62000C0411

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 18. April 2002. - Felix Swoboda GmbH gegen Österreichische Nationalbank. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesvergabeamt - Österreich. - Öffentliche Dienstleistungsaufträge - Richtlinie 92/50/EWG - Geltungsbereich - Umzug einer Zentralbank - Öffentlicher Auftrag, der gleichzeitig Dienstleistungen des Anhangs IA und des Anhangs IB der Richtlinie 92/50 umfasst - Wertmäßiges Überwiegen der Dienstleistungen des Anhangs IB . - Rechtssache C-411/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-10567


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Der Senat 4 des österreichischen Bundesvergabeamts hat mit Beschluss vom 29. September 2000 dem Gerichtshof vier Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Die Richtlinie 92/50 unterscheidet zwischen prioritären" Dienstleistungsaufträgen, auf die die Richtlinie insgesamt (Abschnitte III bis VI) Anwendung findet, und nicht prioritären" Dienstleistungsaufträgen, für die nur die Artikel 14 und 16 der Richtlinie gelten. Die nicht prioritären Dienstleistungsaufträge, die geringeren Einfluss auf den grenzüberschreitenden Verkehr haben, werden daher nur von dem mit der Richtlinie geschaffenen Beobachtungsinstrument erfasst.

3. Die prioritären Dienstleistungen sind in Anhang IA der Richtlinie aufgeführt, die nicht prioritären Dienstleistungen in Anhang IB. Die Einteilung der Dienstleistungen erfolgt unter Bezugnahme auf die zentrale Gütersystematik der Vereinten Nationen (im Folgenden: CPC).

4. In Bezug auf Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs IA und des Anhangs IB sind, bestimmt Artikel 10 der Richtlinie:

[Die Aufträge] werden nach den Vorschriften der Abschnitte III bis VI vergeben, wenn der Wert der Dienstleistungen des Anhangs IA größer ist als derjenige der Dienstleistungen des Anhangs IB. Ist dies nicht der Fall, so werden sie gemäß den Artikeln 14 und 16 vergeben."

5. Die Richtlinie 92/50 wurde durch das Bundesvergabegesetz (im Folgenden auch: BVergG) in das österreichische Recht umgesetzt. Anhang III dieses Bundesgesetzes entspricht dem Anhang IA der Richtlinie 92/50, während Anhang IV dem Anhang IB der Richtlinie entspricht. Die Regelung des Artikels 10 der Richtlinie 92/50 wird durch § 3 Absatz 4 des Bundesvergabegesetzes umgesetzt.

6. Im Ausgangsverfahren rügt die Antragstellerin, die Felix Swoboda GmbH, die Rechtmäßigkeit eines Verfahrens über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags nach § 3 Absatz 4 BVergG. Sie beantragt beim Bundesvergabeamt die Feststellung, dass wegen eines Verstoßes gegen das Bundesgesetz der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei. Nach den Ausführungen des öffentlichen Auftraggebers hat sich die Antragstellerin an dem betreffenden Vergabeverfahren nicht beteiligt.

7. Die Österreichische Nationalbank (im Folgenden: ÖNB) als öffentliche Auftraggeberin vergab im Rahmen ihrer Übersiedlung in neue Räumlichkeiten, die sich ungefähr 200 m von ihrem ursprünglichen Standort entfernt befanden, einen Auftrag über Dienstleistungen, Umzüge/Transporte".

8. Neben der physischen Übersiedlung (Demontieren, Verpacken, Transport, Auspacken), die nach den Ausführungen der ÖNB nur 6,94 % des Auftragswerts ausmachte, bestand der Kern der zu erbringenden Dienstleistungen in der EDV-unterstützten Logistik, der Koordination aller Übersiedlungstätigkeiten und der Bereitstellung einer Lagerhalle sowie der Lagerorganisation. Daher war die ÖNB der Ansicht, dass der Auftrag hauptsächlich in Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs" im Sinne von Anhang IV des Bundesvergabegesetzes und nicht in Dienstleistungen des Landverkehrs" bestehe, die in Anhang III des Bundesvergabegesetzes aufgeführt seien und daher insgesamt diesem Bundesgesetz unterlägen. Deshalb sah sie von der Bekanntmachung der Ausschreibung des Auftrags ab.

9. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Auftragsvergabe entsprechend dem gesamten Bundesvergabegesetz hätte erfolgen müssen, da der Wert der Anhang III zuzuordnenden Dienstleistungen im vorliegenden Fall höher als der Wert der Anhang IV zuzuordnenden sei.

10. Das Bundesvergabeamt hat es daher für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich befunden, dem Gerichtshof gemäß Artikel 234 EG die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist eine Dienstleistung, die einem einheitlichen Zweck dient, ihrerseits aber in Teilleistungen unterteilt werden könnte, nach der Systematik der Richtlinie 92/50/EWG, insbesondere der in Anhang IA und IB enthaltenen Dienstleistungsbilder, als einheitliche Leistung, bestehend aus Hauptleistung und akzessorischen Nebenleistungen, zu qualifizieren und nach ihrem Hauptgegenstand unter die Anhänge IA und IB der Richtlinie einzuordnen, oder ist vielmehr hinsichtlich jeder Teilleistung gesondert zu prüfen, ob sie als prioritäre Dienstleistung der Richtlinie in vollem Umfang oder als nicht prioritäre Dienstleistung nur einzelnen Vorschriften der Richtlinie unterliegt?

2. Wie weit darf eine Dienstleistung, die ein bestimmtes Leistungsbild umschreibt (z. B. Transportdienstleistungen), nach der Systematik der Richtlinie 92/50/EWG in Einzelleistungen zerlegt werden, ohne Bestimmungen über die Vergabe von Dienstleistungen zu verletzen bzw. den effet utile der Dienstleistungsrichtlinie zu unterlaufen?

3. Sind die im Sachverhalt genannten Leistungen (unter Berücksichtigung des Artikels 10 der Richtlinie 92/50/EWG) als Dienstleistungen des Anhangs IA der Richtlinie 92/50/EWG (Kategorie 2, Landverkehr) einzustufen und Aufträge, deren Gegenstand solche Leistungen sind, somit nach den Vorschriften der Abschnitte III bis VI der Richtlinie zu vergeben, oder sind sie als Dienstleistungen des Anhangs IB der Richtlinie 92/50/EWG (insbesondere Kategorie 20, Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs, sowie Kategorie 27, Sonstige Dienstleistungen) einzustufen und Aufträge, deren Gegenstand solche Leistungen sind, somit gemäß den Artikeln 14 und 16 zu vergeben, und unter welche Referenznummer der CPC sind sie zu subsumieren?

4. Besteht für den Fall, dass die Betrachtung der Teilleistungen zu dem Ergebnis fuhren würde, dass eine an sich den Bestimmungen der Richtlinie 92/50/EWG in vollem Umfang unterliegende Teilleistung gemäß Anhang IA der Richtlinie aufgrund des Überwiegensprinzips des Artikels 10 der Richtlinie ausnahmsweise nicht im vollen Umfang den Bestimmungen der Richtlinie unterliegt, eine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, nicht prioritäre Teilleistungen abzutrennen und getrennt zu vergeben, um den prioritären Charakter der Dienstleistung zu wahren?

Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

11. Da sowohl die Kommission als auch die ÖNB Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlagefragen haben, ist zunächst darauf einzugehen.

12. Die Kommission wirft in einer Vorbemerkung die Frage auf, ob das Bundesvergabeamt ein Gericht im Sinne von Artikel 234 EG darstellt, was Voraussetzung der Zulässigkeit der Vorlagefragen sei.

13. Hierzu verweise ich unmittelbar auf das Urteil Mannesmann Anlagenbau Austria u. a.. In diesem Urteil ist der Gerichtshof implizit, jedoch unbestreitbar, vom Gerichtscharakter des Bundesvergabeamts ausgegangen, denn es hat die ihm vorgelegten Fragen beantwortet. Dafür spricht namentlich, dass Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen das Problem der Einstufung des Bundesvergabeamts als Gericht behandelt hat. Zum Abschluss seiner Erwägungen, denen ich mich anschließe, ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass das österreichische Bundesvergabeamt als Gericht im Sinne von Artikel 234 EG anzusehen sei. Später hat der Gerichtshof durch die Beantwortung mehrerer Vorabentscheidungsersuchen des Bundesvergabeamts diese Anerkennung der Gerichtseigenschaft bestätigt.

14. Die Kommission verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, nach der Entscheidungen nationaler Gerichte, mit denen er gemäß Artikel 234 EG befasst wurde, Rechtsprechungscharakter" haben müssten. Das Bundesvergabeamt sei, wie es in seinem Vorlagebeschluss vom 9. August 2001 in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Siemens und ARGE Telekom einräume, nicht befugt, Anordnungen zu erlassen. Die Kommission schließt daraus, dass seine Entscheidungen keinen Rechtsprechungscharakter hätten.

15. Jedoch kann eine Einrichtung Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter erlassen, ohne über eine Anordnungsbefugnis zu verfügen. Der beste Beleg dafür ist der Umstand, dass der Gerichtshof selbst ebenfalls - mit Ausnahme der Fälle, in denen er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet - keine derartige Anordnungsbefugnis besitzt. Dennoch hat es, zumindest bisher, noch niemand gewagt, seine Gerichtseigenschaft in Frage zu stellen.

16. Das Bundesvergabeamt verfügt zwar nicht über die Befugnis, den öffentlichen Auftraggebern Anordnungen zu erteilen, hat jedoch zumindest bis zur Erteilung des Zuschlags die Befugnis, deren Entscheidungen für nichtig zu erklären, was ausreicht, um ihm die Eigenschaft eines Gerichts im Sinne von Artikel 234 EG beizulegen. Denn, wie Generalanwalt Léger in seinen erwähnten Schlussanträgen ausgeführt hat, sind die Entscheidungen des Bundesvergabeamts bindend, wie sich insbesondere aus seiner gesetzlich niedergelegten Befugnis ergibt, Entscheidungen für nichtig zu erklären".

17. Zwar kann das Bundesvergabeamt, da im vorliegenden Fall der Zuschlag bereits erteilt worden ist, im Ausgangsverfahren keine Nichtigerklärung aussprechen. Denn die vorliegende Rechtssache fällt unter § 113 Absatz 3 BVergG, der lautet:

Nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluss des Vergabeverfahrens ist das Bundesvergabeamt zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist das Bundesvergabeamt ferner zuständig, auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, ob ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte."

18. Dies bedeutet freilich nicht, dass das Bundesvergabeamt keine bindende Entscheidung erlässt, die in Rechtskraft erwächst. Denn nach § 125 Absatz 2 BVergG ist eine Schadensersatzklage eines übergangenen Bieters nur dann zulässig, wenn das Bundesvergabeamt zuvor gemäß § 113 Absatz 3 BVergG die Rechtswidrigkeit der Zuschlagserteilung festgestellt hat. Das Zivilgericht, das über diese Schadensersatzklage zu befinden hat, ist, wie im Übrigen die Parteien des betreffenden Verfahrens, an diese Feststellung gebunden.

19. Tatsächlich beruhen die Bedenken der Kommission wohl auf einem bedauerlichen Missverständnis. Aus der vom Bundesvergabeamt in dem der Rechtssache Siemens und ARGE Telekom zugrunde liegenden Ausgangsverfahren aufgeworfenen Frage danach, ob es in Anbetracht der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge über ausreichende Befugnisse verfüge, glaubte die Kommission zu Unrecht schließen zu können, das Bundesvergabeamt hege Zweifel an seiner Gerichtseigenschaft.

20. Daher bin ich der Ansicht, dass das Bundesvergabeamt jedenfalls in dem von der Antragstellerin anhängig gemachten Verfahren die Eigenschaft eines Gerichts im Sinne von Artikel 234 EG besitzt, die es ihm erlaubt, dem Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen.

21. Die ÖNB bezweifelt die Befugnis der Antragstellerin, das Ausgangsverfahren einzuleiten, weil dieser die nach nationalem Recht für ein derartiges Vorgehen erforderliche Eigenschaft eines übergangenen Bewerbers oder Bieters fehle. Da die Antragstellerin keinen Anspruch auf Schadensersatz habe, hätte die Feststellung einer Verletzung der Richtlinie 92/50 rein deklaratorischen Charakter und keine sachliche Auswirkung auf das Ausgangsverfahren.

22. Hierzu stelle ich schlicht fest, dass die Frage der Berechtigung der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens sich nach dem nationalen Verfahrensrecht bestimmt. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, derartige Fragen zu entscheiden. Es obliegt nämlich allein dem nationalen Gericht, rein nationalrechtliche Probleme zu entscheiden und die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens zu beurteilen. Die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts kann der Gerichtshof entgegen einem Ersuchen des nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn sie hypothetisch sind oder ihm im Rahmen konstruierter Ausgangsverfahren vorgelegt werden. Im vorliegenden Fall liegt eine derartige Ausnahme offenkundig nicht vor.

23. Die ÖNB macht ferner geltend, der Gerichtshof habe bereits im Urteil Tögel Fragen entschieden, die mit denen vergleichbar seien, mit denen er jetzt befasst sei, und könne daher die Vorlagefragen durch mit Gründen versehenen Beschluss unter Bezugnahme auf dieses Urteil beantworten.

24. Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes eröffnet diesem nur eine Möglichkeit, Vorlagefragen durch mit Gründen versehenen Beschluss zu beantworten. Es handelt sich nicht um eine Verpflichtung.

25. Im Übrigen unterscheiden sich sowohl der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens als auch die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen in der Rechtssache Tögel offenkundig erheblich von denjenigen, die uns in der vorliegenden Rechtssache beschäftigen. Insbesondere hatte der Gerichtshof in diesem Urteil nicht die im vorliegenden Verfahren vom Bundesvergabeamt gestellte Kernfrage zu beantworten, ob ein Auftrag für eine Dienstleistung, die einem einheitlichen Zweck dient, die jedoch mehrere Teilleistungen umfasst, der ihrem Hauptzweck entsprechenden Vergaberegelung unterliegt, oder ob sie vielmehr der Regelung für diejenigen Teilleistungen unterliegt, die wertmäßig den überwiegenden Teil des Auftrags darstellen.

26. Schließlich macht die ÖNB geltend, der in Rede stehende Auftrag enthalte kein grenzüberschreitendes Element und sei von keinem Interesse für ein ausländisches Unternehmen. Daher gelte für die vorliegende Rechtssache das Gemeinschaftsrecht nicht, da der Sachverhalt keinen Bezug zu einem grenzüberschreitenden Tatbestand habe. Für ihre Ansicht führt die ÖNB insbesondere das Urteil RI.SAN. an, in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass das Gemeinschaftsrecht auf ein Vergabeverfahren keine Anwendung finde, wenn dieses kein grenzüberschreitendes Element enthalte.

27. Dies ist eine offensichtlich falsche Auslegung des Urteils des Gerichtshofes. Im Urteil RI.SAN. hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG) auf einen Fall keine Anwendung findet, der mit keinem seiner Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist. Er hat jedoch nicht über die Anwendbarkeit der Richtlinie 92/50 in Bezug auf dieses Erfordernis der Grenzüberschreitung entschieden.

28. Die Gemeinschaftsrichtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge dienen der Einführung koordinierter Verfahren auf Gemeinschaftsebene, unabhängig davon, ob bei den betreffenden Aufträgen grenzüberschreitende Elemente vorliegen oder nicht. Der Umstand, dass der in Rede stehende Auftrag nur von begrenztem Interesse für einen ausländischen Bieter sein sollte, stellt keinen hinreichenden Grund für den Ausschluss der Anwendung der Richtlinie 92/50 dar. Zudem stuende es außer Verhältnis zu dem Zweck der Richtlinie, der in der Öffnung des Zugangs zu Aufträgen für in den anderen Mitgliedstaaten niedergelassene mögliche Bieter selbst dann besteht, wenn diese Aufträge vollständig innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats zu erfuellen sind, zu verlangen, dass Anfangs- und Endpunkt der zu erbringenden Dienstleistung auf zwei Seiten einer Grenze zu liegen hätten.

29. Daher sind die Fragen des vorlegenden Gerichts zu beantworten. Um die Kohärenz meiner Erwägungen zu wahren, werde ich die vierte Frage beantworten, bevor ich die dritte behandele.

Zur ersten Frage

30. Um sich bei den Antworten, die dem vorlegenden Gericht gegeben werden, kurz zu fassen und im Interesse einer zweckdienlichen Auslegung der Richtlinie 92/50 bin ich der Ansicht, dass das Bundesvergabeamt mit seiner ersten Frage vom Gerichtshof wissen möchte, welche Regelung auf die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags Anwendung findet, wenn dieser Auftrag einem einheitlichen Zweck dient, jedoch in mehrere Teilleistungen unterteilt werden kann. Erfolgt die Zuordnung des Auftrags zu den Anhängen IA oder IB der Richtlinie 92/50 nach Maßgabe des Hauptzwecks des Auftrags oder nach Maßgabe der Teilleistungen, die wertmäßig den überwiegenden Teil des Auftrags darstellen?

31. Das Bundesvergabeamt verweist in seinem Vorlagebeschluss auf das Urteil Gestión Hotelera Internacional und führt aus, dass dieses Urteil ein Überwiegensprinzip festlege, wonach für die Zwecke der Bestimmung, welche Vergaberichtlinie auf einen bestimmten Auftrag anzuwenden sei, die mit dem Hauptgegenstand verbundenen Nebenleistungen vom Hauptauftrag absorbiert würden.

32. Meines Erachtens ist der Verweis auf dieses Urteil für die Entscheidung der dem Gerichtshof hier vorgelegten Frage nicht erheblich.

33. Im Urteil Gestión Hotelera Internacional hatte der Gerichtshof über die Anwendbarkeit der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge auf einen Auftrag zu befinden, dessen Gegenstand im Wesentlichen in der Überlassung von Gegenständen bestand. Der Gerichtshof hat dabei ausgeführt, dass ein gemischter Vertrag, der sich sowohl auf die Durchführung von Bauarbeiten als auch auf eine Überlassung von Vermögensgegenständen bezieht, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 71/305 fällt, wenn die Durchführung der Bauarbeiten gegenüber der Überlassung von Vermögensgegenständen von untergeordneter Bedeutung ist".

34. Diese Lösung der Rechtsprechung wird u. a. bestätigt durch die sechzehnte Begründungerwägung der Richtlinie 91/50:

Dienstleistungsaufträge, insbesondere im Bereich der Grundstücksverwaltung, können gelegentlich Bauleistungen mit sich bringen. Aus der Richtlinie 71/305/EWG folgt, dass ein Vertrag, um als öffentlicher Bauauftrag eingeordnet zu werden, die hauptsächliche Errichtung eines Bauwerks im Sinne der Richtlinie zum Inhalt haben muss. Soweit Bauleistungen lediglich von untergeordneter Bedeutung sind und somit nicht den Inhalt des Vertrages ausmachen, führen sie nicht zu einer Einordnung des Vertrages als öffentlicher Bauauftrag."

35. Die dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache gestellte Frage ist jedoch eine erheblich andere. Es geht nicht darum, welche Richtlinie auf die Auftragsvergabe anwendbar ist. Sämtliche beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen erkennen die Anwendbarkeit der Richtlinie 92/50 an. Das Problem betrifft die Bestimmung der innerhalb der Richtlinie selbst auf den Auftrag anwendbaren Regelung. Die Richtlinie enthält keine Bestimmung, nach der der Hauptzweck des Auftrags maßgeblich dafür sein könnte, welcher Anhang der Richtlinie und folglich welche Regelung auf das Verfahren anwendbar ist.

36. Die Richtlinie 92/50 enthält vielmehr in Artikel 10 einen eigenen Grundsatz für die Bestimmung der anwendbaren Regelung: Das ist diejenige, die dem Anhang entspricht, dem die Dienstleistungen mit dem im Rahmen des gesamten Auftrags überwiegenden Wert zugeordnet sind. Artikel 10 erwähnt nirgends den Hauptzweck des Auftrags. Die Richtlinie 92/50 erscheint daher in diesem Punkt ausreichend deutlich. Es bedarf für die Bestimmung der Regelung, der die Vergabe des Auftrags unterliegt, keines zusätzlichen Kriteriums, das auf dessen Hauptzweck abstellte.

37. Die hierzu abgegebenen Erklärungen der österreichischen Regierung vermögen meines Erachtens diese Feststellung nicht zu erschüttern.

38. Die österreichische Regierung hält die CPC-Nomenklatur allein für die Klassifizierung der Dienstleistungen für maßgeblich. Die CPC klassifiziere jedoch typische Leistungsbilder und nicht detailgenaue Einzelleistungen. Eine Dienstleistung, die einem einheitlichen Zweck diene, sei als einheitliche Leistung zu qualifizieren, da sämtliche Vergaberichtlinien von einem einheitlichen Leistungsbild ausgingen, das die verschiedenen Nebenleistungen umfasse. Artikel 10 der Richtlinie 92/50 finde nur ausnahmsweise in Fällen Anwendung, in denen der betreffende Auftrag mehrere Arten von Dienstleistungen zum Gegenstand habe.

39. Zwar stimme ich der österreichischen Regierung darin zu, dass nur die CPC-Nomenklatur für die Klassifizierung der Dienstleistungen maßgeblich ist, doch ist die CPC-Klassifikation ausreichend genau, um eine vollständige Anwendung des Artikels 10 der Richtlinie 92/50 zu erlauben, ohne dass auf einen etwaigen Hauptzweck des Auftrags abzustellen wäre. Ein Auftrag kann sehr wohl einen einheitlichen Zweck verfolgen und für die Zwecke der Bestimmung der auf ihn anwendbaren Regelung in verschiedene Teilleistungen aufteilbar sein, aus denen er sich zusammensetzt und die insoweit bestimmten CPC-Referenznummern entsprechen.

40. Die Auffassung, dass sämtliche Vergaberichtlinien von einem einheitlichen Leistungsbild ausgehen", läuft nämlich darauf hinaus, Artikel 10 der Richtlinie 92/50 jede Daseinsberechtigung und jede praktische Wirksamkeit zu nehmen.

41. Immer dann, wenn mit einem Auftrag ein einheitlicher Zweck verfolgt wird, dieser jedoch verschiedene Dienstleistungen, die verschiedenen CPC-Referenznummern entsprechen, umfasst, von denen einige dem Anhang IA und andere dem Anhang IB der Richtlinie 92/50 zuzuordnen sind, findet Artikel 10 dieser Richtlinie Anwendung.

42. Zur Beantwortung der ersten Frage bin ich daher der Ansicht, dass zur Bestimmung, welche Regelung auf einen Dienstleistungsauftrag anwendbar ist, mit dem ein einheitlicher Zweck verfolgt wird, der jedoch in mehrere Teilleistungen unterteilt werden kann, zu prüfen ist, welchem Anhang der Richtlinie jede Teilleistung zuzuordnen ist. Nach Artikel 10 der Richtlinie 92/50 erfolgt die Vergabe des Auftrags nach den Vorschriften der Abschnitte III bis VI, wenn der Wert der Dienstleistungen des Anhangs IA größer ist als derjenige der Dienstleistungen des Anhangs IB. Umgekehrt erfolgt, wenn der Wert der Dienstleistungen des Anhangs IB größer ist als derjenige der Dienstleistungen des Anhangs IA, die Vergabe des Auftrags allein gemäß den Artikeln 14 und 16 der Richtlinie. Damit erfolgt die Bestimmung der anwendbaren Regelung unabhängig vom Hauptzweck des Auftrags.

Zur zweiten Frage

43. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesvergabeamts in den Gründen seines Vorlagebeschlusses bin ich der Ansicht, dass das nationale Gericht mit seiner zweiten Frage wissen möchte, inwieweit die Richtlinie 92/50 zum Zweck der Bestimmung der auf eine Auftragsart anwendbaren Regelung die Unterteilung dieses Auftrags in verschiedene Teilleistungen erlaubt.

44. Das Bundesvergabeamt stellt fest, dass eine derartige Unterteilung im vorliegenden Fall dazu führe, dass ein Auftrag, der einen Transport zum Hauptzweck habe, der Regelung für die Kategorie Landverkehr", also der Regelung für prioritäre Dienstleistungen unterliege. Denn die Unterteilung in Teilleistungen führe zur Anwendung des Artikels 10 der Richtlinie 92/50 und daher dazu, dass darauf die Regelung für Nebentätigkeiten des Verkehrs anzuwenden sei, die wertmäßig überwögen. Diese Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs" seien Gegenstand einer eigenen Kategorie im CPC und in Anhang IB der Richtlinie 92/50 aufgeführt.

45. Die Verrichtung dieser Nebentätigkeiten sei, obwohl sie wertmäßig überwiege, nur in dem Maße erforderlich, in dem die Hauptleistung, der Transport, vorliege. Im Übrigen würde eine derartige Unterteilung dazu führen, dass die Transportentfernung zum maßgeblichen Umstand dafür würde, welche Regelung für den gesamten Auftrag zu gelten hätte, da diese unmittelbar den Wert des Transportes im Auftrag beeinflusse. Dies beeinträchtige die Rechtssicherheit der Bieter, denn die Einstufung des Auftrags hänge von einem äußeren Umstand ab und sei schwer bestimmbar.

46. Meines Erachtens findet sich die Antwort für diese zweite Frage in den vorhergehenden Ausführungen zur ersten Frage.

47. Denn wenn ein Auftrag aus mehreren Teilleistungen besteht, die unterschiedlichen Referenznummern der CPC-Nomenklatur zuzuordnen sind, ist der Auftrag zur Bestimmung der auf ihn anwendbaren Regelung zu unterteilen.

48. Diese Feststellung ergibt sich unmittelbar aus dem zwingenden Charakter der Verweisung auf die CPC-Nomenklatur und aus der Existenz des Artikels 10 der Richtlinie 92/50.

49. Denn es kann nicht unter dem Vorwand, die Richtlinie auf einen bestimmten Auftrag insgesamt anwenden zu wollen, darüber hinweggegangen werden, dass sich dieser Auftrag aus Leistungen zusammensetzt, die mehreren verschiedenen Referenznummern der CPC-Nomenklatur entsprechen. Dies umso weniger, als die Richtlinie 92/50 mit ihrem Artikel 10 eine Lösung gerade für einen derartigen Fall bietet.

50. Wie die ÖNB zu Recht ausführt, hat der Gerichtshof in der Rechtssache Tögel, in der es um eine Krankentransportleistung ging, nicht entschieden, dass der Transport allein maßgeblich für die auf den Auftrag anwendbare Regelung gewesen wäre, mit der Begründung, dass die Gesundheitsdienstleistungen nur in dem Umfang notwendig gewesen seien, als der Transport tatsächlich stattgefunden habe. Er hat vielmehr in den Randnummern 39 und 40 des Urteils entschieden:

... [D]ie CPC-Referenz-Nr. 93, die in Kategorie 25 (Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen) des Anhangs IB aufgeführt ist, [gibt] eindeutig an, dass sich diese Kategorie ausschließlich auf die medizinischen Aspekte der Gesundheitsdienstleistungen bezieht, die Gegenstand eines öffentlichen Auftrags der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art sind, und nicht auf die Beförderungsaspekte, die in die Kategorie 2 (Landverkehr) fallen, wo die CPC-Referenz-Nr. 712 angegeben ist.

... Rettungs- und Krankentransporte unter Begleitung eines Sanitäters [fallen] sowohl unter Anhang IA, Kategorie 2, als auch unter Anhang IB, Kategorie 25, der Richtlinie 92/50 ..., so dass ein Auftrag, der solche Dienstleistungen zum Gegenstand hat, von Artikel 10 der Richtlinie 92/50 erfasst wird."

51. Daher ist meines Erachtens, wenn es um Leistungen geht, die unterschiedlichen CPC-Referenznummern zuzuordnen sind, eine Trennung im Hinblick auf die Bestimmung der für den Gesamtauftrag geltenden Regelung erforderlich, selbst wenn diese Unterteilung dazu führt, dass die Richtlinie 92/50 auf eine prioritäre Leistung nur teilweise angewandt wird. Dies nimmt der Richtlinie 92/50 nicht etwa die praktische Wirksamkeit, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers, der in den Artikeln 9 und 10 dieser Richtlinie zum Ausdruck gekommen ist.

52. Die mechanische Anwendung dieser Regelung und die rigorose Beachtung der CPC-Referenznummern wie der Klassifizierung in den Anhängen IA und IB der Richtlinie beeinträchtigen die Rechtssicherheit der Marktbeteiligten nicht, sondern gewährleisten die Transparenz und die Stabilität bei der Bestimmung der Regelungen für die Vergabe öffentlicher Leistungsaufträge.

Zur vierten Frage

53. Mit der vierten Frage möchte das Bundesvergabeamt wissen, ob die Richtlinie 92/50 den öffentlichen Auftraggeber einer Leistung, deren überwiegender Wert durch nicht prioritäre Teilleistungen gebildet wird, zu dem Zweck, die vollständige Anwendung der Richtlinie auf prioritäre Teilleistungen zu erlauben, verpflichtet, diesen Auftrag in zwei Teile zu teilen, d. h., einen Auftrag für prioritäre Leistungen und einen anderen für nicht prioritäre Leistungen zu vergeben.

54. In Anbetracht der Antworten, die auf die vorhergehenden Fragen erteilt wurden, bin ich der Ansicht, dass Artikel 10 der Richtlinie 92/50 eine Verpflichtung zur Aufteilung eines derartigen Auftrags ausschließt.

55. Würde die Abtrennung der Aufträge für nicht prioritäre Dienstleistungen vom Auftrag für prioritäre Dienstleistungen vorgeschrieben, so würde zudem Artikel 10 der Richtlinie 92/50 der gesamte Geltungsbereich entzogen. Denn die Richtlinie erfasst mit ihrem Artikel 10 gerade den Fall eines Auftrags, der sowohl prioritäre als auch nicht prioritäre Leistungen umfasst. Dieser Artikel schreibt keine Aufteilung des Auftrags vor, sondern schafft vielmehr ein System zur Bestimmung einer gemeinsamen Regelung für sämtliche, prioritäre wie nicht prioritäre, Leistungen, aus denen er sich zusammensetzt.

56. Allerdings bin ich der Ansicht, dass der öffentliche Auftraggeber zu einer derartigen Trennung verpflichtet sein könnte, wenn die Einheitlichkeit des in Rede stehenden Auftrags gekünstelt oder inkohärent erschiene und ausschließlich dazu diente, die vollständige Anwendung der Richtlinie auf prioritäre Leistungen zu verhindern.

57. Die Richtlinie 92/50 erfasst einen derartigen Sachverhalt nicht unmittelbar. Allerdings beschränkt ihr Artikel 7 ihre Anwendung auf Aufträge, deren geschätzter Wert mindestens 200 000 ECU (Euro) beträgt; um jede Manipulation dieser Anwendungsvoraussetzung der Richtlinie zu verhindern, bestimmt Artikel 7 Absatz 3:

Die Wahl der Berechnungsmethode darf nicht die Absicht verfolgen, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen, und ein Beschaffungsbedarf für eine bestimmte Menge von Dienstleistungen darf nicht in der Absicht aufgeteilt werden, ihn der Anwendung dieses Artikels zu entziehen."

58. Zwar stellt dieser Artikel auf eine Umgehung der Richtlinie durch eine unredliche Manipulation der Höhe des Auftrags ab, doch halte ich eine Erstreckung dieses Manipulationsverbots auf einen Sachverhalt für möglich, bei dem ein öffentlicher Auftraggeber umgekehrt verschiedene Aufträge, von denen die einen prioritär sind und die anderen nicht, willkürlich zu dem Zweck zusammengefasst hat, die vollständige Anwendung der Richtlinie auf prioritäre Leistungen auszuschließen.

59. Dies wäre dann der Fall, wenn mit dem so gebildeten Gesamtauftrag kein einheitlicher Zweck verfolgt und offensichtlich nicht den Erfordernissen der technischen und wirtschaftlichen Einheit genügt würde.

60. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil Kommission/Italien entschieden, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen verstoßen habe, dass sie die Aufträge für den Erwerb einer Datenverarbeitungsanlage einerseits und für die Planung und Verwaltung eines Datenverabeitungssystems andererseits nicht voneinander getrennt habe. Diese beiden Elemente, der Erwerb von Material einerseits und die Tätigkeit von Datenverabeitungsdiensten andererseits, trugen zwar zur Verwirklichung eines einheitlichen Zweckes bei. Doch hat der Gerichtshof befunden, dass sie voneinander abtrennbar waren und dass die Italienische Regierung in Wirklichkeit bestrebt war, den Auftrag für den Erwerb des Materials der Anwendung der Richtlinie 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge zu entziehen.

61. Aus diesem Urteil läßt sich jedoch nicht herleiten, dass sämtliche Auftraggeber verpflichtet wären, für prioritäre und nicht prioritäre Teilleistungen, die der Verwirklichung ein und desselben Zweckes dienen, getrennte Aufträge zu vergeben.

62. Denn dieses Urteil ist vor dem Erlass der Richtlinie 92/50 ergangen. Die in Artikel 2 dieser Richtlinie enthaltene Regelung, dass ein gemischter Auftrag über Dienstleistungen und Waren von dieser erfasst werde, wenn die Dienstleistungen wertmäßig überwögen, galt damals noch nicht. Es handelte sich also um einen Fall, bei dem die Italienische Republik durch die willkürliche Zusammenfassung von Aufträgen den Gesamtauftrag vollständig der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entzog. Dieser Fall könnte heute nicht mehr eintreten, denn der Auftrag, der die Schwelle von 200 000 ECU überschritt, würde zwangsläufig entweder von der Richtlinie 77/62 oder von der Richtlinie 92/50 erfasst.

63. In Bezug auf den Auftrag, um den es im Ausgangsverfahren geht, und unter Berücksichtigung der Angaben, über die ich verfüge, bin ich nicht der Ansicht, dass eine willkürliche Zusammenfassung von prioritären und nicht prioritären Leistungen vorliegt. Denn, wie die ÖNB und die österreichische Regierung überzeugend dargelegt haben, wäre es technisch wie wirtschaftlich sachwidrig gewesen, im vorliegenden Fall zwei Aufträge zu vergeben: einen für den Transport im eigentlichen Sinne und einen für alle Tätigkeiten der Logistik des Umzugs. Dies hätte tatsächlich zusätzliche Kosten für die Koordinierung verursacht. Die Beurteilung der Kohärenz des Gesamtauftrags im Ausgangsverfahren fällt jedoch in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts.

64. Daher schlage ich vor, auf die vierte Frage wie folgt zu antworten:

Weist ein Gesamtauftrag eine gewisse wirtschaftliche und technische Einheitlichkeit auf, so ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet, die Anwendung von Artikel 10 der Richtlinie 92/50 durch die Vergabe getrennter Aufträge für die nicht prioritären Teilleistungen einerseits und die prioritären Teilleistungen andererseits, die der Verwirklichung ein und desselben Zweckes dienen, auszuschließen.

Zur dritten Frage

65. Mit der dritten Frage möchte das Bundesvergabeamt wissen, welchem Anhang der Richtlinie und welcher Referenznummer der CPC die Dienstleistungen zuzuordnen sind, aus denen sich der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Auftrag zusammensetzt.

66. Wie der Gerichtshof im Urteil Tögel ausgeführt hat, hat die Klassifikation der Dienstleistungen in den Anhängen IA und IB der Richtlinie 92/50 unter Verweisung auf die CPC-Nomenklatur zu erfolgen.

67. Zwar stellt die Zuordnung der einzelnen Dienstleistungen im Ausgangsverfahren zu einer CPC-Referenznummer eine Tatfrage dar, für deren Beurteilung das nationale Gericht zuständig ist, doch bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof hierzu Anhaltspunkte liefern sollte, die geeignet sind, das vorlegende Gericht bei der Ausübung seiner eigenen Zuständigkeit zu leiten.

68. Ich würde daher das nationale Gericht auf bestimmte CPC-Referenznummern hinweisen.

69. Die Lagerhaltung, die nach Angaben der ÖNB 23,91 % des Gesamtauftragswerts ausmacht, ist in der CPC-Abteilung Nr. 74, Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs" unter der Referenz-Nr. 742 Leistungen bei der Lagerei" erfasst. Im vorliegenden Fall scheint mir die Unterkategorie 74290, sonstige Leistungen bei der Lagerei", einschlägig zu sein. Die CPC-Abteilung Nr. 74 ist in Anhang IB der Richtlinie 92/50 aufgeführt (Kategorie 20).

70. Im Übrigen sind die Tätigkeiten der Koordinierung und der Logistik, denen die ÖNB 32,13 % des Gesamtauftragswerts beimisst, wahrscheinlich ebenfalls in Abteilung Nr. 74 und dort in Unterkategorie Nr. 74800, Dienstleistungen von Speditionen", einzureihen, deren Erläuterung wie folgt lautet:

Dienstleistungen von Maklern im Güterverkehrsbereich, Versanddienstleistungen (hauptsächlich Dienstleistungen der Organisation ihres Versands für Rechnung des Versenders oder des Empfängers); Dienstleistungen von Schiffs- und Luftfrachtmaklern, sowie Dienstleistungen der Sammelladung und Stückelung von Gütern."

71. Die Unterkategorie Nr. 74900, Sonstige Hilfs- und Nebentätigkeiten für den Verkehr", ist meines Erachtens diejenige, der mit Ausnahme des Transportes selbst die eigentlichen Umzugsdienstleistungen zuzuordnen sind, denen die ÖNB 5,55 % des Auftragswerts beimisst. Denn diese Unterkategorie entspricht folgender Beschreibung:

Dienstleistungen von Maklern im Güterverkehrsbereich; Dienstleistungen der Rechnungsprüfung und der Tarifinformation; Dienstleistungen der Erstellung von Beförderungsdokumenten; Ver- und Entpackungsdienstleistungen; Dienstleistungen der Beschau, des Wiegens und der Entnahme von Stichproben; Dienstleistungen der Abnahme und der Übernahme von Waren (einschließlich der Abholung und der Lieferung an Ort und Stelle)."

72. Für die Kommission sind sogar sämtliche Dienstleistungen, aus denen sich der Auftrag im Ausgangsverfahren zusammensetzt und die eine einheitliche und homogene Leistung darstellten, dieser Unterkategorie zuzuordnen. Denn die abschließende Bemerkung einschließlich der Abholung und der Lieferung an Ort und Stelle" bedeute die Einbeziehung sämtlicher Leistungen, die die ÖNB von ihren Vertragspartnern verlangt habe, in die Unterkategorie Nr. 74900.

73. Ich teile die Ansicht der Kommission in diesem Punkt nicht. Denn die Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs" können für den aufmerksamen Leser der Auslegungsregeln des CPC den Transport selbst nicht einschließen, der selbst dann, wenn er nur einen ganz geringen Teil des Auftrags darstellt, nicht völlig übergangen werden kann. Nach den Auslegungsregeln des CPC ist die Einreihung nämlich nach Maßgabe der Begriffe vorzunehmen, mit denen die Kategorien im Wortlaut der Titel bezeichnet werden. Der Begriff Landverkehr" als Titel der Abteilung Nr. 71 könnte nicht eindeutiger sein, so dass kein Zweifel bestehen kann, dass Verkehrsdienstleistungen von der Art, wie sie in unserem Fall vorliegen, keiner anderen Kategorie zugeordnet werden können. Zudem würde, falls Zweifel bestuenden, die Regel, dass die speziellere Kategorie den allgemeineren vorgeht, Anwendung finden. Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, dass beispielsweise die Unterkategorie 71234, Möbeltransport", spezieller den Transportleistungen im eigentlichen Sinn entspricht als die Unterkategorie Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs". Die Wendung Abholung und Lieferung an Ort und Stelle", auf der die Erwägungen der Kommission beruhen, stellt nur eine Erläuterung des Begriffes Dienstleistungen der Abnahme und der Übernahme von Waren" dar. Sie bezieht sich also nur auf die Anfangs- und die Endphase einer Beförderung, nämlich die Übernahme und die Lieferung, die die eigentliche Beförderung einrahmen, die ihrerseits je nach Lage des Falles ebenso gut auf dem Luft-, See- oder Landweg erfolgen kann.

74. Diese Auslegung wird im Übrigen durch die Erläuterung zur Unterkategorie 71234, Möbeltransport", bestätigt, die den Transport im Straßenverkehr über alle Entfernungen" umfasst. So handelt es sich unabhängig davon, ob die Transportentfernung kurz oder lang ist, stets um eine Beförderungsleistung, die ihre eigene CPC-Referenznummer hat und nicht den Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs" zugeordnet werden kann.

75. Die Dienstleistungen des Landverkehrs unter der CPC-Referenznummer 712 sind in Anhang IA der Richtlinie 92/50 klassifiziert (Kategorie 2). Die bei der Durchführung des Auftrags, um den es im Ausgangsverfahren geht, durchgeführten Beförderungsleistungen können den Unterkategorien 71234, Möbeltransport", oder 71239, Anderer Gütertransport", zugeordnet werden.

76. Ich möchte das nationale Gericht auch auf zwei weitere CPC-Referenznummern hinweisen, denen bestimmte Dienstleistungen, die im Vorlagebeschluss beschrieben sind, zugeordnet werden können:

- die CPC-Referenznummer 8129, Versicherungsdienstleistungen anderer Art als Lebensversicherungen", mit den Unterkategorien 81294, Dienstleistungen der Frachtversicherung", 81295, Dienstleistungen der Brandversicherung und der Versicherungen von Schäden am Eigentum", sowie 81299, Sonstige Versicherungsdienstleistungen", dürften einschlägig sein. Die Versicherungsleistungen sind in Anhang IA der Richtlinie 92/50 aufgeführt (Kategorie 6);

- die CPC-Abteilung Nr. 94, genauer die Unterkategorie 94020, Abfallbeseitigung", die insbesondere die Leistungen des Einsammelns, der Beförderung und der Beseitigung von Gewerbemüll umfasst. Diese CPC-Referenznummer ist ebenfalls in Anhang IA der Richtlinie 92/50 aufgeführt (Kategorie 16).

77. Schließlich bin ich der Ansicht, dass das Arbeitsentgelt des Personals der Dienstleister in die Dienstleistungen einzubeziehen ist, denen es entspricht und deren integrierender Bestandteil es ist. Denn es wäre kaum vorstellbar, beispielsweise die Tätigkeit des Verpackens und das Entgelt der Packer voneinander zu trennen, ohne der Verpackungstätigkeit ihren Inhalt zu nehmen. So ist im Beispiel des Arbeitsentgelts der Packer dieses, wie die Tätigkeit des Verpackens selbst, der Unterkategorie 74900, Sonstige Hilfs- und Nebentätigkeiten des Verkehrs", zuzuordnen.

78. Hierzu meine ich ganz allgemein, dass eine überzogene Unterteilung der Leistungen zum einen bestimmten Leistungen ihren Kern nehmen und zum anderen zu einer zu komplexen theoretischen Beschreibung des Auftrags, die nicht mit dessen konkreten Gegebenheiten übereinstimmt, führen würde.

79. In Beantwortung der dritten Frage bin ich daher der Ansicht, dass die im Sachverhalt erwähnten Leistungen zum Teil von Anhang IA und zum Teil von Anhang IB der Richtlinie 92/50 erfasst werden. Angesichts der Unterteilung dieser Leistungen, wie sie im Vorlagebeschluss beschrieben ist, stellen meines Erachtens die Leistungen der CPC-Referenznummer 74, Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs", den wertmäßig größten Anteil des Auftrags dar. Da diese Referenznummer in Anhang IB der Richtlinie 92/50 aufgeführt ist (Kategorie 20), müsste gemäß Artikel 10 dieser Richtlinie, vorbehaltlich der Beurteilungen, deren Vornahme dem nationalen Gericht obliegt, die Vergabe des Auftrags gemäß den Artikeln 14 und 16 der Richtlinie erfolgen.

Entscheidungsvorschlag

80. In Anbetracht meiner Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Bundesvergabeamts wie folgt zu beantworten:

1. Zur Bestimmung, welche Regelung auf einen Dienstleistungsauftrag anwendbar ist, mit dem ein einheitlicher Zweck verfolgt wird, der jedoch in mehrere Teilleistungen unterteilt werden kann, ist zu prüfen, welchem Anhang der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge jede Teilleistung zuzuordnen ist. Nach Artikel 10 der Richtlinie 92/50 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge erfolgt die Vergabe des Auftrags nach den Vorschriften der Abschnitte III bis VI, wenn der Wert der Dienstleistungen des Anhangs IA größer ist als derjenige der Dienstleistungen des Anhangs IB. Umgekehrt erfolgt, wenn der Wert der Dienstleistungen des Anhangs IB größer ist als derjenige der Dienstleistungen des Anhangs IA, die Vergabe des Auftrags allein gemäß den Artikeln 14 und 16 der Richtlinie. Damit erfolgt die Bestimmung der anwendbaren Regelung unabhängig vom Hauptzweck des Auftrags.

2. Wenn es um Leistungen geht, die unterschiedlichen CPC-Referenznummern zuzuordnen sind, ist eine Trennung im Hinblick auf die Bestimmung der für den Gesamtauftrag geltenden Regelung erforderlich, selbst wenn diese Unterteilung dazu führt, dass die Richtlinie 92/50/EWG auf eine prioritäre Leistung nur teilweise angewandt wird.

3. Die im Sachverhalt erwähnten Leistungen werden zum Teil von Anhang IA und zum Teil von Anhang IB erfasst. Angesichts der Unterteilung dieser Leistungen, wie sie im Vorlagebeschluss beschrieben ist, stellen die Leistungen der CPC-Referenznummer 74, Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs", den wertmäßig größten Anteil des Auftrags dar. Da diese Referenznummer in Anhang IB der Richtlinie 92/50/EWG aufgeführt ist (Kategorie 20), müsste gemäß Artikel 10 dieser Richtlinie vorbehaltlich der Beurteilungen, deren Vornahme dem nationalen Gericht obliegt, die Vergabe des Auftrags gemäß den Artikeln 14 und 16 der Richtlinie erfolgen.

4. Weist ein Gesamtauftrag eine gewisse wirtschaftliche und technische Einheitlichkeit auf, so ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet, die Anwendung von Artikel 10 der Richtlinie 92/50/EWG durch die Vergabe getrennter Aufträge für die nicht prioritären Teilleistungen einerseits und die prioritären Teilleistungen andererseits, die der Verwirklichung ein und desselben Zweckes dienen, auszuschließen.