Rechtssache T-314/01
Coöperatieve Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
„Wettbewerb – Kartelle – Natriumglukonat – Artikel 81 EG – Geldbuße – Möglichkeit, die Zuwiderhandlung einer Vereinigung ohne eigene Rechtspersönlichkeit ihrer Muttergesellschaft zuzurechnen – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Verteidigungsrechte – Entlastende Dokumente – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht“
Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 27. September 2006
Leitsätze des Urteils
1. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte
(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 1)
2. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte
(Verordnung Nr. 17 des Rates)
3. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Akteneinsicht
(Verordnung Nr. 17 des Rates)
4. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Von einem Unternehmen begangene Zuwiderhandlung – Zurechnung an ein anderes Unternehmen wegen der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen beiden
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
1. Die Wahrung der Verteidigungsrechte ist ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts, das unter allen Umständen, insbesondere aber in allen Verfahren, die zu Sanktionen führen können, zu beachten ist, selbst wenn es sich dabei um ein Verwaltungsverfahren handelt. Sie verlangt, dass die betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits während des Verwaltungsverfahrens in die Lage versetzt werden, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen.
Will sich die Kommission auf eine Stelle einer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine Anlage zu einer solchen Erwiderung stützen, um in einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, so müssen die anderen Beteiligten dieses Verfahrens in die Lage versetzt werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern. Unter solchen Umständen stellt nämlich die fragliche Stelle einer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder die Anlage zu dieser Erwiderung Material dar, das die verschiedenen an der Zuwiderhandlung angeblich Beteiligten belastet.
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn sich die Kommission auf eine Stelle einer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte stützt, um einem Unternehmen eine Zuwiderhandlung zuzurechnen.
Das betroffene Unternehmen muss dartun, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste.
(vgl. Randnrn. 49-52)
2. Im Rahmen eines nach den Durchführungsverordnungen zu den Artikeln 81 EG und 82 EG durchgeführten kontradiktorischen Verfahrens kann die Kommission nicht allein entscheiden, welche Schriftstücke zur Verteidigung der an einem Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln beteiligten Unternehmen dienlich sind. Insbesondere lässt es der allgemeine Grundsatz der Waffengleichheit nicht zu, dass die Kommission allein darüber entscheiden kann, ob sie Schriftstücke gegen den Kläger verwendet, zu denen dieser keinen Zugang hatte und bezüglich deren er somit nicht entscheiden konnte, ob er von ihnen für seine Verteidigung Gebrauch machen soll.
(vgl. Randnr. 66)
3. Stellt sich in einem wegen Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln eingeleiteten Verwaltungsverfahren heraus, dass die Kommission einem beschuldigten Unternehmen Schriftstücke, die entlastendes Material hätten enthalten können, nicht zugänglich gemacht hat, so kann eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann festgestellt werden, wenn nachgewiesen ist, dass das Verwaltungsverfahren möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn das Unternehmen die fraglichen Unterlagen in diesem Verfahren hätte einsehen können. Befinden sich die Unterlagen in der Ermittlungsakte der Kommission, ist eine solche Verletzung der Verteidigungsrechte vom Verhalten des betroffenen Unternehmens im Verwaltungsverfahren unabhängig. Befinden sich die entlastenden Unterlagen dagegen nicht in der Ermittlungsakte der Kommission, so kann eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann festgestellt werden, wenn das Unternehmen im Verwaltungsverfahren bei der Kommission ausdrücklich Einsicht in diese Unterlagen beantragt hat. Hat es dies nicht getan, so kann es die entsprechende Rüge in der gegen die endgültige Entscheidung erhobenen Nichtigkeitsklage nicht mehr erheben.
(vgl. Randnr. 67)
4. Das wettbewerbswidrige Verhalten eines Unternehmens, das sein Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern vor allem wegen der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zu einem anderen Unternehmen im Wesentlichen dessen Weisungen befolgt hat, kann dem anderen Unternehmen zugerechnet werden.
Die Kommission kann sich dabei nicht mit der Feststellung begnügen, dass ein Unternehmen einen solchen entscheidenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben „konnte“, ohne dass zu prüfen wäre, ob dieser Einfluss tatsächlich ausgeübt wurde. Vielmehr obliegt es ihr grundsätzlich, einen solchen entscheidenden Einfluss anhand einer Reihe tatsächlicher Umstände zu beweisen, zu denen insbesondere auch das etwaige Weisungsrecht eines dieser Unternehmen gegenüber dem anderen gehört.
Kontrolliert jedoch eine Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft, die eine Zuwiderhandlung begangen hat, zu 100 %, so wird widerlegbar vermutet, dass die Muttergesellschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübte. Es obliegt damit der Muttergesellschaft, diese Vermutung durch Beweise zu entkräften, die geeignet sind, die Selbständigkeit ihrer Tochtergesellschaft zu belegen.
Gleiches gilt, wenn zwei Gesellschaften jeweils 50 % einer Einheit halten, die sie gemeinsam in ständiger enger Absprache leiten.
(vgl. Randnrn. 135-136, 138)
URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
27. September 2006(*)
„Wettbewerb – Kartell – Natriumglukonat – Artikel 81 EG – Geldbuße – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung einer Vereinigung ohne eigene Rechtspersönlichkeit zu ihrer Muttergesellschaft – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Verteidigungsrechte – Entlastende Dokumente – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht“
In der Rechtssache T‑314/01
Coöperatieve Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA mit Sitz in Veendam (Niederlande), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Dekker,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Bouquet, A. Whelan und W. Wils als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt M. H. van der Woude,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung des Artikels 1 der Entscheidung K(2001) 2931 endg. vom 2. Oktober 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.756 – Natriumglukonat), soweit er die Klägerin betrifft, und, hilfsweise, Nichtigerklärung des Artikels 3 der Entscheidung, soweit er die Klägerin betrifft,
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter M. Jaeger und F. Dehousse,
Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2004
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1 Die Coöperatieve Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA (im Folgenden: Avebe) ist die Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe, die auf die Verarbeitung von Stärke spezialisiert ist. Zur Zeit des Sachverhalts und weiter bis Dezember 1995 war Avebe über ihre Beteiligung an der Gesellschaft Glucona vof, ein Unternehmen, das sie gemeinsam mit der Gesellschaft Akzo Nobel Chemicals BV (im Folgenden: ANC) kontrollierte, die ihrerseits von der Akzo Nobel NV (im Folgenden: Akzo) kontrolliert wurde, auf dem Natriumglukonatmarkt tätig. Im Dezember 1995 erwarb Avebe den Anteil von ANC an der Glucona vof, die zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde und den Namen Glucona BV erhielt (im Folgenden werden die Gesellschaften Glucona vof und Glucona BV beide „Glucona“ genannt).
2 Natriumglukonat gehört zu den Chelatbildnern, Produkte, die in industriellen Verfahren die Metallionen inaktivieren. Diese Verfahren umfassen u. a. die industrielle Reinigung (Reinigung von Flaschen und Utensilien), die Oberflächenbehandlung (Rostschutzbehandlungen, Fettentfernung, Aluminiumätzen) und die Wasserbehandlung. Chelatbildner werden entsprechend in der Lebensmittelindustrie, der Kosmetikindustrie, der pharmazeutischen Industrie, der Papierindustrie und weiteren Industrien verwendet. Natriumglukonat wird weltweit verkauft; auf den Weltmärkten sind konkurrierende Unternehmen tätig.
3 Im Jahr 1995 betrug der Gesamtabsatz von Natriumglukonat weltweit ungefähr 58,7 Mio. Euro, wovon auf den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ungefähr 19,6 Mio. Euro entfielen. Zur Zeit des Sachverhalts lag die weltweite Produktion von Natriumglukonat nahezu vollständig in den Händen von fünf Unternehmen, erstens der Fujisawa Pharmaceutical Co. Ltd (im Folgenden: Fujisawa), zweitens der Jungbunzlauer AG (im Folgenden: Jungbunzlauer), drittens der Roquette Frères SA (im Folgenden: Roquette), viertens der Glucona vof und fünftens der Archer Daniels Midland Co. (im Folgenden: ADM).
4 Im März 1997 teilte das amerikanische Justizministerium der Kommission mit, dass nach einer Untersuchung der Märkte für Lysin und Zitronensäure auch eine Untersuchung des Marktes für Natriumglukonat eingeleitet worden sei. Im Oktober und Dezember 1997 sowie im Februar 1998 wurde die Kommission darüber unterrichtet, dass Akzo, Avebe, Glucona, Roquette und Fujisawa ihre Beteiligung an einem Kartell eingestanden hatten, in dessen Rahmen sie die Preise für Natriumglukonat festgesetzt und die Absatzmengen für dieses Produkt in den Vereinigten Staaten und andernorts untereinander aufgeteilt hatten. Nachdem diese Unternehmen mit dem amerikanischen Justizministerium bestimmte Vereinbarungen getroffen hatten, wurden ihnen von den amerikanischen Behörden Geldbußen auferlegt.
5 Am 18. Februar 1998 richtete die Kommission gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), Auskunftsverlangen an die wichtigsten Hersteller, Einführer, Ausführer und Abnehmer von Natriumglukonat in Europa.
6 Auf das Auskunftsverlangen hin nahm Fujisawa Kontakt mit der Kommission auf und teilte ihr mit, dass sie im Rahmen der genannten Untersuchung mit den amerikanischen Behörden zusammengearbeitet habe und auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) auch mit der Kommission zusammenarbeiten wolle. Am 12. Mai 1998 legte Fujisawa im Anschluss an eine Zusammenkunft mit der Kommission am 1. April 1998 eine schriftliche Erklärung zusammen mit einem Dossier vor, das eine Zusammenfassung der Entwicklung des Kartells und eine Reihe von Dokumenten enthielt.
7 Am 16. und 17. September 1998 führte die Kommission Nachprüfungen gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 in den Geschäftsräumen von Avebe, Glucona, Jungbunzlauer und Roquette durch.
8 Am 2. März 1999 richtete die Kommission detaillierte Auskunftsverlangen an Glucona, Roquette und Jungbunzlauer. Mit Schreiben vom 14., 19. und 20. April 1999 teilten diese Unternehmen mit, dass sie mit der Kommission zusammenarbeiten wollten, und legten ihr bestimmte Informationen über das Kartell vor. Am 25. Oktober 1999 richtete die Kommission zusätzliche Auskunftsverlangen an ADM, Fujisawa, Glucona, Roquette und Jungbunzlauer.
9 Am 17. Mai 2000 sandte die Kommission Avebe und den übrigen betroffenen Unternehmen auf der Grundlage der ihr übermittelten Informationen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte wegen Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR-Abkommen). Avebe und alle übrigen betroffenen Unternehmen nahmen zu den Beschwerdepunkten der Kommission schriftlich Stellung. Keiner der Beteiligten beantragte eine Anhörung oder bestritt die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Tatsachen.
10 Am 11. Mai 2001 sandte die Kommission Avebe und den übrigen betroffenen Unternehmen nochmals zusätzliche Auskunftsverlangen.
11 Am 2. Oktober 2001 erließ die Kommission die Entscheidung K(2001) 2931 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/36.756 – Natriumglukonat) (im Folgenden: Entscheidung). Die Entscheidung wurde Avebe mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 zugestellt.
12 Die Entscheidung enthält u. a. folgende Bestimmungen:
„Artikel 1
[Akzo], [ADM], [Avebe], [Fujisawa], [Jungbunzlauer] und [Roquette] haben gegen Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag bzw. – seit dem 1. Januar 1994 – Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie an einer fortdauernden Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise im Natriumglukonatsektor mitgewirkt haben.
Die Dauer der Zuwiderhandlung war folgende:
– im Falle von [Akzo], [Avebe], [Fujisawa] und [Roquette] von Februar 1987 bis Juni 1995;
– im Falle von [Jungbunzlauer] von Mai 1988 bis Juni 1995 und
– im Falle von [ADM] von Juni 1991 bis Juni 1995.
…
Artikel 3
Wegen der in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen verhängt:
a) [Akzo] 9 Mio. EUR
b) [ADM] 10,13 Mio. EUR
c) [Avebe] 3,6 Mio. EUR
d) [Fujisawa] 3,6 Mio. EUR
e) [Jungbunzlauer] 20,4 Mio. EUR
f) [Roquette] 10,8 Mio. EUR“
13 In den Randnummern 296 bis 309 der Entscheidung untersuchte die Kommission die Beziehungen, die während der Zeit des Kartells zwischen Glucona und ihren Muttergesellschaften Avebe und Akzo bestanden hatten. Sie stellte insbesondere fest, dass Glucona bis zum 15. August 1993 gemeinsam von Vertretern von Avebe und von Akzo geführt worden sei, danach jedoch wegen einer bei ihr erfolgten Umstrukturierung allein von einem Vertreter von Avebe. Avebe und Akzo seien gleichwohl im gesamten relevanten Zeitraum für die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft verantwortlich zu machen; die Entscheidung sei deshalb an beide zu richten.
14 Bei der Bemessung der Geldbußen wandte die Kommission in der Entscheidung die Methode an, die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), beschrieben ist, sowie die Mitteilung über Zusammenarbeit.
15 Als Erstes ermittelte die Kommission anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung den Grundbetrag der Geldbuße.
16 Dabei stellte die Kommission zur Schwere der Zuwiderhandlung zunächst fest, dass die betroffenen Unternehmen unter Berücksichtigung der Art der Zuwiderhandlung, ihrer konkreten Auswirkungen auf den Natriumglukonatmarkt im EWR und des Umfangs des betreffenden räumlichen Marktes einen sehr schweren Verstoß begangen hätten (Randnr. 371 der Entscheidung).
17 Weiter vertrat die Kommission die Auffassung, dass der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, dem Wettbewerb Schaden zuzufügen, Rechnung zu tragen und die Geldbuße in einer Höhe festzusetzen sei, die eine hinreichende Abschreckungswirkung gewährleiste. Demgemäß teilte sie die betroffenen Unternehmen unter Zugrundelegung des weltweiten Umsatzes, den sie im Jahr 1995, dem letzten Jahr der Zuwiderhandlung, durch den Verkauf von Natriumglukonat erzielt hatten und den sie der Kommission im Verwaltungsverfahren mitgeteilt hatten, in zwei Gruppen ein. Der ersten Gruppe ordnete sie die Unternehmen zu, die nach den ihr vorliegenden Zahlen Anteile von mehr als 20 % am weltweiten Natriumglukonatmarkt hielten, und zwar Fujisawa (35,54 %), Jungbunzlauer (24,75 %) sowie Roquette (20,96 %). Gegen diese Unternehmen setzte die Kommission einen Ausgangsbetrag von 10 Mio. Euro fest. Der zweiten Gruppe ordnete sie die Unternehmen zu, die nach den ihr vorliegenden Zahlen Anteile von weniger als 10 % am weltweiten Natriumglukonatmarkt hielten, nämlich Glucona (ungefähr 9,5 %) und ADM (9,35 %). Gegen diese Unternehmen setzte die Kommission einen Ausgangsbetrag von 5 Mio. Euro fest, gegen Akzo und Avebe, die gemeinsam Glucona besaßen, damit jeweils 2,5 Mio. Euro (Randnr. 385 der Entscheidung).
18 Diesen Ausgangsbetrag passte die Kommission an, um eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbußen zu gewährleisten und um die Tatsache zu berücksichtigen, dass Großunternehmen juristische und wirtschaftliche Kenntnisse und Infrastrukturen hätten, die es ihnen erleichterten, ihr Verhalten als Zuwiderhandlung zu erkennen und die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen. Angesichts der Größe und der Gesamtressourcen der betroffenen Unternehmen wandte die Kommission deshalb einen Multiplikator von 2,5 auf die für ADM und Akzo ermittelten Ausgangsbeträge an und erhöhte diesen Betrag entsprechend auf 12,5 Mio. Euro im Fall von ADM und auf 6,25 Mio. Euro im Fall von Akzo (Randnr. 388 der Entscheidung).
19 Um der Dauer der Zuwiderhandlung der einzelnen Unternehmen Rechnung zu tragen, wurde der so ermittelte Ausgangsbetrag pro Jahr um 10 % erhöht, d. h. um 80 % im Fall von Fujisawa, Akzo, Avebe und Roquette, 70 % im Fall von Jungbunzlauer und 35 % im Fall von ADM (Randnrn. 389 bis 392 der Entscheidung).
20 Gegen Avebe setzte die Kommission auf diese Weise einen Grundbetrag von 4,5 Mio. Euro fest. Im Fall von ADM, Akzo, Fujisawa, Jungbunzlauer und Roquette wurden Grundbeträge von 16,88, 11,25, 18, 17 und 18 Mio. Euro festgesetzt (Randnr. 396 der Entscheidung).
21 Als Zweites wurde wegen erschwerender Umstände der Grundbetrag der Geldbuße von Jungbunzlauer um 50 % erhöht, weil dieses Unternehmen als Anführer des Kartells gehandelt habe (Randnr. 403 der Entscheidung).
22 Als Drittes prüfte und verwarf die Kommission das Vorbringen einiger Unternehmen, darunter Avebe, dass ihnen mildernde Umstände zuzubilligen seien (Randnrn. 404 bis 410 der Entscheidung).
23 Als Viertes gewährte die Kommission Fujisawa gemäß Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit eine „wesentlich niedrigere Festsetzung“ (80 %) der Geldbuße, die ohne Zusammenarbeit gegen sie verhängt worden wäre. Gemäß Abschnitt D der Mitteilung gewährte die Kommission ADM und Roquette (jeweils 40 %) sowie Akzo, Avebe und Jungbunzlauer (jeweils 20 %) eine „spürbar niedrigere Festsetzung“ der Geldbuße (Randnrn. 418, 423, 426 und 427 der Entscheidung).
Verfahren und Anträge der Parteien
24 Avebe hat mit Klageschrift, die am 17. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
25 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Artikel 64 seiner Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt, die die Parteien fristgerecht beantwortet haben.
26 Die Parteien haben in der Sitzung vom 17. Februar 2004 mündlich verhandelt.
27 Avebe beantragt,
– Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit ihr darin für die Zeit von Februar 1987 bis zum 15. August 1993 eine Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird;
– hilfsweise, Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit ihr darin für die Zeit vor dem 30. April 1990 eine Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird;
– höchst hilfsweise, Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;
– der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
28 Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– Avebe die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
A – Einleitung
29 Avebe bestreitet nicht, dass das Kartell eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG dargestellt habe, die ihr für die Zeit vom 15. August 1993, als sie die alleinige Unternehmensleitung von Glucona übernommen habe (siehe oben, Randnr. 13), bis zum Ende des Kartells zuzurechnen sei. Für die Zeit vor dem 15. August 1993 könne ihr die Kommission die Zuwiderhandlung von Glucona jedoch nicht zurechnen.
30 Avebe macht in diesem Zusammenhang vier Klagegründe geltend, mit denen sie beanstandet, dass erstens gegen die Begründungspflicht, zweitens gegen die Verteidigungsrechte, drittens gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 sowie viertens gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden sei.
31 Bevor die Begründetheit der einzelnen Klagegründe geprüft wird, ist auf einige Aspekte der in den Randnummern 296 bis 309 der Entscheidung wiedergegebenen Beurteilung der Kommission hinzuweisen.
32 In Randnummer 296 der Entscheidung leitete die Kommission ihre Beurteilung mit der Feststellung ein: „Die Tatsachen machen deutlich, dass Glucona nicht eigenständig über sein Verhalten befunden, sondern die Weisungen seiner Muttergesellschaften [ANC] und [Avebe] ausgeführt hat. Alle leitenden Angestellten von Glucona haben auch bei den Muttergesellschaften leitende Funktionen ausgeübt.“
33 In den Randnummern 297 bis 299 der Entscheidung beschrieb die Kommission sodann die interne Organisation von Glucona folgendermaßen:
„(297) Vom 1. April 1972 bis 15. August 1993 bildeten zwei von den jeweiligen Muttergesellschaften ernannte Direktoren den Vorstand der Personengesellschaft und waren für die betrieblichen Entscheidungen und die Geschäftsführung von Glucona verantwortlich. Während der Vertreter von Akzo für den Absatz und die Marktpflege zuständig war, unterstanden die Funktionen Produktion und FuE-Tätigkeiten dem Vertreter von Avebe. Glucona hatte auch einen Aufsichtsrat, der aus zwei Vertretern jeder Muttergesellschaft bestand. Der Vorsitz in dem Aufsichtsrat wechselte zwischen den Vertretern von Akzo und Avebe.
(298) Mit der Ernennung eines einzigen Geschäftsführers änderte sich am 15. August 1993 die Führungsstruktur von Glucona. Ein leitender Angestellter von Avebe wurde in diese Funktion benannt.
(299) Aus den Unterlagen geht hervor, dass der von Akzo ernannte Direktor eine wichtige Rolle in der Geschäftsführung von Glucona bis August 1993 einnahm. In dem entsprechenden Zeitraum war Glucona an dem Akzo-Standort Amersfoort [Niederlande] angesiedelt. In den der Kommission vorliegenden Unterlagen aus jener Zeit beziehen sich die Kartellmitglieder auf Glucona unter Verwendung des Namens Akzo. Wegen ihres besonderen Zuständigkeitsbereiches (Marketing und Absatz) waren die Vertreter von Akzo zumindest bis August 1993 direkter in die Kartelltätigkeiten einbezogen. Ab jenem Zeitpunkt wurde ein leitender Angestellter von Avebe zum Geschäftsführer von Glucona ernannt. Es gibt Nachweise dafür, dass er nach jenem Zeitpunkt aktiv in das Kartell einbezogen war. Im Sommer 1993 wurde er von seinem Vorgänger entsprechend eingeführt.“
34 In Randnummer 300 der Entscheidung fasste die Kommission die von ihr in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgenommene Beurteilung der Frage, ob die Zuwiderhandlung den betroffenen Unternehmen zugerechnet werden kann, wie folgt zusammen:
„In den Beschwerdepunkten bekundete die Kommission ihre Absicht, Akzo und Avebe für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung als gemeinsam [verantwortlich] anzusehen. Angesichts der von den Muttergesellschaften eingeführten dualen Führungsstruktur ging die Kommission in Bezug auf deren gemeinsamen Anteil an dem Gemeinschaftsunternehmen und der gemeinsamen Haftbarkeit der beiden Kodirektoren davon aus, dass Akzo und Avebe einen gleichgroßen Einfluss bei der Führung des Gemeinschaftsunternehmens ausübten und gleichwertige Informationen über die Beteiligung von Glucona an dem Kartell hatten.“
35 In den Randnummern 301 bis 305 der Entscheidung fasste die Kommission die Ausführungen zusammen, die Akzo und Avebe dazu in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gemacht hatten. Insbesondere stellte sie in Randnummer 301 der Entscheidung fest:
„In seiner Erwiderung auf die Beschwerdepunkte stimmte Akzo mit der Auffassung der Kommission überein und bestätigte, dass Avebe stets über die Beteiligung von Glucona an dem [Natriumglukonat]-Kartell informiert war: ‚Es trifft zu, dass der Vertreter von Akzo im Vorstand zuständig für Marketing und Absatz und der Vertreter für Avebe zuständig für Produktion und Forschung und Entwicklung war; Avebe wurde jedoch beständig über die von Glucona eingegangenen wettbewerbswidrigen Vereinbarungen in Kenntnis gehalten und ist dafür in gleichem Maße zuständig‘. Akzo fügt hinzu, dass ‚Avebe die wettbewerbswidrigen Vereinbarungen von Glucona in vollem Maße bekannt waren, wenn es auch selbst vor 1993 nicht an der Kartellvereinbarung teilnahm‘.“
36 In Randnummer 306 der Entscheidung räumte die Kommission ein, „dass nach ihrer Kenntnis Avebe vor Oktober 1993 selbst nicht an multilateralen Kartellzusammenkünften teilnahm“ und dass dies „auch aus der Äußerung von Akzo hervor[geht], wonach ‚(Avebe) vor 1993 selbst nicht an der Kartellvereinbarung beteiligt war‘“. Für die Kommission stand jedoch „außer Zweifel, dass die Avebe-Mitglieder des Verwaltungsrates von Glucona wussten, dass Glucona an wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen beteiligt war“.
37 In den Randnummern 307 und 308 der Entscheidung führte die Kommission zur Stützung der letztgenannten Schlussfolgerung folgende Umstände an:
– Erstens seien bis August 1993 die beiden Direktoren von Glucona, die von Akzo bzw. Avebe ernannt worden seien, gemeinsam für die Führung von Glucona verantwortlich gewesen, und über diese beiden Direktoren seien Akzo und Avebe gleichberechtigt in den Führungs- und Aufsichtsgremien von Glucona vertreten gewesen;
– zweitens habe ein Mitglied der Unternehmensleitung von Avebe am 1. Mai 1990 einen Vermerk über eine Zusammenkunft erstellt, die am 30. April 1990 mit Vertretern von ANC und ADM stattgefunden habe (im Folgenden: Vermerk vom 1. Mai 1990). Dieser Vermerk mit dem Betreff „Unterredung mit ADM über Natriumglukonat“ sei an mehrere Mitglieder der Unternehmensleitung von Avebe gerichtet worden, darunter den damaligen, von Avebe ernannten Direktor von Glucona. Dem Inhalt dieses Vermerks sei zu entnehmen, „dass Avebe die Mitwirkung von Glucona an den Bemühungen, den Marktwettbewerb einzuschränken, bekannt gewesen sein muss“;
– drittens habe, als Avebe am 15. August 1993 die alleinige Unternehmensleitung von Glucona übernommen habe, „der Vertreter von Avebe … keine Maßnahmen [ergriffen], um die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, von denen er in jenem Zeitpunkt vollständige Kenntnis erhielt, einzustellen oder zumindest zu beanstanden“, vielmehr habe „Avebe [deren] Kontinuität [gewährleistet] und … die Führung von Akzo [übernommen], indem es um eine gründliche Einführung in den Stand der Dinge des Kartells bat“.
38 Randnummer 309 der Entscheidung schließlich lautet:
„Die Kommission ist deshalb der Auffassung, dass in dem gesamten relevanten Zeitraum beide Muttergesellschaften für das wettbewerbswidrige Verhalten ihrer Tochtergesellschaft verantwortlich zu machen sind, weshalb sie diese Entscheidung sowohl an Avebe als auch an Akzo richten wird.“
B – Zur Verletzung der Begründungspflicht
39 Avebe trägt vor, dass die Kommission einerseits in Randnummer 306 der Entscheidung behauptet habe, es stehe „außer Zweifel, dass die Avebe-Mitglieder des Verwaltungsrates von Glucona wussten, dass Glucona an wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen beteiligt war“. Andererseits erkläre sie in Randnummer 308 der Entscheidung, dass, als am 15. August 1993 ein Angestellter von Avebe zum Direktor mit vollständiger Verantwortung für die Unternehmensleitung von Glucona ernannt worden sei, dieser von dem bis dahin für die Unternehmensleitung von Glucona verantwortlichen Angestellten von Akzo über die Vereinbarung in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Begründung der Entscheidung sei damit in der Frage, ob sie vor dem 15. August 1993 über das Kartell unterrichtet gewesen sei, widersprüchlich oder zumindest unvollständig.
40 Die Kommission bestreitet, dass die Begründung der Entscheidung in der Frage, ob Avebe vor dem 15. August 1993 über das Kartell unterrichtet gewesen sei, widersprüchlich oder unzureichend sei.
41 Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (Urteile des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtssache C‑367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink’s France, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 63, und vom 30. September 2003 in der Rechtssache C‑301/96, Deutschland/Kommission, Slg. 2003, I‑9919, Randnr. 87; Urteil des Gerichts vom 20. November 2002 in der Rechtssache T‑251/00, Lagardère und Canal+/Kommission, Slg. 2002, II‑4825, Randnr. 155).
42 Zunächst ist festzustellen, dass die von Avebe erhobene Rüge eines Widerspruchs zwischen den Randnummern 306 und 308 der Entscheidung (siehe zu Letzterer oben, Randnrn. 36 und 37) auf einer unvollständigen Lektüre der Entscheidung beruht. In Randnummer 308 der Entscheidung hat die Kommission nämlich nicht, wie Avebe offenbar meint, erklärt, dass der neue Direktor von Glucona am 15. August 1993 erstmals über das Bestehen des Kartells unterrichtet worden sei, was tatsächlich im Widerspruch zu Randnummer 306 der Entscheidung gestanden hätte, in der die Kommission festgestellt hat, die Avebe-Mitglieder des Verwaltungsrats von Glucona hätten gewusst, dass diese an wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen beteiligt gewesen sei. Vielmehr bat nach Randnummer 308 der Entscheidung zu diesem Zeitpunkt der Vertreter von Avebe als neuer Direktor von Glucona um eine „gründliche Einführung in den Stand der Dinge des Kartells“.
43 Was sodann den Vorwurf von Avebe an die Kommission betrifft, sie habe ihre Entscheidung in der Frage, ob Avebe vor dem 15. August 1993 über das Kartell unterrichtet gewesen sei, unzureichend begründet, geht aus den Randnummern 296 ff. der Entscheidung (siehe ebenfalls oben, Randnrn. 32 bis 38) hervor, dass die Kommission der Ansicht war, Avebe müsse das wettbewerbswidrige Verhalten ihrer Tochtergesellschaft bekannt gewesen sein, weil bis August 1993 die beiden Kodirektoren von Glucona gemeinsam für deren Führung verantwortlich und Akzo und Avebe gleichberechtigt in den Führungs- und Aufsichtsgremien von Glucona vertreten gewesen seien (Randnr. 307 Entscheidung). Die Kommission erklärte außerdem, ihre Auffassung werde durch den Inhalt des Vermerks vom 1. Mai 1990 sowie dadurch bestätigt, dass der Vertreter von Avebe nach der Übernahme der vollständigen Verantwortung für die Unternehmensleitung von Glucona am 15. August 1993 keine Maßnahmen ergriffen habe, um die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, von denen Avebe vollständige Kenntnis erhalten habe, einzustellen oder zumindest zu beanstanden, sondern die Kontinuität gewährleistet und von Akzo die Führung übernommen habe, indem er um eine gründliche Einführung in den Stand der Dinge des Kartells gebeten habe (Randnrn. 307 und 308 der Entscheidung).
44 Aus den Begründungserwägungen der Entscheidung geht demnach rechtlich hinreichend hervor, dass die Kommission ihre Schlussfolgerung, die Zuwiderhandlung könne Avebe zugerechnet werden, zum einen auf die Rechtsstruktur von Glucona und zum anderen auf die verschiedenen tatsächlichen Aspekte der Beziehungen zwischen den Muttergesellschaften Akzo und Avebe und ihrem Gemeinschaftsunternehmen Glucona gestützt hat.
45 Der Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht ist folglich zurückzuweisen.
C – Zur Verletzung der Verteidigungsrechte
1. Einleitende Bemerkungen
46 Dieser Klagegrund enthält zwei Teile. Zum einen wirft Avebe der Kommission vor, sie habe eine von Akzo in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte abgegebene Erklärung (im Folgenden: Erklärung von Akzo) herangezogen, ohne Avebe eine Stellungnahme zu dieser Erklärung zu gestatten, und damit ihre Verteidigungsrechte verletzt. Zum anderen rügt Avebe, die Kommission habe nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um sich die Kopie einer Erklärung zu beschaffen, die ein Vertreter von Akzo vor dem Department of Justice der Vereinigten Staaten abgegeben habe (im Folgenden: angebliche Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden).
2. Zur Erklärung von Akzo
47 Avebe trägt vor, aus den Begründungserwägungen 301 und 309 der Entscheidung (siehe oben, Randnrn. 35 und 38) gehe hervor, dass die Kommission ihre Schlussfolgerung, Avebe habe vor 1993 Kenntnis von dem Kartell gehabt, auf die Erklärung von Akzo gestützt habe. Die Kommission habe ihr jedoch im Verwaltungsverfahren nicht ermöglicht, zu dieser Erklärung Stellung zu nehmen. Sie habe daher zwangsläufig ihre Verteidigungsrechte verletzt, als sie sich zum Beweis dafür, dass Avebe vor 1993 Kenntnis von dem Kartell gehabt habe, auf die Erklärung gestützt habe.
48 Die Kommission macht geltend, dass sie die in Randnummer 301 der Entscheidung wiedergegebene Erklärung von Akzo niemals als Beweis gegen Avebe verwendet, sondern sie lediglich im Rahmen ihrer Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten zitiert habe.
49 Die Wahrung der Verteidigungsrechte ist ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts, das unter allen Umständen, insbesondere aber in allen Verfahren, die zu Sanktionen führen können, zu beachten ist, selbst wenn es sich dabei um ein Verwaltungsverfahren handelt. Sie verlangt, dass die betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits während des Verwaltungsverfahrens in die Lage versetzt werden, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 11; Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T‑11/89, Shell/Kommission, Slg. 1992, II‑757, Randnr. 39, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999).
50 Will sich die Kommission auf eine Stelle einer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine Anlage zu einer solchen Erwiderung stützen, um in einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, so müssen die anderen Beteiligten dieses Verfahrens in die Lage versetzt werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern. Unter solchen Umständen stellt nämlich die fragliche Stelle einer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder die Anlage zu dieser Erwiderung Material dar, das die verschiedenen an der Zuwiderhandlung angeblich Beteiligten belastet (Urteil des Gerichts vom 15. März 2000 in den Rechtssachen T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 2000, II‑491, Randnr. 386 und die dort zitierte Rechtsprechung).
51 Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn sich die Kommission auf eine Stelle einer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte stützt, um einem Unternehmen eine Zuwiderhandlung zuzurechnen.
52 Das betroffene Unternehmen muss dartun, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Januar 2004 in den Rechtssachen C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Aalborg Portland u. a./Kommission, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 71 bis 73).
53 Im vorliegenden Fall geht aus den Randnummern 296 bis 309 der Entscheidung hervor, dass die Kommission ihre Beurteilung wie folgt gegliedert hat: In den Randnummern 297 bis 299 hat sie die Organisation von Glucona beschrieben, in Randnummer 300 an das vorläufige Ergebnis erinnert, zu dem sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezüglich der Frage der Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung zu den betroffenen Unternehmen gelangt war, in den Randnummern 301 bis 305 die Stellungnahmen der Unternehmen dazu zusammengefasst und schließlich in den Randnummern 306 bis 309 eine eigene rechtliche Würdigung vorgenommen (siehe zusammengefasst oben, Randnrn. 32 bis 38).
54 Die Kommission hat die Erklärung von Akzo, auf die sich Avebe bezieht, in Randnummer 301 der Entscheidung und damit in demjenigen Teil der Entscheidung angeführt, in dem die Stellungnahmen dieser Unternehmen zu dem vorläufigen Ergebnis zusammengefasst sind, zu dem sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezüglich der Frage der Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung zu den betroffenen Unternehmen gelangt war.
55 Avebe behauptet noch nicht einmal, dass die Kommission in demjenigen Teil ihrer Beurteilung, der die rechtliche Würdigung der Beziehungen betrifft, die zwischen Glucona und ihren Muttergesellschaften Avebe und Akzo bestanden, auf die Erklärung von Akzo Bezug genommen habe.
56 Anders als Avebe meint, hat sich die Kommission folglich nicht auf die Erklärung von Akzo gestützt. Vielmehr hat sie in den Randnummern 307 und 308 der Entscheidung (siehe oben, Randnrn. 36 und 37) zum einen die Rechtsstruktur von Glucona und zum anderen verschiedene tatsächliche Aspekte genannt, die die Beziehungen zwischen den Muttergesellschaften Akzo und Avebe und ihrem Gemeinschaftsunternehmen Glucona betrafen. Avebe bestreitet nicht, dass sie Zugang zu den von der Kommission insoweit angeführten Dokumenten hatte. Indem die Kommission das Ergebnis ihrer rechtlichen Würdigung in Randnummer 309 der Entscheidung mit dem Wort „deshalb“ einleitete, hat sie sich somit, was die Beteiligung von Avebe angeht, lediglich auf die Randnummern 307 und 308 der Entscheidung und nicht auf deren Randnummer 301 bezogen.
57 Selbst wenn man jedoch unterstellt, die Kommission habe sich auf die Erklärung von Akzo gestützt – was nicht der Fall war –, hat Avebe nicht entsprechend der oben in Randnummer 52 zitierten Rechtsprechung nachgewiesen, dass die Kommission in der Entscheidung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn die Erklärung von Akzo nicht als Avebe belastendes Beweismittel herangezogen worden wäre.
58 Der die Erklärung von Akzo betreffende erste Teil des Klagegrundes beruht folglich auf einer fehlerhaften Prämisse und ist daher zurückzuweisen.
3. Zur angeblichen Erklärung eines Vertreters von Akzo vor den amerikanischen Behörden
a) Vorbringen der Parteien
59 In ihrer Erwiderung macht Avebe geltend, dass ein Vertreter von Akzo bei einer Befragung durch das Departement of Justice der Vereinigten Staaten im Rahmen des dort im Zusammenhang mit dem Kartell eingeleiteten Verfahrens erklärt habe, dass Avebe vor dem 15. August 1993 nicht über das Kartell unterrichtet gewesen sei. Da es ihr selbst jedoch nicht gelungen sei, eine Kopie dieser Erklärung zu erhalten, die sie der Kommission hätte vorlegen können, und da diese Erklärung sie hätte entlasten können, hätte sich die Kommission die Kopie bei den zuständigen Behörden der Vereinigten Staaten beschaffen müssen. Auf schriftliche Fragen des Gerichts hat Avebe erläutert, dass sie die Kommission nicht ausdrücklich aufgefordert habe, sich dieses Dokument zu beschaffen, weil sie zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht gewusst habe, dass sich die Kommission auf die – oben in den Randnummern 49 bis 58 untersuchte – Erklärung von Akzo stützen werde. Erst in der Entscheidung sei sie mit der Erklärung von Akzo konfrontiert worden, die im Widerspruch zur angeblichen Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden stehe.
60 Nach Ansicht der Kommission ist dieser Teil des Klagegrundes nicht in der Klageschrift vorgebracht worden und damit als unzulässig zurückzuweisen. Zumindest aber sei dieser Teil des Klagegrundes unbegründet.
b) Würdigung durch das Gericht
Zur Zulässigkeit
61 Nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Allerdings ist ein Vorbringen, das eine Erweiterung eines bereits unmittelbar oder mittelbar in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und in engem Zusammenhang mit diesem steht, als zulässig anzusehen. Das Gleiche gilt für eine zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachte Rüge (Urteil des Gerichts vom 21. März 2002 in der Rechtssache T‑231/99, Joynson/Kommission, Slg. 2002, II‑2085, Randnr. 156).
62 Im vorliegenden Fall hat Avebe die angebliche Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden erst im Stadium der Erwiderung als Klagegrund, mit dem die Verletzung der Verteidigungsrechte geltend gemacht wird, angeführt.
63 Im Rahmen eines anderen Klagegrundes hatte sie diese Rüge jedoch bereits in der Klageschrift erhoben (siehe oben, Randnr. 59). Bereits dort hatte sie nämlich dieses Argument vorgebracht, wenn auch förmlich nur in demjenigen Teil ihres Schriftsatzes, der den Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 81 EG und Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 betrifft.
64 Anders als die Kommission meint, hat Avebe in der Erwiderung somit nicht ein neues Angriffsmittel vorgebracht, sondern lediglich dieselbe Rüge erhoben, diesmal förmlich in demjenigen Teil des Schriftsatzes, in dem es um die Verletzung der Verteidigungsrechte geht.
65 Folglich ist die Begründetheit dieses Teils des Klagegrundes zu prüfen.
Zur Begründetheit
66 Im Zusammenhang mit entlastenden Schriftstücken ist daran zu erinnern, dass die Kommission nach der Rechtsprechung im Rahmen eines nach den Durchführungsverordnungen zu den Artikeln 81 EG und 82 EG durchgeführten kontradiktorischen Verfahrens nicht allein entscheiden kann, welche Schriftstücke zur Verteidigung der an einem Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln beteiligten Unternehmen dienlich sind (Urteil des Gerichts vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T‑30/91, Solvay/Kommission, Slg. 1995, II‑1775, Randnr. 81). Insbesondere lässt es der allgemeine Grundsatz der Waffengleichheit nicht zu, dass die Kommission allein darüber entscheiden kann, ob sie Schriftstücke gegen den Kläger verwendet, zu denen dieser keinen Zugang hatte und bezüglich deren er somit nicht entscheiden konnte, ob er von ihnen für seine Verteidigung Gebrauch machen soll (Urteil Solvay/Kommission, Randnr. 83, und Urteil des Gerichts vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T‑36/91, ICI/Kommission, Slg. 1995, II‑1847, Randnr. 111).
67 Stellt sich im Verwaltungsverfahren heraus, dass die Kommission dem Kläger Schriftstücke, die entlastendes Material hätten enthalten können, nicht zugänglich gemacht hat, so kann nach der Rechtsprechung eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann festgestellt werden, wenn nachgewiesen ist, dass das Verwaltungsverfahren möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn der Kläger die fraglichen Unterlagen in diesem Verfahren hätte einsehen können (Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T‑7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 56, und Urteil Solvay/Kommission, zitiert vorstehend in Randnr. 66, Randnr. 98). Befinden sich die Unterlagen in der Ermittlungsakte der Kommission, ist eine solche Verletzung der Verteidigungsrechte vom Verhalten des betroffenen Unternehmens im Verwaltungsverfahren unabhängig (Urteil Solvay/Kommission, Randnr. 96). Befinden sich die entlastenden Unterlagen dagegen nicht in der Ermittlungsakte der Kommission, so kann eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann festgestellt werden, wenn der Kläger im Verwaltungsverfahren bei der Kommission ausdrücklich Einsicht in diese Unterlagen beantragt hat. Ist dies nicht der Fall, so kann er die entsprechende Rüge in der gegen die endgültige Entscheidung erhobenen Nichtigkeitsklage nicht mehr erheben (Urteile des Gerichts in der Rechtssache Cimenteries CBR u. a./Kommission, zitiert oben in Randnr. 50, Randnr. 383, und vom 30. September 2003 in den Rechtssachen T‑191/98, T‑212/98, T‑213/98 und T‑214/98, Atlantic Container Line u. a./Kommission, Slg. 2003, II‑3275, Randnr. 340).
68 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Kommission, wie aus Randnummer 300 der Entscheidung hervorgeht (siehe oben, Randnr. 34), in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ihre Absicht bekundete, Akzo und Avebe für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung als gemeinsam verantwortlich anzusehen.
69 Ferner ergibt sich aus den Antworten der Parteien auf bestimmte schriftliche Fragen des Gerichts, dass Avebe in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte bestritt, dass sie vor August 1993 Kenntnis von dem Kartell gehabt habe, und unterstrich, dass sie in dem Verfahren in den Vereinigten Staaten lediglich einer Zuwiderhandlung in der Zeit danach für schuldig befunden worden sei. In diesem Zusammenhang führte sie in einer Fußnote der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte aus, dass, „[s]oweit [sie] weiß, [der Vertreter von Akzo] in den Anhörungen im Rahmen dieses Verfahrens auch erklärt [hat], dass Avebe vor August 1993 keine Kenntnis von den Kartellabsprachen gehabt habe“.
70 Darüber hinaus hat Avebe auf schriftliche Fragen des Gerichts eine Korrespondenz zwischen ihren Anwälten und dem Department of Justice der Vereinigten Staaten vorgelegt, wonach sie bereits im Juli 2000 wiederholt versucht hatte, vom Department of Justice eine Kopie der angeblichen Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden zu erhalten. Diese Kopie wollte Avebe der Kommission im Verwaltungsverfahren vorlegen. Der Korrespondenz zufolge lehnte das Department of Justice den Antrag ab, wies aber darauf hin, dass man bereit sei, der Kommission eine Kopie zukommen zu lassen, falls sie darum ersuchen sollte.
71 Unter diesen Umständen braucht nicht geprüft zu werden, ob die Kommission geeignete Maßnahmen ergreifen musste, um sich eine Kopie der angeblichen Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden zu beschaffen. Selbst unterstellt, sie sei dazu in der Lage gewesen, kann ihr Avebe dennoch nicht vorwerfen, dass sie nicht entsprechend gehandelt habe, um in den Besitz eines Dokuments zu gelangen, das Avebe möglicherweise entlastet hätte.
72 Wie oben in Randnummer 67 festgestellt, hätte Avebe nämlich die Kommission angesichts der Antworten der amerikanischen Behörden auf jeden Fall ausdrücklich auffordern müssen, sich das Dokument zu beschaffen. Wie oben aus Randnummer 69 hervorgeht, hat Avebe jedoch lediglich in einer Fußnote vage auf die angebliche Erklärung hingewiesen, was nicht als ausdrücklicher Antrag im Sinne der zitierten Rechtsprechung angesehen werden kann.
73 Avebe rechtfertigt das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags im Verwaltungsverfahren zu Unrecht damit, dass sie erst in der Entscheidung mit der Erklärung von Akzo, die im Widerspruch zur angeblichen Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden gestanden habe, konfrontiert worden sei. Avebe bestreitet nämlich nicht, dass die Absicht der Kommission, Akzo und sie selbst für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung als gemeinsam verantwortlich anzusehen, bereits aus der Mitteilung der Beschwerdepunkte klar hervorging. Sie musste daher wissen, dass sie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte alles vortragen musste, was dem Nachweis dienen konnte, dass sie vor August 1993 keine Kenntnis von dem Kartell hatte. Überdies wird aus der dem Gericht von Avebe vorgelegten Korrespondenz zwischen ihren Anwälten und dem Department of Justice der Vereinigten Staaten deutlich, dass sich die Anwälte völlig im Klaren darüber waren, dass Akzo im Verwaltungsverfahren vor der Kommission möglicherweise geltend gemacht hatte, Avebe sei über das Kartell während seiner gesamten Dauer unterrichtet gewesen. Wie bereits oben in Randnummer 56 festgestellt worden ist, hat sich die Kommission außerdem nicht auf die Erklärung von Akzo gestützt, sondern sie lediglich in demjenigen Teil ihrer Entscheidung angeführt, der die Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten enthält.
74 Nach alledem ist der zweite Teil des vorliegenden Klagegrundes, der die angebliche Erklärung von Akzo vor den amerikanischen Behörden betrifft, ebenfalls zurückzuweisen.
75 Der Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte ist folglich zurückzuweisen.
D – Zum Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17
1. Einleitung
76 Avebe macht geltend, dass die Kommission Rechtsfehler begangen habe, als sie die Zuwiderhandlung für die Zeit vor dem 15. August 1993 Glucona und nicht Akzo zugerechnet habe. Selbst wenn jedoch die Zuwiderhandlung für diese Zeit Glucona zugerechnet werden könne, könne sie selbst nicht für das wettbewerbswidrige Verhalten von Glucona verantwortlich gemacht werden.
2. Zum Vorbringen, dass die Kommission Glucona nicht die vor dem 15. August 1993 begangene Zuwiderhandlung hätte zurechnen dürfen
a) Vorbemerkungen
77 Zu prüfen ist, ob, wie Avebe vorträgt, die Zuwiderhandlung in der Zeit vor dem 15. August 1993 nicht von Glucona, dem Gemeinschaftsunternehmen der Muttergesellschaften Akzo und Avebe, begangen wurde, sondern nur von Akzo.
78 Avebe bestreitet nicht, dass Glucona ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft gewesen sei, obwohl sie aufgrund ihrer Rechtsform keine eigene Rechtspersönlichkeit gehabt habe. Nach ständiger Rechtsprechung umfasse nämlich im Rahmen des Wettbewerbsrechts der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung (Urteile des Gerichtshofes vom 23. April 1991 in der Rechtssache C‑41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I‑1979, Randnr. 21, und des Gerichts vom 30. März 2000 in der Rechtssache T‑513/93, Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali/Kommission, Slg. 2000, II‑1807, Randnr. 36).
79 Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles sei jedoch die Zuwiderhandlung in der Zeit vor dem 15. August 1993 von Akzo und nicht von Glucona begangen worden. Avebe stützt sich insoweit zum einen auf die Bestimmungen des 1972 zwischen Akzo und Avebe geschlossenen Unternehmensvertrags über die Gründung von Glucona (im Folgenden: Unternehmensvertrag von 1972) und zum anderen auf verschiedene tatsächliche Umstände, die die Beziehungen zwischen ihr selbst, Akzo und Glucona beträfen.
b) Zum Unternehmensvertrag von 1972
Vorbringen der Parteien
80 Avebe weist zunächst darauf hin, dass sie bereits aufgrund einer 1966 mit der Gesellschaft Noury & van der Lande getroffenen Kooperationsvereinbarung über die Herstellung und den Verkauf verschiedener Produkte, darunter Natriumglukonat, für die Herstellung dieses Produktes zuständig gewesen sei, während die andere Gesellschaft seinen Verkauf übernommen habe und damit für das Marktverhalten verantwortlich gewesen sei.
81 Nachdem Noury & van der Lande von Akzo übernommen worden sei, sei die Rollenverteilung bis zum 15. August 1993, als Avebe die Geschäftsführung von Glucona übernommen habe, im Wesentlichen unverändert geblieben. Nach den relevanten Bestimmungen des Unternehmensvertrags von 1972 sei sie für die Produktion zuständig gewesen, während Akzo für den Natriumglukonatverkauf verantwortlich gewesen sei.
82 Erstens sei Glucona nach dem Unternehmensvertrag von 1972 von zwei Direktoren – einer von Akzo und einer von Avebe kommend – geführt worden, die sich um diejenigen Angelegenheiten gekümmert hätten, die für ihren jeweiligen Gesellschafter am relevantesten gewesen seien, die über getrennte Verträge mit den Gesellschaftern verfügt hätten und die sich nur wenig oder gar nicht mit den in der Zuständigkeit des jeweils anderen Direktors liegenden Angelegenheiten befasst hätten. Nach dem Unternehmensvertrag von 1972 sei der Natriumglukonatverkauf aber Akzo anvertraut gewesen, die die Geschäftspolitik von Glucona festgelegt und umgesetzt habe, so dass sie selbst keinen entscheidenden Einfluss auf das Marktverhalten von Glucona ausgeübt habe. Die Verkaufsaktivitäten von Akzo zugunsten von Glucona seien vielmehr Bestandteil der Vertriebsorganisation von Akzo gewesen; Glucona selbst habe nicht über eine Vertriebsorganisation verfügt.
83 Zweitens weise der Umstand, dass Akzo nach dem Unternehmensvertrag von 1972 eine Vergütung für den Verkauf von Natriumglukonat erhalten habe, darauf hin, dass dieses Produkt in Wirklichkeit ohne Mitwirkung von Glucona durch Akzo verkauft worden sei.
84 Drittens könne Akzo entgegen der Auffassung der Kommission auf der Grundlage des Unternehmensvertrags von 1972 nicht als bloßer Vertreter angesehen werden, der nur für Rechnung von Glucona gehandelt habe. Der Unternehmensvertrag von 1972 habe vorgesehen, dass eine Aufgabenteilung zwischen den Gesellschaftern festgelegt werden könne, was im vorliegenden Fall auch geschehen sei. Akzo habe – zwar für Rechnung und auf Gefahr von Glucona, im Übrigen jedoch unabhängig und für eigene Rechnung – die Tätigkeiten des Marketings und des Verkaufs von Natriumglukonat übernommen, und diese Tätigkeiten seien Bestandteil der Organisation von Akzo gewesen.
85 Dass Akzo den Verkauf für Rechnung und auf Gefahr von Glucona besorgt habe, bedeute nicht zwangsläufig, dass Glucona als das Unternehmen anzusehen sei, das die Zuwiderhandlung nach Artikel 81 EG begangen habe. Um festzustellen, wer im vorliegenden Fall gegen Artikel 81 EG verstoßen habe, sei nicht zu ermitteln, für wessen Rechnung und auf wessen Gefahr die Handlungen vorgenommen worden seien, sondern in erster Linie, wer die Handlungen, durch die die Zuwiderhandlung begangen worden sei, tatsächlich vorgenommen habe.
86 Die Auffassung der Kommission laufe darauf hinaus, dass die Auftraggeber eines für mehrere Unternehmen handelnden Vertreters, der Zuwiderhandlungen gegen Artikel 81 Absatz 1 EG begehe, für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht würden, die dieser Vertreter bei der Ausübung seiner Tätigkeiten begehe. Dem sei zuzustimmen, wenn der Auftraggeber den Vertreter mit der Begehung der Zuwiderhandlung beauftragt habe oder wenn er Kenntnis vom Verhalten seines Vertreters habe und ihn nicht anweise, die Zuwiderhandlung abzustellen. Begehe jedoch der Vertreter die Zuwiderhandlung ohne Wissen seines Auftraggebers, so könne diesem die Zuwiderhandlung nicht zur Last gelegt werden. Die Kommission habe aber nicht bewiesen, dass Glucona Akzo mit der Beteiligung am Kartell beauftragt oder selbst Kenntnis von der Beteiligung von Akzo am Kartell gehabt habe. Auch dass einer der Direktoren von Glucona, nämlich der von Akzo kommende, über die Zuwiderhandlung unterrichtet gewesen sei, genüge nicht, um diese Glucona zuzurechnen, da der betreffende Direktor als Mitarbeiter von Akzo gehandelt habe, der für den Verkauf der Produkte von Glucona zuständig gewesen sei.
87 Zwar könne nicht generell gesagt werden, dass ein Auftraggeber für das Verhalten eines Vertreters, der außerdem Direktor des Auftraggebers sei oder eine andere Leitungsfunktion in dessen Organisation ausübe, nicht zur Verantwortung gezogen werden könne. Im vorliegenden Fall gebe es jedoch Gründe dafür, zwischen der Funktion des Vertreters und der des Direktors in der Organisation des Auftraggebers zu unterscheiden. Erstens sei Akzo nicht zum Zweck der Umgehung einer etwaigen Verantwortlichkeit für Zuwiderhandlungen gegen Artikel 81 EG zum Vertreter ernannt worden, sondern weil sie, wie sich aus dem Unternehmensvertrag von 1972 ergebe, bereits über eine Vertriebsorganisation für Natriumglukonat verfügt habe. Zweitens sei im vorliegenden Fall der Vertreter, Akzo, ein Großunternehmen, in dem ein Mitarbeiter zeitweilig den Posten eines Direktors von Glucona bekleidet, im Übrigen jedoch Tätigkeiten im Rahmen der Organisation seines eigenen Unternehmens ausgeübt habe.
88 Nach Ansicht der Kommission ist das Vorbringen von Avebe zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
89 Nach Artikel 1 des Unternehmensvertrags von 1972 gründeten Avebe und Akzo das Gemeinschaftsunternehmen Glucona mit dem Ziel, bestimmte Produkte, darunter Natriumglukonat, „für gemeinsame Rechnung herzustellen und zu vertreiben“.
90 Nach Artikel 5 Absatz 1 des Unternehmensvertrags von 1972 waren die „Gesellschafter [von Glucona] nur gemeinsam befugt, für die Gesellschaft zu handeln und zu zeichnen, die Gesellschaft gegenüber Dritten und Dritte gegenüber der Gesellschaft zu verpflichten sowie Mittel für die Gesellschaft zu empfangen und auszugeben“. Nach Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages sollten die beiden Gesellschafter, Akzo und Avebe, jeweils zwei Beauftragte ernennen, die „gemeinsam die in Absatz 1 genannten Befugnisse für den betreffenden Gesellschafter ausüben; das Recht des jeweiligen Gesellschafters, diese Befugnisse selbst auszuüben, wird dadurch nicht berührt“. Die Beauftragten sollten „regelmäßigen Kontakt zueinander halten und alle die Gesellschaft betreffenden Fragen untereinander und mit den … Direktoren [von Glucona] erörtern“. Gemäß Artikel 5 Absatz 3 des Unternehmensvertrags von 1972 oblag die laufende Geschäftsführung zwei Direktoren, die von Akzo bzw. Avebe ernannt wurden. Diese Direktoren sollten einen wesentlichen Teil ihrer Zeit den Angelegenheiten von Glucona widmen. Sie sollten „eng zusammenarbeiten und [waren] gemeinsam für die Geschäftspolitik verantwortlich“; außerdem sollten sie „den Beauftragten regelmäßig Bericht über die Geschäftspolitik erstatten und ihnen alle relevanten Informationen hierzu vorlegen“.
91 Artikel 13 Absatz 2 des Vertrages schließlich bestimmte, dass, „[s]ofern nicht beide Gesellschafter einer anderen Regelung den Vorzug geben, [Glucona] den Verkauf ihrer Produkte [Akzo aufträgt]“ und dieser einen Anteil der Kosten der Verkaufsstruktur von Akzo zu erstatten hatte, der sich nach der für den Verkauf der Produkte von Glucona aufgewandten Zeit richtete.
92 Aus diesen Bestimmungen des Unternehmensvertrags von 1972 ergibt sich, dass zwar die laufenden Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Natriumglukonatverkauf für Rechnung von Glucona Akzo „aufgetragen“ waren, dass Avebe aber nicht mit Erfolg geltend machen kann, die Zuwiderhandlung könne bereits aufgrund der Bestimmungen dieses Vertrages nur Akzo zugerechnet werden, weil diese alleinverantwortlich für die Verkaufspolitik von Glucona gewesen sei.
93 Aufgrund der Rechtsstruktur von Glucona legten Akzo und Avebe die Geschäftspolitik von Glucona nämlich gemeinsam fest. Sie mussten sich also über ihre Beauftragten und die Direktoren von Glucona regelmäßig absprechen. Deshalb ist davon auszugehen, dass Avebe aufgrund des Unternehmensvertrags von 1972 weder die Festlegung noch die Umsetzung der Verkaufspolitik für Natriumglukonat unbekannt war.
94 Das Vorbringen von Avebe, dass sich die beiden Direktoren überwiegend, wenn nicht ausschließlich, um diejenigen Angelegenheiten gekümmert hätten, die in erster Linie den Aufgabenbereich des Gesellschafters betroffen hätten, der sie jeweils ernannt habe, dass sie über getrennte Verträge mit den Gesellschaftern verfügt hätten und dass sie sich nur wenig oder gar nicht mit den in der Zuständigkeit des anderen Direktors liegenden Angelegenheiten befasst hätten, findet in den Bestimmungen des Unternehmensvertrags keinen Ausdruck und steht zu ihnen teilweise sogar im Widerspruch. Wie nämlich gerade unterstrichen worden ist, waren Akzo und Avebe nach dem Unternehmensvertrag von 1972 gemeinsam für die Festlegung der Geschäftspolitik von Glucona verantwortlich, bezüglich deren sie sich über ihre Beauftragten und die Direktoren von Glucona regelmäßig absprechen mussten.
95 Selbst wenn die Bestimmungen des Unternehmensvertrags von 1972, insbesondere Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14 Absatz 1, entsprechend der Ansicht von Avebe dahin auszulegen wären, dass der von Akzo ernannte Direktor den Natriumglukonatvertrieb als Mitarbeiter von Akzo besorgte, der für den Verkauf der Produkte von Glucona zuständig war, wären die Handlungen dieses von Akzo ernannten Direktors aufgrund der durch den Unternehmensvertrag von 1972 geschaffenen Rechtslage dennoch Glucona zuzurechnen.
96 Die Kommission konnte folglich im Rahmen der Anwendung des Artikels 81 EG bereits auf der Grundlage der Bestimmungen des Unternehmensvertrags von 1972 ohne offensichtlichen Fehler davon ausgehen, dass sämtlichen Mitgliedern des Verwaltungsrats von Glucona deren wettbewerbswidrige Praktiken bekannt gewesen seien.
97 In einer solchen Situation oblag es Avebe, im Verwaltungsverfahren anhand einer Reihe von Umständen, die ein Bündel übereinstimmender und überzeugender Indizien bildeten, zu beweisen, dass trotz dieser Rechtslage nur Akzo das wettbewerbswidrige Verhalten von Glucona kannte und bestimmte.
c) Zu den verschiedenen tatsächlichen Umständen
98 Avebe führt sechs tatsächliche Umstände zum Beweis dafür an, dass sie über das Bestehen des Kartells nicht unterrichtet gewesen sei.
99 Erstens hätten ihre Vertreter vor Oktober 1993 an keiner der Kartellzusammenkünfte teilgenommen.
100 Die Kommission hat sich hierzu nicht speziell geäußert.
101 Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission den genannten Umstand nicht bestreitet und ihn in Randnummer 306 der Entscheidung auch eingeräumt hat. Angesichts der im Unternehmensvertrag von 1972 vorgesehenen Aufgabenteilung und den Vertragsbestimmungen, die eine gemeinsame Zuständigkeit der Gesellschafter von Glucona vorsahen und jedem Gesellschafter Beteiligung und Unterrichtung in Bezug auf die Tätigkeiten der anderen Partei garantierten (siehe oben, Randnr. 90), lässt dieser Umstand jedoch nicht den Schluss zu, dass die Vertreter von Avebe bei Glucona und damit Avebe selbst keine Kenntnis von dem wettbewerbswidrigen Verhalten haben konnten.
102 Zweitens macht Avebe geltend, dass sich die Kommission in Randnummer 307 der Entscheidung nicht auf den Vermerk vom 1. Mai 1990 hätte stützen dürfen. Sie habe nämlich bereits in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt, dass die Zusammenkunft, auf die sich dieser Vermerk bezogen habe, nichts mit den multilateralen Kartellzusammenkünften zu tun gehabt habe, sondern im Rahmen einer strukturellen Zusammenarbeit stattgefunden habe, die zusammen mit ADM angestrebt worden sei. Diese Unterredungen seien nicht im Rahmen der regulären Verkaufsaktivitäten von Glucona erfolgt, sondern hätten eine strukturelle Änderung der Produktion von Glucona in den Vereinigten Staaten betroffen. Dies erkläre, weshalb der von Avebe ernannte Direktor von Glucona an der Zusammenkunft teilgenommen und sich Avebe als Gesellschafter von Glucona über den Stand der Erörterungen mit ADM informiert habe.
103 Die Kommission trägt vor, aus dem Vermerk vom 1. Mai 1990 ergebe sich, dass Glucona – und nicht lediglich Akzo – Natriumglukonat verkauft habe, ein Marktverhalten an den Tag gelegt habe, sich an Verhandlungen beteiligt habe und von den übrigen Kartellmitgliedern als Marktteilnehmer angesehen worden sei.
104 Hierzu ist festzustellen, dass der Vermerk vom 1. Mai 1990 von einem Mitglied der Unternehmensleitung von Avebe zu einer Zusammenkunft verfasst wurde, die am 30. April 1990 mit Vertretern von ANC und ADM stattgefunden hatte. Diesem Vermerk zufolge erörterten die Teilnehmer bei der Zusammenkunft die Verlängerung bestimmter von ADM geschlossener Verträge über die Lieferung von Natriumglukonat.
105 Selbst unterstellt, die Zusammenkunft habe nichts mit den multilateralen Kartellzusammenkünften zu tun gehabt, sondern sei entsprechend dem Vorbringen von Avebe im Rahmen einer mit ADM angestrebten strukturellen Zusammenarbeit erfolgt, beweist dieser Vermerk, wie die Kommission zu Recht unterstreicht, dennoch, dass Avebe die Fragen des Natriumglukonatvertriebs durch Glucona nicht unbekannt waren. Diese Schlussfolgerung wird auch durch den Entwurf einer Vereinbarung zwischen Akzo, Avebe und ADM gestützt, den Avebe selbst dem Gericht vorgelegt hat und wonach Avebe und Akzo den Natriumglukonatvertrieb in den Vereinigten Staaten gemeinsam besorgen sollten. Dieses Dokument enthält keinen Hinweis darauf, dass die Tätigkeiten von Avebe auf die Herstellung von Natriumglukonat beschränkt waren und dass sich nur Akzo um den Vertrieb des Erzeugnisses kümmern sollte.
106 Avebe beanstandet deshalb zu Unrecht, dass die Kommission diesen Vermerk als einen der tatsächlichen Umstände angeführt hat, die darauf hinwiesen, dass Avebe die Beteiligung von Glucona an wettbewerbswidrigen Handlungen nicht habe unbekannt sein können.
107 Drittens ist Avebe der Ansicht, dass die Kommission in Randnummer 308 der Entscheidung zu Unrecht auf ihr Verhalten bei der Übernahme der alleinigen Unternehmensleitung von Glucona am 15. August 1993 hingewiesen und daraus geschlossen habe, dass sie für die vor diesem Zeitpunkt begangene Zuwiderhandlung verantwortlich sei. Eine derartige Argumentation sei im Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑347/94 (Mayr-Melnhof/Kommission, Slg. 1998, II‑1751, Randnrn. 400 ff.) verworfen worden.
108 Nach Ansicht der Kommission beruft sich Avebe zu Unrecht auf das Urteil Mayr-Melnhof/Kommission (siehe vorstehend, Randnr. 107), da dieses Urteil eine andere Situation betroffen habe als der vorliegende Fall. Im vorliegenden Fall habe sie den fraglichen Umstand nur neben anderen genannt, um darzutun, dass Avebe die Beteiligung von Glucona am Kartell bereits vor dem 15. August 1993 habe bekannt sein müssen.
109 Wie die Kommission zu Recht betont, ist im Urteil Mayr-Melnhof/Kommission (siehe oben, Randnr. 107) entschieden worden, dass die Gesellschaft Mayr-Melnhof erst von dem Zeitpunkt an für das Verhalten einer ihrer Tochtergesellschaften verantwortlich erklärt werden konnte, zu dem sie die Kontrolle über die Tochtergesellschaft übernommen hatte. Im vorliegenden Fall ging es aber angesichts der rechtlichen Eigentums- und Kontrollbindungen, die bereits bei der Gründung von Glucona bestanden, nicht um die Frage, ob Avebe für Handlungen verantwortlich zu machen war, die eine Gesellschaft zu einem Zeitpunkt begangen hatte, zu dem sie nicht die Kontrolle über diese Gesellschaft ausübte. Avebe kann ihre Auffassung daher nicht mit Erfolg auf dieses Urteil stützen.
110 Auch wenn dabei das Verhalten von Avebe für sich betrachtet nicht genügt, um zu beweisen, dass sie bereits vor der Übernahme der alleinigen Unternehmensleitung von Glucona am 15. August 1993 von der Beteiligung Gluconas am Kartell wusste, kann der Kommission kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie diesen Umstand angesichts anderer, besonders glaubhafter Umstände, darunter die gemeinsame Verantwortlichkeit der beiden Kodirektoren von Glucona, herangezogen hat (siehe Randnr. 307 der Entscheidung und oben, Randnrn. 90 bis 96), um ihre Auffassung zu stützen.
111 Viertens macht Avebe geltend, dass das Bestehen des Kartells in den Protokollen der internen Zusammenkünfte von Glucona nicht erwähnt werde. Die Organe von Glucona hätten das Verhalten von Akzo daher weder ausdrücklich noch stillschweigend gebilligt, da es ihnen nicht bekannt gewesen sei.
112 Nach Ansicht der Kommission geht aus diesen Protokollen hervor, dass die bei den Zusammenkünften erörterten Fragen die gesamte Bandbreite der Tätigkeiten von Glucona betroffen hätten.
113 Nach Auffassung des Gerichts ist der Umstand, dass das Bestehen des Kartells in den Protokollen der internen Zusammenkünfte von Glucona nicht schriftlich erwähnt wird, angesichts des geheimen Charakters des Kartells kein stichhaltiges Argument dafür, dass Avebe über das Kartell nicht unterrichtet war oder nicht unterrichtet sein konnte, geschweige denn dafür, dass die Organe von Glucona das wettbewerbswidrige Verhalten ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hatten.
114 Im Übrigen geht, wie die Kommission zu Recht geltend macht, aus mehreren Protokollen hervor, dass Avebe – mitunter im Detail – über den geschäftlichen Teil der Tätigkeiten von Glucona unterrichtet wurde (vgl. Berichte über die Zusammenkünfte vom 8. Oktober 1991, 14. April und 10. Dezember 1992 und 2. September 1993). So heißt es in Nummer 8 des Protokolls über die Zusammenkunft vom 10. Dezember 1992:
„Das Mengenbudget für Natriumglukonat ist 1993 in Anbetracht der Marktkräfte (ADM) sehr viel niedriger als zuvor. Trotz der geringeren Menge werden bessere Preise erwartet. Außerdem sollen höhere Ausfuhrerstattungen beantragt werden; dies hängt damit zusammen, dass unsere Rohstoffe verdünnt sind. Der Schwerpunkt wird auf der Ausfuhr in Drittländer außerhalb der EG liegen. Erstmals seit mehreren Jahren dürfte die Bruttogewinnspanne von Natriumglukonat die Rentabilitätsschwelle erreichen. Zum Teil liegt dies jedoch an einer Umverteilung der Fixkosten …“
115 Hieraus wird deutlich, dass die bei diesen Zusammenkünften erörterten Fragen die gesamte Bandbreite der Tätigkeiten von Glucona betrafen, insbesondere Themen wie die Geschäftsstrategie, die Marktentwicklung sowie die Preis- und die Marktanteilspolitik. Da aber das Kartell für die Bestimmung der Handlungsmöglichkeiten auf dem Natriumglukonatmarkt von entscheidender Bedeutung war, erscheint völlig ausgeschlossen, dass diese Themen hätten behandelt werden können, ohne dass das Bestehen des Kartells und die daraus resultierenden Parameter erwähnt wurden.
116 Avebe kann ihre Auffassung folglich auch nicht mit Erfolg auf die Protokolle der Zusammenkünfte von Glucona stützen.
117 Fünftens macht Avebe geltend, dass die Geschäftspartner und Konkurrenten von Glucona diese stets mit Akzo und nie mit Avebe gleichgesetzt hätten, dass Akzo in ihrer Kundenkorrespondenz eigenes Briefpapier und nicht Briefpapier von Glucona verwendet habe und dass Inrechnungstellung und Inkasso über Akzo erfolgt seien.
118 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.
119 Zunächst ist festzustellen, dass das Vorbringen von Avebe im Widerspruch zu dem oben in Randnummer 105 erwähnten Vereinbarungsentwurf steht, der als mögliche Geschäftspartner von ADM für den Natriumglukonatvertrieb in den Vereinigten Staaten nicht nur Akzo, sondern auch Avebe nennt. Selbst wenn jedoch erwiesen wäre, dass Glucona von ihren Partnern und Konkurrenten stets mit Akzo gleichgesetzt wurde, beträfe dieser Umstand nur die Außenbeziehungen von Glucona und die Wahrnehmung Gluconas durch Dritte. Er beträfe jedoch keineswegs die Frage, ob Avebe angesichts der internen Organisationsstruktur von Glucona deren wettbewerbswidriges Verhalten auf dem Natriumglukonatmarkt bekannt war oder bekannt sein musste.
120 Avebe kann sich daher zur Stützung ihrer Auffassung auch nicht auf diese Umstände berufen.
121 Sechstens schließlich macht Avebe geltend, dass der von Akzo ernannte Direktor sein Büro in Amersfoort (Niederlande) in den Räumlichkeiten von Akzo gehabt habe, während sich der von Avebe ernannte Direktor vor Ort um das Management der Werke von Avebe in Ter Apelkanaal (Niederlande) gekümmert habe, und dass diese Orte ungefähr 200 km voneinander entfernt seien. Ferner trägt sie vor, dass Herstellung und Verkauf von Natriumglukonat nur einen kleinen Teil sowohl ihrer eigenen Tätigkeiten als auch der von Akzo ausgemacht hätten.
122 Die Kommission hat sich hierzu nicht speziell geäußert.
123 Das Gericht erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass der Unternehmensvertrag von 1972 ausdrücklich eine enge Abstimmung zwischen den Direktoren über alle das Gemeinschaftsunternehmen betreffenden Fragen vorsah. Wie oben in Randnummer 115 festgestellt worden ist, geht außerdem aus den Protokollen der Zusammenkünfte von Glucona hervor, dass die bei diesen Zusammenkünften erörterten Fragen die gesamte Bandbreite der Tätigkeiten von Glucona betrafen, insbesondere Themen wie die Geschäftsstrategie, die Marktentwicklung sowie die Preis- und die Marktanteilspolitik. Die geografische Entfernung zwischen Akzo und Avebe ist daher kein überzeugendes Argument dafür, dass der von Avebe ernannte Direktor keine Kenntnis von dem wettbewerbswidrigen Verhalten hatte.
124 Der von Avebe angeführte Umstand, dass Herstellung und Verkauf von Natriumglukonat nur einen kleinen Teil sowohl ihrer eigenen Tätigkeiten als auch der von Akzo ausgemacht hätten, ist ebenfalls irrelevant. Die Gründung von Glucona sollte nämlich der gemeinsamen Herstellung und dem gemeinsamen Vertrieb bestimmter Produkte, darunter Natriumglukonat, dienen, Tätigkeiten, denen die Direktoren von Glucona nach dem Unternehmensvertrag von 1972 einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit widmen sollten.
125 Avebe führt diese Umstände daher zu Unrecht zur Stützung ihrer Auffassung an.
126 Nach alledem hat die Kommission zu Recht die Ansicht vertreten, dass die verschiedenen von Avebe angeführten tatsächlichen Umstände nicht den Schluss zuließen, dass Avebe trotz der Klarheit des rechtlichen Rahmens der Struktur des Gemeinschaftsunternehmens und der Teilung der Zuständigkeiten seiner Gesellschafter keine Kenntnis von der Festlegung und der Umsetzung der Vertriebspolitik für Natriumglukonat gehabt habe und deshalb über das wettbewerbswidrige Verhalten von Glucona nicht unterrichtet gewesen sei oder habe sein können.
127 Die Kommission konnte daher fehlerfrei feststellen, dass die Zuwiderhandlung von Glucona begangen worden sei.
3. Zum Vorbringen, dass die Kommission die von Glucona begangene Zuwiderhandlung nicht Avebe hätte zurechnen dürfen
a) Vorbringen der Parteien
128 Avebe macht im Wesentlichen geltend, dass die Kommission, selbst wenn ein wettbewerbswidriges Verhalten von Glucona und nicht von Akzo festzustellen wäre, dieses Verhalten auf keinen Fall Avebe hätte zurechnen dürfen.
129 Nach ständiger Rechtsprechung schließe der Umstand, dass die Tochtergesellschaft eigene Rechtspersönlichkeit besitze, noch nicht aus, dass ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden könne; dies gelte insbesondere dann, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimme, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolge (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑286/98 P, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, Slg. 2000, I‑9925, Randnr. 26 und die dort zitierte Rechtsprechung). Daraus folge, dass nicht die formale Rechtsstruktur eines Unternehmens, sondern seine tatsächliche Entscheidungsstruktur zu berücksichtigen sei. Mit im Wesentlichen den Argumenten, die sie bereits im ersten Teil des ersten Klagegrundes vorgebracht hat, vertritt Avebe die Ansicht, dass nicht Glucona ihr erteilte Weisungen befolgt habe, sondern der Natriumglukonatvertrieb durch Akzo besorgt worden sei.
130 Außerdem sei in einem Fall, in dem die Zuwiderhandlung von einer Vereinigung ohne Rechtspersönlichkeit begangen worden sei, das formale Kriterium rechtlicher Bindungen zwischen der Vereinigung und ihrer Muttergesellschaft nicht relevant. In einer solchen Situation komme es nur darauf an, ob Glucona eine wirtschaftliche Einheit mit Avebe gebildet habe, was nicht der Fall gewesen sei, weil Glucona nicht über eine Verkaufsorganisation verfügt habe, sondern die meisten ihrer Mitarbeiter ihre Arbeit im Rahmen der Tätigkeiten erledigt hätten, die sie für einen anderen Arbeitgeber ausgeübt hätten. Nur dann, wenn die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft zu 100 % halte, könne sich die Kommission auf die Vermutung stützen, dass die Tochtergesellschaft im Wesentlichen die Weisungen ihrer Muttergesellschaft ausführe. Nur in einem solchen Zusammenhang brauche die Kommission nicht nachzuprüfen, ob die Muttergesellschaft ihr Weisungsrecht tatsächlich ausgeübt habe. Im vorliegenden Fall habe Avebe jedoch nur 50 % von Glucona gehalten, die übrigen 50 % hätten sich in den Händen von Akzo befunden.
131 Avebe beruft sich ferner auf das Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in den Rechtssachen T‑339/94 bis T‑342/94 (Metsä-Serla u. a./Kommission, Slg. 1998, II‑1727, Randnrn. 51 bis 58). In dieser Rechtssache habe das Gericht darauf abgestellt, dass ein Unternehmensverband von seinen Mitgliedern mit der Abwicklung ihrer gesamten Kartonverkäufe betraut worden sei und einheitliche Preise festgelegt habe und dabei im Namen und für Rechnung jedes seiner Mitglieder gehandelt habe. Das Gericht habe somit in dieser Rechtssache auf das die Zuwiderhandlung begründende Verhalten und den direkten Zusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem für die Zuwiderhandlung verantwortlich zu machenden Unternehmen abgestellt.
132 Darüber hinaus macht Avebe geltend, es sei unwahrscheinlich, dass sie am 15. August 1993, als der von Akzo ernannte Direktor den von ihr selbst ernannten Direktor über das Bestehen der Kartellstruktur unterrichtet habe, Kenntnis von dem Kartell erlangt habe. Die Kommission sei mit Schreiben vom 23. April 1999 darauf aufmerksam gemacht worden, habe aber diese Information falsch interpretiert, denn in der Entscheidung habe sie erklärt, dass Avebe um eine gründliche Einführung in den Stand der Dinge des Kartells gebeten habe. Die Kommission habe auch nicht berücksichtigt, dass, wie in Nummer 26 der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben, der Vertreter von Avebe bei Glucona später den Präsidenten von Avebe unterrichtet habe, was die Behauptung entkräfte, dass Avebe bereits Kenntnis von dem Kartell gehabt habe.
133 In ihrer Erwiderung im Verfahren vor dem Gericht trägt Avebe außerdem vor, dass ihre Auffassung durch Artikel 6 Absatz 2 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt werde.
134 Die Kommission räumt ein, dass sich die von ihr angeführte Rechtsprechung nicht auf einen Fall wie den vorliegenden beziehe, in dem die Zuwiderhandlung von einem Kooperationsverband zweier eigenständiger Unternehmen begangen worden sei. Unter weitgehender Bezugnahme auf die Argumente, die sie bereits im ersten Teil des ersten Klagegrundes vorgebracht hat, vertritt sie jedoch die Ansicht, dass im vorliegenden Fall Avebe das Marktverhalten von Glucona entscheidend habe beeinflussen und insbesondere ihre Beteiligung an dem Kartell jederzeit habe beenden können. Dies genüge nach der Rechtsprechung (Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T‑354/94, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, Slg. 1998, II‑2111, Randnr. 80), um zu dem Schluss zu gelangen, dass Avebe mitverantwortlich für die Zuwiderhandlung gewesen sei; dass sie tatsächlich einen solchen Einfluss auf Glucona ausgeübt habe, brauche nicht bewiesen zu werden.
b) Würdigung durch das Gericht
135 Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung das wettbewerbswidrige Verhalten eines Unternehmens, das sein Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern vor allem wegen der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zu einem anderen Unternehmen im Wesentlichen dessen Weisungen befolgt hat, dem anderen Unternehmen zugerechnet werden kann (Urteile des Gerichtshofes vom 28. Juni 2005 in den Rechtssachen C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P, C‑208/02 P und C‑213/02 P, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 117, und vom 16. November 2000 in der Rechtssache C‑294/98 P, Metsä-Serla u. a./Kommission, Slg. 2000, II‑10065, Randnr. 27).
136 Dabei ist klarzustellen, dass sich die Kommission nach dieser Rechtsprechung und anders, als sie selbst in den Nummern 48 bis 52 ihrer Klagebeantwortung meint, nicht mit der Feststellung begnügen kann, dass ein Unternehmen einen solchen entscheidenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben „konnte“, ohne dass zu prüfen wäre, ob dieser Einfluss tatsächlich ausgeübt wurde. Vielmehr ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass es grundsätzlich der Kommission obliegt, einen solchen entscheidenden Einfluss anhand einer Reihe tatsächlicher Umstände zu beweisen, zu denen insbesondere auch das etwaige Weisungsrecht eines dieser Unternehmen gegenüber dem anderen gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes in der Rechtssache Dansk Rørindustri u. a./Kommission, zitiert oben in Randnr. 135, Randnrn. 118 bis 122, und vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑196/99 P, Aristrain/Kommission, Slg. 2003, I‑11005, Randnrn. 95 bis 99; Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T‑9/99, HFB u. a./Kommission, Slg. 2002, II‑1487, Randnr. 527). In dem von der Kommission angeführten Fall, der dem Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission vom 16. November 2000 (zitiert oben in Randnr. 129) zugrunde liegt, hat der Gerichtshof jedoch anerkannt, dass, wenn eine Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft, die eine Zuwiderhandlung begangen hat, zu 100 % kontrolliert, widerlegbar vermutet wird, dass die Muttergesellschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübte. Es obliegt damit der Muttergesellschaft, diese Vermutung durch Beweise zu entkräften, die geeignet sind, die Selbständigkeit ihrer Tochtergesellschaft zu belegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission vom 16. November 2000, zitiert oben in Randnr. 129, Randnrn. 28 und 29, und Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission vom 14. Mai 1998, zitiert oben in Randnr. 134, Randnr. 80).
137 Sodann ist daran zu erinnern, dass Glucona nach dem Unternehmensvertrag von 1972 in der Rechtsform einer „vennootschap onder firma“ (vof) gegründet wurde. Es ist unstreitig, dass sie damit nach niederländischem Recht ein rein vertragliches Gebilde ohne eine eigene Rechtspersönlichkeit war, die von der ihrer Gesellschafter Akzo und Avebe getrennt gewesen wäre, die jeweils zu 50 % an dem Gebilde beteiligt waren. Nach Artikel 5 Absatz 1 des Unternehmensvertrags waren die beiden Gesellschafter nur gemeinsam befugt, für Glucona zu handeln und zu zeichnen, sie gegenüber Dritten und Dritte ihr gegenüber zu verpflichten sowie Mittel für sie zu empfangen und auszugeben. Nach Artikel 5 Absatz 2 sollten die beiden Gesellschafter jeweils zwei Beauftragte ernennen, die „gemeinsam die in Absatz 1 genannten Befugnisse für den betreffenden Gesellschafter ausüben; das Recht des jeweiligen Gesellschafters, diese Befugnisse selbst auszuüben, wird dadurch nicht berührt“. Die Beauftragten sollten „regelmäßigen Kontakt zueinander halten und alle die Gesellschaft betreffenden Fragen untereinander und mit den … Direktoren [von Glucona] erörtern“. Gemäß Artikel 5 Absatz 3 des Unternehmensvertrags oblag die laufende Geschäftsführung zwei Direktoren, die von Akzo bzw. Avebe ernannt wurden. Diese Direktoren sollten einen wesentlichen Teil ihrer Zeit den Angelegenheiten von Glucona widmen. Sie sollten „eng zusammenarbeiten und [waren] gemeinsam für die Geschäftspolitik verantwortlich“; außerdem sollten sie „den Beauftragten regelmäßig Bericht über die Geschäftspolitik erstatten und ihnen alle relevanten Informationen hierzu vorlegen“. Schließlich hafteten Akzo und Avebe aufgrund der Rechtsstruktur von Glucona unbegrenzt und gesamtschuldnerisch für deren Verbindlichkeiten.
138 Die vorstehend genannten Umstände ergeben zusammen, dass der Unternehmensvertrag von 1972 in Bezug auf die Geschäftsführung von Glucona eine gemeinsame Leitungsbefugnis von Akzo und Avebe vorsah, die hinsichtlich aller Glucona betreffenden Fragen von zwei Direktoren, die von Akzo bzw. Avebe ernannt und insbesondere durch zwei Beauftragte dieser beiden Gesellschafter kontrolliert wurden, gemeinsam und in ständiger enger Absprache auszuüben war. Angesichts dieser gemeinsamen Leitungsbefugnis und der Tatsache, dass Akzo und Avebe jeweils zu 50 % an Glucona beteiligt waren und gemeinsamen alle ihre Anteile kontrollierten, handelt es sich um einen Fall, der mit dem des Urteils Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission vom 14. Mai 1998 vergleichbar ist, in dem eine einzige Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft zu 100 % kontrollierte, so dass die Vermutung aufgestellt wurde, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübte.
139 Zusammen bilden nämlich die oben in Randnummer 137 genannten tatsächlichen Umstände Indizien, die ausreichendes Gewicht haben, um die Vermutung zu stützen, dass Akzo und Avebe gemeinsam das Vorgehen von Glucona auf dem Markt so sehr bestimmten, dass Glucona insoweit über keine echte Selbständigkeit verfügte. Wie aus den Feststellungen oben in den Randnummern 92 bis 126 zur Kenntnis der Klägerin vom Verhalten Gluconas hervorgeht, hat die Klägerin auch keine Beweise vorgelegt, die geeignet sind, diese Vermutung zu widerlegen.
140 Schließlich ist festzustellen, dass die gemeinsame Verantwortlichkeit der beiden Gesellschafter Akzo und Avebe für das Verhalten von Glucona unabhängig davon, wie weit sie sich nach niederländischem Recht genau erstreckte, die Vermutung verstärkt, dass die Geschäftspolitik Gluconas tatsächlich gemeinsam von deren Gesellschaftern bestimmt wurde. Gesellschafter sind nämlich unter derartigen Umständen sehr daran interessiert, zu vermeiden, dass ihre Tochtergesellschaft ohne Rücksicht auf ihre Weisungen handelt, da ihnen im Fall rechtswidriger Handlungen der Tochtergesellschaft Ermittlungen oder Schadensersatzklagen Dritter drohen.
141 Daraus folgt, dass die Kommission angesichts der engen wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen Glucona einerseits sowie den gemeinsam die tatsächliche Kontrolle über sie ausübenden Akzo und Avebe andererseits keinen Fehler begangen hat, als sie festgestellt hat, dass das wettbewerbswidrige Verhalten von Glucona Avebe zugerechnet werden könne. Weiter folgt daraus, dass Glucona einerseits sowie Akzo und Avebe andererseits entgegen der Auffassung von Avebe eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der oben in Randnummer 78 zitierten Rechtsprechung bilden, in deren Rahmen das wettbewerbswidrige Verhalten der Tochtergesellschaft ihren Muttergesellschaften zugerechnet werden kann, die für das Verhalten verantwortlich sind, weil sie die tatsächliche Kontrolle über die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 2003 in der Rechtssache T‑66/99, Minoan Lines/Kommission, Slg. 2003, II‑5515, Randnr. 122).
142 Der Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 ist folglich insgesamt zurückzuweisen.
E – Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
143 Nach Ansicht von Avebe hätte die Kommission, selbst wenn ihr die Zuwiderhandlung zugerechnet werden könnte, bei der Festsetzung des Grundbetrags ihrer Geldbuße als mildernden Umstand die Rolle berücksichtigen müssen, die sie vor dem 15. August 1993 im Kartell gespielt habe.
144 Die Kommission trägt vor, dass die Geldbuße von Avebe aufgrund des Verhaltens von Glucona im Rahmen des Kartells festgesetzt worden sei und dass sie dabei die Besonderheiten des Verhaltens von Glucona berücksichtigt habe. Es gebe keinen Grund, die Verantwortlichkeit eines Mutterunternehmens für das Verhalten seines Tochterunternehmens zu mildern. Dies gelte umso mehr, als Glucona keine von Avebe und Akzo getrennte Rechtspersönlichkeit besessen habe. Avebe werde somit keineswegs für das Verhalten eines anderen verantwortlich gemacht, sondern für Handlungen eines rein vertraglichen Gebildes, das Teil ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit sei und für das sie gesamtschuldnerisch hafte.
145 Das Gericht teilt die Ansicht der Kommission, dass sie aufgrund des sowohl Avebe als auch Akzo zurechenbaren Verhaltens von Glucona eine Geldbuße gegen Avebe verhängen konnte, ohne den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verletzen. Insbesondere ist das Gericht der Auffassung, dass angesichts der Bestimmungen des Unternehmensvertrags von 1972, durch den das Gemeinschaftsunternehmen Glucona gegründet wurde (siehe oben, Randnrn. 90 und 91), die Rolle, die Avebe vor dem 15. August 1993 im Kartell gespielt hatte, keinen mildernden Umstand darstellen kann, der die Angemessenheit der gegen sie verhängten Geldbuße beeinträchtigen würde.
146 Der Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist demnach nicht begründet.
147 Da keiner der gegen die Entscheidung vorgebrachten Klagegründe Erfolg hat, ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Kosten
148 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Coöperatieve Verkoop- en Productievereniging van Aardappelmeel en Derivaten Avebe BA trägt die Kosten des Verfahrens.
Azizi |
Jaeger |
Dehousse |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. September 2006.
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
J. Azizi |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Verfahren und Anträge der Parteien
Entscheidungsgründe
A – Einleitung
B – Zur Verletzung der Begründungspflicht
C – Zur Verletzung der Verteidigungsrechte
1. Einleitende Bemerkungen
2. Zur Erklärung von Akzo
3. Zur angeblichen Erklärung eines Vertreters von Akzo vor den amerikanischen Behörden
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
Zur Zulässigkeit
Zur Begründetheit
D – Zum Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17
1. Einleitung
2. Zum Vorbringen, dass die Kommission Glucona nicht die vor dem 15. August 1993 begangene Zuwiderhandlung hätte zurechnen dürfen
a) Vorbemerkungen
b) Zum Unternehmensvertrag von 1972
Vorbringen der Parteien
Würdigung durch das Gericht
c) Zu den verschiedenen tatsächlichen Umständen
3. Zum Vorbringen, dass die Kommission die von Glucona begangene Zuwiderhandlung nicht Avebe hätte zurechnen dürfen
a) Vorbringen der Parteien
b) Würdigung durch das Gericht
E – Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Kosten
* Verfahrenssprache: Niederländisch.