. Mit Schreiben vom 24. November 2003 hat die Regierung des Vereinigten Königreichs denselben Standpunkt vertreten.

17
Diese Erklärungen sind nicht geeignet, die Entscheidung des Gerichtshofes in Frage zu stellen, den Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung anzuwenden und auf die mündliche Verhandlung zu verzichten.

Zur ersten bis vierten und zur sechsten Frage

18
Mit diesen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, welche Kriterien und Benutzungsarten einer Marke die Feststellung erlauben, dass diese im Sinne von Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Richtlinie „ernsthaftタワ in einem Mitgliedstaat „benutzt“ worden ist. Das vorlegende Gericht fragt insbesondere danach, ob selbst eine geringfügige Benutzung als ernsthaft eingestuft werden kann, wenn der einzige vom Inhaber verfolgte Zweck darin besteht, die durch die Marke geschützten Waren und Dienstleistungen zu verkaufen.

19
Die Antwort auf diese Fragen lässt sich klar aus den Randnummern 35 bis 39 des Urteils Ansul herleiten, in denen der Gerichtshof ausgeführt hat:

„35
... wie Ansul vorgetragen hat, [müssen] Marken nach der achten Begründungserwägung der Richtlinie ‚tatsächlich benutzt werden, um nicht zu verfallen‘. Ernsthafte Benutzung ist somit eine tatsächliche Benutzung der Marke. Diese Auslegung wird insbesondere durch die niederländische Fassung der Richtlinie bestätigt, die in ihrer achten Begründungserwägung die Wendung ‚werkelijk wordt gebruikt‘ verwendet, sowie durch andere Sprachfassungen wie die spanische (‚uso efectivo‘), die italienische (‚uso effettivo‘) oder die englische (‚genuine use‘).

36
Unter ernsthafter Benutzung ist somit eine Benutzung zu verstehen, die nicht symbolisch allein zum Zweck der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte erfolgt. Es muss sich um eine Benutzung handeln, die der Hauptfunktion der Marke entspricht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität einer Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem ihm ermöglicht wird, diese Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden.

37
Demnach setzt eine ernsthafte Benutzung der Marke voraus, dass diese auf dem Markt der durch sie geschützten Waren oder Dienstleistungen benutzt wird und nicht nur innerhalb des betreffenden Unternehmens. Der Schutz der Marke und die Wirkungen, die aufgrund ihrer Eintragung Dritten entgegengehalten werden können, können nicht fortdauern, wenn die Marke ihren geschäftlichen Sinn und Zweck verliert, der darin besteht, dass für Waren oder Dienstleistungen, die mit dem die Marke bildenden Zeichen versehen sind, gegenüber Waren oder Dienstleistungen anderer Unternehmen ein Absatzmarkt erschlossen oder gesichert wird. Die Benutzung der Marke muss sich daher auf Waren und Dienstleistungen beziehen, die bereits vertrieben werden oder deren Vertrieb von dem Unternehmen zur Gewinnung von Kunden insbesondere im Rahmen von Werbekampagnen vorbereitet wird und unmittelbar bevorsteht. Eine derartige Benutzung kann sowohl durch den Inhaber der Marke als auch, wie in Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie vorgesehen, durch einen zur Benutzung der Marke befugten Dritten erfolgen.

38
Schließlich sind bei der Prüfung der Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird, insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen.

39
Die Prüfung der Umstände des Einzelfalls kann es somit rechtfertigen, dass insbesondere die Art der betreffenden Ware oder Dienstleistung, die Merkmale des jeweiligen Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke berücksichtigt werden. So braucht die Benutzung der Marke nicht immer umfangreich zu sein, um als ‚ernsthaft‘ eingestuft zu werden, da eine solche Einstufung von den Merkmalen der betreffenden Ware oder Dienstleistung auf dem entsprechenden Markt abhängt.“

20
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Aufrechterhaltung der Rechte des Inhabers der Marke deren ernsthafte Benutzung im geschäftlichen Verkehr auf dem Markt der Waren oder Dienstleistungen voraussetzt, für die sie in dem betreffenden Mitgliedstaat eingetragen worden ist.

21
Im Übrigen ergibt sich aus Randnummer 39 des genannten Urteils Ansul, dass eine Benutzung der Marke in bestimmten Fällen selbst dann, wenn sie mengenmäßig nicht bedeutend ist, eine ernsthafte Benutzung im Sinne der Richtlinie sein kann. Selbst eine geringfügige Benutzung kann also als ernsthaft eingestuft werden, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen.

22
Die Frage, ob eine Benutzung mengenmäßig hinreichend ist, um Marktanteile für die genannten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, hängt von mehreren Faktoren und von einer Einzelfallbeurteilung ab, die Sache des nationalen Gerichts ist. Die Eigenschaft der Waren und Dienstleistungen, die Häufigkeit oder die Regelmäßigkeit der Markenbenutzung, die Frage, ob die Marke benutzt wird, um alle identischen Waren und Dienstleistungen des Inhaberunternehmens oder nur manche von diesen zu vermarkten, oder auch die Beweise über die Benutzung der Marke, die der Inhaber vorlegen kann, gehören zu den in Betracht zu ziehenden Faktoren.

23
Ebenso können, wie sich aus den Randnummern 35 bis 39 des Urteils Ansul ergibt, die Eigenschaften des betroffenen Marktes, die einen unmittelbaren Einfluss auf die kaufmännische Strategie des Markeninhabers haben, herangezogen werden, um die Ernsthaftigkeit der Benutzung zu beurteilen.

24
Auch kann die Benutzung der Marke durch einen einzigen Kunden, der die Waren, für die sie eingetragen ist, importiert, als Beweis dafür ausreichen, dass diese Benutzung ernsthaft ist, wenn der Einfuhrvorgang für den Markeninhaber wirklich geschäftlich gerechtfertigt ist.

25
Hingegen ist es nicht möglich, im Vorfeld abstrakt zu bestimmen, ab welcher mengenmäßigen Schwelle eine Benutzung ernsthaft ist. Eine De-minimis-Regel, die das nationale Gericht daran hindern würde, alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, kann daher nicht aufgestellt werden.

26
Schließlich ergibt sich aus Randnummer 36 des Urteils Ansul klar, dass eine Benutzung der Marke, die im Wesentlichen nicht das Ziel verfolgt, Marktanteile für die durch sie geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, so zu deuten ist, dass sie in Wirklichkeit bezweckt, einen möglichen Antrag auf Feststellung des Verfalls abzuwehren. Eine solche Benutzung kann nicht als „ernsthaft“ im Sinne der Richtlinie eingestuft werden.

27
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste bis vierte und die sechste Frage zu antworten, dass die Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine Marke „ernsthaft benutzt“ wird, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren – benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch diese Marke verliehenen Rechte dienen. Die Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke. Wenn unter den genannten Voraussetzungen eine wirkliche geschäftliche Rechtfertigung vorliegt, kann selbst eine geringfügige Benutzung der Marke oder eine Benutzung, die nur von einem Importeur in dem betroffenen Mitgliedstaat ausgeht, als ausreichend angesehen werden, um das Vorliegen der Ernsthaftigkeit im Sinne dieser Richtlinie zu belegen.

Zur siebten Frage

28
Mit seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie es erlaubt, eine Benutzung der Marke nach Stellung des Antrags auf Verfallserklärung in Betracht zu ziehen, um zu prüfen, ob die Benutzung im Laufe des einschlägigen Zeitraums, d. h. innerhalb der fünf Jahre vor Antragstellung, ernsthaft war.

29
Aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie ergibt sich zum einen, dass die Aufrechterhaltung der Rechte des Inhabers der Marke in jedem Fall deren ernsthafte Benutzung vor Stellung des Antrags auf Verfallserklärung voraussetzt, und zum anderen, dass selbst vor Antragstellung der Beginn oder die Wiederaufnahme der Benutzung der Marke es nicht in allen Fällen erlauben, die Rechte des Inhabers aufrechtzuerhalten, wenn es sich zeigt, dass dies erst geschieht, nachdem der Inhaber Kenntnis davon erhalten hat, dass ein solcher Antrag gestellt werden könnte.

30
Daraus ergibt sich, dass die Richtlinie bei der Beurteilung der „ernsthaften Benutzung“ der Marke nur Umstände in Betracht zieht, die innerhalb des einschlägigen Zeitraums liegen und die also der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung zeitlich vorausgehen.

31
Jedoch schließt die Richtlinie nicht ausdrücklich aus, bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung innerhalb des einschlägigen Zeitraums gegebenenfalls Umstände zu berücksichtigen, die nach dieser Antragstellung liegen. Solche Umstände können es erlauben, die Tragweite der Benutzung der Marke innerhalb des einschlägigen Zeitraums sowie die tatsächlichen Absichten des Inhabers innerhalb dieses Zeitraums zu bestätigen oder besser zu beurteilen.

32
Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob nach der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung liegende Umstände den Schluss bestätigen, dass die Benutzung der Marke innerhalb des einschlägigen Zeitraums ernsthaft war, oder ob sie vielmehr einen Willen des Inhabers, diesen Antrag abzuwehren, offenbaren.

33
Somit ist auf die siebte Frage zu antworten, dass die Richtlinie zwar bei der Beurteilung der „ernsthaften Benutzung“ der Marke nur Umstände in Betracht zieht, die innerhalb des einschlägigen Zeitraums liegen und die der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung zeitlich vorausgehen, sie es aber nicht verbietet, bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung für den einschlägigen Zeitraum gegebenenfalls Umstände zu berücksichtigen, die nach dieser Antragstellung liegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob solche Umstände den Schluss bestätigen, dass die Benutzung der Marke in dem einschlägigen Zeitraum ernsthaft war, oder ob sie vielmehr einen Willen des Inhabers, diesen Antrag abzuwehren, offenbaren.


Kosten

34
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, mit Beschluss vom 19. Dezember 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1)
Die Artikel 10 Absatz 1 und 12 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind dahin auszulegen, dass eine Marke „ernsthaft benutzt“ wird, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion ─ die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren ─ benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch diese Marke verliehenen Rechte dienen. Die Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke. Wenn unter den genannten Voraussetzungen eine wirkliche geschäftliche Rechtfertigung vorliegt, kann selbst eine geringfügige Benutzung der Marke oder eine Benutzung, die nur von einem Importeur in dem betroffenen Mitgliedstaat ausgeht, als ausreichend angesehen werden, um das Vorliegen der Ernsthaftigkeit im Sinne dieser Richtlinie zu belegen.

2)
Die Erste Richtlinie 89/104 zieht zwar bei der Beurteilung der „ernsthaften Benutzung“ der Marke nur Umstände in Betracht, die innerhalb des einschlägigen Zeitraums liegen und die der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung zeitlich vorausgehen, verbietet es aber nicht, bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung für den einschlägigen Zeitraum gegebenenfalls Umstände zu berücksichtigen, die nach dieser Antragstellung liegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob solche Umstände den Schluss bestätigen, dass die Benutzung der Marke in dem einschlägigen Zeitraum ernsthaft war, oder ob sie vielmehr einen Willen des Inhabers, diesen Antrag abzuwehren, offenbaren.

Luxemburg, den 27. Januar 2004.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

V. Skouris


1
Verfahrenssprache: Englisch.