SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
L. A. GEELHOED
vom 18. November 2004(1)



Rechtssache C-304/02



Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Französische Republik


„Verstoß eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen, Artikel 228 EG – Nichtbefolgung des Urteils des Gerichtshofes vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-64/88 – Nichtdurchführung technischer Erhaltungsmaßnahmen in Bezug auf die Größe der Fische, insbesondere von Seehecht – Unterlassung der Aufzeichnung möglicher Verstöße durch die nationalen Behörden und der Verfolgung von Zuwiderhandelnden – Zwangsgeld“






I – Einleitung

1.        In meinen ersten Schlussanträgen in dieser Rechtssache, die ich am 29. April 2004 vorgetragen habe, bin ich in der Sache zu dem Ergebnis gelangt, dass die Französische Republik ihre Pflichten aus Artikel 228 Absatz 1 EG nicht erfüllt hat, da sie nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen hatte, um dem Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C‑64/88 (Kommission/Frankreich) (2) bis zum Ende der von der Kommission in ihrer ergänzenden, mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 6. Juni 2000 gesetzten Frist oder bis zum Zeitpunkt der Stellung meiner Schlussanträge nachzukommen. Angesichts der Schwere dieses Verstoßes gegen ihre Vertragspflichten habe ich dem Gerichtshof vorgeschlagen, der Französischen Republik aufzugeben, der Kommission einen Pauschalbetrag von 115 522 500 Euro für den ersten Zeitraum des Verstoßes und ein Zwangsgeld von 57 761 250 Euro je Sechsmonatszeitraum im Anschluss an die Verkündung des Urteils des Gerichtshofes in der vorliegenden Rechtssache zu zahlen. Damit bin ich vom Antrag der Kommission abgewichen, der Französischen Republik die Zahlung eines Zwangsgeldes von 316 500 Euro für jeden weiteren Tag aufzuerlegen, den sie mit der Befolgung des Urteils des Gerichtshofes vom 11. Juni 1991 in Verzug ist.

2.        Da diese Vorschläge neue Fragen nach der Auslegung des Artikels 228 EG aufgeworfen haben, die von den Parteien während des Verfahrens nicht erörtert worden waren, hat der Gerichtshof mit Beschluss vom 16. Juni 2004 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angeordnet, um den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu folgender Frage zu geben:

„Ist der Gerichtshof, wenn er in einem Verfahren nach Artikel 228 Absatz 2 EG festgestellt hat, dass ein Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um einem früheren Urteil nachzukommen, und die Kommission die Festsetzung eines Zwangsgeldes durch den Gerichtshof beantragt hat, stattdessen befugt,

gegen diesen Mitgliedstaat einen Pauschalbetrag festzusetzen

oder sogar, falls erforderlich, gegen diesen Mitgliedstaat sowohl einen Pauschalbetrag als auch ein Zwangsgeld zu verhängen?“

3.        Gemäß Artikel 24 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes wurden die Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Französischen Republik um Stellungnahme zu diesen Fragen gebeten. Außer der Französischen Republik und der Kommission haben die belgische, die tschechische die dänische, die deutsche, die griechische, die spanische, die irische, die italienische, die zyprische, die ungarische, die niederländische, die österreichische, die polnische, die portugiesische und die finnische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs mündliche Erklärungen abgegeben.

II – Vorbemerkungen

4.        Die vom Gerichtshof gestellten Fragen konzentrieren sich auf zwei neue Aspekte der Auslegung und Anwendung des Artikels 228 EG. Da diese Fragen nicht getrennt vom allgemeinen Kontext und der Funktion dieser Vertragsbestimmung beantwortet werden können, werde ich diesem Gegenstand zunächst eine Reihe von allgemeinen Vorbemerkungen widmen.

5.        Es muss zunächst unterstrichen werden, dass zentraler Bezugspunkt in der Struktur des Artikels 228 EG die Pflicht eines Mitgliedstaats ist, einem Urteil des Gerichtshofes nach Artikel 226 EG nachzukommen, in dem festgestellt wurde, dass dieser Mitgliedstaat seine Vertragspflichten nicht erfüllt hat. Diese Maßnahmen müssen unverzüglich ergriffen werden und geeignet sein, die vom Gerichtshof festgestellte Rechtswidrigkeit zu beheben. Dies kann als ein besonderer Anwendungsfall der allgemeinen Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit aus Artikel 10 EG betrachtet werden.

6.        Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat seine primäre Verpflichtung aus Artikel 228 Absatz 1 EG nicht erfüllt, ermächtigt Absatz 2 dieser Vertragsbestimmung die Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Nichtbefolgung des Urteils des Gerichtshofes nach Artikel 226 EG einzuleiten. Hat der Mitgliedstaat nach Abschluss des Vorverfahrens die Situation nach Auffassung der Kommission immer noch nicht bereinigt, kann diese den Gerichtshof anrufen und hierbei angeben, welche finanzielle Sanktion eine angemessene Antwort auf die Säumnis des Mitgliedstaats wäre, dem ursprünglichen Urteil des Gerichtshofes nachzukommen. Der Gerichtshof kann dann, wenn er feststellt, dass der Klage der Kommission stattzugeben ist, nach Maßgabe von Artikel 228 Absatz 2 EG eine finanzielle Sanktion festsetzen.

7.        Der Grund für die Verhängung einer solchen finanziellen Sanktion liegt in erster Linie darin, dass der betreffende Mitgliedstaat ein Urteil des Gerichtshofes missachtet hat. Das ist in einer Gemeinschaft, die auf dem Grundsatz des Rechts und der Gleichheit aller Mitgliedstaaten bezüglich ihrer Rechte und Pflichten nach dem Vertrag beruht, besonders schwerwiegend. Nichtbeachtung eines Urteils, das feststellt, dass ein Mitgliedstaat seine Vertragspflichten nicht erfüllt hat, trifft die Rechtsordnung der Gemeinschaft im Innersten und bedroht deren Glaubwürdigkeit schwer. Da alle Streitigkeiten über die Erfüllung der Vertragspflichten im Rahmen der vom Vertrag zur Verfügung gestellten Verfahren beigelegt werden müssen, sind die Urteile des Gerichtshofes das zentrale Instrument der Rechtsordnung der Gemeinschaft, um endgültig festzulegen, welchen Umfang diese Pflichten aufweisen. Wenn die Mitgliedstaaten entscheiden könnten, ob, wann und unter welchen Bedingungen Urteilen des Gerichtshofes nach Artikel 226 EG Folge zu leisten wäre, würde die Autorität dieser Urteile völlig untergraben. Die Mitgliedstaaten wären dann in der Lage, den Umfang ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag einseitig festzulegen.

8.        Eine zweite Rechtfertigung für die Verhängung finanzieller Sanktionen unter diesen Umständen ist, dass der betreffende Mitgliedstaat, indem er ein Urteil des Gerichtshofes, das einen Verstoß gegen Vertragspflichten festgestellt hat, nicht befolgt, eine rechtswidrige Situation fortbestehen lässt, die abträgliche Folgen für das Funktionieren des Gemeinschaftssystems aufweist. Erfüllt ein Mitgliedstaat seine Gemeinschaftspflichten nicht, während andere dies tun, so berührt dies eindeutig die einheitliche Anwendung der betreffenden Gemeinschaftsmaßnahme, mindert ihre Effektivität und untergräbt die Erzielung des Ergebnisses, das sie erreichen will. Außerdem verzerrt dies die Bedingungen, unter denen Marktteilnehmer in verschiedenen Teilen der Gemeinschaft tätig sind, und stört das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten nach dem Vertrag. Die Rechtsordnung der Gemeinschaft beruht auf der in Artikel 10 EG zum Ausdruck gekommenen Annahme der redlichen Erfüllung der Vertragspflichten durch die Mitgliedstaaten im Geiste der Solidarität. Wenn ein Mitgliedstaat sich bei der Erfüllung seiner Vertragspflichten eine Sonderstellung anmaßt, so beeinträchtigt dies das gegenseitige Vertrauen, das zwischen Mitgliedstaaten vorhanden sein muss und das eine wesentliche Voraussetzung für eine effektive Umsetzung der Gemeinschaftspolitiken ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Politiken Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit vorschreiben, um so Ziele zu erreichen, die im allgemeinen Interesse erforderlich sind.

9.        Es ist meines Erachtens wichtig, sich diesen doppelten Grund vor Augen zu halten, wenn es um die Auslegung und Anwendung des Artikels 228 Absatz 2 EG geht.

10.      Die Funktion der finanziellen Sanktionen, wie sie Artikel 228 Absatz 2 EG vorsieht, muss ebenfalls im Licht dieser beiden Gründe betrachtet werden. Diese Sanktionen zielen darauf ab, die Befolgung von Urteilen des Gerichtshofes in zweifacher Weise sicherzustellen. Erstens soll dadurch, dass die Möglichkeit der Verhängung einer Sanktion geschaffen wird, falls ein Urteil des Gerichtshofes von einem Mitgliedstaat nicht befolgt wird, die Aufrechterhaltung eines Verstoßes nach einem Urteil gemäß Artikel 226 EG wirtschaftlich unattraktiv gemacht werden. In diesem Sinne haben wir es mit einer allgemeinen, präventiven Wirkung zu tun. Zweitens soll, wenn ein Mitgliedstaat trotzdem nicht die erforderlichen Schritte unternommen hat, um dem ersten Urteil nachzukommen, mit dem ein Verstoß festgestellt wurde, und die Kommission Klage erhoben hat, um dies feststellen zu lassen, die Möglichkeit geschaffen werden, auf den Mitgliedstaat ausreichend Druck auszuüben, um so die Befolgung in diesem speziellen Fall sicherzustellen. In diesem Sinne haben wir es mit einer spezifischen steuernden Wirkung zu tun.

11.      Zusätzlich muss erkannt werden, dass diese Sanktionen Instrumente sind, die ihrer Natur nach der Rechtsordnung der Gemeinschaft eigen sind und sich nicht einfach mit Sanktionsmechanismen vergleichen lassen, wie sie in den straf-, verwaltungs- oder zivilrechtlichen Systemen der Mitgliedstaaten gelten. Sie unterscheiden sich sowohl bezüglich der Tatbestände, bei deren Vorliegen sie verhängt werden, als auch bezüglich der Art und Weise, in der sie Wirkung entfalten. Somit kann die Nichtbefolgung eines Urteils des Gerichtshofes durch einen Mitgliedstaat nicht mit Zuwiderhandlungen verglichen werden, die auf nationaler Ebene mit Sanktionsfolgen bedroht sind. Darüber hinaus werden die Wirkungen einer Sanktion auf einen Mitgliedstaat durch Mechanismen der innerstaatlichen politischen Verantwortung innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats erzielt. Das Verfahren des Artikels 228 EG muss mit anderen Worten – um Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer zu zitieren – als „ein besonderes gerichtliches Verfahren der Urteilsvollstreckung“ verstanden werden (3) .

12.      Schließlich ist es von größter Wichtigkeit für das Funktionieren der Europäischen Union und die Verwirklichung ihrer Ziele, dass die Mitgliedstaaten ihre Vertragspflichten zuverlässig erfüllen und sie, wenn der Gerichtshof in einem Urteil nach Artikel 226 EG feststellen sollte, dass dies nicht der Fall ist, Situationen, die mit dem Vertrag unvereinbar sind, möglichst bald bereinigen. Artikel 228 EG stellt einen Mechanismus zur Verfügung, der sicherstellen soll, dass Gemeinschaftspflichten letztlich erfüllt werden, und muss so angewandt werden, dass er tatsächlich wirksam ist. Die Notwendigkeit einer strengen Durchsetzung von Gemeinschaftspflichten dürfte in einer Europäischen Union, die durch zunehmende Unterschiedlichkeit und Heterogenität gekennzeichnet wird, eher noch ausgeprägter sein. In dieser Situation besteht die erhöhte Gefahr des Auseinanderdriftens infolge von Unterschieden in der Erfüllung, Durchführung und Durchsetzung von Gemeinschaftspflichten innerhalb der Mitgliedstaaten. Um dies einzuschränken, muss Artikel 228 Absatz 2 EG so ausgelegt und angewandt werden, dass er ein wirksames Abschreckungsmittel gegen eine Verletzung der sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten durch die Mitgliedstaaten bildet.

III – Die Fragen des Gerichtshofes

13.      Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ich, da dieses Problem in meinen früheren Schlussanträgen bereits behandelt wurde, meine Antwort auf die beiden Fragen des Gerichtshofes schon vorgestellt habe. Die Stellungnahmen der Kommission, der französischen Regierung und der beteiligten Regierungen und erst recht die gewichtigen Vorbehalte, die die meisten der beteiligten Mitgliedstaaten geäußert haben, sind eine nützliche Grundlage für die Weiterführung und Verfeinerung meiner Untersuchung. Bei meiner Erörterung werde ich mich auf die Hauptargumente konzentrieren, die die französische Regierung und insbesondere die Kommission vorgebracht haben. Da die meisten Beteiligten mit gewissen Ausnahmen mehr oder weniger ähnliche Argumente zur Stützung einer Verneinung oder Bejahung der beiden Teile der Frage des Gerichtshofes vorgetragen haben, werde ich diese in meine Zusammenfassung des Hauptvorbringens der französischen Regierung und der Kommission aufnehmen, ohne unbedingt in allen Fällen anzugeben, wem das betreffende Argument zuzuschreiben ist. Bevor ich jedoch zu dieser Erörterung komme und um einen Gesamtüberblick zu geben, möchte ich die allgemeine Richtung der Antworten der einzelnen Beteiligten aufzeigen, soweit sie sich mit beiden Fragen befasst haben, mit dem Vorbehalt allerdings, dass jeder Mitgliedstaat seinen Standpunkt mit zahlreichen Abstufungen in Abhängigkeit von Bedingungen vorgetragen hat:

Der erste Teil der Frage wird von der Kommission und der tschechischen, der ungarischen, der polnischen und der finnischen Regierung bejaht, verneint hingegen von der französischen, der belgischen, der dänischen, der deutschen, der griechischen, der spanischen, der italienischen, der niederländischen, der portugiesischen und der österreichischen Regierung.

Eine Bejahung des zweiten Teils der Frage wird von der Kommission und den Regierungen Dänemarks, der Niederlande, Finnlands und des Vereinigten Königreichs unterstützt. Die französische, die belgische, die tschechische, die deutsche, die griechische, die spanische, die irische, die italienische, die zyprische, die ungarische, die österreichische, die polnische und die portugiesische Regierung schlagen vor, den zweiten Teil der Frage zu verneinen.

A – Kann der Gerichtshof einen Pauschalbetrag festsetzen, wenn die Kommission beantragt hat, ein Zwangsgeld zu verhängen?

14.      Die Kommission erklärt, dass der Gerichtshof völlig frei sei, sowohl den Betrag als auch die Natur der finanziellen Sanktion festzulegen, die er unter den Umständen des Falles für angemessen hält. Die finnische Regierung bemerkt, dass es auch im Interesse des betroffenen Mitgliedstaats liegen könne, wenn der Gerichtshof befugt sei, eine andere als die von der Kommission vorgeschlagene Sanktion zu verhängen. Allerdings müsse auch hier der betroffene Mitgliedstaat erst angehört werden.

15.      Die französische Regierung vertritt neben den in Nummer 13, erster Gedankenstrich genannten Regierungen die Auffassung, dass der Gerichtshof kein Zwangsgeld verhängen könne, das die Kommission in ihrem Antrag nicht vorgeschlagen habe. Diese Regierungen erkennen zwar an, dass der Gerichtshof entschieden habe, dass die Vorschläge der Kommission bezüglich der Verhängung einer finanziellen Sanktion lediglich einen nützlichen Bezugspunkt darstellten; sie sind aber der Auffassung, dass der Gerichtshof bei der Ausübung seines Ermessens nach Artikel 228 Absatz 2 EG die Verteidigungsrechte, den Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten und die Rechtssicherheit beachten müsse.

16.      Die Verteidigungsrechte bedeuteten, dass der betreffende Mitgliedstaat, wenn der Gerichtshof in Erwägung ziehe, von den Vorschlägen der Kommission erheblich abzuweichen, Gelegenheit erhalten müsse, sich dazu zu äußern. Die französische Regierung verweist darauf, dass sie lediglich aus Anlass der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung Gelegenheit erhalten habe, ihren Standpunkt zur Möglichkeit der Verhängung eines Pauschalbetrags vorzutragen, obwohl die Kommission ein Zwangsgeld vorgeschlagen habe, und dass sie selbst jetzt darauf beschränkt sei, ihre Auffassung zur grundsätzlichen Frage und nicht zur Anwendung im vorliegenden Verfahren vorzutragen. Vertragsverletzungsverfahren bestünden auch aus einem schriftlichen Abschnitt, und sie sei in der gegebenen Situation offenkundig nicht in der Lage gewesen, in dieser Phase zu einem Vorschlag Stellung zu nehmen, den die Kommission gar nicht gemacht habe. Mehrere beteiligte Regierungen verweisen darauf, dass der Gerichtshof nicht ultra petitum entscheiden dürfe und dass es keinen Grund gebe, von grundlegenden Verfahrensprinzipien abzugehen, wonach der Antrag des Klägers den Streitgegenstand begrenze, das Urteil nicht über den Antrag hinausgehen dürfe und das Verfahren kontradiktorisch sei.

17.      Die französische Regierung weist darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil Kommission/Griechenland (4) entschieden habe, dass die von der Kommission erlassenen Leitlinien für die Anwendung von Artikel 171 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 228 Absatz 2 EG) (5) die Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten sicherstellen sollten. Sie sollten dazu beitragen, die Transparenz, die Vorhersehbarkeit und die Rechtssicherheit des Vorgehens der Kommission zu gewährleisten, wobei zugleich angestrebt werde, dass die Zwangsgelder, die sie vorzuschlagen beabsichtige, der Höhe nach verhältnismäßig seien (6) . Wenn der Gerichtshof dem von mir vorgeschlagenen Weg folgen sollte, würde dies zu einer unterschiedlichen Behandlung im Vergleich mit zwei anderen Mitgliedstaaten führen, gegen die bisher eine finanzielle Sanktion gemäß Artikel 228 Absatz 2 verhängt worden sei (7) . Wenn das Weiterbestehen der Zuwiderhandlung der Grund für die Festsetzung eines Pauschalbetrags sei, müsste diese Sanktion in nahezu allen Fällen der Nichtbefolgung eines Urteils, in dem ein Verstoß gemäß Artikel 226 EG festgestellt worden sei, verhängt werden, da dies die Grundbedingung für die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 228 Absatz 2 EG sei.

18.      Drittens führt die französische Regierung an, dass ein Abweichen von den Vorschlägen der Kommission in der angegebenen Weise gegen die Rechtssicherheit verstoßen würde. Die Verhängung von Sanktionen in einer Situation wie der im vorliegenden Verfahren sollte hinreichend vorhersehbar sein. Dem fügt u. a. die belgische Regierung hinzu, dass der Gerichtshof bei Fehlen von Leitlinien zur Anwendung dieses Instruments und zur Berechnung des Betrages nicht von Amts wegen einen Pauschalbetrag festsetzen könne.

19.      Die deutsche Regierung macht mit Unterstützung der griechischen Regierung geltend, dass die Entscheidung für einen Pauschalbetrag statt für ein Zwangsgeld politischer Natur sei, und für eine solche Entscheidung sei der Gerichtshof weder zuständig noch gerüstet. Eine solche Entscheidung des Gerichtshofes würde gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen. Artikel III‑362 Absatz 3 des Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa (im Folgenden: VE) (8) bestätige, dass der Gerichtshof nur befugt sei, den von der Kommission vorgeschlagenen Betrag nach unten zu korrigieren.

20.      Andere Mitgliedstaaten stellen sich auf den Standpunkt, dass der Gerichtshof zwar formell nicht an den Vorschlag der Kommission gebunden sei, dass er aber bei Ausübung seines Ermessens gemäß Artikel 228 Absatz 2 EG die Verteidigungsrechte sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit beachten müsse.

21.      Die Frage, ob der Gerichtshof gegen einen Mitgliedstaat, der ein erstes Urteil nach Artikel 226 EG nicht befolgt hat, die Zahlung eines Pauschalbetrags verhängen kann, dreht sich im Wesentlichen um den Stellenwert und die Natur der Vorschläge, die die Kommission in ihrem Antrag nach Artikel 228 Absatz 2 EG unterbreitet. Binden diese Vorschläge den Gerichtshof oder darf er von ihnen abweichen, und falls ja, unter welchen Bedingungen? Anders gewendet: Ist der Gerichtshof nach dieser Vorschrift voll und unbegrenzt entscheidungsbefugt?

22.      In der Rechtsprechung ist bereits entschieden worden, dass die Vorschläge der Kommission zur Verhängung einer finanziellen Zwangsmaßnahme den Gerichtshof nicht binden können (9) . Der Gerichtshof stützt dies auf den klaren Wortlaut von Artikel 228 Absatz 2 Unterabsatz 3 EG, worin es heißt: „Stellt der Gerichtshof fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds verhängen.“ Der Umstand, dass der Vorschlag der Kommission lediglich als Hinweis zu bewerten ist und daher den Gerichtshof nicht bindet, ergibt sich auch aus dem Wortlaut von Artikel 228 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG, wonach die Kommission die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds „benennt“, die sie den Umständen nach für angemessen hält. Bemerkenswert ist auch, dass ein Ausdruck wie „Antrag“, der dem Vorschlag der Kommission eine förmlichere Bedeutung verleihen würde, in dieser Vertragsbestimmung nicht verwendet wurde.

23.      Eine weitere Stütze für diese Auslegung von Artikel 228 Absatz 2 EG kann in der Struktur dieser Bestimmung gefunden werden, die zwischen den Unterabsätzen 2 und 3 keinerlei Verknüpfung herstellt. Unterabsatz 3 enthält keinerlei Hinweis auf die Vorschläge der Kommission und legt insbesondere auch nicht ausdrücklich fest, dass die Entscheidung des Gerichtshofes über die finanzielle Sanktion auf diese Vorschläge gestützt werden sollte. Das Fehlen einer solchen Verknüpfung in Verbindung mit dem Unterschied in der Beschreibung der Funktionen der Kommission und des Gerichtshofes bei Anwendung dieser Vorschrift, bei der die Kommission „benennt“ und der Gerichtshof „verhängt“, belegt eindeutig, dass der Gerichtshof zur Entscheidung darüber befugt ist, ob eine Sanktion verhängt wird, welche Art von Sanktion ausgesprochen wird und wie hoch die Sanktion ausfällt.

24.      Es gibt weiterhin funktionelle Gründe für den Standpunkt, dass der Gerichtshof bezüglich der Sanktionen, die nach Artikel 228 Absatz 2 EG festgelegt werden können, über die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung verfügt. Bei Verfahren nach Artikel 228 Absatz 2 EG geht es darum, dass ein Mitgliedstaat ein Urteil des Gerichtshofes nicht befolgt hat, in dem festgestellt wurde, dass dieser Mitgliedstaat bestimmte gemeinschaftsrechtliche Pflichten nicht erfüllt hat. Obwohl es Sache der Kommission als Hüterin des Vertrages ist, die Befolgung eines solchen Urteils zu überwachen und gegebenenfalls nach einem Vorverfahren zu beschließen, ein zweites Verfahren einzuleiten, kann doch der Gerichtshof am besten beurteilen, inwieweit die in dem betreffenden Mitgliedstaat vorherrschende Situation mit seinem ersten Urteil nach Artikel 226 EG im Einklang steht, und die Schwere eines fortgesetzten Verstoßes unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen würdigen. Ganz offensichtlich können die Notwendigkeit der Verhängung einer finanziellen Sanktion sowie die Frage, welche Art von Sanktion unter den gegebenen Umständen am angemessensten wäre, nur im Licht der Feststellungen beurteilt werden, die der Gerichtshof in seinem Urteil nach Artikel 228 Absatz 2 EG trifft. Diese Entscheidung kann nicht davon abhängen, welche Auffassung die Kommission insoweit vertritt.

25.      Die Auffassung der deutschen Regierung, dass die Wahl der zu verhängenden Sanktionsart eine politische sei und demzufolge ihrer Natur nach nicht vom Gerichtshof getroffen werden könne, muss zurückgewiesen werden. Der Umfang der Befugnis des Gerichtshofes nach Artikel 228 Absatz 2 EG ist im Vertrag festgelegt worden und schließt, wie ich gerade erläutert habe, die Befugnis zur Bestimmung der angemessenen Reaktion auf einen fortgesetzten Verstoß ein. Die Ausübung dieser Befugnis hängt nicht von irgendwelchen Überlegungen politischer Natur ab, sondern liegt völlig im Bereich der richterlichen Aufgabenstellung. Artikel 228 Absatz 2 EG unterscheidet klar zwischen der Phase des Vorverfahrens, in dem die Kommission ihre Überlegungen zur Sache und zu den ihr angemessen erscheinenden Sanktionen anstellen kann, und der des kontradiktorischen Gerichtsverfahrens, in dem der Gerichtshof die ihm durch den Vertrag verliehenen Rechte nach seinem Ermessen ausüben kann.

26.      Angesichts der vorstehenden Ausführungen bin ich nicht der Meinung, dass der Gerichtshof, wenn er denn erheblich von den Vorschlägen der Kommission zu der zu verhängenden Sanktion abweichen sollte, ultra petitum entscheiden würde. Man muss beachten, dass Verfahren nach Artikel 228 Absatz 2 EG Verfahren sui generis sind, keine Parallele in den nationalen Rechtssystemen haben und nicht mit Zivilprozessen verglichen werden dürfen. Es geht um die Nichtbefolgung eines Urteils des Gerichtshofes nach Artikel 226 EG durch einen Mitgliedstaat, der diesem Urteil zufolge gegen bestimmte gemeinschaftsrechtliche Pflichten verstoßen hat. Das bedeutet, dass eine rechtswidrige Situation über einen längeren Zeitraum bestanden hat und damit die volle und einheitliche Anwendung der betreffenden Gemeinschaftsmaßnahme zum Nachteil des allgemeinen Gemeinschaftsinteresses und der Interessen anderer Mitgliedstaaten und ihrer Bürger untergraben hat. Es ist diese Dimension des Gegenstands von Verfahren nach Artikel 228 Absatz 2 EG, die den Geltungsgrund für die unbeschränkte Nachprüfungsbefugnis des Gerichtshofes liefert und diese Verfahren von anderen Verfahren wie z. B. einem Zivilrechtsstreit abhebt.

27.      Weiter wurde auf Artikel III‑362 VE hingewiesen, die Parallelvorschrift zu Artikel 228 EG. Obwohl Letzterer unverändert in den Vertragsentwurf für eine Europäische Verfassung übernommen wurde, erhielt dieser Artikel einen neuen Absatz 3. Diese Bestimmung ermächtigt die Kommission in Verfahren nach Artikel III‑360 VE (Artikel 226 EG) über die versäumte Mitteilung von Umsetzungsmaßnahmen für eine europäische Richtlinie, den Pauschalbetrag oder das Zwangsgeld zu benennen, den oder das sie den Umständen nach für angemessen hält. Der Gerichtshof kann einen solchen Pauschalbetrag oder Zwangsgeld verhängen, „ohne jedoch den von der Kommission benannten Betrag zu überschreiten“. Einerseits wird behauptet, dass diese Begrenzung der Befugnis des Gerichtshofes bestätige, dass der Gerichtshof in Fällen des Artikels 228 Absatz 2 EG nicht von den Vorschlägen der Kommission abweichen dürfe. Andererseits wird gesagt, dass der Umstand, dass eben diese Begrenzung nicht in Artikel III‑362 Absatz 2 VE (Artikel 228 Absatz 2 EG) eingefügt wurde, bestätige, dass die Nachprüfungsbefugnis des Gerichtshofes nach Artikel 228 Absatz 2 EG tatsächlich unbeschränkt sei. Mir erscheint, soweit überhaupt etwas aus dieser Entwicklung abgeleitet werden kann, das zweite Argument überzeugender. Wenn beabsichtigt gewesen wäre, die Nachprüfungsbefugnis des Gerichtshofes nach Artikel III‑362 Absatz 2 VE zu beschränken, wäre der nahe liegende Weg gewesen, dort die gleiche Regelung hinzuzufügen, die in Artikel III‑362 Absatz 3 VE aufgenommen wurde.

28.      Nach der Feststellung, dass der Gerichtshof für alle Aspekte der finanziellen Sanktionen, die gemäß Artikel 228 Absatz 2 EG in Frage kommen, über die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung verfügt, stellt sich als nächstes die Frage, ob der Gerichtshof bei der Ausübung dieser Befugnis bestimmte Beschränkungen einhalten muss. Insoweit verweisen die Französische Republik und mehrere beteiligte Regierungen auf die Verteidigungsrechte, den Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten und die Rechtssicherheit. Ich werde zunächst die beiden zuletzt genannten erörtern und dann die Rolle der Verteidigungsrechte untersuchen.

29.      Eine Reihe von Regierungen ist der Meinung, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung bei Anwendung der in Artikel 228 Absatz 2 EG genannten Instrumente Geltung beanspruche. Die Leitlinien, die die Kommission in ihrer Mitteilung von 1996 erarbeitet habe, hätten zum Teil dieses Ziel in Bezug auf die Berechnung der finanziellen Sanktionen verwirklichen sollen, wie der Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache Kommission/Griechenland (10) anerkannt habe. Würde die Französische Republik mit einer nach Art und Umfang anders gearteten finanziellen Sanktion belegt werden, als dies in den beiden bisher entschiedenen Fällen geschehen sei, so verstieße dies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

30.      Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten ist als fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Nach diesem Grundsatz dürfen, wenn eine objektive Rechtfertigung fehlt, gleich gelagerte Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden. Auch wenn ich den zweiten Teil dieses Grundsatzes nicht unbedingt als denknotwendig bezeichnen möchte, muss doch eindeutig sichergestellt sein, dass Verstöße gegen gemeinschaftsrechtliche Pflichten, die nach Schwere und Abträglichkeit für das allgemeine Interesse vergleichbar sind, bei der Verhängung finanzieller Sanktionen in ähnlicher Weise behandelt werden. Dies gilt sowohl für die Art der Sanktion als auch für die jeweils zu zahlenden Beträge. In einem Fall wie dem vorliegenden ist der Hinweis wichtig, dass die Natur des Verstoßes nicht mit denen verglichen werden kann, die Gegenstand der ersten beiden Urteile des Gerichtshofes nach Artikel 228 Absatz 2 EG waren. Wie ich in meinen ersten Schlussanträgen in dieser Rechtssache ausgeführt habe, ist die strikte Durchsetzung der Erhaltungsmaßnahmen im Fischereisektor der Gemeinschaft lebenswichtig, um die Ziele dieser Politik dauerhaft zu erreichen (11) . Die Säumnis der Französischen Republik bei der Kontrolle und Durchsetzung der gemeinschaftlichen Fischereivorschriften über viele Jahre hinweg kann nicht mit dem Verstoß gegen Umweltrichtlinien in den eben genannten anderen Fällen verglichen werden. Diese Säumnis hat nicht nur die Erhaltungsziele der betreffenden Gemeinschaftsmaßnahmen untergraben, sondern auch zwangsläufig die Interessen der anderen Mitgliedstaaten und ihrer Fischer beeinträchtigt. Diese Außenwirkung unterscheidet den vorliegenden Fall von den beiden anderen Fällen, die der Gerichtshof bisher entschieden hat. Die Verhängung von Sanktionen eines anderen Typs in diesem Fall ist daher angesichts des unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Auswirkungen des Verstoßes gerechtfertigt. Eine solche Reaktion ist in Wirklichkeit auf die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zurückzuführen, da sie die maßgeblichen Unterschiede bei den zugrunde liegenden Sachverhalten berücksichtigt.

31.      Weiter ist vorgetragen worden, dass eine Abweichung von den Vorschlägen der Kommission zu der finanziellen Sanktion, wie ich sie in meinen ersten Schlussanträgen in dieser Rechtssache angeregt habe, gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde. Nach diesem Grundsatz müssten Sanktionen und die Bedingungen ihrer Verhängung vorhersehbar sein. Dies sei nicht der Fall, wenn Leitlinien für die Berechnung von Pauschalbeträgen, wie sie in der Mitteilung der Kommission von 1996 enthalten seien, fehlten.

32.      Es ist wichtig, hier erneut auf Struktur und Wortlaut des Artikels 228 Absatz 2 EG zurückzukommen, der es dem Gerichtshof ermöglicht, die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds anzuordnen, wenn er feststellen muss, dass ein Mitgliedstaat ein früheres Urteil nach Artikel 226 EG nicht befolgt hat. Die Ausübung dieser Befugnis, die dem Gerichtshof durch den EG-Vertrag übertragen ist, ist nicht davon abhängig, dass Leitlinien z. B. in Bezug auf Sachverhalte, bei denen beide Arten von Sanktionen angewandt werden können, zum Tragen kommen oder für die Art und Weise ihrer Berechnung aufgestellt werden. Der Umstand, dass die Kommission solche Leitlinien insbesondere für einen Typus der finanziellen Sanktionen erarbeitet hat, verdeutlicht gegenüber den Mitgliedstaaten, in welcher Weise sie ihre Befugnis nach dieser Bestimmung auszuüben gedenkt. Dem Gerichtshof steht es weiter frei, die finanzielle Sanktion zu verhängen, die ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint. Wann immer mit anderen Worten von der Kommission Klage gegen einen Mitgliedstaat nach dieser Vorschrift erhoben wird, ist vorauszusehen, dass die vorgesehenen Sanktionen vom Gerichtshof verhängt werden.

33.      Da der Gerichtshof nach dieser Vorschrift über eine unbeschränkte Nachprüfungsbefugnis verfügt, wie er in seiner Rechtsprechung bereits durch den Hinweis klar gemacht hat, dass er an die Vorschläge der Kommission nicht gebunden sei, ist auch grundsätzlich vorauszusehen, dass jede dem Gerichtshof zur Verfügung stehende Sanktion auch verhängt werden kann. Ergänzt werden darf, wie die Kommission bemerkt hat, dass sie in formellen Mitteilungen und mit Gründen versehenen Stellungnahmen, die an Mitgliedstaaten gerichtet werden, die ein früheres Urteil nicht befolgt haben, darauf hinweist – ohne die Art der Sanktion zu umschreiben –, dass der betreffende Mitgliedstaat eine finanzielle Sanktion hinzunehmen haben wird. So ist dies auch in der ersten mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 17. April 1996 im vorliegenden Fall geschehen.

34.      All dies gilt darüber hinaus in einer Situation, in der die Rechtswidrigkeit eines Sachverhalts bereits vom Gerichtshof festgestellt worden ist und die Kommission den Mitgliedstaat auf das Weiterbestehen dieses Sachverhalts hingewiesen und ihm damit eine weitere Möglichkeit verschafft hat, dies zu ändern. Es ist schwer zu verstehen, was unter solchen Umständen einen Mitgliedstaat bewegen könnte, sich auf den Grundsatz der Rechtssicherheit zu berufen. Aus diesen verschiedenen Gründen kann sich ein Mitgliedstaat meines Erachtens nicht auf den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen, um sich gegen die Verhängung einer finanziellen Sanktion zu wehren, die nicht von der Kommission vorgeschlagen worden ist.

35.      Die nächste Frage geht dahin, ob der Gerichtshof gehalten ist, den Mitgliedstaat – und die Kommission – anzuhören, wenn er in Erwägung zieht, eine strengere als die von der Kommission vorgeschlagene Sanktion zu verhängen. Das Verfahren nach Artikel 228 Absatz 2 EG sieht bereits die erforderlichen Verfahrensgarantien vor, die den beklagten Mitgliedstaat in die Lage versetzen, auf den von der Kommission eingereichten Antrag sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die Angemessenheit der von ihr vorgeschlagenen Sanktion umfassend zu reagieren. In dieser Phase des Verfahrens geht es hauptsächlich um die Frage, ob die früher vom Gerichtshof festgestellte Zuwiderhandlung fortbesteht und damit Grundlage für die Verhängung einer finanziellen Sanktion eines bestimmten Typs und Betrages sein kann. Obwohl die Befugnis zur Verhängung einer solchen Sanktion allein dem Gerichtshof zusteht, wie ich bereits betont habe, ist es doch wesentlich, dass der Gerichtshof, bevor er diese Entscheidung trifft, über die Standpunkte beider Parteien zu den Wirkungen einer solchen Sanktion für die Erreichung ihrer Ziele unterrichtet wird. Da die in dieser Phase des Verfahrens gelieferten Informationen auf den Vorschlägen der Kommission beruhen, kann diese die Wirkungen von Sanktionen, die von jenen wesentlich abweichen, nicht berücksichtigen. Ich halte es deshalb für völlig angemessen, dass die Parteien, bevor eine Sanktion verhängt wird, die erheblich von den Möglichkeiten abweicht, zu denen die Parteien ihre Standpunkte austauschen konnten, die Gelegenheit erhalten, angemessen zu den Alternativen Stellung zu nehmen, die in einer späteren Phase des Verfahrens aufgezeigt wurden.

36.      In einem Fall wie dem vorliegenden konnte die mündliche Verhandlung gemäß Artikel 61 der Verfahrensordnung wiedereröffnet werden, um den Parteien Gelegenheit zu geben, ihre Standpunkte zu der vom Gerichtshof in Aussicht genommenen finanziellen Sanktion darzulegen. Dem hätte auch eine schriftliche Stellungnahme zu dieser Frage vorausgehen können, um die der Gerichtshof nach den Artikeln 60 und 45 § 2 Buchstabe b der Verfahrensordnung ersuchen kann. Es wäre indessen vorzuziehen, wenn in denkbaren zukünftigen Fällen, bei denen diese Frage vor der mündlichen Verhandlung auftritt, die Parteien bei dieser Gelegenheit hierzu angehört würden. Im vorliegenden Verfahren ist die mündliche Verhandlung wiedereröffnet worden. Die Parteien sind um Stellungnahme dazu ersucht worden, dass der Gerichtshof eine andere als die von der Kommission vorgeschlagene Sanktion verhängen könnte. Sie sind allerdings nicht gebeten worden, sich zur Angemessenheit der finanziellen Sanktionen zu äußern, die ich entsprechend den Umständen dieses Falles vorgeschlagen habe. Ich werde darauf bei der Erörterung der Folgen meiner Schlussanträge für den vorliegenden Fall zurückkommen.

37.      Meine Antwort auf die erste Frage lautet daher, dass der Gerichtshof nach Artikel 228 Absatz 2 EG die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung besitzt, um einen Pauschalbetrag festzusetzen, auch wenn die Kommission die Verhängung eines Zwangsgelds vorgeschlagen hat. Erwägt er, eine schwerere Sanktion als die von der Kommission vorgeschlagene zu verhängen, gebieten es die Verteidigungsrechte, dass die Parteien zu der von ihm ins Auge gefassten Sanktion gehört werden.

B – Kann der Gerichtshof sowohl einen Pauschalbetrag als auch ein Zwangsgeld verhängen?

38.      Die Kommission macht auf der Grundlage eines teleologischen Ansatzes bei der Beantwortung dieser Frage geltend, dass die beiden verschiedenen Sanktionsarten für verschiedene Zeiträume gälten, so dass von einer Kumulation von Sanktionen nicht gesprochen werden könne. Während der Pauschalbetrag wegen des Verhaltens eines Mitgliedstaats in der Vergangenheit verhängt werde und abschreckende Wirkung haben solle, solle das Zwangsgeld das künftige Verhalten eines Mitgliedstaats steuern und daher zur Befolgung anhalten. Das Ziel des Artikels 228 EG könnte nicht erreicht werden, wenn eine Kombination beider Sanktionen nicht möglich wäre. Eine solche Kombination dürfe nicht als Doppelsanktion betrachtet werden, sondern als zwei Aspekte einer einzigen finanziellen Sanktion. Sprachlich gesehen könne sie nicht verstehen, weshalb das Wort „oder“ in Artikel 228 Absatz 2 EG so ausgelegt werden müsse, dass Pauschalbetrag und Zwangsgeld nur als alternative Sanktionen verhängt werden könnten. Sie gehe davon aus, dass der Zeitfaktor zwar bei der Berechnung des Pauschalbetrags berücksichtigt werde, bei der Berechnung des Zwangsgelds, das zugleich verhängt werde, hingegen nicht verwendet werden dürfe. Ähnliche Argumente wurden von den Mitgliedstaaten vorgebracht, die sich für eine Bejahung der zweiten Frage aussprachen.

39.      Die französische Regierung weist mit Unterstützung mehrerer oben in Nummer 13 genannter Mitgliedstaaten darauf hin, dass Artikel 228 Absatz 2 EG zur Befolgung anhalten und nicht Mitgliedstaaten bestrafen solle. Sowohl der Pauschalbetrag als auch das Zwangsgeld müssten im Einklang mit dieser Zielsetzung angewandt werden. Sie verweist darauf, dass die Kommission in ihrer Mitteilung von 1996 dieses Ziel herausgestellt habe und das Zwangsgeld das geeignetste Mittel zu seiner Verwirklichung sei. Die Kommission habe in der Tat in ihrer bisherigen Praxis nur angegeben, dass Zwangsgelder für diesen Zweck eingesetzt werden sollten. Die Verhängung beider Arten von Sanktion für einen Verstoß laufe darauf hinaus, dass der Faktor Zeit zweimal verwendet werde. Dagegen müsse sie sich wenden. Auch wenn dieser Punkt, wie sie einräumt, nicht notwendig entscheidend sei, zeige die Verwendung des Wortes „oder“ in Artikel 228 Absatz 2 EG doch eindeutig, dass die festgelegten Sanktionen nur alternativ verhängt werden könnten. Außerdem würde die Verhängung eines Pauschalbetrags in Kombination mit einem Zwangsgeld gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

40.      Bei der Prüfung, ob Artikel 228 Absatz 2 EG die Verhängung einer Kombination von Pauschalbetrag und Zwangsgeld zulässt, müssen Zweck und Geltungsgrund der Bestimmung den Ausschlag geben. Wie ich in den Nummern 7 und 8 meiner heutigen Schlussanträge ausgeführt habe, weist jede Nichtbefolgung eines Urteils des Gerichtshofes nach Artikel 226 EG zwei Aspekte auf. Einerseits bedeutet sie eine Missachtung der Rechtsordnung der Gemeinschaft. Andererseits bedeutet sie die stillschweigende Duldung des Weiterbestehens einer Situation, die der Gerichtshof für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erklärt hat, sowie der abträglichen Wirkungen für die Gemeinschaftspolitik, die mit dieser Situation einhergehen. Diese beiden Aspekte müssen Berücksichtigung bei der Prüfung finden, wie Artikel 228 Absatz 2 EG auszulegen und anzuwenden ist. Auch wenn auf der Hand liegt, dass Artikel 228 Absatz 2 EG sicherstellen soll, dass ein Mitgliedstaat letztlich ein Urteil des Gerichtshofes befolgt, auf das er nicht angemessen reagiert hat, umfasst der Zweck dieser Vorschrift, wenn man sie unter dem weiteren Blickwinkel dessen betrachtet, was hinter der Nichtbefolgung eines Urteils des Gerichtshofes steckt, auch die Sicherstellung der Erfüllung von gemeinschaftsrechtlichen Pflichten durch einen Mitgliedstaat in einem allgemeineren Sinne. Das bedeutet, dass die in dieser Vorschrift festgelegten Mittel auch mit dem Ziel der Abschreckung eingesetzt werden können, oder mit anderen Worten zu dem Zweck, Verstöße gegen gemeinschaftsrechtliche Pflichten durch den betreffenden Mitgliedstaat zu verhindern.

41.      Pauschalbetrag und Zwangsgeld dienen ihrer Natur nach unterschiedlichen Zwecken. Obwohl beide eine Reaktion auf die Säumnis eines Mitgliedstaats bei der Erfüllung seiner Vertragspflichten darstellen, hat der Erstgenannte eine abschreckende Wirkung, während das Zweitgenannte eine Steuerungswirkung entfaltet. Ich halte das Argument, dass der Pauschalbetrag auf die Vergangenheit, das Zwangsgeld hingegen auf die Zukunft ausgerichtet sei, nicht für überzeugend. Beide Sanktionen sollen das Verhalten des Mitgliedstaats in der Zukunft beeinflussen, aber auf unterschiedliche Weise.

42.      Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Arten der Sanktion besteht darin, dass der Pauschalbetrag eine unbedingte, das Zwangsgeld hingegen seiner Natur nach eine bedingte Sanktion darstellt. Wie ich in meinen ersten Schlussanträgen in dieser Rechtssache ausgeführt habe (12) , kann es einem Mitgliedstaat gelingen, die von ihm zunächst vernachlässigten Pflichten innerhalb der vom Gerichtshof festgelegten Frist zu erfüllen. In diesem Fall würde es im Endergebnis an einer Gemeinschaftsreaktion auf einen Verstoß fehlen, der möglicherweise viele Jahre angedauert hat. Die Durchführung des Verfahrens nach Artikel 228 Absatz 2 EG wird dann bewirkt haben, dass der Mitgliedstaat letztlich das Urteil befolgt hat, aber das Ziel der Abschreckung vor möglichen künftigen Verstößen wäre nicht erreicht. Da Artikel 228 Absatz 2 EG so ausgelegt werden muss, dass er sowohl dem Ziel der Abschreckung als auch dem Ziel der Steuerung dient, muss, wenn diese Ziele wirksam erreicht werden sollen, dem Gerichtshof die kombinierte Verhängung eines Pauschalbetrags und eines Zwangsgelds zu Gebote stehen.

43.      Die französische Regierung und mehrere andere beteiligten Regierungen wenden ein, dass die in Artikel 228 Absatz 2 EG festgelegten Mittel nicht den Zweck hätten, als Strafe eingesetzt zu werden. Ob die Verhängung einer finanziellen Sanktion als Strafe einzustufen ist oder nicht, liegt in meinen Augen neben der Sache. Das in dieser Bestimmung vorgesehene Verfahren kann nicht mit Vollstreckungsmaßnahmen verglichen werden, wie sie auf nationaler Ebene zu finden sind. Es dient seinem eigenen Zweck innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung und ist dazu bestimmt, in wirksamer Weise sicherzustellen, dass diese Rechtsordnung von den Mitgliedstaaten beachtet wird. Nur das ist wesentlich.

44.      Um nachzuweisen, dass Artikel 228 Absatz 2 EG nicht so angewandt werden darf, dass er das Verhalten von Mitgliedstaaten in der Vergangenheit bestraft, verweist die französische Regierung darauf, dass gegen einen Mitgliedstaat, der einem Urteil nach Artikel 226 EG vor dem Termin nachkomme, den die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme festgelegt habe, keine Klage nach Artikel 228 Absatz 2 EG erhoben werden könne. Das mag durchaus die verfahrensrechtliche Folge dieser Situation sein, kann aber keine einschränkende Auslegung dieser Vertragsbestimmung rechtfertigen, deren Hauptziel darin besteht, zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten ihren Vertragspflichten tatsächlich nachkommen. Wie ich vorstehend gezeigt habe, kann aus der Natur der Verstöße, die Artikel 228 Absatz 2 EG abstellen soll, gefolgert werden, dass aufgrund dieser Vorschrift Maßnahmen von sowohl abschreckender als auch steuernder Art getroffen werden können. Dass ein Mitgliedstaat die Verhängung einer finanziellen Sanktion dadurch vermieden hat, dass er während des Vorverfahrens schließlich doch seinen Pflichten nachgekommen ist, kann im Gegenteil als Wirkung einer erwarteten Sanktion verstanden werden, die die abschreckende Wirkung dieser Sanktion bestätigt.

45.      Eines der wichtigsten Argumente, die gegen die Möglichkeit einer gleichzeitigen Verhängung eines Pauschalbetrags und eines Zwangsgelds ins Feld geführt werden, stützt sich auf den Wortlaut des Artikels 228 Absatz 2 EG, der den Gerichtshof ermächtigt, die Zahlung eines Pauschalbetrags „oder“ Zwangsgelds zu verhängen, wenn er feststellt, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist. Die Frage ist daher, ob das Wort „oder“ als ausschließend oder als einschließend zu verstehen ist. Erstens möchte ich darauf hinweisen, dass Artikel 228 Absatz 2 EG so ausgelegt werden sollte, dass sichergestellt wird, dass er ein wirkungsvolles Instrument zur Durchsetzung von Gemeinschaftspflichten in Fällen darstellt, in denen Mitgliedstaaten diese Pflichten nachhaltig missachtet haben. Wie ich vorstehend erläutert habe, kann es sich in bestimmten Situationen erweisen, dass die Verhängung entweder eines Pauschalbetrags oder aber eines Zwangsgelds keine angemessene Reaktion auf eine fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt, so dass eine Kombination beider Instrumente erforderlich ist. Diese Auslegung beruht auf den Zielen und der Funktion des Artikels 228 Absatz 2 EG. Würde man annehmen, dass das Wort „oder“ in dieser Vorschrift als ausschließend zu verstehen ist, so würde dies im Widerspruch zu diesem Ziel stehen und die Wirksamkeit des Artikels 228 Absatz 2 EG in Frage stellen. Es ist aber auch völlig unnötig, ihn in diesem Sinne auszulegen, da es sprachlich durchaus zulässig ist, von einem einschließenden „oder“ auszugehen. Mehrere Vorschriften des EG-Vertrags wie die Artikel 5, 48 und 81 EG benutzen nämlich das Wort in diesem Sinne. Auch wenn das Wort „oder“ je nach dem Zusammenhang, in dem es gebraucht wird, entweder einschließende oder ausschließende Bedeutung haben kann, ist doch im Licht der vorstehend erläuterten Ziele des Artikels 228 Absatz 2 EG klar, dass es im Kontext dieser Vorschrift nur als einschließend zu verstehen ist.

46.      Eine Reihe von Mitgliedstaaten bemerkt, dass die Verhängung einer kombinierten Sanktion gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Ich stimme zu, dass der Gerichtshof, wenn er erwägt, dieses Mittel einzusetzen, dies in einer Art und Weise tun muss, die in dem jeweiligen Sachverhalt angemessen ist. Es darf indessen nicht a fortiori geschlossen werden, dass die Kombination von Hause aus unverhältnismäßig sei. Das hängt völlig von den Umständen des Einzelfalls ab. Diese Umstände können so gestaltet sein, dass der Verzicht auf die Verhängung einer Sanktion, die in einem Pauschalbetrag in Verbindung mit einem Zwangsgeld besteht, eine unangemessene Reaktion und damit im umgekehrten Sinne unverhältnismäßig wäre.

47.      Ein weiterer Einwand richtet sich dagegen, dass bei der Berechnung der Beträge der Pauschalsumme und des Zwangsgelds die Dauer des Verstoßes zweimal berücksichtigt werde. Das laufe auf die Verhängung einer Doppelsanktion für die Verletzung von Gemeinschaftspflichten während des gleichen Zeitraums hinaus. Diese Auffassung teile ich nicht. Jede Sanktion hat ihren eigenen Zweck und muss so gestaltet werden, dass sie ihrer Funktion gerecht wird. Der Pauschalbetrag ist eine Reaktion auf den Fortbestand eines Verstoßes gegen Vertragspflichten während eines bestimmten Zeitraums. Da diese Sanktion als Abschreckung dienen soll, muss sie in einer solchen Höhe festgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat bewogen wird, von weiteren Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht Abstand zu nehmen. Gleiches gilt für das Zwangsgeld bezüglich seiner Funktion, einen Mitgliedstaat zur Befolgung eines Urteils anzuhalten. Zieht man die Dauer eines Verstoßes als Faktor für die Berechnung der Höhe der einen wie der anderen Sanktion heran, so bedeutet dies nicht, dass für den Verstoß eine Doppelsanktion für den gleichen Zeitraum festgelegt wird. Die Dauer ist nur einer der Faktoren, die bei der Ermittlung des angemessenen Niveaus der Steuerung berücksichtigt werden.

48.      Meine Antwort auf die zweite Frage lautet daher, dass Artikel 228 Absatz 2 EG den Gerichtshof nicht daran hindert, sowohl einen Pauschalbetrag als auch ein Zwangsgeld gegen einen Mitgliedstaat zu verhängen, wenn er feststellt, dass dieser einem Urteil nach Artikel 226 EG nicht nachgekommen ist, und zu der Auffassung gelangt, dass die Umstände des Falles die Verhängung einer solchen kombinierten Sanktion rechtfertigen.

IV – Folgerungen für die vorliegende Rechtssache

49.      In meinen Schlussanträgen vom 29. April 2004 habe ich festgestellt, dass die Französische Republik dem Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juni 1991 in der Tat nicht nachgekommen ist. Angesichts der besonderen Schwere der Verletzung ihrer Pflichten zur Kontrolle und Durchsetzung der Gemeinschaftsvorschriften über Mindestfischgrößen über nahezu zwei Jahrzehnte hinweg bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verhängung eines Pauschalbetrags für den Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht und dem Ablauf der Frist für die Befolgung der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission vom 6. Juni 2000 gerechtfertigt sei (13) . In meinem Vorschlag zur Berechnung dieses Betrages habe ich eine milde Haltung vorgeschlagen, da dies das erste Mal war, dass ein solcher Vorschlag gemacht wurde, die Kommission eine solche Sanktion nicht vorgeschlagen hatte und eine Praxis, die als Anleitung dienen könnte, nicht besteht (14) .

50.      An und für sich sehe ich keinen Grund, diese Analyse inhaltlich oder bezüglich der Folgen, die dieser Verstoß der Französischen Republik gegen ihre Vertragspflichten nach sich ziehen sollte, zu revidieren. Wie ich jedoch in meiner Antwort auf die erste Frage festgestellt habe, sollte der Gerichtshof, wenn er in einer bei ihm anhängigen Rechtssache in Erwägung zieht, eine strengere Sanktion als die von der Kommission vorgeschlagene zu verhängen, die Parteien zu einer solchen Sanktion anhören. Da die Parteien im vorliegenden Verfahren keine Gelegenheit gehabt haben, zu der von mir in meinen ersten Schlussanträgen vorgeschlagenen Sanktion Stellung zu nehmen, dürfte es der angemessenste Weg sein, sie aufzufordern, dies in einer weiteren Sitzung nachzuholen. Andernfalls könnte der Gerichtshof, wenn er bereit wäre, meiner Auffassung im Grundsatz zu folgen, in Erwägung ziehen, einen Pauschalbetrag in symbolischer Höhe festzusetzen. Es gibt indessen keinen Grund, das von mir vorgeschlagene Zwangsgeld zu überdenken.

V – Ergebnis

51.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die vom Gerichtshof gestellten Fragen wie folgt beantwortet werden sollten:

Der Gerichtshof besitzt nach Artikel 228 Absatz 2 EG die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, um einen Pauschalbetrag festzusetzen, auch wenn die Kommission die Verhängung eines Zwangsgelds vorgeschlagen hat. Erwägt er, eine schwerere Sanktion als die von der Kommission vorgeschlagene zu verhängen, gebieten es die Verteidigungsrechte, dass die Parteien zu der von ihm ins Auge gefassten Sanktion gehört werden.

Artikel 228 Absatz 2 EG hindert den Gerichtshof nicht daran, sowohl einen Pauschalbetrag als auch ein Zwangsgeld gegen einen Mitgliedstaat zu verhängen, wenn er feststellt, dass dieser einem Urteil nach Artikel 226 EG nicht nachgekommen ist, und zu der Auffassung gelangt, dass die Umstände des Falles die Verhängung einer solchen kombinierten Sanktion rechtfertigen.


1
Originalsprache: Englisch.


2
Slg. 1991, I‑2727.


3
Schlussanträge in der Rechtssache C‑387/97 (Kommission/Griechenland, Slg. 2000, I‑5047, Nrn. 33 und 42).


4
Zitiert in Fußnote 3, Randnr. 84.


5
ABl. 1996, C 242, S. 6.


6
Urteil vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C‑387/97 (zitiert in Fußnote 3, Randnr. 87).


7
Urteile in der Rechtssache C‑387/97 (zitiert in Fußnote 3) und vom 25. November 2003 in der Rechtssache C‑278/01 (Kommission/Spanien, Slg. 2003, I‑0000).


8
CIG 87/1/04, Rev. 1 vom 13. Oktober 2004.


9
Urteile in der Rechtssache C‑387/97 (zitiert in Fußnote 3, Randnr. 89) und in der Rechtssache C‑278/01 (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 41).


10
Urteil in der Rechtssache C‑387/97 (zitiert in Fußnote 3, Randnr. 84).


11
Vgl. Nrn. 31 bis 37 und 93.


12
Nr. 88.


13
Nrn. 90 bis 95.


14
Nr. 102.