62000C0167

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 14. März 2002. - Verein für Konsumenteninformation gegen Karl Heinz Henkel. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberster Gerichtshof - Österreich. - Brüsseler Übereinkommen - Artikel 5 Nummer 3 - Zuständigkeit bei einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder bei Ansprüchen aus einer solchen Handlung - Vorbeugende Verbandsklage - Klage eines Verbraucherschutzvereins auf Untersagung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende in Verbraucherverträgen. - Rechtssache C-167/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-08111


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Obersten Gerichtshofes wird der Gerichtshof gefragt, ob eine Klage eines nationalen Verbraucherschutzverbandes nach nationalem Verbraucherschutzrecht auf Unterlassung der Verwendung von gesetzwidrigen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen, eine Klage ist aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne des Artikels 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

Das Brüsseler Übereinkommen

2. Artikel 1 Absatz 1 des Übereinkommens bestimmt:

Dieses Übereinkommen ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Es erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten."

3. Titel II des Übereinkommens verteilt die internationale Zuständigkeit zwischen den Vertragsstaaten und weist sie in manchen Fällen den örtlichen Gerichten des betreffenden Vertragsstaats zu. Nach dem Übereinkommen sind grundsätzlich die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat (Artikel 2). Als Ausnahme von diesem Grundsatz können für bestimmte Arten von Klagen andere Gerichte zuständig sein oder sind es sogar zwingend.

4. Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens begründet die Zuständigkeit, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, ... de[s] Gericht[s] des Ortes, an dem die Verpflichtung erfuellt worden ist oder zu erfuellen wäre". Artikel 5 Nummer 3 begründet die Zuständigkeit, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, ... de[s] Gericht[s] des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist". Aus dem Wortlaut der Artikel 2 und 5 ergibt sich, dass die Zuständigkeit aus Artikel 2 in beiden Fällen nicht ersetzt, sondern ergänzt wird.

5. Am 1. März 2002 ist die Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Kraft getreten, die das Übereinkommen für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Königreichs Dänemark ersetzt.

6. Artikel 5 Nummer 3 der Verordnung Nr. 44/2001 begründet für den Fall, dass eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden", die Zuständigkeit des Gericht als des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht".

Die Verbrauchervertragsrichtlinie

7. Die Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen dient der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. In der Präambel heißt es: Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass die mit den Verbrauchern abgeschlossenen Verträge keine missbräuchlichen Klauseln enthalten." Gemäß Artikel 6 haben die Mitgliedstaaten vorzusehen, dass missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen für den Verbraucher unverbindlich sind.

8. Soweit von Bedeutung bestimmt Artikel 7:

(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

(2) Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen."

Der Hintergrund der Vorlagefrage

9. Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/13 wurde durch die §§ 28 und 29 des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes (im Folgenden: KSchG) umgesetzt. Gemäß § 28 Absatz 1 kann auf Unterlassung verklagt werden, wer im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, oder in hierbei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, oder solche Bedingungen für den geschäftlichen Verkehr empfiehlt. § 29 KSchG bestimmt, dass der Anspruch von einer Reihe österreichischer Vereinigungen einschließlich des Vereins für Konsumenteninformation (im Folgenden: Kläger) geltend gemacht werden kann.

10. Herr Henkel, der Beklagte im Ausgangsverfahren (im Folgenden: Beklagter), hat seinen Wohnsitz in Deutschland und betreibt keine Zweig- oder Hauptniederlassung in Österreich. Das Ausgangsverfahren betrifft die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die der Beklagte im geschäftlichen Verkehr mit verschiedenen in Wien ansässigen Verbrauchern bei der Durchführung von Werbefahrten verwendet hat. Der Verein für Konsumenteninformation (im Folgenden: Kläger) ist der Auffassung, dass diese Geschäftsbedingungen gegen das KSchG, das Datenschutzgesetz und das Wettbewerbsrecht verstoßen und hat gemäß § 28 KSchG Unterlassungsklage erhoben.

11. Das Handelsgericht Wien wies die Unterlassungsklage mit der Begründung zurück, die österreichischen Gerichte seien nicht zuständig. Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens sei nicht anwendbar, weil der Kläger nicht geltend gemacht habe, dass er durch eine unerlaubte Handlung einen Schaden erlitten habe.

12. Das Oberlandesgericht Wien gab dem Rekurs des Klägers statt. Seiner Ansicht nach legt der Gerichtshof den Begriff unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" in Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens in der Weise autonom und weit aus, dass er alle Klagen erfasst, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 anknüpfen. Der Begriff müsse ungeachtet des Fehlens eines Schadens auch eine von einem Verband im öffentlichen Interesse erhobene Klage wegen rechtswidrigen Verhaltens erfassen.

13. Der Beklagte legte ein Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser zweifelt daran, ob eine vorbeugende Unterlassungsklage in den Anwendungsbereich der unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" im Sinne des Artikels 5 Nummer 3 des Übereinkommens fällt, und hat dem Gerichtshof deshalb die oben in Nummer 1 dargestellte Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

14. In dem Vorlagebeschluss trägt der Oberste Gerichtshof Folgendes vor.

15. Zum einen mache der Kläger keinen Vermögensschaden geltend. Seine Klagebefugnis werde im Gesetz angeordnet und sei dazu bestimmt, künftige Schäden von Verbrauchern zu vermeiden. Allerdings ergäben sich diese Schäden aus einer Vertragshaftung, weshalb die Klage von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens erfasst werden könnte, falls man den Kläger als vom Gesetz berufenen Vertreter der Verbraucher ansehe. In Alternative dazu könne man bei Verbandsklagen in der Störung des Rechtsfriedens durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln auch eine unerlaubte Handlung erblicken. Der Gerichtshof habe bisher noch nicht entschieden, ob die Tatsache, dass sich die Klagebefugnis aus dem Gesetz und nicht aus einem Vertrag ergebe, bedeute, dass es keine Klage aus einem Vertrag" sei.

16. Zum anderen habe der Gerichtshof nicht entschieden, ob vorbeugende Klagen, die naturgemäß vor Schadenseintritt erhoben würden, unter Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens fallen könnten, der auf den Ort des Schadenseintritts abstelle und deshalb nach seinem Wortlaut das Vorliegen eines Schadens voraussetze.

17. Der Kläger, der Beklagte, die Regierungen Österreichs, Frankreichs, Deutschlands und des Vereinigten Königreichs und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Kläger, die Regierungen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs und die Kommission waren in der mündlichen Verhandlung vertreten.

Anwendung des Brüsseler Übereinkommens aufgrund der Rechtsmaterie

18. Das Vereinigte Königreich ist der Ansicht, dass eine Klage wie die des Klägers im Ausgangsverfahren überhaupt nicht unter das Brüsseler Übereinkommen fällt. Eine Verbraucherschutzorganisation, die Befugnisse nach § 29 KSchG ausübe, sei eine Behörde und die Geltendmachung des Anspruchs auf Unterlassung der Verwendung von rechtswidrigen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 28 KSchG eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 1 des Übereinkommens kommt das Vereinigte Königreich zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger gemäß den §§ 28 und 29 KSchG und im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/13 erhobene Klage nicht zu den Zivil- und Handelssachen im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens gehöre.

19. Die deutsche Regierung ist dagegen der Auffassung, dass das Übereinkommen anwendbar ist, weil die Überwachung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch den Kläger den zivilrechtlichen Verbraucherschutz betreffe, während der Kläger und die Kommission vortragen, dass der Kläger eine privatrechtliche Vereinigung österreichischen Rechts sei, dass die Richtlinie 93/13 den Mitgliedstaaten gestatte, anderen Organisationen als öffentlichen Einrichtungen gemäß Artikel 7 Absatz 2 eine Klagebefugnis einzuräumen, wenn sie ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher hätten, und dass Klagen des Verbraucherschutzverbandes gemäß den §§ 28 und 29 KSchG Zivil- und Handelssachen" im Sinne des Artikels 1 des Übereinkommens seien.

20. Ich bin auch der Meinung, dass das Übereinkommen eindeutig auf einen Fall wie den vorliegenden anwendbar ist.

21. Wie das Vereinigte Königreich vorgetragen hat, hat der Gerichtshof festgestellt, dass bestimmte Arten gerichtlicher Entscheidungen wegen der Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen oder wegen des Gegenstands des Rechtsstreits vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen sind", und dies, obwohl bestimmte Entscheidungen, die in Verfahren ergehen, in denen sich eine Behörde und eine Privatperson gegenüberstehen, unter das Übereinkommen fallen [können], doch verhält es sich anders, wenn die Behörde einen Rechtsstreit im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse führt". Auch wenn dieser Grundsatz im Zusammenhang mit Streitfällen bezüglich der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach Titel III des Übereinkommens entwickelt wurde, bin ich mit dem Vereinigten Königreich der Meinung, dass dieser Grundsatz den Anwendungsbereich des Artikels 1 betrifft und daher gleichermaßen für Streitfälle bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit nach Titel II des Übereinkommens gilt.

22. Die Unterscheidung von Zivil- und Handelssachen einerseits und öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten andererseits ist den Rechtsordnungen der Zivilrechts-Mitgliedstaaten" wohlbekannt, auch wenn es nicht immer leicht sein mag, privatrechtliches und öffentlich-rechtliches Auftreten des Staates und seiner selbständigen Ausgliederungen voneinander abzugrenzen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger aber eindeutig keine staatliche Einrichtung. Er ist ein nach dem österreichischen Vereinsgesetz von 1951 errichteter Verein ohne Erwerbszweck.

23. Dem Status des Klägers kann man den der Einrichtungen gegenüberstellen, um die es in den beiden Urteilen des Gerichtshofes ging, die das Vereinigte Königreich zur Untermauerung seines Vorbringens zu diesem Punkt angeführt hat. Das Urteil LTU betraf eine Klage der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, einer durch einen multilateralen Vertrag gegründeten internationalen Staatenorganisation, wogegen das Urteil Rüffer eine Klage des Niederländischen Staates betraf.

24. Auch aus der Tatsache, dass der Kläger zu den gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/13 benannten Einrichtungen gehört, ergibt sich nicht, dass er eine öffentliche Einrichtung ist. Wie der Kläger und die Kommission vorgetragen haben, ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass die Mitgliedstaaten die Art der Einrichtung bestimmen können, der sie die Klagebefugnis nach dieser Bestimmung übertragen, und dass in erster Linie tatsächlich an private Einrichtungen gedacht war.

25. Ich bin deshalb der Auffassung, dass eine gemäß den §§ 28 und 29 KSchG und im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/13 erhobene Klage wie die des Klägers zu den Zivil- und Handelssachen" im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens gehört.

Anwendung des Artikels 5 Nummer 3 des Übereinkommens

26. Der Gerichtshof wird im Wesentlichen gefragt, ob die österreichischen Gerichte gemäß Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens für eine Klage eines Verbraucherschutzverbandes auf Unterlassung der Verwendung von gesetzwidrigen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Österreich zuständig sind, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat und sich die Klagebefugnis aus dem Gesetz ergibt.

27. Der Beklagte und die französische Regierung tragen vor, dass eine solche Klage aus zwei Gründen nicht unter Artikel 5 Nummer 3 falle. Zum einen ergebe sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof, dass sie nicht anwendbar sei, wenn der Kläger keinen Schaden geltend mache, und erst recht nicht, wenn noch kein Schaden eingetreten sei. Zum anderen habe der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 5 Nummer 3 sich auf alle Klagen beziehe, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werde und die nicht an einen Vertrag" im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 anknüpften. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aber aus einer Vertragsbeziehung.

28. Der Kläger, die österreichische und die deutsche Regierung und die Kommission sind der Auffassung, dass ein solcher Anspruch unter Artikel 5 Nummer 3 falle. Die Regierung des Vereinigten Königreichs vertritt hilfsweise (nämlich für den Fall, dass der Gerichtshof ihr Vorbringen zurückweisen sollte, die Klage falle überhaupt nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens) auch diese Auffassung.

29. Das ist meiner Meinung nach der richtige Standpunkt.

30. Es dürfte von Nutzen sein, die beiden zur Untermauerung der gegenteiligen Ansicht vorgetragenen Hauptargumente getrennt zu erörtern: Eine Klage wie die des Klägers habe (i) keine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" zum Gegenstand und (ii) werde jedenfalls nicht vom Wortlaut des Artikels 5 Nummer 3 erfasst, weil sie auf die Vermeidung zukünftiger Handlungen und nicht auf die Wiedergutmachung vergangener Handlungen abziele.

Die Bedeutung von unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist"

31. Zwar mag es, wie es Generalanwalt Warner ausgedrückt hat, noch niemandem, nicht einmal im Rahmen einer nationalen Rechtsordnung, gelungen [sein], eine genaue Definition des Begriffs zu geben, die nicht auf einem oder mehreren Zirkelschlüssen beruhte. Was eine unerlaubte Handlung ist, lässt sich eben leichter beschreiben als definieren". Aber der Gerichtshof hat dennoch einige Hinweise gegeben.

32. Er hat insbesondere hervorgehoben, dass der Begriff unerlaubte Handlung als autonomer Begriff anzusehen ist, bei dessen Auslegung im Rahmen der Anwendung des Übereinkommens in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen dieses Übereinkommens berücksichtigt werden müssen, damit dessen volle Wirksamkeit sichergestellt wird.

33. Die französische Regierung trägt vor, die besonderen Zuständigkeiten des Artikels 5 des Übereinkommens seien als Ausnahmebestimmungen zu der allgemeinen Regelung, dass die Gerichte des Wohnsitzes des Beklagten zuständig seien, restriktiv auszulegen. Mit diesem Vorbringen bin ich nicht einverstanden. Die restriktive Auslegung einer Ausnahmevorschrift ist zuweilen gerechtfertigt, z. B. ist eine Ausnahmevorschrift zu einem Grundrecht als solche restriktiv auszulegen. Dieser Ansatz sollte meines Erachtens aber nicht für alle Ausnahmen verallgemeinert werden. Einer gesetzlichen Ausnahme sollte wie jeder anderen gesetzlichen Bestimmung ihre richtige Bedeutung gegeben werden, die im Licht ihres Zwecks und ihres Wortlauts sowie der Systematik und der Zielsetzungen des Regelwerks, deren Teil sie ist, zu ermitteln ist. Ich bevorzuge die bezüglich des Brüsseler Übereinkommens verwendete alternative Formulierung des Gerichtshofes, der festgestellt hat, dass die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln nicht zu einer Auslegung führen [können], die über die in dem Übereinkommen vorgesehenen Fälle hinausgeht". Der Gerichtshof hat darüber hinaus anerkannt, dass Artikel 5 Nummer 3 verschiedenste Sachverhalte erfasst, indem er festgestellt hat, dass sich Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens mit seinem weit gefassten Wortlaut auf sehr vielfältige Typen der Schadensersatzpflicht erstreckt".

34. Dieser Ansatz spiegelt sich in der Feststellung des Gerichtshofes in dem Urteil Kalfelis wieder, dass sich der Begriff auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen ,Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nr. 1 anknüpfen".

35. Diese weite Formulierung eignet sich eindeutig, eine Klage wie die im Ausgangsverfahren zu erfassen. Insbesondere der Terminus Schadenshaftung" - und der entsprechende französische Begriff responsabilité" - erfasst mühelos andere Arten der Schadenshaftung als die Verpflichtung zu finanzieller Wiedergutmachung, z. B. die im vorliegenden Fall streitige Verpflichtung, bestimmte rechtswidrige Verhaltensweisen zu unterlassen.

36. In der Rechtssache Bier - der ersten Rechtssache zu Artikel 5 Nummer 3 - hat der Gerichtshof erklärt, die dem Kläger durch diese Bestimmung eingeräumte Wahlmöglichkeit sei im Interesse einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eingeführt worden; ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass in bestimmten Fallgestaltungen eine besonders enge Beziehung zwischen einer Streitigkeit und dem zur Entscheidung über sie berufenen Gericht besteht". Bezüglich der beiden Anknüpfungspunkte (Ort des Schadensereignisses und Ort des Schadenseintritts) ist deshalb festgestellt worden, dass sie für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses in eine besonders sachgerechte Richtung weisen". Der Grund für die besondere Zuständigkeit aus Artikel 5 Nummer 3 liegt demnach darin, dass die Gerichte des Ortes des Schadensereignisses aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses aufs Beste geeignet sind, über sich daraus ergebende Ansprüche zu entscheiden. Diesem Zweck wird meines Erachtens offensichtlich besser gedient, wenn das Gericht des angeblichen Schadensereignisses für Klagen auf Unterlassung rechtswidrigen Verhaltens zuständig sind. Das ist die Folge, wenn von Klagen wie der vorliegenden angenommen wird, dass sie eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" im Sinne des Artikels 5 Nummer 3 zum Gegenstand haben.

37. Es ist jedoch eingewandt worden, Gegenstand der vom Kläger erhobenen Klage seien ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag", weil es um angeblich rechtswidrige Allgemeine Geschäftsbedingungen gehe. Die Klage könne deshalb nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 5 Nummer 3 in der Auslegung des Gerichtshofes fallen.

38. Dieses Argument überzeugt mich nicht. Aus dem Wortlaut des Urteils Kalfelis - insbesondere aus der französischen Fassung des Urteils - ergibt sich eindeutig, dass gemeint ist, dass der Begriff der unerlaubten Handlung oder der Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, für alle Klagen gilt, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag" im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 anknüpfen. Aus dem Urteil Handte ergibt sich zu Letzterem, dass der Begriff Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" nur für Situationen gilt, in denen eine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt. Hier betrifft die Klage aber keinen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" in diesem Sinne. Wie von der österreichischen und der deutschen Regierung und von der Kommission vorgetragen, macht der Kläger vielmehr einen Unterlassungsanspruch geltend, der ihm ausdrücklich durch Gesetz eingeräumt worden ist. Das Vereinigte Königreich weist im Übrigen darauf hin, dass der Kläger dem vorlegenden Gericht zufolge die Befugnis habe, der Schädigung vorzubeugen", was seiner Meinung nach wohl am zwanglosesten als eine unerlaubte Handlung oder eine einer solchen gleichgestellte Handlung zu beschreiben ist. Ich stimme mit diesem Vorbringen überein.

39. Die französische Regierung macht gestützt auf das Urteil Reichert und Kockler geltend, dass Klagen, mit denen kein finanzieller Ausgleich angestrebt werde, nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 5 Nummer 3 fallen könnten.

40. Dies kann aber meines Erachtens aus diesem Urteil nicht abgeleitet werden, das die Frage betraf, welchen Status die Gläubigeranfechtungsklage des französischen Rechts nach dem Brüsseler Übereinkommen hat. Durch diese Klage können dem Gläubiger gegenüber die Wirkungen einer Verfügungshandlung über eine dingliches Recht mit der Begründung beseitigt werden, dass sie von seinem Schuldner zur Beeinträchtigung von dessen Rechten vorgenommen worden sei. Die Klage kann sich sowohl, wenn der Begünstigte bösgläubig ist, gegen entgeltliche Verfügungshandlungen des Schuldners als auch, selbst wenn der Begünstigte gutgläubig ist, gegen unentgeltliche Verfügungshandlungen des Schuldners richten. Eine Lektüre des Urteils legt nahe, dass der letzte Punkt entscheidend war: Eine Klage, die sich gegen einen Begünstigten richten kann, den kein Verschulden trifft, kann nicht als eine Klage angesehen werden, mit der eine Schadenshaftung ... geltend gemacht wird". Dieser Gedankengang kann eindeutig nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, bei dem dem Beklagten vorgeworfen wird, gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen zu haben, die bestimmte Arten von Vertragsklauseln verbieten.

41. Meines Erachtens betrifft deshalb eine Klage wie die im Ausgangsverfahren eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist", im Sinne des Artikels 5 Nummer 3.

Anwendung des Artikels 5 Nummer 3 auf rein vorbeugende Klagen

42. Der zweite Haupteinwand gegen die Anwendung des Artikels 5 Nummer 3 auf die Klage im vorliegenden Fall geht dahin, dass diese ein mögliches künftiges schädigendes Ereignis zu verhindern suche, wogegen Artikel 5 Nummer 3 nach seinem Wortlaut auf Klagen beschränkt sei, die ein bereits eingetretenes schädigendes Ereignis beträfen.

43. Zugegebenermaßen könnte es den Anschein haben, dass Artikel 5 Nummer 3, wonach das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" zuständig ist, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist", den Gegenstand des Verfahrens bilden, nur anwendbar ist, wenn das die Anspruchsgrundlage bildende schädigende Ereignis bereits eingetreten ist.

44. Ich vermag nicht zu erkennen, inwiefern dies, selbst wenn es die richtige Auslegung wäre, der Anwendung des Artikels 5 Nummer 3 im vorliegenden Fall entgegenstehen sollte. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Klage dadurch veranlasst worden ist, dass der Beklagte wiederholt angeblich rechtswidrige Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet haben soll. Sowohl der Kläger als auch die österreichische Regierung tragen dies vor. Es dürfte auch zu erwarten sein, dass solche Klagen normalerweise durch die tatsächliche Verwendung angeblich rechtswidriger Geschäftsbedingungen veranlasst werden.

45. Jedenfalls bin ich aber nicht der Ansicht, dass die Systematik und die Zielsetzungen des Übereinkommens in Bezug auf Artikel 5 Nummer 3 dahin auszulegen sind, dass sie vorbeugende Unterlassungsklagen ausschließen. Das ist auch die Auffassung des Klägers, der österreichischen und der deutschen Regierung und der Kommission.

46. Professor Schlosser hat in seinem Bericht festgestellt:

Manches spricht dafür, dass Klagen, die im ordentlichen Hauptsachverfahren zur Unterbindung eines drohenden Delikts möglich sind, auch im Gerichtsstand des Artikels 5 Nr. 3 erhoben werden können."

47. Wie oben bereits erwähnt, hat der Gerichtshof im Urteil Bier dargelegt, dass die dem Kläger durch diese Bestimmung eingeräumte Wahlmöglichkeit im Interesse einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eingeführt worden [ist]; ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass in bestimmten Fallgestaltungen eine besonders enge Beziehung zwischen einer Streitigkeit und dem zur Entscheidung über sie berufenen Gericht besteht", insbesondere für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses. Die besondere Zuständigkeit aus Artikel 5 Nummer 3 sei deshalb durch die Tatsache gerechtfertigt, dass die Gerichte des Ortes des Schadensereignisses aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses aufs Beste geeignet seien, über sich daraus ergebende Ansprüche zu entscheiden. Diese Überlegungen gelten auch für Klagen, die diesen schädigenden Ereignissen vorbeugen sollen.

48. Der Beklagte beruft sich auf das Urteil Reichert und Kockler zur Begründung seines Vorbringens, dass Artikel 5 Nummer 3 nur anwendbar sei, wenn eine unerlaubte Handlung bereits einen Schaden verursacht habe. Aus den bereits genannten Gründen bin ich aber nicht der Auffassung, dass sich aus diesem Urteil allgemeine Aussagen zum Anwendungsbereich des Artikels 5 Nummer 3 ableiten lassen.

49. Darüber hinaus ist die entsprechende Bestimmung der Verordnung Nr. 44/2001 (auch Artikel 5 Nummer 3), die das Übereinkommen inzwischen in den meisten Mitgliedstaaten ersetzt hat, eindeutig auf Klagen anwendbar, die einem drohenden schädigenden Ereignis vorbeugen sollen. Da es keinen offensichtlichen und zwingenden Grund gibt, die beiden Vorschriften unterschiedlich auszulegen, bin ich der Meinung, dass sie in derselben Weise auszulegen sind. Die Kommission ist jedenfalls in ihrem Verordnungsvorschlag davon ausgegangen, dass der überarbeitete Wortlaut notwendig sei, um eine Mehrdeutigkeit bei der Auslegung der Bestimmung zu beseitigen und nicht, um ihren Anwendungsbereich auszudehnen.

50. Es wäre im Übrigen eindeutig unbefriedigend, wenn der ansonsten identische Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens - ebenfalls ohne offensichtlichen und zwingenden Grund - gegenüber Dänemark, dem einzigen nicht an die Verordnung gebundenen Mitgliedstaat, einen engeren Anwendungsbereich hätte. Dies kann auch bezüglich der Vertragsparteien des Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen gesagt werden, dessen Artikel 5 Nummer 3 mit dem Wortlaut des Artikels 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens identisch ist und der zwischen den Mitgliedstaaten und Island, Norwegen und der Schweiz fortgilt.

51. Ich möchte schließlich noch hervorheben, dass die französische Regierung vorträgt, Artikel 5 Nummer 3 könne nicht auf rein vorbeugende Klagen anwendbar sein, weil solche Klagen von Artikel 24 des Übereinkommens erfasst würden. Artikel 24 bestimmt:

Die in dem Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund dieses Übereinkommens zuständig ist."

52. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, ist diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil der Kläger im Ausgangsverfahren keine einstweilige Maßnahme beantragt hat.

53. Ich bin deshalb der Meinung, dass eine vorbeugende Klage auf Unterlassung einer unerlaubten Handlung eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist", im Sinne des Artikels 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens betrifft.

Ergebnis

54. Aus oben genannten Gründen schlage ich vor, die Frage des Obersten Gerichtshofes wie folgt zu beantworten:

Die Klage eines Verbraucherschutzverbandes nach nationalem Verbraucherschutzrecht auf Unterlassung der Verwendung von gesetzwidrigen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine Klage aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne des Artikels 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.