62000C0258

Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 29. November 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung - Richtlinie 91/676/EWG - Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen - Bestimmung der Gewässer, die von Verunreinigung betroffen sind - Ausweisung der gefährdeten Gebiete. - Rechtssache C-258/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-05959


Schlußanträge des Generalanwalts


I Einleitung

1. Die Umsetzung der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (im Folgenden: Nitratrichtlinie) führt offensichtlich immer wieder zu Auslegungsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Dabei geht es zumeist so auch in diesem Vertragsverletzungsverfahren um technische Fragen.

2. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Nitratrichtlinie bestimmen die Mitgliedstaaten die Gewässer, die von Verunreinigung durch Stickstoffverbindungen aus landwirtschaftlichen Quellen betroffen sind, und solche, die davon betroffen werden könnten, falls keine Maßnahmen zur Verringerung der Stickstoffbelastung aus landwirtschaftlichen Quellen ergriffen werden. Sie weisen dazu Flächen, die in Gewässer entwässern, bei denen eine zu hohe Stickstoffbelastung besteht oder droht, als gefährdete Gebiete" aus.

3. Gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Nitratrichtlinie werden für die so ausgewiesenen Gebiete Aktionsprogramme festgelegt, die unter anderem dazu dienen, den Eintrag von Stickstoff in den Boden zu verringern. Hierdurch soll die Gefahr verringert werden, dass die nicht von Pflanzen aufgenommenen Stickstoffverbindungen aus dem Boden gespült werden und schließlich in mit Stickstoff bereits überbelastete oder davon bedrohte Oberflächengewässer einsickern.

4. Dabei besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen dem Umfang, in dem die tatsächliche oder drohende Verunreinigung der Oberflächengewässer mit Stickstoffverbindungen festgestellt worden ist, und dem Umfang der als gefährdet auszuweisenden Gebiete. Deren Umfang wiederum bestimmt ganz offenkundig, wie und in welchem Umfang die Produktionsmethoden in der Landwirtschaft anzupassen sind.

5. Die ökologischen und ökonomischen Folgen, die die Feststellung mit Nitratverbindungen verunreinigter oder von Verunreinigung bedrohter Oberflächengewässer haben kann, machen einheitliche Kriterien für deren Ausweisung innerhalb der Gemeinschaft erforderlich. Diese sind in Anhang I Buchstabe A Nummer 3 der Nitratrichtlinie niedergelegt.

6. Der Meinungsstreit zwischen der französischen Regierung und der Kommission betrifft vor allem die Auslegung und die Anwendung der Bestimmungen in Anhang I Buchstabe A Nummer 3 der Richtlinie. Die Auseinandersetzung der Parteien sowohl im Vorverfahren als auch im Verfahren vor dem Gerichtshof trägt einen ausgesprochen wissenschaftlich-technischen Charakter, bei der zum Beleg der unterschiedlichen Auffassungen jeweils auf umfangreiche Literatur zur Ökologie verschiedener Arten von Oberflächengewässern und darin vorkommender pflanzlicher und tierischer Lebensformen verwiesen worden ist.

7. Nach Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmungen der Nitratrichtlinie, ihrer einschlägigen Begründungserwägungen sowie dem Verlauf des Verfahrens werde ich die mit dem Rechtsstreit zusammenhängenden technischen Fragen und ihre Folgen für die Anwendung der Nitratrichtlinie und die von ihr verfolgten Ziele kurz darstellen. Anhand dieser Folgen werde ich sodann prüfen, wie überzeugend die Standpunkte der Parteien sind.

II Rechtlicher Rahmen

A Die maßgeblichen Bestimmungen der Nitratrichtlinie

8. Artikel 3 Absätze 1 und 2:

1. Gewässer, die von Verunreinigung betroffen sind, und Gewässer, die von Verunreinigung betroffen werden könnten, falls keine Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, werden von den Mitgliedstaaten nach den Kriterien des Anhangs I bestimmt.

2. Die Mitgliedstaaten weisen innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie alle in ihrem Gebiet bekannten Flächen, die in nach Absatz 1 bestimmte Gewässer entwässern und die zur Verunreinigung beitragen, als gefährdete Gebiete aus. Sie unterrichten die Kommission hiervon innerhalb von sechs Monaten nach erster Ausweisung."

Anhang I, der die Kriterien für die Bestimmung der Gewässer nach Artikel 3 Absatz 1 enthält:

A. Gewässer nach Artikel 3 Absatz 1 werden unter anderem nach folgenden Kriterien bestimmt:

1. wenn Binnengewässer, insbesondere solche, die zur Trinkwassergewinnung genutzt werden oder bestimmt sind, eine höhere Nitratkonzentration als die nach der Richtlinie 75/440/EWG festgesetzte Konzentration enthalten oder enthalten können und keine Maßnahmen im Sinne des Artikels 5 getroffen werden;

2. wenn Grundwasser mehr als 50 mg/l Nitrat enthält oder enthalten könnte und keine Maßnahmen im Sinne des Artikels 5 getroffen werden;

3. wenn in Binnengewässern, Mündungsgewässern, Küstengewässern und in Meeren eine Eutrophierung festgestellt wurde oder in naher Zukunft zu befürchten ist und keine Maßnahmen im Sinne des Artikels 5 getroffen werden.

B. Bei Anwendung dieser Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten ferner

1. die physikalischen und ökologischen Eigenarten von Boden und Gewässern;

2. den Stand der Erkenntnisse über das Verhalten von Stickstoffverbindungen in der Umwelt (Boden und Gewässer);

3. den Stand der Erkenntnisse über die Auswirkungen der Maßnahmen im Sinne des Artikels 5."

Artikel 2 Buchstabe i definiert den Begriff Eutrophierung, der für die Auslegung und die Anwendung des in Anhang I Buchstabe A Nummer 3 genannten Kriteriums wichtig ist, wie folgt:

Eutrophierung: Anreicherung des Wassers mit Stickstoffverbindungen, die zu einem vermehrten Wachstum von Algen und höheren Formen des pflanzlichen Lebens und damit zu einer unerwünschten Beeinträchtigung des biologischen Gleichgewichts und der Qualität des betroffenen Gewässers führt."

B Maßgebliche Begründungserwägungen der Nitratrichtlinie

9. In der Entschließung des Rates vom 28. Juni 1988 über den Schutz der Nordsee und anderer Gewässer in der Gemeinschaft wird die Kommission aufgefordert, Vorschläge für Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene zu unterbreiten [4. Begründungserwägung];

Die Verschmutzung der Gewässer der Gemeinschaft aus diffusen Quellen wird hauptsächlich durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursacht [5. Begründungserwägung];

Durch die Förderung einer guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft können die Mitgliedstaaten künftig für alle Gewässer einen allgemeinen Schutz vor Verunreinigung gewährleisten [8. Begründungserwägung];

Bestimmte Einzugsgebiete von Gewässern, die von der Verschmutzung durch Stickstoffverbindungen bedroht sind, benötigen einen besonderen Schutz [9. Begründungserwägung];

Die Mitgliedstaaten müssen die gefährdeten Gebiete ausweisen und die notwendigen Aktionsprogramme aufstellen und durchführen, um die Gewässerverunreinigungen durch Stickstoffverbindungen in diesen gefährdeten Gebieten zu verringern [10. Begründungserwägung]."

III Verfahren

10. Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klageschrift der Kommission enthalten vier Rügen. Im Verfahren vor dem Gerichtshof hat die französische Regierung zwei dieser Rügen ausgeräumt. Im jetzigen Stadium hält die Kommission noch zwei Rügen aufrecht. Sie sieht weiterhin die Methode, die die französischen Behörden für die Ausweisung der mit Stickstoff verunreinigten oder von Verunreinigung bedrohten Gewässer angewandt haben, als mit der Nitratrichtlinie unvereinbar an. Außerdem rügt sie, dass die französischen Behörden die Seinebucht nicht als ein mit Stickstoff verunreinigtes Gewässer ausgewiesen haben.

11. Konkret beantragt die Kommission:

festzustellen, dass die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/676 verstoßen hat, indem sie die Bestimmung der mit Stickstoff verunreinigten Gewässer und dementsprechend die Ausweisung der dorthin entwässernden Gebiete als gefährdete Gebiete gemäß Artikel 3 und Anhang I der Richtlinie nicht in angemessener Weise vorgenommen hat;

der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

12. Die Französische Republik beantragt, die Klage der Kommission abzuweisen und ihr die Kosten aufzuerlegen.

13. Das Königreich Spanien ist als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Französischen Republik zugelassen worden.

IV Sachverhalt

14. Die Französische Republik setzte die Nitratrichtlinie durch Runderlass des Ministers für Umwelt vom 5. November 1992 um. Der Runderlass enthält einen Anhang 4 mit der Überschrift: Prise en compte de l'état d'eutrophisation des eaux" (Beurteilung der Eutrophierung von Gewässern).

15. Der Runderlass unterscheidet zwischen Gewässern, die gemäß der Definition in Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie eutroph sind, und solchen, die es nicht sind. Die Unterscheidung gründet sich auf das jeweilige Verhältnis, in dem die beiden wichtigsten Nährstoffe für Pflanzen, Stickstoff und Phosphor, in der Umgebung (Gewässer und Boden) vorkommen.

16. Dazu wird in dem Runderlass ausgeführt, dass Phosphor der Begrenzungsfaktor für das Pflanzenwachstum sei, wenn der Quotient aus Stickstoff und Phosphor groß der Anteil von Stickstoff in der Umgebung also relativ hoch sei. Trete bei einem solchen Quotienten eine Eutrophierung in Form eines übermäßigen Pflanzenwachstums auf, werde sie am wirksamsten durch die Reduzierung des in der (Gewässer-)Umgebung enthaltenen Phosphors bekämpft.

17. Sei der Quotient aus Stickstoff und Phosphor dagegen verhältnismäßig klein der Anteil von Phosphor in der Umgebung also relativ hoch , sei Stickstoff der Begrenzungsfaktor für das Pflanzenwachstum. In diesem Fall sei zur Bekämpfung der Eutrophierung eine Verringerung des Stickstoffs am zweckmäßigsten.

18. Dem genannten Anhang des Runderlasses vom 5. November 1992 zufolge liegt das Gleichgewicht zwischen Stickstoff und Phosphor als Pflanzennährstoffe bei einem Quotienten von 16, d. h. bei einem Verhältnis von 16 Atomen Stickstoff zu 1 Atom Phosphor. Sei der Quotient größer, werde Phosphor zum Begrenzungsfaktor, der im Fall der Eutrophierung reduziert werden müsse, sei der Quotient kleiner, dann sei grundsätzlich der Stickstoff als der Begrenzungsfaktor zu verringern.

19. Aber nicht in allen Fällen sei es zweckmäßig, die Eutrophierung über den Begrenzungsfaktor zu bekämpfen. So gebe es Fälle, in denen zwar Stickstoff der Begrenzungsfaktor sei, eine Reduzierung des Stickstoffanteils aber dennoch sinnlos sein, weil die im Wasser lebenden Pflanzen insbesondere Blaualgen ihren Stickstoffbedarf aus der Luft aufnähmen. In diesen Fällen bleibe eine Reduzierung des Stickstoffs als Nährstoff wirkungslos. Stickstoff bilde hier zwar den Begrenzungsfaktor, nicht aber den Steuerungsfaktor für eine Verringerung der Eutrophierung.

20. Mit dieser Begründung werden in dem genannten Anhang verschiedene Gewässerarten danach unterschieden, ob eine Eutrophierung verringert werden kann, indem Stickstoff als Begrenzungs- und Steuerungsfaktor reduziert wird.

21. Der Anhang endet wie folgt:

Die gegenwärtigen Erkenntnisse, die wegen der Komplexität der zu berücksichtigenden Faktoren und Prozesse noch ungenau und unvollständig sind, lassen die Annahme zu, dass die Eutrophierung in flachem Salzwasser (Küstengewässer) und flachem, stehendem Brackwasser (Lagunen) mit großer Wahrscheinlichkeit vom Stickstoff gesteuert wird. Dies trifft erwiesenermaßen bei fließendem Brackwasser (Mündungsgewässer) und bei kalkhaltigen, fließenden oder stehenden Binnengewässern nicht zu; hier ist vielmehr Phosphor der Steuerungsfaktor. Bei sauren, hauptsächlich stehenden (aufgestauten) Binnengewässern und bei tiefem Brackwasser sind weitere Untersuchungen erforderlich, um zu einer abschließenden Bewertung zu gelangen.

Steht der Stand der Eutrophierung der Gewässer aufgrund von Beobachtungen und Untersuchungen ... fest, so muss die Arbeitsgruppe anhand der oben wiedergegebenen Gesichtspunkte prüfen, in welchen Fällen die Eutrophierung durch Stickstoff gesteuert wird. Im Anschluss daran hat sie außerdem festzustellen, ob der Stickstoff zumindest in überwiegendem Maße (,de façon prépondérante) aus der Landwirtschaft stammt. Ist das der Fall, so ist gegebenfalls die Gebietseinteilung nach dem Nitratgehalt der Gewässer zu ergänzen. Anderenfalls besteht keine Veranlassung, anhand dieses Kriteriums ein gefährdetes Gebiet abzugrenzen."

22. Zu diesen technischen Anweisungen der französischen Behörden zu den sich aus Artikel 3 Absatz 1 und Anhang I der Nitratrichtlinie ergebenden Verpflichtungen sind drei Bemerkungen angebracht.

23. Erstens knüpfen diese Anweisungen, wie die französische Regierung erklärt hat, an die Definition der Eutrophierung in Artikel 2 Buchstabe i an: Anreicherung des Wassers mit Stickstoffverbindungen, die zu einem vermehrten Wachstum von Algen und höheren Formen des pflanzlichen Lebens und damit zu einer unerwünschten Beeinträchtigung des biologischen Gleichgewichts und der Qualität des betroffenen Gewässers führt".

24. Für den Fall, dass nicht Stickstoff, sondern Phosphor der Begrenzungsfaktor ist, kann das Wasser, so der Runderlass, zwar mit Stickstoff angereichert werden; dies führe aber nicht zu einem vermehrten Wachstum von Algen oder höheren pflanzlichen Lebensformen. In diesen Fällen könne Stickstoff nicht als Steuerungsfaktor für die Verringerung der Eutrophierung angesehen werden. Daher würden auch die Maßnahmen nach Artikel 5 der Nitratrichtlinie erfolglos bleiben.

25. Zweitens führen diese Anweisungen laut dem Runderlass dazu, dass in den Fällen, in denen Gewässer durch die Ausspülung von Stickstoff aus dem Boden angereichert werden, die Eutrophierung in Form von übermäßigem Pflanzenwuchs aber nicht primär durch Stickstoff, sondern durch Phosphor verursacht ist, landwirtschaftliche Flächen, die in diese Gewässer entwässern, nicht als gefährdete Gebiete" ausgewiesen werden.

26. Drittens ist diese Methode mit wissenschaftlichen Unsicherheiten behaftet. Dies geht aus dem Runderlass selbst hervor und ist von der französischen Regierung auch in diesem Verfahren eingeräumt worden.

27. Die Kommission widerspricht der Auffassung der französischen Behörden, wie sie im Runderlass vom 5. November 1992 niedergelegt ist. Sie weist darauf hin, dass die dort dargestellte Methode die abweichenden Fälle nicht hinreichend berücksichtige, die sich bei der Nährstoffaufnahme je nach Pflanzenart ergeben könnten. Derartige Abweichungen könnten auch während des Wachstumsprozesses einzelner Pflanzen auftreten. In diesen Fällen hätte die Feststellung von Phosphor als Begrenzungs- und Steuerungsfaktor zur Folge, dass das übermäßige Wachstum pflanzlichen Lebens, für die Stickstoff der Begrenzungsfaktor sei, nicht begrenzt würde.

28. Ferner weist die Kommission darauf hin, dass Stickstoff als Nährstoff stets ein wichtiger Faktor bei der Eutrophierung von Oberflächengewässern sei und für das Phänomen der Eutrophierung auch dann eine wesentliche Rolle spiele, wenn dieses durch die gleichzeitige Anwesenheit von Phosphor ausgelöst werde. Aus diesem Grund sei es abgesehen von den Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Begrenzung der Phosphorbelastung von Oberflächengewässern ergreifen könnten stets wünschenswert, die Stickstoffbelastung dieser Gewässer zu begrenzen. Dazu müssten die Gewässer mit hoher Stickstoffbelastung gemäß Artikel 3 und Anhang I der Nitratrichtlinie stets ausgewiesen werden, was gleichzeitig mit der Festlegung von gefährdeten Gebieten und Aktionsprogrammen gegen die Verunreinigung von Gewässern mit Stickstoff verbunden sei.

29. Im Verlauf des schriftlichen Verfahrens haben sowohl die französische Regierung als auch die Kommission unter Verweis auf wissenschaftliche Studien versucht, die wissenschaftliche Haltbarkeit ihrer jeweiligen Standpunkte zu untermauern. Das vorgelegte Material bestätigt die Feststellung im Runderlass vom 5. November 1992, dass angesichts der Komplexität der Eutrophierungsprozesse in den jeweils unterschiedlichen Arten von Oberflächengewässern die heutigen Erkenntnisse noch unvollständig und ungenau sind. Ebenso scheint das Material zu bestätigen, dass die Rolle und die Bedeutung von Stickstoff und Phosphat für den Prozess der Eutrophierung je nach Ort, Zeit und Pflanzenart stark variieren kann.

V Stellungnahme

30. Die durch die französische Regierung und die Kommission vorgelegten wissenschaftlichen Untersuchungen und Fakten lassen kein eindeutiges Urteil über die wissenschaftliche Haltbarkeit der Methode zu, die die französische Regierung bei der Ausweisung von Gewässern anwendet, die durch Stickstoff eutrophiert oder von Eutrophierung durch Stickstoff bedroht sind.

31. Fest steht aber, dass diese Methode dazu führen kann, dass Gewässer mit hoher Stickstoffbelastung bei der Anwendung der Richtlinie außer Betracht bleiben können, was zur Folge hat, dass dorthin entwässernde Flächen nicht als gefährdete Gebiete ausgewiesen und darum auch keine Aktionsprogramme aufgestellt zu werden brauchen.

32. Die zentrale Rechtsfrage, die hier zu beantworten ist, lautet daher, ob diese Folge mit dem durch die Nitratrichtlinie verfolgten Zweck, insbesondere der Verringerung der Belastung der Gewässer mit Stickstoff [z]um Schutz der menschlichen Gesundheit und der lebenden Ressourcen und Ökosysteme der Gewässer" vereinbar ist.

33. Die französische Regierung trägt für ihren Standpunkt im Wesentlichen zwei juristische Argumente vor.

34. Das erste habe ich bereits in Nummer 22 angedeutet, dass nämlich die in dem Runderlass vom 5. November 1992 dargestellte Methode an die in Artikel 2 Buchstabe i enthaltene Definition des Eutrophiebegriffs anknüpfe:

Anreicherung des Wassers mit Stickstoffverbindungen, die zu einem vermehrten Wachstum von Algen und höheren Formen des pflanzlichen Lebens führt

und damit zu einer unerwünschten Beeinträchtigung des biologischen Gleichgewichts

und der Qualität des betroffenen Gewässers.

Daraus schließt die französische Regierung, dass die bloße Anreicherung eines Oberflächengewässers mit Nitrat keine Eutrophierung des Wassers im Sinne der Richtlinie bewirke.

35. Ihr zweites Argument entnimmt die französische Regierung dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Standley u. a.. Darin werde den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum bei der Wahl der Methode, nach der sie gefährdete Gebiete im Sinne der Nitratrichtlinie auswiesen, zuerkannt.

36. Auf das erste Argument erwidert die Kommission, dass mit der Definition in Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie nicht beabsichtigt gewesen sei, drei kumulative Voraussetzungen aufzustellen, anhand deren zu entscheiden sei, ob in dem einen oder anderen Fall eine Eutrophierung bestehe. Die Definition habe vielmehr die Rolle des Stickstoffs im Eutrophierungsprozess klarstellen sollen.

37. Dem zweiten Argument hat die Kommission sowohl in ihren Schriftsätzen als auch in der mündlichen Verhandlung widersprochen: Auch wenn dem Urteil Standley u. a. ein Argument für einen Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der durch Eutrophierung bedrohten Gewässer entnommen werden könne, dürfe dieses Ermessen nicht dazu führen, dass ein erheblicher Teil der mit Stickstoff belasteten Gewässer nicht ausgewiesen werden könnten.

38. Für die Beurteilung der Argumente ist meines Erachtens vom Zweck der Richtlinie auszugehen, wie er in den Begründungserwägungen Ausdruck gefunden hat. Danach geht es um den Schutz der menschlichen Gesundheit, der lebenden Ressourcen und der Ökosysteme der Gewässer sowie die Sicherung sonstiger Nutzungen der Gewässer. In etwas größerem Zusammenhang ist auch vom Schutz der Nordsee die Rede.

39. Im Licht dieser Ziele ist die restriktive Auslegung und Anwendung der Definition in Artikel 2 Buchstabe i der Richtlinie bei der Ausweisung eutrophierter Gewässer, wie sie aus dem Runderlass vom 5. November 1992 folgen, nicht haltbar.

40. Abgesehen von den wissenschaftlichen Bedenken, die dagegen erhoben werden können die Kommission hat auf sie in ihrer Erwiderung nachdrücklich hingewiesen , führt die französische Methode dazu, dass große Teile der Binnengewässer, der Mündungsgewässer und Teile der Küstengewässer, wie ernsthaft die (drohende) Stickstoffbelastung aus landwirtschaftlichen Quellen auch sein mag, nie als eutroph ausgewiesen werden könnten.

41. Ein solches Ergebnis lässt die Tatsache unberücksichtigt, dass in derartigen Gewässern durchaus pflanzliches Leben vorkommen kann, das infolge der Stickstoffbelastung schneller wächst und damit zu einer Gefährdung des biologischen Gleichgewichts führen kann. Es trägt auch nicht den jahreszeitlichen Schwankungen Rechnung, die dazu führen, dass einmal Phosphor, dann wieder Nitrat der wichtigste Begrenzungsfaktor für die Eutrophierung ist. Die in Nummer 38 genannten Ziele bleiben in diesem Fall von vorneherein außer Reichweite.

42. Die strittige Methode, die dazu führt, dass bestimmte Gewässerkategorien allein aufgrund genereller Annahmen über Stickstoff bzw. Phosphor als Begrenzungs- bzw. Steuerungsfaktor bei der Eutrophierung von vornherein dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sind, entspricht auch nicht dem in Anhang I Buchstabe B Nummer 1 genannten Erfordernis, wonach die Mitgliedstaaten auch die physikalischen und ökologischen Eigenarten von Boden und Gewässern berücksichtigen müssen. Dieses Erfordernis verlangt eine spezifische Untersuchung der Stickstoffbelastung sowie der tatsächlichen oder drohenden Eutrophierung der einzelnen Gewässer und der dahin entwässernden Flächen. Nur so ist es möglich, die gefährdeten Gebiete gemäß Artikel 3 der Richtlinie sinnvoll abzugrenzen und die zugehörigen Aktionsprogramme festzulegen.

43. Schließlich berücksichtigt die strittige Methode offensichtlich nicht, dass insbesondere fließendes Süßwasser in Umgebungen mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften vorkommen kann. Ein Fluss kann in saurer Umgebung in einer nährstoffarmen Hochebene entspringen, anschließend durch eine Tiefebene mit Kalkboden fließen, an der Mündung in Brackwasser übergehen und schließlich in ein reines Meeresgewässer mit hohem Salzgehalt münden. Tritt bei diesem Gewässer unterwegs eine hohe Stickstoffbelastung auf, zeigen sich die Folgen in Form eines vermehrten Pflanzenwachstums mit ernsten Konsequenzen für die natürliche Umgebung möglicherweise erst im Bereich der Küstengewässer. Bei der Aufgliederung, zu der die von den französischen Stellen gewählte Methode führt, könnte eine derartige Quelle der Stickstoffbelastung außer Betracht bleiben. Dies lässt sich offensichtlich nicht mit dem beabsichtigten Schutz der Nordsee vor Verunreinigung durch Stickstoff in Einklang bringen.

44. Nach alledem gelange ich zu dem Ergebnis, dass die Methode, die die französischen Behörden anwenden, um eutrophierte und von Eutrophierung bedrohte Gewässer auszuweisen, nicht den Zielen der Nitratrichtlinie entspricht.

45. Dem steht nicht entgegen, dass die Mitgliedstaaten ein gewisses Ermessen bei der Festlegung der Methode haben, nach der sie eutrophierte oder von Eutrophierung bedrohte Oberflächenwasser ausweisen. Dieses Ermessen rechtfertigt sich durch die geografischen Unterschiede und die unterschiedliche Bodennutzung innerhalb der Gemeinschaft, nicht zuletzt angesichts der bezüglich der Eutrophierung noch bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten.

46. In dem oben erwähnten Urteil Standley hat der Gerichtshof in den Randnummern 37 bis 40 ausgeführt, dass die Richtlinie durch die Mitgliedstaaten unterschiedlich angewandt werden könne. Dies widerspreche nicht dem Charakter der Richtlinie, da diese nicht die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet bezweckt, sondern die erforderlichen Mittel bereitstellen will, um den Schutz der Gewässer vor der Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen".

47. Wie sich aus dieser Stelle der Randnummer 39 des Urteils Standley ergibt, verfügen die Mitgliedstaaten zwar über ein großes Ermessen, müssen dieses aber in Übereinstimmung mit dem Zweck der Richtlinie ausüben, wonach sie die erforderlichen Mittel bereitstellen müssen, um den Schutz der Gewässer vor der Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen. Daher ist die Anwendung einer Methode für die Ausweisung von durch Stickstoff aus landwirtschaftlichen Quellen belasteten Gewässern, die dazu führt, das bestimmte Gewässerkategorien unabhängig von ihrer tatsächlichen Verunreinigung mit Stickstoff generell als nicht verunreinigt angesehen werden, als solche mit dem Ziel der Richtlinie nicht vereinbar. Damit hat die französische Regierung das ihr durch die Richtlinie gewährte Ermessen überschritten.

48. Ich bin deshalb der Ansicht, dass dem ersten Klagegrund der Kommission stattzugeben ist.

49. Bezüglich des zweiten Klagegrundes, mit dem der französischen Regierung vorgeworfen wird, dass sie die Seinebucht zu Unrecht nicht als eutrophiertes Gewässer ausgewiesen und damit gegen Artikel 3 Absatz 1 und Anhang I Buchstabe A Nummer 3 der Nitratrichtlinie verstoßen habe, kann ich mich aufgrund des oben Gesagten kurz fassen.

50. Aus den Schriftsätzen und den wissenschaftlichen Untersuchungen, auf die sie verweisen, ergibt sich, dass die Eutrophierung in dieser Bucht, soweit hierfür Stickstoff als Begrenzungs-und Steuerungsfaktor in Frage kommt, je nach Art der Algen und anderer Pflanzen sowie der Jahreszeit starken Schwankungen unterliegt.

51. Auch die französische Regierung räumt in ihrer Gegenerwiderung (Randnr. 15, letzter Absatz) ein, dass sich nicht ausschließen lässt, dass bestimmte Phänomene möglicherweise eine Störung des biologischen Gleichgewichts oder Verschlechterung der Wasserqualität darstellen, so dass die Seinebucht die Kriterien der Nitratrichtlinie erfuellten könnte.

52. Wie immer man diese wissenschaftlich-technische Diskussion beurteilt, wichtiger und ausschlaggebend erscheint mir das Argument der Kommission, dass die Seinebucht zur Eutrophierung der östlichen Nordsee beiträgt. Da das Wasser in dieser Bucht unstreitig eine hohe Nitratbelastung aufweist und sich die Parteien auch darüber einig sind, dass im Salzwasser der Nordsee Stickstoff der wichtigste Begrenzungsfaktor für das vermehrte Wachstum von Algen und höheren Formen des pflanzlichen Lebens ist, darf der Beitrag der Seinebucht zur Eutrophierung der Nordsee selbst dann nicht außer Betracht bleiben, wenn in der Bucht selbst keine Eutrophierung zu beobachten ist.

53. Die dritte Begründungserwägung der Nitratrichtlinie, in der der Schutz der Nordsee ausdrücklich als einer der Gründe für den Erlass dieser Richtlinie genannt wird, steht einer Auslegung und Anwendung der Richtlinie entgegen, wonach der Beitrag von mit Stickstoff belasteten Flüssen und salzigen Mündungsgewässern zur Eutrophierung der Nordsee außer Betracht bleibt.

54. Daher ist meines Erachtens auch diesem Klagegrund der Kommission stattzugeben.

VI Ergebnis

55. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

1. festzustellen, dass die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 und Anhang I der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verstoßen hat, indem sie die Bestimmung der von Verunreinigung betroffenen Gewässer nicht angemessen vorgenommen und demzufolge die gefährdeten Gebiete, die dorthin entwässern, nicht zutreffend ausgewiesen hat;

2. der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen.