62002C0077

Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 3. April 2003. - Erika Steinicke gegen Bundesanstalt für Arbeit. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Sigmaringen - Deutschland. - Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Regelung über Altersteilzeitarbeit - Richtlinie 76/207/EWG - Mittelbare Diskriminierung - Objektive Rechtfertigung. - Rechtssache C-77/02.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-09027


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Bundesrepublik Deutschland) hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 10. Dezember 2001 nach Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 241 EG sowie der Richtlinien 75/117/EWG, 76/207/EWG und 97/81/EG zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Gericht möchte insbesondere wissen, ob eine Altersteilzeitregelung, die nur die Arbeitnehmer in Anspruch nehmen können, die in den letzten fünf Jahren insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sind, Teilzeitbeschäftigte diskriminiert und gleichzeitig in Anbetracht des überwiegenden Anteils von Frauen unter den Teilzeitbeschäftigten eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.

I - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrecht

2. Artikel 141 EG lautet:

(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

(2) Unter ,Entgelt im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

..."

3. Artikel 1 der Richtlinie 75/117 bestimmt:

Der in Artikel 119 des Vertrages [jetzt Artikel 141 EG) genannte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, im Folgenden als ,Grundsatz des gleichen Entgelts bezeichnet, bedeutet bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen.

Insbesondere muss dann, wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein, dass Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen werden."

4. Artikel 1 der Richtlinie 76/207 bestimmt:

(1) Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird im Folgenden als ,Grundsatz der Gleichbehandlung bezeichnet.

..."

5. Artikel 2 dieser Richtlinie sieht vor:

(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf.

..."

6. Artikel 5 sieht ferner vor:

Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden.

..."

7. Artikel 1 der Richtlinie 97/81 bestimmt:

Mit dieser Richtlinie soll die am 6. Juni 1997 zwischen den europäischen Sozialpartnern ... geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden."

8. Paragraf 4 des Anhangs dieser Richtlinie sieht vor:

1. Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

...

4. Wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten und/oder die Sozialpartner gegebenenfalls den Zugang zu besonderen Beschäftigungsbedingungen von einer bestimmten Betriebszugehörigkeitsdauer, der Arbeitszeit oder Lohn- und Gehaltsbedingungen abhängig machen. ..."

B - Nationales Recht

9. § 72b Absatz 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) in der bis zum 1. Juli 2000 geltenden Fassung sah die Möglichkeit vor, Arbeitnehmern auf Antrag Altersteilzeit zu bewilligen. Nach dieser Regelung konnte der Arbeitnehmer auf Antrag, der sich auf die gesamte Zeit bis zum Beginn des Ruhestands erstrecken musste, eine Verringerung der Arbeitszeit nach einem der beiden folgenden Modelle erlangen: Halbierung der Arbeitszeit (Teilzeitmodell) oder Vollzeitbeschäftigung, gefolgt von einer Freistellungsphase (Blockmodell).

10. Die Bewilligung dieser Arbeitsregelung war an vier Voraussetzungen geknüpft: Der Arbeitnehmer musste a) das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet haben, b) in den letzten fünf Jahren vor Beginn dieser Regelung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sein, c) die Teilzeitbeschäftigung musste vor dem 1. August 2004 beginnen, und d) dringende dienstliche Belange durften der Bewilligung der Regelung nicht entgegenstehen.

11. Als Ansporn zur Stellung von Anträgen auf Bewilligung dieser Regelung waren zugunsten der Arbeitnehmer, die sie in Anspruch nahmen, einige Vergünstigungen in Bezug auf Gehalt und Ruhestand vorgesehen. Insbesondere sah § 2 Absatz 1 der Verordnung über die Gewährung eines Zuschlags bei Altersteilzeit (ATZV) in der bis zum 1. Juli 2000 geltenden Fassung abweichend von § 6 Absatz 1 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), wonach das Entgelt eines Teilzeitarbeitnehmers im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt wird, vor, dass der Arbeitnehmer im Fall der Anwendung der in Rede stehenden Arbeitsregelung Anspruch auf 83 % des Nettoentgelts hat, das bei Vollzeitbeschäftigung gezahlt würde.

12. Hinsichtlich der Altersversorgung sah ferner § 6 Absatz 1 Satz 3 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (BeamtVG) in der bis zum 1. Juli 2000 geltenden Fassung vor, dass der Arbeitnehmer in der Zeit, in der die in Rede stehende Arbeitsregelung gilt, abweichend von der Regel, wonach Teilzeitbeschäftigte einen Ruhegehaltsanspruch proportional zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit erwerben, 90 % der Ruhegehaltsansprüche eines Vollzeitbeschäftigten erwirbt.

13. Während des Ausgangsverfahrens wurde die streitige Regelung mit Wirkung vom 1. Juli 2000 durch das Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern geändert.

14. Auf der Grundlage der Neufassung des § 72b BBG kann dem Arbeitnehmer auf Antrag eine Verringerung der Arbeitszeit als Altersteilzeit mit der Hälfte der bisherigen Arbeitszeit, höchstens der Hälfte der in den letzten zwei Jahren geleisteten Arbeit, bewilligt werden, wenn er a) das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet hat, b) in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre teilzeitbeschäftigt war, c) diese Regelung vor dem 1. Januar 2010 in Anspruch nimmt und d) dringende dienstliche Belange nicht entgegenstehen.

15. Die seit dem 1. Juli 2000 geltende Fassung des § 2 ATZV sieht vor, dass den Arbeitnehmern, die diese Regelung in Anspruch nehmen, ein Zuschlag in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den Nettodienstbezügen, auf die sie nach § 6 BBesG Anspruch haben, und 83 % der Nettodienstbezüge gewährt wird, auf die sie nach dieser Vorschrift Anspruch hätten, wenn ihre Arbeitszeit der entspräche, die für die Bemessung der ermäßigten Arbeitszeit zugrunde gelegt worden ist.

16. Schließlich bestimmt die seit dem 1. Juli 2000 geltende Fassung des § 6 Absatz 1 Satz 3 BeamtVG, dass der Arbeitnehmer während der Anwendung der in Rede stehenden Arbeitsregelung Ruhegehaltsansprüche in Höhe von 90 % der Arbeitszeit erwirbt, die für die Bemessung der ermäßigten Arbeitszeit zugrunde gelegt worden ist.

II - Sachverhalt und Vorlagefrage

17. Frau Erika Steinicke, geboren 1944, arbeitet seit 1962 für die Bundesanstalt für Arbeit (BfA). Bis 1976 war sie teilzeitbeschäftigt. Nach der Geburt ihres Kindes wurde ihre Arbeitszeit auf Antrag ab 19. November 1976 auf die Hälfte reduziert. Lediglich monatsweise wurde ihr bei entsprechendem Arbeitsaufkommen antragsgemäß Vollzeitbeschäftigung gewährt; so war sie in der Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 30. September 1999 insgesamt zehn Monate vollzeitbeschäftigt.

18. Am 30. Juni 1999 beantragte die Klägerin bei der BfA die Gewährung von Altersteilzeit im Sinne des § 72b BBG für die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. September 2007 (zu diesem Zeitpunkt wollte die Klägerin in den Ruhestand treten), und zwar im so genannten Blockmodell mit einer Arbeitsphase mit ihrer bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. September 2003 und einer Freistellungsphase vom 1. Oktober 2003 bis zum 30. September 2007.

19. Am 12. Juli 1999 wurde der Antrag von Frau Steinicke abgelehnt, da sie nicht, wie in der damals geltenden Fassung des § 72b BBG verlangt, in den letzten fünf Jahren insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sei.

20. Am 28. Juli 1999 legte Frau Steinicke gegen diesen Bescheid Widerspruch beim Landesarbeitsamt Baden-Württemberg ein. Das Landesarbeitsamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 1999 zurück.

21. Frau Steinicke erhob deshalb beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage mit der Begründung, der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von der Möglichkeit, die Arbeitsregelung des § 72b BBG in Anspruch zu nehmen, stelle eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, da es unstreitig sei, dass die Teilzeitbeschäftigten ganz überwiegend Frauen seien.

22. Anschließend wurde ihr allerdings, nachdem während des Gerichtsverfahrens die fragliche Regelung geändert worden war (siehe oben, Nrn. 13 bis 16), ab 1. Juli 2000 Altersteilzeit bewilligt; für die Zeit nach diesem Datum war der Rechtsstreit daher beendet. Frau Steinicke beantragte jedoch weiterhin Aufhebung der angefochtenen Ablehnungsbescheide für die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. Juni 2000.

23. Das Vorlagegericht hat daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen Artikel 141 EG, die Richtlinien 75/117 EWG, 76/207/EWG und/oder die Richtlinie 97/81/EG der Regelung des § 72b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BBG in der bis zum 30. Juni 2000 gültigen Fassung vom 31. März 1999 entgegen, nach der Altersteilzeit nur einem Beamten, der in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt war, bewilligt werden kann, wenn wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt und daher von der Bewilligung von Altersteilzeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sind?

III - Rechtliche Prüfung

24. Mit dieser Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Regelung, die die Bewilligung einer Altersteilzeitregelung davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer mindestens drei der letzten fünf Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen ist, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter im Sinne des Artikels 141 EG und der Richtlinien 75/117 und 76/207 sowie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten im Sinne der Richtlinie 97/81 verstößt.

25. Frau Steinicke, die Kommission und die portugiesische Regierung sind der Ansicht, dass diese Frage zu bejahen sei, und lehnen die gegenteilige Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der BfA, die sich am Verfahren vor dem Gerichtshof nicht beteiligt hat, ab.

26. Nach dem Vorbringen der BfA im Ausgangsverfahren ist der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von der in Rede stehenden Arbeitsregelung sowohl durch den Zweck der Regelung selbst als auch durch haushaltsbezogene und praktische Gründe gerechtfertigt.

27. Hinsichtlich des Zweckes der Regelung macht die BfA geltend, mit der fraglichen Arbeitsregelung werde das Ziel verfolgt, Arbeitsplätze zu schaffen. Räume man Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit ein, diese Regelung in Anspruch zu nehmen, so würden auf dem Arbeitsmarkt nicht die gleichen Wirkungen erzielt, als wenn diese Regelung Vollzeitbeschäftigten gewährt werde. Da die Erstgenannten nämlich bereits einer Teilzeitbeschäftigung nachgingen, würden sie auf dem Arbeitsmarkt keine nennenswerten Arbeitszeitkontingente verfügbar machen.

28. Zu den haushaltsbezogenen Gründen führt die BfA aus, dass Teilzeitbeschäftigte durch die Gewährung der Möglichkeit, diese Regelung in Anspruch zu nehmen, übermäßig begünstigt würden, da die Arbeitnehmer, denen diese Regelung bewilligt werde, besondere entgeltliche und versorgungsrechtliche Vergünstigungen erhielten.

29. Was schließlich die Praktikabilität anbelangt, so weist die BfA darauf hin, dass der Arbeitgeber, wenn einem Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit eingeräumt werde, die in Rede stehende Regelung im Blockmodell in Anspruch zu nehmen, gezwungen sei, diesem eine Vollzeitstelle zuzuweisen, die seinen Fähigkeiten entspreche. Da eine derartige Stelle nur selten unmittelbar zur Verfügung stehe, müsste sie mit erheblichem planerischem und geschäftsverteilungsmäßigem Aufwand geschaffen werden. In der anschließenden Freistellungsphase müsse der Arbeitnehmer, der dann eine Vollzeitstelle innehabe, durch einen Teilzeitbeschäftigten ersetzt werden, da nur eine halbe Planstelle frei werde. Dies bedeute erneut einen erheblichen planerischen und geschäftsverteilungsmäßigen Aufwand.

30. Frau Steinicke bestreitet diese Argumentation. Zunächst sei es unrichtig, dass keine positiven Effekte auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden könnten, wenn Teilzeitbeschäftigten die fragliche Regelung offen stuende. Nicht stichhaltig sei ferner das Vorbringen zu den planerischen und geschäftsverteilungsmäßigen Problemen, die sich ergäben, wenn Teilzeitbeschäftigten diese Regelung bewilligt würde, denn diese Probleme träten auch dann auf, wenn Vollzeitbeschäftigten die Regelung bewilligt werde. Schließlich sei es auch unzutreffend, dass die durch die fraglichen Vorschriften geschaffene Diskriminierung durch finanzielle Gründe gerechtfertigt sei, da die Teilzeitbeschäftigten dazu beitrügen, die Kosten zu senken und den Arbeitsmarkt zu entlasten.

31. Auch die portugiesische Regierung vertritt diese Auffassung und fügt hinzu, dass die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens angeführten arbeitspolitischen Ziele auch durch eine nichtdiskriminierende Regelung wie die seit dem 1. Juli 2000 angewandte erreicht werden könnten.

32. Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass die in Rede stehende Regelung nicht unter den Begriff des Entgelts" im Sinne des Artikels 141 EG oder des Artikels 1 der Richtlinie 75/117 falle, sondern unter den der Arbeitsbedingungen" im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 76/207, da die in dieser Regelung vorgesehenen finanziellen Vergünstigungen lediglich Anreize darstellten, die dazu dienten, arbeitspolitische Ziele zu erreichen. Auf der Grundlage der vom vorlegenden Gericht erwähnten statistischen Daten stelle der Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten von der fraglichen Regelung dem ersten Anschein nach eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die aus Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht gerechtfertigt erscheine.

33. Ich komme nun zu einer Beurteilung der gerade zusammengefassten Erörterung. Zunächst teile ich die Auffassung der Kommission, dass in erster Linie bestimmt werden muss, welche Gemeinschaftsnormen im vorliegenden Fall anwendbar sind.

34. In dieser Hinsicht hat das vorlegende Gericht, wie wir gesehen haben, sowohl Artikel 141 EG als auch die Richtlinien 75/117, 76/207 und 97/81 erwähnt.

35. Gleich zu Beginn weise ich darauf hin, dass mir Artikel 141 EG und die Richtlinie 75/117 im vorliegenden Fall nicht relevant zu sein scheinen. Hier geht es nämlich weniger um die Frage, ob die in Rede stehenden deutschen Vorschriften Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die gleiche Arbeit oder für gleichwertige Arbeit in Bezug auf das Entgelt gleichbehandeln, sondern eher um die, ob es für Arbeitnehmerinnen schwieriger ist als für Arbeitnehmer, die in diesen Vorschriften geregelte Altersteilzeit in Anspruch zu nehmen.

36. Was dagegen die Richtlinie 76/207 anbelangt, die im Vorlagebeschluss ebenfalls erwähnt wird, so erinnere ich zunächst daran, dass ich in der Rechtssache C-187/99 (Kutz-Bauer) die Ansicht vertreten habe, dass diese Richtlinie auf eine Arbeitsregelung, die der in Rede stehenden völlig entspricht, nicht anwendbar ist, weil diese Regelung das doppelte Ziel verfolgte, Arbeitnehmern eines bestimmten Alters den schrittweisen Übergang vom Berufsleben zum Ruhestand zu erleichtern und zur Verringerung der Arbeitslosenquote beizutragen, und damit nach meiner Ansicht sowohl der Altersregelung als auch der Regelung bei Arbeitslosigkeit zugerechnet werden konnte und daher eher in den Geltungsbereich der Richtlinie 79/7 als in den der Richtlinie 76/207 fiel.

37. Im Urteil in der genannten Rechtssache hat es der Gerichtshof jedoch vorgezogen, statt dem Zweck dieser Regelung dem Umstand Bedeutung beizumessen, dass sie sich auf die Berufstätigkeit der Arbeitnehmer, denen sie bewilligt wird, auswirkt, da sie deren Arbeitszeit verändert. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist der Gerichtshof deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Rede stehende Regelung die Arbeitsbedingungen" festlegt und somit unter Berücksichtigung der Richtlinie 76/207 und nicht der Richtlinie 79/7 zu beurteilen ist.

38. Ich muss daher annehmen, dass der Gerichtshof aus den in diesem Urteil dargelegten Gründen auch in der vorliegenden Rechtssache die Ansicht vertreten wird, dass die streitige nationale Regelung die Arbeitsbedingungen" betrifft und deshalb unter Berücksichtigung der Richtlinie 76/207 zu prüfen ist. Ich gehe daher im Folgenden von dieser Annahme aus.

39. Was schließlich die Richtlinie 97/81 angeht, so bin ich der Ansicht, dass der vorliegende Fall zumindest teilweise auch unter diese Richtlinie fällt. Diese Richtlinie bekräftigt nämlich im Bereich der Beschäftigungsbedingungen" den Grundsatz der Nichtdiskriminierung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten und gilt für Teilzeitbeschäftigte, die ... einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen", wie es gerade bei Frau Steinicke der Fall ist.

40. Hiernach wende ich mich der eigentlichen Frage zu, bei der zunächst zu untersuchen ist, ob § 72b BBG in der bis zum 30. Juni 2000 geltenden Fassung eine unterschiedliche Behandlung im Sinne der Richtlinie 76/207 oder der Richtlinie 97/81 oder gegebenenfalls beider Richtlinien begründet.

41. Nun, mir scheint es unzweifelhaft, dass diese Vorschrift, die einen Großteil der Teilzeitbeschäftigten von der Möglichkeit ausschließt, die fragliche Arbeitsregelung in Anspruch zu nehmen, offensichtlich eine unterschiedliche Behandlung zum Nachteil der Teilzeitbeschäftigten begründet und daher grundsätzlich unvereinbar ist mit der Richtlinie 97/81.

42. Ich glaube aber, dass sich auch nicht ernsthaft bestreiten lässt, dass diese Vorschrift auch gegen die Richtlinie 76/207 verstößt, da sie, selbst wenn sie neutral formuliert ist, in Wirklichkeit mehr Frauen als Männer benachteiligt. Es gibt nicht nur, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, in Deutschland ... unstreitig erheblich mehr teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen als Arbeitnehmer", sondern dies ist gerade in dem Sektor, in dem Frau Steinicke tätig ist - dem des öffentlichen Dienstes - noch offensichtlicher, wo, wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, ungefähr 90 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Diese Angabe scheint, wie dem Vorlagebeschluss zu entnehmen ist, auch von der BfA nicht bestritten zu werden.

43. Hiernach muss ich jedoch noch daran erinnern, dass nach gefestigter Rechtsprechung eine nationale Vorschrift, die wie die in Rede stehende praktisch einen wesentlich höheren Anteil von Frauen als von Männern benachteiligt, nur dann eine Diskriminierung von Arbeitnehmerinnen darstellt, die das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Richtlinie 76/207, verbietet, wenn diese unterschiedliche Behandlung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt werden kann, die nichts mit irgendeiner Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

44. Ebenso verbietet die Richtlinie 97/81 nicht die Unterschiede in der Behandlung zum Nachteil der Teilzeitbeschäftigten, die aus objektiven Gründen gerechtfertigt" sind.

45. Um also feststellen zu können, ob § 72b BBG in der bis zum 30. Juni 2000 geltenden Fassung gegen die Richtlinien 76/207 und 97/81 verstößt, ist noch zu prüfen, ob die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Unterschiede in der Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten und mittelbar von Arbeitnehmern verschiedenen Geschlechts aus objektiven Gründen gerechtfertigt sind.

46. Insoweit erinnere ich daran, dass es [n]ach ständiger Rechtsprechung ... im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zwar Sache des vorlegenden Gerichts [ist], zu beurteilen, ob solche objektiven Faktoren [im] konkreten Fall vorliegen. Da der Gerichtshof jedoch die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, kann er auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen".

47. Da die BfA, wie wir gesehen haben, vor dem vorlegenden Gericht im Wesentlichen drei Gründe angeführt hat, um diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, sind diese Rechtfertigungsgründe zu analysieren.

48. Der erste Rechtfertigungsgrund ist, wie ich bereits oben ausgeführt habe, auf die Überlegung gestützt, dass die in Rede stehende Regelung, die die Halbierung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten ermöglicht, arbeitspolitische Ziele verfolge, die nicht - oder nur weniger wirksam - erreicht werden könnten, wenn auch Teilzeitbeschäftigten diese Regelung bewilligt würde.

49. Hierzu weise ich darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung sozial- und arbeitspolitische Ziele eine unterschiedliche Behandlung nur rechtfertigen können, wenn nachgewiesen ist, dass die gewählten Mittel [zu ihrer] Erreichung geeignet und erforderlich sind".

50. Zunächst scheint mir der Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten von der Möglichkeit, die fragliche Arbeitsregelung in Anspruch zu nehmen, kein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele zu sein. Da die Teilzeitbeschäftigung ein Mittel zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist, das die Beschäftigung fördert, besteht nämlich, wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, die Gefahr, dass die in Rede stehende Regelung, die die Teilzeitbeschäftigten diskriminiert, die Arbeitnehmer davon abhält, eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, so dass eine Wirkung erzielt wird, die der geltend gemachten gerade entgegengesetzt ist.

51. Dass die Regelung die Arbeitnehmer davon abhält, eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, wird meines Erachtens sowohl dadurch belegt, dass Frau Steinicke, da sie die Regelung in Anspruch nehmen wollte, bei ihrem Arbeitgeber beantragt hatte, von einer Teilzeitbeschäftigung zu einer Vollzeitbeschäftigung überzugehen, als auch durch die Tatsache, dass gemäß der seit dem 1. Juli 2000 geltenden neuen Fassung des § 72b BBG nunmehr, um dieses Problem zu lösen, die Regelung nur für die Arbeitnehmer zugänglich ist, die in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre teilzeitbeschäftigt waren.

52. Die fragliche Ungleichbehandlung kann nach meiner Ansicht aber auch nicht als zur Erreichung der angegebenen arbeitspolitischen Ziele erforderlich angesehen werden; dies zeigt die Tatsache, dass die in diesem Bereich geltende neue Regelung es auch ohne eine solche Diskriminierung ermöglicht, diese Ziele zu erreichen.

53. Der zweite Grund, den die BfA zur Rechtfertigung der in Rede stehenden deutschen Vorschriften anführt, ist die übermäßige Belastung, die sich für den Personalhaushalt daraus ergäbe, wenn Teilzeitbeschäftigte Zugang zu der fraglichen Arbeitsregelung hätten.

54. Um die Relevanz dieses Arguments zu widerlegen, genügt es für die vorliegenden Zwecke, an die gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofes zu erinnern, wonach Haushaltserwägungen ... eine Diskriminierung nach dem Geschlecht nicht rechtfertigen" können.

55. Schließlich erscheint mir auch das letzte Argument der BfA unzutreffend, der Umstand nämlich, dass sich für den Arbeitgeber ernsthafte planerische und geschäftsverteilungsmäßige Probleme ergeben würden, wenn einem Teilzeitbeschäftigten die fragliche Arbeitsregelung offen stuende.

56. Insoweit weise ich, wie es auch die Kommission getan hat, darauf hin, dass sich diese Probleme auch aus der streitigen Regelung ergeben konnten. Da diese nämlich vorsah, dass die in Rede stehende Arbeitsregelung denjenigen Arbeitnehmern gewährt werden kann, die in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen sind, schloss sie es nicht aus, dass die Regelung auch solchen Arbeitnehmern gewährt werden konnte, die im Zeitpunkt des Antrags auf Bewilligung der Regelung bereits teilzeitbeschäftigt waren.

57. Nach alledem scheinen mir die von der BfA vor dem vorlegenden Gericht angeführten Argumente letztlich keine objektiven Gründe zu sein, die geeignet wären, die Unterschiede in der Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten und mittelbar von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die sich aus der bis zum 30. Juni 2000 geltenden Fassung des § 72b BBG ergibt, zu rechtfertigen.

58. Ich schlage daher vor, auf die untersuchte Frage in dem Sinne zu antworten, dass mangels objektiver Rechtfertigungsgründe die Richtlinie 97/81 und - falls wesentlich mehr Beamtinnen als Beamte teilzeitbeschäftigt sind - die Richtlinie 76/207 einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, wonach Altersteilzeit nur einem Beamten bewilligt werden kann, der in den letzten fünf Jahren insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen ist.

59. Bevor ich schließe, weise ich noch darauf hin, dass das vorlegende Gericht, ohne in dieser Hinsicht eine spezifische Vorabentscheidungsfrage vorzulegen, in seinem Vorabentscheidungsersuchen den Gerichtshof bittet, zu klären, ob Frau Steinicke für den Fall, dass die in Rede stehenden Vorschriften diskriminierend sind und ihr daher auch für den streitigen Zeitraum die Möglichkeit gewährt werden muss, die fragliche Arbeitsregelung in Anspruch zu nehmen, hinsichtlich dieses Zeitraums Anspruch auf die Vergünstigungen, die in den bis zum 30. Juni 2000 geltenden Vorschriften im Zusammenhang mit dieser Arbeitsregelung vorgesehen sind, oder auf die Vergünstigungen hat, die in den ab 1. Juli 2000 geltenden Vorschriften im Zusammenhang mit dieser Regelung vorgesehen sind.

60. Insoweit beschränke ich mich auf die Bemerkung, dass nicht der Gerichtshof, sondern das nationale Gericht unter Berücksichtigung der ihm verfügbaren Sachverhaltselemente zu beurteilen hat, welche nationalen Vorschriften im konkreten Fall anwendbar sind, um die Beachtung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung im Sinne der Richtlinien 76/207 und 97/81 zu gewährleisten.

IV - Ergebnis

61. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die ihm vom Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Beschluss vom 10. Dezember 2001 vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Mangels objektiver Rechtfertigungsgründe stehen die Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP and EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und - falls wesentlich mehr Beamtinnen als Beamte teilzeitbeschäftigt sind - die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen einer nationalen Vorschrift entgegen, wonach Altersteilzeit nur einem Beamten bewilligt werden kann, der in den letzten fünf Jahren insgesamt mindestens drei Jahre vollzeitbeschäftigt gewesen ist.