Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 25. Oktober 2001. - Caterina Insalaca gegen Office national des pensions (ONP). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal du travail de Mons - Belgien. - Soziale Sicherheit - Artikel 46 bis 46c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Nationale Antikumulierungsvorschriften - Leistungen gleicher Art. - Rechtssache C-107/00.
Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-02403
1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal du travail Mons (Belgien) betrifft die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und insbesondere ihrer Artikel 46a und 46b, die Kürzungsbestimmungen und Antikumulierungsvorschriften enthalten, die auf Leistungen bei Alter und Tod anzuwenden sind.
2. Diese Frage ist im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Insalaca und dem Office national des pensions aufgeworfen worden, der die Berechnung der Obergrenze für die Kumulierung einer belgischen Alters- und Hinterbliebenenrenten einerseits und einer italienischen Hinterbliebenenrente, auf die die Klägerin als hinterbliebene Ehegattin Anspruch hat, andererseits betrifft.
I - Der Sachverhalt und das Ausgangsverfahren
3. Am 28. Oktober 1997 stellte Frau Insalaca beim ONP einen Antrag auf Hinterbliebenen- und Altersrente zu Lasten des für Arbeitnehmer geltenden Systems in Belgien. Da sie seit 1981 Witwe ist, erhält sie seit dieser Zeit auch eine Hinterbliebenenrente aus Italien.
4. Mit Bescheid vom 17. März 1998 bewilligte der Beklagte der Klägerin vom 1. Dezember 1998 an eine Altersrente in Höhe von jährlich 248 751 BEF.
5. Am 2. Juli 1998 erkannte das ONP Frau Insalaca eine Hinterbliebenenrente zu, die niedriger ist als von dieser erwartet. Die Klägerin ist mit der vorgenommenen Berechnung nicht einverstanden und erhob gegen diesen Verwaltungsbescheid Klage vor dem Tribunal du travail Mons.
6. Für die Berechnung des Hoechstbetrags der Altersrente und der Hinterbliebenenrente hat das ONP die in Artikel 52 § 1 der Königlichen Verordnung vom 21. Dezember 1967 und in Artikel 46c der Verordnung enthaltenen Antikumulierungsvorschriften berücksichtigt. Diese Berechnungsmethode ist die Ursache einer Kürzung der Hinterbliebenenrente von Frau Insalaca.
7. Die Klägerin meint, Artikel 52 § 1 der Königlichen Verordnung verstoße in der angewandten Form gegen die Artikel 46a und 46b der Verordnung.
II - Der rechtliche Rahmen
A - Die gemeinschaftsrechtliche Regelung
8. Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung stellt folgenden Grundsatz auf:
Ist in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für den Fall des Zusammentreffens einer Leistung mit anderen Leistungen der sozialen Sicherheit oder mit jederlei sonstigen Einkünften vorgesehen, dass die Leistung gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen wird, so sind, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, diese Vorschriften einem Berechtigten gegenüber auch dann anwendbar, wenn es sich um Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden, oder um Einkünfte handelt, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden."
9. Artikel 46 der Verordnung bezeichnet die auf die Feststellung der Leistungen anwendbaren Vorschriften.
10. Artikel 46 Absatz 1 der Verordnung bestimmt:
Sind die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats ... erfuellt, so gilt Folgendes:
a) Der zuständige Träger berechnet den Leistungsbetrag, der wie folgt geschuldet würde:
i) allein nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften,
ii) nach Absatz 2.
..."
11. Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung bestimmt:
Sind die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nur nach Anwendung des Artikels 45 und/oder des Artikels 40 Absatz 3 erfuellt, so gilt Folgendes:
a) Der zuständige Träger berechnet den theoretischen Betrag der Leistung, auf die die betreffende Person Anspruch hätte, wenn alle nach den für den Arbeitnehmer oder Selbständigen geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten nur in dem betreffenden Staat und nach den für diesen Träger zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Ist nach diesen Rechtsvorschriften der Betrag der Leistung von der Dauer der zurückgelegten Zeiten unabhängig, so gilt dieser Betrag als theoretischer Betrag.
b) Der zuständige Träger ermittelt sodann den tatsächlich geschuldeten Betrag auf der Grundlage des unter Buchstabe a) genannten theoretischen Betrages nach dem Verhältnis zwischen den nach seinen Rechtsvorschriften vor Eintritt des Versicherungsfalles zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten und den gesamten nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Mitgliedstaaten vor Eintritt des Versicherungsfalles zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten."
12. Artikel 46 Absatz 3 der Verordnung bestimmt:
Die betreffende Person hat gegen den zuständigen Träger jedes beteiligten Mitgliedstaats Anspruch auf den höchsten nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrag, wobei gegebenenfalls alle Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen der Rechtsvorschriften, aufgrund derer diese Leistung geschuldet wird, zur Anwendung kommen.
Ist dies der Fall, erstreckt sich der vorzunehmende Vergleich auf die nach Anwendung dieser Bestimmungen ermittelten Beträge."
13. Artikel 46a der Verordnung sieht die allgemeinen Vorschriften über die nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf Leistungen bei Invalidität, Alter oder Tod anzuwendenden Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen vor.
14. Artikel 46a Absatz 1 der Verordnung definiert das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art:
[D]as Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art [bedeutet]: jedes Zusammentreffen von Leistungen bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene, die auf der Grundlage der von ein- und derselben Person zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten berechnet oder gewährt wurden".
15. Artikel 46a Absatz 2 der Verordnung definiert das Zusammentreffen von Leistungen unterschiedlicher Art:
[D]as Zusammentreffen von Leistungen unterschiedlicher Art [bedeutet]: jedes Zusammentreffen von Leistungen, die im Sinne des Absatzes 1 nicht als Leistungen gleicher Art betrachtet werden können".
16. Artikel 46a Absatz 3 der Verordnung präzisiert die für die Anwendung der Kürzungs-, Ruhens- und Entziehungsbestimmungen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bei Zusammentreffen einer Leistung bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene mit einer Leistung gleicher Art oder einer Leistung unterschiedlicher Art geltenden Vorschriften:
Für die Anwendung der Kürzungs-, Ruhens- und Entziehungsbestimmungen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bei Zusammentreffen einer Leistung bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene mit einer Leistung gleicher Art oder einer Leistung unterschiedlicher Art oder mit sonstigen Einkünften gelten folgende Vorschriften:
a) Die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Leistungen oder die in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte werden nur berücksichtigt, wenn die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats die Berücksichtigung solcher im Ausland erworbenen Leistungen oder dort erzielter Einkünfte vorsehen.
b) Der Betrag der von einem anderen Mitgliedstaat zu zahlenden Leistungen wird vor Abzug der Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und anderer individueller Abgaben oder Abzüge berücksichtigt.
c) Der Betrag der nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Leistungen, die auf der Grundlage einer freiwilligen Versicherung oder freiwilligen Weiterversicherung gewährt werden, wird nicht berücksichtigt.
d) Sind Kürzungs-, Ruhens- bzw. Entziehungsbestimmungen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats anwendbar, weil der Versicherte aufgrund der Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten geschuldete Leistungen gleicher oder unterschiedlicher Art oder andere im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten erzielte Einkünfte bezieht, so kann die nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats geschuldete Leistung nur um den Betrag der nach den Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten geschuldeten Leistungen oder der im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten erzielten Einkünfte gekürzt werden."
17. Artikel 46b der Verordnung enthält die besonderen Vorschriften für das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten:
(1) Die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen gelten nicht für eine nach Artikel 46 Absatz 2 berechnete Leistung.
..."
B - Die belgischen Rechtsvorschriften
18. Artikel 52 Absatz 1 der Königlichen Verordnung erlaubt die Kumulierung von Alters- und Hinterbliebenenrenten bis zu einer bestimmten Obergrenze.
Hinterbliebenenrenten, die aufgrund der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährt werden, werden bei der Berechnung der Obergrenze Alter-Tod" berücksichtigt.
19. Artikel 52 Absatz 1 der Königlichen Verordnung beschreibt einen Antikumulierungsmechanismus.
20. Unterabsatz 1 der genannten Bestimmung betrifft den Fall, dass der hinterbliebene Ehegatte einerseits Anspruch hat auf eine Hinterbliebenenrente im Rentensystem für Arbeitnehmer und andererseits auf eine oder mehrere Altersrenten ..., wobei die Hinterbliebenenrente mit den genannten Altersrenten nur bis zu einer Summe von 110 % des Betrages der Hinterbliebenenrente kumuliert werden kann, die dem hinterbliebenen Ehegatten für eine vollständige Versicherungslaufbahn bewilligt worden wäre".
21. Unterabsatz 2 dieser Bestimmung regelt den Fall, dass der hinterbliebene Ehegatte im Sinne von Unterabsatz 1 auch Anspruch auf eine oder mehrere Hinterbliebenenrenten hat". Er führt eine komplexe Regelung ein, nach der die Hinterbliebenenrente den Unterschied zwischen einerseits 110 % des Betrages der Hinterbliebenenrente für eine vollständige Versicherungslaufbahn und andererseits der Summe aus den Beträgen der Altersrenten ... und einem Betrag, der sich aus der Multiplikation des Betrages der Hinterbliebenenrente für einen Arbeitnehmer für eine vollständige berufliche Laufbahn mit dem Bruch oder der Summe der Brüche ergibt, die die Höhe der Hinterbliebenenrenten in den anderen Rentensystemen mit Ausnahme des Systems der Selbständigen ausdrückt, nicht übersteigen darf".
III - Die Vorabentscheidungsfragen
22. In der Annahme, dass der Rechtsstreit im Ausgangsverfahren eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts erforderlich macht, hat das Tribunal du travail Mons entschieden, das Verfahren auszusetzen und Ihnen die folgenden Vorabentscheidungsfragen vorzulegen:
1. Stellt die nationale Vorschrift, die die Berechnung einer Hinterbliebenenrente regelt und eine Herabsetzung der Kumulierungsobergrenze Altersrente - Hinterbliebenenrente" vorsieht, wenn der hinterbliebene Ehegatte Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente zu Lasten eines anderen Mitgliedstaats hat, eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Artikel 46a und 46b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 dar?
2. Sind, falls die erste Frage bejaht wird, die Artikel 46a und 46b so auszulegen, dass sie den nationalen Träger, der die Antikumulierungsbestimmung anwendet, ermächtigen, die den Hinterbliebenen nach dem System eines anderen Mitgliedstaats gewährte Rente zu berücksichtigen, um die im innerstaatlichen Recht vorgesehene Kumulierungsobergrenze Altersrente - Hinterbliebenenrente" herabzusetzen?
23. Im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens geht es um die Frage, ob eine nationale Antikumulierungsvorschrift, die den Zweck hat, die Obergrenze für die Kumulierung von Altersrente und Hinterbliebenenrente wegen des Vorliegens einer Hinterbliebenenrente, die dem hinterbliebenen Ehegatten nach dem System eines anderen Mitgliedstaats gewährt wird, herabzusetzen, eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Artikel 46a und 46b der Verordnung ist und ob es diese Artikel in diesem Fall zulassen, dass die Berücksichtigung der Leistung eines anderen Mitgliedstaats die Wirkung haben kann, den Hoechstbetrag der Leistungen zu verringern, auf die der Antragsteller in dem Mitgliedstaat Anspruch hat, in dem er als Arbeitnehmer beschäftigt war.
IV - Rechtliche Analyse
A - Zur Qualifizierung der Kürzungsbestimmung (erste Vorabentscheidungsfrage)
24. Mit seiner ersten Vorabentscheidungsfrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine nationale Vorschrift, die die Obergrenze für die Kumulierung von Altersrente und Hinterbliebenenrente begrenzt, weil der hinterbliebene Ehegatte eine Hinterbliebenenrente zu Lasten eines anderen Mitgliedstaats bezieht, eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Verordnung darstellt.
25. Der Begriff der Kürzungsbestimmung ist in Ihrer Rechtsprechung definiert worden.
26. Im Urteil Conti hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass [e]ine nationale Vorschrift ... als Kürzungsbestimmung anzusehen [ist], wenn die von ihr vorgeschriebene Berechnung bewirkt, dass der Rentenbetrag, auf den der Betroffene Anspruch hat, deshalb gekürzt wird, weil er in einem anderen Mitgliedstaat eine Leistung erhält".
27. Nach dieser Definition deckt der Begriff der Kürzungsbestimmung, soweit hier von Interesse, zwei grundlegende Bedingungen ab.
28. Die erste Bedingung betrifft das Erfordernis eines Auslandsbezugs. Die Leistungen, auf die der Betroffene Anspruch hat, müssen sich aus dem Rechtssystem von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten ergeben.
29. Die zweite Bedingung betrifft den Zweck der nationalen Berechnungsvorschrift. Sie muss die hauptsächliche Folge haben, den Betrag der dem Begünstigten gewährten Rente zu verringern.
30. Was die erste Bedingung angeht, stellen wir fest, dass Artikel 52 Absatz 1 der Königlichen Verordnung Auslegungsschwierigkeiten aufwirft.
31. Diese Bestimmung hat zwei Unterabsätze. Unterabsatz 1 findet Anwendung, wenn der Begünstigte Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente und auf mehrere Altersrenten hat. Unterabsatz 2 erfasst den Fall, dass der Betroffene Anspruch auf mehrere Hinterbliebenenrenten hat.
32. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beklagte Unterabsatz 2 und nicht Unterabsatz 1 dieser Bestimmung auf Frau Insalaca anwendet. Er rechtfertigt diese Wahl mit dem Vorliegen der zwei Hinterbliebenenrenten, die die Anwendung des Unterabsatzes 2 von Artikel 52 Absatz 1 der Königlichen Verordnung erforderlich machten. Nun sagt aber diese Vorschrift nicht ausdrücklich, dass sie auf ausländische Leistungen angewendet werden soll, d. h. auf solche, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten erbracht werden. Der Mangel an Klarheit der verwendeten Begriffe hat dazu geführt, dass die Parteien des Rechtsstreits die Vorschrift unterschiedlich auslegen.
33. Die Kommission hat zunächst der von der Klägerin vertretenen Auslegung widersprochen. Die Kommission nahm an, dass Artikel 51 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Königlichen Verordnung nicht für Leistungen externer Art gelte.
34. Die Klägerin vertrat ihrerseits die Auffassung, dass diese Bestimmung unterschiedslos für ausländische und für inländische Leistungen gelte.
35. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ihre Auffassung geändert und eine weite Auslegung von Artikel 52 Absatz 1 der Königlichen Verordnung vertreten.
36. Das vorlegende Gericht scheint keine Zweifel über die Auslegung von Artikel 52 Absatz 1 der Königlichen Verordnung zu hegen. Es beanstandet zu keinem Zeitpunkt den Umstand, dass der Beklagte bei der Berechnung des zulässigen Hoechstbetrags eine ausländische Rente berücksichtigt hat, nämlich die italienische Hinterbliebenenrente. Es ist der Ansicht, dass der Beklagte zu Recht den Unterabsatz 2 und nicht den Unterabsatz 1 der genannten Bestimmung angewendet hat.
37. Es sollte daran erinnert werden, dass der Gerichtshof nicht zur Auslegung des nationalen Rechts befugt ist und dass es dem nationalen Gericht und nur ihm obliegt, die genaue Bedeutung der nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu bestimmen.
38. Wenn, wie das nationale Gericht meint, der Beklagte das Recht hatte, bei der Berechnung des der Klägerin gewährten Hoechstbetrags die italienische Leistung für Hinterbliebene zu berücksichtigen, und er daher Artikel 52 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Königlichen Verordnung richtig ausgelegt hat, ist die Bedingung des Auslandsbezugs als erfuellt anzusehen.
39. Was die zweite Bedingung betrifft, so haben Sie den Begriff der Kürzungsbestimmung in Ihrer Rechtsprechung eindeutig definiert: Eine nationale Antikumulierungsvorschrift, die dazu führt, den Betrag der Leistungen zu kürzen, auf die der Antragsteller Anspruch hat, ist eine Kürzungsbestimmung.
40. Wie sich auch sehr klar aus dem Vorlageurteil ergibt, erkennt das nationale Gericht, dass die Anwendung der in Artikel 52 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Königlichen Verordnung vorgeschriebenen Berechnungsvorschrift für die Klägerin ungünstig ist. Am Ende der Analyse der genannten nationalen Bestimmung gelangt es zu dem Ergebnis, dass mathematisch die Obergrenze des Unterabsatzes 2 niedriger [ist] als diejenige des Unterabsatzes 1". Das nationale Gericht scheint also trotz seiner Frage nicht an der Qualifizierung der nationalen Antikumulierungsvorschrift als Kürzungsbestimmung im Sinne Ihrer Rechtsprechung zu zweifeln.
41. Wir stellen auch fest, dass keine der Parteien dieses Rechtsstreits die Wirkungen von Artikel 52 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Königlichen Verordnung bestreitet. Übereinstimmend erkennen sie an, dass die Anwendung dieser Bestimmung eine Kürzung des Betrages der dem Begünstigten gewährten Leistungen zur Folge hat.
42. Es sollte also auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage geantwortet werden, dass eine nationale Vorschrift, die die Berechnung einer Hinterbliebenenrente regelt und eine Obergrenze für die Alters- und die Hinterbliebenenrente vorsieht, wenn der hinterbliebene Ehegatte Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente zu Lasten eines anderen Mitgliedstaats hat, eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Verordnung darstellt.
B - Zur Senkung der Obergrenze für die Kumulierung von Altersrente und Hinterbliebenenrente wegen des Vorliegens einer nach dem System eines anderen Mitgliedstaats gewährten Hinterbliebenenrente (zweite Vorabentscheidungsfrage)
43. Da die nationale Vorschrift eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Verordnung ist, fragt das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Vorabentscheidungsfrage im Wesentlichen, ob die zuständige Behörde des Wohnsitzmitgliedstaats eine Hinterbliebenenrente berücksichtigen kann, die auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährt wird, um den Hoechstbetrag der Altersrente und der Hinterbliebenenrente zu kürzen, auf die die Klägerin Anspruch hat.
44. Bekanntlich besteht der Zweck der Verordnung darin, den Schutz der sozialen Rechte der Arbeitnehmer zu gewährleisten, die im Gebiet der Mitgliedstaaten Freizügigkeit genießen.
45. Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung stellt den Grundsatz auf, nach dem die Kürzungsbestimmungen einem Berechtigten gegenüber auch dann anwendbar sind, wenn es sich um Leistungen handelt, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden. Jedoch sieht Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung die Möglichkeit von abweichenden Regelungen vor.
46. Artikel 46b Absatz 1 der Verordnung ist eine Ausnahme von dem in Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung festgelegten Prinzip. Er bestimmt, dass die Kürzungsbestimmungen nicht für eine nach Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung berechnete Leistung gelten.
47. Artikel 46b der Verordnung ist auf Leistungen gleicher Art anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung sind Leistungen der sozialen Sicherheit als Leistungen gleicher Art zu betrachten, wenn ihr Gegenstand und ihr Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung identisch sind. Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung betrifft die Feststellung der proratisierten Leistungen.
48. Die belgischen und die italienischen Leistungen für Hinterbliebene sind Leistungen gleicher Art und sind Gegenstand einer Berechnung auf der Grundlage von Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung. Folglich fallen sie in den Bereich der in Artikel 46b Absatz 1 der Verordnung vorgesehenen Ausnahme. Auf sie kann die in Artikel 52 § 1 Absatz 2 der Königlichen Verordnung vorgesehene nationale Kürzungsbestimmung nicht angewendet werden.
49. Nach ebenfalls feststehender Rechtsprechung müssen, wenn sich die alleinige Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften für den Betroffenen als weniger günstig erweist als die des in Artikel 46 der Verordnung vorgesehenen Systems, die Bestimmungen dieses Artikels angewendet werden.
50. Die Berechnung des Betrages der Leistungen vollzieht sich in drei Schritten. Erstens nimmt der zuständige Träger die Berechnung der so genannten selbständigen" Leistung gemäß Artikel 46 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung vor. Zweitens berechnet er aufgrund von Artikel 46 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii den Betrag der so genannten proratisierten" Leistung gemäß den Bestimmungen des Absatzes 2 desselben Artikels. Drittens vergleicht der zuständige Träger gemäß Artikel 46 Absatz 3 der Verordnung die selbständige Leistung und die proratisierte Leistung und gewährt den höheren der beiden Beträge.
51. Es obliegt folglich dem zuständigen Träger, einen Vergleich zwischen den Leistungen, die bei alleiniger Anwendung des nationalen Rechts einschließlich seiner Antikumulierungsvorschriften geschuldet würden, und denen, die bei Anwendung von Artikel 46 der Verordnung geschuldet würden, zu erstellen und dem Wanderarbeitnehmer die Leistung zu gewähren, deren Betrag höher ist.
52. Es ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die Artikel 46a und 46b der Verordnung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der der Betrag einer Hinterbliebenenrente wegen des Vorliegens einer anderen, von einem anderen Mitgliedstaat geleisteten Hinterbliebenenrente gekürzt werden muss, sofern die Anwendung dieser Regelung weniger günstig ist, als es diejenige der Artikel 46a und 46b der Verordnung wäre.
Ergebnis
53. Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich Ihnen vor, wie folgt auf die vom Tribunal du travail Mons gestellten Fragen zu antworten:
1. Eine nationale Vorschrift, die die Berechnung einer Hinterbliebenenrente regelt und die eine Herabsetzung der Obergrenze für die Hinterbliebenen- und die Altersrente vorsieht, wenn der hinterbliebene Ehegatte Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente zu Lasten eines anderen Mitgliedstaats hat, stellt eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Artikel 46a und 46b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992, dar.
2. Die Artikel 46a und 46b der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung Nr. 1248/92, stehen der Anwendung einer nationalen Antikumulierungsvorschrift entgegen, nach der eine Hinterbliebenenrente wegen des Vorliegens einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Hinterbliebenenrente gekürzt werden muss, sofern die Anwendung dieser Regelung weniger günstig ist, als es diejenige der Artikel 46a und 46b der genannten Verordnung wäre.