61997C0103

Schlussanträge des Generalanwalts Saggio vom 24/09/1998. - Josef Köllensperger GmbH & Co. KG und Atzwanger AG gegen Gemeindeverband Bezirkskrankenhaus Schwaz. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tiroler Landesvergabeamt - Österreich. - Begriff des 'einzelstaatlichen Gerichts' im Sinne des Artikels 177 EG-Vertrag - Verfahren zur Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge - Für Nachprüfungsverfahren zuständige Instanz. - Rechtssache C-103/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-00551


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das Tiroler Landesvergabeamt hat mit Beschluß vom 17. Februar 1997 dem Gerichtshof zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge(1) (im folgenden: Nachprüfungsrichtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der gemeinschaftliche und der nationale rechtliche Rahmen

2 Artikel 1 Absatz 1 der Nachprüfungsrichtlinie in der Fassung des Artikels 41 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge(2) verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß die Entscheidungen der für die Vergabe öffentlicher Aufträge zuständigen Behörden wirksam und vor allem möglichst rasch auf Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

3 Nach Artikel 2 Absatz 7 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, daß die Entscheidungen der für Nachprüfungsverfahren zuständigen Instanzen wirksam durchgesetzt werden können.

4 Dem folgenden Absatz kommt in unserem Fall besondere Bedeutung zu. Es ist daher sinnvoll, ihn vollständig wiederzugeben.

"Eine für Nachprüfungsverfahren zuständige Instanz, die kein Gericht ist, muß ihre Entscheidung stets schriftlich begründen. Ferner ist in diesem Falle sicherzustellen, daß eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der zuständigen Grundinstanz oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen gegenüber den öffentlichen Auftraggebern und der Grundinstanz unabhängigen Instanz, die ein Gericht im Sinne des Artikels 177 des Vertrages ist, gemacht werden können.

Für Ernennung und Ende der Amtszeit der Mitglieder dieser unabhängigen Instanz gelten bezueglich der für ihre Ernennung zuständigen Behörde, der Dauer ihrer Amtszeit und ihrer Absetzbarkeit die gleichen Bedingungen wie für Richter. Zumindest der Vorsitzende dieser unabhängigen Instanz muß die juristischen und beruflichen Qualifikationen eines Richters besitzen. Die unabhängige Instanz erkennt in einem kontradiktorischen Verfahren; ihre Entscheidungen sind in der von den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils zu bestimmenden Weise rechtsverbindlich."

5 Nach Artikel 5 der Richtlinie mussten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um der Richtlinie nachzukommen, bis zum 21. Dezember 1991 treffen. Gemäß Artikel 168 der Beitrittsakte(3) wurde die Frist für die Republik Österreich auf den 1. Januar 1995 festgesetzt.

6 Im österreichischen Recht wurde die Nachprüfungsrichtlinie auf Bundesebene durch das Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen umgesetzt(4). Jedes der neun Länder erließ anschließend sein eigenes Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Im Land Tirol ist es das Tiroler Vergabegesetz (TVerG) vom 6. Juli 1994(5).

7 Teil 2 dieses Gesetzes (§§ 5 bis 14) regelt die Verfahren zur Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge. Nach Artikel 6 entscheidet im Rahmen von Nachprüfungsverfahren das Landesvergabeamt. Nach Absatz 1 dieses Artikels besteht dieses Amt aus sieben Mitgliedern: einer mit den Angelegenheiten des Vergabewesens vertrauten Person als Vorsitzendem, einem rechtskundigen Bediensteten des Amtes der Tiroler Landesregierung als Berichterstatter, einem Mitglied aus dem Richterstand sowie vier weiteren Mitgliedern, die von der Wirtschaftskammer Tirol, der Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer für Tirol und Vorarlberg, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol und dem Tiroler Gemeindeverband vorgeschlagen werden.

8 Nach Absatz 3 dieses Paragraphen sind die Mitglieder des Vergabeamtes von der Tiroler Landesregierung auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Sie scheiden vorzeitig aus dem Amt durch Verzicht oder Widerruf der Bestellung aus. § 6 Absatz 4 bestimmt dazu, daß die Bestellung zu widerrufen ist, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung nicht mehr gegeben sind oder wenn Umstände eintreten, die der ordnungsgemässen Ausübung des Amtes "voraussichtlich auf Dauer" entgegenstehen.

9 Nach § 6 Absatz 6 ist das Landesvergabeamt beschlußfähig, wenn alle Mitglieder ordnungsgemäß eingeladen wurden und der Vorsitzende, der Berichterstatter, das Mitglied aus dem Richterstand und mindestens ein weiteres Mitglied anwesend sind. Es fasst seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Stimmenthaltung ist nicht zulässig.

10 Die Mitglieder des Landesvergabeamtes sind gemäß dem folgenden Absatz bei der Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Ihre Bescheide unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege (§ 6 Absatz 7).

11 Nach § 7 Absatz 1 hat die Tiroler Landesregierung eine Geschäftsordnung für das Landesvergabeamt zu erlassen. Die Geschäftsordnung hat insbesondere nähere Bestimmungen über die Einberufung und die Durchführung der Sitzungen, den Vorgang bei der Beratung und Abstimmung, die Aufnahme von Niederschriften und die Ausarbeitung und Fertigung der Erledigungen zu enthalten. Nach § 4 der Geschäftsordnung(6) beginnt die Beratung mit dem Vortrag des Berichterstatters, dem auch die Durchführung von Beweisaufnahmen und sonstigen Erhebungen obliegen. Alle Entscheidungen des Landesvergabeamtes müssen schriftlich ergehen und sind zu begründen.

12 § 10 des Vergabegesetzes regelt die Zuständigkeit des Landesvergabeamtes. Es kann die Rechtmässigkeit der Entscheidungen der Vergabestellen überprüfen, insbesondere diese Entscheidungen vor der Zuschlagserteilung aufheben (§ 12 Absatz 1) und, wenn der Zuschlag bereits erfolgt ist, feststellen, ob wegen einer Rechtswidrigkeit der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde (§ 12 Absatz 2). In diesem Verfahren hat das Landesvergabeamt ferner zu prüfen, ob der Zuschlag dem Zuschlagsempfänger nicht auch dann erteilt worden wäre, wenn die mit dem Nachprüfungsantrag gerügte Rechtswidrigkeit nicht vorgelegen hätte. Bei Aufhebung der Entscheidung der Vergabestellen kann der unter Verstoß gegen die geltenden Bestimmungen übergangene Bewerber bei einem Zivilgericht Klage auf Schadensersatz erheben.

Der Sachverhalt und die Vorlagefragen

13 Im Ausgangsrechtsstreit geht es um die Vergabe der Arbeiten für den Erweiterungsbau des Bezirkskrankenhauses Schwaz durch den Gemeindeverband Bezirkskrankenhaus Schwaz. Am 6. April 1995 stellten die Firmen Josef Köllensperger mbH & Co. und Atzwanger AG einen Antrag auf Aufhebung des Vergabebescheids wegen Verstosses gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge.

14 Mit Bescheid vom 27. Juni 1995 wies das Landesvergabeamt den Antrag mit der Begründung zurück, der Zuschlag sei dem Bestbieter erteilt worden, so daß den Antragstellern auch bei Einhaltung der Bestimmungen des Landesvergabegesetzes der Zuschlag nicht erteilt worden wäre. Die Antragsteller fochten diesen Bescheid vor dem Verfassungsgerichtshof an, der mit Urteil vom 12. Juni 1996 den Bescheid wegen Verstosses gegen das durch die österreichische Verfassung geschützte Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufhob. Der Verfassungsgerichtshof begründete dies damit, daß die Zusammensetzung des Landesvergabeamtes nicht den Erfordernissen der Nachprüfungsrichtlinie entsprochen habe, da sein Vorsitzender nicht die juristischen und beruflichen Qualifikationen zur Ausübung des Richteramtes besessen habe.

15 Die Zusammensetzung des Landesvergabeamtes wurde daraufhin geändert. Der bisherige Vorsitzende wurde durch einen Verwaltungsbeamten mit juristischer Ausbildung ersetzt. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat das Landesvergabeamt aufgrund von Zweifeln, ob seine Zusammensetzung (insbesondere bezueglich der Mitglieder, die von den Interessenverbänden benannt werden) den Erfordernissen der Richtlinie entspricht, dem Gerichtshof folgende zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Ist Artikel 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 dahin gehend auszulegen, daß das (Tiroler) Landesvergabeamt, welches mit (Tiroler) Landesgesetz vom 6. Juni 1994 über die Vergabe von Aufträgen (Tiroler Vergabegesetz; LGBl. Nr. 87/1994) eingerichtet wurde, eine Nachprüfungsinstanz im Sinne des Artikels 2 Absatz 8 der Richtlinie darstellt?

b) Ist durch das Gesetz vom 6. Juli 1994 über die Vergabe von Aufträgen (Tiroler Vergabegesetz; LGBl. Nr. 87/1994) sichergestellt, daß die Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren in innerstaatliches Recht umgesetzt ist?

Zur Zulässigkeit

16 Zunächst ist zu prüfen, ob das Landesvergabeamt aufgrund der Vorschriften, die seinen Aufbau und seine Funktionsweise regeln, befugt ist, sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens an den Gerichtshof zu wenden. Die Kommission hat in ihren schriftlichen Erklärungen in der Tat Bedenken zur Zulässigkeit der Fragen geäussert, da sie von einem Organ vorgelegt würden, das aus vielfältigen Gründen nicht als "Gericht" im Sinne des Artikels 177 EG-Vertrag angesehen werden könne(7).

17 Bekanntlich hat der Begriff des "Gerichts", das zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen befugt ist, wegen der Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts eine gegenüber den Definitionen in den nationalen Rechtsordnungen eigenständige Bedeutung(8). Nach ständiger Rechtsprechung(9) ist für die Beurteilung, ob die vorlegende Einrichtung Gerichtscharakter im Sinne des Artikels 177 des Vertrages besitzt, auf eine Reihe von Gesichtspunkten abzustellen wie gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch diese Einrichtung sowie Notwendigkeit der Stellung eines Dritten und der Unabhängigkeit. Somit ist an dieser Stelle zu prüfen, ob die genannten Voraussetzungen im vorliegenden Fall von dem Organ, das den Gerichtshof angerufen hat, erfuellt werden.

18 Dazu ist festzustellen, daß es nach dem österreichischen Gesetz ausschließlich Aufgabe des Landesvergabeamtes ist, die Rechtmässigkeit der Vergabentscheidungen zu überprüfen (§§ 5 und 10 TVerG). Nach diesem Gesetz sind die Entscheidungen ex lege bindend (§ 12 TVerG). Da das Landesvergabeamt eine "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag" im Sinne von Artikel 133 der österreichischen Verfassung ist, unterliegen seine Entscheidungen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege (§ 6 Absatz 7 TVerG). Daraus folgt, daß das Landesvergabeamt eine gesetzliche Grundlage hat und die Voraussetzung der obligatorischen Gerichtsbarkeit erfuellt ist. Ausdrücklich bejaht werden muß auch der ständige Charakter des Organs, da das Landesvergabeamt eine ständige Einrichtung ist. Dagegen spricht keineswegs, daß die Mitglieder des Amtes nur für eine begrenzte Anzahl von Jahren (fünf) bestellt werden, da die Bestellung der Mitglieder eines Gerichts anerkanntermassen auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt werden kann; entscheidend ist allein, daß es sich um eine gesetzlich von vornherein festgelegte Amtsdauer handelt, die nicht dem Ermessen der für die Ernennung zuständigen Stelle überlassen ist. Schließlich steht ausser Frage, daß das Landesvergabeamt Rechtsvorschriften anwendet, wenn es über die Rechtmässigkeit der Vergabebescheide entscheidet (§ 8 TVerG).

19 Bezueglich der Einhaltung des Grundsatzes des streitigen Verfahrens erlaubt die einschlägige Regelung ebenfalls die Feststellung, daß das Landesvergabeamt diesen Grundsatz bei seiner Tätigkeit beachten muß.

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof in dem Urteil Dorsch Consult insbesondere festgestellt hat, daß es sich hierbei nicht um ein "absolutes Kriterium"(10) handelt. Er hat es daher für ausreichend gehalten, wenn die Beteiligten von dem für die Überprüfung der Rechtmässigkeit der Vergabe zuständigen Organ vor Erlaß seiner Entscheidung gehört werden. Nach Auffassung des Gerichtshofes ist ein Verfahren also "streitig", wenn die zur Entscheidung einer Streitigkeit angerufene Stelle verpflichtet ist, vor Erlaß ihrer Entscheidung die Beteiligten zu hören.

In unserem Fall kann man zu demselben Ergebnis gelangen, da nach § 7 Absatz 1 des Tiroler Gesetzes vor dem Landesvergabeamt Sitzungen unter Beteiligung der Parteien durchgeführt und die Einberufung und Durchführung dieser Sitzungen in einer Geschäftsordnung näher geregelt werden müssen, wie dies tatsächlich auch geschehen ist(11).

20 In Übereinstimmung mit diesen Vorschriften sind im Ausgangsverfahren die Beteiligten gehört worden und hatten Gelegenheit, sich zu äussern, bevor das Landesvergabeamt über ihren Antrag in der Sache entschied. Es lässt sich daher nicht bestreiten, daß im vorliegenden Fall das Verfahren unter Beachtung des Prinzips des streitigen Verfahrens durchgeführt worden ist, wie es vom Gerichtshof verstanden wird.

21 Schließlich ist zu prüfen, ob der Aufbau und die Funktionsweise des Landesvergabeamtes den Anforderungen genügt, die an ein Rechtsprechungsorgan hinsichtlich seiner Stellung als Dritter und hinsichtlich seiner Unabhängigkeit zu stellen sind.

Unstreitig muß bei jedem Organ, das richterliche Aufgaben wahrnehmen will, grundsätzlich gewährleistet sein, daß es in hohem Masse gegen jede Art von äusserem Einfluß immun ist, der, wenn auch nur potentiell, die Unabhängigkeit seines Urteils in Streitigkeiten, über die es zu befinden hat, in Frage stellen könnte. Noch mehr Gewicht kommt diesem Erfordernis in Fällen wie dem unseren zu, in dem die Verwaltung einerseits zur Ernennung und Entlassung der Mitglieder des Vergabeamtes befugt ist und andererseits als Partei in Verfahren auftritt, in denen dieses Amt entscheiden soll(12).

22 Der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Gerichts verlangt in Übereinstimmung mit den Rechtstraditionen, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, daß die Vorschriften, die die Zusammensetzung und Tätigkeit eines Rechtsprechungsorgans regeln, die Unabhängigkeit seiner Mitglieder und deren Stellung als Dritte strikt gewährleisten müssen(13). Dies gilt insbesondere für die Vorschriften, die der Verwaltung eventuell die Befugnis zur Abberufung der Mitglieder des Organs einräumen. Natürlich ist klar, daß eine solche Befugnis nur in Ausnahmefällen ausgeuebt werden darf, und daß die Vorschriften, die der Verwaltung diese Befugnis einräumen, daher mit der grösstmöglichen Transparenz und erschöpfend die Gründe aufführen müssen, aus denen eine Abberufung der Mitglieder des Organs zulässig ist.

23 Nach diesen allgemeinen Ausführungen möchte ich mich nun unserem Fall zuwenden und darauf hinweisen, daß die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Rahmen ihrer Ausführungen zur Unzulässigkeit der Fragen in verschiedener Hinsicht Zweifel geäussert hat, daß das Erfordernis der Unabhängigkeit in der Regelung über die Zusammensetzung und die Funktionsweise des Landesvergabeamtes beachtet worden ist. In der Sitzung hat die Kommission jedoch erklärt, ihren Standpunkt geändert zu haben, und dies mit einem (in der Tat allgemeinen) Hinweis auf das Urteil Dorsch Consult begründet.

24 Im schriftlichen Verfahren berief sich die Kommission zunächst darauf, daß das Mitglied des Landesvergabeamtes, das als Berichterstatter tätig sei, ein vorübergehend freigestellter Beamter der Verwaltung sei und dies wegen der wichtigen Rolle des Berichterstatters innerhalb des Amtes mit der Stellung des Rechtsprechungsorgans als eines Dritten im Verfahren nicht vereinbar sei.

Ich halte diese Rüge nicht für begründet. Die Herkunft eines Mitglieds des Vergabeamtes aus der Verwaltung führt für sich allein genommen nicht zu einer Beeinträchtigung seiner Unvoreingenommenheit bei der Urteilsfindung, die durch die Gesamtheit der Vorschriften über die Funktionsweise des Organs gewährleistet sein muß. Ausserdem hat der österreichische Gesetzgeber diesem Erfordernis Rechnung getragen, indem er in das Gesetz zur Gründung des Landesvergabeamtes aufgenommen hat, daß die Mitglieder des Amtes unabhängig von ihrer Herkunft bei der Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden sind (§ 6 Absatz 7).

25 Zweitens ist es nach Ansicht der Kommission mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit nicht vereinbar, daß das Tiroler Gesetz keine Vorschriften über die Ablehnung und Stimmenthaltung der Mitglieder des Amtes enthalte. Solche Vorschriften müssten z. B. angewendet werden, wenn die Mitglieder als Beamte der Verwaltung bei der Vergabe des streitigen Auftrags mitgewirkt hätten. Diese Regelungslücke sei besonders schwerwiegend, wenn man die "strukturelle" Nähe von Vergabeamt und Verwaltung, deren Handeln das Organ kontrollieren solle, berücksichtige.

Das Fehlen einer Regelung über die Stimmenthaltung und Ablehnung der Mitglieder des Rechtsprechungsorgans stellt die Unabhängigkeit dieses Organs in Frage, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat. Auch lässt sich diese Lücke nicht durch analoge Anwendung der entsprechenden Vorschriften über die Richter ausfuellen, da dieser Bereich eng mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters zusammenhängt und daher eine ausdrückliche und erschöpfende Regelung erfordert.

26 Schließlich meint die Kommission, daß die Regelung über die Abberufung der Mitglieder des Organs mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit eines Rechtsprechungsorgans unvereinbar sei. Die Vorschriften über die Abberufung (§ 6 Absatz 4 TVerG) seien in dem Vergabegesetz zu vage formuliert. Neben dem Fall, daß die Voraussetzungen für die Bestellung nicht mehr gegeben seien, was offensichtlich keine Auslegungsprobleme bereite, sehe die fragliche Bestimmung nämlich auch vor, daß die Verwaltung die Bestellung widerrufen könne, wenn Umstände einträten, die der ordnungsgemässen Ausübung des Amtes "voraussichtlich auf Dauer" entgegenständen. Diese letztgenannte Bestimmung erscheine mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit eines Rechtsprechungsorgans schwerlich vereinbar.

Der Standpunkt der Kommission ist überzeugend. Die genannte Vorschrift führt nämlich dazu, daß sich die Person des Richters nicht sicher bestimmen lässt, da die Befugnis der Landesregierung, ein Mitglied des Gerichts abzuberufen, nicht auf im einzelnen genau umschriebene Fälle beschränkt ist. Dies steht in offenkundigem Widerspruch zum Prinzip des gesetzlichen Richters. Auch kann meines Erachtens nicht ergänzend eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Abberufung der Richter in Betracht gezogen werden, da die Formulierung der Vorschrift den Willen erkennen lässt, der Landesregierung eine möglichst umfassende Befugnis einzuräumen. Die Unbestimmtheit der Vorschrift und das daraus folgende weite Ermessen der Verwaltung machen darüber hinaus eine gerichtliche Überprüfung eventueller Abberufungen von Mitgliedern des Landesvergabeamtes sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Somit verwendet die Vorschrift in dem Landesvergabegesetz, die die heikle Frage der Abberufung der Mitglieder des Vergabeamtes regelt, eine Formulierung, die zu vage ist, um einen Schutz gegen unzulässige Eingriffe oder unzulässigen Druck der Verwaltung zu gewährleisten(14).

27 Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu dem unlängst vom Gerichtshof erlassenen Urteil in der Rechtssache Dorsch Consult, sondern wird durch dieses eher bestätigt. In dem genannten Fall war der Gerichtscharakter der für Entscheidungen über das Vergabeverfahren zuständigen deutschen Stelle (Vergabeueberwachungsausschuß des Bundes) gerade deshalb streitig, weil diese Stelle die Kriterien der Unabhängigkeit und der Stellung eines Dritten gegenüber der Verwaltung angeblich nicht erfuellte. Dieser Präzedenzfall scheint mir jedoch nicht einschlägig zu sein. Der Gerichtshof hat nämlich die Bedenken der Kommission und des Generalanwalts(15) deshalb für unbegründet gehalten, weil die deutschen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorsehen, daß auf die Mitglieder des für Entscheidungen über Streitigkeiten bei der Auftragsvergabe zuständigen Bundesausschusses die Vorschriften über die Abberufung von Richtern anwendbar sind, und sie ausserdem die Ablehnung und Stimmenthaltung unmittelbar regeln. Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt(16): "Ausserdem gelten gemäß § 57c Absatz 3 HGrG die wesentlichen Vorschriften des deutschen Richtergesetzes über die Nichtigkeit und Rücknahme der Berufung sowie über die Unabhängigkeit und Absetzbarkeit von Richtern für die beamteten Mitglieder der Kammern entsprechend. Für die ehrenamtlichen Mitglieder gelten allgemein ebenfalls die Vorschriften des Richtergesetzes über die Nichtigkeit und Rücknahme der Berufung. Die Unparteilichkeit dieser Mitglieder wird durch § 57c Absatz 2 HGrG gewährleistet, wonach sie nicht mit Fällen befasst werden dürfen, bei denen sie selbst an der Vergabeentscheidung mitgewirkt haben oder bei denen sie Bieter oder Interessenvertreter von Bietern sind oder waren."

28 Wie diese Stelle zeigt, hält der Gerichtshof für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Richter und ihrer Stellung eines Dritten für entscheidend, daß die Ausnahmefälle, die die Abberufung der Mitglieder des Organs rechtfertigen, jedenfalls in den Bestimmungen, die die Funktionsweise des Organs regeln, festgelegt sind, oder, wie im Fall der Abberufung, ausdrücklich auf die für Richter geltende Regelung verwiesen wird. Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Dorsch Consult auf die analoge Anwendung der deutschen Regelung über die Abberufung der Richter hingewiesen, doch ist dies richtigerweise als ein Verweis auf bestimmte Vorschriften für einen anderen Sachverhalt, soweit dieser anwendbar ist, zu verstehen. In dem Tiroler Gesetz fehlt diese Verweisung, weshalb die gerade zitierte Stelle des Urteils nicht gegen die hier vorgeschlagene Lösung angeführt werden kann.

29 Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht, daß der Gerichtshof unlängst auf Fragen geantwortet hat, die ihm von der österreichischen Bundesbehörde vorgelegt worden waren, die für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist. Im Urteil Mannesmann(17) hat der Gerichtshof die Fragen des Bundesvergabeamtes in der Sache geprüft, ohne den Gerichtscharakter des vorlegenden Organs zu untersuchen, obwohl diese Frage von den Parteien und dem Generalanwalt behandelt worden war. Auch wenn man davon ausgeht, daß der Gerichtshof die Zuständigkeit des Organs für die Vorlage dieser Vorabentscheidungsfragen(18) stillschweigend anerkannt hat, ist aufgrund der Unterschiede zwischen dem Gesetz zur Gründung des Bundesvergabeamtes und dem über das Tiroler Vergabeamt dem gerade genannten Umstand doch keine Bedeutung beizumessen. Wenn auch die Organe fast gleich aufgebaut und nach ähnlichen Regeln tätig sind, ist die Bundesregelung hinsichtlich der Garantien der Unabhängigkeit und der Unabsetzbarkeit, die für die Mitglieder des Bundesvergabeamtes bestehen, doch viel genauer. Insbesondere sind im Unterschied zu dem Tiroler Gesetz die Gründe des Ausscheidens eines Mitglieds des Vergabeamtes aus seinem Amt ausdrücklich und erschöpfend in § 100 BVerG (§ 79 der früheren Fassung dieses Gesetzes) aufgeführt(19). Das gleiche gilt für die Gründe der Ablehnung der Mitglieder des Vergabeamtes durch die Parteien, die in der Bundesregelung ausdrücklich aufgeführt sind, nicht aber auch, wie vorstehend aufgezeigt, in dem Tiroler Gesetz.

30 Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Tiroler Vergabeamtes für unzulässig zu erklären, da sie von einem Organ vorgelegt worden sind, das nicht die Eigenschaft eines Gerichts im Sinne des Artikels 177 EG-Vertrag besitzt.

Zur ersten und zweiten Vorlagefrage

31 Wenn der Gerichtshof entgegen dem vorstehenden Vorschlag das Landesvergabeamt als ein "Gericht" im Sinne des Artikels 177 qualifizieren sollte, weil er auf die ungelösten Fragen bezueglich der Stellung der Mitglieder des Organs als Dritte und deren Unabhängigkeit eine Antwort gefunden hat, stellt sich das Problem, über die Vorlagefragen des Landesvergabeamtes in der Sache zu entscheiden. Dieser Entscheidung dienen also die folgenden Ausführungen.

32 Wie erinnerlich möchte das Landesvergabeamt wissen, ob die Regelung über die eigene Zusammensetzung und die eigene Funktionsweise den Erfordernissen des Artikels 2 Absatz 8 Unterabsatz 1 der Nachprüfungsrichtlinie genügt.

In den schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof haben sich die Parteien insbesondere auf die Person des Präsidenten des Landesvergabeamtes konzentriert, um zu klären, ob er den Erfordernissen des Artikels 2 Absatz 8 der Nachprüfungsrichtlinie entspricht.

33 Ich möchte vorausschicken, daß die Untersuchung der gerade genannten Vorschrift ergibt, daß die geführte Erörterung in unserem Fall weder von Bedeutung noch erforderlich ist. Zur Begründung dieser Schlußfolgerung ist eine genaue Lektüre des Artikels 2 Absatz 8 der Nachprüfungsrichtlinie unerläßlich.

34 Die genannte Vorschrift betrifft, wie ich gesagt habe, die Instanzen, die für die Nachprüfung der Entscheidungen zuständig sind, die die Grundinstanzen getroffen haben, die für die Vergabe der in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden öffentlichen Aufträge zuständig sind.

35 Artikel 2 Absatz 8 Unterabsatz 1, insbesondere Satz 1, sieht zwei verschiedene Fallgestaltungen vor. Die Mitgliedstaaten können nämlich zwischen zwei möglichen Alternativen für die Organisation des Systems der Nachprüfung der Maßnahmen der öffentlichen Auftraggeber wählen. Die erste Lösung, die ich als "einstufiges System" bezeichnen möchte, besteht darin, "Gerichte" für die Nachprüfung für zuständig zu erklären. Die zweite, die ich "zweistufiges System" nennen möchte und die die in einigen Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie geltende Gesetzeslage wiedergibt, besteht darin, zunächst "Grundinstanzen", die keine Gerichte sind, die Entscheidungszuständigkeit zuzuweisen. Der weitere Text des Artikels 2 Absatz 8 betrifft ausschließlich diesen zweiten Fall. In diesem Fall ist nämlich nach dieser Bestimmung "sicherzustellen, daß eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der zuständigen Grundinstanz oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen gegenüber den öffentlichen Auftraggebern und der Grundinstanz unabhängigen Instanz, die ein Gericht im Sinne des Artikels 177 des Vertrages ist, gemacht werden können".

36 Das zweistufige System ist somit dadurch gekennzeichnet, daß zunächst eine Instanz, die kein Gericht ist, eingeschaltet wird, deren Entscheidungen bezueglich der Maßnahmen der öffentlichen Auftraggeber schriftlich begründet sein müssen. Ferner müssen diese Entscheidungen zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer Instanz gemacht werden können, die ein Gericht im Sinne des Artikels 177 des Vertrages ist und gegenüber den öffentlichen Auftraggebern und der Grundinstanz unabhängig ist. Der folgende Text des Artikels 2 Absatz 8 der Richtlinie bezieht sich auf die gerade genannte unabhängige Instanz, die ein Gericht nach Artikel 177 sein muß und an die einige "besondere" Anforderungen gestellt werden, die sich auf die Ernennung der Mitglieder, deren Ausscheiden aus dem Amt, die Qualifikation des Vorsitzenden, das Verfahren und die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidungen beziehen.

37 Eine genaue Beurteilung des Regelungsgehalts dieser Vorschrift ist alles andere als einfach. Entscheidend für unsere Zwecke ist, klarzustellen, was die Richtlinie mit dem Ausdruck "Gerichte" in Satz 1 des Artikels 2 Absatz 8 Unterabsatz 1 zum Ausdruck bringen wollte. Es ist also zu klären, ob dieser Ausdruck als eine Verweisung auf die gemeinschaftsrechtliche Qualifikation des "Gerichts" zu verstehen ist oder als eine Verweisung auf das nationale Recht.

38 Nach meiner Ansicht ist die erste Lösung die richtige, so daß der gesamte Artikel 2 Absatz 8 der Nachprüfungsrichtlinie nur in Betracht kommt, wenn die für das Nachprüfungsverfahren zuständige Instanz kein "Gericht" im Sinne des Artikels 177 des Vertrages und damit keine Instanz ist, die Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof richten kann. In diesem Fall müssen die Mitgliedstaaten nach der genannten Vorschrift ein zweistufiges System vorsehen, um jedenfalls eine Überprüfung der Entscheidungen der Grundinstanz durch eine Klage oder eine Nachprüfung bei einer Instanz zu ermöglichen, die ein "Gericht" im Sinne des Artikels 177 ist.

39 Sinn und Zweck des gesamten Systems, wie die österreichische Regierung und die Kommission in der Sitzung eingeräumt haben, ist nämlich, in jedem Fall die Möglichkeit zu schaffen, bei der Überprüfung der Maßnahmen der öffentlichen Auftraggeber eine Instanz einzuschalten, die aufgrund ihres "Gerichtscharakters" in der Lage ist, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, auch wenn diese Instanz formell nicht Teil der Gerichtsbarkeit des betreffenden Mitgliedstaats ist. Dadurch soll erreicht werden, daß die für die Nachprüfungsverfahren zuständigen Instanzen vom Gerichtshof, falls erforderlich, eine Entscheidung über die Auslegung der Gemeinschaftsrichtlinien über öffentliche Aufträge (einschließlich natürlich der Nachprüfungsrichtlinie) erhalten können.

40 Sieht man in dem Landesvergabeamt eine Instanz, die dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen kann, d. h. ein Gericht nach Artikel 177, bedeutet dies, daß die Schutzerfordernisse, die der "zweistufigen" Lösung zugrunde liegen, in unserem Fall ausser Betracht bleiben können: Denn das Organ, das in erster (und einziger) Instanz im Rahmen der Nachprüfungsverfahren entscheidet, darf sich selbst an den Gerichtshof wenden. Bei dieser Sichtweise wäre es daher sinnlos, zu verlangen, daß die Entscheidungen eines "Gerichts" im Sinne des Artikels 177 bei einem anderen Organ überprüft werden können, das sich seinerseits an den Gerichtshof wenden darf. Es ist, wie ich noch einmal betonen möchte, offenkundig, daß es in Fällen, wie dem unseren, in dem die für die Nachprüfungsverfahren zuständige Instanz gegebenenfalls als "Gericht" anzusehen ist, nicht notwendig ist, auf jeden Fall die Einschaltung eines Organs, das "Gericht" nach Artikel 177 ist, vorzusehen, sondern nur dann, wenn in einem zweistufigen System auf der ersten Stufe eine "reine" Verwaltungsbehörde auftritt, da diese der Definition des Gerichts im Sinne des Artikels 177 in keiner Weise entspricht.

41 Dieses Ergebnis führt dazu, daß wir uns mit den beiden Fragen des Landesvergabeamtes nach der Auslegung des Artikels 2 Absatz 8 der Nachprüfungsrichtlinie sachlich nicht auseinandersetzen müssen. Wie erinnerlich betrifft diese Vorschrift die besonderen Erfordernisse, denen eine unabhängige Instanz genügen muß, die in einem "zweistufigen" System auf der zweiten Stufe auftritt. Es ist somit offenkundig, daß die von der vorlegenden Stelle erbetenen Klarstellungen in dem Fall, der uns beschäftigt, keine Bedeutung haben, da dieser Teil der Vorschrift auf das durch das Tiroler Gesetz errichtete Vergabeamt nicht anwendbar ist. Das von der vorlegenden Stelle aufgeworfene Problem geht somit in dem bereits untersuchten Problem der Zulässigkeit der Vorlagefragen auf. Nur in diesem Rahmen und nicht im Rahmen der Auslegung des Artikels 2 Absatz 8 der Nachprüfungsrichtlinie kann gegebenenfalls über den Status der Mitglieder des Organs, ihre Unabhängigkeit gegenüber der Verwaltung und den Parteien, die Bedingungen für die Ernennung der Mitglieder und für ihre Abberufung usw. entschieden werden. Es ist daher z. B. nicht wichtig, zu entscheiden, ob der Vorsitzende des Vergabeamtes die gleichen persönlichen und beruflichen Qualifikationen wie ein Richter hat und ob diese Qualifikationen unter Bezug auf einen "nationalen" oder "gemeinschaftlichen" Begriff des Richters zu ermitteln sind. Dieses Erfordernis gehört nämlich zum "zweistufigen" System, das die Richtlinie als eine mögliche Alternative für die Mitgliedstaaten vorgesehen hat, wenn diese ein nationales Nachprüfungssystem errichten. Dagegen ist das genannte Erfordernis an und für sich nicht entscheidend bei der Qualifizierung eines Organs als "Gericht" im Sinne des Artikels 177.

42 Es ist keineswegs überfluessig, hinzuzufügen, daß das Ergebnis, zu dem wir nunmehr gelangt sind, im Falle, daß das betreffende Organ als Gericht nach Artikel 177 anzusehen ist, die einzige Lösung ist, die es erlaubt, das Tiroler System der Nachprüfung der Maßnahmen der öffentlichen Auftraggeber in den Rahmen der Nachprüfungsrichtlinie einzufügen. Wenn nämlich das Landesvergabeamt als "Gericht im Sinne des Artikels 177" gemäß Artikel 2 Absatz 8 Unterabsatz 1 letzter Satz und damit als "zweite Stufe" bei der Entscheidung über Klagen gegen die Vergabe öffentlicher Aufträge angesehen würde, stände man bei dieser Auslegung vor dem Problem, die auf der ersten Stufe zuständige Grundinstanz zu ermitteln, die kein "Gericht" ist und deren Entscheidungen durch das Vergabeamt überprüft werden sollen. Eine solche Grundinstanz gibt es bekanntlich im österreichischen System nicht, in dem die Klagen gegen die Maßnahmen der öffentlichen Auftraggeber in erster und einziger Instanz beim Landesvergabeamt eingereicht werden.

43 Nach alledem möchte ich dem Gerichtshof vorschlagen, die Fragen des Landesvergabeamtes Tirol für unzulässig zu erklären, da dieses Organ kein Gericht im Sinne des Artikels 177 des Vertrages ist.

Hilfsweise möchte ich dem Gerichtshof folgende Antwort vorschlagen:

Artikel 2 Absatz 8 Unterabsatz 2 der Nachprüfungsrichtlinie ist dahin auszulegen, daß die dort aufgeführten Erfordernisse ausschließlich die Zusammensetzung der Instanzen betreffen, die unabhängig und für die Nachprüfung der Entscheidungen zuständig sind, die ein Organ getroffen hat, das in erster Instanz für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig und kein Gericht im Sinne des Artikels 177 des Vertrages ist. Die genannte Vorschrift bleibt daher bei der Beurteilung der Zusammensetzung und der Funktionsweise des Tiroler Landesvergabeamtes ausser Betracht.

(1) - ABl. L 395, S. 33.

(2) - ABl. L 209, S. 1.

(3) - ABl. C 241, S. 21.

(4) - Das Bundesgesetz, ursprünglich veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 1993, Nr. 639, wurde später nach der Kodifizierung des Gebietes der öffentlichen Aufträge durch das Gesetz vom 27. Mai 1997 erneut veröffentlicht (Bundesgesetzblatt 1997, Nr. 56).

(5) - LGBl. 1994, Nr. 87.

(6) - Veröffentlicht im Tiroler LGBl. 1995, Nr. 47.

(7) - Zu bemerken ist jedoch, daß die Kommission in der Sitzung erklärt hat, ihren Standpunkt angesichts der vom Gerichtshof im Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-54/96 (Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961, Randnrn. 22 bis 38) vertretenen Auffassung geändert zu haben.

(8) - Die Eigenständigkeit des gemeinschaftsrechtlichen Begriffes "Gericht" wird vom Gerichtshof seit dem Urteil vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache C-61/65 (Vaassen-Göbbels, Slg. 1966, 584) bejaht.

(9) - Vgl. z. B. die Urteile Vaassen-Göbbels (zitiert in Fußnote 8), vom 11. Juni 1987 in der Rechtssache 14/86 (Pretore di Salò, Slg. 1987, 2545), vom 17. Oktober 1989 in der Rechtssache 109/88 (Danfoß, Slg. 1989, 3199), vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92 (Almelo, Slg. 1994, I-1477) und zuletzt das genannte Urteil Dorsch Consult (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 24).

(10) - Zitiert in Fußnote 7, Randnr. 31.

(11) - Vgl. § 4 der Verordnung der Landesregierung vom 24. April 1995, Tiroler VGBl. 1995, Nr. 47.

(12) - Es handelt sich, wie offenkundig ist, um den Fall, der normalerweise bei öffentlichen Aufträgen vorliegt. Gerade um eventuelle nachteilige Folgen aus der "strukturellen" Nähe von "Kontrollierendem" und "Kontrolliertem" zu vermeiden, enthält die Nachprüfungsrichtlinie zusätzliche Anforderungen an das Organ, das Gericht im Sinne des Artikels 177 ist und in dem zweistufigen System über Streitigkeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens entscheiden soll. Insbesondere wird verlangt, daß zumindest der Vorsitzende des Organs die juristischen und beruflichen Qualifikationen eines Richters besitzen muß. Näheres zu diesem System nachstehend unter Nrn. 32 ff.

(13) - Die Bedeutung des Erfordernisses der Unabhängigkeit und der Stellung eines Dritten wird u. a. hervorgehoben in den Urteilen Pretore di Salò, (zitiert in Fußnote 9, Randnr. 7), vom 20. März 1993 in der Rechtssache C-24/92 (Corbiau, Slg. 1993, I-1278, Randnr. 15) und Almelo (zitiert in Fußnote 9, Randnr. 21).

(14) - Interessanterweise finden sich im österreichischen Recht selbst verschiedene Lösungen für die Funktionsweise von Organen, die ebenfalls in einziger Instanz über die Rechtmässigkeit der Vergabe öffentlicher Aufträge zu entscheiden haben. Wie der Fall in der Rechtssache C-258/97, Hospital Ingenieure, in der ich meine Schlussanträge am 1. Oktober 1998 vortragen werde, zeigt, weist das Kärntner Auftragsvergabegesetz diese Befugnisse dem Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten zu, einem Gericht, dessen Unabhängigkeit schon verfassungsrechtlich garantiert ist, da die Befungis der Abberufung dem Senat verliehen worden ist und nur in den gesetzlich festgelegten Fällen (Artikel 129b der österreichischen Verfassung) ausgeuebt werden darf.

(15) - Vgl. Nrn. 33 bis 37 der Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, Slg. 1997, I-4976 ff.

(16) - Randnr. 36.

(17) - Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-44/96 (Slg. 1998, I-73).

(18) - Generalanwalt Léger hat unter den Nrn. 37 bis 44 seiner Schlussanträge vom 16. September 1997 dies Zuständigkeit bejaht. Für unsere Zwecke ist jedoch von Bedeutung, daß der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge bei der Begründung, warum er das Kriterium der Unabhängigkeit des Organs für erfuellt ansehe, ausgeführt hat, daß die Gründe für die Abberufung der Mitglieder in § 79 des Bundesvergabegesetzes (jetzt § 100 Bundesvergabegesetz) abschließend aufgezählt und objektiv bestimmt sind oder im Falle der groben Pflichtverletzung der Grund Verfehlungen entspricht, deren gesetzlich vorgeschriebene Bedeutung die Gefahr der Willkür und des Eingreifens von Verwaltungsbehörden verringert.

(19) - Nach § 100 des Bundesvergabegesetzes erlischt die Mitgliedschaft eines Mitglieds des Bundesvergabeamtes bei Tod oder Verzicht, bei Verlust der Wählbarkeit zum Nationalrat, mit der Feststellung der Vollversammlung des Organs, daß das Mitglied wegen schwerer körperlicher oder geistiger Gebrechen zu einer ordentlichen Funktionsausübung unfähig ist, bei Zeitablauf, mit der Feststellung der Vollversammlung des Organs, daß das Mitglied eine grobe Pflichtverletzung begangen hat, sowie im Falle des Ausscheidens aus dem Richerstand bzw. des Dienststandes der vorschlagenden Stelle.