62000O0471

Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 11. April 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Cambridge Healthcare Supplies Ltd. - Rechtsmittel - Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff "Phentermin" enthalten - Zweite Richtlinie 75/319/EWG - Dringlichkeit - Interessenabwägung. - Rechtssache C-471/00 P (R).

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-02865


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Schlüsselwörter


1. Rechtsmittel - Gründe - Fehlerhafte Tatsachenwürdigung - Unzulässigkeit - Überprüfung der Würdigung der dem Gericht vorgelegten Beweismittel durch den Gerichtshof - Ausschluss außer bei Verfälschung

(Artikel 225 EG; EG-Satzung des Gerichtshofes, Artikel 51)

2. Rechtsmittel - Zulässigkeit - Prüfung in Bezug auf den in diesem Rechtszug verhandelten Rechtsstreit

(EG-Satzung des Gerichtshofes, Artikel 49)

3. Rechtsangleichung - Arzneispezialitäten - Genehmigung für das Inverkehrbringen - Beurteilung von Arzneimitteln - Beurteilung ihrer Schädlichkeit und ihrer Wirksamkeit - Prüfung in ihrer wechselseitigen Beziehung - Evolutiver Charakter

(Richtlinie 65/65 des Rates, Artikel 5; Richtlinie 75/318 des Rates, Anhang)

4. Rechtsangleichung - Arzneispezialitäten - Genehmigung für das Inverkehrbringen - Widerruf der Genehmigung - Ermessen der Gemeinschaftsbehörden - Gerichtliche Nachprüfung - Grenzen

(Richtlinie 65/65 des Rates, Artikel 11; Richtlinie 75/319 des Rates, Artikel 13 und 14)

Leitsätze


1. Nur das Gericht ist zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, sowie für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweismittel nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt.

( vgl. Randnr. 48 )

2. Die in Artikel 49 der Satzung des Gerichtshofes festgelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels sind in Bezug auf den in diesem Rechtszug verhandelten Rechtsstreit und nur darauf zu prüfen. Dass die Gründe eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses des Gerichts mit den Gründen eines Beschlusses übereinstimmen, gegen den ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, verbietet es dem Rechtsmittelführer nicht, diese Gründe anzufechten.

( vgl. Randnr. 51 )

3. Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten erstreckt sich die Beurteilung jedes Arzneimittels auf seine Wirksamkeit, seine Unschädlichkeit und seine Qualität. Die Beachtung dieser drei Voraussetzungen dient zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Schon der Begriff des Schutzes der öffentlichen Gesundheit impliziert nämlich, dass das fragliche Arzneimittel nicht nur unschädlich, sondern auch wirksam ist. Der Grad der Schädlichkeit, den die zuständige Behörde als akzeptabel ansehen kann, hängt somit vom Nutzen ab, den das Arzneimittel haben soll. Wie der siebten und der achten Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln zu entnehmen ist, können die Begriffe Schädlichkeit" und therapeutische Wirksamkeit" nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden. Daher können die Gründe, die eine zuständige Behörde veranlasst haben, die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aufrechtzuerhalten, obwohl es bestimmte schädliche Auswirkungen hat, wegfallen, wenn die Behörde zu der Auffassung gelangt, dass der die Genehmigung rechtfertigende Nutzen, d. h. die therapeutische Wirksamkeit, nicht mehr vorhanden ist. Wie sich aus der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 91/507 ergibt, sind nämlich den zuständigen Behörden zwecks Kontrolle der Nutzen-Risiko-Bewertung" nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen alle neuen Angaben oder Informationen vorzulegen.

( vgl. Randnrn. 60, 63 )

4. Bei jeder Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, die gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 über Arzneispezialitäten getroffen wird, müssen die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 aufgestellten inhaltlichen Voraussetzungen in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels beachtet werden. Eine derartige Entscheidung ist somit das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet. Solche Beurteilungen sind grundsätzlich nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar. Eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, verfügt dabei über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, bei der der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts nicht an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzen kann. Somit beschränkt er sich in einem solchen Fall auf die Prüfung der Richtigkeit der Tatsachen und ihrer rechtlichen Einordnung durch diese Behörde und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat.

( vgl. Randnrn. 95-96 )

Parteien


In der Rechtssache C-471/00 P(R)

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk, M. Shotter und K. Fitch als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

betreffend ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 31. Oktober 2000 in der Rechtssache T-137/00 R (Cambridge Healthcare Supplies/Kommission, Slg. 2000, II-3653) wegen Aufhebung dieses Beschlusses,

andere Verfahrensbeteiligte:

Cambridge Healthcare Supplies Ltd mit Sitz in Norfolk (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: Barristers D. Vaughan und K. Bacon, beauftragt von Solicitor S. Davis, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragstellerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

nach Anhörung der Generalanwältin C. Stix-Hackl

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Rechtsmittelschrift, die am 27. Dezember 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 225 EG und 50 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz vom 31. Oktober 2000 in der Rechtssache T-137/00 R (Cambridge Healthcare Supplies/Kommission, Slg. 2000, II-3653, im Folgenden: angefochtener Beschluss) eingelegt, mit dem der Präsident des Gerichts den Vollzug der Entscheidung K(2000) 452 der Kommission vom 9. März 2000 über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff Phentermin" enthalten (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), ausgesetzt hat.

2 Mit Schriftsatz, der am 16. Februar 2001 bei der Kanzlei eingegangen ist, hat die Cambridge Healthcare Supplies Ltd, die Antragstellerin im ersten Rechtszug (im Folgenden: Antragstellerin), beim Gerichtshof eine schriftliche Stellungnahme eingereicht.

3 Mit Schriftsatz, der am 29. Januar 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Französische Republik beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

4 Gemäß den Artikeln 37 Absätze 1 und 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes und 93 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung ist dem Antrag der Französischen Republik auf Zulassung als Streithelferin im vorliegenden Verfahren stattzugeben.

5 Die Französische Republik hat ihren Streithilfeschriftsatz am 19. Februar 2001 eingereicht.

6 Die Verfahrensbeteiligten haben am 7. März 2001 mündlich verhandelt.

Rechtlicher Rahmen

7 Am 26. Januar 1965 erließ der Rat die Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369). Sie wurde mehrfach geändert, u. a. durch die Richtlinien 89/341/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 (ABl. L 142, S. 11) und 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22). Gemäß dem in Artikel 3 der Richtlinie aufgestellten Grundsatz darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie erteilt hat oder wenn eine solche Genehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) erteilt wurde.

8 Nach Artikel 4 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 von der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zu beantragen.

9 Artikel 5 der Richtlinie 65/65 lautet:

Die Genehmigung nach Artikel 3 wird versagt, wenn sich nach Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und Unterlagen ergibt, entweder dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist.

Die Genehmigung wird auch dann versagt, wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den Bestimmungen des Artikels 4 entsprechen."

10 Nach Artikel 10 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung fünf Jahre gültig und kann für jeweils fünf Jahre verlängert werden; diese Verlängerung erfolgt nach einer von der zuständigen Behörde vorzunehmenden Prüfung der Unterlagen, die insbesondere eine Übersicht über den Stand der Angaben zur Pharmakovigilanz und die übrigen für die Arzneimittelüberwachung maßgebenden Informationen enthalten.

11 Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 sieht vor:

Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aus oder widerrufen sie, wenn sich herausstellt, entweder dass das Arzneimittel [bei bestimmungsgemäßem Gebrauch] schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, dass sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen."

12 Nach Artikel 21 der Richtlinie 65/65 darf die Genehmigung für das Inverkehrbringen nur aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt, ausgesetzt oder widerrufen werden.

13 Die Richtlinie 75/318/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln (ABl. L 147, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 89/341 (im Folgenden: Richtlinie 75/318) schreibt in Artikel 1 Absatz 1 vor, dass die Mitgliedstaaten alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen, damit die Angaben und Unterlagen, die gemäß Artikel 4 Absatz 2 Nummern 3, 4, 6, 7 und 8 der Richtlinie 65/65 dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels beizufügen sind, von den Antragstellern entsprechend dem Anhang der Richtlinie 75/318 vorgelegt werden.

14 Die siebte und die achte Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 lauten:

Die Begriffe ,Schädlichkeit und ,therapeutische Wirksamkeit in Artikel 5 der Richtlinie 65/65/EWG können nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden und haben nur eine relative Bedeutung, die nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Arzneimittels beurteilt wird. Aus den Angaben und Unterlagen, die dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen beizufügen sind, muss hervorgehen, dass die therapeutische Wirksamkeit höher zu bewerten ist als die potentiellen Risiken. Der Antrag muss abgelehnt werden, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist.

Da die Beurteilung der Schädlichkeit und der therapeutischen Wirksamkeit sich auf Grund neuer Erkenntnisse ändern kann, sollten die Vorschriften und Nachweise in regelmäßigen Zeitabständen dem wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden."

15 Die Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. L 147, S. 13) in der Fassung der Richtlinie 93/39 (im Folgenden: Richtlinie 75/319) sieht eine Reihe von Schiedsverfahren vor dem Ausschuss für Arzneispezialitäten (im Folgenden: Ausschuss) der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln vor. Ein solches Verfahren wird durchgeführt, wenn ein Mitgliedstaat im Rahmen des in Artikel 9 der Richtlinie 75/319 vorgesehenen Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung nationaler Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Auffassung ist, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass die Genehmigung eines Arzneimittels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann (Artikel 10 der Richtlinie), im Fall abweichender Entscheidungen bezüglich der Erteilung, Aussetzung oder Rücknahme nationaler Genehmigungen (Artikel 11), in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse (Artikel 12) sowie bei Änderungen harmonisierter Genehmigungen (Artikel 15, 15a und 15b).

16 Nach Artikel 12 der Richtlinie 75/319 können u. a. die Mitgliedstaaten in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse den Ausschuss mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 13 befassen, bevor sie über einen Antrag auf Genehmigung, über die Aussetzung oder den Widerruf einer Genehmigung bzw. über jede andere Änderung der Bedingungen einer Genehmigung für das Inverkehrbringen entscheiden, die für erforderlich gehalten wird, insbesondere um die im Rahmen der Pharmakovigilanz gemäß Kapitel Va der Richtlinie 75/319 gesammelten Informationen zu berücksichtigen.

17 Artikel 15a der Richtlinie 75/319 lautet:

(1) Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass die Änderung der Bedingungen für eine Genehmigung, die gemäß den Bestimmungen dieses Kapitels erteilt worden ist oder deren Aussetzung oder Rücknahme für den Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist, so verweist der betreffende Mitgliedstaat diese Angelegenheit unverzüglich zur Anwendung der Verfahren gemäß den Artikeln 13 und 14 an den Ausschuss.

(2) Ist eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dringend erforderlich, so kann der Mitgliedstaat unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 12 in Ausnahmefällen bis zu einer endgültigen Entscheidung das Inverkehrbringen und die Anwendung des betreffenden Arzneimittels in seinem Hoheitsgebiet aussetzen. Er hat die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten spätestens am nächsten Arbeitstag über die Gründe dieser Maßnahme zu unterrichten."

18 Artikel 13 der Richtlinie 75/319 beschreibt den Ablauf des Verfahrens vor dem Ausschuss. Artikel 14 regelt, wie die Kommission nach Erhalt des Gutachtens des Ausschusses vorzugehen hat. Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 3 lautet: Entspricht der Entscheidungsentwurf [der Kommission] ausnahmsweise nicht dem Gutachten der Agentur, so hat die Kommission auch eine eingehende Begründung der Abweichung beizufügen."

Sachverhalt und Verfahren

19 Die Antragstellerin verfügt über eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Phentermin enthaltenden Arzneimittels. Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt wird im angefochtenen Beschluss wie folgt geschildert:

9 Am 17. Mai 1995 wandte sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39 an den Ausschuss und teilte ihm ihre Befürchtungen im Zusammenhang mit Anorektika mit, zu denen auch Phentermin enthaltende Arzneimittel gehören und die eine schwere pulmonale Hypertonie hervorrufen können.

10 Das durch diese Anrufung eingeleitete Verfahren führte zum Erlass der auf Artikel 14 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 gestützten Entscheidung K(96) 3608 der Kommission vom 9. Dezember 1996 [im Folgenden: Entscheidung vom 9. Dezember 1996], in der den Mitgliedstaaten aufgegeben wurde, bestimmte klinische Angaben zu ändern, die die einzelstaatlichen Zulassungen für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel enthalten mussten.

11 Mit Schreiben vom 7. November 1997 an den Vorsitzenden des Ausschusses äußerte das belgische Ministerium für soziale Angelegenheiten, Volksgesundheit und Umwelt die Befürchtung, dass es eine Kausalbeziehung zwischen Herzklappenstörungen und der Einnahme von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln gebe. Das Ministerium ersuchte daher den Ausschuss gemäß den Artikeln 13 und 15a der Richtlinie 75/319, ein begründetes Gutachten zu den betreffenden Arzneimitteln abzugeben.

12 Am 22. April 1999 gab der Ausschuss eine Stellungnahme zur wissenschaftlichen Bewertung der Phentermin enthaltenden Arzneimitteln ab und empfahl, die Genehmigung für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel zu widerrufen. Die Antragstellerin legte gegen diese Stellungnahme Einspruch ein. Am 28. Juli 1999 fand hierzu eine Anhörung statt. In seiner endgültigen Stellungnahme vom 31. August 1999 gelangte der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Bedenken des belgischen Ministeriums zwar nicht völlig von der Hand zu weisen seien, aber durch keinen Anhaltspunkt erhärtet würden. Er stellte jedoch fest, dass Phentermin enthaltende Arzneimittel ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis aufwiesen, und empfahl, die Genehmigung für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel zu widerrufen.

13 Auf der Grundlage dieses Gutachtens erließ die Kommission am 9. März 2000 die Entscheidung über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff ,Phentermin enthalten ... Artikel 2 dieser Entscheidung verweist auf die in dem Gutachten vorgenommene Beurteilung durch den Ausschuss. Nach Artikel 3 der Entscheidung haben die Mitgliedstaaten die Zulassungen für alle in Anhang I der Entscheidung genannten Arzneimittel innerhalb von 30 Tagen nach der Bekanntgabe der Entscheidung zurückzunehmen."

20 Mit Schriftsatz, der am 22. Mai 2000 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Antragstellerin gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung.

21 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts einging, stellte sie einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung und beantragte gemäß Artikel 105 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, eine Eilentscheidung über den Aussetzungsantrag zu treffen.

22 Am 20. Juli 2000 gab der Präsident des Gerichts dem Antrag nach Artikel 105 § 2 der Verfahrensordnung statt und ordnete an, dass der Vollzug der angefochtenen Entscheidung bis zum Erlass des Beschlusses, der das Verfahren der einstweiligen Anordnung beendet, ausgesetzt wird.

23 Neben der angefochtenen Entscheidung erließ die Kommission am 9. März 2000 noch zwei weitere Entscheidungen über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff Amfepramon" (K[2000] 453) und die Stoffe Clobenzorex", Fenbutrazat", Fenproporex", Mazindol", Mefenorex", Norpseudoephedrin", Phenmetrazin", Phendimetrazin" und Propylhexedrin" (K[2000] 608) enthalten. Alle diese Entscheidungen betreffen Arzneimittel zur Behandlung von Fettleibigkeit, die bereits Gegenstand der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 waren, und schließen sich an eine von zwei Mitgliedstaaten verlangte Neubewertung dieser Arzneimittel gemäß Artikel 15a der Richtlinie 75/319 an. Das Bewertungsverfahren führte zu mehreren Gutachten des Ausschusses, die nahezu einstimmig erstellt wurden und mit ganz ähnlicher Begründung die Rücknahme der Zulassung aller genannten Arzneimittel empfahlen. Die Entscheidungen der Kommission vom 9. März 2000 beruhen auf diesen Gutachten.

24 Die drei in vorstehender Randnummer erwähnten Entscheidungen waren Gegenstand von neun Anträgen auf einstweilige Anordnung. Mit Beschluss vom 28. Juni 2000 in der Rechtssache T-74/00 R (Artegodan/Kommission, Slg. 2000, II-2583) entschied der Präsident des Gerichts über einen dieser Anträge und setzte den Vollzug der Entscheidung K(2000) 453 in Bezug auf die Artegodan GmbH aus. Gegen diesen Beschluss wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Über die übrigen acht Anträge auf einstweilige Anordnung entschied der Präsident des Gerichts mit Beschluss vom 19. Oktober 2000 in der Rechtssache T-141/00 R (Trenker/Kommission, Slg. 2000, II-3313) und sieben Beschlüssen vom 31. Oktober 2000, dem angefochtenen Beschluss und weiteren Beschlüssen in den Rechtssachen T-76/00 R (Bruno Farmaceutici u. a./Kommission, Slg. 2000, II-3557), T-83/00 R II (Schuck/Kommission, Slg. 2000, II-3585), T-83/00 R I (Hänseler/Kommission, Slg. 2000, II-3563), T-84/00 R (Roussel und Roussel Diamant/Kommission, Slg. 2000, II-3591), T-85/00 R (Roussel und Roussel Iberica/Kommission, Slg. 2000, II-3613) und T-132/00 R (Gerot Pharmazeutika/Kommission, Slg. 2000, II-3635). Diese acht Beschlüsse, gegen die die Kommission Rechtsmittel eingelegt hat, sowie der Beschluss Artegodan/Kommission beruhen auf nahezu identischen Gründen.

Der angefochtene Beschluss

25 Im angefochtenen Beschluss gab der Präsident des Gerichts dem Antrag der Antragstellerin statt und setzte den Vollzug der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf sie aus.

26 Er hielt die Voraussetzung der Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten Anordnung (Fumus boni iuris) für erfuellt. Dazu führte er in Randnummer 34 des angefochtenen Beschlusses aus:

34 Zum Fumus boni iuris ist festzustellen, dass die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe dem ersten Anschein nach nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Zum einen hängt die Zuständigkeit der Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung von der Natur der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 ab, die streitig ist. Zum anderen hat die Kommission keine überzeugenden Gesichtspunkte vorgetragen, die erklären, weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu einem diametral entgegengesetzten Ergebnis gelangen. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe verdienen daher eine gründliche Prüfung, die jedoch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Rahmen des vorliegenden Verfahrens der einstweiligen Anordnung überschreitet."

27 Hinsichtlich der Dringlichkeit kam der Präsident des Gerichts zu dem Ergebnis, dass der Schaden, der durch den sofortigen Vollzug der angefochtenen Entscheidung entstehen könnte, ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden sei. Dabei stützte er sich auf folgende Erwägungen:

43 Im vorliegenden Fall bedeutet der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung, dass die in deren Artikel 1 genannten Arzneimittel ganz vom Markt genommen werden. Wird der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt, werden daher sehr wahrscheinlich Ersatzarzneimittel, die es, wie beide Parteien einräumen, gibt, an die Stelle der zurückgenommenen Arzneimittel treten. Selbst wenn die Erklärungen, wonach das betreffende Arzneimittel eine Gefahr für die Gesundheit des Patienten darstellt, später widerlegt werden, kann das Vertrauen in das Produkt häufig nicht mehr wiederhergestellt werden, außer in speziellen Fällen, nämlich dann, wenn die Eigenschaften des Arzneimittels von den Verbrauchern besonders geschätzt werden und es kein vollwertiges Ersatzprodukt gibt oder wenn der Hersteller einen außergewöhnlich guten Ruf genießt, so dass nicht behauptet werden kann, dass er die Marktanteile, die er vor der Rücknahme besessen hat, nicht zurückerobern könnte. Ein solcher spezieller Fall liegt hier jedoch nicht vor.

44 Sollte das Gericht die angefochtene Entscheidung für nichtig erklären und die Antragstellerin somit ihr Arzneimittel erneut vertreiben dürfen, ließe sich zudem der finanzielle Schaden, den sie aufgrund des Absatzrückgangs infolge eines Vertrauensverlustes in Bezug auf ihr Präparat erlitten hat, im Hinblick auf einen Ersatz tatsächlich nicht vollständig genug quantifizieren."

28 Die Interessenabwägung fiel nach Ansicht des Präsidenten des Gerichts im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen zugunsten einer Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung aus:

49 Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass der Vollzug der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte, dass die Antragstellerin ihre Marktposition endgültig verlieren würde, auch wenn die angefochtene Entscheidung im Hauptsacheverfahren für nichtig erklärt würde.

50 Gegenüber den geschäftlichen Interessen der Antragstellerin führt die Kommission an, dass die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung die öffentliche Gesundheit beeinträchtigen könnte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen unbestreitbar Vorrang einzuräumen ist (Beschluss [des Gerichtshofes vom 12. Juli 1996 in der Rechtssache C-180/96 R,] Vereinigtes Königreich/Kommission, [Slg. 1996, I-3903,] Randnr. 93, Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-183/95, Affish, Slg. 1997, I-4315, Randnr. 43, Beschluss des Gerichts vom 15. September 1998 in der Rechtssache T-136/95, Infrisa/Kommission, Slg. 1998, II-3301, Randnr. 58, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Slg. 1999, II-2027, Randnr. 152).

51 In diesem Zusammenhang kann jedoch der Hinweis auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit für sich allein nicht eine Prüfung der Umstände des konkreten Falles und insbesondere des betreffenden Sachverhalts ausschließen.

52 Im vorliegenden Fall hat die Kommission überzeugend dargetan, dass Unsicherheiten bezüglich der Risiken bestehen, die mit Phentermin enthaltenden Arzneimitteln verbunden sind, auch wenn diese Risiken gering sind. Während jedoch der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung genau die gleichen Informationen zugrunde liegen, unterscheiden sich die Maßnahmen, die die Kommission 1996 und 2000 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber diesen Risiken getroffen hat, grundlegend. Die Kommission musste daher nachweisen, dass sich die in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 enthaltenen Schutzmaßnahmen als für den Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichend erwiesen hatten, so dass die Schutzmaßnahmen, die sie in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind. Dieser Nachweis ist der Kommission indessen nicht gelungen.

53 Außerdem lässt der Umstand, dass die für den Erlass der angefochtenen Entscheidung ausschlaggebenden Gesundheitsrisiken bereits in der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden waren und zu einer Änderung der obligatorischen Angaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geführt hatten, darauf schließen, dass die Durchführung der angefochtenen Entscheidung nicht dringend ist."

Das Rechtsmittel

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

29 Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf sieben Gründe.

30 Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund wirft die Kommission, unterstützt von der französischen Regierung, dem Präsidenten des Gerichts vor, im Rahmen seiner Interessenabwägung das Vorsorgeprinzip nicht korrekt oder überhaupt nicht angewandt zu haben. Dieses Prinzip besage, dass die Kommission Schutzmaßnahmen treffen könne, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe der Gefahren klar dargelegt seien (Urteil vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers' Union u. a., Slg. 1998, I-2211, Randnr. 63).

31 Der zweite Rechtsmittelgrund beruht darauf, dass die Rechtsnatur der angefochtenen Entscheidung und das zu ihrem Erlass führende Verfahren verkannt worden seien.

32 Wenn die Kommission im Arzneimittelsektor eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ergreife, werde die wissenschaftliche Prüfung der Risiken nicht von ihr selbst vorgenommen, sondern von den wissenschaftlichen Experten, die dem Ausschuss angehörten. Auf der Grundlage dieser Prüfung treffe die Kommission dann ihre politische Entscheidung (die so genannte Risk-management-Entscheidung"), indem sie das Ergebnis der Prüfung der Risiken gegen andere zu berücksichtigende Faktoren abwäge. Das Fehlen einer Bezugnahme auf das wissenschaftliche Gutachten des Ausschusses im angefochtenen Beschluss zeige, dass das Verfahren, das zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt habe, grundlegend missverstanden worden sei.

33 Der Grund, aus dem die Kommission am 9. März 2000 eine andere Entscheidung getroffen habe als am 9. Dezember 1996, stehe in direktem Zusammenhang mit dem endgültigen Gutachten des Ausschusses vom 31. August 1999. In der Begründung der angefochtenen Entscheidung werde darauf verwiesen, dass nach Ansicht des Ausschusses bei einer Bewertung auf der Grundlage der im Lauf der letzten Jahre gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der aktuellen medizinischen Empfehlungen eine therapeutische Wirksamkeit von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln bei der Behandlung von Fettleibigkeit fehle.

34 Zwischen dem Erlass der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung hätten sich die Leitlinien für die therapeutische Wirksamkeit von Arzneimitteln gegen Fettleibigkeit und die medizinischen Richtlinien für deren Behandlung gewandelt, und dies habe den Ausschuss veranlasst, seine wissenschaftliche Bewertung zu ändern. Diese Leitlinien verkörperten einen grundsätzlichen Richtungswechsel bei der wissenschaftlichen Beurteilung der Behandlungsweise von Fettleibigkeit. Da der Präsident des Gerichts diesen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen und ausschließlich darauf abgestellt habe, dass beiden Entscheidungen die gleichen Informationen zugrunde lägen, habe er bei der Interessenabwägung einen materiellen Fehler begangen. Aus dem angefochtenen Beschluss gehe auch nicht hervor, ob der Präsident des Gerichts der Tatsache Rechnung getragen habe, dass mit der angefochtenen Entscheidung ein höheres Niveau des Gesundheitsschutzes als mit der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 geschaffen worden sei.

35 Die französische Regierung schließt sich diesem Vorbringen im Wesentlichen an und führt aus, der Präsident des Gerichts habe den Inhalt der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Urteils vom 27. Januar 2000 in der Rechtssache C-164/98 P (DIR International Film u. a./Kommission, Slg. 2000, I-447, Randnrn. 48 und 49) unrichtig wiedergegeben. Diese unrichtige Wiedergabe resultiere aus einer unvollständigen Erfassung der angefochtenen Entscheidung. Der Präsident des Gerichts habe deren Anhang II nicht berücksichtigt, da er nicht erkannt habe, dass der Ausschuss zusätzliche wissenschaftliche Daten aus den Jahren nach 1996 geprüft habe, und außer Acht gelassen, dass den Phentermin enthaltenden Arzneimitteln nach Ansicht des Ausschusses die erforderliche Wirksamkeit fehle.

36 Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund rügt die Kommission, dass der angefochtene Beschluss außerhalb der Grenzen der rechtlichen Überprüfung" liege. Sie trägt vor, der Präsident des Gerichts habe einen Rechtsfehler begangen, indem er seine Beurteilung des angemessenen Schutzniveaus der öffentlichen Gesundheit an die Stelle der Beurteilung der insoweit für die Ausübung des Ermessens zuständigen Kommission gesetzt habe. Die französische Regierung schließt sich diesem Rechtsmittelgrund im Wesentlichen an und weist darauf hin, dass der Gerichtshof bereits im Urteil vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache C-120/97 (Upjohn, Slg. 1999, I-223, Randnrn. 33 und 34) entschieden habe, dass komplexe Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar seien.

37 Der vierte Rechtsmittelgrund wird aus einem Verstoß gegen die Kriterien der Interessenabwägung abgeleitet. Der Präsident des Gerichts habe einen Rechtsfehler begangen, da er keine ordnungsgemäße Interessenabwägung vorgenommen, sondern nur die wirtschaftlichen Einbußen des die Aussetzung der angefochtenen Entscheidung beantragenden Unternehmens geprüft und berücksichtigt habe, ohne der Tatsache gebührend Rechnung zu tragen, dass die mit dem fraglichen Arzneimittel behandelten Patienten der Gefahr schwerer und nicht wieder gutzumachender Schäden ausgesetzt seien. Der Präsident des Gerichts habe dem Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht den nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gebotenen Vorrang eingeräumt, obwohl die dem Ausschuss angehörenden wissenschaftlichen Sachverständigen Gefahren für die menschliche Gesundheit festgestellt hätten.

38 Der fünfte Rechtsmittelgrund betrifft einen Rechtsfehler hinsichtlich des Umfangs der Beweislast der Kommission. Der Präsident des Gerichts sei davon ausgegangen, dass die Kommission mit Unterstützung des Ausschusses aus eigener Kraft nachweisen könne, dass die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels fehle oder dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gefährlich sei. Die Lieferung von Informationen über die Sicherheit und therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels hänge aber weitgehend von den Inhabern der Genehmigungen für das Inverkehrbringen ab, und es sei nicht Sache der Kommission oder des Ausschusses, klinische Untersuchungen vorzunehmen. Die Verteilung der Beweislast durch den Präsidenten des Gerichts hindere die Kommission daran, ihre Entscheidungen über Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu überprüfen, es sei denn, es würden neue Informationen gefunden.

39 Der sechste Rechtsmittelgrund geht dahin, dass die Feststellung in Randnummer 52 des angefochtenen Beschlusses, wonach zwar Unsicherheiten bezüglich der mit Phentermin-haltigen Arzneimitteln verbundenen Risiken bestuenden, doch diese Risiken für die Gesundheit gering" seien, materielle Fehler enthalte. Aus den dem Gericht vorgelegten Akten gehe eindeutig hervor, dass die mit diesen Arzneimitteln verbundenen Risiken, insbesondere eine erhöhte Gefahr primärer pulmonaler Hypertonie und von Herzklappenveränderungen, nicht gering" seien. Der Präsident des Gerichts habe die Bewertung des Ausschusses durch seine eigene ersetzt.

40 Mit dem siebten Rechtsmittelgrund wird gerügt, dass der angefochtene Beschluss keine Begründung für die Feststellung des Präsidenten des Gerichts enthalte, dass die mit Phentermin-haltigen Arzneimitteln verbundenen Risiken gering seien. Weder in Randnummer 52 noch an anderer Stelle des angefochtenen Beschlusses werde eine Erläuterung gegeben, die ein Verständnis der Gründe für eine solche Beurteilung ermöglichen würde.

41 Zum Vorsorgeprinzip trägt die Antragstellerin vor, dieses Prinzip sei nur ein Teil der Prüfung, die der Richter im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vornehmen müsse. Die Verhältnismäßigkeit könne nicht in allen Fällen schon dann als gegeben angesehen werden, wenn behauptet werde, dass das Vorliegen von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiss sei. Auch der bloße Hinweis auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit könne die Prüfung der Umstände des konkreten Falles nicht ausschließen.

42 Zum zweiten Rechtsmittelgrund der Kommission führt die Antragstellerin aus, eine Gesamtbetrachtung des angefochtenen Beschlusses unter Heranziehung aller seiner Bestandteile einschließlich der Randnummern 9 bis 13, 33 und 34 zeige, dass der Präsident des Gerichts alle Aspekte der angefochtenen Entscheidung verstanden und berücksichtigt habe. Zudem habe der angebliche grundsätzliche Richtungswechsel bei der wissenschaftlichen Beurteilung der Behandlungsweise von Fettleibigkeit" - dessen Existenz bestritten werde - nicht die von der Kommission behauptete Bedeutung, da sie ihn in ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Antrag auf einstweilige Anordnung vor dem Gericht nicht erwähnt habe. Der Präsident des Gerichts habe in Randnummer 52 des angefochtenen Beschlusses die Existenz eines höheren Niveaus des Gesundheitsschutzes anerkannt, dieses aber als überzogen angesehen.

43 Zum dritten und zum sechsten Rechtsmittelgrund trägt die Antragstellerin vor, bei der Feststellung, dass die mit Phentermin-haltigen Arzneimitteln verbundenen Risiken gering" seien, habe sich der Präsident des Gerichts auf die Wiedergabe von Ausführungen der Kommission in der angefochtenen Entscheidung beschränkt.

44 Dem vierten Rechtsmittelgrund - Rechtsfehler bei der Interessenabwägung - hält die Antragstellerin entgegen, die Kommission rüge keinen Rechtsfehler, sondern wende sich nur gegen das Ergebnis, zu dem der Präsident des Gerichts gelangt sei. Aus den Randnummern 50 bis 53 des angefochtenen Beschlusses ergebe sich, dass der Präsident des Gerichts die Risiken berücksichtigt habe, die nach Ansicht des Ausschusses mit Phentermin-haltigen Arzneimitteln verbunden seien. Im Gutachten sei von einem schweren und nicht wieder gutzumachenden" Schaden, den die Kommission in ihrer Rechtsmittelschrift behaupte, keine Rede.

45 Zum fünften, die Beweislast betreffenden Rechtsmittelgrund vertritt die Antragstellerin die Ansicht, die Kommission verwechsle die Beweisfrage mit der Frage der Vorlage von Daten. Zwar sei es nicht Sache der Kommission oder des Ausschusses, klinische Untersuchungen vorzunehmen. Aus diesem Grund könne der Ausschuss Auskunftsverlangen an den Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen, an Dritte und an Sachverständige richten. Dies habe aber keine Auswirkungen auf die Beweislast, die der Kommission beim Erlass einer bestimmten Entscheidung obliege. Zudem würden in Randnummer 52 des angefochtenen Beschlusses keine besonderen Beweisanforderungen hinsichtlich der Sicherheit und der Wirksamkeit von Phentermin aufgestellt, sondern es gehe nur um die Frage, ob die angefochtene Entscheidung offensichtlich unverhältnismäßig sei.

46 Zum siebten Rechtsmittelgrund der Kommission - unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses - trägt die Antragstellerin vor, die Einstufung der mit Phentermin-haltigen Arzneimitteln verbundenen Risiken als gering" sei eine zutreffende Beschreibung des Sachverhalts, auf den sich die Kommission beim Erlass der angefochtenen Entscheidung gestützt habe. Der Präsident des Gerichts habe in Randnummer 53 der angefochtenen Entscheidung auch die Gründe erläutert, aus denen er zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Durchführung der Entscheidung nicht dringend" sei.

Würdigung

47 Nach den Artikeln 225 EG und 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt und muss auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, oder auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht gestützt werden.

48 Nur das Gericht ist zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, sowie für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweismittel nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt (vgl. u. a. Urteil vom 11. Februar 1999 in der Rechtssache C-390/95 P, Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Slg. 1999, I-769, Randnr. 29).

49 Im Licht dieser Erwägungen sind die Rechtsmittelgründe zu prüfen.

50 Da es sich um eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung handelt, ist zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob das Rechtsmittel unzulässig ist, weil ihm die Rechtskraft des Beschlusses Artegodan/Kommission entgegensteht; ein solcher Rechtsmittelgrund ist im Rahmen der Rechtssache C-459/00 P(R) (Kommission/Trenker) geltend gemacht worden, über die heute durch Beschluss entschieden wird (Slg. 2001, I-2823).

51 Insoweit genügt der Hinweis, dass die in Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes festgelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in Bezug auf den in dieser Instanz verhandelten Rechtsstreit und nur darauf zu prüfen sind. Dass die Gründe eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses des Gerichts mit den Gründen eines Beschlusses übereinstimmen, gegen den ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, verbietet es dem Rechtsmittelführer nicht, diese Gründe anzufechten (vgl. zu einer Entscheidung des Gerichts, mit der einer Einrede der Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts stattgegeben wurde, Urteil vom 5. Oktober 2000 in den Rechtssachen C-432/98 P und C-433/98 P, Rat/Chvatal u. a., Slg. 2000, I-8535, Randnr. 22).

52 Das Rechtsmittel ist folglich zulässig.

53 Zunächst ist der Rechtsmittelgrund einer unrichtigen Wiedergabe des Inhalts der angefochtenen Entscheidung zu prüfen.

54 Hierzu geht aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses hervor, dass der Präsident des Gerichts bei der Beurteilung des Fumus boni iuris und der Interessenabwägung folgenden Erwägungen ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat:

- [D]ie Kommission [hat] keine überzeugenden Gesichtspunkte vorgetragen, die erklären, weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangen" (Randnr. 34).

- Während ... der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung genau die gleichen Informationen zugrunde liegen, unterscheiden sich die Maßnahmen, die die Kommission 1996 und 2000 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber diesen Risiken getroffen hat, grundlegend. Die Kommission musste daher nachweisen, dass sich die in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 enthaltenen Schutzmaßnahmen als für den Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichend erwiesen hatten, so dass die Schutzmaßnahmen, die sie in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind" (Randnr. 52).

- [D]ie für den Erlass der angefochtenen Entscheidung ausschlaggebenden Gesundheitsrisiken [waren] bereits in der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden ... und [hatten] zu einer Änderung der obligatorischen Angaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geführt" (Randnr. 53).

55 Diesen Erwägungen liegt keine auch nur summarische Prüfung der Begründung in Anhang II der angefochtenen Entscheidung zugrunde, auf die in Artikel 2 der Entscheidung verwiesen wird.

56 Anhang II der angefochtenen Entscheidung, in dem die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses wiedergegeben sind, aus denen sich die Gründe für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen der in Anhang I der Entscheidung aufgezählten Arzneimittel ergeben, enthält zunächst eine Analyse der Wirksamkeit dieser Arzneimittel. Aus ihr wird der Schluss gezogen, dass Phentermin enthaltenden Arzneimitteln bei der Behandlung von Fettleibigkeit die Wirksamkeit fehlt, wenn sie auf der Grundlage der im Laufe von Jahren gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der aktuellen medizinischen Empfehlungen bewertet werden".

57 Diese Schlussfolgerung wird in Anhang II auf folgende Ausführungen gestützt: Nach Beendigung der Behandlung kommt es erneut zu einer raschen Gewichtszunahme, und es gibt keine kontrollierten Studien, die belegen, dass eine begrenzte kurzfristige Wirkung eine langfristige, klinisch relevante Auswirkung auf das Körpergewicht hat oder einen klinischen Vorteil im Rahmen eines Programms zur Behandlung der Fettleibigkeit bietet." Weiter heißt es: Aufgrund des Risikos des Medikamentenmissbrauchs und der Medikamentenabhängigkeit verbietet sich eine Langzeitbehandlung mit Phentermin", und der Anspruch, Phentermin könne, wenn es zur unterstützenden Behandlung eingesetzt würde, längerfristige Strategien erleichtern oder verbessern, [ist] nicht mit geeigneten Belegen erhärtet worden".

58 Nach den Angaben in Anhang II erfordert eine therapeutisch wirksame Behandlung der Fettleibigkeit eine wesentliche und langfristige, d. h. mindestens ein Jahr anhaltende Verringerung des Körpergewichts. Weiter heißt es dort: Diese Erkenntnis beruht auf den im Laufe von Jahren gesammelten wissenschaftlichen Erfahrungen und findet in den gegenwärtigen medizinischen Empfehlungen ihren Niederschlag, so beispielsweise in der Note for Guidance on Clinical Investigation of Drugs Used in Weight Control (Leitlinie zur klinischen Prüfung von verabreichten Medikamenten zur Gewichtskontrolle) (CPMP/EWP/281/96). Ferner kommt diese Erkenntnis auch in den gegenwärtigen Leitlinien, z. B. der schottischen Leitlinie (1996), einer Leitlinie des Royal College of Physicians (1998) und einer Leitlinie der American Society for Clinical Nutrition (1998), zum Ausdruck."

59 Diese Begründung ist im Hinblick auf den Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und angesichts der Rechtsvorschriften für die Beurteilung von Arzneimitteln von Bedeutung.

60 Nach Artikel 5 der Richtlinie 65/65 erstreckt sich die Beurteilung jedes Arzneimittels auf seine Wirksamkeit, seine Unschädlichkeit und seine Qualität. Die Beachtung dieser drei Voraussetzungen dient zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Schon der Begriff des Schutzes der öffentlichen Gesundheit impliziert nämlich, dass das fragliche Arzneimittel nicht nur unschädlich, sondern auch wirksam ist. So wird in den Fußnoten zu den Artikeln 10 Absatz 1 der Richtlinie 75/319 und 7a der Richtlinie 65/65 ausgeführt, dass sich der Ausdruck Gefahr für die öffentliche Gesundheit" auf die Qualität, die Sicherheit und die Wirksamkeit des Arzneimittels bezieht.

61 Die Bedeutung der Wirksamkeit des Arzneimittels, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, hängt damit zusammen, dass in Artikel 1 Nummer 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 zur Definition des Arzneimittelbegriffs das Kriterium der Bezeichnung" verwendet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes soll dieses Kriterium nicht nur Arzneimittel erfassen, die tatsächlich eine therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder nicht die Wirkung haben, die nach ihrer Bezeichnung von ihnen zu erwarten wäre; dadurch sollen die Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln als solchen geschützt werden, sondern auch vor Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Oktober 1992 in der Rechtssache C-219/91, Ter Voort, Slg. 1992, I-5485, Randnr. 16).

62 Wie schon aus dem Wortlaut von Artikel 11 der Richtlinie 65/65 hervorgeht, hat die zuständige Behörde folglich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht nur dann zu widerrufen oder auszusetzen, wenn sich herausstellt, dass das Arzneimittel schädlich ist oder nicht die angegebene Qualität aufweist, sondern auch dann, wenn es sich als nicht wirksam erweist.

63 Der Grad der Schädlichkeit, den die zuständige Behörde als akzeptabel ansehen kann, hängt somit vom Nutzen ab, den das Arzneimittel haben soll. Wie der siebten und der achten Begründungserwägung der Richtlinie 75/318 zu entnehmen ist, können die Begriffe Schädlichkeit" und therapeutische Wirksamkeit" nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden. Daher können die Gründe, die eine zuständige Behörde veranlasst haben, die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aufrechtzuerhalten, obwohl es bestimmte schädliche Auswirkungen hat, wegfallen, wenn die Behörde zu der Auffassung gelangt, dass der die Genehmigung rechtfertigende Nutzen, d. h. die therapeutische Wirksamkeit, nicht mehr vorhanden ist. Wie sich aus der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 in der Fassung der Richtlinie 91/507/EWG der Kommission vom 19. Juli 1991 (ABl. L 270, S. 32) ergibt, sind nämlich den zuständigen Behörden zwecks Kontrolle der Nutzen-Risiko-Bewertung" nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen alle neuen Angaben oder Informationen vorzulegen.

64 Im angefochtenen Beschluss wird bei den Ausführungen zum Fumus boni iuris und zur Interessenabwägung nicht auf die Erwägungen eingegangen, die in der Begründung der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die Änderung der wissenschaftlichen Kriterien für die Beurteilung von Arzneimitteln zur Behandlung von Fettleibigkeit und die fehlende therapeutische Wirksamkeit von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln zu finden sind.

65 Eine solche Änderung stellt aber nach dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung einen ausschlaggebenden Gesichtspunkt für die Beurteilung der genannten Arzneimittel durch den Ausschuss und die Kommission dar.

66 Ferner betreffen aufgrund dieses Versäumnisses die in den Randnummern 52 und 53 des angefochtenen Beschlusses erwähnten Risiken ausschließlich die Schädlichkeit des Arzneimittels, ohne den Bezug zu dessen fehlender therapeutischer Wirksamkeit herzustellen.

67 Der angefochtene Beschluss ist demnach mit einem Rechtsfehler behaftet, da wesentliche Aspekte der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt wurden und damit deren Inhalt unrichtig wiedergegeben wurde.

68 Daher ist dem Rechtsmittel stattzugeben und der angefochtene Beschluss aufzuheben, ohne dass über die übrigen Rechtsmittelgründe entschieden zu werden braucht.

69 Nach Artikel 54 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. Da die Sache zur Entscheidung reif ist, ist endgültig über den Antrag auf einstweilige Anordnung zu entscheiden.

Zum Antrag auf einstweilige Anordnung

Zum Fumus boni iuris

70 Die Antragstellerin trägt mehrere Gründe vor, um die Notwendigkeit der beantragten Aussetzung des Vollzugs glaubhaft zu machen.

71 Erstens sei die Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht zuständig gewesen. Artikel 15a der Richtlinie 75/319 bilde keine tragfähige Rechtsgrundlage für das im vorliegenden Fall angewandte Verfahren. Nach dieser Vorschrift dürfe ein Mitgliedstaat das Verfahren gemäß der Richtlinie nur einleiten, wenn es sich um Genehmigungen für das Inverkehrbringen handele, die gemäß Kapitel III der Richtlinie erteilt worden seien. Die betreffenden Genehmigungen seien jedoch nationale Genehmigungen und nicht nach der Richtlinie erteilt worden. Dass die Genehmigungen nach einem gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 eingeleiteten Verfahren durch die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 geändert worden seien, ändere nichts an dieser Feststellung.

72 Der Ausschuss habe nur die Frage des Zusammenhangs zwischen Phentermin und Herz-Kreislauf-Beschwerden prüfen dürfen, mit der er befasst worden sei. Die belgischen Behörden hätten insoweit eine Prüfung der Gefahr von Herzklappenstörungen aufgrund der Einnahme von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln verlangt, und kein Mitgliedstaat habe eine Nutzen-Risiko-Abwägung in Bezug auf diese Arzneimittel beantragt. Das Gutachten des Ausschusses gehe somit über die ihm vorgelegte Frage hinaus und sei daher ungültig. Es könne deshalb keine tragfähige Grundlage für die angefochtene Entscheidung bilden.

73 Die Kommission trägt vor, die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 sei eine Genehmigung für das Inverkehrbringen, die gemäß den Bestimmungen des Kapitels III der Richtlinie 75/319 erteilt worden sei. Diese Entscheidung sei auf der Grundlage des Artikels 12 der Richtlinie 75/319 erlassen worden und führe zu einer Harmonisierung der nationalen Zulassungen der in ihr genannten Arzneimittel, zu denen auch das von der Antragstellerin hergestellte Präparat gehöre. Die Entscheidung bewirke eine substantielle gemeinschaftsrechtliche Änderung der nationalen Zulassungen, und zwar in der Weise, dass die betreffenden Arzneimittel nach Ablauf der in Artikel 3 der Entscheidung gesetzten Frist nur noch mit den darin festgelegten klinischen Angaben in den Verkehr gebracht werden dürften.

74 Nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über Arzneimittel seien deren Sicherheit und Wirksamkeit miteinander verflochtene Anforderungen. Folglich habe der Ausschuss ihnen Rechnung tragen und die ihm vorgelegten Fragen in einem größeren Zusammenhang prüfen müssen.

75 Im Rahmen der Beurteilung des Fumus boni iuris von Anträgen auf Aussetzung des Vollzugs hat der Richter der einstweiligen Anordnung nicht endgültig über die Auslegung der für den Rechtsstreit maßgebenden Bestimmungen zu entscheiden.

76 Unter diesem Vorbehalt ist festzustellen, dass die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 zwar der Erteilung der nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen nicht vorausging, doch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass es den Mitgliedstaaten nach dem Erlass dieser Entscheidung völlig freistand, über die Aufrechterhaltung der nationalen Genehmigungen zu entscheiden, mit dem Risiko, dass die mit der Entscheidung vorgenommene Harmonisierung zunichte gemacht wird. Auf den ersten Blick würde die These der Antragstellerin den Entscheidungen, die die Kommission gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 in Bezug auf bereits erteilte Genehmigungen erlässt, die praktische Wirksamkeit nehmen.

77 Wie aus Randnummer 63 hervorgeht, kann zudem, auch wenn die Anrufung des Ausschusses auf Erwägungen beruhte, die mit der Schädlichkeit des Phentermin enthaltenden Arzneimittels zusammenhingen, in der das Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 abschließenden Entscheidung auf den ersten Blick auch berücksichtigt werden, ob der Nutzen des Arzneimittels weiterhin seine schädlichen Nebenwirkungen überwiegt.

78 Folglich enthält das Vorbringen der Antragstellerin bei erster Prüfung keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht zuständig war.

79 Zweitens trägt die Antragstellerin vor, das im vorliegenden Fall durchgeführte Verfahren vor dem Ausschuss und der Kommission sei durch einen schweren Verstoß gegen die Formvorschriften gekennzeichnet, da beim Verfahren zum Erlass der angefochtenen Entscheidung in allen Stadien außergewöhnliche Verzögerungen aufgetreten und die in der Richtlinie 75/319 vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten worden seien. Da der Ausgang des Verfahrens von vornherein festgestanden habe und ihr relevante Informationen vorenthalten worden seien, sei ihr das Recht genommen worden, ihre Interessen wirksam zu verteidigen, als der Ausschuss vor der Abgabe seiner ersten Stellungnahme den Fall geprüft habe. Insbesondere sei sie vor der ersten Stellungnahme des Ausschusses nicht darüber informiert worden, dass dieser die Rücknahme von Phentermin wegen fehlender Wirksamkeit empfehlen wolle, obwohl dies letztlich der einzige Grund für die Rücknahmeempfehlung sei. Diese Mängel hätten zur Verletzung grundlegender Verfahrensgarantien geführt und seien durch die in späteren Verfahrensabschnitten verfügbaren Rechtsschutzmöglichkeiten nicht geheilt worden.

80 Zum Vorbringen der Antragstellerin, dass die Fristen der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 nicht eingehalten worden seien, führt die Kommission aus, die ihr vorgeworfenen Verzögerungen beruhten vor allem darauf, dass der Ausschuss die Angemessenheit der verschiedenen denkbaren Empfehlungen eingehend habe prüfen müssen, auf der großen Zahl von Arzneimitteln, die im vorliegenden Fall dem Prüfungsverfahren unterzogen worden seien, und auf der Tatsache, dass der Ausschuss, um eine ausgewogene und eingehende Prüfung der Vor- und Nachteile jedes Erzeugnisses vornehmen zu können, die zur Beurteilung aller verfügbaren Daten erforderliche Zeit benötigt habe. Die Nichteinhaltung der Fristen führe nicht automatisch zur Ungültigkeit des Gutachtens des Ausschusses, und der Antragstellerin sei durch die gerügten Verzögerungen kein Schaden entstanden.

81 Zum Vorbringen der Antragstellerin, dass sie ihre Interessen vor der ersten Stellungnahme des Ausschusses nicht angemessen habe verteidigen können, trägt die Kommission vor, die Antragstellerin sei aufgefordert worden, Daten zur Wirksamkeit des fraglichen Arzneimittels vorzulegen und sich vor der Abgabe der fraglichen Stellungnahme mündlich vor dem Ausschuss zu äußern.

82 Bei einer ersten Prüfung lässt sich dem Wortlaut der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 nicht entnehmen, dass die Fristen, deren Überschreitung die Antragstellerin rügt, zwingenden Charakter haben. Die Antragstellerin gibt nicht an, welcher konkrete Schaden durch die eingetretenen Verzögerungen verursacht worden sein soll oder inwieweit sie sich auf die Verteidigungsrechte oder den Inhalt der angefochtenen Entscheidung ausgewirkt haben sollen.

83 Ferner geht aus den Akten hervor, dass sich die Antragstellerin, die schon zu Beginn des Verfahrens aufgefordert worden war, Daten zur Wirksamkeit ihres Arzneimittels zu liefern, vor der ersten Stellungnahme des Ausschusses mündlich ihm gegenüber geäußert hat, und dass sie auf dessen Stellungnahme erwidern und somit ihren Standpunkt verteidigen konnte, bevor das endgültige Gutachten des Ausschusses erging.

84 Unter diesen Umständen enthält das Vorbringen der Antragstellerin bei erster Prüfung keinen Anhaltspunkt dafür, dass die angeführten Formfehler ihre Verteidigungsrechte beeinträchtigt oder irgendwelche Auswirkungen auf das Ergebnis des Verfahrens gehabt hätten.

85 Drittens verstößt die angefochtene Entscheidung nach Ansicht der Antragstellerin gegen die Artikel 11 und 21 der Richtlinie 65/65, die die Voraussetzungen für den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen enthalten. Sie trägt vor, um die ihr erteilte Genehmigung widerrufen zu können, hätte nachgewiesen werden müssen, dass die Phentermin enthaltenden Arzneimittel schädlich seien, dass ihre therapeutische Wirksamkeit fehle oder dass sie nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufwiesen. Die Kommission habe unter Verstoß gegen Artikel 11 der Richtlinie 65/65 ein ganz anderes Kriterium, nämlich die Nutzen-Risiko-Abwägung, herangezogen.

86 Die Kommission trägt vor, die angefochtene Entscheidung sei nicht deshalb rechtswidrig, weil die Nutzen-Risiko-Analyse, auf der sie beruhe, in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 nicht vorgesehen sei. Eine solche Analyse sei im Rahmen der Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln vorgesehen und sei folglich auch im Fall des in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 geregelten Widerrufs einer solchen Genehmigung möglich.

87 In der Begründung der angefochtenen Entscheidung, zu deren wesentlichen Bestandteilen das Gutachten des Ausschusses gehört, heißt es, dass sie auf der fehlenden therapeutischen Wirksamkeit der Phentermin enthaltenden Arzneimittel beruhe.

88 Zudem gilt - wie oben in Randnummer 63 ausgeführt - das Erfordernis, dass der Nutzen des Arzneimittels seine schädlichen Nebenwirkungen überwiegen muss, nicht nur bei Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen, sondern kann auch deren Widerruf rechtfertigen, da die Nutzen-Risiko-Bewertung auch nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen zu kontrollieren ist, wie in der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 ausdrücklich festgestellt wird.

89 Viertens macht die Antragstellerin geltend, die angefochtene Entscheidung verstoße gegen Artikel 253 EG, da sie sich lediglich ohne nähere Begründung oder Erläuterung das Gutachten des Ausschusses zu Eigen mache, obwohl es rechtliche und wissenschaftliche Fehler enthalte, auf die die Antragstellerin und andere Inhaber von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln die Kommission hingewiesen hätten.

90 Ohne der im Verfahren zur Hauptsache vorzunehmenden Prüfung der Begründung der angefochtenen Entscheidung vorzugreifen, genügt die Feststellung, dass die Kommission nach Artikel 14 der Richtlinie 75/319 nur dann, wenn ihr Entscheidungsentwurf ausnahmsweise nicht dem Gutachten des Ausschusses entspricht, eine eingehende Begründung für die Abweichung ihrer Entscheidung von dem Gutachten zu geben hat. In diesem Zusammenhang erscheint die Tatsache, dass sich die Kommission das Gutachten des Ausschusses zu Eigen gemacht hat, bei erster Analyse nicht als Beleg dafür geeignet, dass die angefochtene Entscheidung unzureichend begründet ist.

91 Schließlich wirft die Antragstellerin der Kommission vor, gegen die Grundsätze der Beweislastverteilung verstoßen zu haben, da sie nicht beachtet habe, dass die Beweislast für die in der angefochtenen Entscheidung genannten Widerrufsgründe bei den zuständigen Behörden liege. Die Kommission habe von den Inhabern der betreffenden Genehmigungen für das Inverkehrbringen erwartet, dass sie geeignete Beweise für die Wirksamkeit von Phentermin lieferten, obwohl sie selbst die Unwirksamkeit dieses Stoffes hätte nachweisen müssen. Ferner habe die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. Ihre auf das Gutachten des Ausschusses gestützten Schlussfolgerungen in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit des fraglichen Arzneimittels würden durch die im Besitz des Ausschusses und der Kommission befindlichen Unterlagen und insbesondere durch die in der angefochtenen Entscheidung erwähnten Leitlinien nicht gestützt. Weder die Kommission noch der Ausschuss hätten auf neue Gesichtspunkte verwiesen, die sich seit 1996 ergeben hätten, als der Ausschuss die Ansicht vertreten habe, dass Phentermin wirksam und ungefährlich sei, und deshalb die von der Kommission befolgte Empfehlung gegeben habe, das Inverkehrbringen dieses Stoffes zu genehmigen.

92 Die Kommission erwidert, der Ausschuss habe in dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Gutachten eindeutig festgestellt, dass die Phentermin enthaltenden Arzneimittel nach dem Stand der Wissenschaft, wie er insbesondere in den Leitlinien zum Ausdruck komme, nicht die zur Behandlung von Fettleibigkeit erforderliche therapeutische Wirksamkeit aufwiesen. Überdies habe der Ausschuss dargelegt, dass mit diesen Arzneimitteln ein potentielles Risiko von Herzklappenstörungen, das Risiko einer primären pulmonalen Hypertonie und andere schwerwiegende Nachteile für das Herz-Kreislauf-System und das zentrale Nervensystem verbunden seien.

93 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Phentermin in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 entgegen der Behauptung der Antragstellerin nicht als ungefährlich" eingestuft wurde. In dieser Entscheidung wies die Kommission vielmehr auf eine Reihe schädlicher Nebenwirkungen hin.

94 Ferner ist, ohne der im Verfahren zur Hauptsache vorzunehmenden Prüfung der Tragweite der in der angefochtenen Entscheidung erwähnten Leitlinien vorzugreifen, darauf hinzuweisen, dass die meisten von ihnen aus der Zeit nach 1996 stammen und daher von der Kommission in ihrer Entscheidung vom 9. Dezember 1996 nicht berücksichtigt wurden.

95 Schließlich ist festzustellen, dass das in Randnummer 91 wiedergegebene Vorbringen der Antragstellerin hauptsächlich die Art und Weise betrifft, in der die Kommission von dem Ermessensspielraum Gebrauch gemacht hat, über den sie bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Widerrufs einer Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügt. Es ist unstreitig, dass bei jeder Entscheidung über den Widerruf einer solchen Genehmigung, die gemäß dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 getroffen wird, die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 aufgestellten inhaltlichen Voraussetzungen in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels beachtet werden müssen. Eine derartige Entscheidung ist somit das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet.

96 Solche Beurteilungen sind grundsätzlich nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verfügt eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, dabei über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, bei der der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts nicht an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzen kann. Somit beschränkt er sich in einem solchen Fall auf die Prüfung der Richtigkeit der Tatsachen und ihrer rechtlichen Einordnung durch diese Behörde und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. zum Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels Urteil Upjohn, Randnr. 34).

97 Im vorliegenden Fall ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, dass die auf dem Gutachten des Ausschusses beruhende angefochtene Entscheidung einen offensichtlichen Irrtum oder einen Ermessensmissbrauch aufweist oder dass die Kommission die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat.

98 Vorbehaltlich der im Rahmen der Prüfung der Klage vorzunehmenden Beurteilung haben demnach die von der Antragstellerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens angeführten Gründe bei erster Prüfung kein größeres Gewicht als die Argumente, die die Kommission als Beleg für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung anführt.

99 Da das Vorbringen der Antragstellerin jedoch nicht völlig unbegründet erscheint, kann die beantragte Aussetzung des Vollzugs nicht schon nach Prüfung des Fumus boni iuris abgelehnt werden, ohne auch die Dringlichkeit zu prüfen und die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen.

Zur Dringlichkeit und zur Interessenabwägung

100 Die Antragstellerin macht geltend, wenn der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt werde, erleide sie einen schweren und irreparablen Schaden.

101 Sie trägt insbesondere vor, die Rücknahme der Zulassung für das Phentermin enthaltende Arzneimittel hätte zur Folge, dass auch nach einer späteren Aufhebung der Rücknahme eine Wiedereinführung des betroffenen Arzneimittels zu ähnlichen Bedingungen unmöglich sein dürfte, da es sehr schwierig und häufig unmöglich sei, ein Arzneimittel, das für längere Zeit vom Markt verschwunden sei, dort wieder zu etablieren. Zudem müsste sie, wenn der Vollzug nicht ausgesetzt werde, auch im Fall der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung einen neuen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen stellen. Folglich müsste sie langwierige klinische Untersuchungen mit diesem Arzneimittel durchführen, die einschließlich vorbereitender Arbeiten mindestens zwei Jahre dauern würden.

102 Sie sei nur ein kleines Pharmaunternehmen, und das Phentermin enthaltende Arzneimittel, auf das 35 % bis 40 % ihres Umsatzes entfielen, sei das erste von ihr erworbene Produkt. Wenn die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung abgelehnt werde, sei es sehr zweifelhaft, ob sie als Unternehmen überleben könne.

103 Auch Patienten und Ärzte würden geschädigt, da sie eines seit Jahrzehnten zur Behandlung von Fettleibigkeit verwendeten Arzneimittels beraubt würden. Was die Patienten anbelange, so sei die Fettleibigkeit in Europa ein großes Gesundheitsproblem, und alternative Arzneimittel seien teurer und hätten umfangreichere Nebenwirkungen. Von den Privatkliniken, die Fettleibigkeit behandelten, müssten im Fall einer Rücknahme der Zulassung mindestens 85 % schließen, wodurch Arbeitsplätze im medizinischen Bereich und in der Verwaltung verloren gehen würden.

104 Die Kommission macht geltend, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfuellt sei.

105 Zum einen zähle die Möglichkeit der Rücknahme einer Zulassung zu den normalen Geschäftsrisiken jedes pharmazeutischen Unternehmens. Es sei Sache des jeweiligen Unternehmens, sich durch eine entsprechende Unternehmenspolitik, z. B. eine Produktdiversifizierung und einen entsprechenden Umsatz, vor den finanziellen Auswirkungen einer solchen Rücknahme zu schützen.

106 Zum anderen sei zum Erfordernis klinischer Untersuchungen festzustellen, dass die Phentermin enthaltenden Arzneimittel vor über 20 Jahren erstmals zugelassen worden seien und dass es möglich und für die Ärzteschaft und die Patienten nützlich gewesen wäre, wenn die vorhandenen Daten durch klinische Untersuchungen aktualisiert worden wären. Die Antragstellerin habe erst am 13. August 1999 vorgeschlagen, eine langfristige klinische Untersuchung durchzuführen, ohne jedoch Einzelheiten zu den beabsichtigten klinischen Studien mitzuteilen. Nach Ansicht des Ausschusses, der diesen Vorschlag eingehend geprüft habe, wäre aber [e]ine klinische Studie ... allein wahrscheinlich nicht ausreichend; es wäre ein klinisches Forschungsprogramm erforderlich, das sich über mehrere Jahre erstrecken würde".

107 Die Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ist danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, dass dem Antragsteller ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht (vgl. z. B. Beschluss vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-329/99 P[R], Pfinzer Animal Health/Rat, Slg. 1999, I-8343, Randnr. 94).

108 Ferner genügt es nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere wenn der Eintritt des Schadens von mehreren Faktoren abhängt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist (vgl. u. a. Beschlüsse vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnr. 34, und vom 14. Dezember 1999 in der Rechtssache C-335/99 P[R], HFB u. a./Kommission, Slg. 1999, I-8705, Randnr. 67).

109 Im vorliegenden Fall bedeutet der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung, dass die in deren Artikel 1 genannten Arzneimittel ganz vom Markt genommen werden. Wird ihr Vollzug nicht ausgesetzt, werden daher wahrscheinlich Ersatzarzneimittel, über deren Existenz sich die Verfahrensbeteiligten einig sind, während der Dauer des Verfahrens zur Hauptsache anstelle der vom Markt genommenen Arzneimittel verschrieben.

110 Somit besteht die Gefahr, dass es nach einer etwaigen Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung für die Antragstellerin schwierig wäre, die Marktanteile zurückzuerlangen, über die sie vor Inkrafttreten der angefochtenen Entscheidung verfügte.

111 Die Antragstellerin beschränkt sich jedoch auf die Behauptung, dass die Rückerlangung der Marktanteile schwierig wäre, hat aber nicht dargetan, dass Hindernisse struktureller oder rechtlicher Art es ausschließen würden, dass die Ärzte diese Arzneimittel erneut verschreiben und die Antragstellerin insbesondere durch geeignete Werbemaßnahmen bei den Ärzten einen beträchtlichen Teil ihrer Marktanteile zurückgewinnt.

112 Die Antragstellerin behauptet zwar, dass sie auch im Fall der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung eine neue Genehmigung für das Inverkehrbringen des Phentermin enthaltenden Arzneimittels beantragen müsste. Diese Behauptung wird jedoch durch nichts gestützt.

113 Hinzu kommt, dass der behauptete Schaden rein finanzieller Art ist und als solcher grundsätzlich nicht als irreparabel oder auch nur als schwer wieder gutzumachen angesehen werden kann, da ein späterer finanzieller Ausgleich möglich ist (Beschluss vom 3. Juli 1984 in der Rechtssache 141/84 R, De Compte/Parlament, Slg. 1984, 2575, Randnr. 4).

114 Der Richter der einstweiligen Anordnung hat jedoch die Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen (Beschluss De Compte/Parlament, Randnr. 4).

115 Die Antragstellerin beschränkt sich insoweit auf die allgemeine Behauptung, es sei sehr zweifelhaft", ob sie als Unternehmen überleben könne, ohne aber Belege dafür zu liefern, dass sie ihre Tätigkeit nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortsetzen könnte. Wie die Kommission zu Recht ausführt, bestätigt die einzige im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Anordnung vorgelegte Unterlage - der Entwurf eines Geschäftsführungsberichts für die Zeit von November 1997 bis März 1999 - keineswegs die Behauptung der Antragstellerin, dass sie nur schwer überleben könnte.

116 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin auf dem Markt für Humanarzneimittel tätig ist, der streng reglementiert ist.

117 In einem Bereich, der oft erhebliche Investitionen erfordert und in dem die zuständigen Behörden aus Gründen, die für die betroffenen Unternehmen nicht immer vorhersehbar sind, zu schnellem Eingreifen gezwungen sein können, wenn Gefahren für die öffentliche Gesundheit bestehen, ist es aber Sache dieser Unternehmen, sich vor den Konsequenzen solcher Eingriffe durch eine geeignete Politik zu schützen, um nicht selbst den daraus entstehenden Schaden tragen zu müssen.

118 Bereits in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 wurde auf schädliche Auswirkungen der Phentermin enthaltenden Arzneimittel hingewiesen. Unter diesen Umständen gehörte der mögliche Erlass einer Entscheidung über den Widerruf oder die Aussetzung der ihr erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen zu den normalerweise von ihr zu tragenden Risiken, nachdem der Ausschuss von einem Mitgliedstaat angerufen worden war, der der Ansicht war, dass die Änderung der Bedingungen der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder deren Aussetzung oder Rücknahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei.

119 Wie den Akten zu entnehmen ist, hat die Antragstellerin ihre geschäftliche Tätigkeit aber erst im Januar 1998 aufgenommen, als der Ausschuss bereits mit der Angelegenheit befasst war.

120 Selbst wenn man als hinreichend erwiesen unterstellt, dass infolge der Anwendung der angefochtenen Entscheidung während des Verfahrens zur Hauptsache ein nicht oder nur schwer wieder gutzumachender Schaden eintreten könnte, wäre dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung im vorliegenden Fall jedenfalls kein größeres Gewicht beizumessen als dem Interesse, das die Gemeinschaft daran hat, dass die der Antragstellerin erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit unverzüglich widerrufen wird.

121 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen unbestreitbar Vorrang einzuräumen ist (Beschluss Vereinigtes Königreich/Kommission, Randnr. 93).

122 Im vorliegenden Fall steht fest, dass es im Gutachten des Ausschusses, auf das in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird, zu den Wirkungen auf das zentrale Nervensystem heißt, dass die fraglichen Arzneimittel schwerwiegende Nebenwirkungen wie z. B. psychotische Reaktionen oder Psychosen, Depressionen und Krampfanfälle" hätten und dass ihr Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential bekannt" sei. Weiter wird darin ausgeführt, dass das Sicherheitsprofil von Phentermin-haltigen Arzneimitteln in Bezug auf das potentielle Risiko von Funktionsstörungen der Herzklappen bei Phentermin-Monotherapie, das Risiko einer primären pulmonalen Hypertonie und auf andere schwerwiegende Nebenwirkungen auf Herz und Kreislauf ... Anlass zur Besorgnis gab". Diese Erwägungen bestätigen die bereits 1996 vorgenommene Beurteilung der Sicherheit der genannten Arzneimittel.

123 Im Anschluss an die Feststellung des Ausschusses, dass eine therapeutische Wirksamkeit von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln bei der Behandlung von Fettleibigkeit fehle, gelangte die Kommission, gestützt auf dessen Gutachten, zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig sei.

124 Vorbehaltlich der im Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache vorzunehmenden Prüfung kann der Richter der einstweiligen Anordnung mangels Anhaltspunkten für einen offensichtlichen Irrtum oder einen Ermessensmissbrauch die Beurteilung des Ausschusses, die das Ergebnis eines gründlichen kontradiktorischen Verfahrens ist, das den Ausschuss veranlasst hat, den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Phentermin enthaltenden Arzneimitteln zu befürworten, nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen.

125 In Anbetracht der genannten Beurteilung könnte die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung aber ernste Gefahren für die Personen mit sich bringen, die die fraglichen Arzneimittel einnehmen, und im Bereich der öffentlichen Gesundheit Schäden verursachen, die bei späterer Abweisung der Klage nicht wieder gutgemacht werden könnten.

126 Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen der Antragstellerin zu dem Schaden, der den Patienten im Fall einer Ablehnung der Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung entstehen würde, nicht in Frage gestellt, da es unstreitig alternative Behandlungen gibt.

127 Zu den angeblichen Schäden für die Kliniken, in denen Fettleibigkeit behandelt wird, ist festzustellen, dass die Behauptung der Antragstellerin, im Fall einer Durchführung der angefochtenen Entscheidung müssten mindestens 85 % der Privatkliniken schließen, wodurch Arbeitsplätze im medizinischen Bereich und in der Verwaltung verloren gehen würden, nur durch ein Schreiben des Leiters einer dieser Kliniken gestützt wird, dem insoweit kein Beleg beigefügt ist.

128 Nach alledem ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1. Der Beschluss des Präsidenten des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 31. Oktober 2000 in der Rechtssache T-137/00 R (Cambridge Healthcare Supplies/Kommission, Slg. 2000, I-3653) wird aufgehoben.

2. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.