Verbundene Rechtssachen C-37/02 und C-38/02
Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl
gegen
Ministero del Commercio con l'Estero
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Veneto)
«Bananen – Gemeinsame Marktorganisation – Verordnung (EG) Nr. 896/2001 – Gemeinsame Regelung für den Handel mit Drittländern – Primäreinfuhren – Gültigkeit – Vertrauensschutz – Rückwirkung – Durchführungsbefugnis»
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Schlussanträge der Generalanwältin C. Stix-Hackl vom 20. Januar 2004 |
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Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 15. Juli 2004 |
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Leitsätze des Urteils
- 1.
- Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Bananen – Einfuhrregelung – Verordnung Nr. 404/93 – Marktbeteiligte, die zur Verteilung der Zollkontingente zugelassen sind – Keine Definition – Übertragung der Durchführungsbefugnis auf die Kommission unter Einräumung eines weiten Ermessens – Verordnung Nr. 896/2001 mit der Definition der betreffenden Marktbeteiligten
(Artikel 211 EG; Verordnung Nr. 404/93 des Rates, Artikel 18 und 19; Verordnung Nr. 896/2001 der Kommission, Artikel 3)
- 2.
- Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Vertrauensschutz – Grenzen – Änderung der Regelung über die Zollkontingente für die Einfuhr von Bananen – Ermessen der Organe – Anpassung der Regelung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage – Keine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes
(Verordnung Nr. 404/93 des Rates)
- 3.
- Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundsrechte – Freie Berufsausübung – Beschränkungen – Verordnung Nr. 896/2001 über die Zollkontingente für die Einfuhr von Bananen – Vorschrift, die Personen, die mit einem traditionellen Marktbeteiligten verbunden sind, von der Gruppe der nichttraditionellen
Marktbeteiligten ausschließt – Durch das Gemeinwohl gerechtfertigte Beschränkung – Zulässigkeit
(Verordnung Nr. 404/93 des Rates; Verordnungen Nr. 896/2001 der Kommission, Artikel 6 Buchstabe c, und Nr. 2454/93 der Kommission,
Artikel 143)
- 1.
- Aus dem Gesamtzusammenhang des EG‑Vertrags, in den Artikel 211 EG gestellt werden muss, sowie aus den Anforderungen der Praxis
ergibt sich, dass der Begriff der Durchführung weit auszulegen ist. Da insbesondere auf dem Gebiet der Agrarpolitik nur die
Kommission in der Lage ist, die Entwicklung der Märkte ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der durch die Situation
gebotenen Schnelligkeit zu handeln, kann sich der Rat veranlasst sehen, ihr weitgehende Befugnisse zu übertragen. Die Grenzen
dieser Befugnisse sind daher insbesondere nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation zu beurteilen, wobei die
Kommission befugt ist, alle für die Durchführung der Grundregelung erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen,
soweit sie nicht gegen diese Grundregelung oder die Anwendungsregelung des Rates verstoßen.
- Was insbesondere die Verwaltung der Zollkontingente für die Einfuhr von Bananen in die Gemeinschaft angeht, so enthält die
durch die Verordnung Nr. 216/2001 geänderte Verordnung Nr. 404/93 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, deren
Artikel 20 der Kommission die Befugnis verleiht, Durchführungsbestimmungen zu erlassen, die insbesondere die Einzelheiten
der Verwaltung der in Artikel 18 dieser Verordnung genannten Zollkontingente betreffen, keine Definition der Marktbeteiligten,
die zur Verteilung der Zollkontingente zugelassen sind, und lässt der Kommission damit zweifellos ein weites Ermessen. Eine
von der Kommission erlassene Maßnahme, die dazu führt, dass bei der Verteilung der Zollkontingente ein erheblicher Teil den
Wirtschaftsteilnehmern vorbehalten wird, die das kommerzielle Risiko tragen, das mit der Erzeugung oder dem Erwerb bei den
Erzeugern und dem Transport frischer Erzeugnisse verbunden ist, fällt daher unter das Ermessen, das diesem Organ bei der Durchführung
der Grundregelung eingeräumt worden ist, da diese Maßnahme zum ordnungsgemäßen Funktionieren der Einfuhrregelung beitragen
kann und nicht geeignet ist, die gleichmäßige Versorgung des Gemeinschaftsmarktes zu stören, die die Grundregelung gewährleisten
soll.
(vgl. Randnrn. 54-57, 59)
- 2.
- Der Grundsatz des Vertrauensschutzes zählt zwar zu den tragenden Grundsätzen der Gemeinschaft, doch sind die Wirtschaftsteilnehmer
nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres
Ermessens ändern können, und zwar insbesondere auf einem Gebiet wie dem der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine
ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt.
- Die an der Einfuhr von Bananen in die Gemeinschaft interessierten wirtschaftlichen Kreise können deshalb keine Erwartung hinsichtlich
der Beibehaltung der anwendbaren Regelung hegen, da an dieser nicht nur im Laufe der Zeit zahlreiche Änderungen insbesondere
aufgrund internationaler Verpflichtungen der Gemeinschaft im Rahmen der Welthandelsorganisation vorgenommen wurden, sondern
da sie auch eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage erfordert, die Raum für ein weites Ermessen
der Gemeinschaftsorgane lässt.
(vgl. Randnrn. 70-71)
- 3.
- Die freie Berufsausübung gehört ebenso übrigens wie das Eigentumsrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts.
Diese Grundsätze sind jedoch keine absoluten Vorrechte, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen
werden. Folglich kann das Recht auf freie Berufsausübung ebenso wie die Ausübung des Eigentumsrechts Beschränkungen unterworfen
werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen
im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten
Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten würde.
- So verhält es sich bei Artikel 6 Buchstabe c der Verordnung Nr. 896/2001 mit Durchführungsbestimmungen zu der Verordnung Nr.
404/93 hinsichtlich der Regelung für die Einfuhr von Bananen in die Gemeinschaft, der die freie Berufsausübung einschränkt,
indem er es Personen, die mit einem traditionellen Marktbeteiligten gemäß Artikel 143 der Verordnung Nr. 2454/93 verbunden
sind, nicht erlaubt, sich als nichttraditionelle Marktbeteiligte an den Zollkontingenten zu beteiligen. Diese Beschränkung
entspricht nämlich einem dem Gemeinwohl dienenden Ziel, dem Kampf gegen spekulative oder künstliche Praktiken im Bereich der
Erteilung von Einfuhrlizenzen, und stellt nicht einen im Hinblick auf dieses Ziel unverhältnismäßigen und nicht tragbaren
Eingriff dar, der das Recht auf freie Berufsausübung in seinem Wesensgehalt antastet.
(vgl. Randnrn. 82-85)