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Leitsätze

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1. Rechtsmittel - Zulässigkeit - Rechtsmittel nach der EGKS-Satzung - Andere Streithelfer als Mitgliedstaaten oder Gemeinschaftsorgane - Fehlende Unternehmenseigenschaft im Sinne von Artikel 80 EGKS-Vertrag - Unerheblich - Erfordernis des unmittelbaren Berührtseins durch die Entscheidung des Gerichts

(EGKS-Satzung des Gerichtshofes, Artikel 34 Absatz 1 und 49 Absatz 2)

2. EGKS - Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie - Verwaltungsverfahren - Verpflichtung der Kommission, den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben - Anhörungsrecht des Beihilfeempfängers - Grenzen

(EG-Vertrag, Artikel 93 Absatz 2 [nach Änderung jetzt Artikel 88 Absatz 2 EG]; Allgemeine Entscheidung Nr. 3855/91, Artikel 6 Absatz 4)

3. EGKS - Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie - Verbot - Beeinträchtigung des Wettbewerbs und des Handels zwischen Mitgliedstaaten - Unerheblich

(EGKS-Vertrag, Artikel 4 Buchstabe c)

4. EGKS - Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie - Genehmigung durch die Kommisson - Voraussetzungen - Anmeldung - Nichteinhaltung der Frist - Wirkungen

(Allgemeine Entscheidungen Nrn. 257/80, 3484/85, 3855/91 und 2496/96)

5. Handlungen der Organe - Zeitliche Geltung - Rückwirkung einer materiell-rechtlichen Vorschrift - Voraussetzungen - Keine Rückwirkung der Stahlbeihilfenkodexe

(EGKS-Vertrag, Artikel 2, 3 und 4; Allgemeine Entscheidung Nr. 3855/91)

6. EGKS - Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie - Verwaltungsverfahren - Fehlen einer Verjährungsvorschrift im Zusammenhang mit dem Recht der Kommission zur Ausübung ihrer Befugnisse - Beachtung der Erfordernisse der Rechtssicherheit

7. Staatliche Beihilfen - Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe - Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Zahlung von Zinsen gerechtfertigt durch die Notwendigkeit, die frühere Lage wieder herzustellen - Festsetzung des Zinssatzes - Befugnisse der Kommission

8. EGKS - Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie - Entscheidung der Kommission - Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand der bei Erlass der Entscheidung verfügbaren Informationen - Sorgfaltspflicht des die Beihilfe gewährenden Mitgliedstaats und ihres Empfängers in Bezug auf die Mitteilung aller erheblichen Gesichtspunkte

(Allgemeine Entscheidung Nr. 3855/91, Artikel 6 Absatz 4)

9. EGKS - Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie - Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe - Rückzahlungspflicht - Übernahme durch den Verkäufer - Zulässigkeit

Leitsätze

1. Nach Artikel 49 Absatz 2 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes kann ein Rechtsmittel von anderen Streithelfern als Mitgliedstaaten oder Gemeinschaftsorgane eingelegt werden, wenn die Entscheidung des Gerichts sie unmittelbar berührt. Eine natürliche oder juristische Person, die in einem Verfahren im ersten Rechtszug als Streithelfer nach Artikel 34 Absatz 1 dieser zugelassen worden ist, braucht daher, um gegen eine in diesem Verfahren erlassene Entscheidung des Gerichts ein Rechtsmittel einzulegen, nicht nachzuweisen, dass sie ein Unternehmen im Sinne von Artikel 80 EGKS-Vertrag ist, das gegebenenfalls zur Erhebung einer Klage nach Artikel 33 Absatz 2 EGKS-Vertrag berechtigt wäre.

Jedoch bedeutet der abweichende Wortlaut des besagten Artikels 49 Absatz 2 gegenüber Artikel 34 Absatz 1 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes, wonach natürliche und juristische Personen für ihre Zulassung als Streithelfer nur ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nachweisen müssen, dass die Erfuellung dieser letztgenannten Voraussetzung und die Zulassung als Streithelfer im ersten Rechtszug noch nicht genügen, um ein Rechtsmittel einlegen zu können, sondern dass der Betreffende darüber hinaus durch die Entscheidung des Gerichts unmittelbar berührt sein muss.

( vgl. Randnrn. 53-55 )

2. Im Stadium der Prüfung, das Artikel 6 Absatz 4 des durch die Entscheidung Nr. 3855/91 geschaffenen Fünften Stahlbeihilfenkodex vorsieht und für das hinsichtlich der Einbeziehung der Beteiligten in das Verfahren ähnliche Regeln gelten wie nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 2 EG), hat die Kommission die Beteiligten zur Stellungnahme aufzufordern.

Die Veröffentlichung einer Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ist ein angemessenes Mittel zur Unterrichtung aller Beteiligten über die Einleitung eines Verfahrens. Diese Mitteilung dient dem Zweck, von den Beteiligten alle Auskünfte zu erhalten, die dazu beitragen können, der Kommission Klarheit über ihr weiteres Vorgehen zu verschaffen. Ein solches Verfahren gibt außerdem den anderen Mitgliedstaaten und den betroffenen Wirtschaftskreisen die Gewähr, ihre Auffassung vortragen zu können

Im Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen haben andere Beteiligte als der für die Gewährung der Beihilfe verantwortliche Mitgliedstaat jedoch selbst keinen Anspruch auf eine streitige Erörterung mit der Kommission, wie sie zugunsten des Letzteren eingeleitet wird. Für das Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen, darunter das Verfahren nach dem Fünften Stahlbeihilfenkodex, besteht keine Vorschrift, die dem Beihilfenempfänger eine besondere Stellung unter den Beteiligten zuwiese, da das Verfahren kein Verfahren gegen ihn ist, das es mit sich brächte, dass er so umfassende Rechte wie die Verteidigungsrechte als solche beanspruchen könnten.

( vgl. Randnrn. 79-80, 82-83 )

3. Anders als Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 Absatz 1 EG), der staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, nur erfasst, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, gilt Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag einfach für sämtliche von Staaten gewährte Beihilfen gleich welcher Art.

Bereits dieser eindeutige Unterschied zwischen den Bestimmungen des EGKS-Vertrags und denen des EG-Vertrags belegt hinreichend, dass die Mitgliedstaaten für staatliche Beihilfen nicht die gleichen Regeln und den gleichen Bereich gemeinschaftlichen Tätigwerdens festlegen wollten, und dass eine Beihilfe, um unter Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag zu fallen, nicht notwendig Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten oder den Wettbewerb haben muss.

Dass die Kommission auf der Grundlage von Artikel 95 EGKS-Vertrag mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses Vorschriften für eine Genehmigung bestimmter Beihilfen im Geltungsbereich des EGKS-Vertrags erlassen hat, kann die Definition der Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag nicht ändern.

( vgl. Randnrn. 101-103 )

4. Anders als die Vorschriften des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen, die der Kommission die ständige Befugnis verleihen, über deren Zulässigkeit zu entscheiden, erkennen die Stahlbeihilfenkodexe der Kommission diese Befugnis nur für einen jeweils begrenzten Zeitraum zu. Deshalb kann die Kommission, wenn bei ihr Beihilfen, deren Genehmigung nach einem bestimmten Kodex die Mitgliedstaaten wünschen, nicht innerhalb der von diesem Kodex vorgeschriebenen Anmeldungsfrist angemeldet werden, über die Vereinbarkeit dieser Beihilfen mit diesem Kodex nicht mehr entscheiden. Dass die Kommission oder ihre Dienststellen unter bestimmten Umständen möglicherweise die gegenteilige Auffassung eingenommen haben, steht dem nicht entgegen. Im Übrigen kann die Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt im Zusammenhang mit den Stahlbeihilfenkodexen nur nach den Vorschriften beurteilt werden, die im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Auszahlung gelten.

( vgl. Randnrn. 115-117 )

5. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen, wobei ausnahmsweise anderes dann gelten kann, wenn das angestrebte Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet wird. Ferner sind die Vorschriften des materiellen Gemeinschaftsrechts, um die Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu gewährleisten, so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist.

Was den Fünften Stahlbeihilfenkodex anbelangt, so sieht keine seiner Bestimmungen seine rückwirkende Geltung vor. Aus der Systematik und den Zwecken der nacheinander erlassenen Beihilfenkodexe lässt sich außerdem schließen, dass jeder der Kodexe Regeln, mit denen die Stahlindustrie auf die in den Artikeln 2, 3 und 4 EGKS-Vertrag niedergelegten Zwecke hin ausgerichtet werden soll, jeweils nach Maßgabe der Bedürfnisse in einem bestimmten Zeitraum aufstellt. Es entspräche daher nicht der Systematik und den Zwecken dieser Art von Regelungen, wenn Vorschriften, die wegen der dann gegebenen Sachlage für einen bestimmten Zeitraum erlassen werden, auf Beihilfen angewandt würden, die schon vorher ausgezahlt wurden.

( vgl. Randnrn. 119-120 )

6. Eine Verjährungsfrist muss, um ihrer Funktion gerecht werden zu können, im Voraus festgelegt sein, und die Festlegung einer solchen Frist und der Einzelheiten ihrer Anwendung fällt in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers. Dieser hat aber auf dem Gebiet der Kontrolle von nach dem EGKS-Vertrag gewährten Beihilfen keine Verjährungsfrist vorgesehen.

Die Kommission ist jedoch auch bei Fehlen entsprechender Vorschriften durch das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit daran gehindert, unbegrenzt lange zu warten, ehe sie von ihren Befugnissen Gebrauch macht.

( vgl. Randnrn. 139-140 )

7. Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 2 EG) gibt der Kommission, wenn sie die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt feststellt und entscheidet, dass der betreffende Staat sie aufzuheben oder umzugestalten hat, die Befugnis, die Rückforderung der Beihilfe anzuordnen, wenn diese unter Verletzung des Vertrages gewährt wurde; hierdurch wird die praktische Wirksamkeit der Aufhebung oder der Umgestaltung sichergestellt. Die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten staatlichen Beihilfe zwecks Wiederherstellung der früheren Lage kann grundsätzlich nicht als eine Maßnahme betrachtet werden, die in keinem Verhältnis zu den Zielen der Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen stuende.

Die vorherige Lage wird indessen naturgemäß nur dann annähernd wiederhergestellt, wenn der zurückzuzahlende Beihilfenbetrag vom Zeitpunkt der Auszahlung der Beihilfe an zu verzinsen ist und wenn die angewandten Zinssätze den marktüblichen Zinssätzen entsprechen. Andernfalls verbliebe dem Empfänger zumindest ein Vorteil, der der kostenlosen Verfügung über Barmittel oder einem vergünstigten Darlehen entspräche. Die Empfänger von mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren staatlichen Beihilfen können deshalb nicht geltend machen, sie hätten nicht damit zu rechnen brauchen, dass die Kommission die Rückforderung der Beihilfen mit einer Verzinsung, die so genau wie möglich die auf dem Kapitalmarkt verlangte Zinshöhe widerspiegelt, anordnen würde.

Dabei ist das im nationalen Recht vorgesehene Verfahren für die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge nur anzuwenden, soweit gemeinschaftsrechtliche Vorschriften nicht bestehen. Mit ihrer Befugnis, die Wiederherstellung der vorherigen Lage anzuordnen, verfügt die Kommission - vorbehaltlich der Kontrolle durch die Gemeinschaftsgerichte, ob ein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliegt - aber auch über die Befugnis zur Festsetzung eines Zinssatzes, der diese Wiederherstellung ermöglicht.

( vgl. Randnrn. 157, 159-161 )

8. Die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen ist aufgrund der Informationen zu beurteilen, über die die Kommission bei deren Erlass verfügte.

Enthält dabei die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung gemäß Artikel 6 Absatz 4 des Fünften Stahlbeihilfenkodex eine hinreichende vorläufige Beurteilung der Kommission, in deren Rahmen die Gründe erläutert sind, aus denen sie Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt hegt, so ist es Sache des betroffenen Mitgliedstaats und gegebenenfalls des Beihilfenempfängers, die Gesichtspunkte vorzutragen, die die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt belegen, sowie gegebenenfalls ferner spezielle Umstände, die die Rückzahlung bereits gewährter Beihilfen betreffen, falls die Kommission deren Rückforderung angeordnet hat.

( vgl. Randnrn. 168, 170 )

9. Wenn ein Unternehmen, das eine Beihilfe erhalten hat, zum Marktpreis verkauft wurde, so spiegelt der Kaufpreis grundsätzlich die Auswirkungen der zuvor gewährten Beihilfe wider, und der Verkäufer dieses Unternehmens bleibt wegen des von ihm erlangten Kaufpreises Nutznießer der Beihilfe. Unter diesen Umständen ist es nicht ungewöhnlich, dass die etwaige Rückzahlung einer mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfe, die einem anschließend veräußerten Unternehmen gewährt wurde, letztlich vom Verkäufer zu tragen ist, in Bezug auf den bei dieser Sachlage keine Sanktion vorliegt.

( vgl. Randnrn. 180-181 )