Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 25. Februar 1999. - Europäisches Parlament gegen Rat der Europäischen Union. - Verordnungen über den Schutz des Waldes gegen Luftverschmutzung und gegen Brände - Rechtsgrundlage - Artikel 43 EG-Vertrag - Artikel 130s EG-Vertrag - Befugnisse des Parlaments. - Verbundene Rechtssachen C-164/97 und C-165/97..
Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-01139
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
1 Umwelt - Schutz der Wälder - Verordnungen zur Einführung von Maßnahmen gegen Luftverschmutzung und Brände - Rechtsgrundlage - Artikel 130s des Vertrages - Nichtigerklärung wegen Rückgriffs auf Artikel 43 des Vertrages
(EG-Vertrag, Artikel 43, 130s und Anhang II; Verordnungen Nrn. 307/97 und 308/97 des Rates)
2 Nichtigkeitsklage - Nichtigkeitsurteil - Wirkungen - Begrenzung durch den Gerichtshof - Pflicht des Rates, innerhalb angemessener Frist neue Verordnungen zu erlassen
(EG-Vertrag Artikel 173 und 174 Absatz 2)
3 Die Maßnahmen zum Schutz der Wälder vor den Gefahren der Zerstörung und Beschädigung durch Brände und Luftverschmutzung gehören von Rechts wegen zu den Aktionen zugunsten der Umwelt, für die die Zuständigkeit der Gemeinschaft auf Artikel 130s des Vertrages beruht. Die insoweit in den Verordnungen Nrn. 3528/86 und 2158/92 in der Fassung der Verordnungen Nrn. 307/97 bzw. 308/97 genannten Maßnahmen zum Schutz der Wälder vor diesen Gefahren können zwar bestimmte positive Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben; diese mittelbaren Folgen ergeben sich jedoch nur beiläufig gegenüber dem Hauptziel der Gemeinschaftsaktion, den Wald zu schützen, das auf die Erhaltung und Nutzbarmachung des von den Forstökosystemen gebildeten Naturerbes gerichtet ist, ohne nur deren Nutzen für die Landwirtschaft im Auge zu haben.
Ausserdem erfasst Anhang II des Vertrages, der die Erzeugnisse aufzählt, für die die Artikel 39 bis 46 über die Landwirtschaft gelten, nicht allgemein Bäume und Erzeugnisse der Forstwirtschaft, auch wenn einige dieser Erzeugnisse, isoliert betrachtet, in den Geltungsbereich dieser Artikel fallen können. Daher stellen die Verordnungen Nrn. 307/97 und 308/97 keine Regelung über die Produktion und die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse dar, für die Artikel 43 des Vertrages die zutreffende Rechtsgrundlage dargestellt hätte, soweit diese Regelung zur Verwirklichung eines oder mehrerer Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik beiträgt. Daher hat der Rat dadurch, daß er diese Verordnungen auf Artikel 43 des Vertrages gestützt hat, während Artikel 130s hierfür die zutreffende Rechtsgrundlage gewesen wäre, wesentliche Formvorschriften sowie die Rechte des Parlaments verletzt. Die angefochtenen Verordnungen sind daher für nichtig zu erklären.
4 Die Durchführung von in den Mitgliedstaaten mit Unterstützung der Gemeinschaft unternommenen Umweltschutzaktionen könnte ernstlich beeinträchtigt werden, wenn es zu einer uneingeschränkten Aufhebung der Verordnungen Nrn. 307/97 und 308/97 käme. Der Gerichtshof macht daher von seiner Befugnis aus Artikel 174 Absatz 2 des Vertrages Gebrauch, zu entscheiden, daß die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnungen in vollem Umfang aufrechtzuerhalten sind, bis der Rat innerhalb angemessener Frist neue Verordnungen mit demselben Gegenstand erlässt.
1 Das Europäische Parlament hat mit Klageschriften, die am 30. April 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 307/97 des Rates vom 17. Februar 1997 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3528/86 über den Schutz des Waldes in der Gemeinschaft gegen Luftverschmutzung (ABl. L 51, S. 9) und der Verordnung (EG) Nr. 308/97 des Rates vom 17. Februar 1997 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2158/92 zum Schutz des Waldes in der Gemeinschaft gegen Brände (ABl. L 51, S. 11).
2 Durch Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. Juni 1997 sind diese beiden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
3 Die Verordnungen Nrn. 307/97 und 308/97, mit denen die Dauer der Gemeinschaftsaktionen zur Verbesserung des Schutzes des Waldes gegen Luftverschmutzung und gegen Brände um weitere fünf Jahre verlängert werden soll, sind auf Artikel 43 EG-Vertrag gestützt.
4 Die Aktion zum Schutz gegen Luftverschmutzung wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 3528/86 des Rates vom 17. November 1986 (ABl. L 326, S. 2) ursprünglich für fünf Jahre eingeführt, um "den Schutz der Wälder der Gemeinschaft zu verbessern und damit auch zum Schutz des landwirtschaftlichen Produktionspotentials beizutragen", und zur "Unterstützung der Mitgliedstaaten bei
- einer in regelmässigen Zeitabständen durchzuführenden Erhebung der insbesondere durch die Luftverschmutzung verursachten Waldschäden auf gemeinsamer methodischer Grundlage;
- der koordinierten und harmonischen Einrichtung oder Ergänzung eines Netzes von Probeflächen für die Durchführung dieser Erhebung".
Diese Verordnung war auf die Artikel 43 und 235 EG-Vertrag gestützt.
5 Die Verordnung Nr. 3528/86 wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 2157/92 des Rates vom 23. Juli 1992 (ABl. L 217, S. 1) geändert, durch die die vorgesehene Dauer der Gemeinschaftsaktion verlängert und diese Aktion wie folgt neu definiert wurde:
"Ziel der Aktion ist die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei
- einer in regelmässigen Zeitabständen auf gemeinsamer methodischer Grundlage durchzuführenden Erhebung über die insbesondere durch Luftverschmutzung verursachten Waldschäden;
- der koordinierten und ausgewogenen Einrichtung oder Vervollständigung des für die Durchführung dieser Erhebung erforderlichen Netzes von Beobachtungsflächen;
- einer intensiven und fortgesetzten Überwachung der forstlichen Ökosysteme;
- der koordinierten und ausgewogenen Einrichtung oder Vervollständigung der für diese intensive und fortgesetzte Überwachung nötigen Dauerprobeflächen."
Diese Verordnung war auf die Artikel 43 und 130s EG-Vertrag gestützt.
6 Die Aktion zum Schutz gegen Brände wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 3529/86 des Rates vom 17. November 1986 über den Schutz des Waldes in der Gemeinschaft gegen Brände (ABl. L 326, S. 5) ursprünglich für fünf Jahre eingeführt, um "den Schutz der Wälder der Gemeinschaft zu verbessern und damit auch zum Schutz des landwirtschaftlichen Produktionspotentials beizutragen". "Die Aktion sieht folgende vorbeugende Maßnahmen vor:
a) Förderung geeigneter waldbaulicher Maßnahmen zur Verminderung der Brandgefahr;
b) Förderung der Anschaffung von Abbuschgeräten, wenn dies unerläßlich ist;
c) Anlage von Waldwegen, Brandschutzstreifen und Wasserentnahmestellen;
d) Schaffung ortsfester oder mobiler Überwachungseinrichtungen;
e) Maßnahmen zur Aufklärung der Öffentlichkeit;
f) Hilfe bei der Errichtung interdisziplinärer Zentren zur Datensammlung und bei der Durchführung von Untersuchungen zur Analyse der gesammelten Daten.
Diese Maßnahmen werden ergänzt durch
- Förderung der Ausbildung von hochspezialisiertem Fachpersonal;
- Förderungsmaßnahmen zur Harmonisierung der Techniken und des Materials;
- Koordinierung der für die Durchführung der im ersten und zweiten Gedankenstrich genannten erforderlichen Forschungsarbeiten"
Diese Verordnung war auf die Artikel 43 und 235 des Vertrages gestützt.
7 Eine neue Gemeinschaftsaktion zum Schutz des Waldes gegen Brände wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1992 durch die Verordnung (EWG) Nr. 2158/92 des Rates vom 23. Juli 1992 (ABl. L 217, S. 3) für eine Dauer von fünf Jahren eingeführt. Die Aktion "bezweckt
- die Verringerung von Waldbränden und - die Verringerung von Brandflächen"
und umfasst "folgende Maßnahmen:
a) Ermittlung der Brandursachen und Mittel zur ihrer Ausschaltung, insbesondere
- Studien zur Ermittlung der Brandursachen;
- Studien über Aktionsvorschläge zur Ausschaltung der Brandursachen;
- Informations- und Sensibilisierungskampagnen;
b) Schaffung bzw. Verbesserung von Brandverhütungssystemen, insbesondere durch Schutzanlagen wie Waldwege, Brandschutzstreifen, Wasserentnahmestellen, Feuerschneisen, Entstrüppungsflächen und Anlage von nichtforstlichen Nutzflächen, durch Maßnahmen zur Unterhaltung der Feuerschneisen, Entstrüppungsflächen und nichtforstlichen Nutzflächen sowie durch vorbeugende Waldbaumaßnahmen im Rahmen einer umfassenden Brandschutzstrategie;
c) Schaffung bzw. Verbesserung von Waldbrandüberwachungssystemen, die auch die personenbezogene Schadensabwehr und -verhütung einbeziehen, insbesondere durch Anlage ortsfester oder mobiler Überwachungseinrichtungen und Beschaffung von Kommunikationsmitteln;
d) flankierende Maßnahmen, insbesondere
- Ausbildung von hochspezialisiertem Fachpersonal;
- Durchführung von analytischen Studien und Pilot- sowie Demonstrationsvorhaben für neue Methoden, Techniken und Technologien, mit denen die Effizienz der Aktion verbessert werden soll"
Diese Verordnung war auf die Artikel 43 und 130s des Vertrages gestützt.
8 Das Parlament macht zur Begründung seiner Klage geltend, die Änderungsverordnungen Nrn. 307/97 und 308/97 seien auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage gestützt, wodurch seine Befugnisse im Gesetzgebungsverfahren verletzt worden seien. Die beiden Verordnungen hätten auf Artikel 130s des Vertrages gestützt und damit vom Rat im Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Parlament nach Artikel 189c des Vertrages erlassen werden müssen; statt dessen seien diese Rechtsakte nur auf Artikel 43 gestützt worden, und es habe nur eine einfache Anhörung des Parlaments stattgefunden.
9 Die in den Verordnungen vorgesehenen Gemeinschaftsmaßnahmen zum Schutz des Waldes stellten sowohl ihrem Zweck als auch ihrem Inhalt nach spezifische Aktionen im Umweltbereich dar, die sich nur mittelbar und am Rande auf die gemeinsame Agrarpolitik auswirkten. Weder Bäume noch Wald seien nämlich in der Liste in Anhang II des EG-Vertrags genannt, so daß sie keine Erzeugnisse seien, für die die Artikel 39 bis 46 EG-Vertrag gälten. Die einzigen die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik flankierenden Maßnahmen, die den Wald beträfen, seien Maßnahmen zur Aufforstung nicht genutzter Flächen und zur Pflanzung von Bäumen zum Schutz der landwirtschaftlichen Flächen. Sie seien von den fraglichen Verordnungen nicht betroffen, die vor allem die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts bezweckten und als solche unter die gemeinsame Umweltpolitik fielen.
10 Der Rat räumt ein, daß Holz und Wald keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Sinne des Vertrages seien, führt jedoch aus, daß die Agrarpolitik nicht nur eine Erzeugnis- sondern auch eine Strukturpolitik sei. Dazu trägt er vor, mit der ab 1992 auf der Grundlage der Artikel 42 und 43 des Vertrages eingeführten Beihilferegelung für die Aufforstung der landwirtschaftlichen Flächen sei eine Forststrategie eingeleitet worden, die darauf abziele, bei der Nutzbarmachung des Waldes die Landwirte immer stärker einzubeziehen und der Gemeinschaftsaktion für den Wald den Umweltcharakter zu nehmen, den sie ursprünglich hauptsächlich gehabt habe. Daher habe Artikel 43 als alleinige Rechtsgrundlage für die fraglichen Verordnungen dienen können. Mit diesen sei zwar unbestreitbar ökologischen Erfordernissen Rechnung getragen worden; da es sich hierbei jedoch nur um untergeordnete Erfordernisse handele, müsse nach der einschlägigen Rechtsprechung die Zugehörigkeit zu der gemeinsamen Politik, auf die sich die Aktion in erster Linie beziehe, im Vordergrund stehen. Dies gelte insbesondere für die Agrarpolitik, deren Bestimmungen einen durch Artikel 38 Absatz 2 EG-Vertrag gewährleisteten Vorrang vor den allgemeinen Bestimmungen über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes genössen.
11 Die Kommission macht als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates geltend, daß die Bäume und damit der Wald als in Anhang II des Vertrages aufgezählte Erzeugnisse anzusehen seien, für die die Gemeinschaftszuständigkeit auf Artikel 43 beruhe. Sie beruft sich hierfür darauf, daß in der "Brüsseler Nomenklatur" eine Position "Andere lebende Pflanzen und Wurzeln" aufgeführt sei, die auch Bäume umfasse.
12 Nach ständiger Rechtsprechung muß sich im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (vgl. z. B. Urteile vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939, Randnr. 7, und vom 23. Februar 1999 in der Rechtssache C-42/97, Parlament/Rat, Slg. 1999, I-0000, Randnr. 36).
13 Aus den Bestimmungen der Verordnungen in der geänderten Fassung folgt, daß mit den gemeinsamen Aktionen zum Schutz des Waldes teils landwirtschaftliche Ziele verfolgt werden, da sie insbesondere bezwecken, zum Schutz des landwirtschaftlichen Produktionspotentials beizutragen, und teils Umweltziele im eigentlichen Sinn, da sie in erster Linie auf die Aufrechterhaltung und Überwachung der forstlichen Ökosysteme gerichtet sind.
14 In einem solchen Fall ist im Hinblick auf die Bestimmung der zutreffenden Rechtsgrundlage zu prüfen, ob sich die betreffenden Maßnahmen hauptsächlich auf einen Aktionsbereich beziehen und sich auf andere Politikbereiche nur beiläufig auswirken oder ob die beiden Aspekte gleichermassen wesentlich sind. Im ersten Fall genügt es, eine einzige Rechtsgrundlage heranzuziehen (Urteile vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache 70/88, Parlament/Rat, Slg. 1991, I-4529, Randnr. 17, und vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-271/94, Parlament/Rat, Slg. 1996, I-1689, Randnrn. 32 und 33); im zweiten Fall reicht dies nicht aus (Urteile vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 242/87, Kommission/Rat, Slg. 1989, 1425, Randnrn. 33 bis 37, und vom 7. März 1996 in der Rechtssache C-360/93, Parlament/Rat, Slg. 1996, I-1195, Randnr. 30), und das Organ ist verpflichtet, den Rechtsakt auf der Grundlage der beiden seine Zuständigkeit begründenden Bestimmungen zu erlassen (Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 165/87, Kommission/Rat, Slg. 1988, 5545, Randnrn. 6 bis 13). Eine solche Verbindung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die für die beiden Rechtsgrundlagen jeweils vorgesehenen Verfahren miteinander unvereinbar sind (Urteil vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867, Randnrn. 17 bis 21).
15 Was die gemeinsame Agrarpolitik und die gemeinschaftliche Umweltpolitik angeht, so ist der Rechtsprechung kein rechtlicher Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß grundsätzlich der einen Politik Vorrang vor der anderen einzuräumen wäre. Nach der Rechtsprechung gehört eine Gemeinschaftsmaßnahme nicht schon deshalb zum Wirken der Gemeinschaft im Umweltbereich, weil sie die Schutzerfordernisse des Artikels 130r Absatz 2 EG-Vertrag berücksichtigt (Urteil vom 29. März 1990 in der Rechtssache C-62/88, Griechenland/Rat, Slg. 1990, I-1527, Randnr. 20). Die Artikel 130r und 130s lassen die Zuständigkeiten unberührt, die die Gemeinschaft aufgrund anderer Vorschriften des Vertrages besitzt, und stellen nur eine Rechtsgrundlage für spezifische Maßnahmen im Umweltbereich dar (vgl. für die im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik geregelte Verwendung von Treibnetzen Urteil vom 24. November 1993 in der Rechtssache C-405/92, Mondiet, Slg. 1993, I-6133, Randnrn. 25 bis 27). Dagegen müssen Bestimmungen, die speziell zur Umweltpolitik gehören, auf Artikel 130s des Vertrages gestützt werden (zu Abfallbeseitigungsrichtlinien vgl. Urteil Kommission/Rat vom 17. März 1993), auch wenn sie sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken (zu einer Verordnung über die Verbringung von Abfällen vgl. Urteil vom 28. Juni 1994 in der Rechtssache C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Randnrn. 24 bis 26) oder wenn sie u. a. die Verbesserung der Produktion der Landwirtschaft bezwecken (zu einer Richtlinie über Pflanzenschutzmittel vgl. Urteil vom 18. Juni 1996 in der Rechtssache C-303/94, Parlament/Rat, Slg. 1996, I-2943).
16 Im vorliegenden Fall können die in den Verordnungen genannten Maßnahmen zwar bestimmte positive Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben; diese mittelbaren Folgen ergeben sich jedoch nur beiläufig gegenüber dem Hauptziel der Gemeinschaftsaktion, den Wald zu schützen, das auf die Erhaltung und Nutzbarmachung des von den Forstökosystemen gebildeten Naturerbes gerichtet ist, ohne nur deren Nutzen für die Landwirtschaft im Auge zu haben. Die Maßnahmen zum Schutz der Wälder vor den Gefahren der Zerstörung und Beschädigung durch Brände und Luftverschmutzung gehören von Rechts wegen zu den Aktionen zugunsten der Umwelt, für die die Zuständigkeit der Gemeinschaft auf Artikel 130s des Vertrages beruht.
17 Das Argument der Kommission, daß Bäume und Wälder insgesamt landwirtschaftliche Erzeugnisse darstellten, die unter Titel II des Vertrages fielen, geht fehl.
18 "Lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels" sind nämlich nach der Numerierung der Brüsseler Nomenklatur in Kapitel 6 der Liste in Anhang II des Vertrages aufgeführt. Da es gemeinschaftsrechtliche Vorschriften zur Erläuterung der in diesem Anhang aufgeführten Begriffe nicht gibt, ist dieser Anhang unter Zugrundelegung der gesicherten Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs und anhand der insoweit anerkannten Auslegungsmethoden auszulegen (Urteil vom 29. Februar 1984 in der Rechtssache 77/83, CILFIT u. a., Slg. 1984, 1257, Randnr. 7). Die der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) als Anhang beigefügte Kombinierte Nomenklatur enthält in Kapitel 6 die Position 0602 "Andere lebende Pflanzen (einschließlich ihrer Wurzeln), Stecklinge und Pfropfreiser; Pilzmycel" mit einer Unterposition 0602 20 "Bäume, Sträucher und Büsche von genießbaren Fruchtarten (Obstgehölze), auch veredelt". In der ersten Anmerkung zu diesem Kapitel heisst es unter einem im vorliegenden Fall nicht einschlägigen Vorbehalt: "Zu diesem Kapitel gehören ... nur Waren, die gewöhnlich von Gärtnereien, von Baumschulen oder vom Blumenhandel zu Pflanz- oder Zierzwecken geliefert werden." Anhang II erfasst somit entgegen der Auffassung der Kommission nicht allgemein Bäume und Erzeugnisse der Forstwirtschaft, auch wenn einige dieser Erzeugnisse, isoliert betrachtet, in den Geltungsbereich der Artikel 39 bis 46 des Vertrages fallen können.
19 Daher stellen die angefochtenen Verordnungen keine Regelung über die Produktion und die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse dar, für die Artikel 43 des Vertrages die zutreffende Rechtsgrundlage dargestellt hätte, soweit diese Regelung zur Verwirklichung eines oder mehrerer der in Artikel 39 des Vertrages genannten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik beiträgt (Urteile vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 855, und in der Rechtssache 131/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 905).
20 Daher macht das Parlament zu Recht geltend, daß der Rat dadurch, daß er die angefochtenen Verordnungen auf Artikel 43 des Vertrages gestützt hat, während Artikel 130s hierfür die zutreffende Rechtsgrundlage gewesen wäre, wesentliche Formvorschriften sowie die Rechte des Parlaments verletzt habe. Die angefochtenen Verordnungen sind daher für nichtig zu erklären.
Zur Begrenzung der Wirkungen der Nichtigerklärung
21 Der Rat beantragt, die Wirkungen einer etwaigen Nichtigerklärung auszusetzen, bis eine neue Regelung auf der zutreffenden Rechtsgrundlage und im zutreffenden Verfahren erlassen worden ist. Das Parlament widerspricht diesem Antrag nicht; allerdings müssten die neuen Verordnungsvorschläge innerhalb angemessener Frist ihm übermittelt und erlassen werden.
22 Angesichts des Gegenstands der Verordnungen Nrn. 307/97 und 308/97 könnte die Durchführung von in den Mitgliedstaaten mit Unterstützung der Gemeinschaft unternommenen Umweltschutzaktionen ernstlich beeinträchtigt werden, wenn es zu einer uneingeschränkten Aufhebung dieser Verordnungen käme.
23 Der Gerichtshof macht daher von seiner Befugnis aus Artikel 174 Absatz 2 EG-Vertrag Gebrauch, diejenigen Wirkungen einer für nichtig erklärten Verordnung zu bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind.
24 Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist die Entscheidung angemessen, daß die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnungen in vollem Umfang aufrechtzuerhalten sind, bis der Rat innerhalb angemessener Frist neue Verordnungen mit demselben Gegenstand erlässt.
Kosten
25 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament die Verurteilung des Rates beantragt hat und der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind diesem die Kosten aufzuerlegen. Nach § 4 Absatz 1 dieses Artikels hat die Kommission, die dem Rechtsstreit beigetreten ist, ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Verordnungen (EG) Nr. 307/97 des Rates vom 17. Februar 1997 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3528/86 über den Schutz des Waldes in der Gemeinschaft gegen Luftverschmutzung und Nr. 308/97 des Rates vom 17. Februar 1997 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2158/92 zum Schutz des Waldes in der Gemeinschaft gegen Brände werden für nichtig erklärt.
2. Die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnungen werden aufrechterhalten, bis der Rat innerhalb angemessener Frist neue Verordnungen mit demselben Gegenstand erlässt.
3. Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt ihre eigene Kosten.