62001C0276

Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 22. Oktober 2002. - Joachim Steffensen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Amtsgericht Schleswig - Deutschland. - Richtlinie 89/397/EWG - Amtliche Lebensmittelüberwachung - Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 - Analysen von Proben - Recht auf Gegengutachten - Unmittelbare Wirkung - Zulässigkeit der Analyseergebnisse als Beweismittel im Fall der Verletzung des Rechts auf Gegengutachten. - Rechtssache C-276/01.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-03735


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einleitende Bemerkungen

1. Das vorliegende Verfahren betrifft die Auslegung der Richtlinie 89/397/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 über die amtliche Lebensmittelüberwachung (im Folgenden: Richtlinie). Im Besonderen geht es um die Frage, ob der Hersteller von Lebensmitteln im Fall der Beanstandung von Proben durch die Behörde das Recht auf Einholung eines Gegengutachtens hat und ob die Verletzung dieses Rechts zur Folge hat, dass das auf den Proben beruhende Gutachten nicht verwertet werden darf.

II - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrecht

2. Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie lautet auszugsweise:

(1) Der Inspektion unterliegen:

...

d) die Enderzeugnisse;"

3. Artikel 7 der Richtlinie lautet:

(1) Von den in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben b bis f genannten Erzeugnissen können Proben zu Analysezwecken entnommen werden. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, damit die Betroffenen gegebenenfalls ein Gegengutachten einholen können.

(2) Die Analysen werden von amtlichen Laboratorien vorgenommen. Die Mitgliedsstaaten können auch andere Laboratorien für diese Analysen zulassen."

4. Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie sieht vor:

(1) Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit die von der Überwachung betroffenen natürlichen und juristischen Personen ein Rechtsmittel gegen die Maßnahmen einlegen können, die von der für die Durchführung der Überwachung zuständigen Behörde getroffen worden sind."

B - Nationales Recht

5. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist im Ausgangsverfahren das deutsche Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) einschlägig.

1. Bußgeldvorschriften

6. § 17 Absatz 1 Nr. 2 b LMBG lautet:

Es ist verboten, Lebensmittel, die hinsichtlich ihrer Beschaffenheit von der Verkehrsauffassung abweichen und dadurch in ihrem Wert, insbesondere in ihrem Nähr- oder Genusswert oder in ihrer Brauchbarkeit nicht unerheblich gemindert sind, ohne ausreichende Kenntlichmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen."

7. § 52 Absatz 1 Nr. 9 LMBG lautet:

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 17 I Nr. 1 oder entgegen § 17 I Nr. 2 Lebensmittel ohne ausreichende Kenntlichmachung in den Verkehr bringt."

8. § 53 Absatz 1 LMBG lautet:

Ordnungswidrig handelt, wer eine der in § 52 I Nr. 2-11 oder II bezeichneten Handlungen fahrlässig begeht, in den Fällen des § 52 I Nr. 6 und II Nr. 3 jedoch nur, wer die Stoffe i. S. des § 14 angewendet oder die Lebensmittel oder Tabakerzeugnisse in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht hat."

2. Vorschrift über die Probenahme

9. § 42 LMBG lautet:

(1) Soweit es zur Durchführung der Vorschriften über den Verkehr mit Erzeugnissen im Sinne dieses Gesetzes erforderlich ist, sind die mit der Überwachung beauftragten Personen und die Beamten der Polizei befugt, gegen Empfangsbescheinigung Proben nach ihrer Auswahl zum Zweck der Untersuchung zu fordern oder zu entnehmen. Ein Teil der Probe oder, sofern die Probe nicht oder ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht in Teile von gleicher Beschaffenheit teilbar ist, ein zweites Stück der gleichen Art und von demselben Hersteller wie das als Probe entnommene ist zurückzulassen. Der Hersteller kann auf die Zurücklassung einer Probe verzichten.

(2) Zurückzulassende Proben sind amtlich zu verschließen oder zu versiegeln. Sie sind mit dem Datum der Probenahme und dem Datum des Tages zu versehen, nach dessen Ablauf der Verschluss oder die Versiegelung als aufgehoben gelten.

...

(4) Die Befugnis zur Probenahme erstreckt sich auch auf Erzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes, die auf Märkten, Straßen oder öffentlichen Plätzen oder im Reisegewerbe in den Verkehr gebracht werden oder die vor Abgabe an den Verbraucher unterwegs sind."

III - Sachverhalt und Ausgangsverfahren

10. Die Firma Böklunder Plumrose GmbH & Co. KG stellt Bockwürstchen her, die im Einzelhandel in Gläsern mit Metallverschluss vertrieben werden. Die Aufsicht über die Produktion obliegt Herrn Steffensen, dem Betroffenen des Ausgangsverfahrens.

11. In den zurückliegenden Jahren wurden durch staatliche Behörden verschiedene Male in Einzelhandelsgeschäften Proben von Produkten der Firma Böklunder Plumrose GmbH & Co. KG entnommen. Es handelte sich jeweils um Bockwürstchen im Glas mit Metallverschluss.

12. Die entnommenen Proben wurden durch Laboratorien untersucht. In den Untersuchungsergebnissen wurden die gezogenen Proben jeweils unter lebensmittelrechtlichen Aspekten, namentlich aufgrund der - angesichts der Zusammensetzung der Erzeugnisse unzutreffenden - Deklarierung als Landbockwürste" beanstandet.

13. Von allen gezogenen Proben wurde jeweils eine Zweitprobe im Einzelhandel zurückgelassen. Keine der zurückgelassenen Proben hat Herrn Steffensen bzw. die Firma Böklunder Plumrose GmbH & Co. KG erreicht. Ob die jeweiligen Einzelhändler Herrn Steffensen bzw. die Firma von der Probeentnahme unterrichteten, ist nicht bekannt. Nicht geklärt werden konnte, ob die Probenergebnisse jeweils so rechtzeitig mitgeteilt wurden, dass Herr Steffensen bzw. die Firma Böklunder Plumrose GmbH & Co. KG die Möglichkeit zur Einholung eines Gegengutachtens gehabt hätte.

14. Mit Bußgeldbescheid vom 13. September 2000 setzte die Bußgeldstelle des Kreises Schleswig-Flensburg ein Bußgeld gegen Herrn Steffensen in Höhe von 500 DM fest. Herrn Steffensen wird ein Verstoß gegen §§ 17 I Nr. 2 b, 52 I Nr. 9, 53 I des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) vorgeworfen. Gegen den Bescheid wurde form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

15. Das angerufene Amtsgericht Schleswig ist der Auffassung, dass § 42 LMBG dem Fall nicht ausreichend gerecht wird, wenn - wie hier - die Probeentnahme im Einzelhandel erfolgt und die Probe dort zurückgelassen wurde. Denn die zurückgelassenen Proben werden nach Erkenntnissen des Gerichts in der Regel nur für die Dauer von einem Monat aufbewahrt. Wenn die Behörden den Hersteller nicht über die gezogenen Proben unmittelbar nach der Probeentnahme unterrichten, kann dieser keine Gegengutachten (mehr) einholen, falls die Probe durch staatliche Behörden beanstandet wurde.

16. Vor diesem Hintergrund stellt sich nach Ansicht des Amtsgerichts Schleswig die Frage, ob aus Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie des Rates über die amtliche Lebensmittelüberwachung ein Recht auf Einholung eines Gegengutachtens für die Hersteller folgt und - bei Bejahung dieser Frage - ein Verstoß gegen dieses Recht das Verbot der Verwertung der Probe zur Folge hat.

IV - Vorlagefragen

17. Da es nach Auffassung des Amtsgerichts Schleswig um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht, entschied dieses am 5. Juli 2001, dem Gerichtshof gemäß Artikel 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie des Rates über die amtliche Lebensmittelüberwachung vom 14.06.1989 (89/397/EWG) dahin gehend auszulegen, dass daraus für den Hersteller eines Erzeugnisses ein unmittelbar anwendbares Recht auf Einholung eines Gegengutachtens folgt, wenn staatliche Behörden von dem Erzeugnis des Herstellers im Einzelhandel eine Probe zu Analysezwecken entnehmen, und diese Probe unter lebensmittelrechtlichen Aspekten beanstandet wird?

2. Für den Fall der Bejahung der vorstehenden Frage:

Ist Artikel 7 Absatz 1 der genannten Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass daraus ein gemeinschaftsrechtliches Verwertungsverbot für Gutachten folgt, die auf staatlich veranlassten Probeentnahmen beruhen, wenn dem Hersteller des Erzeugnisses, das in dem Gutachten beanstandet worden ist, die Einholung eines Gegengutachtens nicht ermöglicht worden ist?

V - Zur ersten Vorlagefrage

A - Vorbringen der Beteiligten

18. Nach Auffassung der deutschen Regierung ist Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie zwar so zu verstehen, dass dem Betroffenen ein voraussetzungsloses Wahlrecht zustehen soll, ein Gegengutachten in Auftrag zu geben oder nicht, jedoch begründe diese Bestimmung kein unmittelbar anwendbares Recht auf Einholung eines Gegengutachtens. Unmittelbar anwendbare Rechte könnten sich nämlich nur im Falle fehlender oder mangelhafter Umsetzung ergeben.

19. Im vorliegenden Fall sei dieser Artikel jedoch durch § 42 LMBG ordnungsgemäß umgesetzt worden, wonach bei einer amtlichen Probeentnahme eine Vergleichsprobe zurückzulassen ist. Dadurch werde dem Betroffenen, wie z. B. Hersteller oder Händler, die Chance zur Einholung eines Gegengutachtens eröffnet. Bei einer Probeentnahme auf einer nachgelagerten Handelsstufe bestehe in aller Regel aufgrund vertraglicher Beziehungen eine Unterrichtungspflicht zwischen Hersteller und Händlernetz.

20. Somit folge ein Recht des Herstellers auf die Möglichkeit zur Einholung eines Gegengutachtens zwar nicht aus der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie, jedoch bei richtlinienkonformer Interpretation aus dem LMBG.

21. Die italienische Regierung führt aus, dass die Analyse nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie der Feststellung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht diene und daher der kontradiktorische Charakter des Verfahrens und die Verteidigungsrechte des Betroffenen zu wahren seien. Daher müsse insbesondere entweder die Probeentnahme selbst kontradiktorisch mit dem Betroffenen durchgeführt oder die effektive Möglichkeit eines Gegengutachtens sichergestellt werden. Die Regelung des kontradiktorischen Verfahrens liege zwar im Ermessen der Mitgliedstaaten, jedoch sei jedenfalls der Schutz der Rechte der Beteiligten zu garantieren, was nicht der Fall sei, wenn der eines Verstoßes Verdächtigte weder zum Zeitpunkt der Probeentnahme anwesend gewesen noch entsprechend darüber informiert worden sei.

22. Für die dänische Regierung hängt die Antwort auf die erste Vorlagefrage davon ab, wie die Begriffe Betroffene" sowie erforderliche Vorkehrungen" in Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie auszulegen sind.

23. Zum Begriff der Betroffenen" führt sie aus, dass er ausschließlich Unternehmen umfasse, bei denen im konkreten Fall Proben entnommen werden. Aus dem Wortlaut und dem Kontext des Artikels 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie ergebe sich, dass die Mitgliedstaaten nur diesen Unternehmen, nicht jenen auf den vorgelagerten Handelsstufen, die Möglichkeit einräumen müssten, ein Gegengutachten einzuholen. Dem überwachten Unternehmen stehe es frei, betroffene vorgelagerte Handelsstufen über die durchgeführten Überwachungsmaßnahmen zu informieren und gegebenenfalls Stichproben an die Hersteller zu senden oder die Proben gemeinsam mit den Herstellern oder auf Antrag der Hersteller einem Gegengutachten zu unterziehen. Der Rechtssicherheit werde gegenüber den für den Verstoß gegen Lebensmittelrecht verantwortlichen Unternehmen überdies auch durch das Recht auf ein Rechtsmittel nach Artikel 12 der Richtlinie Rechnung getragen.

24. Bezüglich der erforderlichen Maßnahmen" macht die dänische Regierung für den Fall, dass auch vorgelagerte Handelsstufen als Betroffene" anzusehen sind, geltend, dass die Richtlinie die Behörden nicht verpflichte, diese Handelsstufen über die Probeentnahme zu informieren. Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 sei nicht hinreichend klar, genau und unbedingt, um daraus ein dementsprechendes (Informations-) Recht seitens der Hersteller ableiten zu können. Die Zulassung einer Gegenprobe durch die Behörden auf der Einzelhandelsstufe reiche schließlich aus, um auch vorgelagerten Handelsstufen die Möglichkeit eines Gegengutachtens zu gewähren.

25. Die Kommission ist der Ansicht, dass den Betroffenen nach einer Probeentnahme nach Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 eindeutig ein Recht auf ein Gegengutachten zustehe. Dies gehe einerseits aus dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie hervor und andererseits aus dem Umstand, dass sonst ein Betroffener das in Artikel 12 der Richtlinie verankerte Recht auf ein wirksames Rechtsmittel nicht voll wahrnehmen könnte. Das Wort gegebenenfalls" schränke den Anspruch auf Einholung eines Gegengutachtens nur soweit ein, als dieses überhaupt erheblich sein kann.

26. Angesichts dessen bedürfe es gar nicht mehr der üblichen Überprüfung, ob es sich bei Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie um eine unbedingte und hinreichend klare Bestimmung handle, die ausnahmsweise ein subjektives Recht des Einzelnen aus einer Richtlinie zu begründen vermag, obwohl auch daran angesichts des Wortlauts keinerlei Zweifel bestuenden.

27. Wenn, wie im vorliegenden Fall, zwischen der Entnahme einer Probe durch die Überwachungsbehörden und der Verhängung einer Geldbuße auf deren Grundlage so viel Zeit vergehe, dass der Betroffene von seinem Recht auf ein Gegengutachten keinen Gebrauch machen könne, verletzten die Behörden zudem nicht nur den sich aus Artikel 7 Absatz 1 ergebenden Anspruch auf ein Gegengutachten, sondern zugleich das Recht des Betroffenen auf ein wirksames Rechtsmittel gemäß Artikel 12.

28. Zu den von der deutschen und der dänischen Regierung angesprochenen Problemen der praktischen Durchführung wurde in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass diese auch auf andere Weise als von den beiden Regierungen vorgebracht erfolgen könnte, etwa durch die Verwahrung einer zweiten, tiefgekühlten Probe durch die Behörden.

B - Würdigung

29. Um die erste Frage in einer Weise beantworten zu können, die für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nützlich ist, soll zunächst die Intention der Frage insbesondere im Lichte des Sach- und Streitstandes im Ausgangsverfahren näher erörtert werden.

30. Diesbezüglich gehen offenbar die Beteiligten in ihren Vorbringen von durchwegs unterschiedlichen Gewichtungen aus, was mit dem Wortlaut der Bestimmung zu erklären ist, die dem Gerichtshof im vorliegenden Verfahren zur Auslegung vorgelegt wurde. Zunächst spricht Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten, erforderliche Vorkehrungen" zu treffen, und zwar, damit die Betroffenen ein Gegengutachten einholen können". Insofern scheint auf den ersten Blick eher die Verpflichtung, die Voraussetzungen für die Einholung eines Gegengutachtens zu schaffen, im Vordergrund zu stehen, als die Verleihung des Rechts auf ein Gegengutachten an sich.

31. Die beteiligten Regierungen haben sich allesamt - mit unterschiedlicher Betonung - zum Umfang der erforderlichen Vorkehrungen" und insbesondere zur Frage geäußert, ob die mitgliedstaatlichen Behörden nach der Richtlinie verpflichtet sind, den Hersteller über die Entnahme von Proben auf der Einzelhandelsstufe zu unterrichten. Freilich hängen die beiden Aspekte - die Frage, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Voraussetzung zur Einholung eines Gegengutachtens zu schaffen und das mögliche Recht auf ein Gegengutachten - eng zusammen. Wenn nämlich die Mitgliedstaaten - in Verletzung von Artikel 7 der Richtlinie - nicht hinreichende Voraussetzungen für die Einholung eines Gegengutachtens schaffen, verstoßen sie damit gleichzeitig gegen das möglicherweise aus derselben Bestimmung abzuleitende entsprechende Recht der Betroffenen.

32. Wie jedoch aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, geht das vorlegende Gericht von der Prämisse aus, dass mit § 42 LMBG die nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie erforderlichen Vorkehrungen nicht ausreichend getroffen worden sind bzw. dass die Einholung eines Gegengutachtens nicht ermöglicht worden ist. Damit wäre ein allenfalls bestehendes Recht des Herstellers auf ein Gegengutachten verletzt. Gerade darauf, ob die Richtlinie ein entsprechendes Recht des Einzelnen begründet, welches das Gericht zu schützen hat, ist die erste Vorlagefrage gerichtet.

33. Vor diesem Hintergrund erscheint es im Übrigen nicht angezeigt, dem Standpunkt der deutschen Regierung zu folgen, die erste Vorlagefrage gegebenenfalls mit der Begründung zu verneinen, dass sich das Recht auf ein Gegengutachten bei richtlinienkonformer Auslegung aus dem nationalen Recht und nicht aus der Richtlinie ergebe. Es sei hier auf die Feststellungen des Gerichtshofes im Urteil Simmenthal erinnert, dass jedenfalls die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen" und jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene staatliche Richter verpflichtet ist, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es Einzelnen verleiht, zu schützen". Dieses Prinzip, dass die dem Einzelnen vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte vom nationalen Richter wirksam durchzusetzen und zu schützen sind, gilt unabhängig davon, ob sich diese Rechte im konkreten Fall (bei gemeinschaftskonformer Auslegung) aus nationalem Recht ableiten lassen oder bei mangelnder Umsetzung aus unmittelbar wirksamem Gemeinschaftsrecht ergeben. Ob die volle Wirkung der Richtlinie bzw. eines gegebenenfalls in ihr vorgesehenen Rechts des Einzelnen durch eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Umsetzungsbestimmungen zu gewährleisten ist, unterliegt letztlich der Beurteilung durch den nationalen Richter.

34. Nach ständiger Rechtsprechung können sich die Einzelnen in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, vor dem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen und sind diese Rechte zu schützen, wenn die Richtlinie nicht fristgemäß korrekt in nationales Recht umgesetzt worden ist.

35. Eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ist hinreichend genau, um von einem Einzelnen herangezogen und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie unzweideutig eine Verpflichtung begründet.

36. Eine Bestimmung ist - des Weiteren - unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist, noch zu ihrer Erfuellung und Wirksamkeit einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf.

37. Meines Erachtens weist Artikel 7 Absatz 1 unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Richtlinie und ihres Inhalts diese Merkmale auf, und zwar soweit es darum geht, ob dem Betroffenen ein Recht auf ein Gegengutachten zukommt.

38. Zwar ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung bei der innerstaatlichen Durchführung hinsichtlich der erforderlichen Vorkehrungen" zur Ermöglichung der Einholung eines Gutachtens über einen Ermessensspielraum verfügen, jedoch ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, dass die Richtlinie bezüglich der Einräumung des Rechts auf ein Gegengutachten hinreichend klar und bestimmt ist. Denn wie der Gerichtshof bereits in diesem Sinne festgestellt hat, kann dem Einzelnen auch dann, wenn eine Richtlinie den Mitgliedstaaten einen mehr oder weniger weiten Gestaltungsspielraum lässt, nicht verwehrt werden, sich insoweit auf Bestimmungen der Richtlinie zu berufen, als sie nach ihrem Gegenstand geeignet sind, aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und gesondert angewendet zu werden.

39. Zunächst ist festzuhalten, dass der Wortlaut des Artikels 7 Absatz 1 für sich betrachtet den Schluss zulässt, dass er nicht nur auf die Schaffung der Möglichkeit der Einholung eines Gegengutachtens, sondern letztlich auf die Einräumung eines entsprechenden Rechts abzielt (arg. damit die Betroffenen ... können"). Noch deutlicher geht dies aus anderen Sprachfassungen hervor.

40. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, wird dieser Befund durch den neunten Erwägungsgrund sowie Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie bestätigt. Nach dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie sind nämlich die legitimen Rechte" der Betriebe, insbesondere das Recht auf Betriebsgeheimnis und die Einlegung eines Rechtsmittels, zu schützen".

41. In Artikel 12 der Richtlinie wird der Schutz des legitimen Rechts" auf Einlegung eines Rechtsmittels konkret normiert. Nach dieser Bestimmung haben die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die von der Überwachung betroffenen natürlichen und juristischen Personen ein Rechtsmittel gegen die Maßnahmen einlegen können, die von der zuständigen Überwachungsbehörde getroffen worden sind". Diese Vorschrift kann insofern als Ausdruck und Verankerung des allgemeinen Grundsatzes des effektiven (gerichtlichen) Rechtsschutzes angesehen werden, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt.

42. Ein effektiver Rechtsschutz gegen die Entnahme der Probe und deren Analyse setzt wiederum voraus, dass die Betroffenen das Recht haben, ein Gegengutachten einzuholen.

43. Entgegen der Auffassung der dänischen Regierung besteht meines Erachtens im Übrigen kein Zweifel daran, dass auch die Hersteller - und nicht nur die Einzelhändler - zu den Betroffenen" zu zählen sind, denen dieses Recht zusteht. Schließlich sind es deren Produkte, die analysiert werden und sind es, wie im Falle des Herrn Steffensen, letztlich sie, die für Mängel hinsichtlich der Zubereitung und Zusammensetzung von Lebensmitteln zur Verantwortung gezogen werden können und die daher über entsprechende Rechtsschutzgarantien verfügen müssen.

44. Schließlich teile ich die von der Kommission und der deutschen Regierung im Ergebnis vertretene Auffassung, dass das Wort gegebenenfalls" in Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 nicht im Sinne einer Einschränkung oder Bedingung des Rechts auf ein Gegengutachten auszulegen ist. Vielmehr reflektiert dieser Zusatz lediglich den Ermächtigungscharakter dieser Norm - der Betroffene hat zwar ein Recht auf die Einholung eines Gegengutachtens, jedoch die Wahl, es nach den gegebenen Umständen - also etwa je nachdem, ob sich aus dem Gutachten der Behörden eine Beanstandung des Erzeugnisses ergibt oder nicht - auszuüben.

45. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt somit, dass sich aus Artikel 7 Absatz 1 hinreichend klar und unbedingt ein Recht des Herstellers auf Einholung eines Gegengutachtens ergibt. Daher ist die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu bejahen.

VI - Zur zweiten Vorlagefrage

A - Vorbringen der Beteiligten

46. Herr Steffensen wies im Zusammenhang mit den Vorgaben von Artikel 6 EMRK darauf hin, dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall nur als Maßstab für die Auslegung der Richtlinie diene und auch auf den vorliegenden Fall Anwendung finde, woran auch die im deutschen Recht vorgenommene Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit nichts ändere. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte lasse sich im Hinblick auf Beweise, die auf komplexen Prüfverfahren beruhen, das Recht auf ein Gegengutachten entnehmen. Das treffe gerade auf Lebensmitteluntersuchungen zu.

47. Nach Auffassung der deutschen Regierung ergibt sich selbst für den Fall, dass der Hersteller oder sonstige Betroffene keine Gelegenheit zu einem (Gegen)gutachten erhalten hätte, aus der Richtlinie kein gemeinschaftsrechtliches Verwertungsverbot für die Erstanalyse.

48. Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts erfolge nämlich grundsätzlich nach Maßgabe der nationalen Verfahrensvorschriften und das deutsche Strafprozessrecht - ebenso wenig wie das deutsche Verwaltungsrecht - kenne als Rechtsfolge für den Fall von Verfahrensverstößen kein allgemeines Verbot der Verwertung von Beweismitteln. Im Übrigen bedürfe es in Deutschland aufgrund der im Strafprozess geltenden Grundsätze der Amtsaufklärung und der freien Beweiswürdigung nicht zwingend einer Gegenprobe, um ein Analyseergebnis in Zweifel zu ziehen.

49. Zwar müssten diese Verfahrensregelungen den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts entsprechen, dies sei aber vorliegend der Fall. Denn zum einen verstießen sie nicht gegen das Diskriminierungsverbot, da Verletzungen von verfahrensmäßigen Vorgaben der Richtlinie genauso behandelt würden wie Fehler bei Verfahren, in denen es um die Durchsetzung von rein national geregelten Angelegenheiten gehe. Zum anderen werde die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts aufgrund des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung auch nicht praktisch unmöglich gemacht und entspreche daher dem Effizienzgebot. Das Gegengutachten nach der Richtlinie erfuelle nämlich keinen Selbstzweck, sondern sei nur eine von vielen Möglichkeiten, sich gegen den Vorwurf eines Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen zu verteidigen.

50. Die dänische Regierung teilt die Auffassung der deutschen Regierung im Ergebnis und trägt vor, dass es den nationalen Gerichten zu überlassen sei, etwaige strafverfahrensrechtliche Folgen eines Verstoßes gegen die allenfalls bestehende Informationspflicht nach Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie festzustellen. Weder der Richtlinie noch dem allgemeinen Gemeinschaftsrecht sei zu entnehmen, dass in so einem Fall in einem nationalen Strafverfahren Beweise nicht verwendet werden dürften.

51. Zu Artikel 6 EMRK und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte führt die dänische Regierung aus, dass die Vorgaben der EMRK nur für das gerichtliche Verfahren und nicht für das vorgelagerte Verwaltungsverfahren gelten, um das es im vorliegenden Fall gehe. Im Übrigen sei der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gewahrt worden.

52. Die Kommission spricht sich - selbst unter Heranziehung von Artikel 6 EMRK - zumindest gegen ein absolutes Verwertungsverbot für Befunde aus allein von den staatlichen Behörden untersuchten Proben aus. Ihrer Ansicht nach hieße es, die Rechte des Betroffenen aus Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 12 der Richtlinie zu überspannen, wenn Befunde aus Probeentnahmen, zu denen der Betroffene kein Gegengutachten erstellen lassen konnte, nicht einmal dann verwendet werden dürften, wenn diese so eindeutig sind, dass ein Gegengutachten sie unter keinen Umständen hätte entkräften können. Sie stützt diese differenzierte Auffassung auf das Wort gegebenenfalls" in Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie, welches andeute, dass ein Gegengutachten nur in den Fällen, in denen es zu der Verteidigung dienlichen Befunden führen könne, möglich sein solle.

53. Zur Informationspflicht führte die Kommission in der mündlichen Verhandlung aus, dass diese unmittelbar nur gegenüber dem Einzelhändler bestehe. Hinsichtlich der Information des Herstellers reiche eine Mitteilung innerhalb der Handelskette aus.

B - Würdigung

54. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts betrifft, allgemein gesprochen, das Verhältnis zwischen dem Gemeinschaftsrecht und nationalen Verfahrensvorschriften. Das Gericht möchte wissen, ob ein Gutachten, mit dem das Erzeugnis eines Herstellers beanstandet wird, im Verfahren vor dem Gericht als Beweis verwertet werden darf, wenn es dem Hersteller des Erzeugnisses nicht ermöglicht worden ist, das ihm nach der Richtlinie zukommende Recht auf Einholung eines Gegengutachtens wahrzunehmen. Die Frage ist mit anderen Worten vor dem Hintergrund des Ausgangsverfahrens dahin gehend zu verstehen, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer nationalen Beweisregel entgegensteht, wonach es zulässig ist, ein unter den beschriebenen Umständen erstelltes Gutachten vor Gericht als Beweis zu verwerten.

55. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Ausgestaltung von gerichtlichen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung der jeweiligen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unterliegt, diese Verfahren dürfen jedoch nicht ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit oder Äquivalenzprinzip), und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).

56. Im vorliegenden Fall muss man sich zunächst den richtigen Bezugsrahmen für diese Grundsätze vor Augen führen. Wie ich im Rahmen der ersten Vorlagefrage festgestellt habe, verleiht die Richtlinie zwar Einzelnen das Recht, ein Gegengutachten einzuholen, jedoch geht es im Ausgangsverfahren nur mittelbar um die Durchsetzung dieses Rechts. Vielmehr geht es unmittelbar um die Ausübung des in Artikel 12 der Richtlinie verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Maßnahmen, die von der für die Durchführung der Überwachung zuständigen Behörde getroffen worden sind. Das Recht auf Einholung eines Gegengutachtens dient, wie ich ebenfalls bereits festgestellt habe, letztlich der Verwirklichung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

57. Hinsichtlich des Grundsatzes der Gleichwertigkeit ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob das für das Rechtsmittel im Sinne von Artikel 12 der Richtlinie geltende Verfahren ungünstiger gestaltet ist als bei entsprechenden Rechtsbehelfen, die nur innerstaatliches Recht betreffen.

58. Bezüglich der in Rede stehenden nationalen Beweisvorschrift ergibt sich aus den Akten, dass im deutschen Verfahrensrecht generell kein entsprechendes Beweisverwertungsverbot vorgesehen ist und somit diese Regelung nicht danach unterscheidet, ob die Rechtsbehelfe Maßnahmen der Behörden zum Gegenstand haben, die zur Kontrolle der Einhaltung von Gemeinschaftsrecht oder von innerstaatlichem Recht dienen.

59. Demzufolge ist es mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit vereinbar, wenn die nationale Verfahrensregelung kein Verwertungsverbot für Gutachten für den Fall enthält, dass der Hersteller nicht die Möglichkeit hatte, ein Gegengutachten gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie einzuholen.

60. Was sodann den Grundsatz der Effektivität angeht, so darf die Beweisregelung, wonach Gutachten von Behörden verwertet werden dürfen, hinsichtlich denen der Hersteller kein Gegengutachten einholen konnte, es diesem nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, in den Genuss des aus der Richtlinie resultierenden Rechtsschutzes zu gelangen.

61. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, dass diese Frage unter Berücksichtigung der Stellung der gegenständlichen Beweisregelung im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens."

62. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen zu beachten, dass - worauf ich bereits im Rahmen der ersten Vorlagefrage hingewiesen habe - das in Artikel 12 verankerte Recht auf ein wirksames Rechtsmittel Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. Wie der Gerichtshof bereits in den Urteilen Johnston und Heylens dazu festgestellt hat, ist dieser Grundsatz auch in den Artikeln 6 und 13 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 verankert" und sind die leitenden Grundsätze dieser Konvention im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen".

63. Gemäß dem Effektivitätsprinzip steht das Gemeinschaftsrecht daher im vorliegenden Fall dann der Verwertbarkeit von Gutachten, gegen die der Hersteller kein Gegengutachten einholen konnte, entgegen, wenn dadurch ein tatsächlicher und wirksamer Rechtsschutz gegen Maßnahmen der für die Durchführung der Überwachung zuständigen Behörden praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wird.

64. Dies wäre meines Erachtens jedenfalls dann der Fall, wenn ein Gegengutachten das einzige geeignete Mittel für den Rechtssuchenden wäre, um sich wirksam gegen die Beanstandung der Behörden verteidigen bzw. den Gegenbeweis erbringen zu können.

65. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob diese Möglichkeit angesichts der nationalen Verfahrensregelungen, insbesondere in Anbetracht des für das vorlegende Gericht geltenden Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung sowie der konkreten faktischen Umstände des Falles, gegeben ist.

66. Schließlich wurde von den Beteiligten die Frage erörtert, ob und inwiefern sich aus dem in Artikel 6 EMRK verankerten Recht auf ein faires Verfahren ein Verbot ergibt, ein unter Umständen wie im gegenständlichen Fall erstelltes Gutachten als Beweis zu verwerten.

67. Zunächst kann dem Einwand der dänischen Regierung, wonach diese Bestimmung nicht anwendbar sei, weil es im vorliegenden Fall um das (vorgelagerte) Verwaltungsverfahren und nicht um das Gerichtsverfahren gehe, nicht gefolgt werden. Im Rahmen der zweiten Vorlagefrage geht es nämlich primär nicht um die Möglichkeit bzw. das Recht des Herstellers im Verwaltungsverfahren, ein Gegengutachten erstellen zu lassen, sondern vielmehr um die Frage, welche beweisrechtlichen Konsequenzen der Richter im Ausgangsverfahren hinsichtlich der Verwertung des Gutachtens aus der Tatsache zu ziehen hat, dass der Hersteller kein Gegengutachten vorlegen kann, weil ihm die Einholung des Gegengutachtens (während des Verwaltungsverfahrens) nicht ermöglicht worden ist. Auch wenn also die Ursachen für das Fehlen eines Gegengutachtens auf die Phase des Verwaltungsverfahrens zurückgehen, stellt sich die Frage der Verwertbarkeit des Gutachtens in einem gerichtlichen Verfahren, sodass insofern die Vorgaben des Artikels 6 EMRK zu beachten sind.

68. Aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich, dass die Konvention zwar nicht die Zulässigkeit von Beweisen als solche regelt, dass jedoch das jeweilige Verfahren insgesamt, einschließlich der Art und Weise, wie die Beweise gehandhabt werden, den Anforderungen eines fairen Verfahrens im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 EMRK genügen muss. Zu diesen Anforderungen zählen vor allem die kontradiktorische Ausgestaltung des Verfahrens sowie die Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten. Nach diesen Grundsätzen muss ein Beteiligter an einem Straf- oder Zivilverfahren die Möglichkeit haben, von sämtlichen Schriftstücken und Stellungnahmen, die zur Einflussnahme auf die Entscheidung des Gerichts bei diesem eingereicht oder vor ihm abgegeben werden, Kenntnis zu nehmen und sie zu erörtern; darüber hinaus muss er seine Sache vor Gericht unter Umständen vertreten können, die ihn nicht wesentlich gegenüber dem Prozessgegner benachteiligen.

69. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung des EGMR die Verwertung eines Beweises vor Gericht, der mit Unregelmäßigkeiten behaftet ist, nicht automatisch unzulässig. Vielmehr ist auch hier entscheidend, ob sich der Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falles wirksam verteidigen kann.

70. So stellte der EGMR im von der dänischen Regierung angeführten Urteil im Fall Khan, wo es um die Verwendung einer unter Verletzung des Legalitätsprinzips zustande gekommenen Tonbandaufnahme als Beweisstück in einem Strafverfahren ging, maßgeblich darauf ab, dass der Angeklagte in diesem Verfahren ausreichend Gelegenheit hatte, die Echtheit (authenticité") der Aufnahme zu bestreiten und Einwände gegen deren Verwendung vor Gericht geltend zu machen.

71. Was konkret die Verwendung von Gutachten für Beweiszwecke vor Gericht betrifft, so hängt deren Übereinstimmung mit den Erfordernissen eines fairen Prozesses im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 EMRK für den Fall, dass die durch dieses Gutachten beschwerte Prozesspartei kein Gegengutachten vorlegen kann, gleichfalls davon ab, ob dieser dennoch in der Lage ist, seine Sache wirksam zu vertreten und zum Gutachten Stellung zu nehmen. Eine wirksame Wahrnehmung der Verteidigungsrechte ohne Gegengutachten kann dabei insbesondere dann problematisch sein, wenn sich das Gutachten auf einen technischen Bereich bezieht, der sich der Kenntnis des Richters entzieht und deshalb dem Gutachten ein überwiegender Einfluss auf die Beweiswürdigung des Gerichts zukommt.

72. Ob die Verwertung eines Gutachtens, gegen das kein Gegengutachten vorliegt, den Anforderungen eines fairen Verfahrens im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 EMRK genügt, bestimmt sich somit nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles, insbesondere nach der Art des Gutachtens und dessen Gewicht im Hinblick auf die Entscheidungsfindung sowie nach der Verfügbarkeit anderer geeigneter Möglichkeiten der wirksamen Verteidigung als jener eines Gegengutachtens.

73. Dem vorlegenden Gericht ist daher - auch im Lichte des Artikels 6 Absatz 1 EMRK - auf die zweite Frage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht der Verwertung von Gutachten entgegensteht, die auf staatlich veranlassten Probeentnahmen beruhen und hinsichtlich deren dem Hersteller des Erzeugnisses, das in einem solchen Gutachten beanstandet worden ist, die Einholung eines Gegengutachtens nicht ermöglicht worden ist, wenn sonst die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen die Überwachungsmaßnahmen der Behörden praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wird. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob in Ermangelung eines Gegengutachtens für den Hersteller im Rahmen des nationalen Verfahrens und in Anbetracht der konkreten Umstände des Falles eine geeignete Möglichkeit besteht, sich wirksam gegen eine Beanstandung der Behörden zu verteidigen bzw. den Gegenbeweis zu erbringen.

VII - Ergebnis

74. Dem Gerichtshof wird vorgeschlagen, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

1. Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 89/397/EWG ist dahin gehend auszulegen, dass daraus für den Hersteller ein unmittelbar anwendbares Recht auf Einholung eines Gegengutachtens folgt, wenn staatliche Behörden von dem Erzeugnis des Herstellers im Einzelhandel eine Probe zu Analysezwecken entnehmen und diese Probe unter lebensmittelrechtlichen Aspekten beanstandet wird.

2. Das Gemeinschaftsrecht steht der Verwertung von Gutachten entgegen, die auf staatlich veranlassten Probeentnahmen beruhen und hinsichtlich denen dem Hersteller des Erzeugnisses, das in einem solchen Gutachten beanstandet worden ist, die Einholung eines Gegengutachtens nicht ermöglicht worden ist, wenn sonst die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen die Überwachungsmaßnahmen der Behörden praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob in Ermangelung eines Gegengutachtens für den Hersteller im Rahmen des nationalen Verfahrens und in Anbetracht der konkreten Umstände des Falles eine geeignete Möglichkeit besteht, sich wirksam gegen eine Beanstandung der Behörden zu verteidigen bzw. den Gegenbeweis zu erbringen.