Rechtssache C‑257/01
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Rat der Europäischen Union
„Verordnungen (EG) Nrn. 789/2001 und 790/2001 – Visapolitik – Grenzkontrollen und Überwachung der Grenzen – Artikel 202 EG – Dem Rat vorbehaltene Durchführungsbefugnisse – Den Mitgliedstaaten vorbehaltene Aktualisierung – Spezifität der Fälle – Begründungspflicht“
Schlussanträge des Generalanwalts P. Léger vom 27. April 2004
Urteil des Gerichtshofes (Plenum) vom 18. Januar 2005
Leitsätze des Urteils
1. Handlungen der Organe – Verordnungen – Grundverordnungen und Durchführungsverordnungen – Durchführungsbefugnisse, die sich
der Rat vorbehalten hat – Voraussetzungen – Spezifische und begründete Fälle – Maßnahmen und Modalitäten zur Durchführung
der Vorschriften über das Überschreiten der Außengrenzen und über Visa
(Artikel 202 EG und 253 EG; Verordnungen Nrn. 789/2001 und 790/2001 des Rates; Beschluss 1999/468 des Rates, Artikel 1 Absatz.
1)
2. Europäische Union – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens
von Schengen – Überschreiten der Außengrenzen und Visa – Einführung eines Verfahrens durch den Rat, nach dem die Mitgliedstaaten
die von ihnen vorgenommenen Änderungen an den Durchführungsmodalitäten übermitteln – Zulässigkeit
(Verordnungen des Rates Nrn. 789/2001, Artikel 2, und 790/2001 Artikel 2)
1. Nach den Artikeln 202 EG und 1 Absatz 1 des Beschlusses 1999/468 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission
übertragenen Durchführungsbefugnisse (zweiter Komitologiebeschluss) ist es, wenn auf Gemeinschaftsebene Maßnahmen zur Durchführung
eines Basisrechtsakts zu treffen sind, regelmäßig Aufgabe der Kommission, diese Befugnis auszuüben. Der Rat muss für jede
Ausnahme von dieser Regel eine ordnungsgemäße Begründung entsprechend der Natur und dem Inhalt des umzusetzenden oder zu ändernden
Basisrechtsakts geben.
In den Begründungserwägungen der Verordnungen Nrn. 789/2001 und 790/2001, mit denen dem Rat Durchführungsbefugnisse im Hinblick
auf bestimmte detaillierte Vorschriften und praktische Verfahren zur Prüfung von Visumanträgen sowie für die Durchführung
der Grenzkontrollen und die Überwachung der Grenzen vorbehalten werden, hat der Rat ausdrücklich Bezug genommen auf die wichtige
Rolle der Mitgliedstaaten auf den Gebieten Visa und Überwachung der Grenzen und auf die Sensibilität dieser Bereiche, insbesondere
hinsichtlich der politischen Beziehungen zu Drittländern. Er konnte somit vernünftigerweise davon ausgehen, dass ein spezifischer
Fall vorlag und er nach Artikel 253 EG ordnungsgemäß begründet hat, warum er sich vorübergehend die Befugnis vorbehalten hat,
eine Reihe von Bestimmungen durchzuführen, die in der Gemeinsamen Konsularischen Instruktion und im Gemeinsamen Handbuch abschließend
aufgeführt sind, in denen die Modalitäten zur Durchführung der im Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
enthaltenen Vorschriften über das Überschreiten der Außengrenzen und über Visa geregelt sind.
Denn wenn man diese Erwägungen in dem Zusammenhang analysiert, in den sie zu stellen sind, so lassen sie trotz ihrer Allgemeinheit
und Knappheit die Rechtfertigung für den Durchführungsvorbehalt zugunsten des Rates klar erkennen und ermöglichen dem Gerichtshof
die Ausübung seiner Kontrolle.
(vgl. Randnrn. 49-53, 59)
2. Aus Artikel 2 der Verordnungen Nrn. 789/2001 und 790/2001, mit denen dem Rat Durchführungsbefugnisse im Hinblick auf bestimmte
detaillierte Vorschriften und praktische Verfahren zur Prüfung von Visumanträgen und für die Durchführung der Grenzkontrollen
und die Überwachung der Grenzen vorbehalten werden, ergibt sich, dass jeder Mitgliedstaat selbst – manchmal in Abstimmung
mit den anderen Mitgliedstaaten – den Inhalt bestimmter der genannten Vorschriften oder Modalitäten ändern kann. Da es sich
um Texte handelt, die zu einer Zeit erlassen wurden, zu der die betreffende Materie in den Bereich der intergouvernementalen
Zusammenarbeit fiel, führte ihre Einbeziehung in den Rahmen der Europäischen Union ab dem Inkrafttreten des Vertrages von
Amsterdam als solche nicht dazu, den Mitgliedstaaten sofort die Zuständigkeiten zu nehmen, zu deren Ausübung sie nach den
genannten Rechtsakten im Hinblick auf ihre ordnungsgemäße Anwendung befugt waren.
In diesem besonderen und vorübergehenden Kontext in Erwartung der Entwicklungen des Schengen-Besitzstands im rechtlichen und
institutionellen Rahmen der Europäischen Union kann dem Rat nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er ein Verfahren eingeführt
hat, nach dem die Mitgliedstaaten die Änderungen mitteilen, die sie allein oder in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten
an bestimmten der genannten Vorschriften vornehmen können, deren Inhalt ausschließlich von Informationen abhängt, über die
nur sie verfügen, da nicht nachgewiesen ist, dass auf ein Verfahren einheitlicher Aktualisierung zurückgegriffen werden müsste,
um eine wirkungsvolle oder ordnungsgemäße Anwendung zu garantieren.
(vgl. Randnrn. 65, 69-71)
-
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Plenum )
18. Januar 2005(1)
„Verordnungen (EG) Nrn. 789/2001 und 790/2001 – Visapolitik – Grenzkontrollen und Überwachung der Grenzen – Artikel 202 EG – Dem Rat vorbehaltene Durchführungsbefugnisse – Den Mitgliedstaaten vorbehaltene Aktualisierung – Spezifität der Fälle – Begründungspflicht“
In der Rechtssache C-257/01betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 EG, eingereicht am 3. Juli 2001,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Maidani und C. O'Reilly als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
unterstützt durch Königreich der Niederlande, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch E. Finnegan und I. Díez Parra als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch Königreich Spanien, vertreten durch R. Silva de Lapuerta als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Plenum ),
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas und K. Lenaerts,
der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet und R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterin N. Colneric sowie der Richter
S. von Bahr und J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. April 2004,
folgendes
Urteil
- 1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 789/2001
des Rates vom 24. April 2001, mit der dem Rat Durchführungsbefugnisse im Hinblick auf bestimmte detaillierte Vorschriften
und praktische Verfahren zur Prüfung von Visumanträgen vorbehalten werden (ABl. L 116, S. 2), und der Verordnung (EG) Nr. 790/2001
des Rates vom 24. April 2001 zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen an den Rat im Hinblick auf bestimmte detaillierte
Vorschriften und praktische Verfahren für die Durchführung der Grenzkontrollen und die Überwachung der Grenzen (ABl. L 116,
S. 5, im Folgenden zusammen: angefochtene Verordnungen).
- 2
Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 10. Oktober und 8. November 2001 sind das Königreich Spanien und das
Königreich der Niederlande als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates der Europäischen Union bzw. der Kommission
zugelassen worden.
-
- Rechtlicher Rahmen
Einschlägige Bestimmungen des EG-Vertrags
- 3
Artikel 202 EG bestimmt:
„Zur Verwirklichung der Ziele und nach Maßgabe dieses Vertrags
- –
- …
- –
- …
- –
- überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften,
die er erlässt. Der Rat kann bestimmte Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnisse festlegen. Er kann sich in spezifischen
Fällen außerdem vorbehalten, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben. Die oben genannten Modalitäten müssen den Grundsätzen
und Regeln entsprechen, die der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments vorher
einstimmig festgelegt hat.“
- 4
Artikel 62 EG, der zum Titel IV des Vertrages – „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr“
– gehört, sieht vor:
„Der Rat beschließt nach dem Verfahren des Artikels 67 innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags
von Amsterdam
…
- 2.
- Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen der Mitgliedstaaten, mit denen Folgendes festgelegt wird:
-
- a)
- Normen und Verfahren, die von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Personenkontrollen an diesen Grenzen einzuhalten
sind;
-
- b)
- Vorschriften über Visa für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten einschließlich
-
-
- i)
- der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen,
sowie der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind;
-
-
- ii)
- der Verfahren und Voraussetzungen für die Visumerteilung durch die Mitgliedstaaten;
-
-
- iii)
- der einheitlichen Visumgestaltung;
-
-
- iv)
- der Vorschriften für ein einheitliches Visum.
…“
- 5
Artikel 64 Absatz 1 EG lautet:
„Dieser Titel berührt nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.“
- 6
Artikel 67 Absatz 1 EG bestimmt:
„Der Rat handelt während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam einstimmig
auf Vorschlag der Kommission oder auf Initiative eines Mitgliedstaats und nach Anhörung des Europäischen Parlaments.“
Das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen, das Gemeinsame Handbuch und die Gemeinsame Konsularische
Instruktion
- 7
Nach Artikel 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den
Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt
wurde (im Folgenden: Protokoll), sind dreizehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermächtigt, untereinander eine verstärkte
Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie er im Anhang des genannten Protokolls definiert wird, zu begründen.
- 8
Der so definierte Schengen-Besitzstand umfasst u. a. das am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zwischen
den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend
den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13, im Folgenden: Übereinkommen von
Schengen) sowie das am 19. Juni 1990 unterzeichnete Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (ABl. 2000,
L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ) einschließlich der Beschlüsse des Exekutivausschusses, der durch das SDÜ eingesetzt wurde.
- 9
Titel II des SDÜ enthält in seinen Kapiteln 2 und 3 die Vorschriften über das Überschreiten der Außengrenzen und über Sichtvermerke.
- 10
Die Modalitäten zur Durchführung dieser Regelungen wurden in Bezug auf die Grenzkontrollen im Gemeinsamen Handbuch festgelegt
und in Bezug auf Visumanträge in der Gemeinsamen Konsularischen Instruktion an die diplomatischen Missionen und die konsularischen
Vertretungen, die von Berufskonsularbeamten geleitet werden (ABl. 2002, C 313, S. 1, im Folgenden: GKI). Die endgültigen Fassungen
der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs wurden vom Exekutivausschuss nach Artikel 132 SDÜ und auf der Grundlage der Artikel
3 Absatz 1, 5 Absatz 1, 6 Absatz 3, 8, 12 Absatz 3 und 17 SDÜ mit dem Beschluss vom 28. April 1999 bezüglich der Aufhebung
von Altfassungen des Gemeinsamen Handbuchs und der Gemeinsamen Konsularischen Instruktion und Annahme der Neufassungen (SCH/Com-ex
[99] 13) (ABl. 2000, L 239, S. 317, im Folgenden: Beschluss 99/13) erlassen.
- 11
Das Gemeinsame Handbuch und die GKI enthalten sowohl detaillierte normative Bestimmungen als auch praktische Anleitungen,
die sich zum einen an die Beamten richten, die die Kontrollen an den Außengrenzen der Vertragsparteien durchführen, und zum
anderen – im Hinblick auf die laufende Bearbeitung von Visumanträgen – an die Konsularagenten der Vertragsparteien.
- 12
Hinsichtlich bestimmter Aspekte der GKI ist noch auf mehrere Beschlüsse des Exekutivausschusses zu verweisen. Es handelt sich
um die Beschlüsse vom 16. Dezember 1998 (SCH/Com-ex [98] 56) (ABl. 2000, L 239, S. 207, im Folgenden: Beschluss 98/56) und
vom 28. April 1999 (SCH/Com-ex [99] 14) (ABl. 2000, L 239, S. 298, im Folgenden: Beschluss 99/14) zur Schaffung eines Handbuchs
visierfähiger Dokumente. Überdies wurde mit dem Beschluss des Exekutivausschusses vom 21. November 1994 (SCH/Com-ex [94] 15
rev.) (ABl. L 239, S. 165, im Folgenden: Beschluss 94/15) ein automatisiertes Verfahren zur Konsultation der zentralen Behörden
gemäß Artikel 17 Absatz 2 SDÜ eingeführt.
- 13
Nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Protokolls ist der Schengen-Besitzstand für die in Artikel 1 des Protokolls aufgeführten
dreizehn Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages von Amsterdam sofort anwendbar. Dieselbe Bestimmung
sieht vor, dass der Rat für die Ausübung der Befugnisse des Exekutivausschusses an dessen Stelle tritt.
- 14
Nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 Satz 2 des Protokolls erließ der Rat am 20. Mai 1999 den Beschluss 1999/436/EG zur Festlegung
der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der
einschlägigen Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrages über die Europäische
Union (ABl. L 176, S. 17). Aus Artikel 2 in Verbindung mit Anhang A dieses Beschlusses ergibt sich, dass die Artikel 62 EG
und 63 EG die neuen Rechtsgrundlagen für den Beschluss 99/13 darstellen und die Artikel 62 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer ii EG,
62 EG und 62 Absatz 2 Buchstabe b EG jeweils die neue Rechtsgrundlage für die Beschlüsse 98/56, 99/14 und 94/15.
Der Beschluss 1999/468/EG
- 15
Artikel 1 Absatz 1 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung
der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 184, S. 23, im Folgenden: zweiter Komitologiebeschluss) lautet:
„Außer in spezifischen und begründeten Fällen, in denen der Basisrechtsakt dem Rat die unmittelbare Ausübung von Durchführungsbefugnissen
vorbehält, werden diese der Kommission entsprechend den einschlägigen Bestimmungen des Basisrechtsakts übertragen. In diesen
Bestimmungen werden die Hauptbestandteile der so übertragenen Befugnisse festgelegt.“
Die angefochtenen Verordnungen
- 16
Im Anschluss an den Erlass des Beschlusses 1999/436 wurde es für zweckmäßig erachtet, in einem Gemeinschaftsrechtsakt die
Verfahren festzulegen, nach denen die Maßnahmen zur Durchführung und Aktualisierung des Gemeinsamen Handbuchs und der GKI
zu treffen waren.
- 17
Zu diesem Zweck billigte der Rat die Verordnungen Nrn. 789/2001 und 790/2001 auf der Grundlage von Artikel 62 Nummern 2 und
3 EG bzw. der Artikel 62 Nummer 2 Buchstaben a und b EG sowie 67 Absatz 1 EG.
- 18
Nach der zweiten bis vierten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und der zweiten Begründungserwägung der Verordnung
Nr. 790/2001 müssen bestimmte, in der GKI und im Gemeinsamen Handbuch sowie in den entsprechenden Anlagen enthaltene „detaillierte
Vorschriften und praktische Verfahren“ für die Prüfung von Visumanträgen sowie die Durchführung der Grenzkontrollen und die
Überwachung der Außengrenzen „regelmäßig geändert und aktualisiert werden, um den operativen Anforderungen der … zuständigen
[Behörden] zu genügen“.
- 19
Dazu werden mit den angefochtenen Verordnungen zwei Verfahren eingeführt. Zum einen ist jeweils in Artikel 1 vorgesehen, dass
der Rat bestimmte, dort aufgelistete Vorschriften einstimmig ändern kann. Zum anderen wird in Artikel 2 der Verordnungen jeweils
ein Verfahren eingeführt, nach dem die Mitgliedstaaten die Änderungen, die sie an bestimmten Vorschriften oder Teilen der
aufgeführten Anlagen der GKI und des Gemeinamen Handbuchs vornehmen möchten, dem Generalsekretär des Rates mitteilen, der
diese Änderungen anschließend den Mitgliedern des Rates und der Kommission mitteilt.
Die Verordnung Nr. 789/2001
- 20
In der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 heißt es:
„Da die Mitgliedstaaten eine wichtige Funktion bei der Festlegung der Visumpolitik haben, die den sensiblen politischen Charakter
dieses Bereichs – insbesondere hinsichtlich der politischen Beziehungen zu Drittländern – zum Ausdruck bringt, behält sich
der Rat das Recht vor, während des in Artikel 67 Absatz 1 des Vertrags genannten Übergangszeitraums von fünf Jahren die oben
genannten detaillierten Vorschriften und praktischen Verfahren einstimmig festzulegen, zu ᄂndern und zu aktualisieren, bis
er die Bedingungen geprüft hat, unter denen der Kommission derartige Durchführungsbefugnisse nach Ablauf des Übergangszeitraums
übertragen würden.“
- 21
Artikel 1 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 789/2001 bestimmt:
„(1) Der Rat ändert einstimmig auf Initiative eines seiner Mitglieder oder auf Vorschlag der Kommission erforderlichenfalls die
Teile II, III, V, VI, VII und VIII der GKI sowie deren Anlage 2 (abgesehen von der Liste B und der Visumpflicht hinsichtlich
der in Liste A aufgeführten Länder, bei denen keine vorherige Konsultation durchgeführt werden muss) und die Teile I und III
der Anlage 3 der GKI sowie deren Anlagen 6, 10, 11, 12, 13, 14 und 15.
(2) Der Rat ändert einstimmig auf Initiative eines seiner Mitglieder oder auf Vorschlag der Kommission erforderlichenfalls die
Einleitung und die Teile I, II und III des Schengener Konsultationsnetzes (Pflichtenheft) sowie die Anlagen 2, 2A, 3, 4, 5,
7 und 8 dieses Dokuments.“
- 22
Die Bestimmungen der GKI, die der Rat nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 789/2001 ändern kann, betreffen folgende Bereiche:
- –
- die für einen Visumantrag für einen Aufenthalt von nicht mehr als drei Monaten zuständige Auslandsvertretung (Teil II der
GKI);
- –
- die Entgegennahme eines Visumantrags für einen Aufenthalt von nicht mehr als drei Monaten (Teil III der GKI);
- –
- die Bearbeitung und Entscheidung des Antrages (Teil V der GKI);
- –
- das Ausfüllen der Visummarke (Teil VI der GKI);
- –
- die Verwaltung und Organisation der Visumstelle (Teil VII der GKI);
- –
- die Zusammenarbeit der Konsulate vor Ort (Teil VIII der GKI);
- –
- die Regelung des Reiseverkehrs von Inhabern von Diplomaten-, Amts- oder Dienstpässen sowie von Passierscheinen, die einige
zwischenstaatliche internationale Organisationen ihren Beamten ausstellen (Anlage 2 zur GKI mit Ausnahme der Liste B und der
Visumpflicht hinsichtlich der in der Liste A aufgeführten Länder, bei denen keine vorherige Konsultation durchgeführt werden
muss);
- –
- die gemeinsame Liste der Drittstaaten, deren Angehörige ein Visum für den Flughafentransit für alle Mitgliedstaaten benötigen,
die Vertragsparteien des Übereinkommens von Schengen sind (im Folgenden: Schengener Staaten), wobei diese Visumpflicht ebenfalls
für Personen gilt, die im Besitz der von diesen Drittstaaten ausgestellten Reisedokumente sind (Anlage 3 Teil 1 zur GKI);
- –
- die Liste der Aufenthaltstitel von Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums, bei denen die betreffenden Personen
bei Vorlage des Dokuments von der Flughafentransitvisumpflicht befreit sind (Anlage 3 Teil 3 zur GKI);
- –
- die Liste der Honorarkonsuln, die in Ausnahmefällen und vorübergehend zur Erteilung von Visa ermächtigt sind (Anlage 6 zur
GKI);
- –
- die Vorschriften zum Ausfüllen der maschinenlesbaren Zone (Anlage 10 zur GKI);
- –
- die visierfähigen Reisedokumente (Anlage 11 zur GKI);
- –
- die den Verwaltungskosten für die Bearbeitung des Visumantrags entsprechenden Gebühren (in Euro) (Anlage 12 zur GKI);
- –
- die Hinweise zum Ausfüllen der Visummarke (Anlage 13 zur GKI);
- –
- die Grundsätze und Verfahren der Unterrichtung der Vertragsparteien bei der Erteilung räumlich beschränkter Visa, bei der
Annullierung, Aufhebung und Verringerung der Gültigkeitsdauer einheitlicher Visa und bei der Erteilung nationaler Aufenthaltstitel
(Anlage 14 zur GKI);
- –
- die Muster der durch die Vertragsstaaten erstellten harmonisierten Formulare zum Nachweis einer Einladung, einer Verpflichtungserklärung
oder einer Aufnahmebescheinigung (Anlage 15 zur GKI).
- 23
Im Übrigen sieht die zehnte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 vor:
„Ferner muss ein Verfahren vorgesehen werden, mit dem die Mitglieder des Rates und der Kommission unverzüglich unterrichtet
werden über alle Änderungen der Tabelle visierfähiger Dokumente, der Übersicht über die Vertretung bei der Erteilung von Schengen-Visa
in Drittstaaten, in denen nicht alle Schengen-Staaten vertreten sind, der Anlagen 6 und 9 des Schengener Konsultationsnetzes
(Pflichtenheft) und derjenigen Anlagen der GKI, die vollständig oder teilweise aus Listen mit Sachinformationen bestehen,
die von allen Mitgliedstaaten entsprechend den derzeit von ihnen angewandten Regelungen geliefert werden müssen und die daher
nicht durch einen Rechtsakt des Rates festgelegt, geändert oder aktualisiert werden können.“
- 24
Artikel 2 der Verordnung bestimmt:
„(1) Jeder Mitgliedstaat teilt dem Generalsekretär des Rates die Änderungen mit, die er an Teil III von Anlage 1, Liste A von Anlage
2 (abgesehen von der Visumpflicht hinsichtlich der in dieser Liste aufgeführten Länder, bei denen eine vorherige Konsultation
durchgeführt werden muss) und Liste B von Anlage 2, Teil II von Anlage 3 und den Anlagen 4, 5, 7 und 9 der GKI, an der Tabelle
der visierfähigen Dokumente, an der Übersicht über die Vertretung bei der Erteilung von Schengen-Visa in Drittstaaten, in
denen nicht alle Schengen-Staaten vertreten sind, und an den Anlagen 6 und 9 des Schengener Konsultationsnetzes (Pflichtenheft)
vornehmen möchte.
(2) Will ein Mitgliedstaat eine Änderung an den Anlagen 4, 5B, 5C, 7 oder 9 der GKI vornehmen, so legt er den anderen Mitgliedstaaten
zunächst einen Änderungsvorschlag vor und gibt ihnen Gelegenheit, zu diesem Vorschlag Stellung zu nehmen.
(3) Nach den Absätzen 1 und 2 vorgenommene Änderungen gelten ab dem Zeitpunkt als wirksam, zu dem sie vom Generalsekretär den
Mitgliedern des Rates und der Kommission mitgeteilt werden.“
- 25
Die Bestimmungen der GKI, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 789/2001 ändern können, betreffen folgende
Bereiche:
- –
- die Liste der Staaten, deren Angehörige in einem oder mehreren Schengener Staaten generell visumpflichtig sind, während Angehörige
dieser Staaten, die Inhaber von Diplomaten-, Amts- oder Dienstpässen sind, nicht der Visumpflicht unterliegen (Anlage 2 Liste
A zur GKI mit Ausnahme der Visumpflicht hinsichtlich der in dieser Liste aufgeführten Länder, bei denen eine vorherige Konsultation
durchgeführt werden muss);
- –
- die Liste der Staaten, deren Angehörige in einem oder mehreren Schengener Staaten generell nicht visumpflichtig sind, während
Angehörige dieser Staaten, die Inhaber von Diplomaten-, Amts- oder Dienstpässen sind, der Visumpflicht unterliegen (Anlage
2 Liste B zur GKI);
- –
- die gemeinsame Liste der Drittstaaten, deren Angehörige nur in einigen Schengener Staaten ein Visum für den Flughafentransit
benötigen, wobei diese Visumpflicht ebenfalls für Personen gilt, die im Besitz der von diesen Drittstaaten ausgestellten Reisedokumente
sind (Anlage 3 Teil II zur GKI);
- –
- die Liste von Dokumenten, die die visafreie Einreise ermöglichen (Anlage 4 zur GKI);
- –
- die Liste der Fälle, bei denen nach Artikel 17 Absatz 2 SDÜ vor der Erteilung des Visums die zentralen Behörden der betroffenen
Vertragspartei zu konsultieren sind (Anlage 5A zur GKI);
- –
- die Liste der Fälle, bei denen nach Artikel 17 Absatz 2 SDÜ vor der Erteilung des Visums die zentralen Behörden der anderen
Vertragsparteien zu konsultieren sind (Anlagen 5B und 5C zur GKI);
- –
- die jährlich von den nationalen Behörden für den Grenzübertritt festgelegten Richtbeträge (d. h. die für den Lebensunterhalt
hinreichenden Mittel) (Anlage 7 zur GKI);
- –
- die Informationen, die von den Behörden gegebenenfalls in das Feld „Anmerkungen“ der Visummarke einzutragen sind (Anlage 9
zur GKI);
- –
- bestimmte Aspekte hinsichtlich des automatisierten Konsultationsverfahrens für die Erteilung von Visa (Anlagen 6 und 9 zum
„Schengener Konsultationsnetz [Pflichtenheft]“).
Die Verordnung Nr. 790/2001
- 26
Die fünfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001, die fast wörtlich mit der achten Begründungserwägung der Verordnung
Nr. 789/2001 übereinstimmt, sieht vor:
„Da die Mitgliedstaaten eine besonders wichtige Funktion in Bezug auf die Entwicklung einer Grenzpolitik haben, die den sensiblen
Charakter dieses Bereichs zum Ausdruck bringt, zu dem insbesondere die politischen Beziehungen zu Drittländern gehören, behält
sich der Rat während des in Artikel 67 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft genannten Übergangszeitraums
von fünf Jahren das Recht vor, die detaillierten Vorschriften und praktischen Verfahren einstimmig festzulegen, zu ändern
und zu aktualisieren, bis er geprüft hat, unter welchen Bedingungen derartige Durchführungsbefugnisse nach Ablauf des Übergangszeitraums
der Kommission übertragen würden.“
- 27
Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung bestimmt:
„Der Rat ändert einstimmig auf Initiative eines seiner Mitglieder oder auf Vorschlag der Kommission erforderlichenfalls Teil
I Nummern 1.2, 1.3, 1.3.1, 1.3.3, 2.1, 3.1.2, 3.1.3, 3.1.4, 3.2.4, 4.1, 4.1.1, 4.1.2 und Teil II Nummern 1.1, 1.3, 1.4.1,
1.4.1a, 1.4.4, 1.4.5, 1.4.6, 1.4.7, 1.4.8, 2.1, 2.2.2, 2.2.3, 2.2.4, 2.3, 3.1, 3.2, 3.3.1, 3.3.2, 3.3.3, 3.3.4, 3.3.5, 3.3.6,
3.3.7, 3.3.8, 3.4, 3.5, 4.1, 4.2, 5.2, 5.3, 5.4, 5.5, 5.6, 6.4, 6.5, 6.6, 6.7, 6.8, 6.9, 6.10 und 6.11 des Gemeinsamen Handbuchs
sowie dessen Anlage 9.“
- 28
Die Bestimmungen des Gemeinsamen Handbuchs, die der Rat nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 790/2001 ändern kann, betreffen
folgende Bereiche:
- –
- den Grenzübertritt an zugelassenen Grenzübergangsstellen (Teil I Nr. 1.2 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- den Grenzübertritt außerhalb dieser Stellen (Teil I Nrn. 1.3, 1.3.1 und 1.3.3 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die nach Ländern geordnete Liste der für das Überschreiten der Außengrenzen als gültig anerkannten Dokumente sowie der visierfähigen
Dokumente (Teil I Nr. 2.1 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die in Anlage 6 zum Gemeinsamen Handbuch enthaltene technische Beschreibung der Visamarke (Teil I Nr. 3.1.2 des Gemeinsamen
Handbuchs);
- –
- die in Anlage 7 zum Gemeinsamen Handbuch vorgesehenen Muster von Visamarken für verschiedene mögliche Eintragungen (Teil I
Nr. 3.1.3 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Vorschrift, dass „[d]ie Vordrucke in der Marke … in Englisch, Französisch und den jeweiligen nationalen Sprachen abgefasst
[sind]“ (Teil I Nr. 3.1.4 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Vorschrift, dass „[d]ie Grundsätze und das Verfahren der Unterrichtung der Vertragsparteien bei der Erteilung räumlich
beschränkter Visa, bei der Annullierung, Aufhebung und Verringerung der Gültigkeitsdauer einheitlicher Visa und bei der Erteilung
nationaler Inlandstitel … sich aus der Anlage 8a [ergeben]“ (Teil I Nr. 3.2.4 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- der Nachweis oder die Glaubhaftmachung der Einreisegründe, die geltend gemacht werden können (Teil I Nrn. 4.1, 4.1.1 und 4.1.2
des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die zur Durchführung der Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen berechtigten Bediensteten (Teil II Nr. 1.1 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Kontrollmodalitäten (Teil II Nr. 1.3 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- bestimmte detaillierte Bestimmungen über die Modalitäten der Einreiseverweigerung (Teil II Nrn. 1.4.1, 1.4.1a sowie 1.4.4
bis 1.4.8 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die detaillierten Bestimmungen über die Anbringung von Stempeln (Teil II Nr. 2.1 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- bestimmte detaillierte Bestimmungen über die Überwachung der Außengrenzen außerhalb der Grenzübergangsstellen und der für
sie festgesetzten Öffnungszeiten (Teil II Nrn. 2.2.2, 2.2.3 und 2.2.4 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Liste der zu registrierenden Informationen (Teil II Nr. 2.3 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Kontrolle des Straßenverkehrs (Teil II Nr. 3.1 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Kontrolle des Eisenbahnverkehrs (Teil II Nr. 3.2 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- das Verfahren zur Bestimmung des Ortes der Personenkontrolle einschließlich der Kontrolle des Handgepäcks im internationalen
Zivilluftverkehr (Teil II Nr. 3.3.1 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- zusätzliche Modalitäten zur Personenkontrolle im internationalen Zivilluftverkehr (Teil II Nrn. 3.3.2, 3.3.3, 3.3.4 und 3.3.5
des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- das Kontrollverfahren auf Landeplätzen (Teil II Nr. 3.3.6 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Vorschrift, dass „[z]ur Vermeidung von Gefahren … eine Überprüfung von Reisenden solcher Binnenflüge auf Verkehrsflughäfen
und Landeplätzen erfolgen [muss], bei denen nicht zweifelsfrei feststellbar ist, ob sie ausschließlich von und nach dem Gebiet
der Vertragsparteien ohne Landung auf dem Gebiet eines Drittstaates stattgefunden haben“ (Teil II Nr. 3.3.7 des Gemeinsamen
Handbuchs);
- –
- die Kontrolle des Seeschiffsverkehrs mit Ausnahme von regelmäßigen Fährverbindungen, Vergnügungsschifffahrt, Küstenfischerei
und Binnenschifffahrt (Teil II Nr. 3.4 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Kontrolle der Schifffahrt auf Binnengewässern (Teil II Nr. 3.5 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- der Informationsaustausch (Teil II Nr. 4.1 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Entsendung von Verbindungsbeamten (Teil II Nr. 4.2 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die Erteilung eines Visums an der Grenze (Teil II Nrn. 5.2 bis 5.6 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Piloten und anderem Flugpersonal (Teil II Nr. 6.4 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Seeleuten (Teil II Nr. 6.5 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Inhabern von Diplomaten-, Amts- und Dienstpässen (Teil II Nr. 6.6 des Gemeinsamen
Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Grenzarbeitnehmern (Teil II Nr. 6.7 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Minderjährigen (Teil II Nr. 6.8 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Gruppenreisen (Teil II Nr. 6.9 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Ausländern, die an der Grenze einen Asylantrag stellen (Teil II Nr. 6.10
des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die besonderen Vorschriften über die Kontrolle von Mitgliedern internationaler Organisationen (Teil II Nr. 6.11 des Gemeinsamen
Handbuchs);
- –
- das Muster der Visa für den längerfristigen Aufenthalt (Anlage 9 zum Gemeinsamen Handbuch).
- 29
Die siebte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001, die analog zur zehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001
abgefasst ist, lautet:
„Ferner muss ein Verfahren vorgesehen werden, mit dem die Mitglieder des Rates und die Kommission unverzüglich über alle Änderungen
derjenigen Anlagen des Gemeinsamen Handbuchs unterrichtet werden, die vollständig oder teilweise aus Listen mit Sachinformationen
bestehen, die von allen Mitgliedstaaten entsprechend den derzeit von ihnen angewandten Regelungen bereitgestellt werden müssen
und die daher nicht durch einen Rechtsakt des Rates festgelegt, geändert oder aktualisiert werden können.“
- 30
Artikel 2 der Verordnung Nr. 790/2001 bestimmt:
„(1) Jeder Mitgliedstaat teilt dem Generalsekretär des Rates mit, welche Änderungen er an Teil I Nummer 1.3.2 und an den Anlagen
1, 2, 3, 7, 12 und 13 des Gemeinsamen Handbuchs vornehmen will.
(2) Nach Absatz 1 vorgenommene Änderungen gelten ab dem Zeitpunkt als wirksam, zu dem sie vom Generalsekretär den Mitgliedern
des Rates und der Kommission mitgeteilt werden.“
- 31
Die Bestimmungen des Gemeinsamen Handbuchs, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 790/2001 ändern können,
betreffen folgende Bereiche:
- –
- die Vorschrift, dass „Staatsangehörige des Königreichs Belgien, des Königreichs Dänemark, der Republik Frankreich, des Großherzogtums
Luxemburg und des Königreichs der Niederlande … berechtigt [sind], an jeder beliebigen Stelle in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit
sie besitzen, einzureisen“ (Teil I Nr. 1.3.2 des Gemeinsamen Handbuchs);
- –
- die zugelassenen Grenzübergangsstellen im Sinne des Teils I Nummer 1.2 des Gemeinsamen Handbuchs (Anlage 1 zum Gemeinsamen
Handbuch);
- –
- die Muster der Visamarke im Sinne des Teils I Nummer 3.1.3 des Gemeinsamen Handbuchs (Anlage 7 zum Gemeinsamen Handbuch);
- –
- die Muster von Einlegeblättern, d. h. die Genehmigungen, die Visa ersetzen (Anlage 12 zum Gemeinsamen Handbuch);
- –
- die Muster von Ausweisen, die vom Außenministerium ausgestellt werden (Anlage 13 zum Gemeinsamen Handbuch).
- 32
Die Anlagen 2 und 3 zum Gemeinsamen Handbuch, auf die Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 790/2001 Bezug nimmt, wurden durch
die Entscheidung 2002/352/EG des Rates vom 25. April 2002 zur Überarbeitung des Gemeinsamen Handbuchs Teil I (ABl. L 123,
S. 47) aufgehoben.
Zur Klage
- 33
Die Kommission stützt ihre Klage auf zwei Gründe. Erstens sei gegen Artikel 202 EG und Artikel 1 des zweiten Komitologiebeschlusses
verstoßen worden, indem sich der Rat in den Artikeln 1 der angefochtenen Verordnungen in missbräuchlicher Weise und ohne hinreichende
Begründung Durchführungsbefugnisse vorbehalten habe. Zweitens sei gegen Artikel 202 EG verstoßen worden, indem den Mitgliedstaaten
in den Artikeln 2 der angefochtenen Verordnungen die Befugnis verliehen werde, selbst bestimmte Nummern der GKI und bestimmte,
die GKI ergänzende Beschlüsse des Exekutivausschusses sowie einige Nummern des Gemeinsamen Handbuchs zu ändern.
Zum ersten Klagegrund hinsichtlich der zugunsten des Rates vorbehaltenen Befugnisse Vorbringen der Parteien
- 34
Der erste Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes macht die Kommission geltend, dass der
Rat nicht nachgewiesen habe, dass die in den angefochtenen Verordnungen vorgesehenen Durchführungsmaßnahmen einen derart spezifischen
Charakter aufwiesen, dass er die Wahrnehmung von Durchführungsbefugnissen durch den Rat rechtfertigen könne. Aus der achten
Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und aus der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001 ergebe
sich, dass der Rat eine „generische“ Begründung gegeben habe, die eher einen ganzen Bereich der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs
als eine spezifische Maßnahme abdecken könne.
- 35
In den genannten Begründungserwägungen werde nämlich weder die Natur noch der Inhalt der fraglichen Durchführungsbefugnisse
näher dargelegt, mit denen die Notwendigkeit der Ausübung dieser Befugnisse durch den Rat selbst nachgewiesen würde, da der
bloße Verweis auf die Visumpolitik und die Überwachung der Grenzen im Allgemeinen nicht ausreichen könne, um den spezifischen
Charakter der zu treffenden Maßnahmen zu belegen.
- 36
Ebenso könne eine Rechtfertigung mit der „wichtigen“ oder „besonders wichtigen Rolle der Mitgliedstaaten“, die sich nur darauf
beziehen könne, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Titels IV des Vertrages legislative Initiativen ergreifen könnten,
und mit dem sensiblen Charakter – insbesondere auf der Ebene der politischen Beziehungen zu Drittländern – der Fragen in Bezug
auf die Überwachung der Grenzen und die Erteilung von Visa, der gerade die wichtige Rolle der Mitgliedstaaten erkläre, für
jede Durchführungsmaßnahme gelten, die im Rahmen des genannten Titels IV erlassen werde.
- 37
Schließlich werde durch die Bezugnahme auf den Übergangszeitraum von fünf Jahren nach Artikel 67 Absatz 1 EG und die Zusage
des Rates, zu prüfen, „unter welchen Bedingungen derartige Durchführungsbefugnisse nach Ablauf des Übergangszeitraums der
Kommission übertragen würden“, klar bestätigt, dass sich der Rat die Durchführungsbefugnisse nicht aufgrund der Natur oder
des Inhalts der Basisrechtsakte vorbehalten habe, sondern deshalb, weil diese unter den Titel IV des Vertrages fielen.
- 38
Mit dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes trägt die Kommission vor, dass der Rat unabhängig vom spezifischen Charakter
der Durchführungsmaßnahmen die in Artikel 253 EG vorgesehene Begründungspflicht missachtet habe. Mit einer Begründung, die
zum einen auf die institutionellen Besonderheiten des Titels IV des Vertrages und zum anderen auf den sensiblen Charakter
der betreffenden Politiken gestützt werde, lasse sich die Entscheidung des Rates, sich die in den angefochtenen Verordnungen
vorgesehenen Durchführungsbefugnisse vorzubehalten, nicht rechtfertigen.
- 39
Zu den institutionellen Besonderheiten des Titels IV des Vertrages trägt die Kommission vor, dass Sachgebiete wie die Außengrenzen,
das Asylrecht, die Einwanderung und die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, die zuvor zum Titel VI des Vertrages über
die Europäische Union gehört hätten, „vergemeinschaftet“ worden seien.
- 40
Zwar seien die Mitgliedstaaten befugt, während eines in Artikel 67 Absatz 1 EG vorgesehenen Übergangszeitraums legislative
Initiativen zu ergreifen, und Artikel 68 EG enthalte Bestimmungen, die hinsichtlich des Verfahrens nach Artikel 234 EG Abweichungen
vorsähen. Doch dürften die besonderen oder abweichenden Bestimmungen des Titels IV des EG-Vertrags den Rückgriff auf die nach
Artikel 202 EG eingeführten „Komitologie“-Verfahren nicht verwehren.
- 41
Im Übrigen macht die Kommission geltend, dass sie, auch wenn der sensible Charakter der Bereiche Überwachung der Grenzen und
Visaerteilung anerkannt werde müsse, in der Lage sei, derartige Gegenstände zu behandeln, und jedenfalls nicht tätig werden
dürfe, ohne die Mitgliedstaaten nach den „Komitologie“-Verfahren an der Entscheidung zu beteiligen. Die Kommission betont
die institutionelle Rolle, die ihr der Vertrag hinsichtlich der Beziehungen zu Drittländern zuerkenne, insbesondere im Stadium
der Verhandlung von externen Abkommen. Auch seien bestimmte Aspekte der Visapolitik, insbesondere die Bezeichnung der Staaten,
deren Angehörige ein Visum benötigten, bereits vor der Annahme des Vertrages von Amsterdam in den gemeinschaftlichen Rahmen
gefallen. Schließlich beträfen die genannten Bereiche nur Verfahrens- und Formfragen.
- 42
Der Rat führt einleitend aus, dass es sich bei der GKI und dem Gemeinsamen Handbuch um hybride Instrumente in dem Sinne handele,
dass sie beide zugleich Bestimmungen legislativer, exekutiver und tatsächlicher Natur enthielten. Dieser Besonderheit werde
in den angefochtenen Verordnungen Rechnung getragen, indem darin zur Änderung der GKI und des Gemeindsamen Handbuchs drei
verschiedene Verfahren vorgesehen würden. Nach der elften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und der achten Begründungserwägung
der Verordnung Nr. 790/2001 könnten die normativen Bestimmungen nur entsprechend den einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags
geändert werden; die Bestimmungen exekutiver Natur könnten nur entsprechend dem jeweils in Artikel 1 der angefochtenen Verordnungen
genannten Verfahren geändert werden, und nur die Änderungen dieser Bestimmungen könnten als Durchführungsmaßnahmen angesehen
werden; schließlich könnten die Informationen tatsächlicher Natur nur entsprechend dem jeweils in Artikel 2 der angefochtenen
Verordnungen vorgesehenen Verfahren geändert werden.
- 43
Der Rat führt einleitend weiter aus, dass die GKI und das Gemeinsame Handbuch zahlreiche inhaltliche Gemeinsamkeiten aufwiesen,
da die für Visa und die für die Überwachung der Grenzen zuständigen Behörden im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgabe häufig dieselben
Informationen konsultieren müssten, was die Ähnlichkeit der mit den angefochtenen Verordnungen eingerichteten Verfahren erkläre.
- 44
Zur Entgegnung auf den ersten Klagegrund führt der Rat aus, dass in der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001
und in der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001 klar angegeben werde, dass sich der Vorbehalt von Durchführungsbefugnissen
spezifisch auf die Änderung von bestimmten „detaillierten Vorschriften und praktischen Verfahren“ in der GKI und im Gemeinsamen
Handbuch beziehe. Die Natur und der Inhalt dieser Bestimmungen würden noch genauer in den vorausgehenden Begründungserwägungen
beschrieben, d. h. in der ersten, der zweiten und der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 sowie in der
ersten und in der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001. Folglich habe die angeführte Begründung keinen
allgemeinen Charakter und könne nicht die Gesamtheit der im Rahmen des Titels IV des Vertrages getroffenen Maßnahmen abdecken.
Dazu führt der Rat aus, dass er bereits eine große Zahl von Rechtsakten – auch im Bereich Visa – auf der Grundlage dieses
Titels erlassen habe, ohne sich Durchführungsbefugnisse vorbehalten zu haben.
- 45
Der Rat trägt vor, dass die Erwägungen, aus denen er sich im vorliegenden Fall Durchführungsbefugnisse vorbehalten habe, dieselben
seien, die die Verfasser des Vertrages von Amsterdam dazu veranlasst hätten, den Mitgliedstaaten während eines Anfangszeitraums
von fünf Jahren im Rahmen des Titels IV des EG-Vertrags ein Initiativrecht zuzuerkennen. Dieselben Gründe hätten den Rat auch
dazu bewegt, vorzusehen, dass Änderungen und Aktualisierungen der fraglichen Maßnahmen nur einstimmig beschlossen werden könnten.
- 46
Der Rat betont insoweit, dass der Schengen-Besitzstand erst unmittelbar vor dem Erlass der angefochtenen Verordnungen in den
Rahmen der Europäischen Union einbezogen worden sei und dass der Gemeinschaft gerade erst neue Befugnisse in den Bereichen
Visapolitik und Grenzkontrollen zuerkannt worden seien.
- 47
Der Rat habe, gerade weil die Entscheidung, sich bestimmte Durchführungsbefugnisse vorzubehalten, die Ausnahme und nicht die
Regel darstelle, trotz der Sensibilität der Materie angegeben, dass er prüfen werde, unter welchen Bedingungen derartige Befugnisse
nach Ablauf des in Artikel 67 Absatz 1 EG vorgesehenen Übergangszeitraums von fünf Jahren der Kommission übertragen würden.
Der Rat führt aus, dass die Frist von drei Jahren bis zum Ablauf dieses Zeitraums eine angemessene Zeit sei, um ihm die Beurteilung
zu erlauben, ob die Erwägungen, die ihn ursprünglich dazu veranlasst hätten, sich Durchführungsbefugnisse vorzubehalten, noch
zuträfen.
- 48
Der Rat bestreitet, dass er sich Durchführungsbefugnisse deshalb vorbehalten habe, weil die fraglichen Maßnahmen unter den
Titel IV des Vertrages fielen. Im Übrigen habe er seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam zahlreiche Maßnahmen
in den von diesem Titel erfassten Bereichen erlassen, die „Komitologie“-Bestimmungen enthielten.
Würdigung durch den Gerichtshof
- 49
Einleitend ist daran zu erinnern, dass nach Artikel 1 Absatz 1 des zweiten Komitologiebeschlusses außer in spezifischen und
begründeten Fällen, in denen der Basisrechtsakt dem Rat die unmittelbare Ausübung von Durchführungsbefugnissen vorbehält,
diese der Kommission übertragen werden. Damit übernimmt diese Bestimmung nur die Anforderungen, die in den Artikeln 202 dritter
Gedankenstrich EG und 253 EG genannt werden.
- 50
Dazu hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Oktober 1989 in der Rechtssache 16/88 (Kommission/Rat, Slg. 1989, 3457,
Randnr. 10) ausgeführt, dass sich der Rat nach den Änderungen des Artikels 145 EG-Vertrag (jetzt Artikel 202 EG) durch die
Einheitliche Europäische Akte nur in spezifischen Fällen vorbehalten kann, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben, wobei
diese Entscheidung ausführlich zu begründen ist.
- 51
Das bedeutet, dass der Rat entsprechend der Natur und dem Inhalt des umzusetzenden oder zu ändernden Basisrechtsakts eine
ordnungsgemäße Begründung für eine Ausnahme von der Regel geben muss, dass es im System des Vertrages, wenn auf Gemeinschaftsebene
Maßnahmen zur Durchführung eines Basisrechtsakts zu treffen sind, Aufgabe der Kommission ist, diese Befugnis auszuüben.
- 52
Im vorliegenden Fall hat der Rat in der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und in der fünften Begründungserwägung
der Verordnung Nr. 790/2001 ausdrücklich Bezug genommen auf die wichtige Rolle der Mitgliedstaaten auf den Gebieten Visa und
Überwachung der Grenzen und auf die Sensibilität dieser Bereiche, insbesondere hinsichtlich der politischen Beziehungen zu
Drittländern.
- 53
Unbestreitbar sind diese Erwägungen sowohl allgemein als auch knapp. Analysiert man sie jedoch in dem Zusammenhang, in den
sie zu stellen sind, so lassen sie die Rechtfertigung für den Durchführungsvorbehalt zugunsten des Rates klar erkennen und
ermöglichen dem Gerichtshof die Ausübung seiner Kontrolle.
- 54
Erstens ist nämlich festzustellen, dass vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam – zwei Jahre vor dem Erlass der
angefochtenen Verordnungen – die Visapolitik – vorbehaltlich der in Artikel 100c Absatz 1 EG-Vertrag (aufgehoben durch den
Vertrag von Amsterdam) vorgesehenen Bestimmung der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen
der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein müssen – und die Politik in Bezug auf die Außengrenzen gänzlich außerhalb
der Zuständigkeit der Gemeinschaft lagen und von den im Rahmen des Titels VI des Vertrages über die Europäische Union eingerichteten
Verfahren erfasst wurden.
- 55
Zweitens enthält der Titel IV des EG-Vertrags in den Artikeln 67 EG und 68 EG hinsichtlich der Verfahren zur Erarbeitung des
abgeleiteten Rechts und der Vorabentscheidung abweichende oder besondere Bestimmungen mit evolutivem Charakter. Artikel 67
Absätze 1 und 2 EG sieht einen Übergangszeitraum von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam vor, in
dem der Rat grundsätzlich einstimmig auf Vorschlag der Kommission oder auf Initiative eines Mitgliedstaats und nach Anhörung
des Europäischen Parlaments handelt. Nach Ablauf dieses Zeitraums wird der Rat ausschließlich auf Vorschlag der Kommission
gesetzgebend tätig und kann einstimmig beschließen, dass auf alle Bereiche oder Teile der Bereiche, die unter den Titel IV
fallen, das Verfahren des Artikels 251 EG anzuwenden ist und dass die Bestimmungen über die Zuständigkeit des Gerichtshofes
angepasst werden.
- 56
Bestimmungen dieser Art zeugen von der Spezifität der in den angefochtenen Verordnungen behandelten Materie, die bis zum 1.
Mai 1999 im Wesentlichen den im Rahmen des Titels VI des Vertrages über die Europäische Union eingerichteten Verfahren unterlag,
da die Verfasser des EG-Vertrags der Kommission in diesem Bereich nicht sofort ein Initiativmonopol einräumen wollten.
- 57
Drittens haben die jeweils in Artikel 1 der angefochtenen Verordnungen abschließend aufgeführten Bestimmungen einen deutlich
umrissenen Inhalt. Auch wenn sie einen bedeutenden Teil der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs darstellen, erschöpfen sie doch
den Bereich Visa und Überwachung der Außengrenzen in keiner Weise.
- 58
Viertens ergibt sich aus der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und der fünften Begründungserwägung der
Verordnung Nr. 790/2001, dass der Rat zugesagt hat, zu prüfen, unter welchen Bedingungen die mit diesen Verordnungen vorbehaltenen
Durchführungsbefugnisse nach einem Übergangszeitraum von drei Jahren auf die Kommission übertragen werden können.
- 59
Aus allen diesen Gründen, die aus den Begründungserwägungen der angefochtenen Verordnungen und aus deren Kontext hinreichend
hervorgehen, ist der Schluss zu ziehen, dass der Rat vernünftigerweise davon ausgehen konnte, dass ein spezifischer Fall vorlag,
und die Entscheidung, sich vorübergehend die Befugnis zur Durchführung einer Reihe von in der GKI und im Gemeinsamen Handbuch
abschließend aufgeführten Bestimmungen vorzubehalten, nach Artikel 253 EG ordnungsgemäß begründet hat.
- 60
Der Umstand allein, dass die achte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und die fünfte Begründungserwägung der
Verordnung Nr. 790/2001 fast wörtlich übereinstimmen, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen, da zwischen den Bereichen
Visa und Grenzkontrollen gerade unbestreitbar enge Verbindungen bestehen.
- 61
Daher ist der erste von der Kommission für ihre Klage vorgebrachte Klagegrund zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund hinsichtlich der den Mitgliedstaaten übertragenen Durchführungsbefugnisse Vorbringen der Parteien
- 62
Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Kommission geltend, dass das jeweils in Artikel 2 der angefochtenen Verordnungen vorgesehene
Verfahren zur Änderung oder Aktualisierung der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs durch die Mitgliedstaaten gegen Artikel 202 EG
verstoße. Denn diese Bestimmung, die dem Rat nur ermögliche, sich Durchführungsbefugnisse vorzubehalten oder sie der Kommission
zu übertragen, lasse ein solches Verfahren nicht zu.
- 63
Auch wenn das genannte Verfahren Sachinformationen betreffe, die die Mitgliedstaaten besäßen, so seien diese Informationen
in Rechtsinstrumenten enthalten, für die nach dem Beschluss 1999/436 Bestimmungen des EG-Vertrags die Rechtsgrundlage darstellten,
so dass Änderungen dieser Rechtsinstrumente den normalen institutionellen Regeln genügen müssten.
- 64
Der Rat entgegnet, dass die Änderungen, die nach Artikel 2 der angefochtenen Verordnungen an der GKI und am Gemeinsamen Handbuch
vorgenommen würden, nicht als Durchführungsmaßnahmen einzustufen seien, sondern zu einem Mechanismus des Austauschs von Informationen
gehörten. Denn es handele sich, wie sich aus der zehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001 und aus der siebten
Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001 ergebe, um tatsächliche Informationen, die nur von den einzelnen Mitgliedstaaten
bereitgestellt werden könnten. Folglich sei Artikel 202 EG nicht einschlägig.
Würdigung durch den Gerichtshof
- 65
Aus Artikel 2 der angefochtenen Verordnungen ergibt sich klar, dass jeder Mitgliedstaat ungeachtet der verwendeten Verben
„wollen“ und „mögen“ selbst – manchmal in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten – den Inhalt bestimmter Vorschriften
oder Anlagen der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs ändern kann. Denn nach der zehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 789/2001
und der siebten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 790/2001 werden „die Mitglieder des Rates und die Kommission unverzüglich
über alle Änderungen … unterrichtet“, was impliziert, dass die Änderungsbefugnis den Mitgliedstaaten zusteht.
- 66
Dazu ist festzustellen, dass Artikel 202 dritter Gedankenstrich EG zwar die Frage der einheitlichen Umsetzung der Basisrechtsakte
des Rates oder des Rates und des Europäischen Parlaments und damit die Aufteilung der Durchführungsbefugnisse zwischen dem
Rat und der Kommission regelt, nicht aber die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten.
- 67
Zu prüfen ist, ob der Rat bei der Umsetzung bestimmter Vorschriften oder Anlagen der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs verpflichtet
war, auf die gemeinschaftlichen Verfahren zurückzugreifen, oder ob die Befugnis zur Änderung dieser Vorschriften oder Anlagen
auf die Mitgliedstaaten übertragen werden konnte, ohne gegen das Gemeinschaftsrecht zu verstoßen.
- 68
Der Rat macht geltend, dass die Vorschriften, die die Mitgliedstaaten ändern können, nur Sachinformationen enthielten, die
allein die Mitgliedstaaten in zweckdienlicher Weise zur Verfügung stellen könnten.
- 69
Dazu ist daran zu erinnern, dass die GKI und das Gemeinsame Handbuch vom Exekutivausschuss zu einer Zeit erlassen wurden,
zu der die betreffende Materie in den Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit fiel. Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
im Rahmen der Europäischen Union ab dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam führte als solche nicht dazu, ihnen sofort
die Zuständigkeiten zu nehmen, zu deren Ausübung sie nach den genannten Rechtsakten im Hinblick auf ihre ordnungsgemäße Anwendung
befugt waren.
- 70
In diesem besonderen und vorübergehenden Kontext in Erwartung der Entwicklungen des Schengen-Besitzstands im rechtlichen und
institutionellen Rahmen der Europäischen Union kann dem Rat nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er ein Verfahren eingeführt
hat, nach dem die Mitgliedstaaten die Änderungen mitteilen, die sie allein oder in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten
an bestimmten Vorschriften der GKI oder des Gemeinsamen Handbuchs vornehmen können, deren Inhalt ausschließlich von den Informationen
abhängt, über die nur sie verfügen. Eine solche Rüge könnte nur dann Erfolg haben, wenn belegt würde, dass dieses Verfahren
der wirkungsvollen oder ordnungsgemäßen Anwendung der GKI oder des Gemeinsamen Handbuchs Abbruch täte.
- 71
Es ist jedoch festzustellen, dass die Kommission, die nicht bestritten hat, dass die Informationen, die in den Bestimmungen
enthalten sind, die die Mitgliedstaaten ändern können, tatsächlicher Art sind und dass sie nur von den Mitgliedstaaten in
zweckmäßiger Weise zur Verfügung gestellt werden können, für die einzelnen Bestimmungen nicht nachgewiesen und nicht einmal
zu belegen versucht hat, dass auf ein Verfahren einheitlicher Aktualisierung der GKI und des Gemeinsamen Handbuchs zurückgegriffen
werden müsste, um deren ordnungsgemäße Anwendung zu garantieren. Sie hat in ihrer Erwiderung lediglich als Beispiel die Anlagen
4 und 5 zur GKI geprüft.
- 72
Daher ist der Gerichtshof der Auffassung, dass er seine Kontrolle auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Artikels 2 der
Verordnung Nr. 789/2001 hinsichtlich der Anlagen 4 und 5 der GKI, die allein von der Kommission in ihren Schriftsätzen geprüft
wurden, zu beschränken hat.
- 73
Aus Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 789/2001 ergibt sich insoweit, dass ein Mitgliedstaat, wenn er eine Änderung insbesondere
an den Anlagen 4, 5B und 5C der GKI vornehmen möchte, zunächst den anderen Mitgliedstaaten einen entsprechenden Vorschlag
vorlegt, zu dem diese Stellung nehmen können.
- 74
Was zum einen die Anlage 4 zur GKI betrifft, die eine Liste der Dokumente enthält, die von den einzelnen Mitgliedstaaten ausgestellt
werden und zur visafreien Einreise berechtigen, so macht die Kommission geltend, dass Angehörige von Drittstaaten, die Inhaber
eines von einer Vertragspartei ausgestellten Aufenthaltstitels oder vorläufigen Aufenthaltstitels sind, sich nach Artikel
21 Absätze 1 und 2 SDÜ aufgrund dieses Dokuments und eines von derselben Vertragspartei ausgestellten Reisedokuments während
eines Zeitraums von höchstens drei Monaten frei innerhalb der Schengen-Zone bewegen können.
- 75
Zwar trifft es zu, dass sich eine Änderung der Liste der Anlage 4 zur GKI unmittelbar auf die Bedingungen auswirkt, unter
denen Artikel 21 Absätze 1 und 2 SDÜ anwendbar ist, doch bestimmt dessen Absatz 3, dass „[d]ie Vertragsparteien … dem Exekutivausschuss
[an dessen Stelle nach Artikel 2 Absatz 1 des Protokolls der Rat getreten ist] die Liste der Dokumente [übermitteln], die
sie als Aufenthaltserlaubnis oder vorläufigen Aufenthaltstitel und als Reisedokument im Sinne dieses Artikels ausstellen“.
- 76
Angesichts dieser Bestimmung und in Ermangelung einer anderen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung, die die Regelung des SDÜ
vor dem Erlass der angefochtenen Verordnungen in diesem Punkt geändert hätte, lässt nichts die Behauptung zu, dass die Mitgliedstaaten,
wenn sie dem Exekutivausschuss (oder dem Rat) die Liste der fraglichen Dokumente übermittelt haben, nicht mehr befugt sind,
die Art der Dokumente festzulegen, die als Aufenthaltstitel oder als vorläufiger Aufenthaltstitel gelten.
- 77
Folglich hat die Kommission nicht belegt, dass eine Änderung der Anlage 4 der GKI den Rückgriff auf ein einheitliches Aktualisierungsverfahren
erforderlich macht.
- 78
Was zum anderen die Anlage 5 der GKI über die Fälle nach Artikel 17 Absatz 2 SDÜ betrifft, in denen die Erteilung eines Visums
von der Konsultation der zentralen Behörde der betroffenen Vertragspartei sowie ggf. der zentralen Behörden der anderen Vertragsparteien
abhängt, so ist erstens festzustellen, dass die Konsultation der zentralen Behörde durch die mit der Bearbeitung des Visumantrags
befasste Auslandsvertretung nach Nummer 2.1 des Teils II der GKI „nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der innerstaatlichen
Praxis in den darin vorgesehenen Fällen und unter Einhaltung der darin festgelegten Form und Frist“ erfolgt. Die Anlage 5A
zur GKI nennt gerade diese Fälle.
- 79
Die Kommission konnte jedoch nicht nachweisen, aus welchem Grund angesichts der Verweisung in Nummer 2.1 des Teils II der
GKI auf innerstaatliches Recht und innerstaatliche Praxis der Rückgriff auf ein einheitliches Verfahren zur Aktualisierung
der Anlage 5A zur GKI für die ordnungsgemäße Anwendung der genannten Vorschrift notwendig gewesen sein sollte.
- 80
Zweitens betrifft die Nummer 2.2 des Teils II der GKI die Fälle, in denen die mit einem Visumantrag befasste Auslandsvertretung
die Genehmigung ihrer eigenen zentralen Behörde einholen muss, die zuvor die zuständigen zentralen Behörden einer oder mehrerer
anderer Vertragsparteien konsultieren muss. Diese Nummer sieht vor: „Bis der Exekutivausschuss [an dessen Stelle der Rat getreten
ist] eine Liste der Fälle erarbeitet, in denen die anderen zentralen Behörden zu konsultieren sind, gilt Anlage 5 Teil B dieser
Konsularischen Instruktion als vorläufige Liste.“
- 81
Die Kommission, die nicht bestreitet, dass es Sache jedes Mitgliedstaats ist, die Visumanträge festzulegen, bei denen eine
vorherige Konsultation der zentralen Behörden der anderen Vertragsparteien durchgeführt werden muss, hat jedoch nicht nachgewiesen,
aus welchem Grund der Rückgriff auf ein einheitliches Verfahren für die ordnungsgemäße Anwendung der Nummer 2.2 des Teils
II der GKI und insbesondere für die Aktualisierung der Anlage 5B zur GKI erforderlich gewesen sein sollte, solange der Rat
noch keine endgültige Liste der Fälle gegenseitiger Konsultation erstellt hat.
- 82
Drittens betrifft die Nummer 2.3 des Teils II der GKI, die auf die in deren Anlage 5C aufgestellte Liste verweist, die Fälle,
in denen ein Visumantrag bei einer diplomatischen Mission oder einer konsularischen Vertretung eines Schengen-Staats eingereicht
wird, der in Vertretung eines anderen Schengen-Staats handelt.
- 83
Die Kommission hat nicht nachgewiesen und nicht einmal zu begründen versucht, dass der Rückgriff auf ein einheitliches Verfahren
für die ordnungsgemäße Anwendung der Nummer 2.3 des Teils II der GKI und insbesondere für die Aktualisierung der Anlage 5C
der GKI erforderlich gewesen wäre.
- 84
Folglich ist auch der zweite Klagegrund der Kommission zurückzuweisen.
- 85
Nach alledem ist die Klage der Kommission in vollem Umfang abzuweisen.
Kosten
- 86
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung sind der unterliegenden Partei auf Antrag die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Da der Rat die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten
aufzuerlegen.
-
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Plenum) für Recht erkannt und entschieden:
- 1.
- Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
- Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.
Unterschriften.
- 1 –
- Verfahrenssprache: Englisch.