61997C0359

Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 27. Januar 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland. - Vertragsverletzung - Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuer - Gestattung der Straßenbenutzung gegen eine Maut - Kein Mehrwertsteuer-Tatbestand - Verordnungen (EWG, Euratom) Nrn. 1552/89 und 1553/89 - Mehrwertsteuereigenmittel. - Rechtssache C-359/97.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06355


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einführung

1 Die Kommission erhebt im Rahmen des vorliegenden Vertragsverletzungsverfahrens den Vorwurf, das Vereinigte Königreich habe gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, indem die Gebühren für die Benutzung von Straßen und Brücken (Maut) nicht der Mehrwertsteuer unterworfen worden und dadurch keine entsprechenden Zahlungen von Eigenmitteln nebst Zinsen erfolgt seien.(1)

2 Im Vereinigten Königreich läßt sich die mautpflichtige Infrastruktur im wesentlichen in drei Kategorien aufteilen.

3 Erstens ist die Erskine Bridge über den Fluß Clyde zu nennen, die sich im Eigentum des schottischen Secretary of State befindet und von diesem bewirtschaftet wird. Die zweite Kategorie bilden die Tunnel von Tine und Mersey sowie die Brücken von Tay, Tamar, Itchen, Humber, Cleddau, Forth Road und Clifton Suspension, die - bis auf die Brücke von Tamar - alle im Eigentum einer lokalen Behörde, der Local passenger transport authority (im folgenden: PTA)(2) stehen. Die PTA übernehmen auch die Bewirtschaftung der jeweiligen Infrastruktur, bis auf die der Brücken von Tay, Humber und Forth Road. Diese werden von einem Bridge Board, das von den zuständigen lokalen Behörden eingesetzt und kontrolliert wird, bewirtschaftet. Die Tamar-Brücke ist Eigentum der Räte der Grafschaft Cornwall und Plymouth. Sie fällt in die Zuständigkeit einer beigeordneten Kommission, die aber nicht aufgrund eines Gesetzes oder durch eine lokale Behörde geschaffen wird. Zur dritten Kategorie - den sogenannten PFI (Private Finance Initiative) crossings - gehören die Dartford River Crossing (Themse) und die Brücken von Severn und Skye. Deren Bewirtschaftung wurde vom zuständigen Secretary of State an Konzessionäre übertragen.

4 Allen Kategorien gemeinsam ist, daß die im Rahmen der Bewirtschaftung eingenommene Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen wurde.

II - Vorverfahren

5 Die Kommission machte die britischen Behörden auf das Problem der Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf die Maut für Straßen und Brücken mit Schreiben vom 27. März 1987 aufmerksam.

6 In ihrem Antwortschreiben vom 3. Juli 1987 verwiesen die britischen Behörden darauf, daß eine Änderung des britischen Mehrwertsteuersystems nicht vor einer Klärung durch den Beratenden Ausschuß für Mehrwertsteuer(3) vorgenommen werden könne.

7 Im Mahnschreiben vom 20. April 1988 vertrat die Kommission die Auffassung, die Aufgabe des Beratenden Ausschusses für Mehrwertsteuer bestehe in der Prüfung von Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung der gemeinschaftlichen Bestimmungen im Bereich der Mehrwertsteuer, er habe jedoch keine Befugnis, zu entscheiden, ob Verstöße gegen die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie vorlägen. Das Mahnschreiben schloß mit der Feststellung, daß die Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf die Maut für Straßen und Brücken im Vereinigten Königreich einen Verstoß gegen die Artikel 2 und 4 Absätze 1, 2 und 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen würde.

8 Eine Antwort hierauf erfolgte mit Schreiben vom 21. Juli 1988, wobei sich die britischen Behörden auf die Bestimmung des Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie beriefen, wonach Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige gelten, wenn sie Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt ausüben. Deshalb falle die Erhebung von Maut nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

9 Hinsichtlich der Eigenmittelproblematik übermittelte die Kommission ein Schreiben am 27. November 1987. Sie informierte darin die britischen Behörden, daß die bisherige Nichterhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut dazu führen könne, daß die Beiträge für die Eigenmittel falsch berechnet worden waren. Die britische Regierung wurde aufgefordert, zu ermitteln, ob zu geringe Eigenmittelbeiträge für die Haushaltsjahre 1984 bis 1986 gezahlt worden seien, und gegebenenfalls die entsprechenden Mittel der Kommission zur Verfügung zu stellen.

10 Da hierauf keine neuen Berechnungen der Kommission mitgeteilt wurden, übermittelte sie am 31. Januar 1989 ein Mahnschreiben. Die britischen Behörden wurden erneut aufgefordert, die erforderlichen Berechnungen für die Haushaltsjahre 1984 bis 1986 vorzunehmen und der Kommission zu übersenden. Die ausstehenden Beträge zuzüglich der Verzugszinsen ab dem 31. März 1988 sollten der Kommission zur Verfügung gestellt und für die nachfolgenden Haushaltsjahre bis zur Beendigung des gerügten Verstoßes die Berechnungen jährlich und unter Einbeziehung der Verzugszinsen vorgenommen werden.

11 Mit Schreiben vom 23. März 1989 verwiesen die britischen Behörden wiederum auf die Regelung des Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie. Da daher die Erhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut nicht vorzunehmen gewesen sei, sei es nicht erforderlich, die gewünschten Daten zu übermitteln.

12 In der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 10. August 1989 nahm die Kommission zum einen Bezug auf die Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf die Maut und machte zum anderen einen Vertragsverstoß aufgrund der Weigerung der Neuberechnung und Überweisung der fälligen Eigenmittelbeiträge nebst Verzugszinsen geltend.

13 In ihrem Antwortschreiben vom 8. Dezember 1989 verwiesen die britischen Behörden wiederum auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Mautstellen.

14 Die Kommission hat daher nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben - eingegangen bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 21. Oktober 1997 - und beantragt,

1. festzustellen, daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, indem es die Maut für die Benutzung der bestehenden Mautstraßen und Mautbrücken im Vereinigten Königreich unter Verstoß gegen die Artikel 2 und 4 Absätze 1, 2 und 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat und als Folge dieses Verstoßes der Kommission nicht die entsprechenden Eigenmittel und Verzugszinsen zur Verfügung gestellt hat;

2. dem Vereinigten Königreich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

15 Die britische Regierung beantragt,

1. die Klage für unzulässig zu erklären, soweit sie sich auf vergangene Zeiträume bezieht; oder

2. die Klage abzuweisen;

3. wenn und soweit die Klage nicht abgewiesen wird, die zeitliche Wirkung des Urteils zu beschränken oder, hilfsweise, jede sonstige geeignete Beschränkung anzuordnen; und

4. der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

III - Rechtlicher Rahmen

1. Zur Erhebung der Mehrwertsteuer

Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(4) (im folgenden: Richtlinie)

16 Artikel 2 der Richtlinie bestimmt:

"Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

... "

17 Artikel 4 Absätze 1, 2 und 5 der Richtlinie lauten:

"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfaßt.

...

(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten[(5)], sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13[(6)] ... von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen."

18 Artikel 13 sieht für sonstige Steuerbefreiungen im Inland folgendes vor:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen von der Steuer:

a) ...

b) Die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme

1. der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe ..., 2. der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen, 3. der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen, 4. der Vermietung von Schließfächern.

...

c) bis h) ..." 2. Zu den Eigenmitteln

a) Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel(7)

19 Artikel 1 lautet:

"Die MWSt.-Eigenmittel ergeben sich aus der Anwendung des nach dem Beschluß 88/376/EWG, Euratom festgesetzten einheitlichen Satzes auf die gemäß dieser Verordnung festgelegte Grundlage."

20 Artikel 2 Absatz 1 bestimmt:

"Die Grundlage für die MWSt.-Eigenmittel wird anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 77/388/EWG ... festgelegt, wobei die steuerfreien Umsätze gemäß den Artikeln 13 bis 16 der genannten Richtlinie ausgenommen sind."

b) Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1552/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften(8)

21 Artikel 11 lautet:

"Bei verspäteter Gutschrift auf dem in Artikel 9 Absatz 1 genannten Konto hat der betreffende Mitgliedstaat Zinsen zu zahlen, deren Satz dem am Fälligkeitstag auf dem Geldmarkt des betreffenden Mitgliedstaats für kurzfristige Finanzierung geltenden Zinssatz - erhöht um 2 Prozentpunkte - entspricht. Dieser Satz erhöht sich um 0,25 Prozentpunkte für jeden Verzugsmonat. Der erhöhte Satz findet auf die gesamte Dauer des Verzugs Anwendung."

c) Beschluß 88/376/EWG, Euratom des Rates vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften(9)

22 Fehlende Mehrwertsteuereigenmitteleinnahmen werden durch die Bruttosozialprodukteigenmittel gemäß diesem Beschluß im Rahmen der Restfinanzierung ausgeglichen, was zu einer Umverteilung zu Lasten der anderen Mitgliedstaaten führt.

IV - Parteivorbringen

23 Die Kommission trägt vor, im Vereinigten Königreich(10) gebe es mehrere der Öffentlichkeit gegen Zahlung einer Maut zugängliche Straßen, Brücken und Tunnel, wobei das nationale Mehrwertsteuersystem nicht vorsehe, daß diese Maut der Mehrwertsteuer unterworfen werde. Die jeweiligen Behörden(11) hätten die Möglichkeit, Konzessionen für die Planung, den Bau und den Unterhalt von Straßen zu vergeben. In Schottland könne diese Konzession auch die wirtschaftliche Nutzung oder Verbesserung der Straßen betreffen. Im Gegenzug könne eine Maut für die Nutzung der betreffenden Straße erhoben werden. Diese Maut werde von der zuständigen lokalen Behörde in Zusammenarbeit mit dem Transportministerium festgelegt. Hierbei werde auch die Dauer einer Mauterhebung geregelt, die an besondere finanzielle Zwecke oder an die Nutzung durch eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen gekoppelt sei.

24 Auf einigen Straßen werde die Maut für Rechnung des Ministers durch Dritte im Rahmen der Konzession erhoben. Andere mautpflichtige Straßen befänden sich dagegen im Privatbesitz; beide Systeme hätten der Mehrwertsteuer unterworfen werden müssen.

25 Zur Zulässigkeit ihrer Klage trägt die Kommission vor, im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag gebe es keine Klagefrist. Da die britische Regierung keine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte nachgewiesen habe und es sich um kein einem Zivil- oder Strafprozeß vergleichbares Verfahren handele, sei die Klage auch dann zulässig, wenn zwischen dem Vorverfahren und der Klageerhebung ein größerer Zeitraum gelegen habe.

26 Für den vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß eine wirtschaftliche Tätigkeit eines Steuerpflichtigen vorliege. Das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit sei objektiv unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität zu ermitteln. Werde eine entgeltliche Leistung erbracht, so sei die Besteuerungsgrundlage der Gegenwert dieser Leistung. Da im vorliegenden Fall die Zahlung einer Maut jedes Mal dann erfolge, wenn einem Fahrzeug die Nutzung einer Straße erlaubt werde, bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Entgelt.

27 Eine Anwendung von Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 komme nach Auffassung der Kommission vorliegend nicht in Betracht, denn dieser Vorschrift könnten nur solche Tätigkeiten unterfallen, die zum Kernbereich der öffentlichen Aufgaben zählten und die von der öffentlichen Einrichtung selbst wahrgenommen würden. Die Tatsache dagegen, daß ein privater Wirtschaftsteilnehmer - der Konzessionär - Tätigkeiten wahrnehme, die zwar im Allgemeininteresse liegen, führe nicht dazu, daß diese Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer ausgenommen seien.

28 Der jeweilige Straßenbenutzer werde mit der Frage einer wirtschaftlichen Entscheidung konfrontiert. Er müsse zwischen dem Preis der Maut einerseits, der Zeitersparnis und dem Benzinverbrauch auf der anderen Seite abwägen. Wenn aber die Bereitstellung einer Straßeninfrastruktur zu solchen Überlegungen Anlaß gebe, würden die jeweiligen Einrichtungen nicht mehr in Erfuellung hoheitlicher Aufgaben handeln und die Erhebung der Maut sei somit keine spezifische Aufgabe im Rahmen der öffentlichen Gewalt.

29 Auch wenn sich die staatlichen Behörden ein allgemeines Aufsichts- und Prüfungsrecht vorbehalten hätten, würden die Infrastrukturbetreiber wie wirtschaftlich handelnde Private tätig.

30 Entgegen der Auffassung der britischen Regierung liege auch keine steuerbefreite Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken vor. Um eine Vermietung könne es sich nur dann handeln, wenn dem Mieter vom Eigentümer ein bestimmtes Gebiet oder ein bestimmter Raum zur ausschließlichen Nutzung für eine bestimmte Dauer gegen Zahlung eines entsprechenden Entgelts überlassen werde. Vorliegend könne jedoch nicht von einer Vermietung gesprochen werden, da kein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt werde, sondern lediglich das Recht, eine Straße zu befahren.

31 Eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des Urteils in diesem Verfahren hält die Kommission für nicht angebracht. Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag sei der jeweilige Mitgliedstaat im Rahmen des Vorverfahrens von der Kommission davon in Kenntnis gesetzt worden, daß er ihrer Auffassung nach gegen ihm obliegende Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen habe. Eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen eines Urteils habe der Gerichtshof nur für solche Fälle angenommen, in denen Betroffene schon vor Erlaß des Urteils rechtliche Schritte zur Behebung des Verstoßes eingeleitet hatten. Der Gerichtshof habe dabei jeweils den Ausnahmecharakter einer zeitlichen Begrenzung der Wirkungen seiner Urteile unterstrichen. Nur bei der Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Störungen und unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze - wie des Vertrauensschutzes - habe der Gerichtshof dieses Mittel angewandt.

32 Im vorliegenden Fall sei die britische Regierung frühzeitig von einem Verstoß gegen die Bestimmungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Kenntnis gesetzt und aufgefordert worden, entsprechende Maßnahmen, insbesondere hinsichtlich der Zahlungen zu den Eigenmitteln vorzunehmen. Da auch keine objektive und bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften bestanden habe, sei der Gerichtshof nicht gehalten, die zeitlichen Wirkungen seines Urteils zu beschränken.

33 Die britische Regierung vertritt dagegen die Auffassung, die Klage der Kommission sei zumindest insoweit unzulässig, als sie die zeitlich zurückliegenden Auswirkungen des gerügten Verstoßes beträfen. Dies ergebe sich aus einer nicht gerechtfertigten überlangen Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahren von der Eröffnung des Vorverfahrens bis zur Klageerhebung. Die Kommission mache mit ihrer Klage nicht nur eine Vertragsverletzung geltend, sondern wolle das Vereinigte Königreich auch zur Zahlung von Eigenmittelbeiträgen ab 1984 zuzüglich Verzugszinsen verpflichten. Angesichts dieser bedeutenden finanziellen Auswirkungen sei ein solches Vorgehen aber unzulässig.

34 Sollte der Gerichtshof dennoch der Klage stattgeben, müßten die Wirkungen des Urteils zeitlich begrenzt werden, so daß eine rückwirkende Neuberechnung der Eigenmittel ab 1984 ausgeschlossen werde.

35 Dem Gerichtshof stehe durch die Regelung des Artikels 174 EG-Vertrag (jetzt Artikel 231 EG) ein entsprechendes Mittel zur Verfügung, das auch im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens anwendbar sei. Zum einen sei zu beachten, daß eine unangemessene und überlange Verfahrensdauer die Verteidigungsrechte des beklagten Mitgliedstaats erheblich beschneide. Es bestehe ein allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Rechtsgrundsatz dahin gehend, vernünftige Verfahrensfristen einzuhalten. Auch aus dem Blickwinkel der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes könne das Vorgehen der Kommission nicht unwidersprochen und ohne Folgen hingenommen werden. Das vorprozessuale Verfahren habe gezeigt, daß eine objektive und bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen vorgelegen habe. Diesbezüglich wäre unbedingt eine rasche Klärung erforderlich gewesen.

36 Zum anderen bestuenden erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten, dem Begehren der Kommission nachzukommen. Es sei nunmehr unmöglich, von allen Straßenbenutzern die anfallende Mehrwertsteuer nachträglich einzufordern. Bei einem schnelleren Voranschreiten des Verfahrens wäre dies zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt eventuell noch möglich gewesen. Der für den nationalen Haushalt entstehende Schaden, ein entsprechendes Urteil des Gerichtshofes vorausgesetzt, wäre beträchtlich, da die jeweiligen Eigenmittelbeiträge hieraus erbracht werden müßten. Auch hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen entstuende ein erheblicher Schaden, der hätte vermieden werden können.

37 Hinsichtlich der Begründetheit der Klage trägt die britische Regierung vor, bei den die Maut erhebenden Einrichtungen handele es sich nicht um Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie, da die Bestimmung des Artikels 4 Absatz 5 anwendbar sei.

38 Die Erskine Bridge werde vom Secretary of State (in Schottland) als öffentliche Einrichtung in Ausübung öffentlicher Gewalt bewirtschaftet. Auch wenn eine Maut eingenommen werde, sei der Secretary of State kein Steuerpflichtiger im Sinne der Richtlinie. Die Beurteilung, wann eine öffentliche Einrichtung nach öffentlichem Recht oder Privatrecht handele, müsse sich nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften richten. Da aber der Secretary of State seine Tätigkeiten im Rahmen des öffentlichen Rechts und der eigens für ihn geltenden Vorschriften ausübe, sei er hinsichtlich der Maut von der Mehrwertsteuer befreit. Der Bau und Unterhalt der öffentlichen Strecken würden von einer öffentlichen Einrichtung nach öffentlichem Recht in Ausübung öffentlicher Gewalt vorgenommen. Damit richte sich auch die Benutzung nach öffentlichem Recht. Die mautpflichtige Strecke stelle einen Teil der Infrastruktur dar, zu der es in der Regel keine vernünftige Alternative gebe. Der Secretary of State habe seine Befugnisse in diesem Fall auch nicht delegiert, so daß auch nicht von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer gesprochen werden könne.

39 Was die PTA und die Bridge Boards betreffe, so sei hier die Struktur ähnlich wie im Fall der Erskine Bridge: die öffentliche Einrichtung sei nur auf lokaler Ebene angesiedelt. Auch hier erfolge die Erhebung der Maut im Rahmen des öffentlichen Rechts.

40 Hinsichtlich der PFI Crossings seien die Konzessionäre sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Sie seien an die für sie geltenden Gesetze bezüglich Bau und Bewirtschaftung der mautpflichtigen Strecken gebunden. Im Fall der Dartford River Crossing habe der Secretary of State seine Befugnisse hinsichtlich Unterhalt und Verbesserung der Strecke an einen Konzessionär übertragen. Der Secretary of State behalte jedoch die übergeordnete Verantwortung und Kontrolle. Er lege insbesondere die Höhe der Maut und die Einzelheiten ihrer Erhebung fest. Damit sei die Konzessionserteilung aber nicht dem gemeinen Recht unterworfen.

41 Auch bei den Severn Bridges sei eine Übertragung bestimmter Befugnisse des Secretary of State an einen Konzessionär möglich. Der rechtliche Rahmen und der Inhalt der Konzessionserteilung seien ähnlich wie im Fall der Dartford River Crossing geregelt.

42 Die Skye Bridge werde entsprechend dem New Roads and Street Works Act 1991 bewirtschaftet. Der Secretary of State und die Councils, letztere als lokale Behörden, seien zuständig für den Bau der Straßen nach dem schottischen Road's Act 1984. Auch hierfür sei die Erhebung einer Maut vorgesehen. Auch wenn der Straßenbau grundsätzlich in die Zuständigkeit öffentlicher Stellen falle, sei es möglich, die Planung und den Bau bestimmter Straßen an Private entsprechend den geltenden Regeln zu übertragen. Diese Straßen könnten dann von Konzessionären, die an Planung, Bau, Unterhalt, Bewirtschaftung oder Verbesserung der jeweiligen Straßen beteiligt waren, gegen Zahlung einer Maut bewirtschaftet werden. In einem solchen Fall werde den Konzessionären die Befugnis zur Erhebung einer Maut übertragen. Dies ändere jedoch nichts daran, daß die Straßen weiterhin im Eigentum der öffentlichen Hand verblieben. Die öffentlichen Aufgaben würden für die Dauer der Konzession an die Konzessionäre übertragen. Die für die Skye Bridge geltenden rechtlichen Vorschriften würden jenen für die Dartford Crossing und die Severn Bridges anwendbaren Regelungen entsprechen. Den Konzessionären sei lediglich gestattet, eine vernünftige Rendite zu erzielen.

43 Da der Secretary of State und die lokalen Behörden weiterhin für den Bau und Unterhalt der mautpflichtigen Strecken verantwortlich blieben, müsse insgesamt davon ausgegangen werden, daß die Bereitstellung der Infrastruktur durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt erfolge.

44 Auch aufgrund des verbleibenden Einflusses staatlicher Stellen sei die Situation der Konzessionäre von derjenigen wirtschaftlich tätiger Unternehmen verschieden. Es könne sich daher nicht um Steuerpflichtige im Sinne der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie handeln, da für die Konzessionäre andere rechtliche Rahmenbedingungen gelten würden als für privat Tätige.

45 Darüber hinaus liege auch keine steuerpflichtige Leistung vor, da Aufgaben im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt erfuellt würden.

46 Letztlich trägt die britische Regierung noch vor, daß für den Fall, sollte dennoch eine steuerpflichtige Tätigkeit eines Steuerpflichtigen angenommen werden, dieses Handeln von der Steuer befreit sei, da es sich um eine Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken handele, die von der Mehrwertsteuer ausgenommen sei. Für die Begriffsbestimmung der Vermietung sei es nicht erforderlich, daß ein klassisches Eigentümer/Mieter-Verhältnis vorliege. Hier sei eine weite Auslegung angezeigt, wie auch die in Artikel 13 Teil B Buchstabe b enthaltene Auflistung zeige. Auch diese Sachverhalte seien nicht der klassischen Vermietung zuzuordnen. Eine Vermietung setze nicht notwendigerweise voraus, daß der jeweilige Mieter über ein ausschließliches Nutzungsrecht an einem Grundstück verfügen müsse. Dies lasse sich am Beispiel der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe b Nummer 2 aufzeigen. Im vorliegenden Fall erhalte der Straßenbenutzer ein Nutzungsrecht an einer bestimmten Strecke. Auch die von der Kommission geforderte zeitliche Komponente lasse sich durchaus bestimmen, denn diese liege in der Dauer der Ueberquerung der mautpflichtigen Strecke. Da es auch der Hauptzweck der Vereinbarung zwischen dem die Maut Erhebenden und dem Straßenbenutzer sei, daß gegen Zahlung eines Entgelts ein Nutzungsrecht eingeräumt werde, liege eine Vermietung vor. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei somit die in Rede stehende Tätigkeit von der Mehrwertsteuer befreit.

V - Würdigung

Zur Zulässigkeit der Klage

47 Die britische Regierung macht geltend, die Tatsache, daß zwischen dem 20. April 1988, dem Datum des Mahnschreibens der Kommission(12) und dem 21. Oktober 1997, dem Datum, an dem die vorliegende Klage beim Gerichtshof eingegangen ist, fast zehn Jahre vergangen seien, zeige, daß es sich um eine überlange Verfahrensdauer handele, die nicht gerechtfertigt sei.

48 Die beklagte Regierung bezweifelt mit diesem Vorbringen die Zulässigkeit der Klage, insoweit damit die Zahlung von Eigenmittelbeiträgen zuzüglich Verzugszinsen gefordert wird.

49 Dazu ist zunächst festzustellen, daß nach ständiger Rechtsprechung die Kommission in Anbetracht ihrer Rolle als Hüterin des Vertrages allein für die Entscheidung zuständig ist, ob es zweckmäßig ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.(13) Die Bestimmungen des Artikels 169 EG-Vertrag sind anzuwenden, ohne daß die Kommission eine bestimmte Frist einhalten müßte, sofern nicht ein Fall vorliegt, in dem die zu lange Dauer des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens es dem betroffenen Staat erschweren könnte, die Argumente der Kommission zu widerlegen und damit die Verteidigungsrechte verletzen würde.(14) Daß dies der Fall ist, hat daher der betroffene Mitgliedstaat nachzuweisen.

50 Im vorliegenden Fall behauptet die beklagte Regierung lediglich, daß zwischen der Einleitung des Vorverfahrens und der Klageerhebung ein äußerst langer Zeitraum gelegen habe und daß sich die Untätigkeit der Kommission auf ihre Verteidigungsmittel ausgewirkt habe. Die britische Regierung hat jedoch kein spezifisches Argument vorgetragen, das dartun könnte, daß diese Zeitspanne die Widerlegung der Argumente der Kommission erschwert hätte und daß dadurch die Verteidigungsrechte verletzt worden wären. Die Klage ist somit nicht unzulässig.

Zur Begründetheit

1. Erhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut

51 Entsprechend der Ausgestaltung der Richtlinie soll zunächst geprüft werden, ob eine der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt. Dazu müßte es sich um eine Dienstleistung gegen Entgelt handeln. Sodann ist zu prüfen, ob eine solche Leistung von einem Steuerpflichtigen erbracht wird und im bejahenden Fall, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt.

a) Dienstleistung gegen Entgelt

52 Die Dienstleistung besteht im vorliegenden Fall in der Bereitstellung der Infrastruktur.

53 Diese Dienstleistung wird auch gegen ein entsprechendes Entgelt - die erhobene Maut - erbracht. Der Gerichtshof hat zu der Frage, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird, bereits ausgeführt, daß zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muß, damit eine Dienstleistung als steuerpflichtig angesehen werden kann.(15)

54 Dieser unmittelbare Zusammenhang besteht darin, daß für die Bereitstellung die entsprechende Maut gezahlt wird, deren Höhe wiederum von der Art des jeweiligen Fahrzeugs und der Länge der Strecke abhängt.

55 Bei der Maut handelt es sich auch nicht um eine Steuer, denn eine Steuer ist eine Geldleistung, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellt und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt wird, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Da im vorliegenden Fall aber eine konkrete Gegenleistung in Form der Bereitstellung bestimmter Teile der Verkehrswegeinfrastruktur erbracht wird, handelt es sich um eine Gebühr, die als Entgelt für eine Dienstleistung anzusehen ist.

56 Somit liegt eine der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung im Sinne des Artikels 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vor.

b) Steuerpflichtiger

57 Nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit - und das sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden - selbständig ausübt.

58 Nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Richtlinie gelten die Staaten, Länder, Gemeinden und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts dagegen nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Das gilt auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten z. B. Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

aa) Hoheitliche Tätigkeit

59 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, daß für die Behandlung öffentlicher Einrichtungen als Nicht-Steuerpflichtige zwei Voraussetzungen nebeneinander erfuellt sein müssen, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt.(16)

60 Zum einen bedeutet dies, daß nicht alle Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts automatisch von der Steuer befreit sind, sondern nur solche, durch die gleichzeitig eine spezifische Aufgabe im Rahmen der öffentlichen Gewalt wahrgenommen wird. Zum anderen ergibt sich daraus, daß die Tätigkeit einer Privatperson nicht allein deswegen von der Mehrwertsteuer befreit ist, weil sie in der Vornahme von an sich der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht.(17)

61 Bei der Definition der Vornahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt kann nicht auf den Gegenstand oder die Zielsetzung der Tätigkeit der öffentlichen Einrichtung abgestellt werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist aufgrund der Ausübungsmodalitäten der Tätigkeit zu bestimmen, inwieweit die öffentlichen Einrichtungen als Nicht-Steuerpflichtige behandelt werden können.(18)

62 Der Gerichtshof hat daher entschieden, daß die in Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben, wenn sie dabei im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung tätig werden.(19) Handeln sie dagegen unter gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, so kann nicht von einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgegangen werden.

63 Da nach Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie auch solche Tätigkeiten als steuerpflichtig betrachtet werden, die kraft Gesetzes erbracht werden, zeigt sich, daß allein die Zuordnung einer Tätigkeit in den Bereich des öffentlichen Rechts nicht ausreicht, um den Steuerbefreiungstatbestand des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 zu erfuellen. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmebestimmung der Definition des Steuerpflichtigen handelt, ist diese restriktiv auszulegen. Als von der Mehrwertsteuer befreit können daher nur jene Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt angesehen werden, die in den Kernbereich hoheitlichen Handelns fallen. Dies wird auch durch Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 3 bestätigt, der auf die in Anhang D genannten Tätigkeiten - siehe oben, Nummer 17 - verweist, für die auch die öffentliche Hand mehrwertsteuerpflichtig ist.

64 Die Planung und der Bau von Straßen, Brücken und Tunneln zählen zu den Aufgaben hoheitlichen Handelns, deren Ausübung der öffentlichen Hand vorbehalten ist. Diese Tätigkeiten betreffen einen wesentlichen Teil und damit einen Kernbereich öffentlicher Aufgaben. Sie können als Teil der Daseinsvorsorge betrachtet werden. Wird der Staat hier tätig, muß davon ausgegangen werden, daß dies im Rahmen der öffentlichen Gewalt geschieht.

65 Richtig ist, daß das Bereitstellen von Straßen nicht ausdrücklich - wie die Belieferung mit Gas, Elektrizität und Wasser in Anhang D - als mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit eingestuft wird. In der Tat ist das kostenlose Bereitstellen der Verkehrsinfrastruktur als eine hoheitliche Tätigkeit zu verstehen. Es mag dahinstehen, ob umgekehrt das als hoheitliche Aufgabe und mit Steuermitteln gebaute Straßennetz in der Gänze privatwirtschaftlich gegen eine Maut, die dann von allen verlangt wird, betrieben werden könnte. In jedem Fall kann aber das selektive - weil kostenpflichtige - Zurverfügungstellen eines beschränkten Streckenabschnitts nicht als eine Tätigkeit angesehen werden, die in Ausübung der öffentlichen Gewalt erfolgt. Das Erheben einer Maut ist zwar auch bei einer hoheitlichen Tätigkeit möglich und begründet allein noch keine Steuerpflicht, wie Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 ja ausdrücklich bestimmt. Zu bedenken ist jedoch, daß dem Benutzer im vorliegenden Fall die Auswahl zwischen einer gebührenfreien und einer gebührenpflichtigen Inanspruchnahme der Verkehrsinfrastruktur bleibt. Mit der Zurverfügungstellung des gebührenfreien Verkehrsnetzes ist eine hoheitliche Tätigkeit auf jeden Fall erschöpft und das Zurverfügungstellen zusätzlicher Strecken gegen eine Maut ist dagegen als eine rein privatwirtschaftliche Tätigkeit einzustufen. Wer eine gebührenpflichtige Baugenehmigung braucht, hat keine Auswahlmöglichkeit. Wer ein Studium absolviert, für das alle Gebühren bezahlen müssen, hat keine Ausweichmöglichkeit, um zum gleichen Ziel - dem betreffenden konkreten Studienabschluß - zu kommen. Im vorliegenden Fall hat der Nutzer jedoch eine echte Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, um - wenn auch umständlicher oder langsamer - zum gleichen Ziel zu gelangen. Das mautpflichtige Streckennetz wird zwar allen zur Verfügung gestellt, die bereit sind zu bezahlen, aber auch nur diesen. Darin ist eine Selektion zu sehen, die einem hoheitlichen Handeln fremd ist. Es sind vor allem wirtschaftlich-finanzielle Gründe, die zur Erhebung der Maut führen. Das Zurverfügungstellen einer beschränkten Strecke gegen eine Maut kann daher nicht als eine Tätigkeit im hoheitlichen Sinne angesehen werden.

66 Eine Anwendung der Vorschrift des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 auf den vorliegenden Fall kommt somit nicht in Betracht, da die Bereitstellung der Infrastruktur gegen Zahlung einer Maut nicht als Tätigkeit angesehen werden kann, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt wird. Die mit der Erhebung der Maut betrauten Einrichtungen sind somit als Steuerpflichtige anzusehen.

bb) Wirtschaftliche Tätigkeit

67 Nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie gilt wie erwähnt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt.

68 Als wirtschaftliche Tätigkeit definiert Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie "alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden".

69 Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einen weiten Bereich erstreckt und daß es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird.(20)

70 Geht man von einem solch weiten Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit aus, so ist nicht erforderlich, daß Dienstleistungen primär oder ausschließlich am Marktgeschehen oder am Wirtschaftsleben orientiert sein müssen. Es reicht aus, daß sie tatsächlich in irgendeiner Weise mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängen.(21) Im vorliegenden Fall wird die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut von den zuständigen Behörden oder Dritten, denen diese Tätigkeit übertragen wurde, durchgeführt. Auch wenn sich diese Übertragung nach öffentlichem Recht richtet und die mautpflichtigen Strecken zum öffentlichen Straßennetz gehören, ist dies unerheblich bei der Prüfung der Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Nach Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie können steuerpflichtige Dienstleistungen nämlich auch in der Ausführung eines Dienstes aufgrund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes bestehen. Auch der objektive Charakter des Begriffes der wirtschaftlichen Tätigkeit spricht im vorliegenden Fall für eine Qualifikation als wirtschaftliche Tätigkeit, da es auf die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, ankommt.

71 Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität stellt für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ein grundlegendes Kriterium dar.(22) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß den Straßenbenutzern gegen Zahlung einer Gebühr in Form der Maut bestimmte Teile der Straßeninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Da somit von den jeweiligen Einrichtungen diese Tätigkeit betrieben wird, auch um Einnahmen zu erzielen, um daraus ihren materiellen Aufwand und gleichzeitig ihr Einkommen zu bestreiten, ergibt sich, daß im hier zu prüfenden Fall eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.

c) Vermietung

72 Nachdem von einer grundsätzlichen Steuerpflicht der mit der Erhebung der Maut betrauten Einrichtung entsprechend dem bisher Ausgeführten auszugehen ist, stellt sich die Frage, ob nicht eine Steuerbefreiung für die in Rede stehende Tätigkeit aufgrund der Regelung des Artikels 13 Teil B Buchstabe b in Betracht kommt.

73 Demzufolge wäre die Bereitstellung der Infrastruktur gegen Zahlung einer Maut von der Steuer befreit, wenn es sich hierbei um die Vermietung von Grundstücken handeln würde.

74 Eine gemeinschaftsrechtliche Definition dieses Begriffes findet sich in den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht. Um seine Bedeutung näher zu bestimmen, ist daher auf den Zusammenhang einzugehen, in dem er steht, wobei die Systematik der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie zu berücksichtigen ist.

75 Dem Sinn und Zweck der Richtlinie und dem Wortlaut von Artikel 2 im besonderen läßt sich entnehmen, daß das Grundprinzip der Richtlinie so zu verstehen ist, daß alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, wenn sie von einem Steuerpflichtigen gegen Entgelt erbracht werden, der Mehrwertsteuer unterliegen, sofern sie nicht ausdrücklich befreit sind. Die Befreiungsbestimmungen sind daher eng auszulegen, da sie eine Ausnahme vom Grundprinzip der Richtlinie darstellen.

76 Dies bedeutet also, daß sich im vorliegenden Fall der Begriff der "Vermietung von Grundstücken" anhand der gewöhnlichen Bedeutung zu orientieren hat. So kann zum einen nicht jeder Vertrag, der auch mietrechtliche Elemente aufweist, automatisch unter diesen Begriff subsumiert werden. Dies würde zu einer weiten Auslegung der Steuerbefreiung führen, die gerade nicht gewollt ist. Voraussetzung ist also, daß in der vertraglichen Vereinbarung mietvertragliche Elemente überwiegen.

77 Die Bereitstellung einer Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut erfuellt diese Voraussetzung aber nicht. Zwar wird ein räumlich abgegrenzter Bereich (zu befahrende Strecke) für eine bestimmte Dauer (Fahrtzeit) gegen Entgelt dem Nutzer zur Verfügung gestellt. Allerdings überwiegen hier nicht mietvertragliche Elemente, da es dem Nutzer darauf ankommt, möglichst schnell und sicher eine bestimmte Strecke zu passieren. Ein Gebrauch der Sache tritt hingegen in den Hintergrund.

78 Im vorliegenden Fall würde eine Brücke bzw. ein Tunnel - folgt man der Argumentation der britischen Regierung - nicht nur an eine Person vermietet, sondern gleichzeitig an mehrere Personen. Damit haben diese Personen aber von vornherein kein alleiniges Besitzrecht an der Brücke. Eine Situation, in der mehrere Personen als Mieter derselben Sache möglich sind, liegt nicht vor. Die Autofahrer wollen die Brücke nicht gemeinschaftlich mieten und für den Mietzins gesamtschuldnerisch haften, wie dies beispielsweise bei Wohngemeinschaften der Fall ist.

79 Ein Mietverhältnis liegt auch deshalb nicht vor, weil dem Benutzer weder ein Abwehrrecht gegen den unbefugten Gebrauch Dritter gewährt wird, noch kann er die Sache allgemein nutzen; sein Gebrauchsrecht ist allein auf die Möglichkeit der Überfahrt beschränkt.

80 Hauptzweck des "Vertrages" zwischen den Parteien ist auch weniger, daß ein Grundstück genutzt werden soll, es soll vielmehr eine einzige Serviceleistung auf diesem Grundstück in Anspruch genommen werden. Für die Autofahrer ist der kurze Gebrauch des Grundstücks eher nebensächlich, ihnen kommt es vor allem darauf an, schnell und sicher ihr Fahrtziel zu erreichen.

81 Nicht gefolgt werden kann dem Vorbringen der britischen Regierung, die in Artikel 13 Teil B Buchstabe b aufgeführten Tätigkeiten zeigten, daß der Begriff der Vermietung weit gefaßt werden könne. Die genannten Beispiele sind keine "weit gefaßten" Mietverhältnisse. Sie mögen besondere Mietverhältnisse sein; sie weichen aber nicht entscheidend von den Kriterien des allgemeinen Mietbegriffes ab. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, könnten daraus nicht die vom Vereinigten Königreich im Hinblick auf die Steuerbefreiung gemachten Schlüsse gezogen werden. Die vier "Sondermietverhältnisse" sind nicht deshalb erwähnt, um zu zeigen, daß der Vermietungsbegriff weit gefaßt werden kann, sondern weil sie - als "Ausnahme von der Ausnahme" der Steuerbefreiung der Vermietung - der Mehrwertsteuerpflicht unterliegen. Gerade weil die Vermietung - als Ausnahme von der Regel - nicht mehrwertsteuerpflichtig ist, ist der Begriff der Vermietung wie in den Nummern 79 und 80 ausgeführt, eng auszulegen.

82 Eine mehrwertsteuerfreie Vermietung von Grundstücken kommt daher im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

d) (Hilfsweise) Zur Frage der Wettbewerbsverzerrungen

83 Nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 gelten Staaten, Gemeinden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts selbst für Leistungen, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt erbringen, dann als Steuerpflichtige, wenn ihre Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dieser Unterfall bräuchte aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht geprüft zu werden, da von einer nicht-hoheitlichen Tätigkeit ausgegangen werden muß. Die Prüfung erfolgt daher nur hilfsweise.

84 Eine Wettbewerbsverzerrung im vorgenannten Sinn würde dann vorliegen, wenn die nicht-steuerpflichtige staatliche Einrichtung hinsichtlich einer gleichen Leistung mit einem steuerpflichtigen Privaten konkurrieren würde und deshalb ihre Dienstleistung wegen der Steuerbefreiung billiger anbieten könnte. Bei der Zurverfügungstellung einer Verkehrsinfrastruktur der vorliegenden Art gibt es jedoch keine privatrechtlich einzuordnende Konkurrenz, so daß es auch keinen Wettbewerb geben kann.

85 Die von der Kommission genannten Beispiele der Wettbewerbsverzerrungen sind hier nicht stichhaltig. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Richtlinie - ausweislich mehrerer Bestimmungen - auf inländische Vorgänge beschränkt. Eine Verletzung der Pflicht zur Gleichbehandlung mit Inländern ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zum anderen beruhen die erwähnten Verzerrungsfälle - Unmöglichkeit des Vorsteuerabzugs einerseits bzw. Kostenvergünstigung andererseits - nicht auf der Nichtbesteuerung bzw. der Steuerpflicht, sondern auf der falschen Rechtsanwendung. Nach Klärung durch die Rechtsprechung werden die Mitgliedstaaten die Mehrwertsteuer sicher in gleicher Weise erheben. (Gleiches wird dann auch für die Zahlungen zu den Eigenmitteln gelten.) Folgte man im übrigen dem Vortrag der Kommission, wären die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Ländern am größten, in denen überhaupt keine Straßenmaut erhoben wird.

86 Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 2, die eine Behandlung als Steuerpflichtiger begründen würden, liegen also nicht vor. Jedoch kommt es darauf - wie in den Nummern 45 bis 63 ausgeführt - nicht an. Im vorliegenden Fall ist eine der Mehrwertsteuer zu unterwerfende Leistung gegeben, da es sich bei der Erhebung der Maut nicht um eine hoheitliche Tätigkeit handelt.

e) Zwischenergebnis

87 Das Vereinigte Königreich hat daher gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, indem die Maut für die Benutzung der Brücken und Tunnel entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie nicht der Mehrwertsteuer unterworfen wurden.

2. Eigenmittel

88 Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 wird die Grundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie festgelegt. Die jeweiligen Eigenmittelbeiträge ergeben sich dann aus der Anwendung eines festgesetzten einheitlichen Satzes auf dieser Grundlage.

89 Da im vorliegenden Fall von Steuerpflichtigen Leistungen erbracht wurden, hätte die Maut der Mehrwertsteuer unterworfen werden müssen. Da dies jedoch nicht geschehen ist, konnten die entsprechenden Beträge nicht zur Festsetzung der Grundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel herangezogen werden.

90 Somit liegt ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsbestimmungen über die Erhebung der Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer vor. Es ist dabei unerheblich, ob die Neuberechnung der Eigenmittelbeiträge zu einem finanziellen Ungleichgewicht der Gemeinschaft führen würde. Nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ist allein entscheidend, daß diese Eigenmittel zunächst anhand der richtigen Grundlage ermittelt werden und die entsprechenden Forderungen (des Mitgliedstaats) gegenüber dem Steuerpflichtigen festgestellt werden. Es ist daher die Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Berechnungen vorzunehmen, das Ergebnis der Kommission mitzuteilen und dementsprechend die fälligen Mittel zu leisten.

91 Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89, wonach bei verspäteter Gutschrift der Eigenmittelbeiträge Verzugszinsen zu zahlen sind. Es kommt dabei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht auf den Grund der Verspätung an.(23)

3. Zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils

92 Nachdem festgestellt wurde, daß das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, könnte fraglich sein, ob die Kommission auch berechtigt ist, die daraus resultierenden Ansprüche gegen das Vereinigte Königreich für die gesamte in Frage kommende Zeit durchzusetzen.

93 Kennzeichnend für das Vertragsverletzungsverfahren ist zunächst, daß der Mitgliedstaat bei einer begründeten Klage alle Maßnahmen zu ergreifen hat, um die Vertragsverletzung zu beseitigen. Dagegen kann der Gerichtshof, da es sich insoweit um ein Feststellungsurteil handelt, nicht die Verpflichtung des beklagten Staates aussprechen, den Verstoß abzustellen oder die angegriffene Maßnahme aufzuheben bzw. zu ändern.

94 Folglich ist der Gerichtshof nicht befugt, das Vereinigte Königreich förmlich zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands bezüglich der Mehrwertsteuererhebung zu verurteilen. Allerdings kann der Gerichtshof im Vertragsverletzungsverfahren die Pflicht des Vereinigten Königreichs zur Beseitigung des vertragswidrigen Zustands näher erörtern.

95 Es ist daher zu prüfen, wie sich die Pflicht des Vereinigten Königreichs zur Beseitigung des Vertragsverstoßes konkret darstellt und welche Rolle dabei die lange Verfahrensdauer spielt.

96 Da die Kommission nach den Artikeln 155 (jetzt Artikel 221 EG) und 169 EG-Vertrag jeden ihr bekannt gewordenen Vertragsverstoß zu verfolgen hat, besteht eine prinzipielle Verfolgungspflicht. Sie verfügt jedoch insbesondere in bezug auf den Zeitpunkt und die Bedingungen, zu denen sie die einzelnen Verfahrensabschnitte nach Artikel 169 durchführt, über einen gewissen Beurteilungsspielraum. Auch bei einer grundsätzlichen Verfolgungspflicht sollte die Kommission jedoch immer bemüht sein, die Mitgliedstaaten auf dem üblichen Wege zur Wiederherstellung eines vertragskonformen Zustandes zu veranlassen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für die Erhebung der Klage liegt nach Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angegeben wurde. Eine zeitliche Obergrenze für die Anrufung des Gerichtshofes besteht grundsätzlich nicht.(24) Es liegt daher im Ermessen der Kommission, wann sie im Anschluß an die mit Gründen versehene Stellungnahme nach Ablauf der gesetzten Frist Klage erhebt.(25) Für extreme Ausnahmefälle, in denen die Kommission mit der Klage sehr lange wartet und auch sonst keine weiteren Schritte gegenüber dem Mitgliedstaat einleitet, ist der Einwand einer Verwirkung des Klagerechts, der die Zulässigkeit der Klage betreffen würde, aber nicht völlig auszuschließen.(26) Die Rechtsprechung des Gerichtshofes geht jedoch dahin, eine Verwirkung des Klagerechts der Kommission abzulehnen.(27)

97 Eine Verjährung der Ansprüche der Gemeinschaften kommt im vorliegenden Fall ebenfalls nicht in Betracht. Zum einen bestehen keine gemeinschaftsrechtlichen Verjährungsvorschriften, die anwendbar wären, und zum anderen ist auch eine sinngemäße Anwendung der mitgliedstaatlichen Regelungen hinsichtlich der Verjährung von Steuerschulden nicht möglich. Eine Verjährungsfrist muß, um ihrer Funktion gerecht werden zu können, im voraus festgelegt sein. Sie muß, da es sich um eine Einrede handelt, geltend gemacht werden, was im vorliegenden Fall aber nicht geschehen ist. Da insoweit auch nichts vorgetragen wurde, braucht dieser Punkt nicht weiter geprüft zu werden. Im übrigen könnte im Rahmen der Vertragsverletzungsklage auch nicht auf die Leistung der Mittel direkt geklagt werden.

98 Die Ansprüche der Gemeinschaften auf Zahlung der Eigenmittelbeiträge könnten jedoch verfristet sein.

99 Aus Gründen der Rechtssicherheit könnte es vorliegend geboten sein, die zeitliche Wirkung der Feststellung einer Vertragsverletzung im Hinblick auf die Berichtigung der Jahresübersichten(28) zeitlich zu beschränken. Die Möglichkeit eines Rückgriffs auf den Grundsatz der Rechtssicherheit in Ermangelung einer Verjährungsregelung hat der Gerichtshof bereits in seiner Rechtsprechung anerkannt.(29)

100 Zwar sieht der Vertrag eine zeitliche Begrenzung der Wirkung von Urteilen im Vertragsverletzungsverfahren nicht ausdrücklich vor. Dies ist aber auch nicht notwendig, weil ein Urteil im Vertragsverletzungsverfahren durch den feststellenden Charakter im Regelfall auf die (künftige) Behebung eines vertragswidrigen Zustandes abzielt. Dieser Verfahrenstyp betrifft nicht die Wirksamkeit einer Einzelfallentscheidung wie die Nichtigkeitsklage, für die eine Beschränkung der zeitlichen Wirkung in Artikel 174 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 231 EG) vorgesehen ist. Die Vertragsverletzungsklage hat regelmäßig auch nicht die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in einem Einzelfall zum Ziel, wie sie Gegenstand der Verjährungsregelung in Artikel 43 der Satzung des Gerichtshofes sind. Vielmehr hat ein Vertragsverletzungsverfahren eine grundsätzliche Feststellung über den Regelungsgehalt des Gemeinschaftsrechts zum Gegenstand. Es liegt im Interesse der Rechtssicherheit, wenn der Gerichtshof bei einem Streit zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat über diesen Regelungsgehalt eine Feststellung trifft. Der bloße Zeitablauf seit Abschluß des Vorverfahrens mindert dieses Interesse grundsätzlich nicht. Sollten Ereignisse während dieser Zeitspanne das Feststellungsinteresse mindern, so würde dies möglicherweise zur Unzulässigkeit der Klage führen, aber nicht den Feststellungsanspruch als solchen beeinträchtigen, dessen Durchsetzung jederzeit erneut gerichtlich beantragt werden könnte.

101 Vorliegend knüpft an die Feststellung der Vertragsverletzung jedoch zugleich ein Zahlungsanspruch der Gemeinschaften gegen die beklagten Mitgliedstaaten an. Die damit verbundenen finanziellen Folgen erfordern auch im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit besondere Überlegungen.

102 Gegen eine zeitliche Begrenzung spricht zwar zunächst, daß der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, "daß im Fall von Vorschriften, die finanzielle Konsequenzen haben können, das Gebot der Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit in besonderem Maße gilt".(30) Eine Abwägung von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit mindert die Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, daß die erhebliche Verzögerung der Einleitung der gerichtlichen Phase des Vertragsverletzungsverfahrens seitens der Kommission gleichfalls nicht mit dem Gebot der Eindeutigkeit und der Vorhersehbarkeit vereinbar ist.

103 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes darf ein Streit zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat über die zu erhebenden Eigenmittel auch nicht dazu führen, daß das finanzielle Gleichgewicht der Gemeinschaft beeinträchtigt wird.(31) Vorliegend könnte eine zeitliche Begrenzung der Berichtigung dazu führen, daß einige Mitgliedstaaten gemäß dem Gemeinschaftsrecht Mittel an die Gemeinschaft abführten, während andere davon befreit würden. Insofern ist jedoch festzustellen, daß die Mitgliedstaaten, welche die entsprechende Mehrwertsteuer erhoben und demgemäß einen Anteil abführten, nicht benachteiligt sind. Ihnen verbleibt schließlich ein den abführenden Anteil übersteigender Mehrwertsteueranteil.

104 Dagegen scheidet eine Nacherhebung der Mehrwertsteuer für Straßennutzungsgebühren praktisch und wohl auch rechtlich aus. Aus Gründen des Vertrauensschutzes wäre in einem Fall wie dem vorliegenden auch nach mitgliedstaatlichem Recht eine Nacherhebung von Mehrwertsteuern ausgeschlossen. Ganz abgesehen davon, wären auch die praktischen Folgen einer Nacherhebung von Umsatzsteuern für den geschäftlichen Verkehr unangemessen, da die möglicherweise zu ermittelnden Steuerschuldner regelmäßig nicht diejenigen sind, welche die Steuern mit den Preisen zu bezahlen haben.

105 Lediglich die Mitgliedstaaten, die bereits Nachzahlungen leisteten, ohne zuvor entsprechende Mehrwertsteuern erhoben zu haben, wären benachteiligt. Es ist jedoch davon auszugehen, daß solche Zahlungen unter Vorbehalt einer entsprechenden Berichtigung der Jahresübersicht erfolgten. Wenn diese ausgeschlossen ist, können die betroffenen Mitgliedstaaten ihre Nachzahlungen zurückfordern.

106 Der Ausschlußfrist des Artikels 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1553/89 ist zu entnehmen, daß das Risiko der Mitgliedstaaten, aus Unkenntnis nicht erhobene Mehrwertsteueranteile abzuführen, wohl vier Haushaltsjahre nicht übersteigen soll. Andererseits sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht mehr schutzwürdig, wenn sie vor Ablauf der Frist von einer eindeutigen Beanstandung der Kommission Kenntnis erlangen. Es liegt in der Verantwortung des betroffenen Mitgliedstaats, wenn er einer Beanstandung der Kommission nicht Folge leistet und z. B. die Erhebung von Mehrwertsteuern generell unterläßt. In Kenntnis der Beanstandung kann er grundsätzlich beurteilen, welche Verpflichtungen sich aus den Mehrwertsteuerrichtlinien ergeben und dementsprechend handeln.

107 Streiten die Mitgliedstaaten aber auf der Grundlage vertretbarer Auffassungen mit der Kommission darüber, ob bestimmte Umsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen sind oder nicht, so kann die praktische Ausgestaltung des Berichtigungsverfahrens und insbesondere seine Anwendung durch die Kommission im vorliegenden Fall zu unangemessenen Folgen führen. Da die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft verfaßt ist, haben die Mitgliedstaaten grundsätzlich ein Recht darauf, daß ein Streit über den Regelungsgehalt der Mehrwertsteuerrichtlinien in angemessener Frist vor dem Gerichtshof ausgetragen und von diesem entschieden wird.

108 Hinzu kommt, daß die Mitgliedstaaten die Frage nicht selbst zur Klärung bringen können, wenn das Vertragsverletzungsverfahren wie vorliegend im vorgerichtlichen Stadium verharrt. Die Kommission ist nicht zur Klageerhebung verpflichtet, und eine mit Gründen versehene Stellungnahme kann der Mitgliedstaat nicht angreifen. Gemeinsam könnten diese Faktoren einen Anreiz schaffen, das Vertragsverletzungsverfahren zu umgehen. Im übrigen widerspräche ein solches Verhalten der Kommission dem Geist des Berichtigungsverfahrens.

109 Im Verhältnis der Kommission zum Mitgliedstaat ist davon auszugehen, daß die vergangenen Haushaltsjahre abgeschlossen sind und eine Berichtigung nicht mehr erfolgen würde.

110 Zunächst ist fraglich, auf welchen Zeitraum sich die Klage der Kommission bezieht. Der Klageantrag ist lediglich auf Feststellung des Verstoßes gerichtet, ohne selbst einen bestimmten Zeitraum anzugeben. Zur Auslegung des Klageantrags ist auf den erkennbaren Zweck des Rechtschutzbegehrens abzustellen, d. h., das Klageziel ist entsprechend der Klagebegründung zu ermitteln.

111 Aus dem zu den Akten gereichten Mahnschreiben der Kommission vom 20. April 1988 ergibt sich, daß sich die Vorwürfe der Kommission auf den Zeitraum ab 1984 bis zur Beendigung der gerügten Verstöße beziehen. Es ist daher davon auszugehen, daß auch im Rahmen der Klage auf diese Periode abgestellt wird. Auch wenn die Kommission nach Beendigung des Vorverfahrens bis zur Klageerhebung keine weiteren Schritte bezüglich der Folgejahre unternahm, ist davon auszugehen, daß sie eine Beendigung der Verstöße mit entsprechenden Wirkungen für die Folgezeit erreichen wollte. Es ist daher zu untersuchen, inwieweit die Haushaltsjahre ab 1984 abgeschlossen sind und die entsprechenden Jahresübersichten nicht mehr berichtigt werden können.

112 Artikel 9 Absatz 2 erster Halbsatz der Verordnung Nr. 1553/89 bestimmt, daß nach dem 31. Juli des vierten Jahres, das auf ein Haushaltsjahr folgt (das entspricht 43 Monaten), die Jahresübersicht nicht mehr berichtigt werden kann. Die Jahresübersicht des Haushaltsjahr 1984 könnte demzufolge nach dem 31. Juli 1988 nicht mehr berichtigt werden. Für die Folgejahre gilt eine entsprechende Berechnung. Eine Erhebung der Eigenmittel wäre somit für die Kommission nicht mehr möglich gewesen.

113 Allerdings ist fraglich, wie die Ausnahmeregelung des Artikels 9 Absatz 2 zweiter Halbsatz zu verstehen ist. Dort heißt es zur Jahresübersicht, die nicht mehr berichtigt werden kann: "Hiervon ausgenommen sind die vor diesem Termin von der Kommission oder von dem betreffenden Mitgliedstaat mitgeteilten Punkte." Für die Haushaltsjahre 1984 bis 1990 wurden die auch dieser Klage zugrunde liegenden Probleme und unterschiedlichen Rechtsauffassungen mit dem Vereinigten Königreich erörtert.

114 Es spricht viel dafür, Artikel 9 Absatz 2 zweiter Halbsatz so auszulegen, daß eine Ausnahme von der 43-Monats-Ausschlußfrist nur dann möglich sein soll, wenn sich die Beteiligten in der Folgezeit weiterhin bemüht haben, die aufgeworfenen Probleme zu lösen. Kommt es aber zu einem längeren nicht gerechtfertigten Stillstand des Verfahrens, so wäre es sinn- und zweckwidrig, diese Vorschrift weiterhin anzuwenden. Im vorliegenden Fall fand jedoch in den Jahren von 1990 bis 1997 zwischen den Beteiligten wohl kein weiterer, ausreichender Dialog statt, der zu einer Lösung der Probleme hätte führen können. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage ausgeführt, sie habe die betreffenden Mitgliedstaaten regelmäßig auf die Eigenmittelproblematik hingewiesen und auch bezüglich der Frage der Erhebung der Mehrwertsteuer habe ein fortdauernder Dialog mit den Mitgliedstaaten bestanden.(32) Dies kann jedoch nicht als ausreichend dafür angesehen werden, daß eine gütliche Einigung hätte erreicht werden können. Eine solche war aufgrund der Standpunkte der Parteien nicht mehr möglich. Es ist auch zu bedenken, daß wegen des sich aus der Rechtslage ergebenden "entweder - oder" eine Kompromißlösung ebenfalls nicht möglich gewesen wäre.

115 Wenn es das Ziel dieser Vorschrift ist, bei komplexen Sachverhalten und umfangreichen Problemen eine Fristverlängerung zu gewähren, so muß auch erkennbar sein, daß sich die Beteiligten um eine Lösung bemühen. Andernfalls könnte die Kommission die 43-Monats-Frist nach Halbsatz 1 dadurch umgehen, daß sie regelmäßig die Jahresübersichten der Mitgliedstaaten beanstanden würde. Sie hätte dann auf unbegrenzte Zeit die Möglichkeit, die Sachverhalte zu prüfen und den Abschluß der Haushaltsjahre auf einen unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben. Dies wäre jedoch weder aus wirtschaftlichen Gründen wünschenswert noch mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar. Die Kommission könnte, ohne daß sie dies rechtfertigen müßte, die Voraussetzungen gemäß Halbsatz 1 umgehen, nach dem der Stichtag für den Abschluß der Jahresübersichten der 31. Juli des vierten Jahres ist, das auf ein Haushaltsjahr folgt.

116 Da es sich bei der Vorschrift des Artikels 9 Absatz 2 nicht um eine Verjährungsvorschrift handelt, ist es unbedenklich, wenn der Mitgliedstaat nicht die Einrede der Verjährung erhoben hat. Einer Verjährung unterliegen nur Ansprüche. Artikel 9 Absatz 2 gewährt aber keinen Anspruch, sondern regelt nur die Fristen für die Berichtigung der Jahresübersichten.

117 Diese Überlegungen erlauben die Annahme, daß bei dem Vereinigten Königreich während der langen Zeit zwischen dem Abschluß des Vorverfahrens und der Klageerhebung ein schutzwürdiges Vertrauen erwuchs, daß sich die Kommission an die Fristen des Berichtigungsverfahrens halten würde.

118 Auch wenn man der Auffassung sein sollte, schon das Vorverfahren habe eine fristunterbrechende Wirkung gehabt, so kann diese Unterbrechung ebenfalls nicht über die genannte 43-Monats-Frist ausgedehnt werden. Da zwischen dem letzten Schriftwechsel im Vorverfahren und der Klageerhebung mehr als vier Jahre - nämlich sieben Jahre - liegen, käme auch eine eventuell mögliche Fristunterbrechung durch das Vorverfahren nicht mehr zum Tragen.

119 Wegen des Vertrauensschutzes und dem allgemeinen Gedanken der Verfristung in Verbindung mit der 43-Monats-Ausschlußfrist der Berichtigungsmöglichkeit, ist daher die Erhebung der Beiträge zu den Eigenmitteln auf die vier Jahre vor der Klageerhebung zu beschränken. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, da die Klage der Kommission am 21. Oktober 1997 beim Gerichtshof eingegangen ist, daß die Haushaltsjahre seit 1994 noch nicht abgeschlossen sind und eine Berichtigung weiterhin möglich ist.(33)

120 Da der Anspruch auf Zahlung der Beiträge zu den Eigenmitteln als solcher nicht Gegenstand des Klageantrags war, sondern sich mittelbar aus der Vertragsverletzung ergibt, war trotz der teilweisen Verfristung - was mittelbar einem teilweisen Obsiegen des Vereinigten Königreichs gleichkommt - die Klage insoweit nicht im übrigen abzuweisen. Entsprechendes gilt auch für die Entscheidung über die Kosten.

VI - Kosten

121 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, dem Vereinigten Königreich die Kosten aufzuerlegen. Auch wenn der Anspruch auf Zahlung der Beiträge zu den Eigenmitteln teilweise verfristet ist, hat dies keine Auswirkungen auf die Kostenverteilung, da dieser Anspruch nur eine Folgewirkung der festgestellten Vertragsverletzung ist, der nicht mit der vorliegenden Klage geltend gemacht werden kann. Streitgegenstand ist im vorliegenden Fall nur die Feststellung des vertragswidrigen Verhaltens. Da das Vereinigte Königreich diesbezüglich im wesentlichen mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

VII - Ergebnis

122 Aus den vorstehenden Gründen wird daher vorgeschlagen, wie folgt zu entscheiden:

1. Das Vereinigte Königreich hat gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, indem es die Maut für die Benutzung der bestehenden Mautstraßen und Mautbrücken im Vereinigten Königreich unter Verstoß gegen die Artikel 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 nicht der Mehrwertsteuer unterworfen und als Folge davon der Kommission nicht die entsprechenden Beiträge zu den Eigenmitteln zur Verfügung gestellt hat, wobei eine nachträgliche Erhebung der Eigenmittel und die Geltendmachung von Verzugszinsen durch die Kommission nur ab dem Haushaltsjahr 1994 möglich sind.

2. Das Vereinigte Königreich trägt die Kosten des Verfahrens.

(1) - Die Kommission hat in diesem Zusammenhang auch gegen Frankreich, Irland, die Niederlande und Griechenland aus denselben Gründen Klage erhoben. Es handelt sich um die Rechtssachen C-276/97, C-358/97, C-408/97 und C-260/98.

Im Unterschied zu den anderen beklagten Mitgliedstaaten haben die Niederlande den entsprechenden Eigenmittelbeitrag der Kommission vorbehaltlich einer Klärung der streitigen Punkte zur Verfügung gestellt.

In den nicht beklagten Mitgliedstaaten wird entweder keine Straßennutzungsgebühr erhoben oder diese der Umsatzsteuer unterworfen.

Da in Spanien ein herabgesetzter Steuersatz angewendet wird, hat die Kommission auch gegen Spanien Klage erhoben (Rechtssache C-83/99).

(2) - Die PTA sind öffentliche Einrichtungen, deren Mitglieder aus den jeweiligen regionalen Distrikten stammen und die aufgrund einer gesetzlichen Grundlage geschaffen wurden.

(3) - Siehe hierzu Artikel 29, Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie.

(4) - ABl. L 145, S. 1.

(5) - Anhang D führt insgesamt 13 Arten von Tätigkeiten auf, wie z. B. das Fernmeldewesen, die Lieferungen von Wasser, Gas, Elektrizität, Dienstleistungen in Häfen und auf Flughäfen, Veranstaltungen von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter u. a. m.

(6) - In Artikel 13 Teil A sind 17 Steuerbefreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten aufgeführt. Demnach sind u. a. von der Steuer befreit: die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen, die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit sowie mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, ferner solche Leistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben, welche politische, gewerkschaftliche, religiöse, patriotische, weltanschauliche, philanthropische oder staatsbürgerliche Ziele verfolgen, ihren Mitgliedern erbringen sowie die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter. Weitere Ausnahmen gelten nach Artikel 13 Teil B für die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze, für bestimmte Tätigkeiten im Kreditbereich sowie - mit vier Ausnahmen - für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

(7) - ABl. L 155, S. 9.

(8) - ABl. L 155, S. 1.

(9) - ABl. L 185, S. 24, teilweise aufgehoben bzw. geändert durch den Beschluß 94/728/EG, Euratom des Rates vom 31. Oktober 1994 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, ABl. L 293, S. 9.

(10) - Für Nordirland habe die Kommission keine Informationen, die die Erhebung von Maut auf öffentlichen Straßen betreffe.

(11) - Für England und Wales sei dies die Highway Authority und für Schottland die Roads Authority.

(12) - Die mit Gründen versehene Stellungnahme erfolgte mit Schreiben vom 10. August 1989.

(13) - Urteil vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache C-207/97 (Kommission/Belgien, Slg. 1999, I-275, Randnr. 24 mit weiteren Nachweisen).

(14) - Urteil vom 16. Mai 1991 in der Rechtssache C-96/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-2461, Randnrn. 15 und 16).

(15) - Urteil vom 8. März 1988 in der Rechtssache 102/86 (Apple and Pear Development Council, Slg. 1988, 1443, Randnr. 11).

(16) - Urteile vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 107/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655), vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85 (Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471) und vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88 (Carpaneto u. a., Slg. 1989, 3233, Randnr. 12).

(17) - Urteil in der Rechtssache Kommission/Niederlande (zitiert in Fußnote 16, Randnr. 21).

(18) - Urteil in der Rechtssache Carpaneto (zitiert in Fußnote 16, Randnr. 15).

(19) - Urteil in der Rechtssache Carpaneto (zitiert in Fußnote 16, Randnr. 16).

(20) - Urteile vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85 (zitiert in Fußnote 11), vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87 (Stichting Uitvoering Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 10) und vom 4. Dezember 1990 in der Rechtssache C-186/89 (Van Tiem, Slg. 1990, I-4363, Randnr. 17).

(21) - Schlußanträge von Generalanwalt Lenz vom 12. Februar 1987 in der Rechtssache 235/85 (Slg. 1987, 1478, Nr. 22) und Urteil vom 26. März 1987 (zitiert in Fußnote 16).

(22) - Urteil vom 20. Februar 1997 in der Rechtssache C-260/95 (DFDS, Slg. 1997, I-1005, Randnr. 23).

(23) - Urteil vom 22. Februar 1989 in der Rechtssache 54/87 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 385, Randnr. 12).

(24) - Urteil vom 14. Dezember 1971 in der Rechtssache 7/71 (Kommission/Frankreich, Slg. 1971, 1003, Randnrn. 5 und 6).

(25) - Urteile vom 1. Juni 1994 in der Rechtssache C-317/92 (Kommission/Deutschland, Slg. 1994, I-2039, Randnr. 4) und vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-422/92 (Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-1097, Randnr. 18 mit weiteren Nachweisen).

(26) - Urteil vom 16. Mai 1991 in der Rechtssache C-96/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-2461, Randnrn. 15 und 16).

(27) - A. a. O., Fußnoten 25 und 26.

(28) - Gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission vor dem 31. Juli eine Übersicht, aus der der Gesamtbetrag der für das vorhergehende Kalenderjahr berechneten Grundlage der Mehrwertsteuereigenmittel hervorgeht.

(29) - Urteil vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 57/69 (ACNA/Kommission, Slg. 1972, 933, Randnrn. 33/36).

(30) - Urteil vom 13. März 1990 in der Rechtssache C-30/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1990, I-691, Randnr. 23 mit weiteren Nachweisen).

(31) - Urteil in der Rechtssache C-96/89 (zitiert in Fußnote 26, Randnr. 37).

(32) - Das Vereinigte Königreich und Griechenland haben in der mündlichen Verhandlung bestritten, daß ein Dialog mit der Kommission stattgefunden habe.

(33) - Zur Berechnung siehe Nr. 84.