62000C0127

Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 26. Februar 2002. - Hässle AB gegen Ratiopharm GmbH. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesgerichtshof - Deutschland. - Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 - Arzneimittel - Ergänzendes Schutzzertifikat - Artikel 15 und 19 - Gültigkeit des Artikels 19 - Begriff .erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft - Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung des in Artikel 19 genannten Stichtags. - Rechtssache C-127/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite 00000


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einleitende Bemerkungen

1. In dieser Rechtssache steht in Frage, ob die nach Mitgliedstaaten differenzierende Stichtagsregelung in der Übergangsregelung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel(1) in der durch die Beitrittsakte Österreichs, Finnlands und Schwedens geänderten Fassung(2) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1768/92) wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht ungültig ist. Falls dies nicht der Fall ist, ersucht das vorlegende Gericht (Bundesgerichtshof) um Auslegung des Begriffes "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" in der Übergangsregelung und fragt nach den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Übergangsregelung.

II - Sachverhalt und Ausgangsverfahren

2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Ratiopharm GmbH (im Folgenden: Ratiopharm) und Aktiebolaget Hässle (im Folgenden: Hässle) wegen Erteilung des den Wirkstoff Omeprazol betreffenden ergänzenden Schutzzertifikats zugunsten von Hässle.

3. Hässle war Inhaberin eines europäischen Patents für den Wirkstoff Omeprazol. Dieses Patent, das u. a. in Deutschland galt, wurde Hässle mit Wirkung vom 3. April 1979 erteilt und erlosch nach Ablauf der 20-jährigen Laufzeit am 3. April 1999.

4. In Frankreich und in Luxemburg waren arzneimittelrechtliche Genehmigungen für Arzneispezialitäten auf der Basis von Omeprazol gemäß der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel(3) (im Folgenden: Richtlinie 65/65) am 15. April 1987 bzw. am 11. November 1987 erteilt worden. In Deutschland waren die entsprechenden arzneimittelrechtlichen Genehmigungen erst am 6. Oktober 1989 erteilt worden.

5. In Luxemburg bedarf es für den Vertrieb von Arzneispezialitäten zusätzlich einer preisrechtlichen Genehmigung. Mit Bescheid vom 17. Dezember 1987, der am 31. Dezember 1987 zuging, erteilte das zuständige Ministerium diese Preisgenehmigung. Darüber hinaus bedarf es für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten in Luxemburg auch der Eintragung in das Verzeichnis der im Großherzogtum zum Verkauf zugelassenen Arzneispezialitäten. Diese erfolgte im Anlassfall am 21. März 1988. In Frankreich wurde die Arzneispezialität am 22. November 1989 in das Verzeichnis der für die Sozialversicherten erstattungsfähigen Medikamente aufgenommen.

6. Am 9. Juni 1993 meldete Hässle beim Deutschen Patentamt für den Wirkstoff Omeprazol ein Zertifikat an. Als Zeit und Ort der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen von Omeprazol als Arzneimittel in der Europäischen Gemeinschaft gab sie "März 1988 Luxemburg" an und fügte eine Kopie des obgenannten Verzeichnisses mit der Eintragung vom 21. März 1988 bei.

7. Das Deutsche Patentamt erteilte ihr mit Beschluss vom 10. November 1993 das Zertifikat und setzte hierfür eine Laufzeit bis zum 21. März 2003 fest.

8. Ratiopharm erhob beim Bundespatentgericht Klage auf Nichtigerklärung des erteilten Zertifikats mit der Begründung, es habe nicht erteilt werden dürfen, da eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen von Omeprazol als Arzneimittel in der Gemeinschaft bereits vor dem für Deutschland maßgeblichen Stichtag des 1. Januar 1988(4) erteilt worden sei. Das Bundespatentgericht gab der Klage statt und erklärte das Zertifikat für nichtig. Auf Berufung Hässles hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

III - Gemeinschaftsrecht

A - Verordnung Nr. 1768/92

9. 3. und 4. Erwägungsgrund lauten:

"Derzeit wird durch den Zeitraum zwischen der Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen desselben Arzneimittels der tatsächliche Patentschutz auf eine Laufzeit verringert, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen unzureichend ist.

Diese Tatsache führt zu einem unzureichenden Schutz, der nachteilige Auswirkungen auf die pharmazeutische Forschung hat."

10. 6. und 7. Erwägungsgrund lauten auszugsweise:

"Auf Gemeinschaftsebene ist eine einheitliche Lösung zu finden, um ... einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, die neue Unterschiede zur Folge hätte, welche geeignet wären, den freien Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft zu behindern ...

Es ist deshalb notwendig, ein ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel, deren Vermarktung genehmigt ist, einzuführen, das der Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents unter denselben Voraussetzungen in jedem Mitgliedstaat erhalten kann. Die Verordnung ist deshalb die geeignetste Rechtsform."

11. Der 10. Erwägungsgrund lautet:

"Auch die Festlegung der Übergangsregelung muss in ausgewogener Weise erfolgen. Diese Übergangsregelung muss es der Pharmaindustrie in der Gemeinschaft ermöglichen, den Rückstand gegenüber ihren Hauptkonkurrenten, die seit mehreren Jahren über Rechtsvorschriften verfügen, die ihnen einen angemesseneren Schutz einräumen, zum Teil auszugleichen. Dabei muss gleichzeitig darauf geachtet werden, dass mit der Übergangsregelung die Verwirklichung anderer rechtmäßiger Ziele in Verbindung mit den sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene verfolgten Gesundheitspolitiken nicht gefährdet wird."

12. Artikel 1 lautet auszugsweise:

"Im Sinne dieser Verordnung ist

a) Arzneimittel: ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, der (die) als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet wird ... ;

b) Erzeugnis: der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels;

c) Grundpatent: ein Patent, das ein Erzeugnis im Sinne des Buchstabens b) als solches, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt und das von seinem Inhaber für das Verfahren zur Erteilung eines Zertifikats bestimmt ist;

d) Zertifikat: das ergänzende Schutzzertifikat."

13. Artikel 2 lautet:

"Für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent geschützte Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie 65/65/EWG oder der Richtlinie 81/851/EWG ist, kann nach den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen und Modalitäten ein Zertifikat erteilt werden."

14. Artikel 3 lautet auszugsweise:

"Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

...

b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65/EWG bzw. der Richtlinie 81/851/EWG erteilt wurde. Im Hinblick auf Artikel 19 Absatz 2(5) wird eine nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften Österreichs, Finnlands oder Schwedens erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen als eine gemäß der Richtlinie 65/65/EWG beziehungsweise der Richtlinie 81/851/EWG erteilte Genehmigung angesehen; ...

d) die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist."

15. Artikel 5 lautet:

"Vorbehaltlich des Artikels 4 gewährt das Zertifikat dieselben Rechte wie das Grundpatent und unterliegt denselben Beschränkungen und Verpflichtungen."

16. Artikel 7 Absatz 1 lautet:

"Die Anmeldung des Zertifikats muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt, zu dem für das Erzeugnis als Arzneimittel die Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Buchstabe b) erteilt wurde, eingereicht werden."

17. Artikel 8 Absatz 1 lautet auszugsweise:

"Die Zertifikatsanmeldung muss enthalten:

a) einen Antrag auf Erteilung eines Zertifikats, wobei insbesondere anzugeben sind: ...

iv) Nummer und Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses gemäß Artikel 3 Buchstabe b) sowie, falls diese nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft ist, auch Nummer und Zeitpunkt der letztgenannten Genehmigung;

b) eine Kopie der Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 Buchstabe b), ...

c) falls die Genehmigung nach Buchstabe b) nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel in der Gemeinschaft ist, ..."

18. Artikel 13 Absatz 1 lautet:

"Das Zertifikat gilt ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents für eine Dauer, die dem Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft entspricht, abzüglich eines Zeitraums von fünf Jahren."

19. Artikel 15 Absatz 1 lautet:

"Das Zertifikat ist nichtig,

a) wenn es entgegen den Vorschriften des Artikels 3 erteilt wurde;

b) wenn das Grundpatent vor Ablauf seiner gesetzlichen Laufzeit erloschen ist;

c) wenn das Grundpatent für nichtig erklärt oder derartig beschränkt wird, dass das Erzeugnis, für welches das Zertifikat erteilt worden ist, nicht mehr von den Ansprüchen des Grundpatents erfasst wird, oder wenn nach Erlöschen des Grundpatents Nichtigkeitsgründe vorliegen, die die Nichtigerklärung oder Beschränkung gerechtfertigt hätten."

20. Artikel 19 Absatz 1 lautet:

"Für jedes Erzeugnis, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist und für das als Arzneimittel eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft oder in Österreich, Finnland oder Schweden nach dem 1. Januar 1985 erteilt wurde, kann ein Zertifikat erteilt werden.

Bezüglich der in Dänemark, Deutschland oder Finnland zu erteilenden Zertifikate tritt an die Stelle des 1. Januars 1985 der 1. Januar 1988.

Bezüglich der in Belgien, in Italien und in Österreich zu erteilenden Zertifikate tritt an die Stelle des 1. Januars 1985 der 1. Januar 1982."

B - Richtlinie 65/65

21. Artikel 1 lautet auszugsweise:

"Für die Durchführung dieser Richtlinie sind:

1. Arzneispezialitäten

alle Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und unter einer besonderen Bezeichnung und in einer besonderen Aufmachung in den Verkehr gebracht werden. ..."

22. Artikel 3 lautet:

"Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats die Genehmigung dafür erteilt hat."(6)

C - Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel(7) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1610/96)

23. Der 17. Erwägungsgrund lautet auszugsweise:

"Die in ... Artikel 17 Absatz 2 dieser Verordnung vorgesehenen Modalitäten gelten sinngemäß auch für die Auslegung insbesondere ... des Artikels 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates ..."

24. Artikel 17 Absatz 2 lautet:

"Gegen die Entscheidung der Erteilung des Zertifikats kann ein Rechtsmittel eingelegt werden, das darauf abzielt, die Laufzeit des Zertifikats zu berichtigen, falls der gemäß Artikel 8 in der Zertifikatsanmeldung enthaltene Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft unrichtig ist."

IV - Vorlagefragen

1. a) Kommt es für die Anwendung der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 vorgesehenen Übergangsregelung, soweit darin an "eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" vor einem bestimmten Stichtag angeknüpft wird, ausschließlich auf eine Genehmigung im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG bzw. 81/851/EWG an oder kann insoweit auch eine später (nach dem Stichtag) erteilte andere, insbesondere die Preisgestaltung des Arzneimittels betreffende Genehmigung maßgeblich sein, wenn

aa) ohne eine solche weitere, z. B. preisrechtliche Genehmigung ein Inverkehrbringen des Arzneimittels nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats nicht zulässig ist oder

bb) ohne eine solche weitere Genehmigung das Arzneimittel in dem betreffenden Mitgliedstaat zwar grundsätzlich vertrieben werden darf, eine effektive Vermarktung aber gleichwohl insbesondere deswegen nicht möglich ist, weil die Krankenkassen die Kosten für das Arzneimittel nur dann erstatten, wenn die weitere, insbesondere preisrechtliche Genehmigung erteilt worden bzw. eine Festsetzung des erstattungsfähigen Preises vorgenommen worden ist?

b) Kommt es hier auf eine erste Genehmigung in einem beliebigen Mitgliedstaat der Gemeinschaft (wie bei Artikel 8 und 13 der Verordnung) oder auf die erste Genehmigung in dem Mitgliedstaat an, für den die Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats beantragt worden ist?

2. Bestehen gegen die Gültigkeit der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung vorgesehenen Übergangsregelung insoweit Bedenken, als darin für verschiedene Mitgliedstaaten unterschiedliche Stichtage vorgesehen sind?

3. Ist der Katalog der Nichtigkeitsgründe in Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung abschließend?

Wenn nein:

a) Stellt es einen Nichtigkeitsgrund dar, wenn ein Zertifikat nach der Übergangsvorschrift des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung erteilt wurde, obwohl für das Erzeugnis eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bereits vor dem Stichtag erteilt wurde, der für den Mitgliedstaat, in dem das Zertifikat beantragt und erteilt wurde, maßgeblich ist?

b) Ist in diesem Fall das Zertifikat vollständig nichtig oder ist lediglich seine Laufzeit entsprechend zu korrigieren?

4. Für den Fall, dass ein Verstoß gegen die Übergangsbestimmung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung keinen Nichtigkeitsgrund darstellt:

Kann und muss das nationale Recht entsprechend Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel ein Rechtsmittel vorsehen, das darauf abzielt, die Laufzeit des Arzneimittel-Schutzzertifikats bei einem Verstoß gegen die Übergangsbestimmung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 zu berichtigen?

V - Vorbemerkungen zu den Begrifflichkeiten und zu den Zielsetzungen des arzneimittelrechtlichen Patentschutzes sowie des zugrunde liegenden Interessenausgleichs(8)

25. Der arzneimittelrechtliche Patentschutz stellt ein Ausschließlichkeitsrecht dar. Er erlaubt dem Inhaber eines Grundpatents(9), Erfolge seiner Forschungsleistung unter Ausschluss anderer Marktteilnehmer zeitlich begrenzt(10) ökonomisch exklusiv zu verwerten. Solche Forschungsergebnisse sind Wirkstoffe oder Wirkstoffzusammensetzungen (im Folgenden: Erzeugnis(11)) oder Verfahren zu deren Herstellung.

26. Darauf beruhende Mittel zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten (Arzneimittel(12)) bedürfen in der Gemeinschaft einer arzneimittelrechtlichen Genehmigung(13), die nach erfolgreichem Abschluss eines nationalen Verfahrens auf der Basis der jeweiligen nationalen Umsetzungsmaßnahme(n) der Richtlinie 65/65 (im Folgenden: Verfahren nach Richtlinie 65/65) erteilt wird. Die Genehmigung wird nicht für ein Arzneimittel als solches, sondern für jede Darreichungsform, Dosierung etc., in der das Arzneimittel unter einer besonderen Bezeichnung und in einer besonderen Aufmachung in den Verkehr gebracht werden soll (Arzneispezialität(14)), gesondert erteilt.

27. Darüber hinaus gibt es in den Mitgliedstaaten jedoch teilweise weitere Genehmigungsverfahren, die in der Regel erst nach Abschluss der Verfahren nach Richtlinie 65/65 eingeleitet werden, aber nach dem nationalen Recht häufig ebenfalls Voraussetzung für das Inverkehrbringen und damit für die ökonomische Verwertung des Grundpatents sind. Hierbei handelt es sich vor allem um preisrechtliche Genehmigungsverfahren.

28. Des Weiteren finden sich in einigen Mitgliedstaaten auch sozialversicherungsrechtliche Regelungen, wonach die Übernahme der Kosten für eine Arzneispezialität durch die Systeme der sozialen Sicherheit von der Genehmigung durch diese oder vom Eintrag in Listen genehmigungsfähiger Arzneispezialitäten abhängt. Ein Inverkehrbringen der Arzneispezialität ohne solche Genehmigungen oder Eintragungen behindert zwar nicht die ökonomische Verwertung des Grundpatents, eine Verwertung wird jedoch wesentlich interessanter, wenn eine Kostenübernahme durch Träger der sozialen Sicherheit möglich ist.

29. Alle Verfahren, die nach Anmeldung des Grundpatents für das Inverkehrbringen einer Arzneispezialität durchgeführt werden müssen, verkürzen die Dauer der ökonomischen Nutzbarkeit des Ausschließlichkeitsrechts. Verfahren, die zwar nicht verpflichtend für das Inverkehrbringen, aber notwendig für einen Massenumsatz sind, verkürzen die Dauer einer besonders effektiven ökonomischen Nutzung des Ausschließlichkeitsrechts.

30. Die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (im Folgenden: Zertifikat(15)) führt zu einer zeitlichen Verlängerung des Ausschließlichkeitsrechts über das Auslaufen des Grundpatents hinaus. Dabei stellt es keine einfache Verlängerung des Grundpatents dar, sondern schützt nur bestimmte, vom Grundpatent erfasste Erzeugnisse(16).

31. Ökonomisch betrachtet(17), stellt die Verlängerung des Ausschließlichkeitsrechts eine zeitliche Ausdehnung der exklusiven ökonomischen Verwertungsmöglichkeit wissenschaftlicher Forschungsergebnisse dar. Dies dient jenen Unternehmen, die aufgrund ihrer Forschung Inhaber der Zertifikate sind. Wenn und soweit diese Unternehmen die so erzielten zusätzlichen Gewinne erneut in die Forschung investieren, dient die Erteilung der Zertifikate mittelbar der Erforschung und damit auch der Verfügbarkeit neuer Erzeugnisse. Die Erteilung von Zertifikaten dient aber auch jenen Unternehmen, die in Lizenz der Zertifikatinhaber Arzneispezialitäten herstellen.

32. Auf der anderen Seite steht die Erteilung von Zertifikaten den Interessen jener Unternehmen entgegen, die nach Auslaufen des Grundpatents in der Lage gewesen wären, auf der Basis nicht mehr geschützter Erzeugnisse insbesondere eigene Arzneimittel zu entwickeln oder bekannte Arzneimittel in Form neuer Arzneispezialitäten in den Verkehr zu bringen. Diese so genannten "Generika" sind in der Regel kostengünstiger, und zwar schon allein deshalb, weil aufgrund der Nutzung nicht mehr geschützter Erzeugnisse keine oder nur geringere Kosten für die Forschung anfallen. An der Produktion kostengünstiger Generika haben daher vor allem die nationalen Gesundheitssysteme und die sie finanziell mittragenden Mitgliedstaaten ein starkes Interesse.

VI - Zu den Vorlagefragen

33. Die Verordnung Nr. 1768/92 verweist an mehreren hier einschlägigen Stellen neben der Richtlinie 65/65 (Humanarzneien) auch auf die Richtlinie 81/851/EWG (Tierarzneien). Aufgrund des im Ausgangsverfahren betroffenen arzneimittelrechtlichen Genehmigungsverfahrens wird in den folgenden Überlegungen aber nur mehr das Verfahren nach der Richtlinie 65/65 angeführt.

34. Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Parteien des Ausgangsrechtsstreits, Hässle und Ratiopharm, sowie die Kommission, die dänische, die niederländische, die französische und die spanische Regierung Stellung genommen. Auf Grund der umfangreichen Stellungnahmen werden diese in der Folge nach grundsätzlichen Argumentationslinien gegliedert wiedergegeben(18).

35. Da die Beantwortung aller anderen Fragen von der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage abhängt, wird diese im Folgenden zuerst behandelt.

A - Zur zweiten Vorlagefrage: Vereinbarkeit des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 mit höherrangigem Gemeinschaftsrechts (abweichende Stichtagsregelung)

36. Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 stellt eine Übergangsregelung dar, die in Unterabsatz 1 einen allgemeinen Stichtag enthält. In den Unterabsätzen 2 und 3 werden zwei davon abweichende Stichtage für Zertifikatsanmeldungen in den dort jeweils genannten Mitgliedstaaten für maßgeblich erklärt. Obwohl für den Ausgangsrechtstreit lediglich die Stichtagsregelung für Deutschland (Unterabsatz 2) maßgeblich ist, wird im Folgenden zu diesem Punkt allgemein von der differenzierenden Stichtagsregelung des Artikels 19 Absatz 1 gesprochen, da sich die hier geltend gemachte Rechtswidrigkeit nur aus der Differenzierung in ihrer Gesamtheit ergeben könnte.

Vorbringen der Beteiligten

37. Hässle ist der Ansicht, dass die nach Mitgliedstaaten differenzierende Stichtagsregelung ungültig sei, weil sie gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht, insbesondere das Gleichbehandlungsgebot, die Begründungspflicht und die "Harmonisierung des Binnenmarktes" verstoße. Die Diskriminierung liege darin, dass Arzneimittel, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen in Deutschland erlangt wurde, kein Zertifikat für Deutschland erhalten könnten, wenn die Zulassung vor dem 1. Januar 1988 erfolgt sei. Ein Zertifikat für andere Mitgliedstaaten sei hingegen sogar dann noch erhältlich, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen dort bis zu weiteren sechs Jahren zurückliege. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedlichen Stichtage sei nicht ersichtlich. Der Gemeinschaftsgesetzgeber sei im Übrigen der Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen, da sich weder in den Gesetzgebungsmaterialien noch in den Erwägungsgründen überzeugende Gründe für die unterschiedlichen Stichtage der Mitgliedstaaten fänden. Die gesamte Verordnung Nr. 1768/92 diene ausweislich der Rechtsgrundlage des Artikels 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) der Harmonisierung des Patentschutzes. Eine nach Mitgliedstaaten differenzierende Behandlung sei aber mit dem Grundgedanken der Harmonisierung nicht vereinbar.

38. Ratiopharm, die Kommission, die dänische und die niederländische Regierung halten die Übergangsregelung des Artikels 19 Absatz 1 für gültig. An die Begründung einer Verordnung, die an die Allgemeinheit gerichtet sei, seien nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Gerichtshofes keine sehr hohen Anforderungen zu stellen. Der 10. Erwägungsgrund erkläre den Zweck der Übergangsregelung insoweit ausreichend mit der Herstellung des - oben(19) dargestellten - Interessenausgleichs. Da die Kostenfrage in den Gesundheitspolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Bedeutung habe, sei die differenzierende Stichtagsregelung sachlich gerechtfertigt.

Würdigung

39. Die Frage nach der Gültigkeit der strittigen Übergangsregelungen ist offenbar gerichtet auf: Unvereinbarkeit des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 mit der Rechtsgrundlage der Verordnung (Artikel 100a EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 95 EG), Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und jedenfalls - für den Fall der Beachtung dieses Grundsatzes - Verstoß gegen die Begründungspflicht für Gemeinschaftsrechtsakte gemäß Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG).

40. Der Gerichtshof hat sich bereits im Urteil in der Rechtssache Pinna(20) mit der Frage der Gültigkeit einer nach Mitgliedstaaten differenzierenden sekundärrechtlichen Regelung befasst. Es handelte sich dort um eine Ausnahmeregelung einer Verordnung, nach der eine ihrer Bestimmungen in einem Mitgliedstaat nicht(21) anwendbar sein sollte. Der Gerichtshof verweist in diesem Urteil auf das Ziel des dort einschlägigen Primärrechts (Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Artikel 48 und 51 EWG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG) und stellt fest, dass "diesem Ziel ... entgegengearbeitet (wird), ... wenn das Gemeinschaftsrecht vermeidbare Unterschiede zwischen den jeweiligen Bestimmungen der sozialen Sicherheit schafft. Darauf folgt, dass das aufgrund des Artikels 51 EWG-Vertrag erlassene Sozialrecht der Gemeinschaft keine Unterschiede einführen darf, die zu denen hinzutreten, die sich bereits aus der mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften ergeben."

41. Die zitierte Rechtsprechung ist allerdings meines Erachtens nach nicht verallgemeinerbar. Insbesondere handelt es sich hier nicht um eine Koordinierungsvorschrift, welche der Verwirklichung einer Grundfreiheit dient und als solche vom Primärrecht vorgeschrieben wird. Die Verordnung Nr. 1768/92 beruht vielmehr auf Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) und soll eine gemeinschaftsweite Harmonisierung(22) bestimmter Teile des Immaterialgüterrechts zum Schutze der effektiveren Ausübung der Grundfreiheiten herbeiführen. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass der Harmonisierungszweck gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrechts als solcher der Tatsache nicht entgegensteht, dass die Anwendung des Gemeinschaftsrechts für die Normunterworfenen in den verschieden Mitgliedstaaten unterschiedliche Auswirkungen zeigt(23).

42. Eine Unvereinbarkeit kann demnach nur vorliegen, wenn das allgemeine Gleichbehandlungsgebot(24) verletzt wäre. Dies ist bei differenzierenden Regelungen im Gemeinschaftsrecht immer dann der Fall, wenn es an einer sachlichen Rechtfertigung für die konkrete Differenzierung fehlt.

43. Die gesamte Verordnung dient dem - eingangs beschriebenen(25) - Interessenausgleich. Das Interesse der nationalen Gesundheitspolitiken an kostengünstigen Generika ist in den verschiedenen Mitgliedstaaten nach dem insoweit unbestrittenen Vorbringen der Kommission offenbar unterschiedlich stark ausgeprägt. Soweit daneben auch die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Pharmahersteller eine Rolle gespielt haben sollte, ist zu bedenken, dass diese teilweise Inhaber eigener Grundpatente oder Lizenznehmer sind und teilweise Hersteller von Generika.

44. Die Rückerstreckungsregelung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 bestimmt durch den je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Zeitraum die Anzahl der für die Erteilung verlängerter patentrechtlicher Exklusivrechte in Frage kommenden "Alt"-Arzneien(26). Ein längerer Rückerstreckungszeitraum hat Vorteile für Unternehmen, welche Inhaber der Grundpatente oder Hersteller in Lizenz derselben sind. Ein kurzer Rückerstreckungszeitraum ist eine Entscheidung zugunsten der Verfügbarkeit kostengünstigerer Generika und zugunsten jener Unternehmen, die diese herstellen. Vor dem Hintergrund der eingangs dargestellten vielschichtigen Interessenlage im Rahmen des arzneimittelrechtlichen Patentschutzes und aufgrund der Tatsache, dass diese Interessenlage offenbar nicht gemeinschaftsweit einheitlich, sondern in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, erscheint eine solche Differenzierung grundsätzlich sachgerecht.

45. Im Lichte dieser Ausführungen ist im Hinblick auf einen angeblichen Verstoß gegen die Begründungspflicht aus Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG) lediglich anzumerken, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes(27), insbesondere bei Verordnungen, die an die Allgemeinheit gerichtet sind, nicht notwendig ist, sämtliche tatsächlich oder rechtlich erheblichen Gesichtspunkte anzuführen. Es genügt vielmehr, wenn die Gesamtsituation - auch in knapper Form - wiedergegeben wird, die zu ihrem Erlass geführt hat und wenn das allgemeine Ziel genannt wird, das es zu erreichen gilt. Diesen Anforderungen genügt die Verordnung Nr. 1768/92 in ihren Erwägungsgründen.

46. Diese Prüfung hat demnach nichts hervorgebracht, was die Normierung unterschiedlicher Stichtage in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erscheinen ließe.

B - Zur ersten Vorlagefrage: "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92

1. Zur Frage, ob mit der "Genehmigung für das Inverkehrbringen" die Genehmigung im Verfahren nach Richtlinie 65/65 gemeint ist oder auch eine später erteilte andere Genehmigung nationalen Rechts

Vorbringen der Beteiligten

47. Hässle ist der Ansicht, aus dem Wortlaut des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 ergebe sich mangels ausdrücklichen Hinweises auf die Richtlinie 65/65, dass mit der "ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen" jene nationalen Rechts- oder Verwaltungsakte gemeint seien, von deren Erlangung die effektive ökonomische Verwertbarkeit des Erzeugnisses als Arzneimittel abhänge. Dies seien z. B. preisrechtliche Genehmigungen oder Genehmigungen der Sozialversicherungsträger, mit denen Arzneispezialitäten als erstattungsfähig anerkannt würden. Das Fehlen derartiger Genehmigungen würde entweder die effiziente Verwertbarkeit behindern oder überhaupt unmöglich machen. Hässle beruft sich dabei im Wesentlichen auf Wortlaut und Zweck der Verordnung.

48. Für den Wortlaut stellt Hässle auf den allgemeinen Auslegungsgrundsatz ab, wonach abweichende Formulierungen innerhalb eines Rechtsakts auch abweichende Inhalte zum Ausdruck bringen. So verzichte die Verordnung Nr. 1768/92 in Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c, Artikel 13 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 auf eine ausdrückliche Erwähnung der Richtlinie 65/65. Daraus sei zu schließen, dass auch andere, spätere Genehmigungen gemeint sein könnten. Auch die Neufassung des Artikels 3 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1768/92 würde diese Auslegung stützen. Die rechtliche Fiktion, dass es sich für die neuen Mitgliedstaaten im Hinblick auf Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 um Genehmigungen im Sinne der Richtlinie 65/65 handle, zeige, dass in Artikel 3 Buchstabe b der Verordnung auf erste "Genehmigungen" abgestellt werde, die von derjenigen nach der Richtlinie 65/65 verschieden sein müssten.

49. Diese Auslegung würde auch mit dem Zweck der Verordnung Nr. 1768/92 in Einklang stehen: Wie sich insbesondere aus dem 3. und dem 7. Erwägungsgrund, aus den Erläuterungen der Kommission zum Verordnungsvorschlag und aus der Entstehungsgeschichte ergebe, liege der Zweck dieser Verordnung in der Gewährung eines verlängerten Patentschutzes im Ausgleich für die mit Genehmigungsverfahren jeglicher Art verstrichenen Zeiten. Die Dauer des "tatsächlichen" Patentschutzes, also die effektive ökonomische Verwertbarkeit des Grundpatents, würde ohne Zertifikat auf den verbleibenden Zeitraum nach der letzten notwendigen Genehmigung bis zum Auslaufen des Grundpatents beschränkt. Würde man in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 nur auf die arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 abstellen, würde der von der Verordnung Nr. 1768/92 intendierte Ausgleich nicht erreicht.

50. Dem Argument, mit dieser Auslegung würde Rechtsunsicherheit erzeugt, begegnet Hässle damit, dass das Anliegen der Rechtssicherheit das genannte Gesamtanliegen der Verordnung nicht in Frage stellen dürfe: Zu Rechtsunsicherheiten würde vielmehr gerade eine enge, nur auf die Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 abstellende Auslegung des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung führen.

51. Ratiopharm, die Kommission, die dänische, die niederländische und die spanische Regierung sind der Ansicht, Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 knüpfe ausschließlich an eine arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 an. Sie stützen sich - zum Teil unter Berufung auf Argumente des Vorlagegerichts - ebenfalls auf den Wortlaut, den Zweck und die Systematik der Verordnung Nr. 1768/92 sowie auf eine andernfalls zu befürchtende Rechtsunsicherheit bei der Erteilung von Zertifikaten.

52. Dem Wortlaut des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 sei zu entnehmen, dass die Genehmigung für das Erzeugnis "als Arzneimittel" erteilt werde. Damit könne nur eine arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinn der Richtlinie 65/65 gemeint sein. Die Ergänzungen, welche Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 und Artikel 3 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1768/92 durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten erhalten habe, würden daran nichts ändern.

53. Nur eine ausschließliche Bezugnahme auf die arzneimittelrechtlichen Genehmigungen im Sinne der Richtlinie 65/65 stehe auch mit dem Zweck der Verordnung Nr. 1768/92 in Einklang. Wie sich nämlich aus dem 3. und 4. Erwägungsgrund sowie aus Artikel 2 der Verordnung ergebe, sei das Zertifikat ein Ausgleich für die Dauer der Verfahren nach der Richtlinie 65/65 und nicht für sonstige - wirtschaftliche - Gründe, denn die Verordnung Nr. 1768/92 wolle keine Garantie für die ökonomisch effizienteste Verwertung von Patentrechten an medizinischen Erzeugnissen gewähren. Dies zeige sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte.

54. Schließlich unterstütze auch die Systematik der Verordnung Nr. 1768/92 die Ansicht, dass mit "erste(r) Genehmigung in der Gemeinschaft" nur eine Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 gemeint sein könne. Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer iv und Buchstabe c der Verordnung verwende denselben Begriff und verweise dabei ausdrücklich auf ihren Artikel 3 Buchstabe b. Dieser wiederum spreche eindeutig nur von arzneimittelrechtlichen Genehmigungen im Sinne der Richtlinie 65/65. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Yamanouchi(28) wird vorgebracht, Artikel 19 sei als Übergangsregelung technisch dem Hauptteil der Verordnung nachgebildet, wobei Artikel 19 Absatz 2 der Regelung über die Anmeldefrist (Artikel 7) und Artikel 19 Absatz 1 der Regelung über die Erteilungsvoraussetzungen (Artikel 3 Buchstabe b) entspreche.

55. Befürchtet wird aber vor allem das Entstehen von Rechtsunsicherheit, sollten andere Genehmigungsverfahren als jene nach der Richtlinie 65/65 als maßgeblich zu erachten sein. Solche Verfahren wären nämlich - im Gegensatz zu jenen nach der Richtlinie 65/65 - gemeinschaftsrechtlich nicht harmonisiert. Dadurch wäre für die von der Verordnung Nr. 1768/92 Betroffenen nicht ersichtlich, ob und welche weiteren Hindernisse für das Inverkehrbringen oder - nur - für die "effektive Vermarktung" in den einzelnen Mitgliedstaaten bestuenden. Dies stehe der von der Verordnung Nr. 1768/92 angestrebten Einheitlichkeit der Regelung entgegen. Im Übrigen würde eine Bezugnahme auf andere Genehmigungen als die arzneimittelrechtliche im Sinne der Richtlinie 65/65 Rechtsunsicherheit bei der Bestimmung der Laufzeit des Zertifikats (Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92) hervorrufen, weil Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 und Artikel 13 denselben Begriff verwenden. Wenn Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 auch noch so zu verstehen sei - was alle zu diesen Vorbringen genannten Beteiligten, außer das Königreich Dänemark, annehmen -, dass es sich bei der "ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen" nicht immer um die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung handeln müsse, käme eine weitere Unsicherheit hinzu. Die Behörden des Mitgliedstaats der Anmeldung hätten dann nämlich zu prüfen, ob und wenn welche sonstigen Genehmigungsverfahren in anderen Mitgliedstaaten bestehen sowie auch zu beurteilen, ob eine effektive ökonomische Verwertung im Einzelfall vom Erhalt einer solchen Genehmigung abhänge. Es wäre somit nicht ausgeschlossen, dass verschiedene Behörden zu unterschiedlichen Einschätzungen kämen.

Würdigung

56. Die Begründung dafür, dass im Rahmen des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 neben der arzneimittelrechtlichen Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 eine nach nationalem Recht gegebenenfalls zusätzlich erforderliche Genehmigung maßgeblich sein könnte, stützt sich im Wesentlichen auf den Wortlaut der Bestimmung und auf eine bestimmte Sichtweise des Zweckes der Verordnung.

57. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass allein die deutsche Sprachfassung, insoweit sie von "einer" ersten Genehmigung spricht, nicht zu dem Schluss zwingen kann, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 (auch) andere Genehmigung für das Inverkehrbringen maßgeblich sein lassen wollte als jene im Sinne der Richtlinie 65/65. Es ist zwar zutreffend, dass die deutsche und auch andere Sprachfassungen der Bestimmung in dieser Hinsicht mehrdeutig sind, weil sie den unbestimmten Artikel "eine" verwenden. Die dänische und die englische Sprachfassung verwenden jedoch den bestimmten Artikel "die" und weitere Sprachfassungen (wie die griechische und die finnische) verwenden weder den bestimmten noch den unbestimmten Artikel.

58. Auch die von beiden Seiten vorgebrachte Neufassung des Artikels 3 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1768/92 infolge der Beitritte Österreichs, Schwedens und Finnlands vermag weder die eine noch die andere Auslegung des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 zu unterstützen. Denn eine Fiktion, wie sie in dieser Bestimmung enthalten ist, setzt zwar denklogisch voraus, dass die in diesen Staaten bis dahin erteilten Genehmigungen keine im Sinne der Richtlinie 65/65 waren. Der Grund für diese Fiktion liegt jedoch darin, dass eine in einem der neuen Mitgliedstaaten früher erteilte Genehmigung mangels damaliger Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts niemals eine "gemäß der Richtlinie 65/65/EWG erteilte Genehmigung" sein konnte.

59. Weiters kann auch aus der Tatsache, dass Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 nicht ausdrücklich von der arzneimittelrechtlichen Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 spricht, nicht unbedingt geschlossen werden, dass hier (auch) andere nationale Genehmigungen für das Inverkehrbringen maßgeblich sein können. Erwägungsgründe und Gesetzgebungsmaterialien erwähnen nämlich an keiner Stelle mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Verordnung Nr. 1768/92 mit der Ausdehnung des Zeitraums, in dem ein Erzeugnis unter dem Schutz patentrechtlicher Exklusivrechte vermarktet werden kann, einen Ausgleich für Verzögerungen des Inverkehrbringens aufgrund zusätzlicher nationaler Genehmigungsverfahren zu jenem nach der Richtlinie 65/65 schaffen wollte, geschweige denn, welche Genehmigungen damit gemeint sein könnten.

60. Es erscheint auch wenig einleuchtend, warum der Gemeinschaftsgesetzgeber innerhalb der Verordnung in der Grundnorm des Artikels 3 Buchstabe b (Erteilungsvoraussetzungen) nur die Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 erwähnt haben sollte und in der Übergangsregelung des Artikels 19 Absatz 1 für das Inverkehrbringen auch andere Genehmigungen maßgeblich sein lassen wollte, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen.

61. Auch aus der Systematik der Verordnung Nr. 1768/92 ergibt sich kein eindeutiger Hinweis dafür, dass eine ausdrückliche Nennung der arzneimittelrechtlichen Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 bei einzelnen Erwägungsgründen, der Laufzeitregelung des Artikels 13 und der Übergangsregelung des Artikels 19 Absatz 1 bewusst unterlassen worden wäre. Allerdings ergibt die Stellung des Artikels 19 am Ende der Verordnung samt seinem - auch ausdrücklich so bezeichneten - Charakter einer Übergangsregelung auch keinerlei zwingende Notwendigkeit für eine solche ausdrückliche Nennung. Dafür sind folgende Gründe ausschlaggebend:

62. Artikel 19 normiert eine Abweichung vom allgemeinen Grundsatz, dass eine Rechtsvorschrift nur dann anwendbar ist, wenn sich alle Tatbestandsmerkmale nach ihrem Inkrafttreten verwirklicht haben. Artikel 19 Absatz 1 erlaubt nämlich die Erteilung eines Zertifikats für Fälle, in denen sich eines der Tatbestandsmerkmale, die für die Erteilung des Zertifikats erfuellt sein müssen, bereits vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1768/92 verwirklicht hat. Mit diesem Tatbestandsmerkmal kann aber letztlich nur die arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 gemeint sein, denn eine andere "Genehmigung" wird in der gesamten Verordnung nicht genannt.

63. Im Übrigen vermögen auch die Bedenken betreffend Rechtsunsicherheiten zu überzeugen. Würde man nämlich im Rahmen der Übergangsregelung an gemeinschaftsrechtlich nicht harmonisierte, sonstige Genehmigungsverfahren anknüpfen, könnte weder der Inhaber eines Grundpatents, noch der an der Verwertung des Erzeugnisses interessierte Konkurrent anhand der Verordnung Nr. 1768/92 erkennen, ob für "Alt"-Arzneien ein Zertifikat im jeweiligen Mitgliedstaat erteilt werden kann bzw. ob es zu Unrecht erteilt wurde. Hinzu kommt, dass unklar wäre, welche anderen Genehmigungen für das Inverkehrbringen neben der arzneimittelrechtlichen Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 in den verschiedenen Mitgliedstaaten in diesem Fall maßgeblich sein sollten(29).

64. Auf Basis der vorangegangenen Überlegungen ist daher anzunehmen, dass mit der "Genehmigung für das Inverkehrbringen" in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 nur die arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 (bzw. der Richtlinie 81/851/EWG für Tierarzneien) gemeint ist.

2. Zur Frage, ob mit der "ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung oder in irgendeinem Mitgliedstaat gemeint ist

Vorbringen der Beteiligten

65. Hässle und die dänische Regierung sind der Ansicht, dass die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung des Zertifikats maßgeblich ist.

66. Im Wesentlichen ausgehend vom Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Yamanouchi(30) wird vorgebracht, dass der Gerichtshof in diesem Urteil Artikel 19 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/92 so ausgelegt habe, dass für die Anwendung der Übergangsregelung die Erteilung einer Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung maßgeblich sei. Die Genehmigung in irgendeinem Mitgliedstaat sei "nur" für die Laufzeitberechnung ausschlaggebend.

67. Bei Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung handle es sich aus Sicht von Hässle und der dänischen Regierung aber um eine besondere Erteilungsvoraussetzung. Da bereits die allgemeine Erteilungsvoraussetzung gemäß Artikel 3 Buchstabe b der Verordnung an eine Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung anknüpfe, habe dies auch für die Erteilungsvoraussetzung des Artikels 19 Absatz 1 zu gelten.

68. Dieser Auslegung stehe auch der Wortlaut "in der Gemeinschaft" nicht entgegen, denn die Gemeinschaft sei die Summe aller Mitgliedstaaten, zu denen auch der Mitgliedstaat der Anmeldung gehöre. Die Verwendung des unbestimmten Artikels "eine" erste Genehmigung, die sich neben der deutschen auch in anderen Sprachfassungen finde, stelle klar, dass es mehrere "erste" Genehmigungen in der Gemeinschaft geben könne. In Artikel 19 Absatz 1 sei daher - wie auch in Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung - die "erste Genehmigung" von mehreren im selben Mitgliedstaat erteilbaren Genehmigungen gemeint.

69. Die Bezugnahme auf die Genehmigung in irgendeinem Mitgliedstaat würde dem Zweck der Übergangsregelung widersprechen, da jedwede Genehmigung ausländischer Behörden, insbesondere die arzneimittelrechtliche im Sinne der Richtlinie 65/65, für die Erteilung eines Zertifikats im Mitgliedstaat der Anmeldung rechtlich unmaßgeblich sei. Es wäre daher unverständlich, wenn die Verordnung Nr. 1768/92 auf diese Bezug nehmen würde.

70. Ratiopharm, die Kommission, die französische und die spanische Regierung sind der Ansicht, dass es für die Erteilung eines Zertifikats auf den Stichtag der Erteilung einer Genehmigung in irgendeinem Mitgliedstaat ankommt. Sie berufen sich im Wesentlichen auf den Wortlaut des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1, der von erster Genehmigung "in der Gemeinschaft" spreche. Die Verordnung Nr. 1768/92 verwende in einigen Bestimmungen die Begriffe "Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung" und "in der Gemeinschaft" (Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer iv, Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben d und e sowie Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben d und e der Verordnung Nr. 1768/92) sogar nebeneinander. Daraus sei zu schließen, dass die Verordnung Nr. 1768/92 diese Unterscheidung bewusst getroffen habe. Wenn also eine Bestimmung wie Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 von "in der Gemeinschaft" spreche, könne dies nur so verstanden werden, dass damit eine Genehmigung in irgendeinem Mitgliedstaat gemeint sei.

71. Die Anknüpfung an die erste Genehmigung in der Gemeinschaft sei vor allem im Zusammenhang mit der Laufzeit des Zertifikats von Bedeutung. Bei einer Anknüpfung an die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung könnte die Laufzeit des Zertifikats ansonsten z. B. beliebig verlängert werden.

Würdigung

Zur Berufung auf das Urteil in der Rechtssache Yamanouchi

72. Vorab ist festzuhalten, dass die Ausführungen des Gerichtshofes im Urteil in der Rechtssache Yamanouchi(31) eine andere Auslegungsfrage(32) im Zusammenhang mit Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 betrafen. Der Gerichtshof hat dort festgestellt, dass auch für "Alt"-Arzneien im Anwendungsbereich des Artikels 19 Absatz 2 die Voraussetzung des Artikels 3 Buchstabe b gilt, wonach die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats in einem Mitgliedstaat voraussetzt, dass zuvor für diesen Mitgliedstaat (Anmeldestaat) eine arzneimittelrechtliche Genehmigung erlangt wurde.

73. Der Gerichtshof hat vielmehr festgestellt, dass Artikel 3 der Verordnung Nr. 1768/92 für die materiellen Erteilungsvoraussetzungen auf das arzneimittelrechtliche Genehmigungsverfahren im Mitgliedstaat der Anmeldung abstelle, und dies daher auch für die Erteilungsvoraussetzungen der Zertifikate im Anwendungsbereich der Übergangsregelung ("Alt"-Arzneien) gelten müsse.

74. Der Gerichtshof hat sich hier also nur indirekt mit der "ersten Genehmigung" befasst, nämlich insoferne sie Erteilungsvoraussetzung des Artikels 3 (Buchstabe b in Verbindung mit Buchstabe d) der Verordnung Nr. 1768/92 ist. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Erteilungsvoraussetzungen für Zertifikate im Anwendungsbereich der Übergangsregelung, sondern um die Auslegung des Anwendungsbereichs selbst.

Zum Wortlaut des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92

75. Zur Frage des Wortlauts von Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 ist zunächst festzustellen, dass dieser eindeutig von "erste Genehmigung in der Gemeinschaft" (Hervorhebung nicht im Original) spricht. Zur Argumentation, welche sich auf die deutsche und andere Sprachfassungen stützt, die von "einer" ersten Genehmigung sprechen, verweise ich auf die oben(33) gemachten Ausführungen zu den uneinheitlichen Sprachfassungen der Bestimmung.

Zur Verwendung der Begriffe "erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung" und "erste Genehmigung in der Gemeinschaft" in der Gesamtheit der Verordnung Nr. 1768/92

76. Die Verordnung Nr. 1768/92 verwendet die Begriffe "erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung" und "erste Genehmigung in der Gemeinschaft" außerhalb des Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 in einigen anderen Bestimmungen. Die unterschiedlichen Bezugnahmen werden im Folgenden nacheinander aufgezeigt und die Verwendung der jeweiligen Begriffe auf ihre Bedeutung hin analysiert. Es kann gezeigt werden, dass die Bezugnahme auf die erste Genehmigung im Anmeldestaat einerseits und die Bezugnahme auf die erste Genehmigung in der Gemeinschaft andererseits sowie die Verwendung beider Begriffe innerhalb eines Artikels kein Zufall sind. Es werden damit nämlich jeweils bestimmte Anforderungen an und Auswirkungen auf die Zertifikatserteilungen sichergestellt, die insgesamt eine bestimmte Zielrichtung der Verordnung Nr. 1768/92 erkennen lassen. Diese soll ermittelt werden und letztendlich für die Auslegung des Artikels 19 Absatz 1 Untersatz 1 der Verordnung verwendet werden.

77. Artikel 3 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1768/92 bezieht sich auf die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung. Diese Regelung hat folgenden Hintergrund:

78. Nach der Richtlinie 65/65 müssen arzneimittelrechtliche Genehmigungen für jede einzelne Arzneispezialität erlangt werden. Daher können in einem Mitgliedstaat gleichzeitig oder nacheinander mehrere Verfahren nach der Richtlinie 65/65 - nämlich für mehrere Arzneispezialitäten auf der Basis desselben(34) durch ein Grundpatent geschützten Erzeugnisses - durchgeführt werden. Eine dieser Genehmigungen ist dann "in dem Mitgliedstaat ... die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses" im Sinne des Artikels 3 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1768/92.

79. Das Abstellen auf die Erlangung der ersten dieser arzneimittelrechtlichen Genehmigungen im Mitgliedstaat der Anmeldung hat seine Bedeutung für den Beginn der Ausschlussfrist für die Anmeldung von Zertifikaten, die - wie gezeigt werden soll - sehr restriktive Wirkungen für die Inhaber eines Grundpatents hat:

80. Das Zertifikat wird gemäß Artikel 3 Buchstabe d in Verbindung mit Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung nur erteilt, wenn die Anmeldung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem ersten für eine Arzneispezialität auf der Basis eines bestimmten Erzeugnisses im Mitgliedstaat der Anmeldung erfolgreich abgeschlossenen arzneimittelrechtlichen Genehmigungsverfahren gestellt wird. Auf der Basis eines Erzeugnisses können zwar verschiedene Arzneimittel hergestellt werden. Nach der Verordnung ist es nach Ablauf der genannten Frist aber eben nicht mehr möglich, ein Zertifikat für ein Erzeugnis erst dann anzumelden, wenn eine spätere Genehmigung für eine Arzneimittelspezialität eines anderen Arzneimittels erteilt wurde. Das ergibt sich aus der Verbindung mit Artikel 3 Buchstabe c, wonach für ein Erzeugnis stets nur ein Zertifikat erteilt werden kann, auch wenn auf dessen Basis verschiedene Arzneimittel entwickelt wurden.

81. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass der Inhaber eines Grundpatents also nur eine einzige Gelegenheit hat, ein Zertifikat für sein Erzeugnis anzumelden. Dafür steht ihm nur ein kurzer Zeitraum zur Verfügung und dieser beginnt zum frühestmöglichen Zeitpunkt, wenn nämlich feststeht, dass das Erzeugnis im Mitgliedstaat der Anmeldung zumindest in Form einer Arzneispezialität arzneimittelrechtlich genehmigungsfähig ist. Es zeigt sich also, dass die Bezugnahme auf den Mitgliedstaat der Anmeldung in Artikel 3 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1768/92 einer restriktiven Handhabung der Verordnung dient.

82. Die Anknüpfung an die erste Genehmigung in der Gemeinschaft findet sich - außerhalb des hier gegenständlichen Artikels 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 - bei der Regelung über die Laufzeit des Zertifikats (Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92). Diese Regelung hat folgenden Hintergrund:

83. Die Berechnung der Laufzeit eines Zertifikats muss sich, da die Verordnung Nr. 1768/92 mit den Zertifikaten einen Ausgleich für die Verkürzung der ökonomischen Verwertbarkeit des Ausschließlichkeitsrechts durch die Verfahren nach der Richtlinie 65/65 herstellen will, grundsätzlich an der Dauer dieser Verfahren orientieren. Die Verfahren nach der Richtlinie 65/65 werden im Allgemeinen gleichzeitig mit der Anmeldung des Grundpatents eingeleitet und enden mit dem erfolgreichen Abschluss. Von dieser Dauer werden einheitlich pauschal 5 Jahre abgezogen und aus der verbleibenden Restzeit können insgesamt maximal 5 Jahre Zertifikatslaufzeit gewonnen werden.

84. Würde man die Laufzeit nun allein auf der Basis der Dauer des ersten im Mitgliedstaat der Anmeldung erfolgreich abgeschlossenen Verfahrens berechnen, würde die Laufzeit des jeweiligen nationalen Zertifikats - wegen der gemeinschaftsweit einheitlichen Kürzungen - prinzipiell umso länger sein, je länger dieses Verfahren gedauert hätte. Das ist offenbar nicht gewollt, denn Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung nimmt die Dauer jenes Verfahrens zum Ausgangspunkt der Berechnungen, nach dessen Abschluss die erste arzneimittelrechtliche Genehmigung in der Gemeinschaft erteilt wurde. Bei gleichzeitiger Anmeldung der Grundpatente und damit gleichzeitigem Beginn der Verfahren nach der Richtlinie 65/65 ist die Berechnungsgrundlage für die Laufzeit des Zertifikats im Anmeldestaat also das kürzeste Verfahren in irgendeinem Mitgliedstaat und nicht mehr unbedingt die Dauer jenes Verfahrens, das die ökonomische Nutzbarkeit des Grundpatents im Anmeldestaat tatsächlich verkürzt hat(35).

85. Darüber hinaus enthält Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 - ebenfalls durch die bewusste Bezugnahme auf die "erste Genehmigung ... in der Gemeinschaft" - eine weitere Beschränkung der Laufzeit des Zertifikats. Deren Berechnung erfolgt nicht auf der Basis der gesamten Dauer dieses ersten in irgendeinem Mitgliedstaat der Gemeinschaft erfolgreich abgeschlossenen Verfahrens. Berechnungsbasis ist vielmehr der Zeitraum von der Anmeldung des Grundpatents im Anmeldestaat bis zum Abschluss des ersten arzneimittelrechtlichen Verfahrens in irgendeinem Mitgliedstaat(36). Diese Berechnung hat den Effekt, dass die Zertifikate - unabhängig vom Anmeldedatum des Grundpatents in den verschiedenen Mitgliedstaaten stets am selben Tag enden(37) - was eine Feststellung darüber ermöglicht, wann der patentrechtliche Schutz für ein Erzeugnis in der gesamten Gemeinschaft beendet ist.

86. Aus alledem läßt sich folgen, dass ein Zertifikat nach der Verordnung Nr. 1768/92 aufgrund seiner durch Artikel 13 Absatz 1 begrenzten Laufzeit also selten ein völliges Äquivalent zur Dauer des jeweiligen nationalen Verfahrens nach der Richtlinie 65/65 darstellt. Im Vordergrund scheinen eher die Beschleunigung der Verfahren nach der Richtlinie 65/65 und die Rechtssicherheit gleichzeitig endender Zertifikate zu stehen. Sichergestellt werden soll dies durch die Bezugnahme auf die "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft".

87. Neben der Bezugnahme auf die erste Genehmigung im Anmeldestaat (Artikel 3 Buchstabe d) und der Bezugnahme auf die erste Genehmigung in der Gemeinschaft (Artikel 13) finden sich in der Verordnung Nr. 1768/92 in einigen Bestimmungen beide Formulierungen nebeneinander: Dies sind die Artikel 8 (Inhalt der Anmeldung), Artikel 9 (Bekanntmachung der Anmeldung) und Artikel 11 (Bekanntmachung der Erteilung) der Verordnung.

88. Daraus können für sich genommen jedoch keine besonderen Schlussfolgerungen für die Beantwortung der Vorlagefragen gezogen werden. Die Verwendung beider Begriffe nebeneinander hängt nämlich allein damit zusammen, dass a) bei der Anmeldung des Zertifikats für die Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen und der Fristeinhaltung (Artikel 3 und 7 der Verordnung Nr. 1768/92) sowie bei der Bekanntmachung dieser Anmeldung und bei der Bekanntmachung der Zertifikatserteilung der Stichtag der ersten Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung von Bedeutung ist, aber b) bei der Laufzeitberechnung der Stichtag der ersten Genehmigung in der Gemeinschaft maßgeblich ist(38).

Schlussfolgerungen für die Verwendung des Begriffes "erste Genehmigung in der Gemeinschaft" in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92

89. Mit der Übergangsregelung des Artikels 19 Absatz 1 wird es möglich, Zertifikate für Erzeugnisse anzumelden, deren arzneimittelrechtliche Genehmigungsverfahren schon einige Jahre vor Inkrafttreten der Verordnung erfolgreich beendet wurden, sodass sie eigentlich nicht mehr in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen würden. Wie dargestellt(39), handelt es sich bei Artikel 19 Absatz 1 inhaltlich um eine Abweichung von den allgemeinen Regeln des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Verordnung, die schon aus diesem Grunde eng auszulegen ist.

90. Meiner Ansicht nach ist diese Bestimmung aber auch im Einklang mit dem oben(40) aufgezeigten, insgesamt restriktiven Charakter der Verordnung Nr. 1768/92 eng auszulegen. Eine enge Auslegung erlaubt es jedoch nicht, den Stichtag für die Bestimmung zertifikatsfähiger "Alt"-Arzneien anhand des jeweils ersten erfolgreich abgeschlossenen Verfahrens nach der Richtlinie 65/65 im Anmeldestaat festzulegen. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

91. Der Stichtag der "ersten Genehmigung" in Artikel 19 Absatz 1 ist jener Tag, an dem ein Verfahren nach der Richtlinie 65/65 durch Erteilung einer Genehmigung abgeschlossen wurde. Dieser muss nach einem in den Unterabsätzen 1, 2 und 3 festgelegten Datum (1. Januar 1982 oder 1985 oder 1988) liegen. Wäre für den Stichtag die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung ausschlaggebend, so würde das Datum umso leichter überschritten, je länger das arzneimittelrechtliche Verfahren im Anmeldestaat gedauert hätte.

92. Eine gemeinschaftsweit einheitliche Stichtagsregelung, die an den frühestmöglichen Zeitpunkt ("erste" Genehmigung in der Gemeinschaft) anknüpft, führt hingegen zu einer gemeinschaftsweit einheitlichen Anwendung der Verordnung Nr. 1768/92 auf "Alt"-Arzneien. Es werden nämlich alle Erzeugnisse ausgeschlossen, für deren Arzneimittel eine arzneimittelrechtliche Genehmigung später als zum frühestmöglichen Zeitpunkt erteilt wurde. Der frühestmögliche Zeitpunkt ist aber jener, an dem feststeht, dass eine Arzneispezialität auf der Basis des für ein Zertifikat in Frage kommenden Erzeugnisses grundsätzlich genehmigungsfähig ist - das ist der Zeitpunkt, an dem in irgendeinem Mitgliedstaat eine arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 erteilt wurde.

93. Nach alledem ist festzustellen, dass mit der "ersten Genehmigung ... in der Gemeinschaft" in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 die erste Genehmigung in irgendeinem Mitgliedstaat der Gemeinschaft und nicht die erste Genehmigung im Mitgliedstaat der Anmeldung gemeint ist.

C - Zur dritten und vierten Vorlagefrage - Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92

94. Wesentlicher Inhalt der dritten und vierten Vorlagefrage ist die Frage, welche Rechtsfolge sich an die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats knüpft, das bei richtiger Anwendung des Artikels 19 Absatz 1 nicht hätte erteilt werden dürfen.

Vorbringen der Beteiligten

95. Hässle, die dänische und die niederländische Regierung sind der Ansicht, das eine Zertifikatserteilung entgegen Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 nicht zur Nichtigkeit des Zertifikats führt. Im Wesentlichen wird das damit begründet, dass Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung eine abschließende Aufzählung der Nichtigkeitsgründe enthalte ("ist nichtig, ... wenn ...") und Artikel 19 Absatz 1 dort nicht erwähnt werde. Artikel 15 Absatz 1 diene insoferne der im Patentrecht notwendigen Rechtssicherheit. Die Verordnung Nr. 1610/96 über die Erteilung von Zertifikaten für Pflanzenschutzmittel sei im Übrigen weitgehend identisch mit der Verordnung Nr. 1768/92, aber auch dort habe der Gemeinschaftsgesetzgeber - in Kenntnis der Problematik - keine Nichtigkeit für Verstöße gegen die Übergangsregelung normiert. Im Übrigen sei die Nichtbeachtung einer früheren arzneimittelrechtlichen Genehmigung in einem anderen Mitgliedstaat durch die zuständigen Behörden des Anmeldestaates kein so schwerer Fehler, dass eine Nichtigkeit nach Artikel 15 gerechtfertigt wäre. Dies ergebe sich u. a. aus Artikel 10 Absatz 5, wonach "die Mitgliedstaaten ... vorsehen (können), dass die Erteilung eines Zertifikats ... ohne Prüfung der in Artikel 3 Buchstaben c) und d) genannten Bedingungen erfolgt".

96. Hässle und die dänische Regierung vertreten die Meinung, dass bei einem Verstoß gegen Artikel 19 Absatz 1 statt einer Nichtigkeit des Zertifikats eine Neuberechnung seiner Laufzeit vorzunehmen sei. In Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1610/96 sei die Laufzeitneuberechnung bei fehlerhafter Angabe des Zeitpunkts der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen ausdrücklich vorgesehen. Diese Rechtsfolge sei ausweislich des 17. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1610/96 auch im Rahmen der Verordnung Nr. 1768/92 anzuwenden. Die Formulierung "sinngemäß" erlaube eine Anwendung auch bei solchen Bestimmungen, die in diesem Erwägungsgrund nicht ausdrücklich genannt seien.

97. Die niederländische Regierung ist - ohne ausdrückliche Präferenz für eine Laufzeitneuberechnung - ganz allgemein der Ansicht, dass sich die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Artikel 19 Absatz 1 gemäß Artikel 17 der Verordnung Nr. 1768/92 nach nationalen Rechtsvorschriften richte.

98. Ratiopharm, die Kommission und die französische Regierung sind - zum Teil unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Yamanouchi - der Ansicht, dass eine Nichtbeachtung der Stichtagsregelungen des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 die vollständige Nichtigkeit des Zertifikats zur Folge haben müsse. Bei Artikel 19 Absatz 1 handle es sich, genau wie bei Artikel 3 der Verordnung, um eine Erteilungsvoraussetzung für Zertifikate. Wenn die Nichtbeachtung einer der in Artikel 3 genannten Voraussetzungen gemäß deren Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a zur vollständigen Nichtigkeit der Zertifikate führe, so müsse dies - entweder in ergänzender Auslegung, durch analoge oder durch direkte Anwendung von Artikel 15 - auch für die Nichtbeachtung des Artikels 19 Absatz 1 gelten.

99. Die Kommission ist zwar grundsätzlich der Ansicht, dass es sich bei Artikel 19 Absatz 1 um eine Definition des sachlichen Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1768/92 handle und eine Laufzeitneuberechnung mit der Ausschlussfunktion einer Stichtagsregelung daher unvereinbar sei. Sie hält jedoch hilfsweise - unter Berufung auf den 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1610/96 - eine Neuberechnung der Laufzeit nach nationalem Recht gemäß Artikel 17 dieser Verordnung für möglich.

100. Ratiopharm wendet sich gegen die Bezugnahme auf Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1610/96, weil deren 17. Erwägungsgrund auf verschiedene Bestimmungen der Verordnung Nr. 1768/92 verweise, aber gerade nicht auf deren Artikel 19 Absatz 1. Eine Korrektur der Laufzeit sei als Rechtsfolge auch nur dort angemessen, wo ein Verstoß gegen eine Vorschrift zu einer unrichtigen Feststellung der Laufzeit führe, was hier nicht der Fall sei.

Würdigung

101. Zunächst kommt es meines Erachtens hier nicht darauf an, ob der Katalog der Nichtigkeitsgründe in Artikel 15 der Verordnung Nr. 1768/92 abschließend ist oder nicht oder ob eine Rechtsfolge in Analogie zu Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a herleitbar ist.

102. Wird nämlich ein ergänzendes Schutzzertifikat gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt, obwohl die Voraussetzungen des Artikels 19 Absatz 1 nicht erfuellt sind, so muss es sich um eine Erteilung außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung handeln. Insoferne dies zutrifft, kann als Rechtsfolge aber auch kein Nichtigkeitsgrund im Sinne des Artikels 15 Absatz 1 in Frage kommen - weder in Ergänzung noch in Analogie seiner Nichtigkeitsgründe. Ein außerhalb der Verordnung Nr. 1768/92 erteiltes Zertifikat ist kein "ergänzendes Schutzzertifikat" im Sinne der Verordnung Nr. 1768/92 und kann daher auch nicht die Schutzwirkungen ihres Artikels 5 beanspruchen.

103. Nach den soeben gemachten Ausführungen steht eine Laufzeitneuberechnung in Anlehnung an Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1610/96 meiner Ansicht nach ebenfalls nicht zur Diskussion. Für den Fall, dass der Gerichtshof diese Ansicht nicht teilt, möchte ich in der gebotenen Kürze dennoch zur vierten Vorlagefrage Stellung nehmen.

104. Eine Laufzeitneuberechnung ist in der Verordnung Nr. 1768/92 als Rechtsfolge nicht genannt. Die Verordnung kennt nur die Nichtigkeitsgründe ihres Artikels 15 Absatz 1 und überlässt allfällige Rechtsfolgen sonstiger Fehler den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1610/96 ordnet eine solche Laufzeitneuberechnung für bestimmte Fälle an. Diese Modalitäten sollen nach dem 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1610/96 "sinngemäß" auch für die "Auslegung" von Artikel 17 der Verordnung Nr. 1768/92 gelten(41).

105. Die allfällige Laufzeitneuberechnung, wie sie in Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1610/96 vorgesehen ist, ist wohl für den Fall gedacht, dass die Laufzeit des Zertifikats entgegen Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 falsch berechnet wurde, etwa weil in der Zertifikatsanmeldung der für diese Berechnung maßgebliche Zeitpunkt unrichtig angegeben wurde.

106. Das heißt aber nicht, dass sämtliche mit einem falschen Zeitpunkt zusammenhängende Fehler bei der Erteilung eines Zertifikats zu einer Neuberechnung der Laufzeit führen müssen. Dies gilt insbesondere für "Zertifikate", die unter Nichteinhaltung der Stichtage des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt wurden. Die Laufzeit eines so erteilten "Zertifikats" muss deshalb aber nicht notwendigerweise falsch berechnet worden sein.

107. Schließlich spricht gegen eine Laufzeitneuberechnung im Falle einer Zertifikatserteilung entgegen Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung, dass eine solche stets nur Wirkung für das Zertifikat des Mitgliedstaats der Anmeldung entfalten kann. Die Laufzeit der Zertifikate für dasselbe Erzeugnis in anderen Mitgliedstaaten würde davon unberührt bleiben, weil die Behörde nur die Laufzeit von Zertifikaten im eigenen Mitgliedstaat berichtigen kann. Dies würde die Laufzeiten aller in der Gemeinschaft für ein Erzeugnis erteilter Zertifikate nicht mehr gleichzeitig enden lassen, was die - oben(42) dargestellte - Rechtssicherheit, die mit Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 erreicht werden soll, beeinträchtigen würde.

IV - Ergebnis

108. Nach alledem wird dem Gerichtshof daher vorgeschlagen, auf die Fragen des vorlegenden Gerichtes wie folgt zu antworten:

1. Die Prüfung der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 vorgesehenen Übergangsregelung in Hinblick auf ihre unterschiedliche Stichtagsregelung hat nichts ergeben, was eine Vereinbarkeit mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht in Frage stellen würde.

2. Der Begriff der "ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 ist so auszulegen, dass darunter ausschließlich die erste arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG bzw. der Richtlinie 81/851/EWG, die in irgendeinem Mitgliedstaat der Gemeinschaft erteilt wurde, zu verstehen ist.

3. Wenn - wie im Ausgangsverfahren - ein Zertifikat unter Nichtbeachtung der Übergangsbestimmung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 erteilt worden ist, hat dies zur Folge, dass keine Rechte aus der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 geltend gemacht werden können.

Christine Stix-Hackl

(1) - ABl. L 182, S. 1.

(2) - Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, Anhang I - Liste nach Artikel 29 der Beitrittsakte - XI. Binnenmarkt und Finanzdienstleistungen - F. Geistiges Eigentum und Produkthaftung - I. Patente (ABl. 1994, C 241, S. 233).

(3) - ABl. Nr. 22, S. 369, in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG betreffend Arzneimittel (ABl. L 214, S. 22).

(4) - Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1768/92.

(5) - In der deutschen Sprachfassung ist - offensichtlich durch ein Redaktionsversehen - von Artikel 19 "Absatz 2" die Rede. Alle anderen Sprachfassung nennen an dieser Stelle "Absatz 1". Daher wird im Folgenden ohne weitere Hinweise "Absatz 1" zitiert.

(6) - Genehmigungspflichtige "Arzneimittel" im Sinne der Richtlinie 65/65 sind "Arzneispezialitäten" im Sinne ihres Artikels 1 Nr. 1 und andere "gewerblich zubereitete Arzneimittel ...", die nicht der Definition der Arzneispezialitäten entsprechen (siehe Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 65/65).

(7) - ABl. L 198, S. 30.

(8) - Vgl. auch die Erwägungsgründe und die Urteile vom 13. Juli 1995 in der Rechtssache C-350/92 (Spanien/Rat, Slg. 1995, I-1985) sowie vom 23. Januar 1997 in der Rechtssache C-181/95 (Biogen, Slg. 1997, I-357), siehe auch die Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in dieser Rechtssache sowie vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-392/97 (Farmitalia, Slg. 1999, I-5553).

(9) - Artikel 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1768/92.

(10) - Die Laufzeit des Patentschutzes beträgt im Allgemeinen 20 Jahre.

(11) - Begriffe des Artikels 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1768/92.

(12) - Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1768/92.

(13) - Artikel 3 der Richtlinie 65/65.

(14) - Artikel 1 Nr. 1 der Richtlinie 65/65.

(15) - Artikel 1 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1768/92.

(16) - Der Schutzgegenstand des Zertifikats ist in Artikel 4 der Verordnung Nr. 1768/92 geregelt, auf den hier - da dies für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht erforderlich ist - nicht näher eingegangen werden soll.

(17) - Vgl. den 3. und 4. Erwägungsgrund; Vorschlag der Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel KOM (90) endg. - SYN 255 vom 11. April 1990, Begründungs-Teil.

(18) - Vorbringen gleicher Zielrichtung werden insoweit zusammengefasst dargestellt.

(19) - Siehe oben, Nrn. 31 ff.

(20) - Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 41/84 (Pinna, Slg. 1986, 1).

(21) - In der Verordnung Nr. 1408/71 "über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern" gab es zum Zeitpunkt des Urteils eine Sonderregelung für bestimmte Sachverhalte, die französischem Recht unterlagen: Die Verordnungsvorschrift für Familienleistungen wurde zu Lasten der Normunterworfenen dergestalt modifiziert, dass dies praktisch einer Nichtanwendbarkeit gleichkam.

(22) - Siehe den 6. Erwägungsgrund.

(23) - Der Gerichtshof hat dies z. B. im Urteil vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat, Slg.1997, I-2405) für eine Harmonisierungsvorschrift in Form einer Richtlinie auf der Basis von Artikel 57 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 47 EG) festgestellt.

(24) - Urteil vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89 (Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853); jüngst Urteil vom 20. September 2001 in der Rechtssache C-263/98 (Belgien/Kommission, Slg. 2001, I-6063).

(25) - Siehe oben, Nrn. 31 ff.

(26) - Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in der Rechtssache C-110/95 (Yamanouchi, Slg. 1997, I-3251).

(27) - Z. B. Urteile vom 30. September 1982 in der Rechtssache 108/81 (Amylum, Slg. 1982, 3107), vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 3/83 (Abrias, Slg. 1985, 1995), vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache 350/88 (Société Française des biscuits Delacre SA/Kommission, Slg. 1990, I-395), vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-122/94 (Kommission/Rat, Slg. 1996, I-881) und vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-183/95 (Affish, Slg. 1997, I-4315).

(28) - Urteil vom 12. Juni 1997 (zitiert in Fußnote 27).

(29) - Neben der im Ausgangsrechtsstreit erwähnten preisrechtlichen Genehmigung und der wohl weniger als "Genehmigung" denn als Förderung der Absatzmenge wirkenden Aufnahme in die von den Sozialversicherungsträgern erstellten Listen erstattungsfähiger Medikamente, wären nämlich wohl auch andere nationale Genehmigungen für das Inverkehrbringen vorstellbar, etwa betreffend den Konsumentenschutz, die Umwelt oder den Schutz des lauteren Wettbewerbs.

(30) - Zitiert in Fußnote 27.

(31) - Zitiert in Fußnote 27.

(32) - Man mag den Parteien aber zugute halten, dass die Ausführungen in den Urteilsgründen nicht wirklich klar sind. So zeugen insbesondere die Ausführungen in den Randnrn. 24 und 25 davon, dass nicht mit letzter Klarheit zwischen der Laufzeitbestimmung des Artikels 13 und der Übergangsregelung des Artikels 19 der Verordnung Nr. 1768/92 getrennt wurde. Es sollte in Anbetracht der konkreten Fragestellung des Ausgangsfalls wohl auch nicht angenommen werden, dass der Gerichtshof mit der Formulierung, die erste Genehmigung in der Gemeinschaft sei "nur" für die Laufzeitberechnung von Bedeutung, wirklich gemeint haben will, die erste Genehmigung in der Gemeinschaft könne an keiner anderen Stelle der Verordnung mehr von Bedeutung sein.

(33) - Siehe oben, Nr. 57.

(34) - Es ist ebenfalls möglich, dass Arzneimittel auf der Basis von Erzeugnissen hergestellt werden, die durch mehr als ein Grundpatent geschützt sind. Obwohl die Verordnung Nr. 1768/92 hier nicht eindeutig formuliert ist, hält der Gerichtshof in solche Fällen die Erteilung mehrerer Zertifikate (für jedes Grundpatent) für möglich. Das war Inhalt des Urteils in der Rechtssache C-181/95 (Biogen, zitiert in Fußnote 9).

(35) - Begründung zum Vorschlag der Kommission (zitiert in Fußnote 18).

(36) - Wurde also z. B. das Verfahren nach der Richtlinie 65/65 in irgendeinem Mitgliedstaat nur deshalb zuerst erfolgreich abgeschlossen, weil das Grundpatent dort früher angemeldet wurde und daher das arzneimittelrechtliche Verfahren auch früher eingeleitet und abgeschlossen wurde, verkürzt sich die Berechnungsgrundlage für die Laufzeit des Zertifikats auf den Zeitraum ab dem Ablauf des Grundpatents im Anmeldestaat bis zum Ende des Verfahrens nach der Richtlinie 65/65 in irgendeinem Mitgliedstaat.

(37) - Ein Beispiel: Ein Grundpatent wurde in einem Mitgliedstaat "A" 1979 eingereicht. Das Grundpatent in A endet nach 20-jähriger Laufzeit 1999. Das Verfahren nach der Richtlinie 65/65 wurde in A 1979 begonnen und dauerte z. B. 8 Jahre. Nach der Formel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1768/92 beträgt die Laufzeit eines Zertifikats für den Mitgliedstaat A: 8 Jahre - 5 Jahre = 3 Jahre. Damit endet die Laufzeit des Zertifikats im Mitgliedstaat A im Jahre 2002. Im Anmeldestaat B wurde das Grundpatent ein Jahr später eingereicht, also 1980, und endet im Jahre 2000. Die Laufzeit des angemeldeten Zertifikats für den Mitgliedstaat B wird nun auf der Basis des Zeitraums zwischen dem Ende des Grundpatents in B und dem Ende des Verfahrens im ersten Mitgliedstaat der Gemeinschaft, also im Mitgliedstaat A, berechnet. Das Verfahren in A endetet nach 8 Jahren im Jahre 1987. Es wird jedoch nicht die ganze Verfahrensdauer, sondern nur jene Restdauer ab der Anmeldung des Grundpatents in B zugrunde gelegt, d. h. 1980 - 1987 = 7 Jahre. Nach der Formel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1768/92 beträgt die Laufzeit eines Zertifikats für den Mitgliedstaat B: 7 Jahre - 5 Jahre = 2 Jahre. Der Beginn der Laufzeit ist das Ende des Grundpatents in B, also das Jahr 2000. Damit endet die Laufzeit des Zertifikats in B im Jahre 2002 - also zum selben Zeitpunkt wie das Zertifikat in A.

(38) - Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in der Rechtssache Yamanouchi (zitiert in Fußnote 27).

(39) - Siehe oben, Nr. 62.

(40) - Siehe oben, Nrn. 79 ff. und 82 ff.

(41) - Es soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob dem Bestimmtheitsgrundsatz Genüge getan ist, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber anordnet, dass konkrete Rechtsfolgen einer Verordnung durch eine bestimmte "Auslegung" derselben ermittelt werden und sich die Anordnung einer solchen Auslegung in einer anderen Verordnung und dort lediglich in den Erwägungsgründen findet.

(42) - Siehe oben, Nr. 85.