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Leitsätze

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1. Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Begriff – Bilaterales oder multilaterales Vorgehen – Einbeziehung – Einseitiges Verhalten – Ausschluss

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

2. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Unternehmen – Begriff – Wirtschaftliche Einheit – Verschiedene, durch einen Vertretervertrag verbundene juristische Personen – Voraussetzungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

3. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Gruppenfreistellung – Verordnung Nr. 1475/95 – Begriff „Weiterverkauf“

(Verordnung Nr. 1475/95 der Kommission, Artikel 10 Absatz 12)

4. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1; Verordnung Nr. 99/63 der Kommission, Artikel 2 und 4)

5. Wettbewerb – Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

6. Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung – Beweis der Teilnahme an Sitzungen mit wettbewerbswidrigem Inhalt – Dem Unternehmen obliegender Beweis einer Distanzierung von den getroffenen Entscheidungen

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

7. Wettbewerb – Kartelle – Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen – Unverbindliche Entscheidung eines Verbandes, die von dessen Mitgliedern angewandt wird – Einbeziehung

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

8. Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Kartell, dessen Auswirkungen sich auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats erstrecken – Automatische Beeinträchtigung

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

9. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Von einer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung – Zurechnung in Bezug auf die Muttergesellschaft – Voraussetzungen – Unerheblichkeit der eigenen Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft – Auswirkung des Haltens des gesamten Kapitals der Tochtergesellschaft – Der Muttergesellschaft obliegende Verpflichtung, die Vermutung der tatsächlichen Ausübung von Leitungsmacht über die Tochtergesellschaft zu widerlegen

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

Leitsätze

1. Das in Artikel 81 Absatz 1 EG aufgestellte Verbot betrifft ausschließlich ein bilateral oder multilateral koordiniertes Vorgehen in Form von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung im Sinne dieser Vorschrift durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet. Daraus folgt, dass eine Entscheidung eines Unternehmens nicht unter das Verbot dieses Artikels fällt, wenn sie ein einseitiges Verhalten des Unternehmens darstellt.

(vgl. Randnrn. 83-84)

2. Bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln kommt es nicht auf die sich aus der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeit ergebende formale Trennung zwischen zwei Gesellschaften an, sondern vielmehr darauf, ob sich die beiden Gesellschaften auf dem Markt einheitlich verhalten. Es kann also notwendig sein, zu ermitteln, ob zwei Gesellschaften mit je eigener Rechtspersönlichkeit ein und dasselbe Unternehmen oder ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit mit einheitlichem Marktverhalten bilden oder hierzu gehören.

Eine solche Situation ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen Gesellschaften zueinander in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen, sondern betrifft unter bestimmten Umständen auch die Beziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihrem Handelsvertreter oder zwischen einem Geschäftsherrn und dem Beauftragten. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten in den Anwendungsbereich von Artikel 81 EG fällt, ist nämlich von Bedeutung, ob der Geschäftsherr und sein Mittler oder „Handelsvertreter“ eine wirtschaftliche Einheit bilden, bei der Letzterer ein in das Unternehmen des Ersteren eingegliedertes Hilfsorgan ist. So kann ein Absatzmittler, wird er für seinen Geschäftsherrn tätig, grundsätzlich als ein in dessen Unternehmen eingegliedertes Hilfsorgan angesehen werden, das den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen hat und sonach mit dem betroffenen Unternehmen ebenso wie ein Handlungsgehilfe eine wirtschaftliche Einheit bildet.

Anders verhält es sich, wenn aus den zwischen dem Geschäftsherrn und seinen Vertretern getroffenen Abmachungen Letzteren Aufgaben erwachsen oder verbleiben, die aus wirtschaftlicher Sicht insofern denen eines Eigenhändlers ähneln, als der Vertreter die finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat. So können Vertreter ihre Eigenschaft als selbständiger Wirtschaftsteilnehmer nur verlieren, wenn sie keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sind. Wenn also ein Vertreter trotz eigener Rechtspersönlichkeit sein Geschäftsgebaren nicht autonom bestimmt, sondern die Weisungen durchführt, die ihm von seinen Geschäftsherrn gegeben werden, so sind die Verbote von Artikel 81 Absatz 1 EG auf die Beziehungen zwischen ihm und seinem Geschäftsherrn, mit dem er eine wirtschaftliche Einheit bildet, nicht anwendbar.

(vgl. Randnrn. 85-88)

3. Aus der in Artikel 10 Nummer 12 der Verordnung Nr. 1475/95 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 [EG] auf Gruppen von Vertriebs‑ und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge enthaltenen Definition des Begriffes „Weiterverkauf“ geht hervor, dass sich die Möglichkeit des Lieferanten, den Händlern die Lieferung an natürliche oder juristische Personen, die „Wiederverkäufern“ gleichstehen, zu verbieten, auf die Fälle beschränkt, in denen diese Händler Kraftfahrzeuge im Neuzustand veräußern. Diese Gleichstellung des Leasingvertrags, der den Übergang des Eigentums oder ein Recht auf Eigentumserwerb vor Ablauf der Vertragsdauer vorsieht, mit dem Weiterverkauf soll es dem Lieferanten erlauben, die Unversehrtheit des Vertriebsnetzes dadurch sicherzustellen, dass er es verhindert, dass auf einen Leasingvertrag zurückgegriffen wird, um außerhalb des Alleinvertriebsnetzes den Eigentumserwerb an einem noch im Neuzustand befindlichen Fahrzeug zu erleichtern.

(vgl. Randnr. 153)

4. Die Kommission hat die Beschwerdepunkte, die sie gegenüber den beteiligten Unternehmen und Verbänden vorbringt, mitzuteilen und kann in ihren Entscheidungen nur Beschwerdepunkte in Betracht ziehen, zu denen diese sich sachgerecht in Bezug auf das Vorliegen und die Einschlägigkeit der Tatsachen, die Beschwerdepunkte und die von der Kommission vorgebrachten Umstände haben äußern können.

Die Beschwerdepunkte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte müssen, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, der darin besteht, den Unternehmen alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt. Diesem Erfordernis ist Genüge getan, wenn die Entscheidung den Betroffenen keine anderen Zuwiderhandlungen als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten zur Last legt und nur Tatsachen berücksichtigt, zu denen die Betroffenen sich haben äußern können. Die endgültige Entscheidung der Kommission braucht jedoch nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein.

Ein Unternehmen ist in der Lage, auf den gegen es erhobenen Vorwurf zu erwidern und seine Rechte wahrzunehmen, wenn die Mitteilung der Beschwerdepunkte einen klaren Hinweis auf die Art der ihm zur Last gelegten wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung und die insoweit angeführten wesentlichen Tatsachen enthält. Eine spätere Darstellung der Beschwerdepunkte in der von der Kommission erlassenen Entscheidung, die eine wirtschaftliche Vereinbarung als „vertikal“ oder als „horizontal“ bezeichnet, ist keine materielle Änderung der Beschwerdepunkte, wie sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargestellt worden sind.

(vgl. Randnrn. 188-189, 192)

5. Für eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG reicht es aus, dass die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten.

Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit verlangen nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen „Plans“; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Wenn auch dieses Selbständigkeitspostulat nicht das Recht der Unternehmen beseitigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen, steht es doch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht.

(vgl. Randnrn. 199-200)

6. Bei Streitigkeiten über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln hat die Kommission die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegen.

Sobald allerdings nachgewiesen ist, dass ein Unternehmen an Sitzungen von Unternehmen mit offensichtlich wettbewerbswidrigen Zwecken teilgenommen hat, obliegt es diesem Unternehmen, Umstände darzutun, aus denen sich seine fehlende wettbewerbswidrige Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen ergibt, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber auf seine andere Zielsetzung hingewiesen hat. Fehlt es an einem solchen Distanzierungsbeweis, so ist die Tatsache, dass sich ein Unternehmen den Ergebnissen von solchen Sitzungen nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten.

(vgl. Randnrn. 201-202)

7. Ein Rechtsakt kann als Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG qualifiziert werden, ohne notwendigerweise für die betroffenen Mitglieder verbindlich zu sein; dies gilt zumindest insoweit, als sich die von dem Beschluss betroffenen Mitglieder an diesen halten.

(vgl. Randnr. 210)

8. Wenn sich ein Kartell auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, so hat es schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert.

(vgl. Randnr. 212)

9. Der Umstand, dass eine Tochtergesellschaft eine eigene, von ihrer Muttergesellschaft zu unterscheidende Rechtspersönlichkeit besitzt, genügt nicht, um auszuschließen, dass ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann, namentlich, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt.

Insoweit kann die Kommission, wenn auch der Umstand, dass die Muttergesellschaft 100 % des Kapitals der Tochtergesellschaft hält, für sich genommen nicht ausreicht, um die die Zurechnung des Verhaltens bedingende tatsächliche Ausübung von Leitungsmacht durch die Muttergesellschaft nachzuweisen, ihre Entscheidung über diese Zurechnung darauf stützen, dass die Muttergesellschaft nicht bestreitet, in der Lage gewesen zu sein, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft entscheidend zu beeinflussen, und keine Beweise für ihr Vorbringen in Bezug auf deren Eigenständigkeit vorlegt. Wird das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft gehalten, so darf die Kommission nämlich durchaus vermuten, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt, insbesondere dann, wenn die Muttergesellschaft sich im Verwaltungsverfahren als der einzige Ansprechpartner für die Gesellschaften des Konzerns präsentiert hat.

Unter diesen Voraussetzungen liegt es bei der Muttergesellschaft, diese Vermutung durch hinreichende Beweise zu widerlegen.

(vgl. Randnrn. 218-220)