SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JEAN MISCHO
vom 26. Juni 2001(1)



Rechtssache C-24/00



Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Französische Republik


„“






1.        Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften begehrt die Feststellung, dass die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, weil:

das französische Recht den freien Verkehr von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, nicht gewährleistet, wenn diese Zusatzstoffe (wie Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Zutaten) enthalten, die in diesem Recht nicht vorgesehen sind;

das französische Recht kein vereinfachtes Verfahren vorsieht, das die für das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe erlaubt;

die französischen Behörden das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert haben, ohne festgestellt zu haben, dass das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit darstellt.

I – Der rechtliche Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2.        Der Zusatz von Nährstoffen zu Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs ist gemeinschaftsrechtlich nicht geregelt.

3.        Aufgrund der Richtlinie 89/398/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (2) , hat die Kommission vier Einzelrichtlinien erlassen, um die es in der vorliegenden Rechtssache jedoch nicht geht.

4.        Im Sinne von Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 89/398 „[dürfen d]ie Mitgliedstaaten ... den Handel mit den in Artikel 1 genannten Erzeugnissen nicht aus Gründen ihrer Zusammensetzung, Herstellungsmerkmale, Aufmachung oder Kennzeichnung untersagen oder beschränken, wenn diese der vorliegenden Richtlinie und den etwaigen aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Richtlinien entsprechen“. Artikel 10 Absatz 2 sieht vor, dass „Absatz 1 ... nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen [berührt], die in Ermangelung von aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Richtlinien gelten“.

5.        Es ergibt sich aus der Akte, dass die Nährstoffe, um die es im Rahmen der vorliegenden Klage geht, nicht unter die Richtlinie 89/107/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen (3) , fallen, die nur Stoffe betrifft, die Lebensmitteln absichtlich aus einem technologischen Grund zugesetzt werden.

6.        In der vorliegenden Rechtssache geht es also ausschließlich um Artikel 30 EG-Vertrag und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) in der Fassung, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist galt.

7.        Gemäß Artikel 30 EG-Vertrag sind „[m]engenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedstaaten verboten“; Artikel 36 EG-Vertrag lautet wie folgt:

„Die Bestimmungen der Artikel 30 bis 34 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.“

Nationales Recht

8.        Das französische Recht über das Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungen und von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs, die mit Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigen Nährstoffen wie Aminosäuren angereichert sind, findet sich im Dekret vom 15. April 1912, das aufgrund des Gesetzes vom 1. August 1905 über Betrügereien und Fälschungen auf dem Gebiet der Erzeugnisse oder Dienstleistungen betreffend Lebensmittel, insbesondere Fleisch, Wurstwaren, Obst, Gemüse, Fisch und Konserven, erlassen wurde.

9.        Artikel 1 des Dekrets in der Fassung des Dekrets Nr. 73-138 vom 12. Februar 1973 bestimmt:

„Es ist verboten, Waren und Nahrungsmittel, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, feilzuhalten, zu verwenden oder zu verkaufen, wenn ihnen andere chemische Stoffe als diejenigen zugesetzt sind, deren Verwendung durch gemeinsame, aufgrund der Stellungnahme des Obersten Hygienerates Frankreichs und der Nationalen Akademie der Medizin verabschiedete Erlasse der Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, für Wirtschaft und Finanzen, für die industrielle und wissenschaftliche Entwicklung und für die Gesundheit erlaubt ist.“

10.      Gemäß Artikel 1 des Dekrets Nr. 91-827 vom 29. August 1991 betreffend Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, „werden als Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, die Lebensmittel angesehen, die sich aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung oder ihres besonderen Herstellungsverfahrens deutlich von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden, die dem angegebenen Ernährungszweck dienen und unter Hinweis darauf in den Verkehr gebracht werden, dass sie diesem Zweck entsprechen“.

11.      Artikel 3 dieses Dekrets lautet wie folgt:

„Gemeinsame Erlasse der für Konsum, Landwirtschaft und Gesundheit zuständigen Minister bestimmen nach einem Gutachten des Obersten Hygienerates Frankreichs:

a)
die Liste und die Verwendungsbedingungen von Stoffen mit Ernährungszweck wie Vitaminen, Mineralsalzen, Aminosäuren und sonstigen Stoffen, die für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, ebenso wie die für diese Stoffe geltenden Reinheitskriterien ...“.

12.      Auf der Grundlage der beiden Dekrete, die dem Dekret vom 29. August 1991 vorausgegangen sind, und zwar der Dekrete Nr. 75-85 vom 24. Juli 1975 und 81-574 vom 15. Mai 1981, sind zwei Anwendungserlasse verabschiedet worden – der Erlass vom 20. Juli 1977, mit späteren Änderungen, der aufgrund des Dekrets Nr. 75-85 ergangen ist, über diätetische und Diätprodukte, und der Erlass vom 4. August 1986, mit späteren Änderungen, betreffend die Verwendung von Zusatzstoffen bei der Herstellung von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln.

13.      Die Parteien sind sich darüber einig, zu sagen, dass, wie die französische Regierung erklärt, „die französische Regelung ein System von Positivlisten (4) errichtet; wenn ein Wirtschaftsteilnehmer in Frankreich ein Lebensmittel in den Verkehr bringen möchte, das einen nicht in dieser Positivliste aufgeführten Stoff enthält, muss er eine Änderung der Positivliste der Nährstoffe erlangen, deren Verwendung in Frankreich zugelassen ist“.

II – Sachverhalt

14.      Die Kommission legt dar, sie habe insbesondere durch Beschwerden von Wirtschaftsteilnehmern von der französischen Regelung über den Zusatz von Nährstoffen und bestimmten Zutaten zu Lebensmitteln sowie von deren Anwendung auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten Kenntnis erlangt.

15.      Unter Nährstoffen versteht die Kommission die Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren und sonstigen stickstoffhaltigen Verbindungen sowie sonstigen Nährstoffe von der Art, wie sie in Anhang III der Richtlinie 91/321/EWG der Kommission vom 14. Mai 1991 über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung (5) aufgeführt sind. Daneben machten die Beschwerdeführer namentlich Schwierigkeiten beim Zusatz von Koffein zu Lebensmitteln geltend.

16.      Nachdem ein erster Briefwechsel und Gespräche nicht erfolgreich gewesen waren, hat die Kommission am 23. Dezember 1997 ein Mahnschreiben an die Französische Republik mit der Aufforderung gerichtet, innerhalb einer Frist von zwei Monaten Stellung zu nehmen.

17.      Die Französische Republik hat darauf mit Schreiben vom 9. März und 15. Mai 1998 geantwortet und ausgeführt, die fragliche Regelung stehe ihrer Auffassung nach mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang.

18.      Die Kommission hat am 26. Oktober 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme übersandt, der die Französische Republik am 31. Dezember 1998 widersprochen hat, wobei sie ihre Absicht angezeigt hat, eine klarstellende Regelung zu erlassen, die das Zulassungsverfahren für die Verwendung von Nährstoffen beschreibe.

19.      Da die französischen Behörden der mit Gründen versehenen Stellungnahme in den gesetzten Fristen nicht nachgekommen waren, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben, in der sie beantragt:

festzustellen, dass die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, weil

das französische Recht den freien Verkehr von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, nicht gewährleistet, wenn diese Zusatzstoffe (wie Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Zutaten) enthalten, die in diesem Recht nicht vorgesehen sind;

das französische Recht kein vereinfachtes Verfahren vorsieht, das die für das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe erlaubt;

die französischen Behörden das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert haben, ohne festgestellt zu haben, dass das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit darstellt;

die Französische Republik zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

20.      Die Französische Republik beantragt, die Klage abzuweisen.

III – Erörterung

Zur Zulässigkeit der Klage

21.      Ohne einen Einwand der Unzulässigkeit zu erheben, stellt die französische Regierung die Zulässigkeit der Klage in Frage. Sie meint, die Klage könne einen Verfahrensmissbrauch darstellen, weil die Kommission zu dem Zeitpunkt, zu dem sie den Entwurf einer Richtlinie über die Stoffe veröffentlicht habe, die zu besonderen Ernährungszwecken zugesetzt werden dürften, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen der wenigen Mitgliedstaaten eingeleitet habe, die über eine nationale Regelung dieses Sachbereichs verfügten.

22.      Die Kommission antwortet, das Bestehen gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsvorhaben könne die Mitgliedstaaten nicht von ihrer Verpflichtung befreien, den EG-Vertrag einzuhalten. Im Übrigen betreffe der Richtlinienvorschlag nicht die Kernpunkte der Vertragsverletzung, die die Kommission hier geltend mache.

23.      Dem Einwand der französischen Regierung ist nicht zu folgen.

24.      Wie aus dem Urteil vom 14. Dezember 1971, Kommission/Frankreich (6) , hervorgeht, „zielt“ nämlich eine Klage auf Feststellung, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, „darauf ab, für die Anwendung des Vertrages zu sorgen, und kann nicht den Tatbestand eines Verfahrensmissbrauchs erfüllen“.

25.      Außerdem beweist der Umstand, dass die Kommission gleichzeitig zwei Befugnisse – die Befugnis, den Gerichtshof aufgrund von Artikel 226 EG anzurufen, und die Befugnis, Gesetzgebungsvorschläge zu formulieren – auf demselben Gebiet wahrnimmt, für sich allein keineswegs, dass sie eine ihrer beiden Befugnisse missbraucht hätte.

26.      Die Klage ist daher zulässig.

Zur ersten Rüge der Kommission

27.      Die Bedeutung der ersten Rüge der Kommission ist nicht leicht zu fassen; daher ist der entsprechende Vortrag der Kommission vollständig zu zitieren.

28.      Die erste Rüge ist überschrieben:

„Das französische Recht gewährleistet den freien Verkehr von Lebensmitteln, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, nicht, wenn diese Zusatzstoffe enthalten, die in diesem Recht nicht vorgesehen sind.“

29.      Die Kommission führt dann des Näheren aus:

„Das französische Recht berücksichtigt nicht, dass Lebensmittel, die in Frankreich nicht zugelassene, zugesetzte Nährstoffe enthalten, in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, was es ihnen vorbehaltlich der im EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen erlauben muss, vom Grundsatz des freien Warenverkehrs zu profitieren.

Namentlich enthält das französische Recht keine Klausel über die gegenseitige Anerkennung, die dazu bestimmt wäre, den freien Verkehr von Erzeugnissen sicherzustellen, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder in den Verkehr gebracht worden sind und die die Gesundheit der Verbraucher auf einem Niveau schützen, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig ist, auch wenn diese Erzeugnisse den Erfordernissen der französischen Regelung nicht vollständig entsprechen.

Es wäre denkbar gewesen, dass das französische Recht Nährstoffe, deren Zusatz in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, von der vorherigen Aufnahme in die Liste der zugelassenen Stoffe befreite, und sich damit begnügte, dass den nationalen Behörden zu dem Zeitpunkt, in dem das Lebensmittel auf den Markt gebracht wird, mitgeteilt wird, dass in diesem ein in Frankreich nicht zugelassener Stoff verwendet wurde, der aber dem Erzeugnis nach Maßgabe des in dem Mitgliedstaat, in dem es hergestellt oder in den Verkehr gebracht wird, geltenden Rechts rechtmäßig zugesetzt wurde.

Mangels eines solchen Systems kann das französische Recht eine vorherige Zulassung des Zusatzes von Nährstoffen nur verlangen, wenn die entsprechende Regelung den Erfordernissen entspricht, die der Gerichtshof für Lebensmittelzusatzstoffe festgelegt hat.

Zudem wäre eine solche Regelung nach der zitierten Rechtsprechung nur akzeptabel, wenn sie unter Berücksichtigung der Besonderheiten des französischen Rechts erlaubte, der Zulassung der Verwendung eines gegebenen Stoffes durch seine Aufnahme in die Liste der zugelassenen Stoffe einen allgemeinen Charakter zu geben.“

30.      Diese Rüge setzt sich somit aus mehreren Begründungsschritten zusammen, die voneinander zu unterscheiden sind.

31.      Wenn man sich nur an ihre Überschrift hält, hat man den Eindruck, dass die Kommission die Rechtsprechung „Cassis de Dijon“ (7) absolut setzen möchte und dass sie den Mitgliedstaaten das Recht abspricht, sich auf Artikel 36 EG-Vertrag zu berufen, um eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Interesse des „Schutz[es] der Gesundheit und des Lebens von Menschen“ aufrechtzuerhalten.

32.      Jedoch bezieht sich die Kommission am Ende des ersten Absatzes der Darlegung der Rüge auf die „im EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen“. Es kann sich nur um diejenigen, die in Artikel 36 EG-Vertrag aufgeführt sind, sowie um die vom Gerichtshof anerkannten „zwingenden Erfordernisse“ handeln.

33.      In ihrem Klageantrag nimmt die Kommission jedoch ohne Einschränkung die Formulierung aus der Überschrift der Rüge wieder auf.

34.      Im zweiten Absatz der Darlegung der Rüge wirft die Kommission dem französischen Recht vor, es enthalte keine Klausel über die gegenseitige Anerkennung, die dazu bestimmt wäre, den freien Verkehr von Erzeugnissen sicherzustellen, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder in den Verkehr gebracht worden seien und die die Gesundheit der Verbraucher auf einem Niveau schützten, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig sei, auch wenn diese Erzeugnisse den Erfordernissen der französischen Regelung nicht vollständig entsprächen.

35.      In ihrer Replik präzisiert die Kommission, dass gemäß dem Urteil „Stopfleber“ das Fehlen einschlägiger Vorschriften im maßgeblichen Recht genüge, um das Vorliegen einer Vertragsverletzung zu beweisen.

36.      In der Anhörung hat die Kommission schließlich bestätigt, dass es tatsächlich darum gehe, die Feststellungen des Gerichtshofes im Urteil vom 22. Oktober 1998, Kommission/Frankreich (8) , auf die vorliegende Rechtssache zu übertragen.

37.      Dieses Urteil ist in einem Vertragsverletzungsverfahren ergangen, das die Kommission gegen die Französische Republik wegen eines Dekrets eingeleitet hatte, das die Verwendung einer Reihe von Bezeichnungen solchen Stopfleberzubereitungen vorbehielt, die die in dem Dekret für die Zusammensetzung und die Qualität dieser Erzeugnisse festgelegten Voraussetzungen erfüllen, namentlich folgende Bezeichnungen: Foie gras entier, Foie gras und Bloc de foie gras, Parfait de foie, Médaillon ou pâté de foie, Galantine de foie und Mousse de foie. Das Dekret schreibt für alle diese Erzeugnisse den Mindestgehalt an Stopfleber sowie die zulässigen Zutaten, den Höchstgehalt an Saccharose und Gewürzen, den Höchstprozentsatz von Pochierfetten und Homogenat und/oder Wasser, den Höchstgehalt an Feuchtigkeit sowie die besonderen Aufmachungs- und Verpackungsmodalitäten vor (9) .

38.      Der Tenor des Urteils lautet:

„Die Französische Republik hat dadurch, dass sie das Dekret Nr. 93-999 vom 9. August 1993 über Stopfleberzubereitungen erlassen hat, ohne darin eine Bestimmung über die gegenseitige Anerkennung von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat vorzusehen, die den von diesem Staat erlassenen Bestimmungen entsprechen 10 –Hervorhebung des Verfassers., gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen.“

39.      Wie die Überschrift der ersten Rüge der Kommission in der vorliegenden Rechtssache zeigt, folgt die Kommission diesem Tenor, der, wenn man ihn wörtlich versteht, bedeuten könnte, dass jedes Erzeugnis, das den Bestimmungen des Mitgliedstaats entspricht, in dem es hergestellt ist, immer in anderen Mitgliedstaaten zugelassen werden müsse, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich gegebenenfalls auf ein höheres Niveau des Schutzes der Gesundheit, das sie aufrechterhalten wollen, oder auf einen stärkeren Schutz ihrer Verbraucher zu berufen.

40.      Jedoch beziehen sich die Gründe des Urteils auf die mehr oder weniger weitgehende Vereinbarkeit einer Ware mit der Regelung des Einfuhr staats, nicht mit derjenigen des Ausfuhrstaats.

41.      Der Gerichtshof hat nämlich in Randnummer 18 dieses Urteils festgestellt, dass „eine nationale Regelung, die es verbietet, ein den Bestimmungen eines anderen Mitgliedstaats entsprechendes, aus diesem Staat stammendes Erzeugnis, das die in der Regelung aufgestellten Anforderungen jedoch nicht vollständig (11) erfüllt, unter einer bestimmten Bezeichnung in den Verkehr zu bringen, geeignet [ist], den zwischenstaatlichen Handel zumindest potenziell zu behindern“.

42.      In Randnummer 24 hat er hinzugefügt, dass „[e]in Vertriebsverbot ... nicht allein damit gerechtfertigt werden [kann], dass eine Ware nicht vollständig (12) den Voraussetzungen einer nationalen Regelung über die Zusammensetzung von Lebensmitteln entspricht, die eine bestimmte Bezeichnung tragen“.

43.      Der Gerichtshof hat jedoch den zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit vorbehalten, die eingeführten Zubereitungen zu kontrollieren und „diejenigen zu verfolgen, die für den Vertrieb von Lebensmitteln verantwortlich sind, die Bezeichnungen tragen, die mit einer in diesem Staat geregelten Bezeichnung übereinstimmen, jedoch aus anderen Zutaten hergestellt sind, so dass eine Täuschung in Betracht kommt“ (13) .

44.      Es ist durchaus verständlich, dass der Gerichtshof es als unzulässig angesehen hat, dass ein Mitgliedstaat die Verwendung der Bezeichnung „Stopfleber“ für eingeführte Erzeugnisse verbieten dürfe, deren Zusammensetzung nur in Einzelheiten von der Regelung dieses Staates abweiche.

45.      Aber jene Rechtssache unterschied sich von der vorliegenden Klage in zwei wichtigen Punkten.

46.      Erstens spielte im Urteil Stopfleber der Schutz der Gesundheit keine Rolle.

47.      Zweitens betraf das fragliche französische Dekret eine genau bestimmte Gruppe von Erzeugnissen (Stopfleberzubereitungen). In der vorliegenden Rechtssache wirft die Kommission der Französischen Republik hingegen vor, in zwei Dekrete keine Klausel über die gegenseitige Anerkennung aufgenommen zu haben, von denen das eine „Waren und Nahrungsmittel, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, wenn ihnen chemische Stoffe zugesetzt worden sind“, und das andere „für eine besondere Ernährung bestimmte Lebensmittel“ betrifft.

48.      Die These der Kommission geht also dahin, dass selbst solche allgemeinen Regelungen eine Klausel enthalten müssten, die im Wesentlichen bestimmte, dass „auf dem französischen Markt ebenso Lebensmittel zugelassen sind, die nicht vollständig den Anforderungen der vorliegenden Regelung entsprechen, wenn sie nur wenigstens ein Niveau des Schutzes der Gesundheit der Verbraucher aufweisen, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig ist“.

49.      Eine solche Regelung müsste offenkundig zu großen Auslegungsschwierigkeiten führen.

50.      Zunächst bestünde die Gefahr, dass sie zu Streitigkeiten darüber Anlass geben könnte, ab welchem Punkt die Regelung des Ursprungslandes des Erzeugnisses ein Niveau des Schutzes der Gesundheit aufweist, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig ist, oder darüber, in welchem Maße diese Erzeugnisse die Anforderungen der französischen Regelung nicht „vollständig“ zu erfüllen brauchen.

51.      Fraglich wäre etwa, ob ein Lebensmittel, das einen in Frankreich nicht zugelassenen Nährstoff enthält und das demzufolge eindeutig nicht „vollständig“ die Anforderungen der französischen Regelung erfüllt, trotzdem ein „Niveau des Schutzes“ bietet, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig ist.

52.      Wie die französische Regierung zu Recht geltend gemacht hat, fehlt die „Bezugsgröße“, nach deren Maßgabe das gleichwertige Niveau des Schutzes beurteilt werden müsste.

53.      Die Aufnahme einer Klausel über die gegenseitige Anerkennung drohte also, mehr Probleme zu schaffen, als sie lösen könnte.

54.     Überdies lässt sich nicht sagen, dass eine solche Klausel nach dem Wesen der einschlägigen Artikel des EG-Vertrags dazu zwingend erforderlich sei, diese Artikel voll wirksam zu machen. Diese Bestimmungen tun sich selbst Genüge. Artikel 30 EG-Vertrag enthält eine klare Regel: das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung, und Artikel 36 EG-Vertrag erlaubt bestimmte Ausnahmen.

55.      Demzufolge genügt die Rechtsprechung des Gerichtshofes, nach der es dem einführenden Mitgliedstaat obliegt, mit angemessenen Gründen anhand von wissenschaftlichen Gutachten festzulegen, worin in seinen Augen die Gefahren für die Gesundheit bestehen, die die Verwendung eines bestimmten Stoffes mit sich bringt, oder mit ausführlicher Begründung darzulegen, aus welchem Grund der Verbraucher über die genaue Natur der Eigenschaften oder der Wirkungen des jeweiligen Lebensmittels getäuscht zu werden droht.

56.      Der Importeur muss dann die Möglichkeit haben, die Entscheidung der zuständigen Behörde anzufechten. Das ist alles, was nötig ist, um den freien Warenverkehr zu garantieren.

57.      Ich schlage daher vor, nicht festzustellen, dass die Französische Republik ihre Verpflichtungen dadurch verletzt habe, dass sie in die fraglichen Dekrete keine Klausel über die gegenseitige Anerkennung aufgenommen hat.

58.      Aber die erste Rüge der Kommission beinhaltet noch zwei zusätzliche Begründungsschritte.

59.      Im dritten Absatz ihrer Ausführungen erklärt die Kommission, „[e]s wäre denkbar gewesen, dass das französische Recht die Nährstoffe, deren Zusatz in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, von der vorherigen Aufnahme in die Liste der zugelassenen Stoffe befreite, und sich damit begnügte, dass den nationalen Behörden zu dem Zeitpunkt, in dem das Lebensmittel auf den Markt gebracht wird, mitgeteilt (14) wird, dass in dem Lebensmittel ein in Frankreich nicht zugelassener Stoff verwendet wurde ...“.

60.      Das hätte zur Folge, dass die französischen Behörden in den Fällen, in denen das fragliche Lebensmittel ihrer Ansicht nach Gefahren für die Gesundheit mit sich brächte, sich landesweit bemühen müssten, die Rücknahme dieses Erzeugnisses aus den Geschäften zu erreichen, während im äußersten Fall bereits Gesundheitsschäden eingetreten sein könnten. Ich sehe nicht, auf welcher Grundlage ein solches System einem Mitgliedstaat auferlegt werden könnte.

61.      Die Kommission fährt fort, dass „[m]angels eines solchen Systems ... das französische Recht eine vorherige Zulassung des Zusatzes von Nährstoffen nur verlangen [kann], wenn die entsprechende Regelung den Erfordernissen entspricht, die der Gerichtshof für Lebensmittelzusatzstoffe festgelegt hat“. Dem ist zu folgen; jedoch überschneidet sich diese Aussage mit der zweiten Rüge, die hiernach untersucht wird.

62.      Schließlich erklärt die Kommission, dass „eine solche Regelung ... nur akzeptabel [wäre], wenn sie unter Berücksichtigung der Besonderheiten des französischen Rechts erlaubte, der Zulassung der Verwendung eines gegebenen Stoffes durch seine Aufnahme in die Liste der zugelassenen Stoffe einen allgemeinen Charakter zu geben“.

63.      Das aber ist bei der französischen Regelung der Fall. Wenn nämlich eine Zutat einmal auf dieser Liste erscheint, kann das Inverkehrbringen eines Lebensmittels nicht mehr deswegen zurückgewiesen werden, weil es diese Zutat enthält. Der Mitgliedstaat behält freilich die Möglichkeit, das Inverkehrbringen eines Lebensmittels zu verbieten, das außerdem sonstige Zutaten enthält, die nicht auf der genannten Liste stehen, oder wenn die Verbraucher durch eine Auszeichnung, die dem Lebensmittel Eigenschaften zuschreibt, die es nicht hat, getäuscht zu werden drohen.

64.      Aus allen diesen Gründen komme ich zu dem Ergebnis, dass die erste Rüge der Kommission zurückzuweisen ist.

Zur zweiten Rüge: Fehlen eines vereinfachten Verfahrens, das es den Wirtschaftsteilnehmern erlaubt, die Aufnahme eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig verwendeten Stoffes in die nationale Liste der Stoffe zu erhalten, deren Zusatz in Lebensmitteln zugelassen ist

65.      Mit ihrer zweiten Rüge wirft die Kommission der Französischen Republik vor, gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen zu haben, weil das französische Recht kein „vereinfachtes Verfahren“ vorsieht, „das die für das Inverkehrbringen der ... Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe erlaubt“.

66.      Die Kommission erinnert daran, dass „ein Lebensmittel, das einen in Frankreich nicht zugelassenen Nährstoff enthält, dort nur in den Verkehr gebracht werden kann, wenn zuvor der einschlägige interministerielle Erlass zur Durchführung entweder des Dekrets vom 15. April 1912 oder des Dekrets vom 29. August 1991 geändert worden ist“.

67.      Da dieses Verfahren eine besonders große Hürde darstellt, ist die Kommission der Ansicht, dass „die Anträge auf Zulassung des Zusatzes von Nährstoffen oder sonstigen Zutaten zu Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs oder für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln für Lebensmittel, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, Gegenstand eines vereinfachten Verfahrens oder eines Verfahrens sein müssten, das wenigstens eine ausdrückliche Bestimmung enthält, die die Berücksichtigung von in einem anderen Mitgliedstaat bereits erteilten Zulassungen und bereits erstellten Untersuchungsergebnissen erlaubt“.

68.      Nach Auffassung der Kommission, die sich auf das Urteil vom 16. Juli 1992, Kommission/Frankreich (15) , über den Zusatz von Nitrat zu Käse bezieht, muss das Verfahren der Aufnahme eines neuen Nährstoffes in die nationale Liste der Stoffe, deren Zusatz in Lebensmitteln zugelassen ist, für die Wirtschaftsteilnehmer leicht zugänglich sein. Die nationalen Behörden müssten also in einem amtlich veröffentlichten und die nationalen Behörden bindenden Text festlegen, welche Angaben in einem Antrag auf Zulassung enthalten sein müssten, und das Verfahren der Bescheidung dieses Antrags beschreiben.

69.      Außerdem müsse das nationale Zulassungsverfahren in einer angemessenen Frist zu Ende geführt werden können. Das sei derzeit nicht der Fall, da die anwendbaren Bestimmungen keine Frist für die Bescheidung der Anträge enthielten.

70.      Schließlich sehe das französische Recht nicht vor, dass die Ablehnung einer Zulassung in einer Form erfolge, die dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer den Rechtsweg eröffne.

71.      Die französische Regierung meint, es gebe ein vereinfachtes Verfahren, auch wenn es nicht materiell formalisiert sei, indem sie einerseits unterstreicht, dass der Oberste Hygienerat Frankreichs (im Folgenden: OHF) internationale wissenschaftliche Daten in allen Fällen berücksichtige, in denen die Antragsteller sich darauf in ihrem Antrag beriefen, und andererseits, dass das Verfahren insoweit schnell sei, als es genüge, einen Erlass zu verabschieden, und als die Wirtschaftsteilnehmer oft noch vor der Veröffentlichung dieses Erlasses schriftlich über das günstige Ergebnis unterrichtet würden.

72.      Die französische Regierung habe der Kommission den Entwurf einer Mitteilung an die Wirtschaftsteilnehmer vorgelegt, um auf die Bemerkungen der Kommission zu antworten. Dieser Entwurf betreffe das Verfahren der Befassung der Verwaltung, des Aufbaus und der Bescheidung der Anträge auf Verwendung von Nährstoffen, um das Verfahren vollständig transparent zu machen. Mangels einer günstigen Antwort der Kommission habe diese Mitteilung freilich nicht veröffentlicht werden können.

73.      Schließlich meint die französische Regierung, dass der Gerichtshof im Allgemeinen vereinfachte Verfahren befürworte, wenn das fragliche Erzeugnis bereits auf dem nationalen Markt des Ausfuhrstaats zugelassen sei und wenn ein Teilnehmer ein Erzeugnis, das mit einem anderen, in dem betroffenen Staatsgebiet schon zugelassenen Erzeugnis identisch oder ihm vergleichbar sei, parallel importieren möchte. So verhalte es sich hier aber nicht, da die spezifischen Fälle, die die Kommission im Auge habe, zusätzliche Nährstoffe beträfen, die in Frankreich noch nicht zugelassen seien. Die Kommission habe nicht bewiesen, dass das Verfahren für ein Erzeugnis, das in einem anderen Mitgliedstaat schon rechtmäßig in den Verkehr gebracht sei, nicht de facto vereinfacht sei.

74.      In seinem Urteil vom 16. Juli 1992, Kommission/Frankreich, hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Regelung, die den Gebrauch eines Zusatzstoffes einer Zulassung unterwirft, „ein Verfahren vorsehen [muss], das es den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, die Aufnahme dieses Zusatzstoffs in das nationale Verzeichnis der zulässigen Zusatzstoffe zu erreichen. Dieses Verfahren muss leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muss diese im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können“ (16) .

75.      Dieses Urteil ist namentlich deswegen von Interesse, weil es ebenfalls das Dekret vom 15. April 1912 und folglich dieselbe Art des Zulassungsverfahrens wie das in der vorliegenden Rechtssache in Frage stehende Verfahren betraf. In diesem Urteil hatte der Gerichtshof die Klage wegen Vertragsverletzung abgewiesen, weil die Kommission nicht geltend gemacht hatte, dass das durch die fraglichen Dekrete eingeführte Verfahren gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Dagegen rügt die Kommission dieses Verfahren in der vorliegenden Rechtssache sehr wohl im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht.

76.      Daher ist das Zulassungsverfahren im Licht der Bedingungen zu untersuchen, die im Urteil vom 16. Juli 1992, Kommission/Frankreich, aufgeführt sind.

77.      Nach Auffassung der französischen Regierung sind diese Bedingungen auch dann erfüllt, wenn das Verfahren nicht materiell formalisiert ist.

78.      Nun versteht es sich aber von selbst, dass ein Verfahren, wie es der Gerichtshof fordert, um einen Verstoß gegen Artikel 30 EG-Vertrag zu vermeiden, ausdrücklich Rechte und Pflichten des Wirtschaftsteilnehmers und der Behörde vorsehen muss. Ein Verfahren, das nicht formalisiert ist, erfüllt dieses Kriterium offensichtlich nicht. Es gibt dem Teilnehmer keine Rechtssicherheit und kommt deshalb – unter dem Gesichtspunkt des vom Gerichtshof ins Auge gefassten Verfahrens – einem nicht existierenden Verfahren gleich.

79.      Die von der Kommission gegebenen Beispiele bestätigen das Fehlen eines Verfahrens, wie es der Gerichtshof meint. So führt die Kommission von der französischen Regierung unwidersprochen den Fall des Herstellers des Getränks Red Bull an, der sieben Monate bis zur Empfangsbestätigung für seinen Antrag auf Genehmigung des Inverkehrbringens seines Erzeugnisses und mehr als zwei Jahre bis zur ablehnenden Entscheidung warten musste. Das ist kein Verfahren, das in angemessenen Fristen zu Ende geführt werden kann.

80.      Was den Entwurf der „Mitteilung an die Wirtschaftsteilnehmer über die Modalitäten der Aufnahme von Nährstoffen zu Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs in die Liste“ betrifft, die die französische Regierung der Kommission übermittelt hat, ist, soweit diese Mitteilung den Bedingungen des vom Gerichtshof gewollten Verfahrens entspricht, festzustellen, dass nicht bewiesen ist, dass diese bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist in Kraft gewesen ist. Dass die Kommission diesen Entwurf nicht unverändert gebilligt hat – ein Umstand, den die französische Regierung übrigens erst im Rahmen der Gegenerwiderung anführt –, ist für sich allein nicht geeignet, die Nichteinrichtung eines Verfahrens, wie es der Gerichtshof definiert hat, durch die französische Regierung zu rechtfertigen.

81.      Außerdem betrifft der Entwurf der Mitteilung, wie auch ihre Überschrift anzeigt, nur Nährstoffe in Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs. Die Mitteilung, wäre sie erlassen worden, erfasste also ohnehin nicht den Zusatz von Nährstoffen zu für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die ebenfalls Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.

82.      Schließlich geht auch das Vorbringen der französischen Regierung fehl, aus der Rechtsprechung ergebe sich, dass ein Verfahren nur dann erforderlich sei, wenn das fragliche Erzeugnis bereits auf dem nationalen Markt des Ausfuhrstaats zugelassen sei und wenn ein Teilnehmer die Paralleleinfuhr eines Erzeugnisses vornehmen möchte, dass mit einem anderen, in dem betroffenen Staatsgebiet schon zugelassenen Erzeugnis identisch oder ihm ähnlich sei.

83.      Der von der französischen Regierung beschriebene Fall ist nämlich nicht einmal der des Urteils vom 16. Juli 1992, Kommission/Frankreich, in dem der Gerichtshof das Erfordernis eines angemessenen Verfahrens genau formuliert hat. Dagegen ist der in jener Rechtssache gegebene Fall, nämlich der Zusatz von Nitrat in Käse, dem Problem, das sich im Rahmen der vorliegenden Rechtssache stellt, wesensähnlich.

84.      Alle Mitgliedstaaten müssen also ein Verfahren einrichten, das den vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien entspricht. Dieses Verfahren braucht man nicht mit der Kommission als „vereinfachtes Verfahren“ zu bezeichnen; dieser Ausdruck erscheint in den Urteilen des Gerichtshofes nicht.

85.      In Nummer 31 der mit Gründen versehenen Stellungnahme hat die Kommission erläutert, dieser Ausdruck bedeute für sie im Fall von Lebensmitteln, die schon in einem anderen Mitgliedstaat in Einklang mit den Regelungen dieses Staates in den Verkauf gebracht worden seien, dass es nicht notwendig sei, dieses Erzeugnis nochmals einem vollständigen Verfahren zu unterziehen, das Gutachten sowohl des OHF als auch der Nationalen Akademie der Medizin umfasse.

86.      Zwar bin auch ich der Auffassung, dass die zuständigen Behörden bei Erzeugnissen, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Handel gebracht worden sind, zunächst diesen Umstand berücksichtigen und sich fragen müssen, ob noch Zweifel an der Unschädlichkeit des fraglichen Stoffes möglich sind. Aber solche Zweifel mögen fortbestehen; es ist auch möglich, dass die Wirkungen dieses Stoffes im Land der Herstellung des Lebensmittels nicht Gegenstand einer Untersuchung waren oder dass es in diesem Land weder eine Regelung noch ein Verfahren in diesem Bereich gibt.

87.      Man kann also den Behörden des Einfuhrstaats nicht grundsätzlich verbieten, die wissenschaftlichen Gutachten anzufordern, die sie für notwendig halten.

88.      Hiervon abgesehen ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die Französische Republik ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verletzt hat, weil sie, was das Inverkehrbringen von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln in Frankreich betrifft, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind und die Zusatzstoffe enthalten, für die Aufnahme dieser Stoffe in die im nationalen Recht vorgesehene abschließende Liste kein leicht zugängliches Verfahren vorgesehen hat, das in angemessener Frist beendet werden kann und gegen dessen negativen Ausgang der Rechtsweg eröffnet ist.

Zur dritten Rüge: die Anwendung der nationalen Regelung auf Einzelanträge

89.      Mit ihrer dritten Rüge wirft die Kommission der Französischen Republik vor, das Inverkehrbringen der fraglichen Lebensmittel behindert zu haben, ohne festgestellt zu haben, dass das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit mit sich bringe.

90.      Frankreich müsse in jedem Fall, in dem es das Inverkehrbringen eines aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Erzeugnisses verhindere, die zu gewärtigenden Gefahren für die Gesundheit darlegen. Das sei in mehreren konkreten Fällen nicht der Fall gewesen.

91.      Zwar stellten der Kampf gegen Betrügereien und der Verbraucherschutz ein zwingendes, schutzwürdiges Erfordernis dar. Jedoch habe der Gerichtshof festgestellt, dass eine Etikettierung genüge, um einen solchen Schutz sicherzustellen.

92.      Schließlich führt die Kommission in ihrer Erwiderung an, dass weder das Dekret vom 15. April 1912 noch das vom 29. August 1991 die Unschädlichkeit eines Stoffes zur Bedingung dafür machten, dass dieser in die Positivlisten aufgenommen werde. Daraus folge, dass die französischen Behörden nicht beweisen müssten, dass die auf den Markt gebrachten Erzeugnisse gesundheitsgefährdend seien.

93.      Die französische Regierung ist der Ansicht, die Behörden bemühten sich, wie es die Kommission fordere, in jedem Fall um den Nachweis, dass ein Verbot notwendig sei, um die Gesundheit wirksam zu schützen, indem sie die Eigenschaften eines jeden mit Nährstoffen angereicherten Lebensmittels untersuchten. Die Gesundheitsgefahr sei bei bestimmten Stoffen, etwa Aminosäuren, die von Rindereiweiß stammten, unmittelbar gegeben. Eine schlecht kontrollierte Verwendung dieser Stoffe habe außerdem eine Gefahr für die Gesundheit zur Folge, die von der Grundernährung der Bevölkerung abhänge. Der OHF gehe ausdrücklich auf die Umstände des Einzelfalles ein und werde systematisch angehört.

94.      Was das Vorbringen der Kommission angehe, die französischen Behörden hätten keine echten Gesundheitsgründe angeführt, um das Inverkehrbringen von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Erzeugnissen abzulehnen, bemerkt die französische Regierung, die Wirksamkeit des Erzeugnisses oder des zugesetzten Stoffes werde auch in zahlreichen gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien berücksichtigt, die die Gesundheit zum Ziel hätten. Kriterien der Wirksamkeit und der Redlichkeit seien zwingende Erfordernisse im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes und rechtfertigten nationale Maßnahmen ebenso wie der Gesichtspunkt der Gesundheit im Sinne von Artikel 36 EG-Vertrag. Die Kommission habe folglich nicht nachgewiesen, dass die streitige Regelung nicht die Gesundheit und/oder den Verbraucherschutz zum Ziel habe.

95.      Zu prüfen ist, ob die Kommission, wie es ihr obliegt (17) , die Vertragsverletzung bewiesen hat, die sie der Französischen Republik vorwirft.

96.      Die Kommission führt mehrere Einzelfälle an, die ihrer Ansicht nach das Vorliegen der Vertragsverletzung beweisen. Diese Fälle sind also zu untersuchen. Drei von ihnen sind im Verfahren hinreichend erörtert worden.

97.      Die Kommission bezieht sich zunächst auf ein Gutachten des OHF vom 12. Juli 1994 betreffend die Verwendung von L-Tartrat und von L-Carnitin in Nahrungsergänzungen und diätetischen Produkten.

98.      In diesem Gutachten findet man u. a. die folgenden Informationen:

„Die zwei Akten schlagen die Verwendung von L-Carnitin bei folgenden Indikationen vor:

‚Anregen des Stoffwechsels bei Personen, denen Energie fehlt‘;

‚Ermüdungszustand‘ und vor allem Umstände, bei denen eine ‚Verringerung des Pools an Carnitin im Organismus [auftritt], wie zum Beispiel unausgewogene Ernährung, Rückgang der Carnitin-Synthese oder intensive körperliche Betätigung‘;

‚Erleichterung des Fettstoffwechsels, insbesondere bei einem Sportler‘.

Kein Beweis dieser äußerst vagen Behauptungen wird beigebracht. Bereits der Begriff der Reduzierung des Pools an Carnitin nach körperlicher Betätigung ist anfechtbar: Unter diesen Umständen nimmt nämlich das freie Muskelcarnitin tatsächlich ab, das veresterte Carnitin nimmt zu, aber der Gesamtpool an Muskelcarnitin ändert sich nicht.“

99.      Nach Ansicht der Kommission prüft dieses Gutachten nur den Wahrheitsgehalt der Behauptungen über die Eigenschaften des Erzeugnisses sowie seinen Nutzen, ohne der Frage nachzugehen, ob es eine Gefahr für die Gesundheit darstelle.

100.    Die französische Regierung widerspricht dem nicht, meint aber, dass die Wirksamkeit des Erzeugnisses oder des Stoffes von zahlreichen gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien berücksichtigt werde, die die Gesundheit zum Ziel hätten, und unterstreicht unter Bezugnahme auf das Urteil Cassis de Dijon, dass der Verbraucherschutz eines der zwingenden Erfordernisse sei, die zu der Liste der in Artikel 30 EG vorgesehenen Ausnahmen hinzuträten.

101.    Im Urteil Rombi und Arkopharma (18) hat der Gerichtshof festgestellt, dass, „[d]a es somit für Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, weder gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen über generell zugelassene Zusatzstoffe, insbesondere L-Carnitin (19) , noch eine Gemeinschaftsregelung über die Zusammensetzung dieser Lebensmittel gibt, ... das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die die bei der Herstellung solcher Lebensmittel allgemein zulässigen Zusatzstoffe zum Gegenstand hat, nicht entgegensteht“.

102.    Im Urteil Cassis de Dijon, auf das die französische Regierung verweist, hat der Gerichtshof festgestellt, dass „Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, ... hingenommen werden [müssen], soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere ... des Verbraucherschutzes“ (20) .

103.    Nun steht aber tatsächlich der Verbraucherschutz auf dem Spiel, wenn es, wie aus dem zitierten Gutachten, dessen Inhalt von der Kommission nicht bestritten wird, folgt, keinen Beweis dafür gibt, dass ein Stoff die Wirkungen erzeugt, die er nach den gelieferten Angaben erzeugen müsste.

104.    Das Vorbringen der Kommission, die Etikettierung sei in einem solchen Fall angemessener als ein Verbot, überzeugt nicht, weil nicht ersichtlich ist, welche Angaben gemacht werden sollten. Ließe sich ein Erzeugnis, für das mit der Aussage geworben wird, es rege den Stoffwechsel von Personen an, denen Energie fehle, noch verkaufen, wenn es folgendes Etikett trüge: „Hinweis: Es ist nicht bewiesen, dass dieses Erzeugnis Ihren Stoffwechsel anregt“?

105.    Ich bin folglich der Ansicht, dass die Kommission das Vorliegen einer Vertragsverletzung in diesem Fall nicht nachgewiesen hat.

106.    Die Kommission bezieht sich weiter auf zwei andere Gutachten des OHF vom 10. September 1996, von denen das eine mit Vitaminen angereicherte Süßwaren und Getränke, das andere so genannte „energetische“ Getränke betrifft.

107.    In dem Gutachten über die energetischen Getränke kann man Folgendes lesen:

„Der [OHF] ist beunruhigt über die aktuelle Verbreitung von und die Werbung für so genannte ‚energetische‘ Getränke, die wie Getränke des allgemeinen Verzehrs angeboten werden. Zwar spricht die klassische Toxikologie nicht gegen solche Erzeugnisse, doch bestehen folgende Gefahren:

Überschreitung der Sicherheits-Schwellenwerte für eine bestimmte Anzahl von Vitaminen. Diese Gefahr besteht insbesondere, weil auch andere Erzeugnisse, zum Beispiel Süßwaren, angereichert sind,

Gefahren, die mit einem übermäßigen Konsum von Koffein verbunden sind: kardiovaskuläre (unregelmäßige Herztätigkeit, Erhöhung des Blutdrucks), neuropsychologische (Hyperkinesie, Aggressivität, Schlaflosigkeit, Ursache des Gebrauchs von Beruhigungsmitteln), das Phosphor-Calcium-Verhältnis betreffende (Kalziumverlust).

Hinzu kommt irreführende Werbung, die auf irreführende Behauptungen gestützt ist, da es sich im strengen Sinne nicht um energetische Getränke handelt, sondern um Erzeugnisse, die ein Anregungsmittel, das Koffein, und einen so genannten Schutzstoff (Taurin, Glucuronsäure) enthalten. Nun bestätigt keine aktuelle Untersuchung, dass diese angebliche Schutzwirkung besteht. Außerdem sind diese Stoffe bisher nicht für die Ernährung zugelassen.

Der [OHF] meint, dass diese Art von Getränken aus folgenden Gründen nicht zugelassen werden sollte:

übermäßige Koffeinkonzentration (300 mg/l), höher als die zugelassene (150 mg/l);

Gefahr des übermäßigen Koffeinkonsums insbesondere bei schwangeren Frauen;

irreführende Behauptung über den ‚energetischen‘ Charakter des Erzeugnisses;

Gefahr einer positiven Antidopingkontrolle bei Sportlern.

Der [OHF] meint, dass der Höchstgehalt an Koffein in Getränken 150 mg/l in Getränken nicht überschreiten soll, und erinnert daran, dass der Konsum von Koffein 200 mg/Tag nicht überschreiten sollte.“

108.    Der OHF zeigt die konkreten Gefahren auf, die mit dem übermäßigen Konsum von Koffein verbunden sind, und belegt damit unbestreitbar als wissenschaftliche Instanz, dass die fraglichen Getränke Gesundheitsprobleme mit sich bringen. Dies gilt ebenso für die Feststellung, dass diese Art von Getränken eine „übermäßige Koffeinkonzentration (300 mg/l), höher als die zugelassene (150 mg/l)“, enthalte.

109.    Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Französische Republik die Befugnis hat, diesen letzten Grenzwert festzulegen, wenn man berücksichtigt, dass „die Mitgliedstaaten bei Fehlen von Harmonisierungsvorschriften darüber zu entscheiden [haben], in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen“ (21) .

110.    Außerdem trägt die Kommission keinen wissenschaftlichen oder sonstigen Gesichtspunkt vor, der geeignet wäre, das von den französischen Behörden erzielte Ergebnis hinsichtlich der mit den fraglichen Getränken verbundenen Gesundheitsgefahren in Frage zu stellen. Im Gegenteil hat die französische Regierung von der Kommission unwidersprochen mitgeteilt, dass Letztere am 21. Januar 1999 vom wissenschaftlichen Ausschuss für die menschliche Ernährung ein negatives Gutachten über bestimmte Nährstoffe in energetischen Getränken erhalten hat.

111.    Soweit das Gutachten ergänzend auf die irreführende Behauptung über den ‚energetischen‘ Charakter des Erzeugnisses Bezug nimmt, berücksichtigt es das Kriterium des Verbraucherschutzes, was, wie oben ausgeführt, im Licht des Urteils Cassis de Dijon gerechtfertigt ist.

112.    Wenn „der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Artikel 36 Satz 2 des Vertrages zugrunde liegt, [verlangt,] dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Einfuhr von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zu verbieten, auf das Maß dessen beschränkt wird, was zur Erreichung der berechtigterweise verfolgten Ziele erforderlich ist“ (22) , bin ich außerdem nicht überzeugt, dass daraus folgt, dass die Französische Republik nicht berechtigt gewesen ist, die fraglichen Getränke zu verbieten, sondern beispielsweise nur die eine oder andere Form der Etikettierung hätte fordern können.

113.    Es ist nämlich nicht unverhältnismäßig, wenn ein Mitgliedstaat ein Erzeugnis verbietet, in dem ein Stoff – Koffein – in der doppelten Konzentration vorliegt, die dieser Mitgliedstaat aufgrund seiner Befugnis zugelassen hat, das Niveau des Schutzes der Gesundheit seiner Bevölkerung festzulegen.

114.    Folglich hat die Kommission nicht bewiesen, dass die Französische Republik in diesem Fall eine Vertragsverletzung begangen hat.

115.    Was das Gutachten über die mit Vitaminen angereicherten Süßwaren und Getränke betrifft, kann man dort insbesondere Folgendes lesen:

„3) Bei einem sehr geringen, aber doch reellen Teil der französischen Bevölkerung besteht die Gefahr der übermäßigen Aufnahme einer bestimmten Anzahl von Vitaminen.

4) Die Verbreitung solcher Erzeugnisse schafft die Gefahr der Überschreitung der Sicherheitsgrenzen für die Aufnahme bestimmter Vitamine. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Person zahlreiche mit Vitaminen angereicherte Erzeugnisse verzehren kann, die zur gewöhnlichen Aufnahme hinzukommen werden: Die Ergänzung von Vitaminen in einem Erzeugnis darf einen nur kleinen Anteil der empfohlenen Tagesdosis pro 100 kcal nicht überschreiten.“

116.    Hierzu weist die französische Regierung auf das Gutachten des OHF vom 12. September 1995 „über die Sicherheitsgrenzen von Vitaminen und bestimmten Mineralstoffen in Lebensmitteln“ hin. Aus den Bezugsvermerken dieses Gutachtens ergibt sich, dass der OHF die Sicherheitsgrenzen des täglichen Verzehrs von Vitaminen und Mineralstoffen gestützt auf die „bibliografischen Zeitschriften und die dem [OHF] vorgelegten Berichte über ärztliche Veröffentlichungen über Beobachtungen der Nebenwirkungen beim Menschen, die mit dem Verzehr der nachfolgenden Vitamine und Mineralstoffe verbunden sind, ... die Regeln der Lebensmitteltoxikologie, ... die Empfehlungen von französischen Ernährungsexperten ... [und] die in Frankreich bis heute durchgeführten Studien“ festgelegt hat.

117.    Nun lässt sich unter Berücksichtigung des Urteils Harpegnies nicht bestreiten, dass die Französische Republik die Befugnis hat, diese Sicherheitsgrenzen festzulegen und darüber zu wachen, dass sie nicht überschritten werden.

118.    Außerdem hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass es zur Erreichung des verfolgten Zwecks – des Schutzes der Gesundheit – angemessener wäre, die mit Vitaminen angereicherten Süßwaren und Getränke zu etikettieren, anstatt sie zu verbieten. Wenn die Gefahr der Überschreitung der von dem Mitgliedstaat festgelegten Sicherheitsgrenzen wirklich vorhanden und erheblich ist, wie man es aus dem Gutachten ableiten kann, muss dieser Mitgliedstaat nämlich die betreffenden Erzeugnisse verbieten können.

119.    Von Interesse sind hier bestimmte Passagen des Urteils vom 30. November 1983, Van Bennekom (23) , in dem der Gerichtshof die mit einem übermäßigen Verzehr von Vitaminen verbundenen Besorgnisse über das Niveau der Gesundheit geteilt hat:

„36
Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Juli 1983 (Sandoz, Rechtssache 174/82, Slg. 1983, 2445) festgestellt hat, kann die übermäßige Aufnahme von Vitaminen über einen längeren Zeitraum hinweg schädliche Wirkungen hervorrufen, deren Ausmaß je nach Art der Vitamine unterschiedlich ist, wobei der Schädlichkeitsgrad der fettlöslichen Vitamine im Allgemeinen höher ist als der der wasserlöslichen Vitamine. Außerdem stellen die Vitamine vor allen Dingen in hoher Konzentration eine wirkliche Gefahr für die Gesundheit dar. Jedoch ergibt sich aus den gegenüber dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen, dass die wissenschaftliche Forschung noch nicht weit genug fortgeschritten ist, um mit Sicherheit die kritischen Mengen und Konzentrationen sowie die genauen Wirkungen bestimmen zu können.

37
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es aber, soweit beim jeweiligen Stand der Forschung noch Unsicherheiten bestehen, mangels einer Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen.

38
Diese Grundsätze gelten auch für Stoffe wie die Vitamine, die im Allgemeinen an sich nicht schädlich sind, jedoch bei übermäßigem Verzehr besondere schädliche Wirkungen hervorrufen können. ...“

120.    Die Kommission bringt nichts vor, was die 1983 ausgedrückten Besorgnisse heute als wissenschaftlich überholt erscheinen ließe.

121.    Ich bin folglich der Ansicht, dass die Kommission auch in den Fällen der mit Vitaminen angereicherten Süßwaren und Getränke nicht rechtlich hinreichend bewiesen hat, dass die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen hat.

122.    Schließlich macht die Kommission in ihrer Erwiderung geltend, die französische Regelung befreie die zuständigen Behörden von der Pflicht, in jedem Fall und für jedes Erzeugnis zu begründen, dass ein Verbot im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit notwendig sei. Keines der beiden betreffenden Dekrete mache nämlich die Unschädlichkeit eines Stoffes zur Bedingung dafür, dass dieser in die Positivlisten aufgenommen werde. Das in diesen Bestimmungen vorgesehene Verfahren ziele darauf ab, die Verwendung der betreffenden Stoffe „erlaubt“ zu machen, ohne ein Kriterium dafür anzugeben oder zu definieren, was ein erlaubtes Erzeugnis sei. In keinem Fall gründe sich der „erlaubte“ Charakter auf die Unschädlichkeit des betreffenden Erzeugnisses. Dies habe zur Folge, dass die Kontrollbehörden nicht nachweisen müssten, dass die auf den Markt gebrachten Erzeugnisse gesundheitsgefährdend seien, und dass sie sich damit begnügen könnten, sich auf ihren „verfälschten“ Charakter im Sinne des Verbraucherschutzrechts zu berufen.

123.    Auch diese Rüge der Kommission ist nicht begründet. Wie die französische Regierung zeigt, sieht das Verfahren, das sich aus den Dekreten vom 15. April 1912 und vom 29. August 1991 ergibt, vor, dass die Stoffe durch einen Erlass nach Gutachten wissenschaftlicher Instanzen zugelassen werden. Es handelt sich um den OHF, dessen Rolle seit dem Gesetz 98-585 vom 1. Juli 1998 von der französischen Stelle für Lebensmittelsicherheit übernommen worden ist, sowie um die Nationale Akademie der Medizin. Die Rolle dieser Instanzen ist es gerade, die Unschädlichkeit neuer Stoffe, für die Zulassungen zur Verwendung beantragt werden, zu bewerten.

124.    Dagegen wendet die Kommission ein, dass der OHF nicht systematisch angehört werde. In den Fällen, in denen die Wirtschaftsteilnehmer auf das Verfahren nach den Dekreten von 1912 und 1991 verzichteten, würde nämlich einfach aufgrund der Feststellung der „Verfälschung“ und nicht aufgrund einer wissenschaftlichen Untersuchung der Gefahr, die ihre Erzeugnisse darstellen könnten, gegen sie vorgegangen.

125.    Jedoch ist es, wenn Lebensmittel, die einen verbotenen, in Frankreich nicht zugelassenen Stoff enthalten, direkt auf den Markt gebracht werden, ohne dass eine Aufnahme dieses Stoffes in die Positivliste beantragt worden ist, ganz selbstverständlich, dass die zuständigen Behörden sofort Maßnahmen ergreifen, ohne dass sie zuvor die Schädlichkeit dieses Stoffes beweisen müssten. Anderenfalls wäre das gesamte System der Positivliste in Frage gestellt.

126.    Zudem kann ein Mitgliedstaat, wie oben festgestellt, das Inverkehrbringen eines Lebensmittels auch dann verbieten, wenn dieses keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit mit sich bringt, aber in einer Weise angeboten wird, die den Verbraucher glauben lässt, dass es günstige Wirkungen habe, die ihm in Wirklichkeit fehlen.

127.    Schließlich haben die Parteien noch die Frage erörtert, ob allein das Fehlen eines Nährwerts ein Kriterium sein kann, das ein Hindernis für den freien Verkehr rechtfertigt.

128.    Das kann dahin stehen, da die Französische Republik bewiesen hat, dass das Inverkehrbringen der fraglichen Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit und/oder für den Verbraucherschutz bedeutete.

129.    Jedoch scheint das Fehlen eines Nährwerts nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ebenfalls ein Kriterium zu sein, das ein Hindernis rechtfertigen kann. Im Urteil vom 16. Juli 1992, Kommission/Frankreich, hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, dass „die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Aufnahme eines Zusatzstoffs in das fragliche Verzeichnis nur ablehnen [dürfen], wenn dieser keinem echten Bedürfnis, insbesondere technologischer Art, entspricht (24) oder wenn er eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt“ (25) .

130.    Da der Gerichtshof anerkennt, dass die Mitgliedstaaten das Recht haben, über das Niveau des Schutzes zu entscheiden, den sie in den Bereichen sicherstellen wollen, in denen keine Harmonisierung eingetreten ist, bedeutet dies im Ergebnis zwangsläufig, dass sie eine Gefahr dort sehen können, wo andere Mitgliedstaaten dies nicht tun oder die Wirkungen eines gegebenen Stoffes nicht einmal untersuchen.

131.    Dies bedeutet auch, dass ein Mitgliedstaat nicht gehalten ist, eine erhebliche Gefahr mit absoluter Sicherheit zu beweisen. Es genügt, dass er konkret und überzeugend dartut, dass der Schutz der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der Verbraucher wirklich gefährdet ist. Dem ist die Französische Republik nachgekommen; die Kommission konnte das Gegenteil nicht beweisen.

132.    Ich komme demzufolge zu dem Ergebnis, dass der dritte Klagegrund der Kommission, wonach die französischen Behörden „das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert haben, ohne festgestellt zu haben, dass das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit darstellt“, verworfen werden muss.

Kosten

133.    Es ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die Französische Republik mit einem der drei Punkte der Klage, die Kommission aber mit einem wesentlichen Teil ihrer Klagegründe unterlegen ist. Demzufolge schlage ich vor, dass jede Partei aufgrund von Artikel 69 Absatz 3 der Verfahrensordnung zur Tragung ihrer eigenen Kosten verurteilt wird.

IV – Ergebnis

134.    Ich schlage vor,

festzustellen, dass die Französische Republik ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verletzt hat, weil sie, was das Inverkehrbringen von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln in Frankreich betrifft, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind und die Zusatzstoffe enthalten, für die Aufnahme dieser Stoffe in die im nationalen Recht vorgesehene abschließende Liste kein leicht zugängliches Verfahren vorgesehen hat, das in angemessener Frist beendet werden kann und gegen dessen negativen Ausgang der Rechtsweg eröffnet ist;

die Klage im Übrigen abzuweisen;

jede Partei zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.


1
Originalsprache: Französisch.


2
ABl. L 186, S. 27, Hervorhebung des Verfassers.


3
ABl. 1989, L 40, S. 27.


4
Hervorhebung im Original.


5
ABl. L 175, S. 35.


6
7/71, Slg. 1971, 1003, Randnr. 13.


7
Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe-Zentral, Slg. 1979, 649).


8
C-184/96, Slg. 1998, I-6197, im Folgenden: Urteil Stopfleber.


9
Siehe Randnr. 7 des Urteils.


10
Hervorhebung des Verfassers.


11
Hervorhebung des Verfassers.


12
Hervorhebung des Verfassers.


13
Randnr. 25.


14
Hervorhebung des Verfassers.


15
C-344/90, Slg. 1992, I-4719.


16
Randnr. 9.


17
Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94 (Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 102).


18
Urteil vom 18. Mai 2000 in der Rechtssache C-107/97 (Slg. 2000, I-3367, Randnr. 51).


19
Hervorhebung des Verfassers.


20
Randnr. 8.


21
Urteil vom 17. September 1998 in der Rechtssache C-400/96 (Harpegnies, Slg. 1998, I-5121, Randnr. 33).


22
Urteil Harpegnies, Randnr. 34.


23
227/82, Slg. 1983, 3883, Randnrn. 36 bis 38.


24
Hervorhebung des Verfassers.


25
Randnr. 10.