SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PHILIPPE LEGER
vom 30. September 2003(1)



Rechtssache C-147/02



Michelle Alabaster
gegen
Woolwich plc,
Secretary of State for Social Security


(Vorabentscheidungsersuchen der Court of Appeal [England & Wales] [Civil Division] [Vereinigtes Königreich])

„Sozialpolitik – Gleiches Entgelt für Männer und Frauen – Richtlinie 92/85/EWG – Mutterschaftsurlaub – Mutterschaftsgeld, das anhand des Verdienstes der Arbeitnehmerin berechnet wird – Lohnerhöhung vor oder während des Mutterschaftsurlaubs – Einbeziehung“






1.        Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof Gelegenheit, das Urteil Gillespie (2) zu präzisieren, möglicherweise gar zu überprüfen. Dieses Urteil befasst sich mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, insbesondere mit der Höhe des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs.

2.        Hier möchte der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) (3) wissen, ob Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) dahin auszulegen ist, dass das gesetzliche Mutterschaftsgeld, das anhand des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, die Lohnerhöhungen einbeziehen muss, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs, aber außerhalb des vom innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Bezugszeitraums erfolgt sind.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

3.        In Artikel 119 EG-Vertrag wird der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (4) niedergelegt. Er bestimmt:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher ... Arbeit sicher.

(2)     Unter ‚Entgelt‘ ... sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.“

4.        Nach Artikel 1 der Richtlinie 75/117/EWG (5) bedeutet der Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen.

5.        In der Richtlinie 76/207/EWG (6) wird der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen niedergelegt (7) . Dieser Grundsatz beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf (8) .

6.        Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 bestimmt, dass die Richtlinie den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegensteht.

7.        Am 19. Oktober 1992 erließ der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (9) . Die Richtlinie ist auf Artikel 118a EG-Vertrag gestützt (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) und musste bis zum 19. Oktober 1994 umgesetzt werden (10) .

8.        Artikel 8 der Richtlinie 92/85 bezieht sich auf den Mutterschaftsurlaub. Er lautet:

„(1)
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.

(2)
Der Mutterschaftsurlaub gemäß Absatz 1 muss einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen umfassen, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.“

9.        Artikel 11 der Richtlinie 92/85 betrifft die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte. Er bestimmt:

„Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:

...

2.
In dem in Artikel 8 genannten Fall müssen gewährleistet sein:

a)
die mit dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b genannten;

b)
die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2.

3.
Die Sozialleistung nach Nummer 2 Buchstabe b gilt als angemessen, wenn sie mindestens den Bezügen entspricht, die die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde, wobei es gegebenenfalls eine von den einzelstaatlichen Gesetzgebern festgelegte Obergrenze gibt.“

B – Nationales Recht

10.      Die innerstaatlichen Vorschriften zum gesetzlichen Mutterschaftsgeld befinden sich in Teil XII des Social Security Contributions and Benefits Act 1992 (Gesetz über Sozialbeiträge und Leistungen der sozialen Sicherheit, im Folgenden: Gesetz).

11.      Nach Section 164 des Gesetzes hat eine Arbeitnehmerin Anspruch auf Mutterschaftsgeld, wenn sie in der 15. Woche vor der Woche der voraussichtlichen Entbindung mindestens 26 Wochen ununterbrochen bei demselben Arbeitgeber gearbeitet hat, wenn ihr regelmäßiger Wochenverdienst einen bestimmten Betrag überschreitet, wenn sie ihren Arbeitgeber ordnungsgemäß benachrichtigt hat und wenn die Entbindung innerhalb von 11 Wochen stattfinden soll.

12.      Nach Section 165 (1) des Gesetzes beträgt der Zeitraum, in dem das gesetzliche Mutterschaftsgeld gezahlt wird, höchstens 18 Wochen.

13.      Section 166 (1) sieht zwei Sätze, den höheren und den niedrigeren, für das Mutterschaftsgeld vor.

14.      Nach Section 166 (2) des Gesetzes entspricht der höhere Satz entweder 9/10 des regelmäßigen Wochenverdienstes, den die Arbeitnehmerin während eines Zeitraums von acht Wochen vor der vierzehnten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung erzielt hat, oder dem niedrigeren Satz, je nachdem welcher Satz der höhere ist. Der niedrigere Satz entspricht einem wöchentlichen Pauschalbetrag.

15.      Nach Section 166 (1 und 4) des Gesetzes steht der Arbeitnehmerin, die einen Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mutterschaftsgelds zum höheren Satz hat, dieser höhere Satz für sechs Wochen und der niedrigere Pauschalsatz für zwölf Wochen zu.

16.      Section 171 (4) des Gesetzes bestimmt, dass der regelmäßige Verdienst der Arbeitnehmerin in dem Durchschnittsverdienst besteht, der ihr im maßgeblichen Zeitraum gezahlt worden ist.

17.      Die Statutory Maternity Pay (General) Regulations 1986 (Verordnung über das gesetzliche Mutterschaftsgeld im Allgemeinen) in der mit Wirkung vom 12. Juni 1996 durch das Statutory Instrument Nr. 1335 von 1996 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung) regelt bestimmte Voraussetzungen für die Anwendung des Gesetzes in Bezug auf das gesetzliche Mutterschaftsgeld.

18.      Regulation 21 (2) der Verordnung definiert den „maßgeblichen Zeitpunkt“ als den ersten Tag der vierzehnten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung, oder als den ersten Tag der Woche, in der die Entbindung stattgefunden hat, je nachdem welcher der frühere ist.

19.      Regulation 21 (3) der Verordnung bestimmt, dass der maßgebliche Zeitraum im Sinne von Section 171 (4) des Gesetzes der Zeitraum ist zwischen:

„a)
dem letzten normalen Zahltag vor dem maßgeblichen Zeitpunkt und

b)
dem letzten normalen Zahltag, der dem in Unterabsatz a genannten normalen Zahltag um mindestens acht Wochen vorausgeht, einschließlich des in Unterabsatz a genannten normalen Zahltags, aber ohne den in Unterabsatz b zuerst genannten Tag“.

20.      Regulation 21 (7) der Verordnung wurde durch das Statutory Instrument Nr. 1335 von 1996 eingefügt, um dem Urteil Gillespie Rechnung zu tragen. Er lautet:

„Wird einer Frau eine rückwirkende Lohnerhöhung gewährt, die auch Beträge enthält, die sich auf einen maßgeblichen Zeitraum beziehen, wird der regelmäßige Wochenverdienst so berechnet, als ob die Beträge in diesem maßgeblichen Zeitraum ausgezahlt worden wären, selbst wenn sie nach diesem Zeitraum geflossen sind.“

II – Ausgangsverfahren

21.      Frau M. K. Alabaster war vom 7. Dezember 1987 bis zum 23. August 1996 bei der Woolwich plc (im Folgenden: Woolwich) (Vereinigtes Königreich) angestellt.

22.      Im Mai 1995 wurde sie schwanger.

23.      Am 8. Januar 1996 trat sie ihren Mutterschaftsurlaub an. Der voraussichtliche Entbindungstermin war der 11. Februar 1996, die Entbindung fand jedoch schon am 2. Februar 1996 statt.

24.      Frau Alabaster erhielt das gesetzliche Mutterschaftsgeld beginnend mit der Woche vom 8. Januar 1996. Sie erhielt das Mutterschaftsgeld zu dem höheren Satz nicht nur für den gesetzlichen Zeitraum von sechs Wochen, sondern aufgrund ihres Arbeitsvertrags auch für einen weiteren Zeitraum von vier Wochen. Anschließend wurde ihr das Mutterschaftsgeld zum niedrigeren Satz für acht Wochen gezahlt.

25.      Am 12. Dezember 1995 erhielt Frau Alabaster mit Wirkung ab 1. Dezember 1995 eine Lohnerhöhung. Diese Lohnerhöhung wurde bei der Berechnung des gesetzlichen Mutterschaftsgelds jedoch nicht berücksichtigt, da sie nach dem für die Berechnung des regelmäßigen Verdienstes maßgeblichen Zeitraum erfolgt war.

26.      Gemäß Regulation 21 (3) der Verordnung begann für Frau Alabaster der maßgebliche Zeitraum nämlich am 1. September 1995 und endete am 31. Oktober 1995.

27.      Regulation 21 (7) der Verordnung war im Fall von Frau Alabaster nicht anwendbar, da die Vorschrift erst am 12. Juni 1996 in Kraft trat. Sie wäre ohnehin nicht auf Frau Alabaster anwendbar gewesen, da ihre Lohnerhöhung nicht rückwirkend für den maßgeblichen Zeitraum erfolgt war.

28.      Am 21. Januar 1997 erhob Frau Alabaster vor dem Employment Tribunal (Vereinigtes Königreich) Klage gegen Woolwich. Sie machte geltend, die Nichtberücksichtigung der Lohnerhöhung bei der Berechnung des gesetzliches Mutterschaftsgelds stelle eine gegen Artikel 119 EG-Vertrag verstoßende Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.

29.      Der Minister für soziale Sicherheit (Secretary of State for Social Security, Vereinigtes Königreich) wurde mit Beschluss des Employment Tribunal vom 30. Mai 1997 beigeladen.

30.      Mit Entscheidung vom 10. März 1999 stellte das Employment Tribunal unter Berufung auf das Urteil Gillespie fest, dass die Nichtberücksichtigung der Lohnerhöhung für Frau Alabaster gegen Artikel 119 EG-Vertrag verstoße.

31.      Woolwich und der Secretary of State for Social Security legten insoweit ein Rechtsmittel beim Employment Appeal Tribunal (Vereinigtes Königreich) ein, das – wiederum unter Berufung auf das Urteil Gillespie – am 7. April 2000 zurückwies.

III – Vorabentscheidungsfragen

32.      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens legten daraufhin Rechtsmittel beim Court of Appeal ein, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Wenn

a)
der einkommensabhängige Teil eines gesetzlichen Mutterschaftsgeldes anhand des regelmäßigen Wochenverdienstes der Frau während eines achtwöchigen Zeitraums berechnet wird, der in der 15. Woche vor der voraussichtlichen Woche der Entbindung endet (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) und

b)
der Arbeitgeber irgendwann nach Ablauf des für die Berechnung des einkommensabhängigen Teils des gesetzlichen Mutterschaftsgeldes maßgeblichen Zeitraums und vor Beendigung des Mutterschaftsurlaubs eine Lohnerhöhung gewährt, die nicht auf den maßgeblichen Zeitraum zurückwirkt:

1.
Ist Artikel 141 EG und das Urteil in der Rechtssache Gillespie (Slg. 1996, I-475) in dem Sinn auszulegen, dass der Frau ein Anspruch auf Berücksichtigung dieser Lohnerhöhung bei der Berechnung oder Neuberechnung des einkommensabhängigen Teils ihres Mutterschaftsgeldes zusteht?

2.
Ist es für die Beantwortung der Frage 1 von Bedeutung, ob die Lohnerhöhung i) vor Beginn des Mutterschaftsurlaubs, ii) vor Ablauf des Zeitraums, für den ein einkommensabhängiges Mutterschaftsgeld gewährt wird, oder iii) zu einem anderen Zeitpunkt, und wenn ja, welchem, Wirksamkeit erlangt?

3.
Wenn die Frage 1 bejaht wird,

i)
wie muss die Lohnerhöhung bei der Berechnung oder Neuberechnung des regelmäßigen Wochenverdienstes im maßgeblichen Zeitraum berücksichtigt werden?

ii)
Muss der maßgebliche Zeitraum geändert werden?

iii)
Wenn überhaupt, dann in welcher Weise sind andere in dem Zeitraum, auf den sich die Lohnerhöhung bezieht, eintretende Faktoren, wie z. B. die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, und der Grund für die Lohnerhöhung zu berücksichtigen?

iv)
Ergibt sich daraus, dass bei einer Lohnkürzung nach Ablauf des maßgeblichen Zeitraums, aber vor Beendigung des Mutterschaftsurlaubs das gesetzliche Mutterschaftsgeld unter Berücksichtigung der Lohnkürzung berechnet oder neu berechnet werden muss, und wenn ja, wie hat dies zu geschehen?

IV – Zur ersten Frage

33.      Die erste Frage betrifft die Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag und des Urteils Gillespie.

34.      Der Court of Appeal möchte wissen, ob angesichts der genannten Umstände das gesetzliche Mutterschaftsgeld, das anhand des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, die Lohnerhöhungen einbeziehen muss, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs, aber außerhalb des nach dem innerstaatlichen Recht maßgeblichen Zeitraums erfolgt sind.

35.      Die Antwort auf diese Frage hängt von der Tragweite ab, die dem Urteil Gillespie zuzuerkennen ist. Ich werde daher mit der Prüfung der Tragweite dieses Urteils beginnen (nachfolgend Buchstabe A). Ich werde allerdings auch die Schwierigkeiten darlegen, die das Urteil Gillespie (nachfolgend Buchstabe B) und die Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes (nachfolgende Buchstabe C) mit sich bringen. Diese beiden Faktoren führen zu der Frage, ob nicht der Anspruch der Arbeitnehmerin auf Berücksichtigung der Lohnerhöhung beim Mutterschaftsgeld seine Grundlage statt im Grundsatz der Gleichbehandlung in der Richtlinie 95/85 hat (nachfolgend Buchstabe D).

A – Zur Tragweite des Urteils Gillespie

36.      In der Rechtssache Gillespie ähneln die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Ereignisse denen der vorliegenden Rechtssache.

37.      Frau Gillespie und sechzehn weitere Arbeitnehmerinnen hatten sich im Laufe des Jahres 1988 im Mutterschaftsurlaub befunden. Im November 1988 hatten sie rückwirkende Lohnerhöhungen ab 1. April 1988 erhalten. Diese Erhöhungen waren jedoch aufgrund der in den einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften vorgesehenen Berechnungsmethode nicht in das Mutterschaftsgeld einbezogen worden.

38.      Der mit dem Rechtsstreit befasste Court of Appeal in Northern Ireland (Nordirland) legte dem Gerichtshof vier Fragen zur Vorabentscheidung vor. Er wollte im Wesentlichen wissen, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts verlangt, dass Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs weiter das volle Arbeitsentgelt erhalten oder ihnen gegebenenfalls eine vor oder während des Mutterschaftsurlaubs erfolgte Lohnerhöhung zugute kommt.

39.      Der Gerichtshof hat die Fragen wie folgt beantwortet:

„12
Nach der in Artikel 119 Absatz 2 enthaltenen Definition sind unter dem Begriff des Entgelts im Sinne der genannten Bestimmungen alle Vergünstigungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar zahlt. Für die Anwendung von Artikel 119 kommt es auf die Rechtsnatur dieser Vergünstigungen nicht an, sofern sie im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis gewährt werden ...

13
Zu den als Entgelt qualifizierten Vergünstigungen gehören insbesondere die vom Arbeitgeber aufgrund von Rechtsvorschriften und aufgrund des Vorliegens von Arbeitsverträgen gezahlten Vergünstigungen, die den Arbeitnehmern ein Einkommen sichern sollen, selbst wenn sie in besonderen gesetzlich vorgesehenen Fällen keine in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehene Tätigkeit ausüben ...

14
Da die Leistung, die der Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin aufgrund der gesetzlichen Vorschriften oder der Tarifverträge während ihres Mutterschaftsurlaubs zahlt, auf dem Arbeitsverhältnis beruht, stellt sie ein Entgelt im Sinne des Artikels 119 des Vertrages und der Richtlinie 75/117 dar.

15
Artikel 119 des Vertrages und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 stehen also einer Regelung entgegen, die es erlaubt, Männern und Frauen ein unterschiedliches Entgelt zu zahlen, obwohl sie gleiche Arbeit oder eine gleichwertige Arbeit verrichten.

16
Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalte angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewandt wird (siehe insbesondere Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C‑279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 30).

17
Im vorliegenden Fall befinden sich die Frauen während eines in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mutterschaftsurlaubs in einer besonderen Situation, die verlangt, dass ihnen ein besonderer Schutz gewährt wird, die jedoch nicht mit der Situation eines Mannes oder mit der einer Frau, die tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz arbeitet, gleichgesetzt werden kann.

18
Zu der Frage, ob das Gemeinschaftsrecht verlangt, dass Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs weiter das volle Arbeitsentgelt erhalten oder dass bei der Bestimmung der Höhe der während des Mutterschaftsurlaubs zu zahlenden Leistung bestimmte Kriterien angewandt werden, ist ... daran zu erinnern, dass die Richtlinie 92/85/EWG ... verschiedene Maßnahmen zum Schutz namentlich der Sicherheit und der Gesundheit von Arbeitnehmerinnen insbesondere vor und nach der Niederkunft vorsieht. Hierzu gehören im Rahmen der mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte u. a. ... die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung ...

19
Da diese Richtlinie aus Gründen ihrer zeitlichen Geltung auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist, war es Sache des nationalen Gesetzgebers ... die Höhe der während des Mutterschaftsurlaubs zu zahlenden Leistung festzulegen.

20
Angesichts dieser Befugnis ist festzustellen, dass in dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt weder Artikel 119 EWG-Vertrag noch Artikel 1 der Richtlinie 75/117 verlangten, dass Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs weiter das volle Arbeitsentgelt erhalten. Diese Vorschriften stellten auch keine besonderen Kriterien für die Bestimmung der Höhe der den Arbeitnehmerinnen während dieser Zeit zu zahlenden Leistungen auf. ...

21
Die Frage, ob eine Arbeitnehmerin während ihres Mutterschaftsurlaubs in den Genuss einer vor oder während dieses Zeitraums erfolgten Lohnerhöhung gelangen muss, ist zu bejahen.

22
Da die während des Mutterschaftsurlaubs gezahlte Leistung ein Wochenlohn ist, der aufgrund des durchschnittlichen Lohns berechnet wird, den die Arbeitnehmerin in einem bestimmten Zeitpunkt, als sie tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz arbeitete, erhielt und der ihr Woche für Woche wie jedem anderen Arbeitnehmer ausgezahlt wurde, verlangt das Diskriminierungsverbot, dass Arbeitnehmerinnen, die während des Mutterschaftsurlaubs weiter durch den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis an ihren Arbeitgeber gebunden sind, ebenso wie jeder andere Arbeitnehmer gegebenenfalls sogar rückwirkend in den Genuss einer Lohnerhöhung gelangen, die zwischen dem Beginn des Zeitraums, für den der Referenzlohn gezahlt worden ist, und dem Ende des Mutterschaftsurlaubs erfolgt ist. Würde die Arbeitnehmerin nämlich von einer solchen Lohnerhöhung während ihres Mutterschaftsurlaubs ausgeschlossen, so würde sie allein in ihrer Arbeitnehmereigenschaft diskriminiert, da sie, wenn sie nicht schwanger gewesen wäre, den erhöhten Lohn erhalten hätte.“

40.      Der Gerichtshof hat somit für Recht erkannt, dass der in Artikel 119 EG-Vertrag aufgestellte Grundsatz des gleichen Entgelts zwar nicht verlangt, dass die Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs weiter das volle Arbeitsentgelt erhalten, und dass der Grundsatz keine besonderen Kriterien für die Bestimmung der Höhe des den Arbeitnehmerinnen zu zahlenden Mutterschaftsgelds aufstellt, dass das Diskriminierungsverbot aber verlangt, dass für das Mutterschaftsgeld die Lohnerhöhungen berücksichtigt werden, die zwischen dem Beginn des maßgeblichen Zeitraums und dem Ende des Mutterschaftsurlaubs erfolgt sind.

41.      Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten die Tragweite, die dem Urteil Gillespie zuzuerkennen ist, umstritten.

42.      Das Vereinigte Königreich ist der Auffassung, das Urteil müsse auf die Umstände des zugrunde liegenden Falls beschränkt bleiben, d. h. auf die Fälle, in denen die Lohnerhöhung auf den maßgeblichen Zeitraum zurückwirke.

43.      Das Vereinigte Königreich führt aus, in der Rechtssache Gillespie seien die Lohnerhöhungen zwar vor oder während des Mutterschaftsurlaubs der Klägerinnen beschlossen worden, hätten jedoch auf den maßgeblichen Zeitraum zurückgewirkt. Der Gerichtshof habe in diesem Urteil somit lediglich festgestellt, dass eine solche Lohnerhöhung bei der Höhe des Mutterschaftsgeldes berücksichtigt werden müsse. Der Gerichtshof habe dagegen nicht den Grundsatz aufgestellt, dass jede Lohnerhöhung, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs, aber außerhalb des maßgeblichen Zeitraums erfolge, in das Mutterschaftsgeld einbezogen werden müsse. Wäre das Urteil Gillespie dahin gehend auszulegen, so würde dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit und zu zahlreichen praktischen Unsicherheiten führen.

44.      Frau Alabaster widerspricht dieser Auslegung des Urteils Gillespie. Sie führt aus, in diesem Urteil spreche nichts für die Annahme, dass die Lohnerhöhungen auf den maßgeblichen Zeitraum zurückgewirkt hätten. Der Wortlaut des Urteils Gillespie sei jedenfalls eindeutig: Das Diskriminierungsverbot verlange die Berücksichtigung jeder Lohnerhöhung, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs erfolge, auch wenn diese Erhöhung außerhalb des maßgeblichen Zeitraums liege. Frau Alabaster fügt hinzu, dass die praktischen Unsicherheiten, auf die sich das Vereinigte Königreich berufe, diese Feststellung nicht in Frage stellen dürften.

45.      Die Kommission teilt die Auffassung von Frau Alabaster. Entscheide sich ein Mitgliedstaat für eine Regelung, nach der das Mutterschaftsgeld vom Einkommen der Arbeitnehmerin abhängig sei, so müsse diese Regelung mit Artikel 119 EG-Vertrag im Einklang stehen. Nach dem Urteil Gillespie bedeute dies, dass in das Mutterschaftsgeld die Lohnerhöhungen einzubeziehen seien, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs der Arbeitnehmerin erfolgten.

46.      Ich meinerseits bin der Ansicht, dass die Tragweite des Urteils Gillespie eindeutig ist. Der Gerichtshof hat meines Erachtens den Grundsatz aufgestellt, dass in ein gesetzliches Mutterschaftsgeld, das anhand des Verdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, alle Lohnerhöhungen einzubeziehen sind, die zwischen dem Beginn des maßgeblichen Zeitraums und dem Ende des Mutterschaftsurlaubs erfolgt sind.

47.      Wie Frau Alabaster hervorgehoben hat, berechtigt nämlich nichts zu der Annahme, dass in der Rechtssache Gillespie die Lohnerhöhungen auf den maßgeblichen Zeitraum zurückwirkten.

48.      Das Urteil Gillespie stellt lediglich fest, dass „[i]m Laufe des Jahres 1988 sich die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ... in Mutterschaftsurlaub [befanden]“ (11) , dass „[i]m November 1988 ... Tarifverhandlungen ... zu rückwirkenden Lohnerhöhungen ab 1. April 1988 [führten]“ (12) und dass „die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ... nicht in den Genuss dieser Erhöhungen kommen [konnten]“ (13) .

49.      Zudem weisen bestimmte Teile des Urteils Gillespie sogar darauf hin, dass die streitigen Lohnerhöhungen auf einen außerhalb des maßgeblichen Zeitraums liegenden Zeitpunkt zurückwirkten.

50.      In Randnummer 6 des Urteils führt der Gerichtshof nämlich aus, dass die Lohnerhöhungen der Klägerinnen aus folgenden Gründen nicht in ihr Mutterschaftsgeld einbezogen wurden:

„Wie sich aus dem Urteil des Industrial Tribunal, auf das der Vorlagebeschluss Bezug nimmt, ergibt, wird ... die während des Mutterschaftsurlaubs zu zahlende Geldleistung aufgrund des durchschnittlichen Wochenlohns festgelegt, der ... aufgrund der letzten beiden Monatslöhne (nachstehend: Referenzlöhne) berechnet wird, den die Betroffenen während der beiden der Referenzwoche vorangehenden Monate erhielten. Als Referenzwoche wird die fünfzehnte Woche vor Beginn der Woche der voraussichtlichen Niederkunft bestimmt. Für den Fall einer nachträglichen Lohnerhöhung war keine Erhöhung der Referenzlöhne vorgesehen.“14  Hervorhebung von mir.

51.      Der letzte Satz scheint somit darauf hinzuweisen, dass der Grund, weshalb die Klägerinnen nicht in den Genuss ihrer Lohnerhöhung kamen, darin lag, dass die Erhöhung außerhalb des von den einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften definierten Referenzzeitraums erfolgte.

52.      Meines Erachtens steht daher nicht fest, dass die Lohnerhöhungen der Klägerinnen in der Rechtssache Gillespie auf den maßgeblichen Zeitraum zurückwirkten.

53.      Jedenfalls ist nach dem Wortlaut des Urteils Gillespie die Annahme, der Gerichtshof habe nur diesen Fall gewürdigt, nicht möglich.

54.      Der Wortlaut der Randnummern 21 und 22 ist eindeutig und enthält keine Einschränkungen. Randnummer 21 weist darauf hin, dass „[d]ie Frage, ob eine Arbeitnehmerin während ihres Mutterschaftsurlaubs in den Genuss einer vor oder während dieses Zeitraums erfolgten Lohnerhöhung gelangen muss, ... zu bejahen [ist]“. Ferner heißt es in Randnummer 22, dass „Arbeitnehmerinnen ... in den Genuss einer Lohnerhöhung gelangen [müssen], die zwischen dem Beginn des Zeitraums, für den der Referenzlohn gezahlt worden ist, und dem Ende des Mutterschaftsurlaubs erfolgt ist“. Schließlich wird im Tenor des Urteils Gillespie eindeutig und ohne Einschränkungen festgestellt:

„Soweit ... bei der Berechnung dieser [Mutterschaftsgeld-]Leistungen auf einen Lohn abgestellt wird, den die Arbeitnehmerin vor Beginn des Mutterschaftsurlaubs erhalten hat, sind in diese Leistungen Lohnerhöhungen, die zwischen dem Beginn des Zeitraums, für den die Referenzlöhne gezahlt worden sind, und dem Ende des Mutterschaftsurlaubs erfolgt sind, ab ihrem Inkrafttreten einzubeziehen.“

55.      Es spricht daher nichts dafür, den im Urteil Gillespie aufgestellten Grundsatz auf die Fälle zu beschränken, in denen die Lohnerhöhung auf den maßgeblichen Zeitraum zurückwirkt.

56.      Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse wäre die erste Vorabentscheidungsfrage somit zu bejahen. Der Gerichtshof könnte feststellen, dass aufgrund des Urteils Gillespie in ein gesetzliches Mutterschaftsgeld, das anhand des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, die Lohnerhöhungen einzubeziehen sind, die zwar vor oder während des Mutterschaftsurlaubs, aber außerhalb des vom innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen maßgeblichen Zeitraums erfolgt sind.

57.      Wie das Vereinigte Königreich bin jedoch auch ich der Ansicht, dass das Urteil Gillespie eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich bringt. Angesichts dieser Schwierigkeiten und angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, das Urteil Gillespie nicht zu bestätigen. Wir werden sehen, dass beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts der Anspruch der Arbeitnehmerin, in den Genuss ihrer Lohnerhöhung zu kommen, auf die Richtlinie 92/85 gestützt werden müsste.

B – Zu den Schwierigkeiten, die das Urteil Gillespie mit sich bringt

58.      Unstreitig verlangt das Diskriminierungsverbot, dass eine Arbeitnehmerin keine Nachteile aus Gründen der Schwangerschaft oder des Mutterschaftsurlaubs erleidet (15) . Dies bedeutet, dass eine Arbeitnehmerin, die während des Mutterschaftsurlaubs an ihren Arbeitgeber gebunden bleibt, ihre Ansprüche aus den gesamten für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gleichermaßen geltenden Arbeitsbedingungen weiterhin behalten muss (16) .

59.      Im Urteil Gillespie (17) hat der Gerichtshof aus diesem Grundsatz abgeleitet, dass eine Frau während des Mutterschaftsurlaubs genauso wie jeder Arbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz arbeitet, unmittelbar in den Genuss der Lohnerhöhung gelangen muss, selbst wenn die Lohnerhöhung außerhalb des maßgeblichen Zeitraums oder während des Mutterschaftsurlaubs erfolgt. Dieses Erfordernis bedeutet, dass die Lohnerhöhung bei der Höhe des Entgelts oder der Leistung zu berücksichtigen ist, die der Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs gezahlt wird.

60.      Die Besonderheit des Urteils Gillespie liegt jedoch darin, dass der Gerichtshof hierbei das Diskriminierungsverbot auf die sich in Mutterschaftsurlaub befindende Arbeitnehmerin, genauer gesagt auf das Entgelt, das die Arbeitnehmerin während dieses Zeitraums erhält, angewandt hat.

61.      Diese besondere Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann meines Erachtens aber zweierlei Schwierigkeiten mit sich bringen.

62.      Erstens bin ich der Ansicht, dass ein gewisser Widerspruch besteht zwischen dem im Urteil Gillespie (18) aufgestellten Grundsatz einerseits und den Randnummern 16 bis 20 des Urteils andererseits.

63.      In den Randnummern 16 bis 20 des Urteils Gillespie hat der Gerichtshof nämlich ausgeführt, dass Artikel 119 EG-Vertrag nicht für Frauen während des Mutterschaftsurlaubs gelte. Der Grund für diesen Ausschluss liege darin, dass das von Artikel 119 EG-Vertrag aufgestellte Verbot voraussetze, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ungleich behandelt würden. Nach Auffassung des Gerichtshofes befindet sich aber eine Frau während des Mutterschaftsurlaubs in einer besonderen Situation, die einen besonderen Schutz verlangt, die jedoch mit keiner anderen Situation verglichen werden kann. Der Gerichtshof hat hieraus geschlossen, dass Artikel 119 EG-Vertrag weder verlange, dass Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs weiter das volle Arbeitsentgelt erhielten, noch Kriterien für die Bestimmung der Höhe des Mutterschaftsgeldes aufstelle.

64.      Zugleich aber hat der Gerichtshof in den Randnummern 21 und 22 entschieden, dass das Diskriminierungsverbot verlangt, dass für ein Mutterschaftsgeld, das anhand des Verdienstes der Arbeitnehmerin berechnet werde, eine Lohnerhöhung berücksichtigt wird, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs erfolgt ist. Der Grund für dieses Erfordernis liege darin, dass andernfalls eine Diskriminierung der Arbeitnehmerin aus Gründen der Schwangerschaft oder des Mutterschaftsurlaubs vorliegen würde.

65.      Ich muss gestehen, dass diese beiden Grundsätze relativ widersprüchlich zu sein scheinen. Es ist nämlich schwer zu verstehen, wie das Diskriminierungsverbot, das während des Mutterschaftsurlaubs nicht gilt und somit keine Kriterien für die Berechnung des Mutterschaftsgelds aufstellt, zugleich verlangen kann, dass bestimmte Lohnerhöhungen bei der Berechnung des Mutterschaftsgelds berücksichtigt werden. Man kann sich, anders gesagt, nicht recht vorstellen, wie sich das Diskriminierungsverbot, das während des Mutterschaftsurlaubs nicht anwendbar ist, auf die Höhe der Leistung auswirken kann, die während des Mutterschaftsurlaubs an die Arbeitnehmerin gezahlt wird.

66.      Letztlich ist das Urteil Gillespie wohl auf halbem Weg zwischen zweierlei Gedanken stehen geblieben, die es bis zum Ende hätte verfolgen müssen. Der erste Gedanke besteht darin, die Geltung des Diskriminierungsverbots während des Mutterschaftsurlaubs auszuschließen. In diesem Fall kann das Verbot aber nicht verlangen, dass eine Lohnerhöhung in das Mutterschaftsgeld einbezogen wird. Der zweite Gedanke besteht darin, das Diskriminierungsverbot auf die Frau während des Mutterschaftsurlaubs anzuwenden. In diesem Fall aber verlangt Artikel 119 EG-Vertrag, dass die Frau den vollen Verdienst während der gesamten Dauer des Mutterschaftsurlaubs erhält.

67.      Zweitens bin ich der Ansicht, dass der im Urteil Gillespie aufgestellte Grundsatz negative Folgen für die Arbeitnehmerinnen haben kann.

68.      Wie der Court of Appeal (19) und das Vereinigte Königreich (20) herausgestellt haben, droht die Anwendung des Diskriminierungsverbots auf die sich im Mutterschaftsurlaub befindende Frau den Schutz zu gefährden, den sie während dieser Zeit beanspruchen kann.

69.      Das Urteil Gillespie verlangt nämlich, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs nicht anders behandelt wird als der Arbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz arbeitet (21) . Dies bedeutet, wie ausgeführt, dass die Lohnerhöhung sich, wenn die Frau vor oder während des Mutterschaftsurlaubs in den Genuss einer solchen gelangt, unmittelbar in der Höhe des Mutterschaftsgelds niederschlagen muss.

70.      Eine ordnungsgemäße Anwendung des Diskriminierungsverbots verlangt jedoch, dass auch die negativen Umstände berücksichtigt werden, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs eintreten. Bei einer Lohnkürzung oder einem Lohnausfall für die Arbeitnehmerin vor oder während des Mutterschaftsurlaubs würde daher das Diskriminierungsverbot verlangen, dass diese Lohnkürzung oder dieser Lohnausfall sich ebenfalls in der Höhe des Mutterschaftsgelds niederschlägt. Eine andere Entscheidung würde auf eine Anwendung des Diskriminierungsverbots in wechselndem Umfang hinauslaufen, wie sie mit den Erfordernissen des Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren wäre.

71.      Die Anwendung des im Urteil Gillespie aufgestellten Grundsatzes könnte daher zu einer Kürzung der an die Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs zu zahlenden Leistungen führen.

72.      Diese Folge wäre umso bedauerlicher, als im Vereinigten Königreich der maßgebliche Zeitraum gerade den Zweck hat, die Arbeitnehmerinnen vor negativen Entwicklungen zu schützen, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs eintreten. Aus den Erklärungen des Vereinigten Königreichs geht nämlich hervor, dass dieser Zeitraum gewählt wurde, um den Durchschnittsverdienst der Arbeitnehmerin für einen Zeitpunkt der Schwangerschaft (zwischen dem vierten und dem sechsten Monat) zu berechnen, in dem es für die Arbeitnehmerin im Allgemeinen wenig gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit der Schwangerschaft gibt.

73.      Da aber, wie das Vereinigte Königreich ausgeführt hat, das Urteil Gillespie verlangt, dass alle vor dem Mutterschaftsurlaub eingetretenen Umstände berücksichtigt werden, verschiebt es im Ergebnis den maßgeblichen Zeitraum auf das Ende der Schwangerschaft, d. h. auf einen Zeitpunkt, zu dem die Frauen, statistisch gesehen, weniger in der Lage sind, normal zu arbeiten.

74.      Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass das Urteil Gillespie zu einer Kürzung der Leistung führt, die während des Mutterschaftsurlaubs an die Arbeitnehmerinnen zu zahlen ist (22) .

C – Zur Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes

75.      Außerdem fügt sich der im Urteil Gillespie aufgestellte Grundsatz wohl nicht mehr in die derzeitige Rechtsprechung zum Schutz der im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft stehenden Rechte ein.

76.      Aus der derzeitigen Rechtsprechung nämlich ergibt sich, dass der Gerichtshof den Grundsatz des gleichen Entgelts und den Grundsatz der Gleichbehandlung nur außerhalb der Zeit des Mutterschaftsurlaubs anwendet.

77.      So ist der Gerichtshof der Auffassung, dass es dem Diskriminierungsverbot zuwiderlaufe, wenn eine Arbeitnehmerin wegen Schwangerschaft nicht eingestellt werde (23) , wenn eine Arbeitnehmerin aus diesem Grund entlassen werde (24) , wenn eine Arbeitnehmerin aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch die Schwangerschaft verursachten Krankheit entlassen werde (25) , wenn ein Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren lasse, weil sie ihm vor der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags nicht mitgeteilt habe, dass sie schwanger sei (26) , und wenn eine Regelung ergehe, die einer Frau den Anspruch auf Beurteilung deshalb nehme, weil sie dem Betrieb während eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben sei (27) .

78.      Ferner hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, der Grundsatz des gleichen Entgelts verbiete es, dass ein Arbeitgeber die Weihnachtsgratifikation kürze, um die Fehlzeiten einer Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs zu berücksichtigen (28) . Der Gerichtshof hat auch entschieden, der genannte Grundsatz verlange, dass die Arbeitnehmerin, die vor dem Mutterschaftsurlaub aufgrund der Schwangerschaft arbeitsunfähig werde, weiterhin ihr volles Gehalt erhalte, wenn Arbeitnehmern, die arbeitsunfähig würden, ein solcher Anspruch zustehe (29) .

79.      Es ist deutlich, dass diese verschiedenen Ereignisse – Einstellung, Entlassung, Rückkehr an den Arbeitsplatz, Beurteilung, Leistung von Gratifikationen, krankheitsbedingte Fehlzeiten – außerhalb des Mutterschaftsurlaubs stattfinden.

80.      Ist dagegen die Frau im Mutterschaftsurlaub, wendet der Gerichtshof den Grundsatz des gleichen Entgelts und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr an. Er prüft den streitigen Sachverhalt vielmehr wohl allein anhand der Vorschriften der Richtlinie 92/85.

81.      So betraf das Urteil Boyle u. a. (30) die Klausel eines Arbeitsvertrags, die es der Arbeitnehmerin ermöglichte, während ihres Mutterschaftsurlaubs ein Entgelt zu erhalten, das höher war als das in den nationalen Vorschriften vorgesehene Entgelt, vorausgesetzt, die Arbeitnehmerin verpflichtete sich, die Arbeit nach der Entbindung mindestens für einen Monat wieder aufzunehmen. Andernfalls musste sie die Differenz zwischen dem an sie gezahlten Entgelt und dem Betrag der gesetzlichen Leistungen zurückzahlen. Der Gerichtshof stellte fest, dass Artikel 119 EG-Vertrag einer solchen Klausel nicht entgegenstehe, da „bei der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin eine besondere Empfindlichkeit [besteht], die einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub erforderlich macht, jedoch nicht der Lage eines Mannes oder einer Frau, die Krankheitsurlaub erhalten haben, gleichgesetzt werden kann“ (31) .

82.      Der Gerichtshof prüfte daher die streitige Klausel nur anhand der Vorschriften der Richtlinie 98/50 (32) .

83.      Weiter betraf das Urteil Høj Pedersen u. a. nationale Rechtsvorschriften, nach denen eine schwangere Frau, die aufgrund eines mit der Schwangerschaft zusammenhängenden krankhaften Zustands arbeitsunfähig wird, keinen Anspruch auf Fortzahlung ihres vollen Gehalts während der Arbeitsunfähigkeit hat. Es stand jedoch fest, dass ein Arbeitnehmer, der arbeitsunfähig wird, das volle Gehalt behielt. Zur Rechtfertigung dieses Unterschieds hatten die Beklagten der Ausgangsverfahren geltend gemacht, nach Artikel 11 der Richtlinie 92/85 dürften die Mitgliedstaaten eine Obergrenze für die Leistungen vorsehen, die an die Arbeitnehmerinnen bei Schwangerschaft zu zahlen seien (33) .

84.      Der Gerichtshof hat dieses Vorbringen mit der Begründung zurückgewiesen, dass Artikel 11 der Richtlinie 92/85 nur für Arbeitsentgelte oder Leistungen gelte, die den Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs gezahlt würden (34) . Da in jenem Fall der Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeit betraf, die vor dem Mutterschaftsurlaub eingetreten war, vertrat der Gerichtshof die Auffassung, Artikel 119 EG-Vertrag verlange auch die Fortzahlung des vollen Gehalts bei Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin (35) .

85.      Im Urteil Lewen schließlich stellte der Gerichtshof fest, dass eine Weihnachtsgratifikation, die vom Arbeitgeber freiwillig als Anreiz für zukünftige Dienstleistung gewährt werde, kein Arbeitsentgelt im Sinne des Artikels 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85 darstellen könne, da diese Gratifikation nicht sicherstellen solle, dass die Arbeitnehmerin während ihres Mutterschaftsurlaubs Bezüge in angemessener Höhe erhalte.

86.      Aus all diesen Urteilen ergibt sich, dass der Gerichtshof seit Inkrafttreten der Richtlinie 92/85 zwischen zwei bestimmten Zeiträumen unterscheidet: einem ersten Zeitraum, der die Schwangerschaft bis zum Beginn des Mutterschaftsurlaubs umfasst, und einem zweiten Zeitraum, der den Mutterschaftsurlaub umfasst. Der Gerichtshof wendet Artikel 119 EG-Vertrag und den Grundsatz des gleichen Entgelts einzig und allein während des ersten Zeitraums an. Befindet sich die Frau dagegen im Mutterschaftsurlaub, wird ihre Situation nur anhand der Vorschriften der Richtlinie 92/85 geprüft. Dies bedeutet, dass eine Benachteiligung der Arbeitnehmerin, die während ihres Mutterschaftsurlaubs stattfindet, nur dann untersagt ist, wenn sie gegen die Richtlinie 92/85 verstößt (36) .

87.      Unter diesen Umständen bin ich der Meinung, dass sich der im Urteil Gillespie aufgestellte Grundsatz nicht mehr in den Rahmen der derzeitigen Rechtsprechung einfügt. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil, wie ausgeführt, das Diskriminierungsverbot auf den oben beschriebenen zweiten Zeitraum angewandt, nämlich auf das Arbeitsentgelt der Arbeitnehmerin während ihres Mutterschaftsurlaubs.

88.      Angesichts der oben genannten Schwierigkeiten und der Entwicklung der Rechtsprechung schlage ich dem Gerichtshof vor, den im Urteil Gillespie aufgestellten Grundsatz nicht zu bestätigen. Ich bin der Auffassung, dass der Anspruch der Arbeitnehmerin, in den Genuss der Lohnerhöhung zu kommen, künftig auf die Richtlinie 92/85 gestützt werden muss.

D – Zur Anspruchsgrundlage der Arbeitnehmerin

89.      Bekanntlich wurde die Richtlinie 92/85 aufgrund des Artikels 118a EG-Vertrag erlassen, um den Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft und des Mutterschaftsurlaubs besonderen Schutz zu gewähren. Der Gemeinschaftsgesetzgeber war der Auffassung, dass schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen in vielerlei Hinsicht eine Gruppe mit besonderen Risiken darstellten und dass Maßnahmen für ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu treffen seien (37) . Er hat daher eine Reihe von Schutzmaßnahmen getroffen, wie z. B. das Kündigungsverbot für Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft, den Mutterschaftsurlaub und die Freistellung von der Arbeit für Vorsorgeuntersuchungen.

90.      Zu den genannten Maßnahmen gehört nach der Richtlinie 92/85, dass den Arbeitnehmerinnen ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt werden muss, von denen zwei Wochen obligatorisch sind. Zudem sieht Artikel 11 Nummer 2 der Richtlinie 92/85 vor, dass während des Mutterschaftsurlaubs gewährleistet sein müssen:

„a)
die mit dem Arbeitsvertrag ... verbundenen anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b genannten;

b)
die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung ...“

91.      Meiner Meinung nach aber könnte Buchstabe a der vorstehend genannten Vorschrift dahin ausgelegt werden, dass er die Lohnerhöhungen umfasst, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs erfolgen. Die Befugnis einer Arbeitnehmerin, eine ihr gewährte Lohnerhöhung sogleich zu erhalten, kann nämlich als ein „mit dem Arbeitsvertrag verbundenes Recht“ der betroffenen Person betrachtet werden (38) .

92.      Eine solche Auslegung könnte die Schwierigkeiten vermeiden, von denen ich oben gesprochen habe.

93.      Zum einen wäre sie mit dem Grundsatz vereinbar, dass sich eine Frau während des Mutterschaftsurlaubs in einer besonderen Situation befindet, die einen besonderen Schutz verlangt, die jedoch mit keiner anderen Situation verglichen werden kann (39) . Die vorgeschlagene Auslegung hätte nämlich zum Inhalt, dass auf eine Frau während des Mutterschaftsurlaubs Maßnahmen angewandt werden, die zu ihrem Schutz erlassen worden sind. Außerdem könnte sie sicherstellen, dass die Lohnerhöhung der Arbeitnehmerin in das Mutterschaftsgeld einbezogen wird, ohne dass ihre Situation mit der einer Frau verglichen werden müsste, die tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz arbeitet (40) .

94.      Zum anderen könnte meines Erachtens durch den Rückgriff auf die Richtlinie 92/85 vermieden werden, dass negative Umstände, die während des Mutterschaftsurlaubs eintreten, in das Mutterschaftsgeld einbezogen werden müssten (41) .

95.      Zweck der Richtlinie 92/85 ist es, der Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs einen besonderen Schutz zu gewährleisten. Darüber hinaus enthält Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 92/85 den Gedanken, dass sich aus der Richtlinie bei ihrer Umsetzung keine Rechtfertigung für einen Abbau des der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin gewährten Schutzes ableiten lässt. Diese beiden Gesichtspunkte könnten die Auffassung stützen, dass eine Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs nicht die Folgen einer während des Mutterschaftsurlaubs erfolgten Lohnkürzung oder eines in dieser Zeit eingetretenen Lohnausfalls zu tragen haben darf.

96.      Diese Auffassung würde bestärkt durch den Wortlaut des Artikels 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85. Stellt nämlich die Befugnis, eine vor oder während des Mutterschaftsurlaubs erfolgte Lohnerhöhung sogleich zu erhalten, ein mit dem Arbeitsvertrag verbundenes „Recht“ dar, so lässt sich schwerlich geltend machen, dass die Verpflichtung, eine Lohnkürzung oder einen Lohnausfall bei der Höhe des Mutterschaftsgelds zu berücksichtigen, ein solches „Recht“ ist. Mit anderen Worten, der Begriff der „mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte“ würde verlangen, dass Lohnerhöhungen berücksichtigt werden, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs der Arbeitnehmerin erfolgt sind, nicht aber Lohnkürzungen oder Lohnausfälle, die während des Mutterschaftsurlaubs eintreten (42) .

97.      Die vorgeschlagene Auslegung würde sich schließlich in den Rahmen der derzeitigen Rechtsprechung zum Schutz der mit Schwangerschaft und Mutterschaft im Zusammenhang stehenden Rechte einfügen (43) . Sie hat nämlich zum Inhalt, dass auf die sich in Mutterschaftsurlaub befindenden Arbeitnehmerinnen, genauer gesagt auf das Entgelt, das die Arbeitnehmerinnen während dieser Zeit erhalten, nur die Bestimmungen der Richtlinie 92/85 anzuwenden sind.

98.      Ich bin demgemäß der Ansicht, dass der Anspruch der Arbeitnehmerin zukünftig auf die Bestimmungen des Artikels 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 gestützt werden könnte.

99.      Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, auf die erste Vorabentscheidungsfrage zu antworten, dass Artikel 119 EG-Vertrag und das Diskriminierungsverbot nicht verlangen, dass in ein gesetzliches Mutterschaftsgeld, das anhand des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, die Lohnerhöhungen einzubeziehen sind, die zwar vor oder während des Mutterschaftsurlaubs, aber außerhalb des Referenzzeitraums erfolgt sind. Eine Verpflichtung, diese Lohnerhöhungen bei der Höhe des Mutterschaftsgelds zu berücksichtigen, ergibt sich dagegen aus Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85.

V – Zur zweiten Frage

100.    Mit seiner zweiten Frage möchte der Court of Appeal wissen, ob es für die Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung ist, ob die Lohnerhöhung vor Beginn des Mutterschaftsurlaubs, vor Ablauf des Zeitraums, für den ein vom Einkommen der Arbeitnehmerin abhängiges Mutterschaftsgeld gewährt wird, oder gegebenenfalls zu einem anderen Zeitpunkt Wirksamkeit erlangt.

101.    Die bei der Prüfung der ersten Frage angestellten Überlegungen erlauben eine Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts. Es liegt nämlich auf der Hand, dass unabhängig vom angenommenen Rechtsgrund jede Lohnerhöhung, die vor Beginn des maßgeblichen Zeitraums und vor Ablauf des Mutterschaftsurlaubs erfolgt ist, bei der vom Einkommen der Arbeitnehmerin abhängigen Höhe des gesetzlichen Mutterschaftsgelds berücksichtigt werden muss.

VI – Zur dritten Frage

102.    Die letzte Frage besteht aus vier Teilen, die ich nacheinander prüfen werde.

103.    Die ersten beiden Teilfragen betreffen die Durchführungsmodalitäten des im Urteil Gillespie aufgestellten Grundsatzes. Das vorlegende Gericht möchte wissen, wie die Lohnerhöhung bei der Berechnung des regelmäßigen Wochenverdienstes der Arbeitnehmerin im maßgeblichen Zeitraum berücksichtigt werden muss. Es möchte ferner wissen, ob der im innerstaatlichen Recht geregelte maßgebliche Zeitraum geändert werden muss.

104.    Diese Fragen haben für die Arbeitgeber im Vereinigten Königreich natürlich eine entscheidende Bedeutung. Infolge des zu erlassenden Urteils werden sie für alle Arbeitnehmerinnen, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs eine Lohnerhöhung erhalten haben, das Mutterschaftsgeld berechnen und möglicherweise gar erneut prüfen müssen. Angesichts der Vielzahl der Fälle und angesichts möglicher Schwierigkeiten möchte das vorlegende Gericht, ebenso wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens (44) , genauere Angaben zu den Modalitäten dieses Vorgehens erhalten.

105.    Ich bin jedoch der Ansicht, dass diese Fragen nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie behandelt werden können (45) . Mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung nämlich ist die Festlegung der Durchführungsmodalitäten für das zu erlassende Urteil einschließlich etwaiger unmittelbarer Durchführungsmaßnahmen Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten.

106.    Die beiden letzten Teilfragen beziehen sich auf die etwaigen Folgen des Urteils Gillespie, wenn dieses Urteil verlangen würde, dass beim gesetzlichen Mutterschaftsgeld Lohnerhöhungen berücksichtigt werden, die zwar vor oder während des Mutterschaftsurlaubs, aber außerhalb des maßgeblichen Zeitraums erfolgt sind. Der Court of Appeal möchte wissen, ob in diesem Fall Artikel 119 EG-Vertrag verlangt, dass die sonstigen Umstände, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs eingetreten sind, insbesondere ein Lohnausfall oder eine Lohnkürzung, berücksichtigt werden müssen.

107.    Wie vorgetragen, ist diese – im vorliegenden Fall allerdings hypothetische – Frage von besonderer Relevanz. Die Anwendung des im Urteil Gillespie aufgestellten Grundsatzes würde nämlich folgerichtig verlangen, dass in das gesetzliche Mutterschaftsgeld nicht nur die Lohnerhöhungen, die vor und während des Mutterschaftsurlaubs erfolgt sind, sondern auch die Lohnkürzungen und Lohnausfälle während dieses Zeitraums einzubeziehen sind (46) . Durch den Rückgriff auf die Richtlinie 92/85 könnte jedoch, wie dargelegt, ein Teil dieser Folgen vermieden werden (47) .

VII – Ergebnis

108.    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich daher dem Gerichtshof vor, auf die vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.
Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) und das Diskriminierungsverbot sind dahin auszulegen, dass danach in ein gesetzliches Mutterschaftsgeld, das anhand des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, nicht die Lohnerhöhungen einbezogen werden müssen, die zwar vor oder während des Mutterschaftsurlaubs der betreffenden Arbeitnehmerin, aber außerhalb des vom innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen maßgeblichen Zeitraums erfolgt sind.

2.
Dagegen verlangt Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG), dass in ein gesetzliches Mutterschaftsgeld, das anhand des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, die Lohnerhöhungen einzubeziehen sind, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs der betreffenden Arbeitnehmerin erfolgt sind.

3.
Mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist die Festlegung der Modalitäten, nach denen die vorstehend in Nummer 2 genannten Lohnerhöhungen bei der Höhe des gesetzlichen Mutterschaftsgelds der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen sind, Sache der einzelnen Mitgliedstaaten.


1
Originalsprache: Französisch.


2
  Urteil vom 13. Februar 1996 in der Rechtssache C-342/93 (Gillespie u. a., Slg. 1996, I-475; im Folgenden: Urteil Gillespie).


3
  Im Folgenden: Court of Appeal.


4
  Im Folgenden: Grundsatz des gleichen Entgelts.


5
  Richtlinie des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19).


6
  Richtlinie des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40).


7
  Im Folgenden: Grundsatz der Gleichbehandlung oder Diskriminierungsverbot.


8
  Artikel 2 Absatz 1.


9
  ABl. L 348, S. 1.


10
  Gemäß Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie.


11
  Randnr. 3.


12
  Randnr. 5.


13
  Ibidem. Es mag noch ergänzt werden, dass auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Gillespie keinen Hinweis auf Anfang und Ende der für die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Zeiträume enthalten.


14
          Hervorhebung von mir.


15
  Vgl. insbesondere Urteil vom 30. April 1998 in der Rechtssache C-136/95 (Thibault, Slg. 1998, I-2011, Randnr. 26).


16
  Ibidem (Randnr. 29).


17
  Randnrn. 21 und 22.


18
  Es ist klarzustellen, dass ich mit dem „im Urteil Gillespie aufgestellten Grundsatz“ die Feststellung des Gerichtshofes meine, der zufolge das Diskriminierungsverbot verlangt, dass in ein gesetzliches Mutterschaftsgeld, das anhand des Verdienstes der Arbeitnehmerin während eines bestimmten Zeitraums berechnet wird, die Lohnerhöhungen einbezogen werden, die vor oder während des Mutterschaftsurlaubs der betreffenden Arbeitnehmerin erfolgt sind (vgl. Urteil Gillespie, Randnr. 22).


19
  Vgl. Urteil vom 26. Februar 2002 (Randnrn. 16 und 17) und dritte Vorabentscheidungsfrage, Ziffern iii und iv.


20
  Vgl. insbesondere schriftliche Erklärungen des Vereinigten Königreichs (Nrn. 26 und 27).


21
  Vgl. Urteil Gillespie (Randnr. 22).


22
  Das Vereinigte Königreich hat auch auf eine andere negative Folge des Urteils Gillespie hingewiesen. Es hat ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten, was den Verdienst der Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs angehe, aufgrund der Richtlinie 92/85 zwischen der Zahlung eines Entgelts, das einem Anteil am Lohn der Arbeitnehmerin entspreche, und der Zahlung einer Leistung in pauschalierter Höhe (z. B. 50 Euro wöchentlich) wählen könnten. Im Vereinigten Königreich sei es Aufgabe des Arbeitgebers, die Höhe des Mutterschaftsgelds zu berechnen. Mehr als 70 % der Arbeitgeber seien kleine oder mittlere Unternehmen, was bedeute, dass sie nicht über die nötigen Mittel verfügten, um dauernd komplizierte Berechnungen anstellen zu können. Bei dieser Sachlage sei der im Urteil Gillespie aufgestellte Grundsatz ein „bürokratischer Alptraum für die Arbeitgeber“, da von ihnen verlangt werde, dass alle vor und während des Mutterschaftsurlaubs erfolgten Lohnerhöhungen unabhängig von ihrer Höhe berücksichtigt würden. Das Urteil Gillespie könne somit dazu führen, dass einige Mitgliedstaaten das System des prozentualen Entgelts zugunsten eines Systems der pauschalen Leistung aufgeben würden. Meiner Meinung nach ist die Gefahr, dass eine solche Veränderung vorgenommen wird, angesichts des Drucks, den die Arbeitgeber auf die eine oder andere Weise auf die zuständigen Behörden ausüben könnten, tatsächlich vorhanden. Zudem hätte eine solche Veränderung negative Folgen für die Arbeitnehmerinnen, da das System der pauschalen Leistung in den meisten Fällen weniger gerecht ist als das des prozentualen Entgelts. Meines Erachtens ist es dennoch nicht sicher, dass die Mitgliedstaaten eine solche Veränderung vornehmen könnten. Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 92/85 nämlich bestimmt ausdrücklich: „Aus dieser Richtlinie lässt sich bei ihrer Umsetzung keine Rechtfertigung für einen Abbau des der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin gewährten Schutzes im Vergleich mit der Lage ableiten, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie besteht.“ Nach dieser Vorschrift könnte es den Mitgliedstaaten demnach verwehrt sein, eine Systemänderung, die den Abbau des für die Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs im betreffenden Mitgliedstaat eingerichteten Schutzes nach sich ziehen würde, mit der Wahlmöglichkeit aufgrund der Richtlinie 92/85 zu rechtfertigen.


23
  Urteile vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-177/88 (Dekker, Slg. 1990, I-3941, Randnr. 14) und vom 3. Februar 2000 in der Rechtssache C-207/98 (Mahlburg, Slg. 2000, I-549, Randnr. 30).


24
  Urteile vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-179/88 (Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund, „Hertz“, Slg. 1990, I-3979, Randnr. 13), vom 5. Mai 1994 in der Rechtssache C-421/92 (Habermann-Beltermann, Slg. 1994, I-1657, Randnr. 26), vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-32/93 (Webb, Slg. 1994, I-3567, Randnr. 29) und vom 4. Oktober 2001 in der Rechtssache C-109/00 (Tele Danmark, Slg. 2001, I-6993, Randnr. 34).


25
  Urteil vom 30. Juni 1998 in der Rechtssache C-394/96 (Brown, Slg. 1998, I-4185, Randnr. 28). Mit diesem Urteil kehrte der Gerichtshof zu seiner früheren Rechtsprechung zurück, d. h. zu den Urteilen Hertz (Randnr. 19) und vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-400/95 (Larsson, Slg. 1997, I-2757, Randnr. 26).


26
  Urteil vom 27. Februar 2003 in der Rechtssache C-320/01 (Busch, Slg. 2003, I-2041, Randnr. 47).


27
  Urteil Thibault (Randnr. 33).


28
  Urteil vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C-333/97 (Lewen, Slg. 1999, I-7243, Randnr. 51).


29
  Urteil vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-66/96 (Høj Pedersen u. a., Slg. 1998, I-7327, Randnr. 41).


30
  Urteil vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C-411/96 (Slg. 1998, I-6401).


31
  Ibidem (Randnr. 40).


32
  Ibidem (Randnrn. 29 bis 36).


33
  Randnr. 38.


34
  Randnr. 39.


35
  Randnrn. 35 und 37.


36
  Vgl. in diesem Sinne auch D. Ghailani, „La protection des droits liés à la grossesse et à la maternité dans l’ordre juridique communautaire“, Revue belge de sécurité sociale, 2002, S. 367 ff. (S. 383 und 386), sowie K. Berthou und A. Masselot, „Égalité de traitement et maternité. Jurisprudence récente de la CJCE“, Droit social, 1999, S. 942 bis 947 (S. 946).


37
  Richtlinie 92/85 (achte Begründungserwägung).


38
  Es erscheint dagegen viel schwieriger, den Anspruch der Arbeitnehmerin auf die Bestimmungen des Artikels 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85 zu stützen. Diese Bestimmungen sollen nämlich während des Mutterschaftsurlaubs Bezüge der Arbeitnehmerin in „angemessener“ Höhe sicherstellen (vgl. insoweit Urteile Boyle u. a., Randnrn. 33 und 34, und Lewen, Randnrn. 22 und 23). Wenn daher die betreffenden Stellen oder Personen die Zahlung eines Arbeitsentgelts und/oder einer Sozialleistung in angemessener Höhe sicherstellen, führen sie Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85 ordnungsgemäß aus. Die Bestimmung verlangt von ihnen nicht, dass sie darüber hinaus die Lohnerhöhungen der Arbeitnehmerin in das Entgelt oder das Mutterschaftsgeld einbeziehen.


39
  Vgl. Nrn. 62 bis 66 dieser Schlussanträge.


40
  Vgl. Urteil Gillespie (Randnr. 22).


41
  Vgl. Nrn. 67 bis 74 dieser Schlussanträge.


42
  Das Diskriminierungsverbot verlangt dagegen, dass eine Arbeitnehmerin alle Folgen einer solchen Lohnkürzung oder eines solchen Lohnausfalls nach Beendigung des Mutterschaftsurlaubs trägt, sei es in Form einer Rückzahlung, sei es in Form eines Lohnabzugs.


43
  Vgl. Nrn. 75 bis 87 dieser Schlussanträge.


44
  Vgl. schriftliche Erklärungen von Woolwich (Nr. 8).


45
  Zu diesem Grundsatz vgl. insbesondere meine Schlussanträge zum Urteil Preston u. a. (Urteil vom 16. Mai 2000 in der Rechtssache C-78/98, Slg. 2000, I-3201, Randnrn. 38 ff.).


46
  Vgl. Nrn. 67 bis 74 dieser Schlussanträge.


47
  Vgl. Nrn. 94 bis 96 dieser Schlussanträge.