Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 10/09/2002. - The Queen gegen Secretary of State for Health, ex parte British American Tobacco (Investments) Ltd und Imperial Tobacco Ltd. - Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Administrative Court) - Vereinigtes Königreich. - Richtlinie 2001/37/EG - Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen - Gültigkeit - Rechtsgrundlage - Artikel 95 EG und 133 EG - Auslegung - Anwendbarkeit auf in der Gemeinschaft verpackte und zur Ausfuhr in Drittländer bestimmte Tabakerzeugnisse. - Rechtssache C-491/01.
Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-11453
I - Einleitung
1. Das vorliegende Ersuchen des High Court of Justice (Administrative Court) um Vorabentscheidung betrifft die Gültigkeit und die Auslegung der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (nachstehend: Richtlinie).
2. Die Richtlinie unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von vielen anderen EG-Richtlinien, die Produktanforderungen betreffen. Die Richtlinie (oder jedenfalls ihr Artikel 3) gilt nämlich nicht nur für Tabakerzeugnisse, die in der Europäischen Union selbst in den Verkehr gebracht worden sind, sondern auch für Tabakerzeugnisse, die in der Europäischen Union hergestellt und in Drittländer ausgeführt werden.
3. Im Mittelpunkt dieser Rechtssache steht die Frage, ob Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage für diese Richtlinie dienen konnte und ob Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage für die Regelung der Ausfuhr von Zigaretten verwendet werden konnte. Weiterhin fragt der High Court of Justice (Administrative Court) nach einer möglichen Ungültigkeit der Richtlinie wegen Verletzung bestimmter Rechtsgrundsätze oder des Eigentumsrechts. Schließlich wird eine Auslegungsfrage vorgelegt, die sich auf Artikel 7 der Richtlinie bezieht.
4. Diese Rechtssache weist eine Verwandtschaft mit der Rechtssache Deutschland/Parlament und Rat (nachstehend: Urteil Tabakwerbung) auf, in der der Gerichtshof eine andere Richtlinie über Tabakerzeugnisse für nichtig erklärt hat. Es ging um die Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (nachstehend: Richtlinie 98/43).
5. Auch die Gültigkeit der vorliegenden Richtlinie hat die deutsche Regierung beim Gerichtshof in Frage gestellt. Mit Beschluss vom 17. Mai 2002 hat der Gerichtshof die Klage als unzulässig abgewiesen, da sie zu spät erhoben worden war.
6. Die vorliegende Rechtssache gibt Gelegenheit, die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers aufgrund von Artikel 95 noch einmal ganz allgemein zu beleuchten. Artikel 95 räumt das Recht zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften ein, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. In dieser Rechtssache geht es insbesondere um zwei Fragen:
- Schließt die Befugnis auch die Möglichkeit ein, Vorschriften zu erlassen, die als Hauptziel den Schutz der öffentlichen Gesundheit im Auge haben,
- inwiefern kann diese Rechtsgrundlage herangezogen werden, um Vorschriften für Produkte zu erlassen, die zwar in der EG hergestellt wurden, aber nicht auf dem Binnenmarkt in den Verkehr gelangen sollen?
Auch die Befugnis aufgrund von Artikel 133 EG kommt allgemein zur Sprache, wobei es hier darum geht, inwieweit der Gemeinschaftsgesetzgeber berechtigt ist, bei der Ausfuhr bestimmter Produkte in Drittländer Beschränkungen im Zusammenhang mit der Gefährdung festzulegen, die die Produkte für die Volksgesundheit darstellen.
II - Rechtlicher Rahmen
A - Die Regelung der Richtlinie
7. In den Artikeln 3 bis 7 der Richtlinie werden die Pflichten der Hersteller und Händler von Tabakerzeugnissen festgelegt. Diese Artikel werden nachstehend ausführlich wiedergegeben.
8. Diese Artikel lauten wie folgt:
Artikel 3
Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidhöchstgehalt von Zigaretten
(1) Ab dem 1. Januar 2004 dürfen in den Mitgliedstaaten in den freien Verkehr gebrachte, vermarktete oder hergestellte Zigaretten folgende Werte nicht überschreiten:
- Teergehalt: 10 mg je Zigarette;
- Nikotingehalt: 1,0 mg je Zigarette;
- Kohlenmonoxidgehalt: 10 mg je Zigarette.
(2) In Abweichung von dem in Absatz 1 genannten Zeitpunkt können die Mitgliedstaaten für Zigaretten, die in der Europäischen Gemeinschaft hergestellt, aber aus der Europäischen Gemeinschaft exportiert werden, die in diesem Artikel genannten Hoechstgehalte ab 1. Januar 2005 anwenden, müssen dies aber auf jeden Fall spätestens ab 1. Januar 2007 tun.
(3) Für im Gebiet der Hellenischen Republik hergestellte und vermarktete Zigaretten gilt der in Absatz 1 genannte Teerhöchstgehalt im Rahmen einer vorübergehenden Ausnahmeregelung erst ab dem 1. Januar 2007.
Artikel 4
Messverfahren
(1) Der Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt von Zigaretten wird bei Teer nach der ISO-Norm 4387, bei Nikotin nach der ISO-Norm 10315 und bei Kohlenmonoxid nach der ISO-Norm 8454 gemessen.
Die Genauigkeit der Angaben zum Teer- und Nikotingehalt auf den Packungen wird nach der ISO-Norm 8243 überprüft.
(2) Die Prüfungen nach Absatz 1 werden von Prüflabors ausgeführt oder kontrolliert, die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zugelassen wurden und von ihnen überwacht werden.
Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission bis zum 30. September 2002 sowie bei jeder Änderung die Liste der zugelassenen Labors unter Angabe der verwendeten Zulassungskriterien und der Überwachungsmodalitäten.
(3) Die Mitgliedstaaten können außerdem von den Tabakherstellern oder -importeuren verlangen, weitere von den zuständigen nationalen Behörden vorgeschriebene Prüfungen durchzuführen, um den Gehalt an anderen, aus ihren Tabakprodukten erzeugten Stoffen für jede einzelne Tabakmarke und -art sowie die gesundheitlichen Auswirkungen dieser anderen Stoffe, unter anderem unter Berücksichtigung ihres Suchtpotentials, zu bewerten. Die Mitgliedstaaten können auch verlangen, dass die Prüfungen in zugelassenen Labors nach Absatz 2 ausgeführt oder kontrolliert werden.
(4) Die Ergebnisse der nach Absatz 3 durchgeführten Prüfungen werden den zuständigen nationalen Behörden auf Jahresbasis vorgelegt. Die Mitgliedstaaten können in den Fällen, in denen die Produktspezifikationen sich nicht geändert haben, eine weniger häufige Mitteilung der Prüfungsergebnisse vorsehen. Die Mitgliedstaaten sind von Änderungen bei diesen Produktspezifikationen zu unterrichten.
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die gemäß diesem Artikel mitgeteilten Angaben zur Unterrichtung der Verbraucher mit allen geeigneten Mitteln verbreitet werden, wobei gegebenenfalls der Vertraulichkeit von Informationen, die ein Geschäftsgeheimnis darstellen, Rechnung getragen wird.
(5) Die Mitgliedstaaten teilen jährlich alle nach diesem Artikel vorgelegten Angaben und Informationen der Kommission mit, die sie bei der Erstellung des in Artikel 11 genannten Berichts berücksichtigt.
Artikel 5
Etikettierung
(1) Der nach Artikel 4 gemessene Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt von Zigaretten ist auf einer Schmalseite der Zigarettenpackung in der bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats
aufzudrucken, in dem das Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird, und diese Angaben müssen mindestens 10 % der betreffenden Fläche einnehmen.
Dieser Prozentsatz erhöht sich bei Mitgliedstaaten mit zwei Amtssprachen auf 12 % und bei solchen mit drei Amtssprachen auf 15 %.
(2) Alle Packungen von Tabakerzeugnissen, außer solchen zum oralen Gebrauch und sonstigen nicht zum Rauchen bestimmten Tabakerzeugnissen, müssen die folgenden Warnhinweise tragen:
a) einen allgemeinen Warnhinweis:
1. ,Rauchen ist tödlich./,Rauchen kann tödlich sein. oder
2. ,Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.
Die vorgenannten allgemeinen Warnhinweise sind abwechselnd so zu verwenden, dass sie regelmäßig auf den Packungen erscheinen. Diese Hinweise sind auf der am ehesten ins Auge fallenden Breitseite der Packung und auf jeder im Einzelhandelsverkauf des Erzeugnisses verwendeten Außenverpackung, ausgenommen durchsichtige zusätzliche Verpackungen, aufzudrucken; und
b) einen ergänzenden Warnhinweis aus der Liste in Anhang I:
Die vorgenannten ergänzenden Warnhinweise sind abwechselnd so zu verwenden, dass sie regelmäßig auf den Packungen erscheinen.
Dieser Hinweis ist auf der anderen am ehesten ins Auge fallenden Breitseite der Packung und auf jeder im Einzelhandelsverkauf des Erzeugnisses verwendeten Außenverpackung, ausgenommen durchsichtige zusätzliche Verpackungen, aufzudrucken.
Die Mitgliedstaaten können die Anordnung der Warnhinweise auf diesen Flächen selbst bestimmen, um sprachlichen Erfordernissen gerecht zu werden.
(3) Die Kommission erlässt, sobald dies machbar ist und auf jeden Fall spätestens am 31. Dezember 2002, nach dem Verfahren des Artikels 10 Absatz 2 Vorschriften für die Verwendung von Farbfotografien oder anderen Abbildungen zur Darstellung und Erklärung der gesundheitlichen Folgen des Rauchens, um sicherzustellen, dass die Binnenmarktbestimmungen nicht unterlaufen werden.
Wenn Mitgliedstaaten ergänzende Warnhinweise in Form von Farbfotografien oder anderen Abbildungen verlangen, müssen diese den vorstehend genannten Vorschriften entsprechen.
(4) Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch, soweit sie nach Artikel 8 vermarktet werden dürfen, und sonstige nicht zum Rauchen bestimmte Tabakerzeugnisse tragen folgenden Warnhinweis:
,Dieses Tabakerzeugnis kann Ihre Gesundheit schädigen und macht abhängig.
Der Warnhinweis ist auf der am ehesten ins Auge fallenden Breitseite der Packung und auf jeder im Einzelhandelsverkauf des Erzeugnisses verwendeten Außenverpackung, ausgenommen durchsichtige zusätzliche Verpackungen, aufzudrucken. Die Mitgliedstaaten können die Anordnung der Warnhinweise auf diesen Flächen selbst bestimmen, um sprachlichen Erfordernissen gerecht zu werden.
(5) Der allgemeine Warnhinweis nach Absatz 2 Buchstabe a) bzw. der Warnhinweis für nicht zum Rauchen bestimmte Tabakerzeugnisse und Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch nach Absatz 4 muss mindestens 30 % der Außenfläche der entsprechenden Breitseite der Packung des Tabakerzeugnisses einnehmen, auf der er aufgedruckt ist. Dieser Prozentsatz erhöht sich bei Mitgliedstaaten mit zwei Amtssprachen auf 32 % und bei solchen mit drei Amtssprachen auf 35 %. Der zusätzliche Warnhinweis nach Absatz 2 Buchstabe b) muss mindestens 40 % der Außenfläche der entsprechenden Breitseite der Packung einnehmen, auf der er aufgedruckt ist. Dieser Prozentsatz erhöht sich bei Mitgliedstaaten mit zwei Amtssprachen auf 45 % und bei solchen mit drei Amtssprachen auf 50 %.
Bei Verpackungen von anderen Tabakerzeugnissen als Zigaretten, deren am ehesten ins Auge fallende Breitseite mehr als 75 cm2 aufweist, müssen die in Absatz 2 genannten Warnhinweise jedoch eine Fläche von mindestens 22,5 cm2 auf jeder Breitseite einnehmen. Diese Fläche erhöht sich bei Mitgliedstaaten mit zwei Amtssprachen auf 24 cm2 und bei solchen mit drei Amtssprachen auf 26,25 cm2.
(6) Der Wortlaut der nach diesem Artikel erforderlichen Warnhinweise und Schadstoffangaben ist
a) in Helvetica fett schwarz auf weißem Hintergrund aufzudrucken. Um sprachlichen Erfordernissen gerecht zu werden, können die Mitgliedstaaten die Punktgröße der Schrift selbst bestimmen, sofern die in ihren Rechtsvorschriften festgelegte Schriftgröße den größtmöglichen Anteil der für den vorgeschriebenen Wortlaut zur Verfügung stehenden Fläche einnimmt;
b) in Kleinschrift, mit Ausnahme des ersten Buchstabens des Hinweises und soweit nicht aus Gründen der Rechtschreibung davon abgewichen werden muss, aufzudrucken;
c) auf der für den Wortlaut bestimmten Fläche parallel zur Oberkante der Packung zu zentrieren;
d) bei anderen als den in Absatz 4 aufgeführten Erzeugnissen mit einem schwarzen Balken von mindestens 3 mm und höchstens 4 mm Breite zu umranden, der in keiner Weise die Lesbarkeit des Warnhinweises oder der sonstigen Angaben beeinträchtigt;
e) in der bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats abzufassen, in dem das Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird.
(7) Die nach diesem Artikel aufzudruckenden Hinweise dürfen nicht auf den Steuerbanderolen der Packung angebracht werden. Sie sind unablösbar aufzudrucken, müssen unverwischbar sein und dürfen nicht durch andere Angaben oder Bildzeichen oder beim Öffnen der Verpackung verdeckt, undeutlich gemacht oder getrennt werden. Bei anderen Tabakerzeugnissen als Zigaretten dürfen die Hinweise mittels Aufklebern aufgebracht werden, sofern diese nicht entfernt werden können.
(8) Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass zu den in den Absätzen 2 und 4 aufgeführten Warnhinweisen außerhalb der für diese vorgesehenen Umrandung die Behörde genannt wird, von der der Hinweis stammt.
(9) Zur Sicherstellung der Identifizierung und Rückverfolgbarkeit ist das Tabakerzeugnis in angemessener Weise zu kennzeichnen, und zwar durch Angabe der Chargennummer oder durch eine entsprechende Kennzeichnung auf der Verpackungseinheit, die die Feststellung des Ortes und des Zeitpunkts der Herstellung ermöglicht.
Die technischen Maßnahmen zur Anwendung dieser Vorschrift werden nach dem Verfahren des Artikels 10 Absatz 2 erlassen.
Artikel 6
Weitere Produktinformationen
(1) Die Mitgliedstaaten verpflichten die Hersteller und Importeure von Tabakerzeugnissen, ihnen eine nach Markennamen und Art gegliederte Liste aller Inhaltsstoffe, die bei der Herstellung dieser Tabakerzeugnisse verwendet werden, und ihrer Mengen zu übermitteln.
Dieser Liste ist eine Erklärung beizufügen, in der die Gründe für die Hinzufügung der Inhaltsstoffe zu den Tabakerzeugnissen erläutert werden. In ihr werden die Funktion und die Kategorie dieser Inhaltsstoffe angegeben. Dieser Liste sind auch die toxikologischen Daten beizufügen, die dem Hersteller oder Importeur über diese Inhaltsstoffe, je nachdem in verbrannter oder unverbrannter Form, vorliegen, insbesondere hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Auswirkungen und unter anderem unter dem Gesichtspunkt jedweder süchtig machenden Wirkung. Die Liste wird in absteigender Reihenfolge in Bezug auf das Gewicht jedes Inhaltsstoffs des Erzeugnisses aufgestellt.
Die Angaben nach Unterabsatz 1 sind jährlich vorzulegen, und zwar erstmals spätestens zum 31. Dezember 2002.
(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die gemäß diesem Artikel mitgeteilten Angaben zur Unterrichtung der Verbraucher mit allen geeigneten Mitteln verbreitet werden. Dabei wird jedoch dem Schutz der Information über besondere Produktformeln, die ein Geschäftsgeheimnis darstellen, hinreichend Rechnung getragen.
(3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass für jedes Erzeugnis die Liste der Inhaltsstoffe unter Angabe des Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts veröffentlicht wird.
(4) Die Mitgliedstaaten teilen jährlich alle nach diesem Artikel vorgelegten Angaben und Informationen der Kommission mit, die sie bei der Erstellung des in Artikel 11 genannten Berichts berücksichtigt.
Artikel 7
Produktbezeichnungen
Mit Wirkung ab dem 30. September 2003 und unbeschadet des Artikels 5 Absatz 1 dürfen Begriffe, Namen, Marken und figurative oder sonstige Zeichen, die den Eindruck erwecken, dass ein bestimmtes Tabakerzeugnis weniger schädlich als andere sei, auf der Verpackung von Tabakerzeugnissen nicht verwendet werden."
9. Artikel 13 legt die Rechte und Pflichten nach Inkrafttreten der Richtlinie fest. Er lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten dürfen die Einfuhr, den Verkauf und den Konsum von Tabakerzeugnissen, die dieser Richtlinie entsprechen, nicht aus Gründen untersagen oder beschränken, die mit der Begrenzung des Teer-, Nikotin- oder Kohlenmonoxidgehalts von Zigaretten, den gesundheitsrelevanten Warnhinweisen und sonstigen Angaben oder anderen Erfordernissen dieser Richtlinie zusammenhängen; ausgenommen sind Maßnahmen zur Überprüfung der nach Artikel 4 mitgeteilten Angaben.
(2) Von dieser Richtlinie bleibt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, im Einklang mit dem Vertrag strengere Vorschriften für die Herstellung, die Einfuhr, den Verkauf und den Konsum von Tabakerzeugnissen beizubehalten oder zu erlassen, die sie zum Schutz der Gesundheit für erforderlich halten, soweit diese strengeren Vorschriften nicht in Widerspruch zu dieser Richtlinie stehen.
(3) Insbesondere können die Mitgliedstaaten bis zur Erstellung der gemeinsamen Liste der Inhaltsstoffe gemäß Artikel 12 das Verbot der Verwendung von Inhaltsstoffen vorsehen, die die süchtig machende Wirkung von Tabakerzeugnissen verstärken."
B - Rechtsgrundlage und Begründungserwägungen der Richtlinie
10. Als Rechtsgrundlage der Richtlinie werden die Artikel 95 EG und 133 EG angeführt. Es sei bemerkt, dass Artikel 133 in einer späten Phase der Entstehung der Richtlinie vom Europäischen Parlament hinzugefügt wurde. Der Vorschlag der Kommission kannte nur eine Rechtsgrundlage: Artikel 95.
11. In den Begründungserwägungen nimmt Artikel 95, jedenfalls die Beseitigung von Hemmnissen für den Binnenmarkt, eine zentrale Stellung als Rechtsgrundlage ein. In der zweiten und der dritten Begründungserwägung heißt es, dass sich die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen noch wesentlich unterscheiden und dadurch das Funktionieren des Binnenmarktes behindern. Diese Handelshemmnisse müssten beseitigt werden. Weiter heißt es in der vierten Begründungserwägung, dass gemäß Artikel 95 Absatz 3 EG dem Gesundheitsschutz in diesem Zusammenhang angesichts der besonders schädlichen Wirkungen des Tabaks Vorrang eingeräumt werden sollte.
12. Auch in einer Vielzahl anderer Begründungserwägungen werden die (potenziellen) Hemmnisse für den Binnenmarkt erwähnt. Ich nenne hier insbesondere
- die siebte Begründungserwägung, erster Satz: Einige Mitgliedstaaten haben angekündigt, dass sie, falls auf Gemeinschaftsebene keine Maßnahmen zur Festlegung des höchstzulässigen Kohlenmonoxidgehalts für Zigaretten erlassen werden, entsprechende Maßnahmen auf nationaler Ebene erlassen werden."
- die neunte Begründungserwägung, erster und zweiter Satz: Es bestehen Unterschiede zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Begrenzung des höchstzulässigen Nikotingehalts von Zigaretten. Diese Unterschiede können zu Handelshemmnissen führen und somit das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes behindern."
13. Nur die elfte Begründungserwägung der Richtlinie bezieht sich auf die Ausfuhr und damit auf Artikel 133. Sie lautet: Diese Richtlinie berührt auch Tabakerzeugnisse, die aus der Europäischen Gemeinschaft ausgeführt werden. Die Ausfuhrregelung ist Teil der gemeinsamen Handelspolitik. Nach Artikel 152 Absatz 1 des Vertrags und gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften gelten die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes als Bestandteil der anderen Gemeinschaftspolitiken. Es sollten Bestimmungen erlassen werden, mit denen gewährleistet wird, dass die Vorschriften des Binnenmarktes nicht unterlaufen werden."
14. Der Grund für den Hoechstwert bestimmter Schadstoffe (Artikel 3 der Richtlinie) wird in der fünften, der siebten und der neunten Begründungserwägung genannt. Was den Teergehalt angeht, bestimmte die Richtlinie 90/239/EWG (nachstehend Richtlinie 90/239), wie viel Teer die in den Mitgliedstaaten verkauften Zigaretten höchstens aufweisen dürfen. Eine weitere Herabsetzung ergab sich wegen der karzinogenen Wirkung des Teers. Zum Kohlenmonoxid heißt es: Ferner erzeugen Zigaretten nachweislich Mengen von Kohlenmonoxid, die die menschliche Gesundheit gefährden und zu Herzkrankheiten und anderen Erkrankungen beitragen können." Nikotin hat, so die neunte Begründungserwägung, spezifische Fragen zur öffentlichen Gesundheit aufgeworfen.
15. Die neunzehnte Begründungserwägung liefert eine Begründung für Artikel 5 der Richtlinie, wenn sie feststellt: Die Darstellung der Warnhinweise und der Schadstoffangaben ist in den einzelnen Mitgliedstaaten nach wie vor unterschiedlich, was dazu führen kann, dass die Verbraucher in einem Mitgliedstaat besser über die Gefahren des Tabaks informiert sind als in einem anderen. Diese Unterschiede sind nicht hinnehmbar und können zu Handelshemmnissen führen und das Funktionieren des Binnenmarktes für Tabakerzeugnisse behindern; sie sollten daher beseitigt werden. Hierzu ist es erforderlich, die bestehenden Rechtsvorschriften unter Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus nachdrücklicher und klarer zu gestalten."
16. Im Zusammenhang mit der Auslegung von Artikel 7 der Richtlinie - die zweite Frage des vorlegenden Gerichts - ist die 27. Begründungserwägung von Belang: Die Verwendung von Begriffen wie ,niedriger Teergehalt, ,leicht, ,ultraleicht, ,mild sowie von Namen, Bildern sowie figurativen und anderen Zeichen auf den Verpackungen von Tabakerzeugnissen kann den Verbraucher zu der irrigen Annahme verleiten, dass diese Erzeugnisse weniger schädlich seien, und zu Änderungen des Verbrauchs führen. Auch die Gewohnheiten und das Maß der Abhängigkeit der Raucher und nicht nur der Gehalt bestimmter Stoffe in dem Erzeugnis vor dem Verbrauch können das Ausmaß der inhalierten Stoffe bestimmen. Dieser Umstand kommt in der Verwendung der genannten Produktbeschreibungen nicht zum Ausdruck und kann somit zu einer Beeinträchtigung der Etikettierungsvorschriften nach dieser Richtlinie führen. Zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes und angesichts der Entwicklung vorgeschlagener internationaler Regelungen sollten auf Gemeinschaftsebene Maßnahmen zum Verbot einer solchen Verwendung getroffen werden, wobei für die Einführung dieser Regelung ausreichend Zeit zu gewähren ist."
C - Das Urteil Tabakreklame vom 5. Oktober 2000
17. Bei der Beurteilung der vorliegenden Rechtssache spielt das Urteil Tabakreklame vom 5. Oktober 2000, das zur Nichtigerklärung der Richtlinie über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen geführt hat, eine wichtige Rolle. Sodann stellt sich die Frage, welche Bedeutung diesem Urteil des Gerichtshofes für die vorliegende Richtlinie zukommt, die ebenfalls darauf abzielt, den Tabakkonsum zu verringern, und ebenfalls - jedenfalls hauptsächlich - auf Artikel 95 EG gestützt ist. Ich gebe daher hier als Teil des rechtlichen Rahmens die wichtigsten Erwägungen dieses Urteils wieder.
18. In seinem Urteil hat der Gerichtshof die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage für die Harmonisierung von Produktanforderungen herangezogen werden kann. Diese Voraussetzungen sehen inhaltlich wie folgt aus:
- Die Maßnahmen müssen die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern. Artikel 95 schafft keine allgemeine Befugnis zur Reglementierung des Binnenmarktes.
- Die Maßnahmen müssen den Zweck haben, Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen abzustellen.
- Es muss sich um eine konkrete Gefährdung handeln. Artikel 95 kann herangezogen werden, um zukünftigen Hindernissen für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen. Das Entstehen solcher Hindernisse muss jedoch wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken.
- Eine Richtlinie kann Bestimmungen enthalten, die nur mittelbar zur Beseitigung von Hemmnissen beitragen. Es geht dabei um Vorschriften, die erforderlich sind, um die Umgehung bestimmter Verbote zu verhindern, die unmittelbar die Beseitigung von Hemmnissen bezwecken.
- Wettbewerbsverzerrungen sind nach ständiger Rechtsprechung nur relevant, wenn sie spürbar sind.
- Der Gerichtshof betrachtet als Wettbewerbsverzerrung eine Beschränkung der Wettbewerbsarten, die für alle Marktteilnehmer in einem Mitgliedstaat gelten, zum Beispiel das Verbot einer bestimmten Handlung. Allein eine solche Störung rechtfertigt es nicht, dass Artikel 95 als Rechtsgrundlage für die Verallgemeinerung eines weitgehenden Verbotes herangezogen wird, das in einem Mitgliedstaat für die gesamte Europäische Union gilt.
19. Wenn die Voraussetzungen für die Heranziehung des Artikels 95 erfuellt sind, kann bei der zu treffenden Wahl der Schutz der öffentlichen Gesundheit ausschlaggebend sein.
20. Bei der Maßnahme muss geprüft werden, ob diese einen wirklichen Beitrag zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Verkehr und von Wettbewerbsstörungen leistet.
21. Die Prüfung auf dem Gebiet des freien Verkehrs förderte Folgendes zu Tage. Der Gerichtshof hält Werberegeln für Druckmedien aufgrund von Artikel 95 für zulässig, während das Verbot der Werbung u. a. auf Plakaten, Sonnenschirmen und Aschenbechern sowie das Verbot der Kinoreklame keine Auswirkung auf den freien Verkehr haben soll. Der Gerichtshof geht offenbar von der Annahme aus, dass es sich in den letztgenannten Fällen um mehr oder weniger lokale Märkte handelt, was mir angesichts der Internationalität des Tabakmarktes, zu dem auch die Erzeugung und der Handel mit Werbeträgern gehören, nicht selbstverständlich erscheint. Der Gerichtshof hält es auch für wichtig, dass die Vorschriften über Werbeträger als Minimum zu gelten haben; die Mitgliedstaaten können also strengere Anforderungen festlegen. Eine Regelung des freien Verkehrs fehlt. Damit kann die Richtlinie - so verstehe ich die Auffassung des Gerichtshofes - keinen wirklichen Beitrag zur Beseitigung von Hemmnissen des freien Verkehrs leisten.
22. Die Prüfung für den Bereich des Wettbewerbs führt zu folgender Feststellung: Artikel 95 ist nicht geeignet, eine Wettbewerbsverzerrung dadurch zu beseitigen, dass der Wettbewerb in der gesamten Gemeinschaft weitgehend beschränkt wird.
23. Ein letzter wichtiger Punkt ist der, dass sich der Gerichtshof in solchen Fällen wegen der Allgemeinheit des in der Richtlinie normierten Verbotes nicht für befugt hält, die Richtlinie nur teilweise für nichtig zu erklären.
III - Sachverhalt und Verfahren
A - Das Ausgangsverfahren
24. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, British American Tobacco (Investments) Limited und Imperial Tobacco Limited (nachstehend: Klägerinnen) sind Hersteller von Tabakerzeugnissen im Vereinigten Königreich. Sie gehören zu den weltweit größten Erzeugern von Tabakprodukten. Sie treiben Geschäfte in 180 Ländern und haben einen globalen Marktanteil von 15,1 %. Die Klägerinnen haben, verteilt auf 64 Länder, 80 Fabriken und stellen jährlich 800 Milliarden Zigaretten her. Weltweit beschäftigen sie 80 000 Arbeitnehmer. Ihre wichtigsten internationalen Marken sind Lucky Strike, Kent, Dunhill und Pall Mall. Andere wichtige Marken sind u. a. Rothmans, Peter Stuyvesant, Benson & Hedges sowie John Player Gold Leaf. Die Umsetzung der Richtlinie hat nach dem Vorbringen der Klägerinnen beträchtliche Auswirkungen auf ihre Tätigkeiten und die ihrer Tochtergesellschaften.
25. Am 3. September 2001 erhoben die Klägerinnen Klage beim High Court of Justice gegen die Umsetzung und/oder die Pflicht der Regierung des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht. In der Sitzung des Gerichts kam in Verbindung hiermit die Frage nach der Bedeutung von Section 2 (2) des European Communities Act auf. Die Klägerinnen erklärten, dass Section 2 Absatz 2 des European Communities Act der britischen Regierung die Berechtigung verleihe, um ihren Gemeinschaftsverpflichtungen nachkommen zu können. Sie beantragten bei dem vorlegenden Gericht die Feststellung, dass die Ausübung der Befugnis nach dem European Community Act durch die britische Regierung ultra vires sei, weil die Richtlinie selbst ungültig sei. Deshalb bestehe keine Gemeinschaftspflicht der britischen Regierung, die die Ausübung dieser Befugnis rechtfertigen könne.
26. Mit Beschluss vom 26. Februar 2002 ließ der High Court of Justice Japan Tobacco Inc. und JT International SA als Streithelferinnen im Ausgangsverfahren zu.
27. Japan Tobacco Inc. erklärte, dass ihre Rügen Artikel 7 der Richtlinie und insbesondere die Klagegründe beträfen, die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vorgebracht worden seien.
28. Japan Tobacco Inc. ist einer der größten Zigarettenhersteller in der Welt. JT International SA ist eine Tochtergesellschaft von Japan Tobacco Inc. Sie stellt in ihrer Fabrik in Deutschland Zigaretten her und vertreibt diese in den fünfzehn Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Japan Tobacco Inc. ist ferner Inhaber der Handelsmarke Mild Seven. Nach eigener Einschätzung ist Mild Seven eine der größten Zigarettenmarken weltweit. JT International SA hat die ausschließliche Lizenz für diese Marke. Der Absatz von Mild Seven stellt mehr als 40 % des Gesamtumsatzes von Japan Tobacco Inc. dar.
29. Die Klägerinnen machen gegenüber der Richtlinie 2001/37/EG sieben Nichtigkeitsgründe geltend, die in den sieben Untergliederungen der ersten Vorabentscheidungsfrage wiedergegeben sind.
B - Die Vorabentscheidungsfragen
30. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2001, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 19. Dezember 2001, hat der High Court of Justice (Administrative Court) um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Ist die Richtlinie 2001/37/EG ganz oder teilweise ungültig, weil
a) die Artikel 95 EG und/oder 133 EG als Rechtsgrundlage unzutreffend sind,
b) Artikel 95 EG und 133 EG als eine doppelte Rechtsgrundlage herangezogen worden sind,
c) gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen worden ist,
d) gegen Artikel 295 EG, das Grundrecht auf Eigentum und/oder Artikel 20 des TRIPS-Übereinkommens verstoßen worden ist,
e) gegen Artikel 253 EG und/oder die Begründungspflicht verstoßen worden ist,
f) gegen den Subsidiaritätsgrundsatz verstoßen worden ist,
g) ein Missbrauch von Befugnissen vorliegt?
2. Gilt, wenn die Richtlinie 2001/37/EG des Parlaments und des Rates gültig ist, ihr Artikel 7 nur für innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vermarktete Tabakerzeugnisse oder auch für solche, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft für die Ausfuhr in Drittländer verpackt worden sind?
C - Das Verfahren beim Gerichtshof
31. Gemäß Artikel 20 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes haben schriftliche Erklärungen eingereicht die Klägerinnen, Japan Tobacco, das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission und die Regierungen von Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs sowie Schwedens. In der Sitzung des Gerichtshofes vom 2. Juli 2002 haben die Klägerinnen, Japan Tobacco, das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission und die Regierungen von Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs ihren Standpunkt mündlich vorgetragen.
D - Vorbemerkung
32. Das Parlament weist darauf hin, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ausgeführt hätten, dass ihre Argumentation in einem vertraulichen Gutachten des Juristischen Dienstes des Parlaments über den Richtlinienentwurf eine Stütze finde. Auch seien zwei Sondergutachten des Juristischen Dienstes der Zeugenaussage der Klägerinnen im Ausgangsverfahren beigefügt worden. Weiterhin stützten die Klägerinnen ihren Standpunkt auch auf ein Gutachten des Rechtsausschusses des Parlaments.
33. Das Parlament ersucht den Gerichtshof, diese Gutachten sowie die Schriftstücke, in denen diese Gutachten zitiert würden oder auf die verwiesen werde, unbeachtet zu lassen. Das Parlament verweist insoweit auf die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Spanien/Rat, in denen dieser die Auffassung vertreten habe, dass ohne die ausdrückliche Genehmigung eines Gemeinschaftsorgans die Stellungnahme des Juristischen Dienstes des betreffenden Organs weder unmittelbar noch mittelbar vor dem Gerichtshof herangezogen werden dürfe, weil dies nämlich dem öffentlichen Interesse an einer unabhängigen rechtlichen Stellungnahme abträglich sei. Das Parlament verweist ferner auf den Beschluss des Präsidenten des Gerichts in der Rechtssache Carlsen, dem zu entnehmen sei, dass die Verbreitung von Stellungnahmen des Juristischen Dienstes Unsicherheit bezüglich der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten herbeiführen und eine negative Auswirkung auf das Funktionieren der Gemeinschaftsorgane haben könne. Darunter würden die Stabilität der Gemeinschaftsrechtsordnung und das gute Funktionieren der Organe - allgemeine Belange, deren Beachtung ständig sichergestellt bleiben müsse - leiden.
34. Ich bin der Auffassung, dass Rechtsgutachten, die Teil des Zustandekommens der Gemeinschaftsgesetzgebung sind, nicht in allen Fällen geheim bleiben müssen. Die Zugänglichkeit solcher Gutachten hat auch einen wichtigen Vorzug, weil sie die Transparenz des Zustandekommens der Gemeinschaftsgesetzgebung erhöht. Das bedeutet aber noch nicht, dass alle Gutachten offen gelegt werden müssen. Ich unterscheide in diesem Zusammenhang zwischen einerseits den internen Stellungnahmen der Juristischen Dienste, die zum Zweck der internen Festlegung des Standpunkts eines Organs frei abgegeben werden können müssen, und andererseits formellere, externe Stellungnahmen, wie sie in einigen Mitgliedstaaten durch einen Staatsrat abgegeben werden. Bei dieser letztgenannten Art von Gutachten sehe ich keinen einzigen Grund für eine Geheimhaltung. Aber auch für interne Stellungnahmen gilt, dass sie aus welchen Gründen auch immer öffentlich bekannt werden können. Dann sind die Parteien in einem Verfahren wie dem vorliegenden natürlich frei, sich der Argumente zu bedienen, die in einer solchen Stellungnahme verwendet werden. Andererseits kann ein Organ nicht an den internen Standpunkten seines Juristischen Dienstes festgehalten werden.
35. Im vorliegenden Fall können die betreffenden Schriftstücke bei der Ermittlung des Willens des Gemeinschaftsgesetzgebers unbeachtet bleiben. Ich bin dann auch der Meinung, dass der Gerichtshof bei der Beurteilung der vorliegenden Rechtssache zur Kenntnis nimmt, dass diese Stellungnahmen nicht den Standpunkt des Europäischen Parlaments wiedergeben. Sonst kann der Antrag des Europäischen Parlaments außer Betracht bleiben.
IV - Besonderheit des Verfahrens und Zulässigkeit
36. Die vorliegende Rechtssache weist eine Besonderheit auf, weil sich der Gerichtshof zum ersten Mal zur Zulässigkeit von Vorabentscheidungsfragen nach der Gültigkeit einer Richtlinie zu äußern hat, die während der Umsetzungsphase von den Beteiligten eines Verfahrens vor einem nationalen Gericht aufgeworfen worden sind. Die in Rede stehende Sachlage zeigte sich auch in der Rechtssache Imperial Tobacco u. a.; allerdings brauchte sich der Gerichtshof in dieser Sache nicht zur Zulässigkeit zu äußern, da das Interesse an einer Vorabentscheidung entfallen war, weil die betreffende Richtlinie durch das Urteil vom 5. Oktober 2000 für nichtig erklärt wurde. Zwar hat der Gerichtshof in seinem Urteil SMW Winzersekt eine ungefähr vergleichbare Frage beantwortet. Es ging dabei um eine Bestimmung einer Verordnung, die erst nach einer Übergangszeit anzuwenden war. Der Kläger des Ausgangsverfahrens in dieser Sache ersuchte daher den Gerichtshof, nicht bis zum Ende der Übergangszeit zu warten, bevor er sich vor dem vorlegenden Gericht auf die Unanwendbarkeit der betreffenden Vorschrift berufen könne.
37. Die französische Regierung und die Kommission bezweifeln die Zulässigkeit. Die französische Regierung verweist darauf, dass eine Richtlinie als solche einer Einzelperson keine Pflichten auferlegen könne. Sie bezieht sich insbesondere auf das Urteil Salamander u. a./Parlament und Rat des Gerichts, in dem es heiße, dass eine Richtlinie, die die Mitgliedstaaten zwinge, den Wirtschaftsteilnehmern Verpflichtungen aufzuerlegen, nicht vor dem Erlass staatlicher Maßnahmen und unabhängig von diesen die Rechtsstellung dieser Wirtschaftsteilnehmer unmittelbar berühre. Nachteile, die einzelne während der Umsetzungsfrist erlitten, seien tatsächlicher Art und beruhten nicht auf dem Gemeinschaftsrecht. Auch die Kommission ist der Auffassung, dass es vor Ablauf der Umsetzungsfrist nicht erforderlich sei, über die Gültigkeit und die Auslegung einer Richtlinie zu entscheiden. Außerdem müsse, wenn ein Einzelner vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Gültigkeit einer Richtlinie vor dem nationalen Gericht anzweifeln können solle, dies als eine Umgehung der Regelung des Artikels 230 EG und als Missachtung der Klagewege nach dem EG-Vertrag betrachtet werden.
38. Meines Erachtens liefert die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Zulässigkeit von Vorabentscheidungsfragen die Antwort in der vorliegenden Rechtssache, in der es um Fragen geht, die während der Umsetzungsfrist bezüglich der Gültigkeit einer Richtlinie gestellt werden.
39. Zusammengefasst läuft die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes darauf hinaus, dass er, wenn die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen sich auf die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts beziehen, grundsätzlich verpflichtet ist, sie zu beantworten. Der Antrag eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn sich erweist, dass von dem Verfahren nach Artikel 234 EG ein unsachgemäßer Gebrauch gemacht wird, oder wenn über einen konstruierten Fall versucht wird, eine Entscheidung des Gerichtshofes herbeizuführen, oder aber klar ist, dass das Gemeinschaftsrecht weder unmittelbar noch mittelbar auf den Sachverhalt des Falles Anwendung finden kann.
40. Der Gerichtshof begreift seine Verpflichtung zur Beantwortung einer Vorabentscheidungsfrage deshalb weit, wobei er stets darauf hinweist, dass das Verfahren des Artikels 234 EG ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist. Demnach, so der Gerichtshof, ist es ausschließlich Sache der nationalen Gerichte, bei denen das Verfahren anhängig ist und die die Verantwortung für das zu erlassende Urteil tragen, unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles sowohl die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für das zu erlassende Urteil als auch die rechtliche Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen.
41. Es ist mit anderen Worten das nationale Gericht - und nicht der Gerichtshof -, das die Zweckmäßigkeit einer Vorlage zur Vorabentscheidung beurteilt. Es darf sich nur nicht um einen konstruierten Fall handeln, und die Fragen müssen die Anwendung von Gemeinschaftsrecht betreffen.
42. In diesen Punkten gibt es für mich keinen Zweifel. Erstens besteht nach nationalem Recht ein wirklicher Streit, der sich auf die Berechtigung der britischen Regierung bezieht, von Section 2 Absatz 2 des European Communities Act Gebrauch zu machen. Die Fragen betreffen zweitens die Anwendung von Gemeinschaftsrecht. Die Auseinandersetzung betrifft ja nicht den Entwurf einer Gemeinschaftsregelung, sondern eine Richtlinie, die erlassen wurde und nach ihrem Artikel 16 am Tag ihrer Veröffentlichung in Kraft getreten ist. Damit steht fest, welchen Inhalt die Richtlinie hat und welche Verpflichtungen entsprechend der Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist entstehen werden.
43. Daran ändert die Feststellung im Urteil Vaneetveld - auf das auch die Kommission hinweist - nichts. In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Einzelner sich vor den nationalen Gerichten auf eine Richtlinie erst nach dem Ablauf der für ihre Umsetzung in das nationale Recht vorgesehenen Frist berufen könne. Vor Ablauf dieser Frist kann eine Richtlinie nämlich keine Rechte für einen Einzelnen begründen, die das nationale Gericht schützen müsste. Während dieses Zeitraums können aus einer Richtlinie überhaupt keine Verpflichtungen für Einzelne entstehen. Nur auf den Mitgliedstaaten lasten während dieses Zeitraums genau umschriebene Pflichten. Sie haben die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen und darüber hinaus Maßnahmen zu unterlassen, die geeignet sind, das in dieser Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen.
44. Das bedeutet indessen noch nicht, dass keine objektive Erforderlichkeit einer Antwort auf die gestellten Vorabentscheidungsfragen bestuende und daher von einem konstruierten Fall gesprochen werden müsste, für den der Gerichtshof keine Antwort zu geben hätte.
45. Es kann stärker noch kein Zweifel daran bestehen, dass die Klägerinnen ein Interesse an einer Antwort auf die gestellten Vorabentscheidungsfragen haben. Dieses Interesse geht dahin, dass sie Gewissheit über ihre in naher Zukunft geltenden Rechte und Pflichten gewinnen müssen, die für ihre Unternehmensführung von entscheidender Bedeutung sind. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass sie bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Rahmen ihrer Unternehmensführung bestimmte Maßnahmen ergreifen müssen. Der Gerichtshof tritt nicht in eine Beurteilung des Inhalts oder des Umfangs dieses Interesses ein; die Beurteilung ist im Verfahren der Vorabentscheidung dem nationalen Gericht vorbehalten. Genau das ist der Unterschied zwischen dem Vorabentscheidungsverfahren und der unmittelbaren Anrufung des Gemeinschaftsrichters aufgrund von Artikel 230 EG. Nur zur Ergänzung weise ich darauf hin, dass ebenso wenig Zweifel in der Frage bestehen, ob das Interesse der Klägerinnen gewichtig ist. Ebenso gehe ich nur ergänzend auf das Vorbringen der französischen Regierung ein, dass das Interesse der Klägerinnen tatsächlicher Art sei und sich nicht auf Gemeinschaftsrecht stütze. Dieses Vorbringen scheint mir nicht nur unrichtig zu sein, sondern ist darüber hinaus für den Gerichtshof nicht erheblich, da seine Beurteilung Sache des vorlegenden Gerichts ist.
46. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass der Gerichtshof die ihm vom High Court vorgelegten Vorabentscheidungsfragen beantworten muss. Dieses Ergebnis stimmt mit der Linie überein, die der Gerichtshof in der ungefähr vergleichbaren Rechtssache Winzersekt eingeschlagen hat.
47. Es ist gleichwohl wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein anders lautendes Ergebnis - die Unzulässigkeit - dazu führen würde, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung für die Klägerinnen keinen wirksamen Rechtsschutz vorsähe. Damit würde diesem wichtigen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht Genüge getan, der vom Gerichtshof stets als Bestandteil der allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungsüberlieferung angesehen worden ist. Dieser Grundsatz ist in den Artikeln 6 und 13 der EMRK enthalten und wurde von der Europäischen Union in Artikel 47 der Grundrechtscharta formuliert.
48. Zunächst weise ich im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines wirksamen Rechtsschutzes auf Folgendes hin: Das Vorabentscheidungsverfahren gehört zu einer Gesamtheit von Regelungen, die dem Bürger den erforderlichen Rechtsschutz bieten müssen. Neben dem Vorabentscheidungsverfahren ist eine unmittelbare Klage vorgesehen, die jede natürliche oder juristische Person gegebenenfalls beim Gericht erster Instanz einreichen kann.
49. Allerdings kann wegen Artikel 230 EG die Gültigkeit einer Richtlinie allein aufgrund einer unmittelbaren Klage zur Sprache kommen, die von einem Mitgliedstaat, dem Rat oder der Kommission erhoben wird. Natürlichen oder juristischen Personen steht gemäß diesem Artikel kein Recht zu, bezüglich der Gültigkeit einer Richtlinie beim Gerichtshof Klage zu erheben. In Artikel 230 Absatz 4 werden nur Entscheidungen und - unter besonderen Umständen - Verordnungen genannt.
50. Daraus, dass Artikel 230 Absatz 4 EG die Fälle, in denen natürlichen oder juristischen Personen doch ein Klagerecht zusteht, unzweideutig festlegt, muss abgeleitet werden, dass sich der Gesetzgeber des Vertrages ausdrücklich dafür entschieden hat, in Fällen wie dem vorliegenden keinen unmittelbaren Zugang zum Gemeinschaftsrichter zuzulassen. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in der er strenge Anforderungen an die individuelle Betroffenheit stellt, die Einzelne nachweisen müssen, um beim Gemeinschaftsrichter ein Verfahren einleiten zu können. Ein Beteiligter hat dann eine Klagebefugnis, wenn ... die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühr[t] und ihn daher in ähnlicher Weise individualisier[t] wie den Adressaten". Nach dieser Rechtsprechung steht den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens kein Klagerecht zu, da sie sich nicht von anderen Herstellern von Tabakerzeugnissen unterscheiden, die von der Richtlinie betroffen werden. Kurz: Selbst wenn Artikel 230 Absatz 4 Richtlinien genannt hätte, käme den Klägerinnen aufgrund dieses Artikels keine Klagebefugnis zu.
51. Die genannte Auslegung des Gerichtshofes wird u. a. mit der Erwägung begründet, dass dem Bürger der Klageweg zum nationalen Gericht offen steht, das dann Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen kann. Die Rechte des Bürgers auf wirksamen Rechtsschutz können im Wege der Vorabentscheidung gewährleistet werden. Dann darf aber das Gemeinschaftsrecht natürlich nicht auch noch den Vorabentscheidungsweg ausschließen und so ein rechtliches Vakuum schaffen. Ich sage dies ganz unabhängig von der Frage, ob diese bestimmte Auslegung des Artikels 230 Absatz 4 durch den Gerichtshof den grundrechtlichen Ansprüchen der Bürger auf Zugang zu den Gerichten vollständig gerecht wird. Daran hat Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache UPA meines Erachtens zu Recht ernst zu nehmende Zweifel geäußert.
52. Zweitens spielt meines Erachtens der Grundsatz der Rechtssicherheit eine Rolle. In einer gut funktionierenden Rechtsordnung muss ein Beteiligter so viel Gewissheit wie möglich über die für ihn geltenden Rechte und Pflichten haben. Dies gilt umso mehr, wenn es um Rechte und Pflichten geht, die einen beträchtlichen Einfluss auf die Betriebsführung dieses Beteiligten haben können. Ich halte es dann nicht für erheblich, dass es um Rechte und Pflichten geht, die zu einem gegebenen Zeitpunkt noch nicht gelten, bei denen aber feststeht, dass sie in naher Zukunft in Geltung treten werden.
53. Es steht fest, dass nach dem EG-Vertrag in einem Vorabentscheidungsverfahren die Rechtsgültigkeit einer Richtlinie dem Urteil des Gerichtshofes unterworfen werden kann, wenn bei einem nationalen Gericht Klage von einem Beteiligten erhoben worden ist, der ernste Zweifel an der Rechtsgültigkeit hat. Ich halte es für einen Widerspruch zum Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn das Gemeinschaftsrecht so zu verstehen sein sollte, dass ein Beteiligter bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist warten müsste, bevor ihm diese Klagemöglichkeit eröffnet wird.
54. Drittens könnte eine Unzulässigkeit in der vorliegenden Rechtssache dazu führen, dass die Beteiligten Schaden erleiden könnten, wenn sie bereits Maßnahmen zur Anpassung ihrer Produktion treffen müssten, obwohl sich später herausstellt, dass die Richtlinie ungültig ist. Der Beteiligte wird den dann entstehenden Schaden auf den Mitgliedstaat, der die Umsetzungsvorschriften erlassen hat, oder unmittelbar auf die Gemeinschaften zu verlagern suchen. Artikel 288 Absatz 2 EG bietet die Möglichkeit hierfür.
55. Nach gefestigter Rechtsprechung stellt der Gerichtshof hohe Anforderungen an die Zubilligung von Schadensersatz bei unrechtmäßiger Gesetzgebung. Ich möchte hier nicht die Frage vertiefen, inwieweit eine Schadensersatzklage gegen die Europäische Gemeinschaft Aussicht auf Erfolg hat. Ich halte dies nicht für ausgeschlossen, mit Gewissheit nicht, wenn die Ungültigkeit darauf zurückzuführen ist, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Maßnahme getroffen hat, zu der er nach dem EG-Vertrag mangels Rechtsgrundlage nicht befugt war.
56. Wichtiger ist, dass die Unzulässigkeit, der eine spätere Nichtigerklärung der Richtlinie in einem neuen Verfahren folgt, zu einem Schaden des Betroffenen führt, der ohne sein Zutun entsteht. Die Frage, ob - vor Feststellung der Ungültigkeit - die erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden, um den Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen, hat nämlich nichts mit einer Unternehmerentscheidung zu tun, sondern ist von einer Rechtspflicht abhängig.
57. Ein Rechtsschutzsystem muss so beschaffen sein, dass es Vorkehrungen trifft, um der Entstehung eines Schadens möglichst vorzubeugen oder zumindest den Umfang des Schadens zu begrenzen. Es wäre mit anderen Worten nicht zutreffend, die Bestimmungen des EG-Vertrages, die den Zugang zu den Gerichten sicherstellen, so auszulegen, dass die Möglichkeit der Schadensbegrenzung durch Einzelne ausgeschlossen wird.
V - Maßgebende Faktoren
A- Allgemeines
58. Diese Rechtssache ist nicht auf sich selbst gestellt. Das Urteil in dieser Rechtssache wird vielmehr in erheblichem Umfang durch ihren Kontext bestimmt. Zunächst ist da das tatsächliche Umfeld, in dem Erzeugung, Handel und Verbrauch von Tabakerzeugnissen stattfinden. Dieses tatsächliche Umfeld lag der Entstehung der Richtlinie zugrunde. Die Entstehung der Richtlinie kommt danach als zweiter Punkt zur Sprache. Der dritte Punkt, den ich für relevant halte, sind die materiellen Veränderungen, die sich aus der Richtlinie ergeben. Herstellung und Aufmachung von Tabakerzeugnissen sind nämlich bereits seit langem Gegenstand der Einmischung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber.
B - Das tatsächliche Umfeld
59. In diesem Verfahren werden dem Gerichtshof zahlreiche Informationen über die Risiken des Tabakkonsums verschafft, u. a. in Form umfangreicher medizinisch-wissenschaftlicher Berichte und Fotos von Opfern. Ich halte es nicht für die Aufgabe des Gerichtshofes, sich ein tiefgehendes Urteil über die genauen Folgen des Rauchens zu bilden. Es reicht hier die Feststellung aus, dass der Ernst der Folgen nicht mehr wirklich bestritten wird und dass sich die gesellschaftlichen Vorstellungen über den Tabakkonsum stark verändert haben. Beide Entwicklungen sind auch eine Folge der gewachsenen wissenschaftlichen Kenntnis von den schädlichen Wirkungen des Rauchens. Gleichwohl wird immer noch viel geraucht, insbesondere bei jungen Menschen.
60. Sowohl auf der Ebene der Europäischen Union als auch in den Mitgliedstaaten ruht die Politik auf zwei Pfeilern. Der erste Pfeiler sind Maßnahmen, die darauf abzielen, das Rauchen möglichst unattraktiv zu machen, insbesondere für junge Menschen; der zweite Pfeiler sind Maßnahmen, um die schädlichen Folgen des Rauchens möglichst zu begrenzen. Die Etikettierungspflicht der Richtlinie ist ein Beispiel für die Politik beim ersten Pfeiler, in der Herstellungspflicht wird der zweite Pfeiler sichtbar. Ferner weist die Kommission darauf hin, dass eine weiter gehende Maßnahme - das völlige Verbot von Tabakerzeugnissen - zwar wegen der Gefahren des Rauchens gerechtfertigt wäre, aber aus praktischen Erwägungen sowie aus fiskalischen und politischen Gründen nicht durchzusetzen sei.
61. Damit gelange ich zum Markt für Tabakerzeugnisse, insbesondere für Zigaretten. Er ist in immer stärkerer Weise grenzüberschreitend geworden. Lokale Vorlieben spielen eine immer geringere Rolle; eine begrenzte Zahl großer Zigarettenmarken beherrscht den Markt. Die Konzentration am Rande der Tabakindustrie ist noch größer. Die großen Marktteilnehmer bringen häufig mehrere Marken auf den Markt. Der grenzüberschreitende Charakter des Zigarettenmarktes bedeutet nicht, dass ein Markt mit einem level playing field entstanden ist. Der Markt wird im Gegenteil in hohem Maße durch nationale Behörden geregelt. Unter anderem als Folge der nationalen Abgaben bestehen große Preisunterschiede, und auch die Vorschriften über Werbung weichen stark voneinander ab.
62. Die großen Preisunterschiede haben zu einer Empfänglichkeit dieses Marktes für illegalen Handel und Schmuggel geführt. In einem Bericht der Weltbank von 1999 wurde geschätzt, dass 30 % der international ausgeführten Zigaretten, d. h. ungefähr 355 Milliarden Zigaretten, an den Schmuggel verloren gehen.
63. Auch im Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Drittländern bilden der illegale Handel und der Schmuggel eine wichtige Tätigkeit, was in diesem Verfahren nicht streitig ist. Allerdings gehen die Meinungen über den Umfang des Schmuggels mit Zigaretten, die in der Europäischen Union hergestellt wurden und dann (meist nach Ausfuhr und Wiedereinfuhr) illegal auf den Europäischen Markt zurückkehren, und auch mit Zigaretten aus Drittländern auseinander.
64. So behauptet die luxemburgische Regierung, dass 97 % der heimlich in die Europäische Union eingeführten Zigaretten aus Drittländern stammen, die deutsche Regierung nennt denselben Prozentsatz für heimliche Einfuhren nach Deutschland, und die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens bringen vor, dass 85 % der illegal in der Europäischen Union vorhandenen Zigaretten aus Drittländern kommen. Die Kommission meint demgegenüber, dass bei den illegalen Zigaretten, die in der Europäischen Union anzutreffen seien, der Anteil der in der Europäischen Union hergestellten beträchtlich höher liege als 15 %.
65. Zigarettenschmuggel ist für alle Mitgliedstaaten und viele Drittländer ein Problem, das große Verluste für den Gemeinschaftshaushalt und die nationalen Haushalte mit sich bringt, wie der letzte Aktivitätenvorschlag des OLAF vermerkt. Betrüger im Zigarettensektor gehen weltweit vor und verfügen über viele Mittel und eine sehr fortschrittliche Infrastruktur. Betrügereien mit Zigaretten erfolgen in der Praxis häufig in der gleichen Weise: Es geht meist um falsche Angaben, Umgehung der Vorschriften und bloßen Schmuggel. Wenn in einem bestimmten Mitgliedstaat oder Drittland die Herkunft der Zigaretten strenger kontrolliert wird, verlegen die Betrüger ihre Tätigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat oder ein anderes Drittland. Da enorme Gewinne möglich sind, sind Betrüger - in der Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit der Ermittlungsdienste nachlässt - bereit, Zigaretten lange Zeit zu lagern oder umzulagern, bevor sie diese illegal in die Gemeinschaft einführen. Aus dem Vorschlag ergibt sich zugleich, dass beim Zigarettenschmuggel die Zigaretten erst in der Europäischen Union gelagert werden, ehe sie nach Drittländern ausgeführt werden (oder erklärt wird, sie würden ausgeführt).
66. In diesem Verfahren sind auch die wirtschaftlichen Belange des Tabaksektors in der Europäischen Union zu bedenken, wobei es insbesondere um den Anbau von Tabak - vor allem in einer Reihe südlicher Mitgliedstaaten - und dessen industrielle Verarbeitung geht. Die Richtlinie kann eine nachteilige Wirkung für diesen Sektor haben. Nach Darstellung der Klägerinnen führt die Anwendung der Richtlinie auf Ausfuhren allein im eigenen Betrieb zu einem Verlust von 1 800 bis 3 000 Bahnen.
C - Die Entstehung der Richtlinie
67. Die Richtlinie hat eine lange Vorgeschichte. Die wichtigsten Vorschriften der Richtlinie (Artikel 3 bis 7) waren bereits in der Mitteilung der Kommission vom 18. Dezember 1998 als Möglichkeiten angeführt. Die Kommission stellte in dieser Mitteilung eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Kampf gegen das Rauchen in der Gemeinschaft zu intensivieren.
68. Dieser Mitteilung folgte eine Entschließung des Parlaments, in der das Parlament auf eine genaue Kontrolle der Entwicklung des auf der Verpackung angegebenen Nikotingehalts in der gesamten Union dringt. Ferner wird die Kommission ersucht, die Effektivität von Warnhinweisen auf der Packung zu evaluieren. Sodann führt das Parlament an, dass die EU minderwertigen Tabak, der nicht den europäischen Normen entspreche, in Drittländer ausführe und damit dazu beitrage, dass die alles andere als rosige Situation im Bereich der öffentlichen Gesundheit in einer Reihe von Ländern sich weiter verschlechtere.
69. Im Anschluss an die Stellungnahmen des europäischen Parlaments und des Rates legte die Kommission im Oktober 1999 einen Vorschlag zur Aktualisierung ihrer Mitteilung von 1996 vor. Dieser Vorschlag enthält eine Analyse der Politik und der Praktiken der Mitgliedstaaten in Bezug auf eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des Tabakkonsums.
70. In seinen Schlussfolgerungen zur Bekämpfung des Tabakkonsums unterstreicht der Rat die Notwendigkeit, eine allgemeine Strategie zu entwickeln, die ein wirksames System zur Überwachung des Tabakkonsums, die Tabakpolitik und deren Auswirkung in der gesamten Gemeinschaft sowie der Durchführung der europäischen Rechtsvorschriften umfasst. Eine Reihe der in diesen Schlussfolgerungen aufgeführten Maßnahmen wurde in einem kürzlichen Vorschlag der Kommission zur Bekämpfung des Tabakkonsums ausgearbeitet. Insbesondere wurden einige Initiativen zum Schutz von Minderjährigen aufgenommen, darunter Vorschriften über Verkaufsbedingungen, elektronischen Verkauf und Verkaufsautomaten.
71. Die Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft um die Bekämpfung des Rauchens gehen noch viel weiter zurück. Bereits im Juni 1985 hat der Europäische Rat von Mailand darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, ein europäisches Aktionsprogramm zur Krebsbekämpfung in Gang zu bringen. Das Aktionsprogramm wurde am 7. Juli 1986 beschlossen und strebt einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit und der Lebensqualität der Bürger der EG durch Verminderung der Krebserkrankungen an. Dieses Aktionsprogramm legte fest, dass die Bekämpfung des Rauchens Vorrang verdiene. In Ausführung dieses Aktionsprogramms sind die ersten Harmonisierungsrichtlinien bezüglich des Tabakkonsums erlassen worden.
72. Die Entstehung der Richtlinie muss auch im Licht der Entwicklungen im internationalen Zusammenhang betrachtet werden. Einige westliche Staaten außerhalb der Europäischen Union haben ihre Rechtsvorschriften in den vergangenen Jahren erheblich verschärft. In diesem Verfahren wird häufig Kanada als Beispiel angeführt, das bei gesundheitlichen Warnhinweisen erheblich strenger ist als die in der Richtlinie empfohlenen Regelungen.
73. Ferner wird im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation über ein Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Rauchens verhandelt. An diesen Verhandlungen sind sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten beteiligt. Den Protokollen der Verhandlungen lässt sich entnehmen, dass die Tabakindustrie über die Verhandlungen dieses Rahmenabkommens auf dem Laufenden gehalten wird und dass sie ihren Standpunkt zu dem Rahmenabkommen einbringen kann.
74. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beschränkungen, die die Richtlinie für die Erzeugung, die Etikettierung und die Benennung von Tabakerzeugnissen vorsieht, nicht vom Himmel gefallen sind. Sie haben eine lange Vorgeschichte, an der die Tabakindustrie eng beteiligt gewesen ist. Beides bedeutet, dass die Tabakproduzenten in der Europäischen Union - und auch die Tabakimporteure - Gelegenheit hatten, rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des möglichen Schadens zu ergreifen, den die Richtlinie ihnen verursachen mag.
D - Zu welchen materiellen Veränderungen führt die Richtlinie?
75. Der Handel mit Tabakerzeugnissen ist bereits Gemeinschaftsvorschriften unterworfen, die im Zusammenhang mit den Gesundheitsrisiken des Rauchens stehen. Sie finden sich in folgenden Richtlinien:
- Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen;
- Richtlinie 90/239/EWG des Rates vom 17. Mai 1990 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den höchstzulässigen Teergehalt von Zigaretten;
- die Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen verbietet Fernsehreklame für Tabakerzeugnisse.
Daneben galt die Richtlinie 98/43 über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen. Diese Richtlinie wurde, wie bereits gesagt, vom Gerichtshof für nichtig erklärt.
76. Diese geltende Gemeinschaftsregelung wird durch die vorliegende Richtlinie verschärft. Das gilt sowohl für die Etikettierungsvorschriften - die Warnungen an die Raucher werden um einiges ernster - als auch für die Produktionsvorschriften. Neben einem verschärften Teerhöchstgehalt sollen auch Hoechstgehalte für Nikotin und für Kohlenmonoxid gelten. Außerdem gelten - ein ganz neues Element der Gesetzgebung - die Hoechstgehalte auch für Zigaretten, die in der Gemeinschaft zur Ausfuhr in Drittländer hergestellt werden.
77. Daneben kennt die Richtlinie noch einige Pflichten, die als neu betrachtet werden müssen. Artikel 6 sieht die Veröffentlichung der Inhaltsstoffe durch Einschaltung der Behörden der Mitgliedstaaten vor. Artikel 7 verbietet die Verwendung von Andeutungen, die suggestiv wirken könnten, wie mild", leicht" oder ultraleicht". Dieses Verbot gilt auch dann, wenn die betreffende Andeutung als Marke oder als Markenbestandteil hinterlegt ist.
VI - Beantwortung der ersten Frage: Wahl der Rechtsgrundlage
A - Einleitung und Vorgehensweise
78. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist zentral für das vorliegende Verfahren. Das vorlegende Gericht nennt in seiner Frage eine Reihe von Elementen, die Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Richtlinie entstehen lassen könnten.
79. Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, Belgiens, Finnlands, Frankreichs, Irlands, Italiens, der Niederlande und Schwedens sowie Parlament, Rat und Kommission sind der Auffassung, dass die Richtlinie gültig sei. Demgegenüber meinen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die griechische und die luxemburgische Regierung, dass die Richtlinie insgesamt ungültig sei. Die Klägerinnen bringen vor, dass die Richtlinie nicht bezwecke, die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Ebenso wenig habe die Richtlinie, soweit Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage herangezogen werde, ihrer Meinung nach das Ziel, eine gemeinschaftliche Handelspolitik einzuführen. Die luxemburgische Regierung ist der Auffassung, dass die Richtlinie lediglich bezwecke, die öffentliche Gesundheit zu schützen. Aus diesen Gründen sei eine Harmonisierung nicht möglich. Die griechische Regierung zieht die Gültigkeit der Richtlinie in Bezug auf auszuführende Zigaretten in Zweifel. Nach Auffassung von Japan Tobacco ist Artikel 7 der Richtlinie ungültig. Die deutsche Regierung hält, ohne sich zur Gültigkeit anderer Bestimmungen zu äußern, Artikel 3 Absätze 1 und 2 nicht für gültig, weil dieser Artikel die Produktion von Zigaretten verbiete, die für den Export bestimmt seien.
80. Bei der ersten Frage gehe ich zunächst auf die Rechtsgrundlage in den Teilen a und b dieser Frage ein. Sind das Europäische Parlament und der Rat zur Harmonisierung der Produktionsnormen in der in der Richtlinie vorgesehenen Art und Weise berechtigt? Die Frage, ob die Richtlinie durch ihren Inhalt mögliche Rechtsgrundsätze verletzt, wird in diesen Schlussanträgen in Abschnitt VII behandelt.
81. Bei dieser Vorgehensweise folge ich der Fragestellung des vorlegenden Gerichts. Ein wichtiger Teil des Verfahrens bezieht sich auf die Rechtsgültigkeit der verschiedenen Verpflichtungen in den Artikeln 3 bis 7 der Richtlinie und nicht so sehr auf die Richtlinie als Ganzes. Die gewählte Vorgehensweise bedeutet, dass einige dieser Verpflichtungen an mehreren Stellen zur Sprache kommen. Im Wesentlichen jedoch unterscheide ich zwischen den Produktionsanforderungen (Artikel 3 und im Zusammenhang damit Artikel 4 der Richtlinie), bei denen die gewählte Rechtsgrundlage zur Diskussion steht, und abhängig hiervon u. a. die Verhältnismäßigkeit, und die Etikettierungs- und Informationspflichten (Artikel 5 bis 7), bei denen sich die Diskussion auf die Verhältnismäßigkeit und das Recht auf Eigentum konzentriert.
82. Hieran anknüpfend möchte ich noch eine weitere Begrenzung vornehmen. Ich bin der Meinung, dass sich der Gerichtshof nicht gesondert mit den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie zu befassen hat.
83. Was Artikel 4 betrifft, so ist die Festlegung von Messmethoden eine notwendige Folge der Produktionsanforderungen des Artikels 3. Ohne die Festlegung von Messmethoden hat es keinen Sinn, Hoechstgehalte für Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid festzulegen. Daran ändert nichts, dass Artikel 4 Absatz 3 den Mitgliedstaaten Raum lässt, Messungen für andere Stoffe vorzuschreiben. Anders als die Klägerinnen vorbringen, dürfte sich aus Artikel 4 Absatz 3 kein selbständiges Handelshemmnis ableiten lassen. Diese Regelung bestätigt nur den Politikspielraum der Mitgliedstaaten für einen Unterbereich, der durch die Richtlinie nicht harmonisiert wurde.
84. Der Grund, sich nicht gesondert mit Artikel 6 der Richtlinie zu befassen, ist anderer Art. In diesem Verfahren sind keine besonderen Rügen gegen Artikel 6 vorgebracht worden. Das Vorbringen der Klägerinnen, dass dieser Artikel keine den Binnenmarkt betreffende Zielrichtung, sondern eher den Schutz der öffentlichen Gesundheit im Auge habe, wird in Abschnitt VI C losgelöst von der Regelung des Artikels 6 der Richtlinie ausreichend behandelt.
B - Vorbemerkung zur Rechtsgrundlage
85. Wie ausgeführt ist die Richtlinie sowohl auf Artikel 95 EG als auch auf Artikel 133 EG gestützt. Diese beiden Rechtsgrundlagen können vorliegend nicht als gleichwertig betrachtet werden. Ausgangspunkt für den Gemeinschaftsgesetzgeber war Artikel 95 EG. Da für den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht feststand, dass Artikel 95 EG auch als Rechtsgrundlage für die Regelung aus der Europäischen Union auszuführender Zigaretten dienen könne, wurde für diesen einen Aspekt der Richtlinie Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage hinzugefügt.
86. Die Begründung des Gesetzgebers zur Anwendbarkeit der Richtlinie auf die Ausfuhr ist in der elften Begründungserwägung zu finden. Von den Ausführungen in dieser Begründungserwägung ist allein der letzte Satz geeignet, die Regelung zu tragen. Der letzte Satz bringt den Wunsch zum Ausdruck, ein Unterlaufen der Vorschriften des Binnenmarktes zu verhindern. In der Sitzung haben Rat und Parlament eine ergänzende Begründung vorgetragen. Die beiden Mitgesetzgeber führten aus, dass die Anwendbarkeit auf die Ausfuhr zwei Zielsetzungen habe, die untrennbar miteinander verbunden seien. Die erste Zielsetzung, die Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage rechtfertige, hänge mit dem Wunsch zusammen, dem illegalen Handel entgegenzuwirken und damit den Binnenmarkt zu schützen. Die zweite Zielsetzung betreffe die Ausfuhr von Zigaretten selbst. Dafür sei Artikel 133 EG die Rechtsgrundlage. Ich gehe davon aus, dass allein die erste Zielsetzung in den Begründungserwägungen zur Sprache kommt.
87. Der Gerichtshof hat bei seiner Prüfung der Richtigkeit der gewählten Rechtsgrundlage die Ungleichwertigkeit der beiden Rechtsgrundlagen sowie die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählte Begründung zu berücksichtigen. Zuerst ist zu untersuchen, ob die Richtlinie als Ganzes auf Artikel 95 EG gestützt werden kann. Bei dieser Untersuchung stehen zwei Fragen im Mittelpunkt:
- Kann eine Regelung, die (auch) den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt, auf Artikel 95 EG gestützt werden?
- Kann eine Regelung, die auf Artikel 95 EG gestützt ist, sich auf die Erzeugung von Produkten beziehen, die zur Ausfuhr in Drittländer bestimmt sind?
Eine Verneinung der ersten Frage führt zur Ungültigkeit der Richtlinie; bei einer negativen Antwort auf die zweite Frage ist das nicht ohne weiteres der Fall. Dann stellt sich die Folgefrage, ob nämlich Artikel 133 EG als ergänzende Rechtsgrundlage für die Ausfuhr in Drittländer dienen kann. Aber auch bei einer Bejahung der zweiten Frage wird der Gerichtshof auf Artikel 133 EG eingehen müssen. Unabhängig von der Frage, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber Artikel 133 EG als ergänzende Rechtsgrundlage benötigte, steht fest, dass er diesen Artikel als solche herangezogen hat.
88. Die Prüfung der Heranziehung von Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage umfasst folgende Fragen:
- Ist vorliegend eine doppelte Rechtsgrundlage, bei der Artikel 133 EG zur Ergänzung des Artikels 95 EG verwendet wird, als solche zulässig?
- Kann Artikel 133 EG hier als Rechtsgrundlage für Bestimmungen dienen, die sich auf die Erzeugung von Produkten beziehen, die zur Ausfuhr in Drittländer bestimmt sind? Hierbei hat sich der Gerichtshof auf jeden Fall am Inhalt der elften Begründungserwägung zu orientieren.
- Welche Rechtsfolge hat ein denkbarer falscher Gebrauch des Artikels 133 EG, unterstellt, Artikel 95 EG könne eine Rechtsgrundlage für die gesamte Richtlinie bieten?
C - Artikel 95 und der Schutz der öffentlichen Gesundheit
1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
89. Die Klägerinnen bringen vor, der Gemeinschaftsgesetzgeber sei nicht befugt, Harmonisierungsvorschriften für den Bereich der öffentlichen Gesundheit zu erlassen. Artikel 152 Absatz 1 EG bestimme, dass bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt werde. Artikel 152 gebe genauer an, was die Gemeinschaft auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit gemeinsam mit den und zur Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten tun könne. Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe c schließe Harmonisierungsvorschriften aus. Die luxemburgische Regierung teilt diesen Standpunkt der Klägerinnen.
90. Die Rechtsgrundlage des Artikels 95 EG könne allein zu dem Zweck herangezogen werden, die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu fördern. Die in Artikel 95 EG genannten Zielsetzungen seien als Instrumente zu verstehen, um den Handel zu fördern, und nicht, um ihn zu beschränken. Es sei daran zu erinnern, dass die Richtlinie 98/43 für nichtig erklärt worden sei, obwohl in den Begründungserwägungen der Richtlinie Besorgnisse für den Bereich des Binnenmarktes aufgeführt seien. Die vorliegende Richtlinie sei im Wesentlichen eine verkappte Maßnahme auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit, die von demselben Gedanken getragen werde wie der Entwurf eines Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakkonsums, auf den in der dreizehnten Begründungserwägung der Richtlinie verwiesen werde.
91. Die Verwirklichung des Binnenmarktes könne überhaupt nicht als Argument für die Bestimmungen der Richtlinie bezüglich Teer verwendet werden. Die Richtlinie 90/239 habe die Vorschriften über den Teerhöchstgehalt vollständig harmonisiert. Handelshemmnisse könnten nicht mehr bestehen, und deshalb fehle eine Berechtigung, um im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarktes den Teerhöchstgehalt weiter zu verringern. Die Klägerinnen ergänzen ihr Vorbringen wie folgt. Selbst wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber befugt wäre, aus Gesundheitsgründen neue Regelungen über den Teergehalt aufzustellen, müssten solche Regelungen zumindest auf neuen Entwicklungen beruhen, die auf wissenschaftliche Daten gestützt seien.
92. Auch für den Hoechstgehalt von Nikotin und Kohlenmonoxid fehle ihrer Meinung nach eine Befugnis, da konkret keine Handelshemmnisse infolge einseitiger Maßnahmen der Mitgliedstaaten drohten. Es komme hinzu, dass die neunte Begründungserwägung, in der von Unterschieden beim gesetzlich vorgeschriebenen Hoechstgehalt von Nikotin gesprochen werde, tatsächlich unzutreffend sei.
93. Diese Argumentation der Klägerinnen zur Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers, aufgrund von Artikel 95 EG im Zusammenhang mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit Harmonisierungsvorschriften zu erlassen, findet bei vielen an diesem Verfahren Beteiligten keine Unterstützung. Ziemlich einstimmig wird diesen Argumenten widersprochen. Das gilt sowohl für die Argumente, die die Befugnis im Allgemeinen betreffen, als auch für diejenigen, die speziell die Richtlinie betreffen. Allerdings bestehen widersprüchliche Auffassungen in der Frage, was nun Hauptziel der Richtlinie ist: die Verwirklichung des Binnenmarktes, der Schutz der öffentlichen Gesundheit oder, wie die irische Regierung in der Sitzung vorgebracht hat, beides gemeinsam.
2. Rechtsprechung
94. In seinem Urteil Niederlande/Europäisches Parlament und Rat (nachstehend Urteil Biotechnologie) hat der Gerichtshof bezüglich der Möglichkeit, Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage zu verwenden, wenn eine Regelung nicht allein die Beseitigung von Handelshemmnissen bezweckt, eine weite Auffassung vertreten. Ich zitiere: Für die Ermittlung der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts, die dessen Erlass zugrunde zu legen ist, ist auf das Hauptziel des Rechtsakts abzustellen. ... Die Richtlinie bezweckt zwar die Förderung der Forschung und der Entwicklung im Bereich der Gentechnik in der Europäischen Gemeinschaft. Die Art und Weise, in der sie zu diesem Ziel beiträgt, besteht aber darin, die rechtlichen Hindernisse im Binnenmarkt in Form der Unterschiede in den Rechtsvorschriften und in der Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten abzubauen, die die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in diesem Bereich behindern und zu einem Ungleichgewicht führen. Die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten stellt daher nicht nur ein beiläufiges oder ergänzendes Ziel der Richtlinie dar, sondern entspricht ihrem Wesen. Dass sie auch ein Ziel verfolgt, das unter die Artikel 130 und 130f EG-Vertrag fällt, schließt daher Artikel 100a EG-Vertrag als Rechtsgrundlage der Richtlinie nicht aus."
95. Betrifft die Zielrichtung einer Regelung den Schutz der öffentlichen Gesundheit, so ist die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers, aufgrund von Artikel 95 EG Vorschriften zu erlassen, mindestens ebenso weit zu verstehen. Diese Befugnis ist aber nicht unbegrenzt, wie dem Urteil Tabakwerbung zu entnehmen ist. Die Maßnahmen müssen, auch wenn sie nicht allein die Beseitigung von Hemmnissen für den freien Verkehr bezwecken müssen, auf jeden Fall einen wirklichen Beitrag zur Beseitigung der Hemmnisse leisten. Es kann sich dabei um künftige Hindernisse handeln, aber ihre Entstehung muss ziemlich wahrscheinlich sein.
96. Damit scheint der Gerichtshof mehr Wert auf den Inhalt (den Gegenstand) der Regelung zu legen als auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel. Als Beleg verweise ich in diesem Zusammenhang auf die Relativierung der Unterscheidung von Ziel und Gegenstand hin, auf die Generalanwalt Tesauro in seinen Schlussanträgen zum Urteil Titandioxid hingewiesen hat. Er betrachtet die Unterscheidung letztlich nur als terminologisch erheblich. Stets muss bei der Bestimmung des Gegenstands auch das Ziel einer Regelung beachtet werden, und andererseits kann das Ziel einer Regelung nur anhand ihres Inhalts und ihrer Wirkungen begriffen werden, gerade um die Gefahr (und den Vorwurf) zu vermeiden, dass die Beurteilung auf einem subjektiven Kriterium beruht (insbesondere dem Verständnis einer Einrichtung anhand der Zielsetzungen einer Regelung).
3. Allgemeine Beurteilung
97. Viele der vorgetragenen Ausführungen beziehen sich auf das Hauptziel der Richtlinie. Liegt dieses auf dem Gebiet des Binnenmarktes, oder wird nicht eher bezweckt, die öffentliche Gesundheit zu schützen? Ich halte prima facie das Zweite für zutreffend, und zwar aufgrund der Tatsache, dass die Richtlinie Teil eines Gemeinschaftspakets von Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums ist. Ich finde es dabei weniger relevant, dass die Begründungserwägungen ausführlich auf den Binnenmarkt eingehen. Diese Hinweise sind gerade aufgenommen worden, um die Heranziehung des Artikels 95 zu rechtfertigen, und nicht so sehr im Zusammenhang mit dem wirklichen Ziel der Richtlinie. Was ich nachstehend zu Artikel 95 als Rechtsgrundlage ausführe, muss dann auch in diesem Licht gesehen werden.
98. Den Ausführungen, die in diesem Verfahren vor dem Gerichtshof vorgetragen worden sind, aber auch aus der Rechtsprechung möchte ich ableiten, dass mögliche Zweifel an der Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers, eine Richtlinie wie die vorliegende zu erlassen, sich zu der folgenden Frage verdichten: Bedeutet die Aussage des Artikels 95, dass eine Regelung die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes betreffen muss, zugleich, dass sie primär eine Ausrichtung auf den Binnenmarkt haben muss? Oder gilt, was die britische Regierung unter Hinweis auf das Urteil Tabakwerbung vorgebracht hat, dass nämlich Artikel 95 EG auch dann herangezogen werden kann, wenn der Schwerpunkt einer Maßnahme nicht in einer Förderung des Binnenmarktes, sondern im Schutz der öffentlichen Gesundheit besteht?
99. Bei der Beantwortung dieser Fragen nehme ich die Befugnis, die Artikel 95 dem Gemeinschaftsgesetzgeber verleiht, ganz allgemein unter die Lupe.
100. Im Kern geht es um folgendes: Sobald sich ein (potenzielles) Handelshemmnis zeigt, muss die Gemeinschaft tätig werden können. Dieses Tätigwerden muss, wie ich aus dem Urteil Biotechnologie ableite, in einer Beseitigung der Hemmnisse bestehen. Artikel 95 EG schafft hierfür die Berechtigung. Es ist dabei nicht entscheidend, ob das Handelshemmnis auch der Hauptgrund für das Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers ist. Auch die Geltung besonderer Befugnisse des Gemeinschaftsgesetzgebers im Vertrag, damit er in bestimmten Politikbereichen tätig werden kann, wie etwa bei Artikel 152 EG auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit, ändert daran nichts.
101. Die Befugnis ist dabei allerdings nicht unbegrenzt. Auch wenn feststeht, dass eine Maßnahme ein Handelshemmnis betrifft, kann der Richter in einem konkreten Fall prüfen, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber die ihm zuerkannte Befugnis im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht ausgeübt hat. Diese Prüfung gilt auf jeden Fall der Frage, ob die Regelung auch tatsächlich ein im Gemeinschaftsrecht anerkanntes öffentliches Interesse im Auge hat. Sodann prüft der Richter, ob das Tätigwerden des Gesetzgebers in einem bestimmten Fall auch wirklich geeignet ist, zur Beseitigung eines Handelshemmnisses beizutragen. Auch können ein etwaiger Missbrauch der vom Vertrag zuerkannten Befugnis sowie die Rechtsgrundsätze in Frage kommen, die das vorlegende Gericht in seinen Fragen aufgeführt hat. Die Rechtsgrundsätze werden in diesen Schlussanträgen später behandelt.
4. Beurteilung des Kerns der Befugnis
102. Ich arbeite diese Ausgangspunkte nun weiter aus, zunächst bezüglich des Kerns der Befugnis nach Artikel 95 EG.
103. Artikel 95 EG enthält keine allgemeine Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers, nationale Vorschriften zu harmonisieren. Artikel 95 sieht lediglich eine Befugnis zum Erlass von Harmonisierungsvorschriften vor, die die Errichtung des Binnenmarktes betreffen. Die Errichtung des Binnenmarktes erfolgt, wie Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c EG festlegt, durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Für die Beseitigung dieser Hindernisse sieht der EG-Vertrag zwei Instrumente vor, die sich in ihrer Funktion gegenseitig ergänzen. Wenn ich mich jetzt auf den freien Warenverkehr beschränke, so ist das erste Instrument das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen in den Artikeln 28 EG und 29 EG einschließlich der Ausnahmen, die in Artikel 30 EG und in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannt sind. Das zweite Instrument ist die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers nach Artikel 95 EG, Hindernisse abzuschaffen, die bestehen geblieben sind - oder gerade entstehen -, weil der nationale Gesetzgeber von einer der Ausnahmen vom Verbot der Artikel 28 EG und 29 EG Gebrauch macht. Nationale Gesetzgebungsmaßnahmen zum Schutz anerkannter öffentlicher Interessen wie etwa der öffentlichen Gesundheit sind ganz besonders Ursache von Handelshemmnissen.
104. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes entsteht die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers hierbei übrigens erst dann, wenn tatsächliche Hemmnisse wirklich auftreten, jedenfalls aber auch, wenn das Entstehen zukünftiger Hemmnisse wahrscheinlich ist.
105. Bezogen auf die vorliegende Rechtssache stellt eine nationale Maßnahme, die Beschränkungen für die Zusammensetzung oder Aufmachung von Tabakerzeugnissen vorsieht, als solche eine mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 29 EG dar. Artikel 30 bietet indessen einen Rechtfertigungsgrund für eine solche nationale Maßnahme, wenn diese darauf abzielt, die öffentliche Gesundheit zu schützen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes muss die nationale Maßnahme weiter eine Reihe zusätzlicher Voraussetzungen erfuellen, u. a. was die Verhältnismäßigkeit anbelangt. Vorliegend muss, wenn das Rauchen bekämpft werden soll, eine solche nationale Maßnahme rasch akzeptiert werden können.
106. Geht man davon aus, dass eine nationale Maßnahme, wie sie in der vorstehenden Nummer beschrieben wurde, durch Artikel 30 EG gerechtfertigt wird, ist damit bereits ein Handelshemmnis gegeben. Um dieses Handelshemmnis zu beseitigen, ist der Gemeinschaftsgesetzgeber berechtigt, Maßnahmen zu ergreifen, wobei er den Schutz öffentlicher Interessen (hier der öffentlichen Gesundheit) vom nationalen Gesetzgeber übernimmt. Die Verwirklichung des Binnenmarktes kann es anders gesagt mit sich bringen, dass ein bestimmtes öffentliches Interesse - wie in unserem Fall die öffentliche Gesundheit - auf der Ebene der Europäischen Union gewahrt wird. Damit wird das Interesse des Binnenmarktes noch nicht zum Hauptziel einer Gemeinschaftsregelung. Die Verwirklichung des Binnenmarktes bestimmt nur das Niveau, auf dem ein anderes öffentliches Interesse gewahrt wird.
107. Eine solche Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers ist für die Integration im EG-Zusammenhang unentbehrlich. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Artikel 2 EU-Vertrag, in dem die Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen als eines der Hauptziele der Union bezeichnet wird, und auf Artikel 2 EG, nach dem der Gemeinschaftsmarkt zustande gebracht wird. In einem Raum ohne Binnengrenzen, also zu einem gemeinschaftlichen Markt, passt es nicht, dass der zwischenstaatliche Handel von behindernden Bedingungen abhängig ist. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Befugnis hätte, in einem solchen Fall tätig zu werden, würde damit ein wichtiges Mittel fehlen, um diese Bedingungen abzuschaffen. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Der Vertrag verpflichtet den Gemeinschaftsgesetzgeber sogar, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes betreffen.
108. Das Ziel des Tätigwerdens ist wie gesagt nicht entscheidend. In diesem Zusammenhang ist die Gemeinschaftsbefugnis vergleichbar mit der Berechtigung, die die Bundesbehörde in den Vereinigten Staaten für den Handel zwischen den Gliedstaaten hat. Frei nach dem US Supreme Court: It makes no difference if the extraneous objective (in unserem Fall: die öffentliche Gesundheit) is the principal or dominant objective of the federal measure (in unserem Fall: die EG-Richtlinie) - so long as a legitimate objective (in unserem Fall: der Binnenmarkt) is sufficiently served." Ich betrachte die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers als eine funktionale Befugnis, die für das Zustandekommen des Binnenmarktes erforderlich ist.
109. Kurz gesagt: Bei der Beantwortung der Frage, ob die EG befugt ist, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen, die die Errichtung des Binnenmarktes betrifft, prüft der Gerichtshof, ob diese Maßnahme eine unmittelbare Beziehung zu einem Hemmnis für den zwischenstaatlichen Handel hat. Zu diesem Punkt verweise ich auf die Randnummern 84 ff. des Urteils Tabakwerbung.
110. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens stellen einen Zusammenhang her zu der spezifischen Befugnis, die die EG auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit hat. Insbesondere verweisen sie darauf, dass Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe c die Harmonisierung nationaler Vorschriften ausschließt. Wenn aufgrund von Artikel 95 die Harmonisierung von Vorschriften doch stattfinden sollte, würde dies bedeuten, dass die Regelung des Artikels 152 Absatz 4 Buchstabe c umgangen würde.
111. Diese Auslegung des Artikels 152 geht fehl. Mit dem Abschluss des Vertrages von Maastricht, bei dem der Titel über das Gesundheitswesen in den EG-Vertrag aufgenommen wurde, wurde gerade bezweckt, dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine Befugnis auf Gebieten zuzuerkennen, auf denen sie ihm bis dahin gefehlt hatte. Insbesondere ging es dabei um Maßnahmen auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit, die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarktes stehen.
112. Die Aufnahme dieser neuen Befugnis in den Vertrag kann natürlich nie bewirken, dass der Europäischen Gemeinschaft ein zuvor bestehendes Gesetzgebungsinstrument entzogen würde, mit dem auch die öffentliche Gesundheit effektiv geschützt werden konnte. Diese Folge würde nicht nur im Widerspruch zum Ziel des Artikels 152 stehen, der Gemeinschaft bestimmte Befugnisse auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit zuzugestehen (und nicht wegzunehmen), sondern auch den in Artikel 152 Absatz 1 verankerten Grundsatz verletzen, dass jede Gemeinschaftspolitik ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen hat.
113. Stärker noch, wenn die Befugnis aufgrund von Artikel 95 EG nicht eingesetzt werden dürfte, um Vorschriften auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit zu harmonisieren, würde damit auch ein wichtiges Instrument für die Verwirklichung des Binnenmarktes wegfallen. Es sind nämlich gerade häufig, wie ich bereits ausführte, gerechtfertigte nationale Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, die zu Handelshemmnissen führen.
114. Kurz gesagt bildet Artikel 152 eine Ergänzung der bereits bestehenden Befugnisse des EG-Vertrags wie etwa aus Artikel 95. Die Ausnahme des Artikels 152 Absatz 4 Buchstabe c bedeutet lediglich, dass Artikel 152 keine Rechtsgrundlage für eine Harmonisierung darstellt, sagt aber nichts über zuvor in den Vertrag aufgenommene Rechtsgrundlagen. Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe c beschränkt nicht ratione materiae die Befugnis zur Harmonisierung nationaler Vorschriften auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit.
5. Beurteilung der Ausübung der Befugnis
115. Nunmehr komme ich zur Ausübung der Befugnis durch den Gemeinschaftsgesetzgeber.
116. Dabei steht Folgendes von vornherein fest. Der EG-Vertrag erlegt dem Gemeinschaftsgesetzgeber wie gesagt die Pflicht auf, die notwendigen Maßnahmen zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes zu treffen. Bei der Erfuellung dieser Pflicht verfügt der Gemeinschaftsgesetzgeber über den notwendigen Ermessensspielraum. Er wägt selbst ab, in welchen Fällen er die Festlegung gemeinschaftlicher Harmonisierungsvorschriften für zweckmäßig erachtet. Zu seiner Abwägung gehört die Beurteilung der Frage, ob das gewählte Instrument das wirksamste ist, um ein bestimmtes öffentliches Interesse zu wahren, sowie die Einschätzung des gewünschten Schutzniveaus. Der Gerichtshof setzt sich bei dieser Abwägung nicht an die Stelle des Gesetzgebers, sondern prüft, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber die Grenzen seines Ermessenspielraums nicht überschritten hat.
117. Die erste Grenze betrifft die erwartete Wirkung einer Regelung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes muss eine Maßnahme, die aufgrund von Artikel 95 EG erlassen wird, einen wirklichen Beitrag zur Errichtung des Binnenmarktes leisten. Konkreter geht es dabei darum, ob eine Maßnahme geeignet ist, zur Beseitigung eines bestehenden oder jedenfalls wahrscheinlichen Handelshemmnisses beizutragen. Ich verweise darauf, dass die Richtlinie 98/43 im Urteil Tabakwerbung für nichtig erklärt worden ist, weil nicht alle Bestimmungen der Richtlinie dieses Kriterium erfuellten. Nach Auffassung des Gerichtshofes standen nicht alle Bestimmungen im Zusammenhang mit dem zwischenstaatlichen Handel. Im vorliegenden Fall ist das anders: Abgesehen vom Produktionsverbot, das nachstehend zur Sprache kommt, beziehen sich alle Bestimmungen auf den zwischenstaatlichen Warenhandel.
118. Die zweite Grenze hängt mit der (Haupt-)Zielsetzung des Tätigwerdens aufgrund von Artikel 95 EG zusammen, hier mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Mit der Heranziehung von Artikel 95 EG entzieht der Gemeinschaftsgesetzgeber die Wahrung dieses öffentlichen Interesses der Kompetenz des nationalen Gesetzgebers. Die Übernahme des Schutzes eines im EG-Vertrag anerkannten öffentlichen Interesse, wie im vorliegenden Fall der öffentlichen Gesundheit, aus der Kompetenz des nationalen Gesetzgebers darf aber nicht dazu führen, dass das Interesse deshalb schlechter geschützt wird, weil der Gemeinschaftsgesetzgeber nur Marktbelange im Auge hat.
119. Im Wesentlichen steht der Gemeinschaftsgesetzgeber vor derselben Abwägung wie der nationale Gesetzgeber, an dessen Stelle er tritt. Die Abwägung muss zu den Randbedingungen für die wirtschaftliche Freiheit der Marktbeteiligten führen, wobei sowohl die Freiheit der Marktbeteiligten als auch die Notwendigkeit der Wahrung bestimmter öffentlicher Interessen berücksichtigt werden muss.
120. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verfügt bei seiner Abwägung über ein großes Maß an Freiheit, und zwar ganz gewiss, wenn es um den Gesundheitsschutz geht. Darin unterscheidet der Gemeinschaftsgesetzgeber sich somit nicht vom nationalen Gesetzgeber, der den Raum nützt, den Artikel 30 EG ihm lässt. Bei der Abwägung des Gesetzgebers spielt stets eine Vielzahl von Aspekten mit. Die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen hängt nämlich nicht allein von der wissenschaftlichen Erkenntnis bezüglich bestimmter Gesundheitsrisiken ab, sondern auch von der gesellschaftlichen und politischen Einschätzung dieser Risiken. Dasselbe gilt für die Wahl der Maßnahme. Wohl muss der Gemeinschaftsgesetzgeber - und dies sind die einzigen inhaltlichen Mindestbedingungen, die sich aus dem EG-Vertrag ergeben - den Vorsorgegrundsatz beachten und von einem hohen Schutzniveau ausgehen (Artikel 95 Absatz 3 EG). Er muss aber auf jeden Fall eine etwaige wissenschaftliche Entwicklung berücksichtigen.
121. Die dritte Grenze bilden die Rechtsgrundsätze und insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den ich im Abschnitt VII - A behandeln werde.
122. Ich fasse beides noch einmal zusammen: Der Gemeinschaftsgesetzgeber entlehnt seine Befugnis der Verwirklichung des Binnenmarktes. Die Ausübung der Befugnis kann jedoch im Hinblick auf die Wahrung eines öffentlichen Interesses, wie hier der öffentlichen Gesundheit, erfolgen. Die erlassenen Maßnahmen müssen geeignet sein, bestehende oder jedenfalls wahrscheinliche Hemmnisse für den freien Verkehr zu beseitigen. Bei der Ausübung seiner Befugnis steht der Gemeinschaftsgesetzgeber vor derselben Abwägung wie der nationale Gesetzgeber, der zum Schutz eines öffentlichen Interesses Randbedingungen für die wirtschaftliche Freiheit der Marktbeteiligten aufstellen will.
6. Beurteilung der Verschärfung bereits harmonisierter Produktionsvorschriften
123. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ziehen die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers in Zweifel, bereits harmonisierte Produktionsvorschriften zu verschärfen. Die bestehenden Produktionsvorschriften stellen bereits die Einheitlichkeit des Marktes sicher, und daher habe die Verschärfung nichts mit dem Binnenmarkt zu tun. Für sich genommen ist die Auffassung der Klägerinnen nicht unrichtig, denn es besteht keine Gefahr mehr, dass sich die Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich entwickelt. Für diese Auffassung lässt sich aber keine Stütze in der Rechtsprechung des Gerichtshofes finden. Sie kann auch nicht auf meine vorstehenden Ausführungen gestützt werden.
124. Nach der Harmonisierung ist der Schutz des öffentlichen Interesses Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers geworden. Denn der nationale Gesetzgeber ist nicht mehr berechtigt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann diese Aufgabe allein, aber sachgerecht bewältigen, weil es ihm freisteht, die Regelung geänderten Erkenntnissen oder Umständen anzupassen. Die Aufgabenerfuellung seitens des Gemeinschaftsgesetzgebers hat insgesamt keinen statischen, sondern dynamischen Charakter.
125. Auch im Vertrag findet der dynamische Charakter bereits Beachtung. Artikel 95 Absatz 3 fordert von den Organen, alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen fordert Artikel 95 nicht das Vorliegen einer neuen wissenschaftlichen Entwicklung, sondern bestimmt lediglich, dass eine etwaige wissenschaftliche Entwicklung berücksichtigt werden muss. Darauf habe ich bereits in Nummer 120 hingewiesen.
126. Ganz allgemein gilt, dass Gesetzgebung eine dynamische Tätigkeit ist. Denn es ist nicht allein Aufgabe des Gesetzgebers, Gesetze zu erlassen, sondern auch, diese an geänderte gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen. Tut er dies nicht, so führt dies zu einer rückständigen Gesetzeslage, und die Gesetzgebung wird nicht mehr den Anforderungen gerecht, die an sie gestellt werden können.
127. In dem Verfahren vor dem Gerichtshof wird, insbesondere seitens der Regierung der Niederlande, die Möglichkeit, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nur einmal tätig werden darf, zu Recht als Fossilierung" oder Versteinerung bezeichnet. Allein dieser Ausdruck deutet bereits an, dass die Auffassung der Klägerinnen in der Praxis absurde Folgen hätte.
7. Die vorliegende Richtlinie konkret
128. Konkret hat der Gerichtshof seine Prüfung auf die Frage zu beschränken, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Recht zu der betreffenden Abwägung gelangt ist. Die Produktionsanforderungen lasse ich noch einen Augenblick beiseite.
129. Zunächst behandle ich den Kontext der Richtlinie. Die Eindämmung des Tabakkonsums ist in vielen Mitgliedstaaten ein Vorhaben, dem große politische und behördliche Bedeutung zukommt. Zwar scheint in den Mitgliedstaaten - auch als Folge der gewachsenen Erkenntnis der Schädlichkeit des Rauchens - ein gefestigter Konsens zu bestehen, den Tabakkonsum immer schärferen Vorschriften zu unterwerfen, doch bedeutet dies noch nicht, dass auch ein Konsens bei der konkreten Bewältigung des Problems herrscht. Das zeigt sich bei den unterschiedlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten in diesem Verfahren beim Gerichtshof. Die Auffassungen zeigen anscheinend je nach Zeit und Ort große Unterschiede. Damit besteht eine konkrete Gefahr der Disparität der nationalen Vorschriften u. a. dort, wo es um den zulässigen Gehalt an schädlichen Inhaltsstoffen von Zigaretten geht.
130. Eine positive Beurteilung der Interessenabwägung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber liegt meines Erachtens dann auch auf der Hand. Erstens besteht eine Befugnis, denn die Regelung bezieht sich auf den zwischenstaatlichen Warenhandel. Zweitens wird ein durch das EG-Recht anerkanntes öffentliches Interesse geschützt; da die Anforderungen an Zusammensetzung und Aufmachung von Tabakerzeugnissen beträchtlich verschärft wurden, kann kein Zweifel am hohen Schutzniveau bestehen. Drittens ist davon auszugehen, dass - jedenfalls konkret drohende - Unterschiede bei den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten bestanden. Die siebte Begründungserwägung führt aus, dass verschiedene Mitgliedstaaten angekündigt hatten, dass sie, falls auf Gemeinschaftsebene keine Maßnahmen erlassen würden, entsprechende Maßnahmen auf nationaler Ebene erlassen würden.
131. Die siebte Begründungserwägung verdient übrigens besondere Aufmerksamkeit. Sie scheint nämlich auf einem Fragebogen zu beruhen, den die Mitgliedstaaten auf Ersuchen der Kommission ausgefuellt haben. Die Durchsicht der Ergebnisse dieser Befragung führt nicht unmittelbar zu der Überzeugung, dass konkrete Pläne für die nationale Gesetzgebung bestehen. Keiner der Mitgliedstaaten gibt an, die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften weiter zu entwickeln. Trotzdem sehe ich keinen Grund für Zweifel an der Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers aufgrund von Artikel 95 EG. Es liegt nämlich folgende Situation vor:
- Aus dem Fragebogen ergibt sich, dass einige Mitgliedstaaten - Frankreich, Italien Niederlande, Vereinigtes Königreich und Schweden - den Wunsch nach weiterer Verschärfung der Produktionsvorschriften für Tabakerzeugnisse nachdrücklich unterstützen. Sie geben dabei aber einer Regelung auf europäischer Ebene den Vorzug.
- Es besteht kein Zweifel an dieser Äußerung der Mitgliedstaaten. Die Priorität, die Maßnahmen zur Bekämpfung des Tabakkonsums eingeräumt wird, ist ebenso groß wie das politische und gesellschaftliche Interesse an diesem Problem.
Sollte der Gemeinschaftsgesetzgeber in einer solchen Situation säumig bleiben, ist in jeder Hinsicht anzunehmen, dass sich die Mitgliedstaaten für die für sie attraktivste Alternative entscheiden, nämlich die Verschärfung der Vorschriften auf nationaler Ebene. Ich füge hier noch eine Überlegung an, die mit der möglichen Konsequenz eines abweichenden Standpunkts zusammenhängt. Dann würde die Vorliebe der Mitgliedstaaten für eine Regelung auf Gemeinschaftsebene - und damit das Absehen von handelsbeschränkenden nationalen Maßnahmen - gerade wegen des Fehlens nationaler, den Handel beschränkender Maßnahmen zur Unzuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers führen.
132. Ergänzend weise ich noch darauf hin, dass zur Zeit der Vorbereitung der Richtlinie in Belgien, Spanien und Portugal bereits nationale Vorschriften über den Hoechstgehalt an Nikotin in Kraft waren. Die Klägerinnen weisen darauf auch hin, erklären aber zugleich, dass diese nationalen Vorschriften in der Praxis keine Wirkung hätten, da die darin festgelegten Hoechstwerte wegen des biochemischen Zusammenhangs zwischen dem Teer- und dem Nikotingehalt nicht überschritten werden könnten. Diese bestehenden Vorschriften könnten somit nicht zu Handelshemmnissen führen. Ich halte dieses Vorbringen der Klägerinnen - das tatsächlich auch nicht bestritten wird - für plausibel. Die Begründung in den ersten beiden Sätzen der neunten Begründungserwägung kann daher die Harmonisierungsmaßnahme auch nicht tragen. Dieser Mangel kann in diesem Verfahren aber folgenlos bleiben, da das Bestehen potenzieller Handelshemmnisse völlig wahrscheinlich ist.
D - Artikel 95 und die Produktion zum Zweck der Ausfuhr in Drittländer
1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
133. Die zentrale Rüge, die in diesem Verfahren gegen das Produktionsverbot erhoben wird, dem zufolge die Richtlinie (teilweise) auf Zigaretten Anwendung findet, die für Drittländer bestimmt sind, lautet wie folgt: Dieses Verbot trägt in keiner Weise zur Beseitigung von Hindernissen für den freien Warenverkehr oder zur Sicherstellung bei, dass die Vorschriften des Binnenmarktes nicht umgangen werden. Die griechische Regierung verweist noch auf Artikel 14 EG. Die deutsche Regierung ergänzt, dass ein Produktionsverbot in der Regel nur annehmbar sei, wenn die Produktion selbst eine Gefahr mit sich bringe. Vorliegend liege aber das Verbot weder im Interesse des Binnenmarktes noch im Interesse der öffentlichen Gesundheit in der Europäischen Union.
134. Andere Verfahrensbeteiligte äußern sich gerade positiv zum Produktionsverbot, und zwar in Verbindung mit dem ihres Erachtens wirklich bestehenden Risiko, dass Zigaretten, die für Drittländer bestimmt sind, doch in der Europäischen Union in den Verkehr gelangen - sei es durch illegale Wiedereinfuhr, sei es, weil sie die Europäische Union nie verlassen. Im Wesentlichen dreht sich die Auseinandersetzung vor dem Gerichtshof überwiegend um die Aussichten der Entstehung eines illegalen Handels und die Eignung des Produktionsverbots, diesen Handel zu bekämpfen.
135. Wenn ich von den vielen, häufig einander widersprechenden Zahlen sowohl bezüglich des legalen wie des illegalen Zigarettenhandels absehe, die in diesem Verfahren vorgetragen worden sind, laufen die Rügen des Produktionsverbots auf Folgendes hinaus:
- Die Maßnahme ist nicht geeignet, weil der größte Teil der Zigaretten, der in der Europäischen Union illegal konsumiert wird, aus Drittländern stammt;
- soweit illegaler Handel mit Zigaretten stattfindet, geschieht dies nur, um die hohen Steuern zu vermeiden. Illegaler Handel ist unabhängig von der Zusammensetzung oder Etikettierung der Zigaretten;
- illegaler Handel kann durch intensive Kontrollen bekämpft werden.
136. Dem stehen Argumente gegenüber, die das Produktionsverbot befürworten:
- Insbesondere der Rat hat geäußert, dass zwar der Prozentsatz illegal gehandelter Zigaretten niedrig sei, dies aber nicht bedeute, dass der absolute Umfang des illegalen Handels ebenfalls gering sei;
- der Aktivitätenvorschlag des OLAF erläutert das Gewicht des Zigarettenschmuggels;
- die Verschärfung der Kontrolle durch die Mitgliedstaaten ist innerhalb des offenen Raums der Europäischen Union keine geeignete Alternative.
2. Vorgehensweise
137. Es stellt sich die Frage, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber vorliegend befugt ist, auf der Grundlage von Artikel 95 EG Vorschriften über die Produktion von Zigaretten zu erlassen, auch wenn diese Produktion für die Ausfuhr der Zigaretten aus der Europäischen Union stattfindet. Der Gegenstand der Regelung betrifft somit Produkte, die nie auf dem Binnenmarkt in den Verkehr gelangen, jedenfalls nicht dazu bestimmt sind.
138. Bei der Beantwortung dieser Frage gehe ich wie folgt vor. Zunächst skizziere ich die Art und Weise, wie der Gemeinschaftsgesetzgeber in früheren Fällen von Artikel 95 EG - und dem vergleichbaren Artikel 94 EG - beim Erlass von Vorschriften für die Produktionsphase Gebrauch gemacht hat. Diese Skizze mündet in eine Untersuchung der Befugnis, die Artikel 95 dem Gemeinschaftsgesetzgeber verliehen hat, wobei es um Vorschriften geht, die nicht unmittelbar den zwischenstaatlichen Handel betreffen. Diese Untersuchung ist erforderlich, um festzustellen, dass Artikel 95 eine weite, wenn auch sicher nicht unbegrenzte Berechtigung zur Harmonisierung verleiht. Abschließend prüfe ich, ob die Ausübung der Befugnis durch den Gemeinschaftsgesetzgeber vorliegend in dem ihm zugestandenen Spielraum verbleibt.
3. Die Artikel 94 EG und 95 EG sowie Anforderungen für die Produktionsphase: eine kurze Skizze
139. Anforderungen, die für die Produktionsphase von Erzeugnissen gelten, können bezwecken, Einfluss sowohl auf die Merkmale der Produkte selbst als auch auf die Umstände zu nehmen, unter denen produziert wird, z. B im Zusammenhang mit der Umwelt oder der Arbeitswelt.
140. Eigentliche Produktanforderungen, die auch in der Produktionsphase gelten, sind in der Gemeinschaftsgesetzgebung die Ausnahme. Die meisten auf Artikel 95 EG gestützten Vorschriften beziehen sich lediglich auf das Inverkehrbringen von Produkten auf dem Binnenmarkt und lassen die Produktionsphase unberührt, selbst wenn es um die Gesundheit berührende Produkte geht. Als Beispiel führe ich die Zulassungsvorschriften an, die für Arzneimittel, Tierarzneimittel und Pflanzenschutzmittel gelten. Der Gesetzgeber hat es offenbar bei diesen Produkten nicht für notwendig gehalten, die Zulassungsregeln auch für die Produktion und damit für die aus der Europäischen Union auszuführenden Produkte gelten zu lassen. Produktanforderungen in der Produktionsphase kommen aber doch vor. So gilt das europäische Lebensmittelrecht für alle Phasen der Lebensmittelproduktionskette. Der weite Anwendungsbereich ergibt sich daraus, dass alle Phasen der Produktionskette letztlich von Bedeutung für die Sicherheit des Lebensmittels sein können.
141. Ich komme jetzt zu den Anforderungen, die an die Produktion gestellt werden. Als erste erwähne ich die Titandioxid-Richtlinie. Diese Richtlinie wurde erlassen, nachdem die frühere Titandioxid-Richtlinie vom Gerichtshof wegen der Wahl einer unrichtigen Rechtsgrundlage für nichtig erklärt worden war. Die Kommission begründet ihre Entscheidung, den Vorschlag einer ersetzenden Richtlinie auf Artikel 95 EG zu stützen, wie folgt: Obwohl die geltenden nationalen Vorschriften mit dem Ziel des Umweltschutzes eingeführt worden waren, entsprang das Bedürfnis nach Harmonisierung der Notwendigkeit einer Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen. Die Richtlinie legt u. a. Vorschriften für den Produktionsprozess fest, insbesondere für die Verarbeitung von Abfallstoffen.
142. Ältere Umweltrichtlinien, die vor der Europäischen Akte erlassen wurden, mit der u. a. ein besonderer Umwelttitel in den Vertrag aufgenommen wurde, lassen die Möglichkeiten erkennen, aufgrund der Artikel 94 und 95 Anforderungen an den Produktionsprozess zu stellen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber bedenkt dabei stets, dass Unterschiede der nationalen Rechtsvorschriften etwa bezüglich zulässiger Einleitungen in Gewässer oder Luft zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen und demzufolge unmittelbar das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinflussen können. Daher kann Artikel 94 EG als Rechtsgrundlage dienen. Andererseits war es nach Auffassung des Gesetzgebers notwendig, zugleich Artikel 308 EG heranzuziehen, weil der EG-Vertrag keine Befugnisse zum Schutz der Umwelt vorsah. Die Grenzziehung, die der Gemeinschaftsgesetzgeber dabei vornimmt, ist nicht ganz klar und wird auch nicht begründet.
143. Für den Bereich der Arbeitswelt erwies sich Artikel 94 EG als Ursprung der Befugnis für eine Gemeinschaftsrichtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit. Dem Gesetzgeber zufolge geht es hier um Maßnahmen, die unmittelbar das Funktionieren des gemeinschaftlichen Marktes beeinflussen.
144. Nach der Schaffung eines besonderen Umwelttitels und der besonderen Befugnis nach Artikel 137 EG auf dem Gebiet der Arbeitsumwelt bedarf der Gemeinschaftsgesetzgeber weniger der Artikel 94 EG und 95 EG, um Produktionsvorschriften zu erlassen. Das bedeutet übrigens nicht, dass die Befugnis gemäß Artikel 95 EG nicht mehr bestuende.
145. Zusammengefasst hat der Gemeinschaftsgesetzgeber vor allem im Zusammenhang mit Wettbewerbsverzerrungen seine Befugnis ausgeübt, für die Produktionsphase Vorschriften zu erlassen. Bei der vorliegenden Richtlinie geht es um Produktanforderungen, die alle gelten, bevor die Produkte in den Verkehr gebracht werden. Aus dieser kurzen Skizze lässt sich ableiten, dass die Richtlinie insoweit ein Novum ist, als ein Produktionsverbot festgelegt wird, um zu verhindern, dass die Binnenmarktregelung untergraben wird.
4. Die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers: das Spürbarkeitserfordernis
146. Artikel 95 EG sieht zunächst die Befugnis vor, Maßnahmen zu treffen, die die Errichtung des Binnenmarktes betreffen; zu diesem Zweck können aufgrund von Artikel 95 Maßnahmen getroffen werden, die unmittelbar Hindernisse für den zwischenstaatlichen Handel beseitigen. Wenn ich mich auf Produktvorschriften beschränke, geht es um die Harmonisierung nationaler Vorschriften, die den Handel mit Produkten auf dem Binnenmarkt betreffen. Zusammen mit den Artikeln 28 EG bis 30 EG bildet diese Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers eine Konkretisierung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe c EG. In Nummer 103 dieser Schlussanträge bin ich darauf bereits ausführlicher eingegangen. Für die Beseitigung dieser Hindernisse stellt der EG-Vertrag mithin zwei Instrumente bereit, die sich gegenseitig ergänzen.
147. Infolge der sich ergänzenden Anwendung von Artikel 95 EG einerseits und der Artikel 28 EG bis 30 EG andererseits entsteht ein Binnenmarkt. Damit ist aber noch nicht sichergestellt, dass der so entstandene Markt auch als gemeinschaftlicher Markt funktioniert. Dazu bedarf es häufig ergänzender Harmonisierungsvorschriften. Der Vertrag hat dieses Problem erkannt und die Befugnis aus Artikel 95 EG mit einem zweiten Merkmal versehen: Ratione materiae erstreckt sich die Befugnis aufgrund von Artikel 95 EG auf Harmonisierungsvorschriften, die nicht die Errichtung, sondern das Funktionieren des Binnenmarktes betreffen. Es handelt sich dabei um eine Konkretisierung des Artikels 3 Buchstabe h EG im Sinne einer gegenseitigen Annäherung der nationalen Rechtsvorschriften, soweit dies für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist.
148. Ich möchte dem noch Folgendes hinzufügen. In dem Maße, in dem die Errichtung des Binnenmarktes weiter voranschreitet, weil Behinderungen des grenzüberschreitenden Handels zwischen Mitgliedstaaten - u. a. wegen der Harmonisierung der Produktvorschriften - immer weniger vorkommen, liegt das Gewicht immer mehr auf dem Funktionieren des Binnenmarktes. Für eine wahre Einheitlichkeit des Marktes reicht es nicht aus, die Barrieren an den Grenzen zu beseitigen. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die Gemeinschaft aufgrund von Artikel 95 EG eine Reihe von Maßnahmen genau zu dem Zweck geschaffen hat, das Funktionieren des Binnenmarktes zu fördern. Schöne Beispiele sind die Richtlinien, die ich in den Nummern 141 bis 143 angeführt habe.
149. Wir befinden uns hier auf einem Gebiet, in dem die Rechtsetzungsbefugnis grundsätzlich den Mitgliedstaaten zusteht. Eine allgemeine Verbotsvorschrift, die dem Artikel 28 EG vergleichbar wäre, fehlt. Es geht um Maßnahmen, die - falls sie vom nationalen Gesetzgeber erlassen werden - keine mengenmäßige Ein- oder Ausfuhrbeschränkung verursachen. Es geht insbesondere um Maßnahmen, die die Produktionsbedingungen regeln, nicht um Anforderungen an die Produkte auf dem Gemeinsamen Markt selbst. Es muss aus diesem Grund ein qualifiziertes Interesse der Gemeinschaft vorliegen, um diese Befugnis der Mitgliedstaaten zu durchbrechen. Oder, um die Formulierung zu verwenden, die der Gerichtshof bei Wettbewerbsverzerrungen gebraucht: Es muss sich um eine spürbare Funktionsstörung des Marktes handeln.
150. Das Spürbarkeitserfordernis bewirkt auch, dass Artikel 95 EG keine allgemeine und unbegrenzte Befugnis zur Harmonisierung verleiht. Das wäre der Fall, wenn jede - auch sehr leichte - Störung des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes zur Harmonisierung führen könnte. Da wir uns hier kurz gesagt auf einem Gebiet befinden, in dem die Mitgliedstaaten eine selbständige Rechtsetzungsbefugnis haben, die auch nicht durch eine allgemeine Verbotsregelung beschränkt wird, kann der Gemeinschaftsgesetzgeber allein bei einer spürbaren Störung tätig werden. Vielleicht auch aus diesem Grund hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die in Nummer 142 angeführten Umweltrichtlinien mit auf Artikel 308 EG gestützt.
151. Dieses Spürbarkeitserfordernis bildet also ein konstituierendes Zubehör des Gemeinschaftsgesetzgebers, soweit es um Vorschriften geht, die aufgrund von Artikel 95 EG für die Produktionsphase erlassen werden. Fraglich ist nun, wann von einer spürbaren Störung gesprochen werden kann. Meines Erachtens können zwei Formen von Störungen erheblich sein.
152. Die erste Störung betrifft die Gefahr, dass die Vorschriften, die unmittelbar den Handel auf dem Binnenmarkt betreffen, einfach untergraben werden können. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann dann ergänzende Vorschriften für die Produktionsphase erlassen, die bezwecken, dieser Wirkung vorzubeugen. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber diese Vorschriften nicht erlassen würde, würde zwar ein Binnenmarkt errichtet sein, dieser könnte indessen nicht effektiv funktionieren. Konkreter gesagt geht es dann um Vorschriften, die einen Beitrag zur praktischen Wirksamkeit der Vorschriften für den Handel auf dem Binnenmarkt leisten sollen. Die Durchführung und die Anwendung dieser Vorschriften können dann beeinträchtigt werden, wenn eine Regelung die Möglichkeit der Umgehung einschließt. Genau diesen Grund führt der Gemeinschaftsgesetzgeber vorliegend in der elften Begründungserwägung an.
153. Die zweite Störung, die Grundlage für Vorschriften in der Produktionsphase sein kann, betrifft eine Ungleichheit der Wettbewerbsverhältnisse. Diese Situation liegt vor, wenn der Unterschied zwischen den Bedingungen, unter denen man in den verschiedenen Mitgliedstaaten am Gemeinsamen Markt teilnehmen kann, als Folge der Disparität nationaler Anforderungen an die Produktion bestimmter Waren zu groß wird. Eine Harmonisierungsregelung aufgrund von Artikel 95 EG kann diesen Unterschied beseitigen.
154. Zu diesem Problem ist das Urteil Titandioxid wichtig, in dem der Gerichtshof wie folgt argumentiert: Nationale Vorschriften - die in dem betreffenden Fall auf Gesundheits- und Umwelterwägungen beruhten - können eine Belastung für die Unternehmen darstellen, für die sie gelten. Ohne eine Harmonisierung der nationalen Vorschriften würde der Wettbewerb ernsthaft verfälscht werden können. Eine Maßnahme zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften über die Produktionsbedingungen in einem bestimmten Sektor der Industrie, mit denen die Wettbewerbsverzerrungen in dem Industriezweig beseitigt werden sollen, trägt somit zur Verwirklichung des Binnenmarktes bei und fällt daher in den Geltungsbereich des Artikels 95 EG. In der Rechtssache Titandioxid ging es um eine Regelung der Verarbeitung von Abfallstoffen. Der Gerichtshof hat damit anerkannt, dass eine nationale Regelung, die für alle Marktteilnehmer eines Sektors gleichermaßen gilt, den Wettbewerb beeinträchtigen kann.
5. Die Tabakrichtlinie
155. Ich komme nunmehr zu der Frage, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass der Tabakrichtlinie eine spürbare Störung des Funktionierens des Binnenmarktes beseitigt.
156. Im Verfahren vor dem Gerichtshof untermauert der Gemeinschaftsgesetzgeber die Geltung der Richtlinie für die Produktion zum Zweck der Ausfuhr der Zigaretten damit, dass die Vorschriften des Binnenmarktes nicht unterlaufen werden sollen. Aus der Behandlung der Sache durch den Gerichtshof ergibt sich, dass der Gesetzgeber sowohl sein Augenmerk auf die illegale Wiedereinfuhr von Zigaretten richtet, die nicht die Normen der Richtlinie erfuellen, als auch verhindern will, dass Zigaretten unmittelbar in der Europäischen Union illegal auf den Markt kommen. Dies betrifft also die erste Form der Störung des Binnenmarktes, wie ich sie in Nummer 152 beschrieben habe.
157. Meines Erachtens ist der Gemeinschaftsgesetzgeber in einer solchen Lage unter folgenden Voraussetzungen berechtigt, tätig zu werden:
- Der Schaden, der aus der Umgehung der Wirkung der Regelung entstehen kann, muss ernsthaft sein. Das Erfordernis der Ernsthaftigkeit des Schadens ist die Konkretisierung des vorstehend genannten Spürbarkeitserfordernisses.
- Der Schaden kann vernünftigerweise nur dann verhindert werden, wenn sichergestellt wird, dass in allen Mitgliedstaaten gleichförmig gehandelt wird. Mit anderen Worten: Bei Disparität der nationalen Durchführungsvorschriften und Praktiken, jedenfalls bei der konkreten Gefahr voneinander abweichender nationaler Vorschriften, ist es nicht hinreichend sicher, dass gegen die Umgehung auch effektiv angegangen werden kann.
- Das Fehlen ergänzender Vorschriften führt zu unverhältnismäßig großen Durchführungs- und Anwendungsbelastungen.
158. Bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit eines möglichen Schadens geht es darum, die Einschätzung des Risikos der Entstehung eines illegalen Marktes zu untersuchen. Meines Erachtens gibt Folgendes den Ausschlag. Zigaretten sind ein Genussmittel und haben daher für den Konsumenten etwas Spannendes. Das trifft sicher für den jungen Konsumenten zu, dem die Politik der Bekämpfung des Rauchens ganz wesentlich gilt. Unter diesen Umständen ist es durchaus wahrscheinlich, dass ein illegaler Markt für Zigaretten entsteht, die in der Europäischen Union verboten sind, außerhalb aber doch erhältlich sind. Die Illegalität kann schon allein dazu führen, dass das betreffende Produkt einen Markt findet. Die Behauptung, dass augenblicklich der illegale Handel allein wegen der Umgehung der Abgaben stattfindet, halte ich in diesem Zusammenhang nicht für ausschlaggebend. Für das Entstehen eines illegalen Marktes sind immer zunächst Rechtsvorschriften erforderlich, die eine Illegalität entstehen lassen. Außerdem gilt, dass die Anfälligkeit für Abweichungen umso größer ist, je strenger die Vorschriften sind. Es ist daher gerade die vorliegende Richtlinie, die das Entstehen eines illegalen Marktes möglich - und so vielleicht attraktiv - macht.
159. Die zweite Voraussetzung betrifft die Notwendigkeit des Tätigwerdens der Gemeinschaft. Ein einseitiges nationales Produktionsverbot, das bezweckt, die illegale Wiedereinfuhr zu bekämpfen, ist nicht effektiv, weil die Kontrolle an den Außengrenzen des Gemeinsamen Marktes stattfinden muss. Soweit Unterschiede bei den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen - und damit auch bei den Kontrollen, die an verschiedenen Außengrenzen stattfinden - , wird sich der illegale Handelsstrom nach einer Außengrenze verlagern, wo das betreffende Verbot nicht gilt. Somit ist also ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich. Aber auch wenn die Zigaretten die Europäische Union nicht verlassen, kann eine nationale Maßnahme nicht effektiv sein, weil ein offener Binnenmarkt besteht. Denn ein Mitgliedstaat kann in einem solchen Markt nicht effektiv dagegen angehen, dass Zigaretten in seinem Hoheitsgebiet (illegal) gehandelt werden, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammen, in dem das Produktionsverbot nicht gilt.
160. Damit komme ich zur dritten Voraussetzung. Da die Wiedereinfuhr illegal stattfindet und es häufig einzelne Reisende sein werden, die die Produkte wieder in die Europäische Union einführen, ist eine Kontrolle nicht gut durchführbar. Zumindest bringt eine solche Kontrolle ungleichmäßige Durchführungslasten mit sich. Beim illegalen Handel innerhalb der Europäischen Union verhält es sich nicht anders.
161. An dieser Stelle komme ich zu dem Ergebnis, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine spürbare Störung des Funktionierens des Binnenmarktes beseitigt. Allerdings halte ich noch eine andere Untermauerung des Produktionsverbots für möglich. Auch das konkrete Risiko einer spürbaren Störung des Wettbewerbs, der zweite Typus einer Funktionsstörung des Binnenmarktes, kann meines Erachtens hier eine Grundlage für EG-Vorschriften liefern.
162. Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die geltenden Vorschriften für die Zusammensetzung von Zigaretten - und die Erwartungen in Bezug auf die Entwicklung der Vorschriften - einen wichtigen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen von Tabakherstellern nehmen, die (auch) zum Zweck der Ausfuhr in Drittländer produzieren. Vorzugsweise werden Produzenten in Ländern investieren, in denen die Vorschriften am geschmeidigsten sind. Dabei ist mit entscheidend, dass sie in den Drittländern mit Produzenten von außerhalb der Europäischen Union im Wettbewerb stehen, die ebenso wenig an strenge Zusammensetzungsanforderungen gebunden sind. Es ist kurz gesagt zu erwarten, dass voneinander abweichende nationale Vorschriften zu einer Verlagerung von Investitionen innerhalb der Europäischen Union führen und damit eine spürbare Störung des Gemeinsamen Marktes verursachen. Die Erklärung der Klägerinnen, dass sie infolge der Richtlinie ihre Produktion verlagern werden, bestätigt meine Beurteilung.
163. Damit ist ein einseitiges nationales Produktionsverbot nicht nur nicht effektiv, sondern auch nicht gut vorstellbar. Ein Mitgliedstaat kann nämlich nicht einseitig die Herstellung von Zigaretten im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Handelsverbots auf dem Binnenmarkt verbieten. Denn in einem solchen Fall wird die Wirkung die sein, dass ein Zigarettenhersteller seine Produktion in einen Mitgliedstaat verlegt, in dem das Produktionsverbot nicht gilt. Eine solche einseitige Maßnahme hat daher bei ihrer Anwendung keine einzige Wirkung und führt lediglich zu einem wirtschaftlichen Schaden des betreffenden Mitgliedstaats.
164. Bereits hiermit leistet die Richtlinie - mit der Harmonisierung der Produktvorschriften für in der Europäischen Union hergestellte Tabakerzeugnisse ohne Rücksicht auf deren Bestimmung - einen Beitrag zur Vermeidung ernsthafter Unterschiede in den Bedingungen für die Marktteilnahme der Tabakproduzenten in den verschiedenen Mitgliedstaaten.
165. Obendrein weise ich darauf hin, dass die Richtlinie in diesem Punkt von der Tabakwerbungsrichtlinie unterschieden werden muss. Im Fall der letztgenannten Richtlinie können nach Auffassung des Gerichtshofes ungleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten kein Grund für eine Harmonisierungsregelung sein, weil diese den Wettbewerb in der gesamten Gemeinschaft ausschaltet, jedenfalls weitgehend beschränkt. Meines Erachtens muss diese Schlussfolgerung des Gerichtshofes im Licht des spezifischen Kontextes der Tabakwerbungsrichtlinie gesehen werden. Die Richtlinie beschränkt die Werbung für Tabakerzeugnisse weitgehend und entzieht damit ganz besonders den Tabakherstellern ein Wettbewerbsinstrument. Denn sie haben infolge der Richtlinie weniger Möglichkeiten, ihr Produkt dem Konsumenten vorzustellen. Die vorliegende Richtlinie weist dagegen eine solche besondere Wirkung auf den Wettbewerb nicht auf.
166. Insgesamt kann also Artikel 95 EG für eine Regelung, mit der Bedingungen für die Erzeugung von Tabakerzeugnissen festgelegt werden, unabhängig von der Bestimmung, für die sie hergestellt werden, eine Rechtsgrundlage bieten.
E - Ist eine doppelte Rechtsgrundlage zulässig?
167. Im Kern geht es hier um Folgendes. Erstens um die materielle Prüfung, unter welchen Voraussetzungen eine Regelung auf mehrere Rechtsgrundlagen gestützt werden kann. Ist dazu erforderlich, dass die Rechtsgrundlagen, die von der Zielrichtung, die die Regelung verfolgt, vorgegeben werden, gleichwertig sind? Steht es zweitens dem Gemeinschaftsgesetzgeber, der mehrere Aspekte regeln will - die nicht unter ein und denselben Aspekt zu bringen sind -, frei, die verschiedenen Aspekte in eine Regelung aufzunehmen? Und drittens um das Gesetzgebungsverfahren: Sind die Verfahren, die in den Artikeln 95 EG und 133 EG vorgesehen sind, kompatibel?
168. Bei der Beurteilung des ersten Problems bietet das Gemeinschaftsrecht einen guten Anhalt. Ein Gemeinschaftsakt wie die Richtlinie muss auf eine besondere Rechtsgrundlage gestützt werden, wie sich aus Artikel 5 Absatz 1 EG ergibt. Die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes wird im Gutachten des Gerichtshofes zum Protokoll von Cartagena dargestellt:
Nach ständiger Rechtsprechung darf die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts ... nicht allein auf der Überzeugung seines Verfassers beruhen, sondern muss sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts ... Ergibt die Überprüfung eines gemeinschaftlichen Rechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen verfolgt oder zwei Komponenten hat, und lässt sich eine davon als wesentliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur von untergeordneter Bedeutung ist, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die wesentliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert ... Ist dargetan, dass mit dem Rechtsakt gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass das eine im Verhältnis zum anderen zweitrangig ist und mittelbaren Charakter hat, so kann ein solcher Rechtsakt ausnahmsweise auf die verschiedenen einschlägigen Rechtsgrundlagen gestützt werden ..."
169. Bei mehreren Zielen von mehr oder weniger gleichem Gewicht gilt die Hauptregel des Urteils Kommission/Rat zur Zolltarifnomenklatur, dass, wenn die Zuständigkeit eines Organs auf zwei Vertragsbestimmungen beruht, das Organ verpflichtet ist, die entsprechenden Rechtsakte auf der Grundlage dieser beiden Bestimmungen zu erlassen".
170. Diese Rechtsprechung lässt dem Gemeinschaftsgesetzgeber den notwendigen Raum, um eine Regelung auf mehrere Artikel des EG-Vertrags zu stützen. Voraussetzung ist, dass es sich um die wirkliche Heranziehung einer Rechtsgrundlage handelt. Nebenerwägungen reichen nicht aus, um eine Rechtsgrundlage heranzuziehen. Zur Verdeutlichung verweise ich hier auf die Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in der Rechtssache Tabakwerbung. In Nummer 68 seiner Schlussanträge führt er aus - und da stimme ich ihm zu -, dass die Vorstellung vom Schwerpunkt" einer Regelung nur Bedeutung für den Fall habe, dass eine Kumulierung der Rechtsgrundlagen ausgeschlossen sei, wenn nämlich die für die beiden Rechtsgrundlagen vorgeschriebenen Rechtsetzungsverfahren unvereinbar seien.
171. Geht man davon aus, dass dieser besondere Fall hier nicht vorliegt - ich komme später darauf zurück -, so braucht der Gerichtshof der Ungleichwertigkeit der beiden vorliegend herangezogenen Rechtsgrundlagen keine Bedeutung beizumessen. Es reicht aus, wenn Artikel 133 für einen Teil der Richtlinie - so klein dieser Teil auch sein mag - die wirkliche Rechtsgrundlage bildet. Insbesondere geht es also um die Feststellung, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn er die Richtlinie zugleich für die Ausfuhr von Zigaretten aus der Europäischen Union gelten ließ, ein Ziel verfolgt hat, das in die gemeinsame Handelspolitik passt.
172. Der zweite Punkt, den ich vorstehend erwähnt habe, entstammt den Erklärungen der Klägerinnen und der deutschen Regierung. Sie bringen unter Hinweis auf die Regelung für Säuglingsnahrung vor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Regelung der Ausfuhr von Zigaretten in besonderen Vorschriften hätte festlegen müssen.
173. Die Rechtsprechung bestätigt die Gesetzgebungspraxis, wonach für eine EG-Regelung häufig mehrere Rechtsgrundlagen herangezogen wurden. Eine Regelung umfasst oft mehrere Teile - oder Komponenten, wie sie der Gerichtshof in seinem vorerwähnten Gutachten nennt - und will mehrere Ziele gleichzeitig erreichen. Unter dem Blickwinkel der Gesetzgebungsökonomie ist dies auch wünschenswert. Es ist nicht sehr sinnvoll, die Vorschriften, die für einen bestimmten Produkttyp festgelegt werden, nach dem Ziel oder der Zielgruppe zu trennen, das (die) damit zugleich erreicht werden muss. Umfassendere Regelungen sind für den Rechtsuchenden besser verständlich, während daneben unnötige Unterschiede bei der Auslegung oder der Durchführung vermieden werden. Hier finde ich die Lösung, die z. B. bei den Vorschriften über Säuglingsnahrung gewählt wurde, für die zwei Richtlinien erlassen wurden, die je nach der Bestimmung des Produktes anwendbar sind, nicht sehr glücklich.
174. Der dritte Punkt betrifft die Vereinbarkeit der Beschlussfassungsverfahren.
175. Es besteht, wie sich aus dem Urteil Titandioxid ergibt, eine Ausnahme von der Hauptregel, dass eine doppelte Rechtsgrundlage nach Gemeinschaftsrecht zulässig ist. Es geht dabei um den Fall, dass herangezogene Bestimmungen des EG-Vertrags unterschiedliche und miteinander unvereinbare Beschlussfassungsverfahren kennen.
176. Parlament, Kommission und Rat sowie einige beteiligte Regierungen vertreten die Auffassung, dass eine Kumulierung der Artikel 95 EG und 133 EG möglich sei, weil sich diese wesentlich von dem Fall in der Rechtssache Titandioxid unterscheide. Nach Meinung der Klägerinnen sind hingegen die Gesetzgebungsverfahren, die der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Artikel 95 und 133 zu befolgen hat, miteinander unvereinbar. Auch die deutsche Regierung steht auf dem Standpunkt, dass die beiden Rechtsgrundlagen nicht miteinander zu vereinbaren sind. Der Umstand, dass die vorliegende Richtlinie nach dem Verfahren der Mitentscheidung erlassen worden sei, während nach Artikel 133 Absatz 4 EG der Rat allein beschließe, gefährde das Gleichgewicht der Organe.
177. Für die Beurteilung verweise ich zunächst auf die diesem Punkt geltenden Ausführungen im Urteil Titandioxid: Artikel 100a schreibt nämlich die Anwendung des in Artikel 149 Absatz 2 EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit vor, während die andere Bestimmung - Artikel 130s - eine einstimmige Beschlussfassung innerhalb des Rates nach einer bloßen Anhörung des Europäischen Parlaments vorschreibt. ... Im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit entscheidet der Rat [gewöhnlich] mit qualifizierter Mehrheit. ... Diesem wesentlichen Element des Verfahrens der Zusammenarbeit würde Abbruch getan, wenn der Rat wegen der gleichzeitigen Bezugnahme auf die Artikel 100a und 130s auf jeden Fall einstimmig entscheiden müsste. ... Das mit dem Verfahren der Zusammenarbeit verfolgte Ziel, die Beteiligung des Europäischen Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft zu stärken, wäre damit in Frage gestellt. Wie der Gerichtshof ... festgestellt hat, spiegelt diese Beteiligung auf Gemeinschaftsebene ein grundlegendes demokratisches Prinzip wider, nach dem die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind."
178. Im Wesentlichen sind zwei Elemente wichtig, nämlich die Möglichkeit, (in bestimmten Fällen) mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen, und die Vorrechte des Europäischen Parlaments. Diese beiden Elemente spielen im vorliegenden Fall keine Rolle. Zwar verweist Artikel 95 EG auf das Verfahren der Mitentscheidung und Artikel 133 EG nicht; das bedeutet jedoch nicht, dass beide Rechtsgrundlagen nicht gleichzeitig herangezogen werden können. Aus dem Urteil Titandioxid leite ich nämlich ab, dass dann wohl das Verfahren der Mitentscheidung angewandt werden muss. Sonst würde den Vorrechten des Europäischen Parlaments Abbruch getan.
179. Zum Standpunkt der deutschen Regierung bezüglich des Gleichgewichts der Organe weise ich auf Folgendes hin. Meines Erachtens beruht dieser Standpunkt auf einem unrichtigen Verständnis des Urteils Titandioxid. In der Entscheidung des Gerichtshofes spielt das Gleichgewicht der Organe eine wichtige Rolle. Der Gerichtshof stellt dabei aber einen unmittelbaren Zusammenhang her zwischen den Vorrechten des Europäischen Parlaments und den ihnen zugrunde liegenden demokratischen Grundsätzen.
180. Ich sehe nicht, welche Belange dadurch beeinträchtigt werden, wenn hier das Verfahren der Mitentscheidung zur Anwendung kommt. Es wird im Gegenteil das schwerste Gesetzgebungsverfahren gewählt, wodurch auch möglichst vielen Belangen Rechnung getragen werden kann. Unter dem Aspekt des Gleichgewichts der Organe scheint mir, wenn ein Verfahren im Gemeinschaftsrecht besteht, das darauf abzielt, ein optimales Gleichgewicht der Befugnisse zu erreichen, dies doch das Verfahren der Mitentscheidung zu sein. Der Vertrag hat den Vorrang dieses Verfahrens bekräftigt. In den jüngsten Vertragsänderungen von Amsterdam und Nizza hat man sich auch entschlossen, dieses Verfahren auf immer mehr Fälle anzuwenden.
181. Zum Schluss weise ich noch auf Folgendes hin. Sollte ein anerkanntes Interesse des Rates, allein zu beschließen, beeinträchtigt werden, so war es die Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers selbst - und damit auch die des Rates -, dieses Interesse nicht zu berücksichtigen. Denn der Gemeinschaftsgesetzgeber hätte dieselbe Technik wie bei der Regelung der Säuglingsnahrung anwenden und eine gesonderte Regelung für die Ausfuhr treffen können. Dass eine solche Technik nicht meine Billigung findet, hat damit nichts zu tun.
182. Zusammengefasst und auf die vorliegende Rechtssache bezogen, verbietet es die Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich nicht, dass neben Artikel 95 EG auch Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage herangezogen wird, wenn die Gesetzgebungsverfahren für beide Artikel miteinander vereinbar sind. Ob die Hinzufügung von Artikel 133 EG vorliegend aber möglich und auch notwendig war, hängt von der Zielsetzung ab, die der Gemeinschaftsgesetzgeber im Auge hatte.
F - Artikel 133 EG und die Ausfuhr von Produkten in Drittländer
183. Ich bin vorstehend zu dem Ergebnis gelangt, dass Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage für die Anwendung der Richtlinie auf die Produktion von Zigaretten unabhängig von deren Bestimmung herangezogen werden kann. Somit kann die ganze Richtlinie auf Artikel 95 gestützt werden. Da die Richtlinie aber zugleich Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage verwendet, ist eine Untersuchung der Frage erforderlich, ob dieser Artikel Rechtsgrundlage für die Beschränkung der Ausfuhr von Zigaretten aus der Europäischen Union sein kann. Ich weise darauf hin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber erst in diesem Verfahren - d. h. nachträglich - erklärt hat, die Ausfuhr auch tatsächlich regeln zu wollen. Am Ende dieses Abschnitts gehe ich auf die Frage ein, ob eine nachträgliche Begründung eine Regelung tragen kann. Im Übrigen gehe ich ähnlich vor wie in Abschnitt VI - D: Ich beginne mit einer kurzen Skizze des geltenden Gemeinschaftsrechts, untersuche dann die meines Erachtens weite Gesetzgebungsbefugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers und befasse mich schließlich mit der Frage, ob er sich innerhalb des ihm zugestandenen Spielraums gehalten hat.
1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
184. In der Sitzung des Gerichtshofes haben Parlament und Rat erklärt, dass die Richtlinie auch bezwecke, die Ausfuhr zu regeln. Deshalb sei Artikel 133 ihrer Meinung nach zu Recht als Rechtsgrundlage angefügt worden. Dieser Standpunkt wird von der Kommission und einigen der beteiligten Regierungen unterstützt. Dabei werden einige Argumente vorgebracht, die für die Beurteilung wichtig sind:
- Die britische Regierung sieht Artikel 133 EG als rechtmäßige Rechtsgrundlage an, weil die Artikel 3 und 7 der Richtlinie eindeutige Grundsätze der gemeinsamen Handelspolitik festlegten. Für die Produktion von Zigaretten für die Ausfuhr in Drittländer stelle Artikel 95 EG nur eine subsidiäre Rechtsgrundlage dar.
- Die niederländische Regierung weist auf die elfte Begründungserwägung hin, in der es heiße, dass die Ausfuhrregelung Teil der gemeinsamen Handelspolitik sei. Dass mit der Richtlinie zugleich nicht handelspolitische Ziele verfolgt würden (oder, soweit nicht unmittelbar verfolgt, doch betroffen seien), ändere daran nichts.
- Nach Auffassung der Kommission muss die Anwendung von Qualitätsstandards bei der Ausfuhr von Produkten als ein Handelsinteresse der Europäischen Union betrachtet werden, da damit verhindert werde, dass Produkte minderer Qualität auf dem Weltmarkt untergebracht würden. Bereits aus diesem Grund könne Artikel 133 als Rechtsgrundlage dienen.
185. Die wichtigsten Argumente gegen die Heranziehung von Artikel 133 EG sind folgende:
- Nach Auffassung der Klägerinnen soll die Befugnis der Gemeinschaft auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik als vornehmstes Ziel sicherstellen, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern nicht zu Störungen des innergemeinschaftlichen Handels führe.
- Die Klägerinnen verweisen darauf, dass Ziel der Richtlinie der Schutz der Gesundheit sei. Deshalb könne die Richtlinie nicht auf Artikel 133 EG gestützt werden. Artikel 133 EG gewähre eine Befugnis zur Förderung und nicht zur Beschränkung des Handels. Die griechische Regierung äußert sich ähnlich.
- In Fortführung dieser Richtung stellt die deutsche Regierung fest, dass auf Artikel 133 EG gestützte Maßnahmen darauf abzielen müssten, die Handelsströme mit Drittländern zu beeinflussen. Die Liberalisierung des Handels stehe im Vordergrund, nicht die Beschränkung. Beschränkende Maßnahmen seien aufgrund von Artikel 133 EG zwar zulässig, dann aber als Teil einer Regelung, die die Liberalisierung bezwecke.
- Sowohl die deutsche als auch die luxemburgische Regierung machen auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit in Drittländern als Folge der Richtlinie aufmerksam. Damit habe die Richtlinie eine exterritoriale Wirkung, weil es - angesichts des Fehlens internationaler Standards - Sache des Einfuhrlandes selbst sei, Gesundheitsnormen festzulegen.
2. Artikel 133 EG und die Ausfuhr von Produkten in Drittländer: eine kurze Skizze
186. Gemeinschaftsvorschriften, die sich auf Ausfuhrprodukte beziehen und auf Artikel 133 EG gestützt sind, kommen auf zahlreichen Gebieten vor und weisen unterschiedliche Ziele auf. Häufig liegen diesen Vorschriften internationale Übereinkünfte zugrunde. Ich nenne etwa Strafbestimmungen sowie Verordnungen, die die Ausfuhr von Drogen oder von nachgeahmten Produkten bekämpfen sollen. Zuweilen geht es auch um einseitige Gemeinschaftsgesetzgebung wie im Fall der Tabakrichtlinie. Ein jüngeres Beispiel ist die Rahmenverordnung für das Lebensmittelrecht, die nachstehend unter Nummer 190 zur Sprache kommt.
187. Übrigens kommen Regelungen über auszuführende Produkte auch außerhalb des Bereichs von Artikel 133 EG vor. Ein Beispiel aus dem Agrarbereich ist die Entscheidung der Kommission, mit der aufgrund einer Eilmaßnahme zur Bekämpfung von BSE ein Ausfuhrverbot für britisches Rindvieh und Rindfleisch verhängt wurde. Diese Maßnahme ist zugleich anwendbar auf die Ausfuhr in Drittländer. Das ist bemerkenswert, weil die maßgeblichen Ratsverordnungen sich nur auf den Binnenverkehr beziehen. Als Rechtfertigung für die Maßnahme ist das Risiko der Wiedereinfuhr anzusehen.
188. Drei Regelungen verdienen im Zusammenhang mit der Beurteilung der vorliegenden Rechtssache besondere Aufmerksamkeit.
189. Die Grundregeln für die Anwendung des Artikels 133 EG auf die Ausfuhr sind in der Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung festgelegt. Die Hauptregel des Artikels 1 bestimmt, dass die Ausfuhr grundsätzlich keinen mengenmäßigen Beschränkungen unterliegt. Artikel 11 bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zum Schutz eines der in Artikel 30 genannten Belange nationale Ausfuhrbeschränkungen festzulegen.
190. Artikel 133 EG ist die Rechtsgrundlage für gemeinsame Produktanforderungen bei der Ausfuhr in der - weiten - Rahmenverordnung für das Lebensmittelrecht. In dieser Verordnung steht der Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Bürgern der EG und von Drittländern im Zentrum. Lebensmittel, die zur Ausfuhr in Drittländer bestimmt sind und die dort in den Verkehr gebracht werden, müssen den geltenden Vorschriften des Lebensmittelrechts entsprechen, die für Produkte gelten, die für den Binnenkonsum bestimmt sind. Außerdem dürfen sie nicht gesundheitsschädlich sei, im Fall von Viehfutter nicht gefährlich.
191. Gerade im Hinblick auf die Regelung der Ausfuhr wurde die Richtlinie 92/52/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über Säuglingsanfangsnahrung und -folgenahrung zur Ausfuhr in Drittländer erlassen. Diese auf Artikel 133 EG gestützte Richtlinie stellt eine Ergänzung früherer Richtlinien dar, die (gleiche) Produktanforderungen bei für den Binnenmarkt bestimmter Säuglingsnahrung und -folgenahrung aufstellten. Ziel dieser Richtlinie ist der Schutz der Gesundheit von Säuglingen in Drittländern. Die betreffenden Produktanforderungen müssen mit den für den Binnenmarkt geltenden EG-Vorschriften oder mit den international anwendbaren Bestimmungen übereinstimmen, die im Rahmen des Codex alimentarius festgelegt wurden.
192. Zusammengefasst können aufgrund von Artikel 133 EG Vorschriften in Verfolgung verschiedener Ziele Anforderungen an auszuführende Produkte gestellt werden. Es geht dabei sicherlich nicht um Handelspolitik im engen Sinne der Handelsförderung, sondern gerade auch um Maßnahmen, die die Ausfuhr bestimmter Produkte in Verfolgung anderer Ziele von allgemeinem Interesse beschränken.
3. Beurteilung der Befugnis aus Artikel 133 EG
193. Die erste Frage, die zu beantworten ist, geht dahin, ob Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage einer Regelung dienen kann, die in erster Linie die öffentliche Gesundheit im Auge hat. Im Kern ist diese Frage keine andere als die, die zu Artikel 95 EG vorgelegt wurde. Die Frage lautet mit anderen Worten, ob auch Artikel 133 EG als funktionale Befugnis zu verstehen ist, die der Gemeinschaftsgesetzgeber benötigt, um Maßnahmen mit externer Wirkung treffen zu können.
194. Nach der Rechtsprechung kann die Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers weit ausgelegt werden. Ich greife auf das Gutachten 1/78 des Gerichtshofes zurück: Artikel 113 EWG-Vertrag darf somit nicht in einer Weise ausgelegt werden, die dazu führen würde, die gemeinsame Handelspolitik auf den Gebrauch der Instrumente zu beschränken, deren Wirkung ausschließlich auf die herkömmlichen Aspekte des Außenhandels gerichtet ist." Der Gerichtshof führte weiter aus, dass die in Artikel 113 enthaltene Aufzählung der Gegenstände der Handelspolitik ... als eine nicht abschließende Aufzählung gedacht ist". Wenn auch anzunehmen ist, dass der beherrschende Gedanke zur Zeit der Ausarbeitung des Vertrages der der Liberalisierung des Handelsverkehrs war", spielen nach und nach auch andere Ziele eine Rolle, wie etwa die Entwicklungsproblematik zeigt.
195. Dieses Gutachten zeigt, dass Artikel 133 EG nicht nur bezweckt, den Handel der Europäischen Union mit Drittländern zu fördern. Bei der Anwendung des Artikels 133 EG müssen auch andere öffentliche Interessen eine Rolle spielen können, womit der Gemeinschaftsgesetzgeber qualitative Randbedingungen für den Handel festlegen kann. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes bekräftigt damit die weite Auslegung des Begriffes der gemeinsamen Handelspolitik, wie sie sich aus der Praxis der Gemeinschaftsgesetzgebung ergibt.
196. Die Berechtigung, andere schwerwiegende öffentliche Interessen eine Rolle spielen zu lassen, lässt sich auch aus der Verordnung Nr. 2603/69 ableiten. Die Verordnung ermächtigt die Mitgliedstaaten, zum Schutz eines der in Artikel 30 genannten öffentlichen Interessen die Ausfuhr zu beschränken. Allein die Existenz dieser Befugnis der Mitgliedstaaten zeigt, dass es auch möglich sein muss, dass die Wahrnehmung dieser Interessen Anlass für ein Tätigwerden der Gemeinschaft ist. Das einseitige Tätigwerden der Mitgliedstaaten kann nämlich die gemeinsame Handelspolitik - eine ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft - durchkreuzen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber muss im Interesse des Handels diese einseitigen nationalen Maßnahmen durch eigenes Tätigwerden ersetzen können. Andererseits sollte ein Tätigwerden der Gemeinschaft auch nicht zur Folge haben, dass andere öffentliche Interessen weniger gut geschützt werden. Wo es um den Schutz der öffentlichen Gesundheit geht, wird die Pflicht aus Artikel 152 Absatz 1 wichtig, bei jedem Tätigwerden der Gemeinschaft ein hohes Schutzniveau sicherzustellen. Auch hier drängt sich der Vergleich mit dem Binnenverkehr auf. Gerade weil Artikel 30 die Möglichkeit von Handelshemmnissen schafft, muss die Gemeinschaft - auf der Grundlage von Artikel 95 EG - tätig werden können.
197. Die Befugnis zum externen Tätigwerden der Europäischen Gemeinschaft aufgrund von Artikel 133 EG gleicht kurz gesagt weitgehend der Befugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers nach Artikel 95 EG zum internen Tätigwerden. Auch hier geht es um eine funktionale Befugnis.
198. In diesem Zusammenhang weise ich noch darauf hin, dass auch Artikel XX des GATT-Abkommens im Hinblick auf bestimmte öffentliche Interessen wie den Schutz der öffentlichen Gesundheit Ausnahmen festlegt. Das ist auch logisch. Die Förderung des Freihandels bedeutet, dass es auch möglich sein muss, Randbedingungen für den Handel festzulegen. Es ist falsch, die Randbedingungen mit Handelshemmnissen zu verwechseln, wie dies anscheinend die Klägerinnen tun.
199. Die deutsche und die luxemburgische Regierung stellen die exterritoriale Wirkung der Richtlinie in dem Sinne heraus, dass Anforderungen an die Ausfuhr von Zigaretten im Kern auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit in Drittländern hinauslaufen. Ich teile die Auffassung dieser Regierungen, dass der Schutz - jedenfalls in erster Linie - Sache der Regierungen der Einfuhrstaaten ist. Die Frage ist aber die, ob das bedeutet, dass dann an die Ausfuhr keine Anforderungen mehr gestellt werden dürfen.
200. Diese Frage gehört zum heiklen Bereich der exterritorialen Schutzmaßnahmen. Die Meinungen zur Zulässigkeit solcher Maßnahmen gehen stark auseinander, je nachdem, welche Bedeutung man dem Begriff der Handelspolitik beimisst. Der Gerichtshof hat sich noch nicht expressis verbis zur Zulässigkeit solcher Maßnahmen geäußert. Auch im Rahmen der Welthandelsorganisation besteht in diesem Punkt keine Eindeutigkeit, jedenfalls nicht, wenn es um Ausfuhrvorschriften geht.
201. Ich beantworte die Frage folgendermaßen. Die Anforderungen, die an Ausfuhrprodukte gestellt werden, können in drei Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe betrifft Anforderungen, die sich aus internationalen Abkommen ergeben, die zweite Gruppe bilden einseitige Anforderungen der Gemeinschaft für den Binnenmarkt, die auch für die Ausfuhr gelten, und zur dritten Gruppe gehören Anforderungen, die ausschließlich für die Ausfuhr gelten.
202. Nach meiner Auffassung sind die Anforderungen, die zur ersten und zur zweiten Gruppe gehören, im Allgemeinen wegen der weiten Auslegung des Begriffes der gemeinsamen Handelspolitik sowohl in der Rechtsprechung des Gerichtshofes als auch in der Gesetzgebungspraxis zulässig.
203. Was die erste Gruppe angeht, so ist jedenfalls nichts gegen exterritoriale Schutzmaßnahmen einzuwenden, wenn sie auf internationalen Standards beruhen. Artikel 133 EG ist das Instrument, mit dem die Gemeinschaft internationale Übereinkünfte, die den Handel betreffen, durchführen kann. Diese Art Standards bildet die Grundlage der Durchführungsregelung für Säuglingsnahrung.
204. Damit komme ich zu der zweiten Gruppe von Anforderungen, zu der die Anforderungen in der Tabakrichtlinie gerechnet werden können. Der Gemeinschaftsgesetzgeber darf die Ausfuhr minderwertiger Waren verbieten, die auch auf dem Binnenmarkt nicht zugelassen sind. Es ist vor allem für die Glaubhaftigkeit des Handels wichtig, dass keine minderwertigen Produkte auf den Markt gelangen dürfen. Für den Binnenmarkt hat der Gerichtshof diesen Beweggrund in seinem Urteil Alpine Investment anerkannt. Es spielt dabei keine Rolle, ob es um untaugliche oder gefährliche Produkte geht oder - wie im vorliegenden Fall - um Produkte mit Gefahren für die Gesundheit. In diesem Sinne bin ich mit dem in Nummer 184 angeführten Vorbringen der Kommission einverstanden. Diese Überlegung liegt dem Verbot zugrunde, schädliche Lebensmittel auszuführen.
205. Konkret bedeutet meine Auffassung, dass die Frage der Zulässigkeit exterritorialer Schutzmaßnahmen nur noch einer Antwort bedarf bei einseitigen Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft (oder eines Mitgliedstaats), die sich allein auf die Ausfuhr beziehen, nicht aber auch auf den Binnenmarkt. Angesichts des Inhalts der Tabakrichtlinie kann die Frage vorliegend beiseite gelassen werden.
4. Grenzen der Befugnis
206. In seinem Gutachten zum Protokoll von Cartagena weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine weite Auslegung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht dazu führen darf, dass ein Großteil der besonderen Vertragsbestimmungen über die - hier betroffene - Umweltpolitik dadurch sinnlos wird, dass Artikel 133 EG anwendbar ist, sobald feststehen sollte, dass das Tätigwerden der Gemeinschaft Auswirkungen auf den Handelsverkehr haben könnte. Dieser Standpunkt des Gerichtshofes ist übrigens nur in solchen Fällen von Bedeutung, in denen die Wahl einer Rechtsgrundlage wegen der Verschiedenheit der Verfahren erforderlich ist. In diesen Fällen muss ermittelt werden, auf welchem Gebiet sich eine Regelung hauptsächlich bewegt. Häufig ist aber auch eine Kumulierung von Rechtsgrundlagen möglich.
207. Dieses Gutachten betraf die Grenze zwischen der gemeinsamen Handelspolitik und den Befugnissen der Gemeinschaft bezüglich besonderer öffentlicher Interessen. Es bedarf noch einer zweiten Grenzziehung, nämlich der zwischen der gemeinsamen Handelspolitik im Sinne des Handels mit Drittländern und dem Binnenmarkt.
208. Dem Gerichtshof zufolge reicht der bloße Umstand, dass eine Maßnahme auch die Einfuhr in die Gemeinschaft betrifft, nicht aus, Artikel 133 anwendbar zu machen. In dieser Sache ging es um eine einseitige Regelung des Handels mit bestimmten Fleischwaren. Der einzige Grund, weshalb auch die Einfuhr betroffen war, war der, dass die Maßnahme nicht zwischen Produkten mit Ursprung in Drittländern und Produkten mit Ursprung in der Europäischen Gemeinschaft unterschied. Was für die Einfuhr gilt, gilt meines Erachtens auch für die Ausfuhr. Der bloße Umstand, dass eine für den Binnenmarkt geltende Produktvorschrift Anwendung auf Produkte findet, die für die Ausfuhr in Drittländer hergestellt werden, impliziert nicht automatisch, dass Artikel 133 als Rechtsgrundlage herangezogen werden darf.
209. Die Verordnung, die die Einfuhr von Agrarprodukten in die EU im Zusammenhang mit dem Unfall von Tschernobyl regelte, konnte demgegenüber sehr wohl auf Artikel 133 EG gestützt werden. Der Gerichtshof stützte sich vor allem auf das Ziel der Verordnung. Die Gemeinschaftsvorschriften dienten dazu, die Gesundheit des Verbrauchers sicherzustellen, die Einheit des Marktes aufrechtzuerhalten und einer Verlagerung des Handelsverkehrs vorzubeugen, ohne den Handel zwischen der Gemeinschaft und Drittländern unnötig zu behindern.
210. Im Gutachten des Gerichtshofes vom 15. November 1994 war die Befugnis der EG zum Abschluss des TRIPs-Übereinkommens zu beurteilen. Hier vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass die Immaterialgüterrechte nicht in besonderem Zusammenhang mit dem Außenhandel stuenden, sondern ebenso, wenn nicht mehr, mit dem Binnenmarkt. Damit war Artikel 133 in diesem Fall keine geeignete Rechtsgrundlage.
211. Ich fasse zusammen. Die Begrenzung des Artikels 133 EG hat zwei Dimensionen. Die erste Grenze ist weit gezogen: Artikel 133 EG kann für andere öffentliche Interessen als das Interesse des internationalen Handels an sich herangezogen werden. Die Ausübung der Befugnis darf aber nicht in Widerspruch zu besonderen, den Gemeinschaftsorganen zuerkannten Befugnissen geraten. Die zweite Grenze ist enger gezogen. Bezweckt eine Regelung hauptsächlich die Regelung des Binnenhandels, dann ist Artikel 133 nicht anwendbar, auch wenn ein- oder ausgeführte Produkte mitbetroffen sind.
212. Nunmehr befasse ich mich mit den Befugnissen nach Artikel 95 EG und Artikel 133 EG als vergleichbaren, ergänzenden Befugnissen. Was Artikel 95 EG für den Binnenmarkt, ist Artikel 133 EG für den externen Markt. Artikel 133 kann nur als Rechtsgrundlage für eine Regelung dienen, die auch tatsächlich den externen Markt betrifft und bei der die Folgen für den externen Handel mehr als Nebenwirkungen sind.
5. Beurteilung der Richtlinie
213. Nehme ich als Ausgangspunkt die von Parlament und Rat in der Sitzung - also nachträglich - gegebene Begründung, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass Artikel 133 EG für die externe Wirkung als Rechtsgrundlage dienen kann. Hierbei ist für mich der Gegenstand der Regelung entscheidend. Konkret bezweckt der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Produktionsverbot, die Ausfuhr von Zigaretten in Drittländer tatsächlich an Vorschriften zu binden.
214. Diese Beurteilung wird von folgenden Erwägungen getragen:
- Artikel 133 EG entspricht eine funktionale Befugnis, die ausgeübt werden kann, um qualitative Randbedingungen für die Ausfuhr festzulegen;
- die exterritoriale Wirkung der Schutzmaßnahmen wird durch ihren Inhalt gerechtfertigt, insbesondere dadurch, dass lediglich die Ausfuhr von Zigaretten geringer Qualität verboten wird, die auf dem Binnenmarkt nicht zulässig sind;
- eine Kumulation der Rechtsgrundlagen der Artikel 95 EG und 133 EG ist grundsätzlich möglich;
- die Regelung bezieht sich tatsächlich auf den externen Markt. Die externen Wirkungen sind mehr als Nebenwirkungen.
215. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch sagen, dass die vorliegende Richtlinie, soweit es um die externe Wirkung geht, mit anderen Produktregelungen vergleichbar ist, deren Regelungsgegenstand der Schutz der öffentlichen Gesundheit der Bürger von Drittländern ist. Ich habe vorstehend die Rahmenrichtlinie für Lebensmittel und die Regelung für Säuglingsnahrung erwähnt.
216. Ich halte mich indessen für an die Begründung des Gemeinschaftsgesetzgebers in der elften Begründungserwägung gebunden. Denn nach ständiger Rechtsprechung zu Artikel 253 EG muss die Begründung die Überlegungen des Gemeinschaftsgesetzgebers so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen die Gründe für die erlassene Maßnahme erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. Angesichts dieser Funktion der Begründungspflicht reicht es nicht, wenn eine Begründung nachträglich erfolgt, falls zufällig eine Frage beim Gerichtshof anhängig geworden ist. Zwar kann in einem Verfahren beim Gerichtshof die Begründung vom Gemeinschaftsgesetzgeber verdeutlicht werden, das bedeutet indessen nicht, dass eine ganz neue Rechtfertigung vorgebracht werden darf.
217. Nach der elften Begründungserwägung soll, wie bereits in Nummer 86 gesagt, die Anwendung auf die Ausfuhr gewährleisten, dass die Vorschriften des Binnenmarktes nicht unterlaufen werden. Damit sind aber die Folgen der Richtlinie für den externen Handel nicht mehr als Nebenwirkungen. Diese Wirkungen sind eine Folge der Regelung für den Binnenmarkt, und schon aus diesem Grund kann Artikel 133 EG nicht als Rechtsgrundlage dienen.
218. Ziel der Regelung ist nach der Begründungserwägung nämlich nicht, den Zigarettenhandel mit Drittländern zu beschränken. Die Regelung darf dann auch nicht als Teil der gemeinschaftlichen Handelspolitik betrachtet werden. Dass die Regelung gleichwohl Folgen für den Handel mit Drittländern hat, ändert daran nichts. Ich verweise hierzu auf die Formulierung des Gerichtshofes im Urteil Biotechnologie. Kurz gesagt: Die Anwendbarkeit auf auszuführende Zigaretten ist ein beiläufiges oder ergänzendes Ziel der Richtlinie und entspricht nicht ihrem Geltungsgrund.
219. All dies veranlasst mich zu dem Schluss, dass Artikel 133 EG zu Unrecht als weitere Rechtsgrundlage für die Richtlinie dient. Auch die Ausfuhrregelung kann und muss auf Artikel 95 EG gestützt werden.
G - Die Rechtsfolge einer unrichtigen Heranziehung des Artikels 133 EG
220. Damit stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge für diesen Formfehler gilt: Führt er zur Nichtigkeit der Richtlinie? Ich möchte diese Frage verneinen, bleibt doch auch nach Wegfall des Artikels 133 EG als Rechtsgrundlage mit Artikel 95 EG eine ausreichende Rechtsgrundlage bestehen. Auch nach der Entstehungsgeschichte ist die Auffassung gerechtfertigt, dass Artikel 133 irrtümlich zusätzlich als Rechtsgrundlage aufgeführt wurde. Da nun diese überfluessige Rechtsgrundlage wegfällt, bleibt die ursprüngliche Rechtsgrundlage übrig.
221. Darüber hinaus bedeutet dieser Formfehler nur, dass die Richtlinie unzutreffend begründet ist. Eine Unrichtigkeit in den Begründungserwägungen einer Richtlinie darf nicht mit einem Mangel in den Vorschriften selbst verwechselt werden. Ein Fehler in den Vorschriften bewirkt, dass die betreffende Bestimmung nicht angewandt werden darf. In einem solchen Fall ist der Gerichtshof gehalten, eine Richtlinie ganz oder teilweise für nichtig zu erklären. Eine Unrichtigkeit der Begründungserwägungen bedeutet nur, dass die betreffende Erwägung oder diese Rechtsgrundlage die Regelung nicht stützen kann. Der Gerichtshof hat dann zu entscheiden, ob auch ohne diese Erwägung oder Rechtsgrundlage eine ausreichende Begründung vorliegt.
222. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Aufrechterhaltung einer Richtlinie wie der vorliegenden trotz eines Begründungsmangels kein Anreiz für den Gemeinschaftsgesetzgeber zu sein braucht, eine möglichst breite Begründung zu liefern. Jede Begründung bleibt immer der Überprüfung durch den Gerichtshof unterworfen. Dabei geht der Gerichtshof natürlich von einem Wesensmerkmal des Gemeinschaftsrechts aus, dass nämlich der EG-Vertrag dem Gemeinschaftsgesetzgeber abschließend eine Reihe von Befugnissen zuweist. Die Zuweisung bildet den Kern der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Der richtige Gebrauch der Befugnisse steht unter strenger Kontrolle des Gemeinschaftsrichters. Nicht umsonst legt Artikel 7 EG als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts fest, dass sich ein Organ innerhalb der Grenzen der ihm zuerkannten Befugnisse halten muss.
VII - Beantwortung der ersten Frage: mögliche Verletzung von Rechtsgrundsätzen
223. Auch wenn sich zeigt, dass die richtige Rechtsgrundlage gewählt wurde, steht damit die Gültigkeit der Richtlinie noch nicht fest. Es können andere Gründe für eine Ungültigkeit, etwa die Verletzung von Rechtsgrundsätzen, vorliegen. Das vorlegende Gericht fragt danach in den Teilen c bis g seiner ersten Frage. In der vorliegenden Sache messe ich der denkbaren Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das größte Gewicht bei, weil nur im Zusammenhang mit diesem Rechtsgrundsatz ernsthafte Zweifel an der Gültigkeit aufkommen können. Bei den anderen Rechtsgrundsätzen, die zur Diskussion stehen, liegt es auf der Hand, dass sie diese Rechtsfolge nicht - jedenfalls nicht selbständig - herbeiführen können. Das gilt auch für das Eigentumsrecht, unbeschadet der ausführlicheren Erörterung, die ich ihm widmen werde.
A - Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
224. Zunächst ermittle ich die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Richtlinie als Ganze. Sodann gehe ich insbesondere auf die Verhältnismäßigkeit der Vorschriften ein, die für die Ausfuhr von Zigaretten gelten, und zum Schluss wird die Verhältnismäßigkeit von Artikel 7 der Richtlinie an die Reihe kommen.
1. Allgemeine Beurteilung
225. Die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes weist in der vorliegenden Rechtssache mehrere Elemente auf. An erster Stelle steht Folgendes: Die Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers, öffentliche Interessen angemessen zu schützen, ist beim Schutz der öffentlichen Gesundheit unumstritten. Darin unterscheidet sich der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht vom nationalen Gesetzgeber. Wie auch die Kommission im vorliegenden Verfahren betont, ist die richterliche Prüfung beschränkt. Es darf lediglich geprüft werden, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber die Grenzen seiner Befugnis nicht überschritten hat. Eine der Grenzen ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ich verweise auf die Nummern 120 und 121 dieser Schlussanträge.
226. In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hahn habe ich auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes hingewiesen, der zufolge Gesundheit und Leben von Menschen unter den in Artikel 30 geschützten Gütern und Interessen den ersten Rang einnehmen. Es ist bei fehlender erschöpfender Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen. Sie haben dabei einen weiten Spielraum, müssen jedoch den Erfordernissen des freien Warenverkehrs Rechnung tragen. Insbesondere fällt eine nationale Regelung oder Handlungsweise nicht unter die Ausnahmeregelung des Artikels 30 EG, wenn die öffentliche Gesundheit genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.
227. Die Besonderheit des Schutzes der öffentlichen Gesundheit kommt auch in Artikel 152 Absatz 1 EG-Vertrag zum Ausdruck, der bestimmt, dass die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes Teil der Politik der Gemeinschaft auf anderen Gebieten sind. Der Gerichtshof hat die Bedeutung dieser Bestimmung u. a. im Zusammenhang mit der gemeinschaftlichen Agrarpolitik unterstrichen.
228. In den Schlussanträgen in der Rechtssache Hahn habe ich den Vorsorgegrundsatz erörtert. Der Vorsorgegrundsatz und der Grundsatz der Vorbeugung sind in den Umwelttitel des EG-Vertrags aufgenommen worden, werden aber vom Gerichtshof auch als Grundsätze anerkannt, die Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zugrunde liegen können. So billigte der Gerichtshof diese Grundsätze als Grundlage von Gesetzgebungsmaßnahmen zum Schutz gegen BSE.
229. Der Schutz der öffentlichen Gesundheit ist kurz gesagt ein öffentliches Interesse, das der Gesetzgeber vollständig wahren können muss. Dieses öffentliche Interesse wiegt so schwer, dass bei der Abwägung durch den Gesetzgeber andere Interessen wie die Freiheit der Marktteilnehmer ihm untergeordnet werden dürfen. Das gilt sowohl für den nationalen Gesetzgeber wie für den der Gemeinschaft, soweit dieser den Schutz der öffentlichen Gesundheit vom nationalen Gesetzgeber übernommen hat.
230. In diesem Licht sehe ich auch die Wirkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dieser Grundsatz besagt nicht, dass zwei Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen, sondern bezieht sich nur auf die Wahl der Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Ist diese Maßnahme geeignet, und ist keine andere - weniger einschränkende - Maßnahme ersichtlich, die die öffentliche Gesundheit ebenso gut schützt? Der Gemeinschaftsrichter prüft diese Fragen in beschränktem Umfang nach.
231. Für mich liegt es auf der Hand, dass die Pflichten, die die vorliegende Richtlinie schafft, diese Kriterien erfuellen. Mehr noch, die betreffenden Vorschriften scheinen mir hervorragend geeignet zu sein, einen Beitrag zu dem angestrebten Ziel, dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, zu leisten. Mit Maßnahmen, die bezwecken, das Rauchen (und dessen Folgen) zu beschränken, strebt der Gesetzgeber ein Gleichgewicht zwischen Maßnahmen an, die auf der einen Seite Nägel mit Köpfen machen und von denen auf jeden Fall erwartet werden kann, dass sie effektiv sind, und auf der anderen Seite die Gegebenheit berücksichtigen, dass der Tabakkonsum nicht insgesamt verboten werden kann, dass jedenfalls ein solches Verbot zu einem umfangreichen illegalen Handel führen dürfte. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber scheint es vorliegend gelungen zu sein, das Gleichgewicht herzustellen. Eine weniger beschränkende Maßnahme, die die öffentliche Gesundheit ebenso gut schützen würde, ist mir nicht ersichtlich.
2. Beurteilung der Anwendbarkeit auf die Ausfuhr
232. Insbesondere hat der Gerichtshof die Verhältnismäßigkeit der Anwendbarkeit (von Artikel 3) der Richtlinie auf Zigaretten zu prüfen, die zur Ausfuhr aus der Europäischen Union bestimmt sind. Vorstehend habe ich festgestellt (Nrn. 213 ff.), dass dieses Verbot in erster Linie bezweckt, den illegalen Handel mit Zigaretten in der Europäischen Union einzudämmen. Damit stellt sich die Frage, ob dieses Ziel nicht ebenso gut mit Maßnahmen hätte erreicht werden können, die den Handel weniger beschränken. Nach Auffassung der Klägerinnen widerspricht das Verbot des Artikels 3 der Richtlinie für die Produktion und damit die Ausfuhr von Zigaretten, die nicht entsprechend dem vorgeschriebenen Hoechstgehalt in der Gemeinschaft hergestellt wurden, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
233. Die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme steht nicht ohne weiteres fest. Es besteht eine Asymmetrie zwischen Inhalt und Wirkung der Maßnahme und dem mit ihr verfolgten Ziel. Denn wir dürfen davon ausgehen, dass die Ausfuhr von Zigaretten normalerweise zum Zweck des Verkaufs und auch des Konsums in Drittländern erfolgt und dass der Konsum in den meisten Fällen auch tatsächlich dort stattfindet. Die Ausfuhr wird nun insgesamt wegen des Eintritts einer Nebenfolge, des illegalen Handels mit diesen Zigaretten in der Europäischen Union selbst, Erfordernissen unterworfen.
234. Als Erstes ziehen sowohl die Klägerinnen als auch die deutsche Regierung die Geeignetheit der Maßnahme in Zweifel. Sie stellen einen Vergleich mit dem Ausfuhrverbot für Rinder aus dem Vereinigten Königreich im Zusammenhang mit der BSE-Ansteckung an, das vom Gerichtshof im Urteil Vereinigtes Königreich/Kommission aufrechterhalten wurde. Ihrer Meinung nach war das Verbot in jenem Fall ganz geeignet für das angestrebte Ziel, weil sich die Quelle des Gesundheitsrisikos, das die Maßnahme bekämpfen sollte, im Vereinigten Königreich befand, während sich die Quelle in unserem Fall größtenteils außerhalb der Europäischen Union befindet. Der Rat bemerkt zu dieser Argumentation am Rande, dass die Maßnahme, um die es in der BSE-Sache gegangen sei, auch beträchtlich weiter gegangen sei als die Tabakrichtlinie. Wenn mit anderen Worten die Tabaksrichtlinie nicht geeignet sei, ein Gesundheitsrisiko effektiv und vollständig zu bannen, begnüge sich der Gemeinschaftsgesetzgeber hier mit einer beschränkteren Maßnahme.
235. Meines Erachtens gehen die Klägerinnen und die deutsche Regierung bei ihrer Prüfung der Geeignetheit der Maßnahme von einem falschen Ausgangspunkt aus. Wenn das Ziel darin besteht, den illegalen Konsum von Zigaretten zu bekämpfen, die nicht den Erfordernissen der Gemeinschaft genügen, soll die Maßnahme wegen des Ursprungs eines großen Teils der Zigaretten außerhalb der Europäischen Union nicht geeignet sein. Die Maßnahme hat aber ein viel begrenzteres Ziel, nämlich zu verhindern, dass die Binnenmarktregeln dadurch untergraben werden, dass Zigaretten, die in der Europäischen Union hergestellt werden, aber dort nicht gehandelt werden dürfen, doch in den Handel gelangen. Bei diesem beschränkten Ziel steht die Geeignetheit fest.
236. Die Frage, ob sich in diesem Fall nicht eine weniger beschränkende Maßnahme angeboten hätte, ist meines Erachtens schwerer zu beantworten. In diesem Punkt ist die Randbemerkung des Rates von Bedeutung. Ich bin mit dieser Bemerkung nicht ganz einverstanden, weil die Maßnahme in ihrer Reichweite nicht beschränkt ist. Sie führt, wie gesagt, zu einem vollständigen Verbot der Ausfuhr von Zigaretten, die die Erfordernisse nicht erfuellen. Dem steht gegenüber - und das halte ich für wichtiger -, dass die Bedeutung des Verbotes auch nicht überschätzt werden darf: Eine Reihe von Einfuhrländern haben für Zigaretten gleiche - oder strengere - Erfordernisse aufgestellt, die Aufstellung internationaler Vorschriften für Zigaretten ist in Vorbereitung, und außerdem kann der Umstand, dass die Europäische Union sicherstellt, dass keine minderwertigen Zigaretten auf den Weltmarkt gelangen, auch das Vertrauen vergrößern, das die Verbraucher in Drittländern in europäische Zigaretten setzen.
237. Für mich steht fest, dass ein Produktionsverbot erforderlich ist, um das Ziel der Maßnahme zu erreichen. Ich weise erneut darauf hin, dass
- die Gefahr der Entstehung eines illegalen Marktes beträchtlich ist, sei es aufgrund der Wiedereinfuhr, sei es dadurch, dass Produkte unmittelbar auf den illegalen Markt gelangen;
- ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich ist, um dem entgegenzutreten. Einseitige nationale Maßnahmen sind im Hinblick auf die Kontrolle nicht effektiv;
- einseitige nationale Maßnahmen darüber hinaus zu einer spürbaren Störung des Binnenmarktes führen.
238. Mir ist nicht ersichtlich, welche weniger weitreichende Maßnahme denselben Schutz bieten könnte wie ein Produktionsverbot. Als weniger weitreichende Maßnahme ließe sich z. B. eine Pflicht denken, die Produktionsströme zu trennen, gegebenenfalls ergänzt durch eine umfängliche Beweisführung durch den Produzenten, dass die Zigaretten auch tatsächlich ausgeführt wurden. Wie immer auch die Effektivität solcher Maßnahmen aussehen würde, sie können nie das Entstehen eines illegalen Marktes ganz verhindern. Denn ein Teil des illegalen Warenstroms hat seinen Ursprung in der Wiedereinfuhr. Unterstellt, bei gut durchführbaren Gemeinschaftsvorschriften würde die Situation erreicht, dass alle - oder nahezu alle - für die Ausfuhr bestimmten Zigaretten auch tatsächlich ausgeführt werden, dann würde das die Anziehungskraft nur der illegalen Wiedereinfuhr noch steigern.
3. Beurteilung des Artikels 7
239. Die Klägerinnen, Japan Tobacco und die griechische Regierung ziehen die Verhältnismäßigkeit der Regelung des Artikels 7, wie sie in der 27. Begründungserwägung erläutert wird, in Zweifel. Ihr Vorbringen geht in erster Linie dahin, dass die Maßnahme für den Schutz der Gesundheit nicht geeignet sei, und zweitens dahin, dass eine weniger belastende Maßnahme möglich wäre.
240. Das wichtigste Argument bezüglich der Eignung des Artikels 7 lautet, dass dieser Artikel im Widerspruch zu den Artikeln 3 und 5 der Richtlinie stehe. Im Kern heißt das, dass, wenn die Artikel 3 und 5 Maßnahmen treffen, die darauf abzielen, dass der Raucher leichtere Zigaretten wählt, Artikel 7 gerade dazu führt, dass er bei dieser Wahl behindert wird. Japan Tobacco führt in diesem Zusammenhang aus, dass die - auch Zeichen genannten - Angaben, die Artikel 7 verbietet, einem nützlichen Ziel dienen, weil sie dem Verbraucher Informationen zum Teer- und Nikotingehalt verschaffen. Wenn Artikel 7 den Gebrauch dieser Zeichen verbiete, würden damit dem Verbraucher Informationen vorenthalten.
241. All dies führt dazu, dass diese Maßnahme nicht geeignet sein soll, die öffentliche Gesundheit zu schützen. Dieses Vorbringen wird insbesondere durch die Feststellung widerlegt, dass die durch Artikel 7 verbotenen Angaben keine objektive Information enthalten, sondern den Verbraucher zu der irrigen Annahme verleiten, dass ein bestimmtes Tabakerzeugnis weniger schädlich sei als andere Produkte.
242. Dieser Auseinandersetzung liegt u. a. eine Meinungsverschiedenheit in der Frage zugrunde, inwieweit Zigaretten mit einem schwachen Teergehalt weniger schädlich sind als Zigaretten mit einem höheren Teergehalt. Die in diesem Verfahren vorgebrachten Tatsachen und Beweise beseitigen diese Meinungsverschiedenheit nicht. Auf der einen Seite scheint mir durchaus festzustehen, dass eine Zigarette mit schwachem Teergehalt an sich weniger schädlich ist als eine Zigarette mit höherem Teergehalt. Auch für den Gemeinschaftsgesetzgeber war dies der Ausgangspunkt. Deshalb wurde in Artikel 3 der Richtlinie der Teerhöchstgehalt heruntergesetzt. Die fünfte Begründungserwägung stellt auch nachdrücklich einen Zusammenhang zwischen dieser Herabsetzung und der karzinogenen Wirkung her. Andererseits hat u. a. die Kommission in diesem Verfahren vorgebracht, dass Zigaretten mit geringem Teergehalt doch einen hohen Gehalt an anderen Schadstoffen aufwiesen und deshalb immer noch schädlich seien. Außerdem ist es nicht unvorstellbar, dass ein Raucher mehr Zigaretten raucht, wenn diese einen geringeren Teergehalt haben. Ich verweise auf die 27. Begründungserwägung der Richtlinie: Auch die Gewohnheiten und das Maß der Abhängigkeit der Raucher und nicht nur der Gehalt bestimmter Stoffe in dem Erzeugnis vor dem Verbrauch können das Ausmaß der inhalierten Stoffe bestimmen." Es ist kurz gesagt zu bezweifeln, ob das Umsteigen von Rauchern schwerer Zigaretten auf weniger schwere immer zu einer merklichen Gesundheitsverbesserung führt.
243. Im Zusammenhang hiermit ist ein zweiter Punkt umstritten: die Auswirkung der Maßnahme auf die öffentliche Gesundheit, die zu erwarten ist. Die Meinungen zu dieser Erwartung sind unterschiedlich, wie sich aus den Erklärungen der einzelnen Verfahrensbeteiligten ergibt. Es wundert mich auch nicht, dass kein übereinstimmendes Erwartungsmuster besteht, geht es doch um die Frage, inwieweit der rauchende Verbraucher sein Verhalten infolge des Verschwindens von Hinweisen wie leicht" und mild" anpasst.
244. Beide Streitpunkte bestimmen den Kontext dieser Maßnahme. Um die Frage nach der Eignung als Schutzmaßnahme zugunsten der öffentlichen Gesundheit richtig beantworten zu können, gehe ich näher auf den Inhalt der Maßnahme selbst ein.
245. Zunächst wird die Möglichkeit der Verschaffung objektiver Informationen über die Zusammensetzung von Tabakerzeugnissen nicht beschränkt. Zweitens - und darauf weist u. a. die französische Regierung hin - verbietet Artikel 7 der Richtlinie nicht alle Aufmachungen und Benennungen von Zigaretten, die den Verbraucher verführen und sein Vertrauen gewinnen können, sondern nur Hinweise, die suggerieren, dass ein bestimmtes Tabakerzeugnis weniger schädlich sei als andere Erzeugnisse. Es geht mit anderen Worten um ein Verbot suggestiver Hinweise, die Verwirrung beim Verbraucher stiften können. Diese Hinweise werden verwendet, um verschiedene Eigenschaften von Zigaretten zu unterstreichen, bisweilen sogar, ohne dass eine Verbindung mit dem Teergehalt einer Zigarette besteht. So kann mild", wie die niederländische Regierung in der Sitzung ausführte, auch als Andeutung einer Geschmacksempfindung gesehen werden. Ich nenne noch ein zweites Element möglicher Verwirrung: Selbst leichtere" Zigaretten haben einen Teergehalt. Raucher könnten getäuscht werden, weil ihnen der verkehrte Eindruck vermittelt wird, dass es sich um ungefährliche Erzeugnisse handelt, was unrichtig ist, vor allem weil Zigaretten noch andere giftige Stoffe aufweisen, die nicht in der Richtlinie erwähnt sind.
246. Es geht kurz gesagt um eine Bestimmung, die eine begrenzte Zahl gängiger Hinweise verbietet, die beim Verbraucher insbesondere bezüglich der Schädlichkeit des Produkts Verwirrung stiften könnten. Eine solche Bestimmung scheint mir im Allgemeinen ein geeignetes Instrument zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu sein.
247. Dieses Instrument ist sicher geeignet, wenn man die ernsten Zweifel bedenkt, ob der Übergang von Verbrauchern zu Zigaretten mit einem niedrigen Teergehalt zu einer Gesundheitsverbesserung führt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann daher zu der Entscheidung kommen, den Gebrauch dieser Kennzeichnungen zu verbieten, zumal diese implizit eine Ermutigung enthalten, Zigaretten mit einem niedrigen Teergehalt zu rauchen.
248. Aber selbst wenn ich davon ausginge, dass Zigaretten mit einem niedrigen Teergehalt weniger schädlich für die öffentliche Gesundheit sind, könnte der Gemeinschaftsgesetzgeber doch vernünftigerweise zu der Entscheidung gelangen, dass der Gebrauch dieser Bezeichnungen bekämpft werden muss. Denn es geht um euphemistische Andeutungen, die den Verbraucher zum Konsum anhalten sollen, obwohl feststeht, dass auch Zigaretten mit niedrigem Teergehalt - wenn auch in geringerem Maß - schädlich für die öffentliche Gesundheit sind. Außerdem - und das ist wichtiger - ist der Gebrauch dieser Hinweise keineswegs an objektive Gegebenheiten wie den Teergehalt gekoppelt. Darin unterscheiden sich diese Hinweise von der Angabe des Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalts, die gemäß Artikel 5 Absatz 1 obligatorisch auf der Packung erscheinen müssen. Während die Gehalte nur den Verbraucher in objektiver Weise informieren, enthalten die Hinweise wie gesagt eine euphemistische Einstufung und beschränken sich damit nicht auf eine objektive Information.
249. Vorstehend habe ich noch - als zweiten Punkt der Meinungsverschiedenheit - die zu erwartende Wirkung des Artikels 7 der Richtlinie erwähnt. Die Wirkung, nämlich eine Veränderung des Rauchverhaltens, ist schwer nachzuweisen. Meines Erachtens braucht allerdings der Gemeinschaftsgesetzgeber diese Wirkung auch nicht nachzuweisen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat bei der Wahl von Instrumenten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit einen weiten Ermessensspielraum und ist dabei an den Vorsorgegrundsatz gebunden; außerdem passt die Maßnahme zur Politik der Gemeinschaft, das Rauchen zurückzudrängen. Diese Politik wird aber geradezu durchkreuzt, wenn Hinweise erlaubt werden, die den Bürger zum Rauchen ermutigen könnten.
250. Ich halte kurz gesagt Artikel 7 für geeignet zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Dann ist die folgende Frage die, ob eine andere Maßnahme ersichtlich ist, die die öffentliche Gesundheit ebenso gut schützt. Für diesen Fall wird als Maßnahme die im Königreich Spanien geltende Regelung genannt, wonach der Gebrauch von Hinweisen wie leicht" oder ultraleicht" nur bei Zigaretten mit einem bestimmten niedrigen, in diesem Fall sehr niedrigen Teergehalt zulässig ist. Insbesondere die griechische Regierung hat vorgebracht, dass der Gebrauch von Hinweisen - wie sie nach den spanischen Vorschriften zulässig sind - gerade zu einer unmittelbaren und objektiven Information des Verbrauchers beitrage, ohne dass die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller ernsthaft gefährdet würden.
251. Meines Erachtens braucht der Gerichtshof nicht umfänglich zu untersuchen, ob eine solche Maßnahme, die den Handelsverkehr unleugbar weniger behindert, die öffentliche Gesundheit ebenso schützt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat bei der Wahl des geeignetsten Instruments einen Entscheidungsspielraum. Der Gerichtshof prüft lediglich, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber vernünftigerweise zu der Auffassung gelangen konnte, dass die spanische Variante die öffentliche Gesundheit nicht ebenso gut schützt. Wenn ich mich auf das stütze, was ich vorstehend zum euphemistischen Charakter der Hinweise gesagt habe, steht das für mich fest. Zwar ist der Gebrauch der Hinweise dadurch objektiviert, dass er an bestimmte Teergehalte gebunden ist, doch es geht immer noch um Hinweise, die zum Rauchen anreizen können.
4. Zusammenfassung
252. Die Richtlinie entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das gilt für alle ihre Bestandteile.
B - Beschränkung von Rechten des geistigen Eigentums
1. Abgrenzung
253. Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass die Artikel 5 und 7 der Richtlinie im Widerspruch zu Artikel 295 EG stuenden, wonach der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt lässt. Diese Bestimmungen der Richtlinie sollen ferner dem Recht auf Eigentum widersprechen, wie es u. a. in der EMRK verankert ist, und/oder dem Artikel 20 des TRIPs-Übereinkommens.
254. Insbesondere betrachten die Klägerinnen die Artikel 5 und 7 als ernsthafte Verletzung ihrer geistigen Eigentumsrechte in Verbindung mit der Größe der Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen. Die Richtlinie mache damit die rechtmäßige Nutzung unmöglich und mindere den guten Ruf, den sich die Marken erworben hätten. Auch Japan Tobacco ist der Auffassung, dass Zigarettenhersteller wegen Artikel 7 ihre Rechte aus einer Anzahl hinterlegter Marken nicht mehr ausüben könnten. Artikel 7 untersage ihr, ihre geistigen Eigentumsrechte auszuüben, weil sie ihre Marke Mild Seven" in der Gemeinschaft nicht mehr als Handelsmarke verwenden könne. Damit werde ihr der wirtschaftliche Vorteil der ausschließlichen Markenlizenzen entzogen. In der Sitzung führte Japan Tobacco noch aus, dass ihr mit der Regelung des Artikels 7 eines ihrer wichtigsten Aktiva entzogen werde. Die griechische Regierung teilt die Auffassung, dass das Verbot die Rechte des geistigen Eigentums der Zigarettenhersteller verletze.
255. Im Folgenden befasse ich mich inhaltlich mit der möglichen Verletzung des Rechts auf (geistiges) Eigentum. Bevor ich das tue, möchte ich jedoch feststellen, dass zwei Rechtsnormen ins Feld geführt werden, die für diesen Fall unerheblich sind. Es geht um Artikel 295 EG und das TRIPs-Übereinkommen.
256. Zu Artikel 295 EG stellen die britische, die französische und die belgische Regierung klar, dass die Bestimmungen der Richtlinie sich nicht auf die Regelung der Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten im Sinne dieses Artikels beziehen. Die Richtlinie erlege lediglich dem Gebrauch bestimmter Eigentumsrechte der Zigarettenhersteller eine Beschränkung auf. Auf Artikel 295 EG könne man sich nicht berufen, um eine Beschränkung in der Ausübung von Eigentumsrechten abzuwenden, die sich aus der Anwendung von Gemeinschaftsvorschriften ergebe.
257. Zum TRIPs-Übereinkommen bemerke ich Folgendes. Der Gerichtshof hat mehrfach festgestellt, dass die WTO-Übereinkommen wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften gehören, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst. Der Gerichtshof erkennt durchaus an, dass einige Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten - er führt im Rahmen der WTO eingegangene besonderere Verpflichtungen" an -, hat jedoch im Urteil Dior festgestellt, dass das TRIPs-Übereinkommen für Einzelne keine Rechte begründe, auf die sie sich nach dem Gemeinschaftsrecht vor Gericht unmittelbar berufen könnten.
258. Gleichwohl erkennt der Gerichtshof im Urteil Dior an, dass das TRIPs-Übereinkommen im Verfahren vor nationalen Gerichten eine gewisse Bedeutung haben kann. Ich weise in Verbindung hiermit auf das TRIPs-Übereinkommen selbst hin. Es steht keineswegs entgegen, wenn eine Partei des Übereinkommens den Gebrauch einer Marke aus zwingenden öffentlichen Interessen beschränkt. Die Beurteilung, die nach dem TRIPs-Übereinkommen demzufolge beim nationalen Gericht stattzufinden hätte, fügt indessen der Beurteilung, die sowieso unter dem Blickwinkel des EG-Vertrags stattfinden muss, nichts hinzu. Das TRIPs-Übereinkommen spielt bereits aus diesen Gründen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in das Eigentumsrecht keine Rolle.
2. Das Recht auf Eigentum im Gemeinschaftsrecht
259. Das Recht auf Eigentum ist kein als solches im EG- oder EU-Vertrag anerkanntes Recht. Zwar erkennt Artikel 17 der Grundrechtscharta das Eigentumsrecht (und den Schutz des geistigen Eigentums) an. Größeres Gewicht messe ich aber beim heutigen Stand des Rechts der Bestimmung des Artikels 6 EU bei. Nach diesem Artikel achtet die Europäische Union die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. Eines der Grundrechte ist, wie in Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK geregelt, das Recht auf Eigentum.
260. Der Gerichtshof hat die Bedeutung des Rechts auf Eigentum in der Gemeinschaftsrechtsordnung übrigens auch mehrfach ausdrücklich anerkannt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann die Ausübung des Eigentumsrechts gleichwohl Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zwecken der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.
261. Es steht in dieser Rechtssache außer Zweifel, dass die Beschränkungen des Eigentumsrechts auf ein allgemeines Interesse zurückzuführen sind. Bei der Antwort auf die Frage, ob bei dieser Sachlage von einem unverhältnismäßigen und einem untragbaren Eingriff gesprochen werden kann, geht es meines Erachtens um Folgendes. Zunächst ist festzustellen, ob ein Eingriff im Hinblick auf seinen Umfang an sich rechtmäßig ist. Dann ist bei einem an sich rechtmäßigen Eingriff die Frage zu stellen, ob dennoch von einer Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, im konkreten Fall von einem Verstoß gegen den Vertrauensschutz, gesprochen werden kann.
262. Ich beginne mit dem Umfang des Eingriffs. Inwieweit wird der Gebrauch des Eigentums eingeschränkt, und wird damit das garantierte Recht in seinem Kern angetastet? Ohne zu diesem Punkt auf Einzelheiten einzugehen (ich lasse die etwaige Markenverletzung noch einen Augenblick beiseite): Der Gebrauch des Eigentums wird nicht auf besondere Weise eingeschränkt oder im Kern angetastet. Das gilt nicht für die Nutzung des Eigentums an einer Produktionseinheit für Zigaretten. Auch nach Umsetzung der Richtlinie bleibt es möglich, diese Einheit zu nutzen und dort Zigaretten herzustellen. Allein die Zusammensetzung und die Etikettierung dieser Zigaretten müssen angepasst werden. Das gilt ebenso wenig für die Nutzung des Eigentums an den Produkten selbst. Wie dies häufig bei Produktvorschriften der Fall ist, wird der Rechtsinhaber die Zusammensetzung und die Etikettierung seines Produktes anpassen müssen und erhält dafür eine Übergangsfrist, die es ihm ermöglicht, vorhandene Vorräte abzustoßen. Die neuen Tabakerzeugnisse, die er zu produzieren und abzusetzen hat, müssen bestimmte Anforderungen an Zusammensetzung und Etikettierung erfuellen. Diese Anforderungen haben nichts mit einer Beschränkung des Eigentumsrechts an Produkten zu tun.
263. Kurz gesagt: Bei Berücksichtigung des angestrebten Zieles kommen die ergriffenen Maßnahmen nicht in die Nähe eines unverhältnismäßigen und unerträglichen Eingriffs in das Eigentumsrecht. Zu einer Prüfung einer möglichen Verletzung des Rechtssicherheitsgrundsatzes, hier des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, komme ich damit gar nicht.
3. Das Recht auf geistiges Eigentum
264. Ich konzentriere meine Prüfung nunmehr weiter auf das Recht auf geistiges Eigentum und insbesondere auf das Markenrecht. Der Eingriff in den Genuss des Markenrechts als Folge des Inkrafttretens der Richtlinie kann erheblich sein. Bestimmte Marken können gemäß Artikel 7 der Richtlinie insgesamt nicht mehr benutzt werden, während auch der Umfang der Warnhinweise nach Artikel 5 dazu führen kann, dass auch die Unterscheidungskraft der Marke auf einer Zigarettenpackung beträchtlich abnimmt. Beides mindert die Möglichkeit, für die Investition in den Aufbau der Marke einen Ausgleich zu erhalten, und kann daher zu einem beträchtlichen Schaden führen.
265. Auch für das Markenrecht gilt, dass die Ausübung im Hinblick auf das Gemeinwohl Beschränkungen unterworfen werden kann, dass aber das Recht selbst nicht im Kern angetastet werden darf.
266. Ich sehe nicht, wieso die Verpflichtungen gemäß Artikel 5 als ein Antasten des Kerns des Markenrechts angesehen werden könnten. Die Marke darf gewöhnlich auf der Packung gezeigt werden. Nur ein Teil der Verpackung - der weniger als 50 % ausmacht - muss den Angaben und Warnhinweisen vorbehalten bleiben, die in Artikel 5 vorgeschrieben werden. Außerdem wird der Kern des Markenrechts nicht von einem Recht gegenüber der Öffentlichkeit gebildet, eine Marke ungehindert von öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu benutzen. Im Gegenteil, das Markenrecht ist im Kern ein Recht, das gegenüber anderen Einzelnen ausgeübt werden kann, wenn diese die Benutzung durch den Rechtsinhaber beeinträchtigen. Nur wenn infolge öffentlich-rechtlicher Bestimmungen keine einzige normale Benutzung mehr möglich ist, kann die Situation entstehen, dass in Verbindung mit diesen Vorschriften der Kern des Rechts selbst angetastet wird.
267. Beim Verbot des Artikels 7 ist alles komplizierter. Denn Artikel 7 verbietet bei Tabakerzeugnissen die Benutzung bestimmter Marken, wie etwa der von Japan Tobacco benutzten Marke Mild Seven, oder von Teilen von Marken, wie des Wortes mild" als Bestandteil einer Marke. Für die Marke Mild Seven gilt darüber hinaus noch, wie Japan Tobacco auch geltend macht, dass die Marke nicht durch Streichung des Zusatzes mild" angepasst werden kann. Ich weise übrigens durchaus darauf hin, dass gerade das Wort mild" als Teil der Marke Mild Seven den Verbraucher irreführen kann. In diesem Verfahren hat sich nämlich herausgestellt, dass unter der Marke Mild Seven Zigaretten mit sehr unterschiedlichen Teergehalten angeboten werden.
268. Ich vertrete die Meinung, dass Artikel 7 trotzdem nicht im Widerspruch zum Recht auf (geistiges) Eigentum steht. Ich stütze diese Auffassung nicht auf einen Standpunkt zu der Frage, ob die Benutzung des Markenrechts vorliegend im Kern angetastet wird, sondern argumentiere aus dem Markenrecht selbst. Dieses Recht ist nämlich schon an sich kein unantastbares Recht. Die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet des Markenrechts sehen selbst bereits einige Nichtigkeitsgründe vor.
269. Vorliegend ist insbesondere Artikel 3 Absatz 1 (Buchstabe g) der Markenrichtlinie 89/104 von Bedeutung. Eine Marke, die zur Irreführung der Öffentlichkeit führen kann, kann nach dieser Vorschrift für nichtig erklärt werden. Für das Gemeinschaftsrecht ist diese Möglichkeit der Nichtigerklärung in Artikel 51 (Buchstabe a) in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 1 (Buchstabe g) der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke vorgesehen.
270. Artikel 7 der Richtlinie, der übrigens ausdrücklich Handelsmarken nennt, verbietet bestimmte Angaben mit suggestiver Bedeutung, kurz gesagt Angaben, die eine Irreführung der Öffentlichkeit bewirken können. Damit verbietet Artikel 7 nur die Ausübung eines Markenrechts unter Umständen, in denen das Recht selbst schon nicht unantastbar ist.
271. In einem solchen Fall kann von einem unrechtmäßigen Antasten des Kerns eines Rechts nicht die Rede sein. Ich komme damit auch nicht zu einer Beurteilung des Umfangs des Eingriffs in Verbindung mit einer möglichen Unverhältnismäßigkeit oder Unerträglichkeit.
272. Ich ergänze noch Folgendes. Beide angeführten Gemeinschaftsregelungen des Markenrechts kennen noch einen einschlägigen Nichtigkeitsgrund, nämlich den Widerspruch zur öffentlichen Ordnung oder zu den guten Sitten. Eine Marke, die unter das öffentlich-rechtliche Hinweisverbot des Artikels 7 der Richtlinie fällt, ist meines Erachtens wegen des Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung nichtig.
273. Hilfsweise sei noch gesagt, dass ich nicht davon überzeugt bin, dass der Umfang des Eingriffs unverhältnismäßig oder untragbar ist. Der Rat verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil Estée Lauder, das sich auf ein Kosmetikprodukt bezieht, dessen Name das Wort lifting" enthält. Der Gerichtshof hat hier eine nationale Regelung gebilligt, die die Einfuhr und den Verkauf dieses Kosmetikprodukts untersagte. Wie in jener Rechtssache geht es hier um das Verbot, spezifische Angaben zu verwenden, die eine bestimmte Bedeutung haben. Der Eingriff in ein Markenrecht ist nur eine Nebenfolge einer Regelung, wenn die Angabe Teil einer Marke ist. Diese Wirkung macht daher die Regelung noch nicht rechtswidrig. Ferner ist nach ständiger Rechtsprechung das angestrebte Ziel zu beachten. Dieses Ziel dürfte vorliegend einen ziemlich weitgehenden Eingriff rechtfertigen. Abschließend halte ich es auch für bedeutsam, dass die Richtlinie für Artikel 7 eine Übergangsfrist bis zum 30. September 2003 vorsieht. Das gibt den Unternehmen die Gelegenheit, in neue Marken zu investieren.
274. Kann dann vielleicht - bei einem, wie vorstehend festgestellt, rechtmäßigen Eingriff - von einer Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, insbesondere des Vertrauensgrundsatzes, gesprochen werden? Ein Unternehmer muss im Allgemeinen auf die Gesetzeslage vertrauen dürfen, wie sie sich zum Zeitpunkt einer unternehmerischen Entscheidung darstellt. Dieser Vertrauensgrundsatz äußert sich, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Silos dargelegt habe, in zwei Formen von Vertrauen, die schützenswert sind. Bei der ersten geht es um den Schutz gegen Verletzung wohlerworbener Rechte. Dieses Recht ist, wie ich in den genannten Schlussanträgen festgestellt habe, nicht absolut. Zweitens bezieht sich der Vertrauensgrundsatz auf den Schutz berechtigter Erwartungen.
275. Wenden wir den Vertrauensgrundsatz auf den vorliegenden Fall an, so geht es um die Beantwortung folgender Frage. Inwieweit darf ein Zigarettenhersteller bei seinen unternehmerischen Entscheidungen darauf vertrauen, dass die Vorschriften über die Zusammensetzung und die Etikettierung von Zigaretten unverändert weiter gelten?
276. Das ist fast eine rhetorische Frage. Ein Hersteller welchen Produktes auch immer muss damit rechnen, dass die für ihn geltenden Produktvorschriften nicht unbegrenzt lange Zeit unverändert bleiben. Solche - technischen - Normen haben nämlich ihrer Art nach einen zeit- und ortsgebundenen Charakter. Das gilt erst recht für die Bestimmungen über Zigaretten. Die wissenschaftliche Erkenntnis der Schädlichkeit des Rauchens und seine gesellschaftliche Bewertung entwickeln sich in hohem Tempo. Es ist daher nur allzu logisch, dass auch die Normierung eine hohe Umlaufgeschwindigkeit aufweist. Der Tabakindustrie ist dies wie keiner anderen bekannt.
277. Auch im Zusammenhang mit dem Markenrecht kann von einer Verletzung des Rechtssicherheits- oder des Vertrauensgrundsatzes keine Rede sein. Erstens ist die Richtlinie - und insbesondere das Verbot des Artikels 7 - nicht vom Himmel gefallen. Die wichtigsten Maßnahmen der Richtlinie, darunter Artikel 7, sind bereits in der Mitteilung der Kommission vom 18. Dezember 1996 enthalten. Ein verständiger Unternehmer hat somit seine Marktstrategie ändern und eine weniger risikobehaftete Marke wählen können. Zweitens ging der Unternehmer bereits bei der Wahl der Marke, mit der suggeriert wird, dass es sich nicht um ein schädliches Produkt handelt, ein sicheres Risiko ein, selbst wenn er die Suggestion nicht bewusst geschaffen hatte. Denn infolge des markenrechtlichen Schutzes durch das Gemeinschaftsrecht ist das Recht zur Benutzung einer Marke als solches nicht einmal unantastbar, wenn eine Marke zur Irreführung der Öffentlichkeit dienlich sein kann. Ich habe dies bereits in den Nummern 268 ff. behandelt.
278. Zur Illustrierung verweise ich noch auf die Situation von Japan Tobacco, die am schlimmsten durch Artikel 7 der Richtlinie geschädigt worden zu sein scheint. Wie in der Sitzung ohne Widerspruch vorgetragen wurde, ist die Marke Mild Seven erst kurz vor Erlass der Richtlinie, in jedem Fall geraume Zeit nach der Mitteilung der Kommission vom 18. Dezember 1996, in der Europäischen Union eingeführt worden. Außerdem war die Marke noch kaum in einem Mitgliedstaat erhältlich. Unter diesen Umständen liegt eine Verletzung des Rechtssicherheitsgrundsatzes oder des Vertrauensgrundsatzes auf keinen Fall vor.
C - Andere Rechtsgrundsätze
279. Das vorlegende Gericht führt noch drei Rechtsgrundsätze an, die für die Gültigkeit der Richtlinie von Bedeutung sein könnten: Es geht um den Begründungsgrundsatz, den Subsidiaritätsgrundsatz und den Ermessensmissbrauch.
1. Begründungsgrundsatz
280. Die Argumente, die für eine mögliche Verletzung des Begründungsgrundsatzes angeführt werden, sind von zweierlei Art. Der erste Typus von Argumenten bezieht sich auf den tatsächlichen und wissenschaftlichen Unterbau der Richtlinien. Ich verweise auf die Auffassung der Klägerinnen, dass neue Gesetzgebung auf neue Entwicklungen gestützt werden müsse, die allesamt auf wissenschaftlichen Daten beruhen müssten; die Begründungserwägungen verwiesen aber nicht auf wissenschaftliche Daten. Der zweite Typus von Argumenten bezieht sich auf die Begründung, die in der elften Begründungserwägung zu finden ist. Die griechische Regierung weist u. a. darauf hin, dass die Nennung von Artikel 133 nicht bekunde, welcher Aspekt der gemeinschaftlichen Handelspolitik durch das Verbot der für die Ausfuhr bestimmten Produktion verwirklicht werde. Der deutschen Regierung zufolge geben die Begründungserwägungen nicht an, weshalb der Schutz der Gesundheit in der Gemeinschaft durch die illegale Wiedereinfuhr von in der Gemeinschaft hergestellten Tabakerzeugnissen beeinträchtigt werde.
281. Dagegen wird insbesondere eingewandt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht gehalten sei, jede besondere Wahl zu begründen. Außerdem dürfe nicht auf wissenschaftliche Daten hingewiesen werden.
282. Der Begründungsgrundsatz ist bereits früher in diesen Schlussanträgen bei einem wichtigen Punkt zur Sprache gekommen. Für mich war er der Grund, aus dem Artikel 133 EG nicht als Rechtsgrundlage für die Richtlinie dienen konnte. Dem Vorbringen der griechischen Regierung ist damit Rechnung getragen.
283. Weiterhin ist die Begründung in der elften Begründungserwägung ganz allgemein bei der Behandlung des Produktionsverbots zur Sprache gekommen (vgl. VI - D). Die - wenn auch überschlägige - Begründung in der Erwägung kann dieses Produktionsverbot tragen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen nämlich nicht alle Einzelheiten dargelegt werden. Ich weise darauf hin, dass die Begründungserwägung nicht die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen als Grundlage der Richtlinie nennt. Deshalb haben die Ausführungen in den Nummern 161 ff. als Hilfserwägungen zu gelten.
284. Im Übrigen gibt die Begründungserwägung eine ausführliche Begründung für die Beweggründe, die zur Richtlinie geführt haben. Es ist dabei nicht erforderlich, auf wissenschaftliche Daten zu verweisen, zumal es um Maßnahmen geht, die das Rauchen bekämpfen sollen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nicht nur wissenschaftliche Daten, sondern auch gesellschaftliche Bewertungen abwägen muss.
2. Subsidiaritätsgrundsatz
285. Die Frage der Subsidiarität ist meines Erachtens einfach zu beantworten. Ebenso wie im Urteil Biotechnologie kann der Gerichtshof ohne eine zu ausführliche Begründung entscheiden, dass der Subsidiaritätsgrundsatz nicht verletzt wurde. Zunächst ist der Subsidiaritätsgrundsatz ein dynamisches Konzept, das der Beurteilung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber den notwendigen Raum lässt; sodann wird die Notwendigkeit eines Gemeinschaftshandelns ausführlich begründet, und schließlich hält sich die Richtlinie an die Leitlinien des Subsidiaritätsprotokolls. Da ich in dieser Rechtssache zu dem Ergebnis gelangt bin, dass das Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers aufgrund von Artikel 95 erforderlich war, kommt der Subsidiaritätsprüfung keine Bedeutung mehr zu. In Verbindung mit dieser Richtlinie verweise ich insbesondere auf
- Nummer 130 dieser Schlussanträge, in der ich festgestellt habe, dass die Regelung ihre Grundlage in - jedenfalls konkret drohenden - Unterschieden bei den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten findet, die zu Handelshemmnissen hätten führen können;
- die Nummern 151 bis 163 dieser Schlussanträge, in denen ich festgestellt habe, dass ein nationales Produktionsverbot weder effektiv noch denkbar sei.
3. Ermessensmissbrauch
286. Schließlich ist Ermessensmissbrauch auf der Tagesordnung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann bei einer Handlung von einem Ermessensmissbrauch nur gesprochen werden, wenn objektive, sachdienliche und übereinstimmende Indizien dafür vorliegen, dass das Ermessen ausschließlich oder jedenfalls hauptsächlich zur Erreichung anderer als der angegebenen Ziele oder zur Umgehung eines besonderen Verfahrens ausgeübt wurde, das der Vertrag vorgesehen hat, um den betreffenden Umständen entgegenzuwirken.
287. Wenn ich diese Rechtsprechung auf den konkreten Fall anwende, komme ich zu dem Ergebnis, dass in der vorliegenden Rechtssache, wenn es um die Rechtsgrundlage einer Gemeinschaftsregelung geht, dem Ermessensmissbrauch keine selbständige Bedeutung zukommt. Der Gerichtshof kann entscheiden, dass die zutreffende Rechtsgrundlage gewählt wurde, womit feststeht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber in richtiger Weise von einer ihm übertragenen Befugnis Gebrauch gemacht hat. Von einem Ermessensmissbrauch kann dann keine Rede sein. Der Gerichtshof kann auch feststellen, dass nicht die richtige Rechtsgrundlage gewählt wurde und aus diesem Grund die Regelung für nichtig erklären. Zu der Frage, ob auch das Ermessen missbraucht wurde, kommt der Gerichtshof dann gar nicht.
VIII - Beantwortung der zweiten Frage
A - Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
288. Nach Auffassung der Klägerinnen, der Japan Tobacco und der griechischen, irischen, luxemburgischen, niederländischen und schwedischen Regierungen sowie des Parlaments, des Rates und der Kommission ist Artikel 7 der Richtlinie nur auf Tabakerzeugnisse anzuwenden, die in der Europäischen Gemeinschaft in den Verkehr gelangen. Die britische, die belgische, die französische, die italienische und die finnische Regierung sind hingegen der Meinung, dass Artikel 7 auch auf Tabakerzeugnisse abzielt, die in der Gemeinschaft hergestellt werden und zur Ausfuhr in Drittländer bestimmt sind.
289. Die wichtigsten Argumente der erstgenannten Verfahrensbeteiligten für eine beschränkte Auslegung sind folgende:
- Dem Wortlaut des Artikels 7 ist nicht zu entnehmen, dass eine exterritorriale Wirkung angestrebt wird, so dass dem Verbot eine solche Wirkung auch nicht zukommt. Der Rat räumt dabei ein, dass Artikel 7 die territoriale Wirkung auch nicht ausdrücklich beschränkt.
- Eine Ausweitung des Verbotes auf Tabakerzeugnisse, die für die Ausfuhr bestimmt sind, ist nicht geeignet, zu verhindern, dass die Bestimmungen des Binnenmarktes untergraben werden.
- Artikel 7 kann nicht getrennt von Artikel 5 verstanden werden, weil Artikel 7 zu verhindern bezweckt, dass die Etikettierungsanforderungen des Artikels 7 untergraben werden. Das soll bedeuten, dass der territoriale Geltungsbereich des Artikels 7 dem von Artikel 5 entspricht. Artikel 5 kann wegen der Sprachanforderung allein für Tabakproduzenten im Binnenmarkt gelten.
290. Die wichtigsten Argumente der zweitgenannten Verfahrensbeteiligten für eine weite Auslegung sind folgende:
- Aus dem Wortlaut des Artikels 7, wonach bestimmte Bezeichnungen auf Packungen von Tabakerzeugnissen nicht mehr verwendet werden dürfen, folgt nicht, dass dieser Artikel auf Zigaretten beschränkt ist, die für den Binnenmarkt bestimmt sind.
- Die Anwendung von Artikel 7 auf die Ausfuhr ist wegen der wirklichen Gefahr des illegalen Handels gerechtfertigt.
- Artikel 7 ist eine unabdingbare Ergänzung der Artikel 3 und 5. Ohne Artikel 7 wird die Wirkung dieser Artikel untergraben. Deshalb hat Artikel 7 denselben Geltungsbereich wie die Artikel 3 und 5.
- Artikel 152 Absatz 1 EG fordert, dass bei der Tätigkeit und in der Politik der Gemeinschaft ein hohes Gesundheitsniveau sichergestellt wird. Diese Verpflichtung umfasst auch die gemeinschaftliche Handelspolitik. Nach Meinung der britischen Regierung führt dies dazu, dass, hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber die Ausfuhr in Drittländer ausschließen wollen, dies ausdrücklich in Artikel 7 der Richtlinie hätte gesagt werden müssen.
B - Beurteilung
291. Für mich steht vorweg fest, dass der Wortlaut der Richtlinie keinen Aufschluss in der Frage gibt, ob Artikel 7 auch auf die Ausfuhr von Zigaretten gilt, die zur Ausfuhr in Drittländer bestimmt sind. Der Wortlaut ist nicht eindeutig, was dadurch belegt wird, dass sowohl diejenigen, die eine externe Wirkung befürworten, als auch diejenigen, die diese Wirkung ablehnen, sich auf den Wortlaut der Richtlinie berufen. Unter solchen Umständen stehen dem Gemeinschaftsrichter mehrere Auslegungsmethoden zu Gebote.
292. Meines Erachtens gibt hier die gesetzessystematische Auslegung den besten Rückhalt. Die gesetzessystematische Auslegung kann anhand der beiden wichtigsten Pflichten erfolgen, die neben Artikel 7 der Richtlinie zu entnehmen sind, nämlich der Zusammensetzungspflicht des Artikels 3 und der Etikettierungspflicht des Artikels 5. Artikel 3 hat zugleich Bedeutung für die Produktion zum Zweck der Ausfuhr und bestimmt dies auch ausdrücklich. Der Wortlaut des Artikels 5 schweigt sich über den Geltungsbereich aus. Gleichwohl zeigt sich bei sorgsamer Lektüre, dass Artikel 5 nicht zugleich für die Ausfuhr in Drittländer bestimmt sein kann. Die Warnhinweise, die gemäß Artikel 5 auf den Zigarettenpackungen anzubringen sind, müssen nämlich in der oder einer der Amtssprachen eines Mitgliedstaats abgefasst sein. Dieses Spracherfordernis als wesentliches Element der Pflicht gemäß Artikel 5, ist sinnlos, wenn es um die Ausfuhr in Drittländer geht.
293. Artikel 7 schweigt ebenso wie Artikel 5, im Gegensatz jedoch zu Artikel 3 über den Geltungsbereich und kann deshalb besser analog zu Artikel 5 ausgelegt werden. Es kommt hinzu, dass Artikel 7 auch inhaltlich dem Artikel 5 näher steht als dem Artikel 3, bezieht er sich doch auf die Aufmachung und nicht auf die Zusammensetzung von Tabakerzeugnissen. Noch wichtiger finde ich es, dass die Artikel 5 und 7 auch inhaltlich eng miteinander verzahnt sind. Wie auch die belgische Regierung in der Sitzung ausgeführt hat, können die Artikel 5 und 7 als sich gegenseitig ergänzende Vorschriften betrachtet werden. Artikel 5 verpflichtet zur Angabe objektiver Hinweise auf der Packung, darunter des Teergehalts, und Artikel 7 verbietet, suggestive Angaben aufzudrucken, die die Erwartungen beeinträchtigen, die der Verbraucher wegen der nach Artikel 5 angegebenen objektiven Hinweise hegt. Ich stimme daher auch der Auffassung zu, dass die Wirkung von Artikel 5 ohne Artikel 7 untergraben werden könnte.
294. Die gesetzessystematische Auslegung führt zu der Schlussfolgerung, dass Artikel 7 nicht für auszuführende Zigaretten gilt.
295. Auch die teleologische Auslegungsmethode führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Zunächst erlegt Artikel 7 bestimmten Marktbeteiligten eine ziemlich weitgehende Pflicht auf. In einem solchen Fall ist es nicht Aufgabe des Richters, bei Mehrdeutigkeit der Bestimmung selbst den Geltungsbereich möglichst weit auszulegen. Die Beschränkung der Freiheit der Marktbeteiligten muss auf einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers beruhen.
296. Artikel 152 Absatz 1 EG spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Er enthält einen leitenden Grundsatz für den Gemeinschaftsgesetzgeber, ist aber bei Schweigen des Gesetzgebers keine Auslegungsquelle für das Gemeinschaftsrecht. Es kommt hinzu, dass die Richtlinie meinen Schlussanträgen zufolge entgegen der Auffassung, die ich in Nummer 290 vierter Gedankenstrich vertreten habe, keinen Bezug zur gemeinsamen Handelspolitik hat.
297. Abschließend betrachte ich Art und Inhalt des Artikels 7 der Richtlinie - dies die dritte Auslegungsmethode. Auch dann komme ich zu dem Ergebnis, dass sich dieser Artikel nicht auf die Ausfuhr aus der Europäischen Union bezieht. Er bezieht sich auf die Aufmachung und damit auf die Etikettierung von Zigaretten. Die Etikettierung von Zigaretten unterscheidet sich je nach dem Land der Bestimmung, auch wegen der Angaben, die gemäß Artikel 3 auf der Packung aufgedruckt sein müssen. Da die Etikettierung von Zigaretten anders als die Zusammensetzung ihrer Art nach unterschiedlich ausfällt je nach der Bestimmung der Zigaretten, sehe ich keinen Anlass, Artikel 7 so auszulegen, dass dieser Unterschied nicht zum Tragen kommt. Ich erwähne noch die Argumente, die dem Risiko des illegalen Handels gelten. Ich pflichte dem Argument bei, dass eine Ausdehnung des Verbotes des Artikels 7 auf für die Ausfuhr bestimmte Tabakerzeugnisse nicht geeignet ist, zu verhindern, dass die Vorschriften für den Binnenmarkt untergraben werden. Die Etikettierung von Zigaretten unterscheidet sich, wie gesagt, per definitionem je nach dem Land der Bestimmung.
IX - Ergebnis
298. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des High Court of Justice (Administrative Court) wie folgt zu beantworten:
1. Die Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen ist gültig.
2. Artikel 7 der Richtlinie 2001/37/EG gilt nicht für Tabakerzeugnisse, die nicht in der Europäischen Gemeinschaft in den Verkehr gelangen.