Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Wettbewerb - Gemeinschaftsvorschriften - Unternehmen - Begriff - Rechtsanwälte - Einbeziehung

(EG-Vertrag, Artikel 85, 86 und 90 [jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG])

2. Wettbewerb - Kartelle - Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen - Begriff - Von der Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats erlassene Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe - Einbeziehung

(EG-Vertrag, Artikel 85 [jetzt Artikel 81 EG])

3. Wettbewerb - Kartelle - Beeinträchtigung des Wettbewerbs - Von der Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats verhängtes Verbot von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern - Würdigung des Gesamtzusammenhangs der Verbotsregelung - Rechtfertigung - Ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1 [jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG])

4. Wettbewerb - Beherrschende Stellung - Kollektive beherrschende Stellung - Begriff - Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats - Ausschluss

(EG-Vertrag, Artikel 86 [jetzt Artikel 82 EG])

5. Freizügigkeit - Niederlassungsfreiheit - Freier Dienstleistungsverkehr - Bestimmungen des Vertrages - Anwendungsbereich - Nichtstaatliche Vorschriften zur kollektiven Regelung selbständiger Tätigkeiten und Dienstleistungen - Einbeziehung

(EG-Vertrag, Artikel 52 und 59 [nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG])

6. Freizügigkeit - Niederlassungsfreiheit - Freier Dienstleistungsverkehr - Beschränkungen - Von der Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats verhängtes Verbot von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern - Rechtfertigung - Ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs

(EG-Vertrag, Artikel 52 und 59 [nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG])

Leitsätze

1. Rechtsanwälte üben eine wirtschaftliche Tätigkeit aus und sind daher Unternehmen im Sinne der Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG); dass ihre Dienstleistungen komplex und fachspezifisch sind und dass ihre Berufsausübung Regeln unterliegt, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Rechtsanwälte bieten nämlich gegen Entgelt juristische Dienstleistungen in Form der Erstattung von Gutachten, der Ausarbeitung von Verträgen und anderen Dokumenten sowie des Beistands und der Vertretung vor Gericht an. Sie tragen zudem die mit der Ausübung dieser Tätigkeiten verbundenen finanziellen Risiken, da sie im Falle eines Ungleichgewichts zwischen den Ausgaben und den Einnahmen die Verluste selbst zu tragen haben.

( vgl. Randnrn. 48-49 )

2. Erlässt eine Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe, so liegt darin weder die Erfuellung einer auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhenden Aufgabe noch die Ausübung typischerweise hoheitlicher Befugnisse. Sie handelt vielmehr als Organ zur Regelung eines Berufes, dessen Ausübung eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt.

Dass die Leitungsorgane einer Rechtsanwaltskammer ausschließlich aus Rechtsanwälten bestehen, die nur von den Angehörigen dieses Berufes gewählt werden, und dass die Kammer beim Erlass von Rechtsakten wie der genannten Verordnung nicht verpflichtet ist, bestimmte Kriterien des Allgemeininteresses zu berücksichtigen, spricht dafür, dass eine solcher Berufsverband, der über die Befugnis zum Erlass von Verordnungen verfügt, nicht vom Anwendungsbereich des Artikels 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) ausgenommen ist.

Angesichts des Einflusses, den die genannte Verordnung durch das Verbot bestimmter multidisziplinärer Sozietäten für das Verhalten der Mitglieder der Rechtsanwaltskammer auf dem Markt für juristische Dienstleistungen hat, fehlt ihr auch nicht jeder Bezug zum Wirtschaftsleben.

Dabei spielt es keine Rolle, dass die Rechtsanwaltskammer eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist. Artikel 85 EG-Vertrag gilt nämlich nach seinem Wortlaut für Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen. Der rechtliche Rahmen, in dem solche Vereinbarungen geschlossen und solche Beschlüsse gefasst werden, ist für die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft, insbesondere des Artikels 85 EG-Vertrag, ebenso unerheblich wie die rechtliche Einordnung dieses Rahmens durch die nationalen Rechtsordnungen.

Folglich ist eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe, die von einer derartigen Rechtsanwaltskammer erlassen wurde, als Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag anzusehen.

( vgl. Randnrn. 58, 60-63, 65-66, 71, Tenor 1 )

3. Ein Verbot gemischter Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern, das in einer Verordnung einer Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats vorgesehen ist, kann im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe b EG) die Erzeugung und die technische Entwicklung einschränken.

Allerdings werden nicht jede Vereinbarung zwischen Unternehmen oder jeder Beschluss einer Unternehmensvereinigung, durch die die Handlungsfreiheit der Parteien oder einer der Parteien beschränkt wird, automatisch vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfasst. Bei der Anwendung dieser Vorschrift im Einzelfall sind nämlich der Gesamtzusammenhang, in dem der fragliche Beschluss zustande gekommen ist oder seine Wirkungen entfaltet, und insbesondere dessen Zielsetzung zu würdigen, die hier mit der Notwendigkeit der Schaffung von Vorschriften über Organisation, Befähigung, Standespflichten, Kontrolle und Verantwortlichkeit, die den Empfängern juristischer Dienstleistungen die erforderliche Gewähr für Integrität und Erfahrung bieten, und den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege zusammenhängt. Es ist weiter zu prüfen, ob die mit dem Beschluss verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen notwendig mit der Verfolgung der genannten Ziele zusammenhängen.

Hierfür ist der rechtliche Rahmen zu berücksichtigen, der in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Rechtsanwälte und die Rechtsanwaltskammer, die aus sämtlichen in diesem Mitgliedstaat eingetragenen Rechtsanwälten besteht, auf der einen Seite und für die Wirtschaftsprüfer auf der anderen Seite gilt.

Eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe, die von der Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats erlassen wurde, verstößt daher nicht gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag, soweit diese Einrichtung bei vernünftiger Betrachtung annehmen konnte, dass die Regelung trotz der notwendig mit ihr verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen für die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, wie er in dem betreffenden Staat geordnet ist, erforderlich ist.

( vgl. Randnrn. 90, 97-98, 110, Tenor 2 )

4. Die Rechtsanwaltskammer eines Mitgliedstaats ist kein Unternehmen im Sinne von Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG), da sie keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Die Kammer kann auch nicht als Gruppe von Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung betrachtet werden, soweit die in dem betreffenden Mitgliedstaat eingetragenen Rechtsanwälte nicht so eng miteinander verbunden sind, dass sie auf dem Markt in gleicher Weise vorgehen können, so dass das zwischen ihnen bestehende Wettbewerbsverhältnis entfiele. Der Rechtsanwaltsberuf ist nämlich durch geringe Konzentration, große Heterogenität und starken Wettbewerb gekennzeichnet. Mangels hinreichender struktureller Bindungen können die Rechtsanwälte nicht als Inhaber einer kollektiven beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 EG-Vertrag angesehen werden.

( vgl. Randnrn. 112-114 )

5. Die Artikel 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) sind auch von Vorschriften nichtstaatlichen Ursprungs einzuhalten, mit denen selbständige Tätigkeiten und Dienstleistungen kollektiv geregelt werden sollen. Die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten wäre nämlich gefährdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse wirkungslos gemacht werden könnte, die sich daraus ergeben, dass nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen.

( vgl. Randnr. 120 )

6. Die Artikel 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) stehen einer nationalen Regelung in Form einer Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe, durch die Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern verboten werden, nicht entgegen, soweit diese Regelung bei vernünftiger Betrachtung als für die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, wie er in dem betreffenden Mitgliedstaat geordnet ist, erforderlich angesehen werden konnte.

( vgl. Randnr. 123, Tenor 4 )